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Am Vorabende des Jahrhunderts, in welchem die Zertrümmerung Roms durch die Germanen vollbracht wird, haben wir noch deren Zustände während der Zeit der letzten (verhältnismäßigen D.) Ruhe zu untersuchen, die dem Ausbruche des neu ausbrechenden Weltsturms vorausging.
Die Wanderung und Eroberung war (auf kurze Zeit D.) zu (einer Art von D.) Stillstand gelangt. Das Barbarentum, das bisher in der Raubfahrt (und Überflutung Leben D.) Ruhm und Erwerb gesucht hatte, begann der Zivilisation zu weichen.
Der Anbau des eroberten Landes (– denn bis an Rhein und Donau und teilweise über diese waren sie gedrungen – D.), der Genuß der erbeuteten Schätze, der Verdienst (durch römische Jahrgelder, Getreidelieferungen D.), die durch dies alles gewährte Füglichkeit, weitere Bedürfnisse im Wege des Handels zu befriedigen (vor allem aber der bedeutend erweiterte Landbesitz D.), genügten (hie und dort eine Weile D.). Die Verträge wurden nicht mehr, um sie möglichst bald wieder zu brechen, abgeschlossen: auch die Germanen erkannten nun oft den Vorteil des Friedens.
Dieser Zustand ward aber vor allem auch durch die Sonderpolitik einzelner germanischer Völker, namentlich der an Roms Grenze sitzenden, gefördert, denen aus Eifersucht und aus Furcht vor ihren östlichen Nachbarn Anlehnung an den gemeinsamen Nationalfeind, der schon längst fast nie mehr an Angriff, nur noch an Verteidigung dachte, viel zuträglicher erschien, als ein Offensivbündnis mit den Stammgenossen wider Rom, bei dem Marsch und Krieg sich zunächst über ihre eigenen wohlangebauten Lande ergießen mußten. Die Sachsen im Rücken der Franken, die Burgunder hinter den Alemannen trugen zunächst nach den Sitzen und Glücksgütern dieser ihrer Nachbarn Verlangen, und diese Erkenntnis ließ letztere hin und wieder Roms Freundschaft suchen.
(Viel wichtiger war: die neu gewonnenen, breiten, ausgezeichnet fruchtbaren, vortrefflich von Römern und Kelten angebauten Landstriche befriedigten eine Zeit lang mehr als seit geraumer Zeit geschehen das Bedürfnis, und andererseits waren durch eine Reihe von kräftigen Kaisern und Feldherren Rhein und Donau kräftig verteidigt worden. D.)
Jener Anschluß an Rom gilt vor allem von den auf römischem Grund und Boden angesiedelten Germanen, d. i. von den salischen Franken und den Alemannen, welche auch vereinzelt in das dem Volke sonst ganz fremde Städteleben eintreten: weniger von den Ripuariern, die noch jenseits des Rheins saßen.
Dieser Wechsel war besonders das Werk der römischen Waffen, zuletzt das der großen Kriegsfürsten Julian und Valentinian I.: unzweifelhaft aber war auch in den Gemütern der Germanen ein Umschwung eingetreten: der Romanisierungsprozeß derselben hatte begonnen. (Gleichzeitig hat sich die monarchische Verfassung immer mehr verbreitet und befestigt. D.)
Wir haben anzunehmen, daß dieser Zustand bei den Saliern und Alemannen auch unter Theodosius im Wesentlichen unverändert fortbestand: (aber völlige Ruhe trat keineswegs ein. D.).
Wir finden bei Sokrates (V, 6) und bei Sozomenos (VII, 4) erwähnt, daß Gratian aus Pannonien nach Gallien zurückkehrte, weil die Alemannen räuberisch eingefallen seien, was nach Ersterm im Jahre 380, nach Letzterm bereits im Jahre 379 geschehen zu sein scheint.
Ebenso führen beide, und zwar fast mit denselben Worten, an, daß Gratian um die Zeit, da Maximus in sein Reich einfiel, mit den Alemannen gekriegt habe.
Im Jahre 388 nach dem Abzuge von des Empörers Maximus Truppen aus Gallien wider Theodosius verlockte die größere Entblößung der Grenze die erwähnten ripuarischen Frankenfürsten Genobaud, Markomer und Sunno zu einem Einbruch in römisches Gebiet, der mit der Niederlage eines großen Teils der Franken endete, in deren Folge freilich aber die zur Verfolgung weit über den Rhein in deren Land eingedrungenen Römer durch die Unvorsichtigkeit ihres Führers eine noch weit schmählichere erlitten.
Indessen unterwarfen sich die Ripuarier, als des Theodosius Feldherr Arbogast wider sie heranzog, sogleich den von diesem vorgeschriebenen Bedingungen.
Im Jahre 392 nach Valentinians Sturz galt es für die Empörer wieder, sich der Mithilfe der Germanen für den bevorstehenden Krieg zu versichern. Da unternahm Arbogast, imponierend zu schrecken, den berichteten Feldzug in das Tiefinnere Germaniens hinein, bei welchem er wahrscheinlich auch seinen persönlichen Haß gegen einzelne Frankenfürsten durch Verwüstung der Besitzungen derselben befriedigte, der jedoch, weil sich die Feinde vor ihm zurückzogen, ohne allen Kampf verlief.
Höchst wichtig wird aber die betreffende Stelle des Sulpicius Alexander in Gregor v. Tours (II, 9) durch das Licht, welches sie über das damalige Verhältnis der Franken verbreitet.
Unzweifelhaft bildeten in den Jahren zwischen 307 und 310, etwa 308, als Constantin der Große dieselben bekriegte, deren Nachbarvölker, namentlich die Brukterer, Chamaven und Tubanten, noch eigne Sonderstaaten. Nun sagt aber der genannte Schriftsteller: Gregor v. Tours II, 9: ratus tuto omnes Franciae recessus penetrandos urendosque, cum decussis foliis nudae atque arentes silvae insidiantes ocoulere non possent.
»Arbogast glaubte, weil die Wälder entlaubt seien, die Feinde sich daher nicht verbergen könnten, alle Gegenden und Winkel des Frankenlandes mit Sicherheit durchziehen und verwüsten zu können.«
»Deshalb nun,« fährt derselbe fort, »verheerte er, nachdem er über den Rhein gegangen, zuerst das dem Ufer nächste Gebiet der Brukterer, dann auch den Gau der Chamaven, wobei ihm niemand entgegentrat, außer daß sich schwache Haufen (pauci) der Amsivarier und Chatten unter Markomers Führung auf den entferntem Hügelreihen zeigten.«
Darauf, fügt er hinzu, bemerke sein Gewährsmann (Sulpicius Alexander) noch deutlich, »daß die Franken nunmehr, an Stelle ihrer bisherigen Fürsten und Gaukönige (solche »aufgebend«) einen König hätten, dessen Namen er aber nicht angebe.« »Collecto ergo exercitu, transgressus Rhenum, Bricteros ripae proximos, pagum etiam quem Chamavi incolunt, depopulatus est, nullo unquam occursante, nisi quod pauci ex Ampsuariis et Chattis Marcomere duce in ulterioribus collium jugis apparuere. Iterum hic, relictis jam ducibus quam regalibus, aperte Francos regem habere designat, hujusque nomen praetermittens, ait: Dehinc Eugenius etc. etc.
Ist nun diese Darstellung richtig, was zu bezweifeln kein uns bekannter Grund vorliegt, so ergibt sich daraus, daß die Gebiete der Brukterer und Chamaven, wenn auch als Gaubezirke dem Namen nach fortbestehend, doch damals zu »Francia«, d. i. dem Frankenlande gehörten und dessen König unterworfen gewesen seien.
Hiernach muß im Verhältnisse dieser Völker während der vergangenen zweiundachtzig bis fünfundachtzig Jahre eine Veränderung eingetreten sein, indem die Franken entweder jene Nachbarvölker sich unterworfen oder dieselben freiwillig, unter Vorbehalt sonstiger Selbständigkeit, deren wenigstens militärische Oberhoheit anerkannt hatten. (Einen König aller Franken gab es aber damals schwerlich schon. Man müßte sonst annehmen, das bereits hergestellte Volkskönigtum sei später wieder zerbröckelt: denn hundert Jahre später hat Chlodovech schwere Blutarbeit, es herzustellen. D.)
Über den Sitz der Amsivarier wissen wir seit des Tacitus Nachricht vom Jahre 59 n. Chr. überhaupt nichts. Wir müssen jedoch vermuten, daß jene Angabe (ihrer völligen Vernichtung) übertrieben und ein Teil derselben in den alten Sitzen um die Mittelems verblieben war. Hier waren sie aber von den Chatten, selbst nachdem diese durch Verdrängung der Cherusker (Tacit. Germ. c. 36 und Ledebur, Land und Volk der Brukterer, S. 129–131) ihnen näher gerückt waren, immer noch weit entfernt: und dies macht es unwahrscheinlich, daß jene ohnehin schwachen Scharen dem zur angeblichen Bundeshilfe aufgebotenen Nationalheere beider Völker angehört haben sollten.
Andererseits können wir freilich nicht wissen, wie weit sich die militärisch-politische Hegemonie der Franken in den verschiedenen Zeiten erstreckt habe, finden deren Ausdehnung über das kleine Volk der Amsivarier sogar wahrscheinlich, nicht aber um diese Zeit schon eine gleichmäßige und dauernde über den gesamten mächtigen Stamm der Chatten: (vielleicht begann damals die Heranziehung der Chatten an die Frankengruppe, zunächst noch in Form einer vorübergehenden Allianz. D.).
Auch nach diesem Verwüstungszug aber wurden, als der Usurpator Eugenius persönlich an den Rhein zog, die alten Bundesverträge der Römer mit den Königen der Alemannen und Franken erneuert.
Für die Fortdauer dieses friedlichen Verhältnisses sind nun mehrere Stellen in Claudians Gedichten von großer Wichtigkeit, in denen er die von Stilicho bald nach des Theodosius Tode, bevor er gegen Alarich zog, zur Erneuerung und Befestigung der Bündnisse, mit nur wenig Begleitern unternommene und (nach v. 219 und 220 de laud. Stil. I.) in nur vierzehn Tagen vollbrachte Bereisung der Grenze besingt.
Dabei hat man freilich sowohl die Übertreibung dieses Panegyrikers abzuziehen als von dessen geographischen und etnographischen Bezeichnungen fast völlig abzusehen. Bei seinen Namen leitet ihn (den letzten, mit hohem Formtalent ausgerüsteten Dichter Roms D.) vor allem die poetische Rücksicht, der klassisch-gelehrte Klang und das Versmaß, weshalb er z. B. die Geloni, die zum Schlusse des Hexameters trefflich taugten, auf das Häufigste anführt, obgleich dies skythische Volk damals sicherlich kein lebendes mehr war. Ebenso braucht er die Massageten und versetzt z. B. die Bastarnen zwischen Alemannen und Brukterer an den Rhein (de IV. Cons. Hon. v. 449). Eine Hauptrolle spielt bei ihm die Elbe, die er nebst dem Rheine (Rhenus et Albis: wiederum ein Hexameter-Schluß) fortwährend als unter römischer Herrschaft stehend darstellt, was selbst in der Blüte römischer Macht nie der Fall war, weshalb der Gedanke naheliegt, daß er dabei vielleicht an die nirgends erwähnte Visurgis, Weser, gedacht habe. Dergleichen scheint damals überhaupt zu den selbstverständlichen Privilegien der Dichter gehört zu haben, wie dies Zeuß von dem etwas spätem Sidonius Apollinaris, der ebenfalls Gelonen und Neuren anführt, bemerkt.
Hiernach können wir aus dem ganzen Claudian nur so viel – dies aber auch mit Sicherheit – entnehmen, daß die Erscheinung Stilichos, dessen Person und Ruf imponierten, die Germanen am Rhein sogleich zu Erneuerung, auch, wie eine längere Folgezeit bewies, zu treuer Festhaltung der alten Bundesverträge bewog.
Es ist auffallend, daß sich in den freilich dürftigen Schriftstellern jener Zeit keine Nachricht über die Sachsen und die ihnen angehörigen Völker findet, die doch unstreitig damals noch bis zum Niederrheine saßen. Indes erwähnt Claudian die Chauken (v. 116 d. L. Stil.) als Anwohner des Rheins, und da in der angegebenen Örtlichkeit weder eine tendenziöse noch poetische Nebenabsicht liegen kann, so sind wir sie für begründet zu halten wohlberechtigt, so daß hiernach die Sachsen, welchen die Chauken angehörten, noch den alten Sitz inne hatten.
Von großer Wichtigkeit für die damaligen Völkersitze am Oberrhein sind noch einige Stellen aus Ambrosius (de obitu Valent. 4 u. 22), die, nicht leicht verständlich, nach Huschbergs Annahme (S. 379 a. Schl. und 380), der wir vollständig beistimmen, folgendes sagen:
»Während dieses (als Valentinian kurz vor seinem Tod Ambrosius zu seiner Unterstützung nach Vienne berief) geschah, hatten die Alemannen zu den Waffen gegriffen. Ihres Zuges Ziel war diesmal nicht Gallien, sondern das als Provinz zu diesem gehörige Helvetien. Nach mehreren glücklichen Gefechten, in welchen die Römer viele Gefangene verloren, drang das Alemannenheer in die Hochgebirge und erschien zum größten Schrecken Italiens an den südlichen Abhängen der Alpenkette in der Nähe von Mailand. In der ersten Furcht verfielen die Bewohner der Stadt und des Landes auf den unsinnigen Gedanken, durch Errichtung einer Mauer am Fuße der Alpen sich zu schützen: aber das Wohlwollen, welches Valentinian sich bei den Alemannen erworben hatte, wurde die Schutzmauer. Daß sie die Italiener nicht als ihre Feinde betrachteten, bewiesen sie dadurch, daß sie alle Gefangenen, welche aus Italien stammten, in Freiheit setzten und ihre Streifzüge auf die Gebirge beschränkten. Gleichwie einerseits Ambrosius, von den öffentlichen Behörden und dem Volke aufgefordert, anfänglich sich nach Vienne verfügen wollte, um die drohende Gefahr abzuwenden, so war nun umgekehrt Valentinian entschlossen, nach Italien aufzubrechen, um dem Lande zu Hilfe zu kommen.«
Was bewog nun die Alemannen, die nach Obigem das Bündnis mit den Römern erneuert hatten, und noch unter Valentinian I. bis nach Mainz hinab am Oberrhein saßen (s. Bd. I), zu diesem plötzlichen Vorrücken, nicht bloßen Raubeinfall, in die Schweiz? Unsrer, zwar nicht in den Quellen, worin sich gar nichts darüber findet, wohl aber dringend in der Natur der Sache begründeten Vermutung nach, wurden sie von den ihnen schon damals feindlichen Burgundern den Rhein hinaufgedrängt und dadurch sich nach der Schweiz hin auszubreiten genötigt. Allerdings erscheinen Letztere erst später um 413 auf dem linken Rheinufer, wo deren König nach dem Nibelungenliede zu Worms seinen Sitz hielt, dies schließt aber deren vorheriges Vorrücken auf dem rechten Rheinufer ihrem spätem Gebiete gegenüber keineswegs aus, macht dies sogar noch wahrscheinlicher.
(Übrigens saßen Alemannen schon lang am Bodensee, konnten also selbstverständlich leicht den Versuch machen, wie sonst nach Gallien auch nach Helvetien sich überströmend auszubreiten. D.)
Die auffallende Unterscheidung zwischen den römischen Soldaten aus Italien und andern, d. i. denen vom gallischen Heere, ließe sich etwa so erklären, daß die von den Verhältnissen am Hof unterrichteten Alemannen nicht gegen die Person Valentinians II., wohl aber gegen dessen gallischen Feldherrn feindlich gesinnt waren, weil sie das Vorrücken der Burgunder gegen sie mit dessen Vorwissen und Begünstigung erfolgt glaubten. (Aber es ist richtiger, bei den in Italien Gefangenen gar nicht an Soldaten zu denken, und noch richtiger, der ganzen deklamatorischen und tendenziösen Angabe wenig Wert beizulegen. D.)
Von den den Alemannen zunächst sitzenden Jutungen ersehen wir aus dem oben angeführten Berichte des Ambrosius, daß sie immer noch in ihrer alten Stätte (s. Bd. I) jenseits der Donau gesessen haben müssen, über welche sie damals, von Maximus aufgewiegelt, in Rätien einfielen.
Huschberg (S. 394 bis 397) glaubt aus der notitia dignitatum des Westreichs über die damaligen Sitze der Germanen am Rhein, namentlich der Franken, Folgerungen ziehen zu können und nimmt hiernach (S. 396) an, daß alle Grenzplätze am Niederrhein unterhalb Andernachs, namentlich also auch Bonn, Köln und Neuss, zur Zeit der Abfassung dieses Staatshandbuchs bereits aufgegeben gewesen sein müssen, weil sich dieselben darin nicht bemerkt finden.
Derselbe hat aber dabei nur die ältere Ausgabe von Pancirolus vor sich gehabt, welche den Ursprung der Notitia D. erst der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts zuschreibt, was durch Böckings gründliche Forschung längst widerlegt ist.
Obiger Mangel hat vielmehr seinen ganz einfachen Grund darin, daß in den auf uns gelangten Handschriften die Provinz Germaniae secundae, zu welcher der Niederrhein gehörte, gar nicht mit aufgeführt ist.
Die Reihe der Grenzbefehlshaber, Duces, schließt mit dem dux Moguntiacensis, dessen Bezirk sich allerdings nur bis Andernach erstreckte. Daß aber die Germaniae secundae noch römisch waren, ergibt sich aus dem Verzeichnisse der Zivilgouverneure, in welchem p. 6 des Index unter den zweiundzwanzig Konsularen auch der dieser Provinz mit aufgeführt wird. Nun ist zwar dieser Grenzstrich gewiß nicht ohne Militärbefehlshaber gewesen: doch kann derselbe unmittelbar unter dem Magister militum gestanden haben, der sich darin durch einen von ihm ernannten Untergeneral vertreten ließ, wie denn auch in Kap. XL bei den dem Magister militum direkt untergebenen Präposituren (s. Bd. I) ein bei Tongern, prope Tungros Germaniae secundae (zwischen Löwen und Maastricht), stationierter Präfekt von Läten angeführt wird. Die Läten aber wurden, wie sich aus dem ganzen Kap. XL ergibt, aus einleuchtendem Grund überhaupt nicht zu Besetzung der Grenzfestungen verwendet, so daß auch hieraus zu folgern ist, wie die Rheinlinie damals wenigstens teilweise noch in römischem Besitze war. In jedem Fall erscheint es völlig unzulässig, aus der bloßen Nichterwähnung in einem in mehrfach verstümmeltem Zustand auf uns gelangten Dokumente Schlüsse ableiten zu wollen, welche in der Geschichte nicht nur kein Anhalten, geschweige denn Befestigung, sondern sogar ausdrückliche Widerlegung finden. (S. oben)
Am schlagendsten wird die fortdauernde Römerherrschaft am Niederrheine durch Arbogasts Rheinübergang bei Köln und Stilichos Zug den ganzen Rhein hinab im Frühjahre 395 bestätigt.
Wenn nun Böcking gründlich nachgewiesen hat, daß die notitia dignitatum zu Ende des vierten oder Anfang des fünften Jahrhunderts verfaßt worden ist, so würde die Vertreibung der Römer vom Niederrhein, wäre sie um gedachte Zeit eine vollendete Tatsache gewesen, in den nächsten fünf bis sechs Jahren nach des Theodosius Tode erfolgt sein müssen.
Auch dafür findet sich aber, wie sich im Verlaufe dieser Arbeit ergeben wird, in der Geschichte nicht das geringste Anhalten.
Zu den Ostvölkern übergehend haben wir von den Hunnen beinah nur unser Nichtwissen zu bekennen.
Nach des Jordanis Nachricht von den Siegen der ihrer Hoheit unterworfenen ostgotischen Könige Hunimund und Thorismund über Sueben (Wohl Markomannen und Quaden. D.) und Gepiden haben wir anzunehmen, daß die Hunnen ihre Herrschaft zunächst noch weiter nach Westen ausbreiteten und dafür die Goten gewissermaßen als Avantgarde benutzten. Auch die besiegten Nachbarvölker aber behielten eine gewisse Selbständigkeit und hatten, gleich den Ostgoten, nur der Oberherrlichkeit der Hunnen sich zu unterwerfen. Der Bereich letzterer wird sich aber damals nach Westen hin in keinem Fall über die Theiß ausgedehnt haben, welche ja die alte Grenze der den Goten und ihren Nebenvölkern von Aurelian abgetretenen Provinz Dakien bildete, in welcher südwestlich dem römischen Gebiete zunächst die Taifalen saßen.
A. Thierry sagt zu Anfang des 2. Kapitels: in diesem weiten Gebiete seien die von den Goten (vielmehr von den Römern) herrührenden Spuren der Kultur aufgegeben worden, das seßhafte Leben verschwunden, dagegen das Nomadenleben in seiner ganzen Rauheit zurückgekehrt. Daher hätten die Hunnen gar nicht leben können, ohne von den Römern Geld und Getreide zu erhalten oder deren Felder zu plündern.
Das Hunnenreich habe damals bestanden in zerstreuten Horden, an deren Spitze der königliche Tribus gestanden, abgeschlossenen Königreichen, unabhängigen oder fast unabhängigen Häuptlingen, die kaum ein Föderativband untereinander verknüpft habe. Habe der Eine irgendeine römische Provinz mit einem Einfalle bedroht, so habe der andere dem Kaiser Hilfstruppen zur Verteidigung angeboten.
Die Ohnmacht des Föderativbandes sei besonders zwischen den zwei Hauptgruppen der Hunnen hervorgetreten. Die weißen Hunnen und sämtliche zu den schwarzen gehörige kaspische Horden, welche Balamber nicht nachgefolgt wären, hätten sich selbst zu regieren beansprucht, was hinsichtlich der weißen Hunnen jedoch auf einem starken Irrtume beruht.
Diese Spaltungen habe sich die römische Politik, weder Geld noch Versprechungen sparend, zu Nutze gemacht, und namentlich die orientalischen Hunnen zu einem Bündnisse zu bewegen gesucht, um die an der Donau dadurch im Zaume zu halten.
Der königliche Tribus selbst sei unter sich uneinig gewesen, und von den einzelnen Häuptlingen habe jeder auf seine Faust gehandelt.
Theodosius habe die Hunnen benutzt, um den Goten die Waage zu halten.
In dieser Darstellung ist einiges Wahre, aber weit mehr Falsches.
Allerdings zerfiel unstreitig, wie bei allen Nomaden, was namentlich auch die chinesischen Quellen bezeugen, das Volk der Hunnen in verschiedene Horden, deren Verbindung unter sich sowie deren Abhängigkeit von dem vorherrschenden königlichen Tribus und dessen Haupte wechselnder Natur, häufig gewiß aber nur eine sehr lose gewesen sein mag.
Erst Attila gelang es, eine einheitliche und feste Herrschaft zu begründen.
Bei Schilderung der Verhältnisse zu den Römern hat Thierry im Allgemeinen wohl nur die Zeit nach des Theodosius Tode vor Augen gehabt, ohne dies genau zu unterscheiden.
Während des Letztern und des Valens Regierung werden die Hunnen von Ammian sowie von Zosimus (c. 35 zu Anfang), endlich von Claudian (in Rufin. I, v. 322 und de laud. Stil. v. 110) nur als Bundesgenossen der Goten und anderer ihnen zugehörender Völker wider die Römer erwähnt. Von deren Benutzung wider die Goten hingegen, die Thierry behauptet, findet sich in den Quellen (für damals: anders später D.) nicht die geringste Spur, obwohl es allerdings möglich ist, daß Theodosius, während er sich in den ersten vier Jahren die Goten im Einzelnen und allmählich befreundete, dann aber gewiß sogleich auch in Sold nahm und vielleicht selbst gegen ihre eigenen Landesgenossen verwendete, hierbei zugleich Hunnenscharen, die sich jenen angeschlossen hatten, mit an sich gezogen habe.
Die einzige Nachricht über hunnische Söldner bei den Römern findet sich bei Ambrosius in der oben angeführten Stelle, nach welcher Valentinians Feldherr Bauto Hunnen wider Maximus angeworben hatte.
Wir sind aber überzeugt, daß diese Söldner keineswegs aus den Aufgeboten ganzer Horden, sondern nur aus einzelnen Scharen Freiwilliger bestanden, indem die Hunnen sicherlich, gleich den Germanen, das Recht hatten und übten, in fremdem Kriegsdienst Erwerb zu suchen.
Für durchaus irrig halten wir die angebliche Verwandlung des alten Gotenlandes (Dakien) in eine nur von Nomaden durchzogene Wüste. Die asiatischen Nomaden wußten, wie wir aus den chinesischen Quellen ersehen, obwohl mit äußerster Zähigkeit an ihrer eigenen Lebensweise festhaltend, dennoch Ackerbau und städtische Kultur bei ihren Untertanen recht wohl zu schätzen. Schon die nur politisch unterworfene, gewissermaßen süzeraine, keineswegs aber geknechtete Stellung der Goten und anderer Völker zu den Hunnen, wie wir sie aus Jordanis (c. 48) und weit sicherer noch aus der Geschichte der Folgezeit kennen lernen, macht es undenkbar, daß deren schon merklich vorgeschrittene Kultur wiederum gänzlich unterdrückt worden sein könne, ja selbst die römischen Elemente der dakischen Bevölkerung (s. Bd. I) müssen sich, wie die Fortdauer der Sprache beweist, auch unter den Hunnen erhalten haben.
Daß die Verheerung bei dem ersten Einbrüche der Hunnen eine furchtbare gewesen, ist zweifellos, diese verbreitete sich aber nie über ein ganzes Land und verschonte, teilweise wenigstens auch in Dakien, wohl die festen Städte.
Vor allem aber lag es in der Kultur, Sitte und Bauart jener Zeit, daß die Wirkung der Verwüstung leichter wieder zu beseitigen war. Was hätte aus den gallisch-germanischen Grenzstrichen werden sollen, wenn nicht wenige Jahre der Ruhe und Ordnung zu tätigem Wiederauf- und An-Bau derselben ausgereicht hätten.
So haben wir uns die Verhältnisse der Hunnen während der ersten zwanzig Jahre ihres Aufenthalts in Europa im Innern noch wenig geordnet, namentlich mit schwacher Herrschergewalt, nach außen aber letztere hauptsächlich auf ihre Befestigung und weitere Ausdehnung über die alten germanischen, zum Teil auch skythischen Bewohner Dakiens und der Steppe zwischen Don und Dnjestr gerichtet zu denken. Dabei fortwährender Hin- und Herzug zwischen Asien und Europa und eine zugleich die asiatischen Horden und die jenseitigen Verhältnisse umfassende Politik Balambers oder des etwa auf ihn gefolgten Herrschers.
Von den westlich der Hunnen und deren Untergebenen sitzenden Völkern, also Jazygen, Vandalen, Quaden und Markomannen, erfahren wir aus dieser Zeit nichts. Allerdings sagt Ammian (XXXI, 4) vom Jahre 376: In den Orient sei das Gerücht (rumores) gedrungen, wie eine Klasse barbarischer aus ihren Sitzen vertriebener Völker durch das ganze Land vom Pontus bis zu den Markomannen und Quaden an der Donau umherschweife.
Da er hier aber nur von einem Gerüchte spricht, das stets vergrößert, von einem schon damaligen so weiten Vordringen der Hunnen aber in den Quellen sonst keinerlei Spur sich findet, halten wir Obiges für eine Phrase und nehmen an, daß jene Völker, namentlich die so bedeutenden Vandalen, vom Hunnensturme während des Theodosius' Zeit noch nicht betroffen worden sind, was auch durch folgendes einigermaßen bestätigt wird.
Aus dem Leben des Ambrosius von Paulinus (c. 36) ersehen wir nämlich, daß kurz vor des Ersteren Tod (398) eine Markomannenkönigin Fritigil, die durch einen Römer zum Christentume (dem katholischen?) bekehrt worden war, den Bischof durch eine Gesandtschaft beschickte. Als dieser sie aufgefordert, ihren Gemahl zu Erhaltung des Friedens mit Rom zu bewegen, habe Fritigil dies auch bewirkt, leider aber den würdigen Ambrosius, als sie in dessen Folge zu ihm geeilt sei, nicht mehr am Leben getroffen.