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Um das Jahr 331 war Geberich, der Sohn des Hilderich, Enkel des Ovida und Urenkel des Knivida, vielleicht jenes Kniva, der im Jahre 250 den Kaiser Decius vernichtete (Jord. c. 22), König des gesamten Gotenvolkes. Er war es, der die Vandalen schlug, selbst aber von Constantin dem Großen, der letztern zu Hilfe zog, im Jahre 332 besiegt ward (s. Bd. I, S. 386).
Dessen Vorgänger waren Ariarich und Aorich, die anscheinend gemeinschaftlich regierten. (Jord. c. 21.)
Im 23. Kapitel, der Hauptquelle für das Folgende, berichtet nun Jordanis Nachstehendes:
»Einige Zeit nach Geberichs Tod (post temporis aliquod) folgte Ermanarich, der edelste der Amaler, in der Regierung, welcher viele überaus kriegerische nördliche Völker bezwang und seiner Herrschaft unterwarf. Nicht unpassend haben ihn deshalb ältere Schriftsteller mit Alexander dem Großen verglichen. Diese Völker waren folgende (wir geben die greulich verderbten, fast in allen Handschriften verschiedenen Namen in der Urschrift nach der neuesten Ausgabe von E. A. Kloss, Stuttgart 1859): Gothos Scythas, Thuidos in Aunxis, Vasibroncas, Merens, Mordensimnis, Caris, Rocas, Jadzans, Athual, Navego, Bubegentas, Coldas.
Nicht zufrieden aber mit dem durch deren Unterwerfung erlangten Ruhme, ruhte er nicht, bis er auch das Volk der Heruler Die Heruler wurden Bd. I, S. 208, 220, 225 behandelt. Deren Ursitz war an der Ostsee (wohl auch gegen die Nordsee hin und auf den Inseln. Dahn, Könige I, S. 1 f., Urgeschichte I, S. 561 D.). Bei der großen Gotenwanderung hatte sich ein Teil derselben den Goten angeschlossen, wie dies auch von Burgundern und Vandalen geschehen war. (Sie wie die ebenfalls mitgezogenen Gepiden, Viktofalen und Taifalen gehörten dem großen Gotenstamme selbst an. D.)
Letztere saßen in der neuen Heimat westlicher und nördlicher, die Heruler, wie wir aus dieser Stelle sehen, im äußersten Osten, an der Mäotis.
Die mit den Goten gezogenen Nebenvölker waren unabhängig: doch mag der Gotenkönig über die an der äußersten Grenze seines Reichs sitzenden, nur an fremde asiatische Völker grenzenden Heruler eine gewisse Oberhoheit beansprucht haben und wegen deren Nichtanerkennung, vielleicht durch Verweigerung des geforderten Zuzugs, der Krieg ausgebrochen sein. (? D.)
, denen Alarich vorstand, nachdem er einen großen Teil derselben niedergehauen, seiner Herrschaft unterworfen hatte. Nach der Niederlage der Heruler wandte er die Waffen gegen die Wenden (Venetos), die, obwohl als Krieger gering geachtet, doch im Vertrauen auf ihre große Zahl zuerst Widerstand wagten. Nichts aber vermag eine unkriegerische Menge, wo ihr eine kriegerische entgegentritt, zumal wenn Gott mit letzterer ist.Dies, wie wir (d. i. Jord. c. 5) früher sagten, aus einem Stamme entsprossene Volk zeigt jetzt drei Namen auf: Veneter, Anten und Sklavenen, welche, obwohl sie in Folge unsrer Sünden jetzt überall gegen uns wüten, doch damals alle Ermanarichs Reich unterworfen waren. Auch die Ästen, welche an der überaus langen Küste des germanischen Ozeans sitzen, unterwarf er sich durch Klugheit und Tapferkeit, so daß er über alle Völker Skythiens und Germaniens wie über eigne Untertanen herrschte. Köpke folgt (S. 107) hinsichtlich der Reihenfolge von Ermanarichs Eroberungen im Wesentlichen unserer Ansicht. Nur ist es ein kleiner Irrtum, wenn er denselben, nach Besiegung der Heruler, die benachbarten Alanen und Roxalanen angreifen läßt. Davon steht in der betreffenden Stelle, Kap. 23, nicht ein Wort. Zwar erwähnt Jordanis gegen Schluß von Kap. 24 die: Rosomonorum gens infida, wofür einige Herausgeber die, weil durch keine Handschrift unterstützte, willkürliche Lesart: Roxalanorum angenommen haben. Sollte aber auch diese, was wohl möglich ist, richtig sein (s. aber die neueste [freilich ganz ungenügende] Ausgabe, von Closs, liest: Rosomonorum; siehe dessen Noten p. 98. D.), so sind doch immer die Alanen ein durch die Quelle um so weniger gerechtfertigter Zusatz, weil beide Völker, wenn auch gewiß Zweige desselben Hauptstammes, doch stets als besondere erscheinen.
Welchen Glauben verdient nun diese verworrene, durch die Übersetzung hie und da noch im Ausdruck verbesserte Erzählung? Läßt es sich rechtfertigen, wenn Schaffarik (in seinen slavischen Altertümern I, S. 428) darüber sagt: »Nicht grundlos vermutet man, daß Jordanis die Taten der Goten, namentlich Ermanarichs, unverschämt übertreibe, ja daß seine ganze Geschichte von dem unermeßlichen Reiche Ermanarichs auf Irrtum oder Lüge beruhe.«
In der Tat mußte es Cassiodors bekannter Tendenz sehr entsprechen, den Römern in Ermanarich einen gotischen Welteroberer, einen zweiten Alexander den Großen vorzuführen.
Gleichwohl ist an der Wahrheit dieses Berichts im Wesentlichen gar nicht zu zweifeln, weil er durch einige Zeilen des so zuverlässigen Zeitgenossen Ammian bestätigt wird, der XXXI, 3 zu Anfang sagt: »Darauf brachen sie (d. i. die Hunnen) plötzlich in die weitausgedehnten und reichen Gaue des Ermanarich ein, dieses überaus kriegerischen Königs, der sich durch viele und verschiedene tapfere Taten den benachbarten Völkern furchtbar gemacht hatte.« Ermanrichi late patentes et uberes pagos repentino impetu perruperunt bellicosissimi regis etc., per multa variaque fortiter facta vicinis nationibus formidati.
Zur kritischen Beleuchtung dieser Ereignisse übergehend haben wir eines trefflichen Hilfsmittels dankbar zu erwähnen: die Anfänge des Königtums bei den Goten von Rudolph Köpke, Berlin 1859.
Wir haben daher die Tatsachen, namentlich die weite Ausdehnung von Ermanarichs Herrschaft im Wesentlichen festzuhalten, die Übertreibung aber in den Urteilen und Nebensachen, besonders aber in dem Maße der Unterwerfung jener Völker zu suchen, die oft wohl mehr Schein als Wesen war.
Dem Gotenheere zu widerstehen unvermögend suchten sie unstreitig nur, Gefahr und Vernichtung durch Anerkennung einer wenig drückenden Obergewalt abzulenken, von der sie sich nach dessen Abzuge leicht wieder losmachen zu können hofften.
Geberich schlug nach Jordanis c. 22 die Vandalen und ward im Jahre darauf (was dieser jedoch verschweigt) von Constantin besiegt, lebte also, da die Zeit dieser Kriege feststeht, noch im Jahre 332. Wann derselbe starb und wann Ermanarich, der nach c. 23 jedenfalls nicht dessen unmittelbarer Nachfolger gewesen sein kann, zur Regierung gelangte, wissen wir nicht.
Wäre dies aber auch schon um 340 geschehen, so müßte er, weil er nach Jord. c. 24 um das Jahr 375 hundertundzehn Jahre alt starb, doch damals bereits fünfundsiebzig Jahre alt gewesen sein. Dies ist jedoch so unwahrscheinlich, daß wir die Richtigkeit letzterer Angabe entschieden bezweifeln, was, nächst der Unzuverlässigkeit des Autors an sich, durch die Leichtigkeit eines Irrtums in allen Zahlenangaben der Handschriften unterstützt wird.
Eben so unrichtig und verworren scheint auch bei Jordanis die Reihenfolge der Eroberungen Ermanarichs zu sein. Derselbe läßt ihn zuerst die vorstehend namentlich aufgeführten Völker unterwerfen, in denen Zeuß (S. 677 und 680–690) und Schaffarik (S. 304 und 305) die aus spätem, zum Teil slavischen Chronisten bekannten Tschuden oder Finnen und die demselben Stamme angehörenden Wes, Merza, Mordwa, Beormas, Tschermissa und die Lettischen Jazwingen (Inaunxis) wiedererkennen. Dies waren unzweifelhaft nordische, bis in die Nähe der Ostsee reichende Völker.
Hierauf erst soll er die hundertundfünfzig Meilen südlicheren Heruler, endlich die mittleren, wenn auch etwas westlicheren Slaven bezwungen haben, nach welchen Jordanis erst der Besiegung der Aisten an der Ostsee gedenkt.
In Wirklichkeit aber dürfte Ermanarich wohl mit den (vielleicht schon vorher unter gotischer Klientel stehenden?) Herulern begonnen haben, wenn nicht, wie uns am wahrscheinlichsten dünkt, die Unterdrückung eines Aufstandes derselben ein bloßer Nebenakt außerhalb des Hauptkrieges gewesen ist. Letzterer aber hat vermutlich in der Richtung von Süd nach Nord zuerst die slavischen, dann die finnischen und lettischen Völker und zuletzt die Aisten getroffen.
Merkwürdig, ja auffällig erscheint uns hierbei die nach Nord und Ost gegen arme und rohe Völker gerichtete Eroberung, während Tradition und Nationalinstinkt auch die Goten, wie alle übrigen Germanen, gegen das reiche Rom, also nach Süd und West locken, ja drängen mußten.
Das mit Constantin dem Großen abgeschlossene Foedus (Jord. c. 21, s. Bd. I, S. 386), Furcht vor den römischen Waffen, aber auch wohl Rücksichten innerer, in einer gewissen Eifersucht zwischen Ost- und Westgoten wurzelnden Politik, deren wir unten gedenken werden, mögen dem Eroberungsgelüst jene ablenkende Richtung gegeben haben.
Gewiß aber nur vertagt, nicht aufgegeben, war das lockendere Endziel, dessen spätere Erreichung durch Siege und Machtzuwachs nach anderer Richtung hin überdies wesentlich gefördert werden mußte.
Nur als ein vorübergehendes, verschwimmendes Nebelbild erscheint hiernach Ermanarich, dessen leider nur Jordanis näher gedenkt, in der Geschichte; wichtig ist die schon vor ihm vollzogene Trennung der Ost- und Westgoten.
Auch dafür, wie für das gesamte innere Volks- und Staatsleben der Goten, besitzen wir nur diese einzige Quelle, dürfen aber an der Wahrheit wichtiger und dabei nicht tendenziöser Tatsachen, welche Jordanis aus Cassiodor schöpfte, auf keine Weise zweifeln.
Derselbe berichtet nun Kap. 17, daß dem Könige Ostrogotha sowohl die Ost- als Westgoten noch unterworfen gewesen seien. Cujus imperio tam Ostrogothae quam Vesegothae, i. e. utrique ejusdem populi gentes tum subjaciebant. Dieser aber kann, da nach c. 16 Decius noch als Feldherr von Philippus gegen ihn gesandt ward, nicht vor dem Jahre 248 gestorben sein. Dasselbe Gesamtkönigtum muß auch unter Geberich im Jahre 332 noch bestanden haben Anders über all dieses Dahn, Könige V, S. 1 f., da dieser, wenn er nicht zugleich über die Westgoten herrschte, mit den westlichen Nachbarn letzterer, den Vandalen, nicht hätte zusammentreffen können. Eben so hat das Foedus zwischen Constantin dem Großen und den Goten, das wir nach Bd. I, S. 386, wiewohl im Widerspruch mit Jordanis, nach welchem es schon vorher unter Ariarich und Aorich erfolgte, in Geberichs Zeit setzen, wohl beide Stämme der Goten umfaßt.
Ferner sagt Jordanis im 24. Kap.: »Balamber, der Hunnenkönig, sei gegen die Ostgoten gezogen, von deren Genossenschaft sich die Westgoten, in Folge eines Zerwürfnisses zwischen ihnen, schon getrennt hielten.« A quorum societate jam Vesegothae quondam inter se contentione sejuncti habebantur.
Endlich im 48. Kap. von den Ostgoten redend: »Von welchen feststeht, daß sie bei dem Tod ihres Königs Ermanarich, durch Abzug von den Westgoten getrennt, als Untertanen der Hunnen in ihrem Vaterlande zurückblieben.« Wir haben hier eines für diesen Band benutzten Hilfsmittels zu gedenken: Histoire d' Attila et de ses Successeurs par Amédée Thierry, Paris 1856, in zwei Bänden. Der Verfasser hat darin mit bekannter Darstellungsgabe ein sehr anziehendes (und höchst unkritisches D.) Lesebuch geliefert (Übersetzung durch D. Ed. Burkhardt, zweite Auflage, Leipzig 1859).
Was der Historiker davon zu halten hat, dafür nur einen Beleg: Seite 16 läßt Thierry alle Mitglieder des königlichen Stammes eines unterworfenen Volks durch Ermanarich an das Kreuz schlagen und beruft sich dafür auf Jordanis, Kap. 16, das gar nicht von dieser Zeit, sondern von einer mehr als hundert Jahre frühern handelt. Dies kann auch kein Druckfehler sein, da sich die Stelle, die Thierry offenbar im Sinne hatte, nicht in Kap. 46, sondern erst in Kap. 48 findet, aber gar nicht Ermanarich, sondern Vinithar jener grausamen Tat beschuldigt.
Gleichwohl kann dies Werk, besonders wegen seiner Zitate, hier und da mit verglichen werden, was von der Übersetzung, in welcher letztere fehlen, nicht zu sagen ist. Ein merkwürdiges Beispiel fabrikmäßigen Verfahrens findet sich in letzterer S. 61 am Schlusse. Priscus erwähnt p. 149 des Magister officiorum des Theodosius II. in einer für die hohe Wichtigkeit dieses Amts sehr bezeichnenden Stelle. Thierry, das Weitere weglassend, spricht S. 72 einfach vom Maître des offices: der Übersetzer denkt dabei an (oder fällt durch Nachschlagen auf) den maître d'office und macht aus dem obersten Reichsbeamten, der zu einem Geheimbeschlusse von unermeßlicher Wichtigkeit berufen wird, den – Küchenmeister.
, Quos constat morte Hermanarici regis sui, decessione a Vesegothis divisos, Hunnorum subditos ditoni in eadem patria remorasse.Wir bemerken zuvörderst, daß zwischen der zweiten und dritten Stelle keinerlei Widerspruch stattfindet. Erstere handelt von der Zeit, da zwischen Ost- und Westgoten bei Ermanarichs Leben zwar schon Trennung eingetreten war, beide Stämme aber doch noch räumlich nebeneinander saßen, letztere von derjenigen, da dieselben nach Ermanarichs Tod, in Folge des Einbruchs der Hunnen, auch räumlich auseinander gesprengt waren.
Aus solchen und den übrigen Quellen ergibt sich nun nach unserer Ansicht Folgendes: Ost- und Westgoten waren ursprünglich schon verschiedene Zweige des Hauptstammes der Goten.
Der verschiedene Sitz derselben, von dem deren spätere (zuerst von Trebellius Pollio Claudius c. 6 erwähnte) Bezeichnung, als Greuthungen und Therwingen oder Ost- und Westgoten, entlehnt wurde, ist nicht die Ursache, sondern umgekehrt vielmehr nur eine Wirkung ihres uranfänglichen Sondertums gewesen. Dies bestätigt auch die Stelle des Jordanis c. 5, wo er alle Goten, nach deren Niederlassung an der Nordküste des Pontus, bezeichnet als
»geteilt nach Familien des Volkes, indem die Westgoten dem Geschlecht der Balten, die Ostgoten den erlauchten Amalern dienten.« Divisi per familias populi, Vesegothae familiae Balthorum, Ostrogothae praeclaris Amalis serviebant.
Dieser Sonderung beruhte, wie die germanische Urverfassung überhaupt, auf geschlechterhaftem Grunde.
Sie stand der Verbindung beider Zweige zu einem politischen Gemeinwesen nicht entgegen: das Geschlecht aber, aus welchem die Könige des Gesamtvolkes hervorgingen, war ein ostgotisches.
Mit diesem Königtum war ein gewisses jenem untergeordnetes Stammfürstentum bei den Westgoten keineswegs unvereinbar.
Dasselbe würde sogar durch des Jordanis Stelle c. 5 erwiesen sein, wenn dessen Äußerung, »die Westgoten dienten den Balten«, wirklich schon auf die Zeit der ersten Niederlassung und nicht erst auf eine viel spätere zu beziehen sein sollte, wie bei dem unlogischen Ausdruck dieses Schriftstellers nicht allein möglich, sondern beinahe wahrscheinlich ist.
Der Grund der politischen Trennung des Gesamtvolkes, die unzweifelhaft erst unter Ermanarich erfolgte, ist unerforschlich.
Köpke stellt darüber S. 100–110 folgende Vermutung auf. Schon Ostrogothas Nachfolger Kniva sei kein Amaler gewesen, Ariarich und Aorich eben so wenig. Wiederum einem andern Geschlechte scheine deren Nachfolger Geberich angehört zu haben (S. 101 und 102).
Erst nach Geberichs Tode scheine sich Ermanarich, der wiederum ein Amaler gewesen, bei seinen stammverwandten Ostgoten in einer Weise erhoben zu haben, die bei den Westgoten Widerspruch erregte und mit einer Spaltung endigte (S. 105).
Mit diesem geistreichen Forscher sonst vielfach einverstanden, müssen wir ihm, obwohl derselbe auch die gewichtige Autorität v. Sybels (die Entstehung des deutschen Königtums. Frankfurt a/M, S. 125/6) für sich hat, wobei sich jedoch Letzterer minder bestimmt ausdrückt v. Sybel erkennt in Athanarich keinen König, sondern nur einen Geschlechtsfürsten, neben dem viele andere dergleichen standen (S. 14).
Dies ist richtig (sofern es damals mehrere westgotische Gaukönige gab D.): wie kann er aber daraus folgern, daß hiernach bei den Goten überhaupt ein Königtum bestanden, da sich doch das des Ermanarich, ursprünglich wenigstens, gewiß auch über die Westgoten erstreckte? (s. aber Dahn, Könige V, S. 2.) Sollte selbst unsere Auffassung des ganzen damaligen Verhältnisses irrig sein und das Volk der Westgoten Ermanarich niemals anerkannt haben, so hat doch das Gesamtkönigtum unzweifelhaft unter Ostrogotha, also bis unmittelbar vor Ermanarich, bestanden. Wer dies leugnen will, sollte doch vorher offen erklären, daß er Jordanis in allen seinen Nachrichten von Grund aus verwerfe, selbst in denen, die nicht tendenziöser Natur und offenbar aus Cassiodor entnommen sind: dies aber hat v. Sybel nirgends getan.
Derselbe erkennt auch S. 116 auf Grund von des Tacitus bekannter Stelle vollkommen an, daß ein Königtum bei den Goten ursprünglich bestanden habe, setzt aber gleich hinzu: »Diese Monarchie wird nun, wahrscheinlich durch skandinavische Einwirkung, im Anfange des zweiten Jahrhunderts gebrochen.«
Für diese Behauptung aber, welche allen Quellen widerstreitet (außer Jordanis vgl. den Anonymus Valesii (Ariarici regis filium), und die Staatsschrift des Königs Athalarich, Variar. IX, 25) und noch von keinem Historiker je aufgestellt worden ist, beruft sich derselbe auf gar nichts, da er das darauf Folgende gewiß selbst nicht für den Versuch eines Beweises derselben ausgeben wird.
Wie verhält es sich aber zu dieser Hypothese, daß sogleich, nachdem der Hunnensturm verrauscht ist, das Königtum bei Ost- und Westgoten in völlig historischer Zeit wieder mit größter Entschiedenheit hervortritt? Nicht eine Persönlichkeit, sondern der uralte Geschlechtsadel ist es, worauf es begründet wird. Soll dasselbe bis zum zweiten Jahrhundert bestanden, dann über drei Jahrhunderte geschlafen haben und endlich plötzlich wieder aufgewacht sein?
, hierin doch widersprechen.Köpke kann seine Ansicht, da er einen andern Beweis nicht anführt, nur auf den bekannten Stammbaum des Athalarich, Theoderichs des Großen Tochtersohn, im 14. Kapitel des Jordanis gründen, den er zu Anfang seines 5. Abschnitts S. 95 vollständig abdruckt, in welchem allerdings Kniva, Ariarich, Aorich und Geberich nicht erwähnt werden.
Aber diese Stammtafel soll ja kein Königsverzeichnis sein. Siehe das Verzeichnis der Amaler und das der Gotenkönige vervollständigt und berichtigt bei Dahn, Könige II, S. 116. Wie oft geht die Regierung selbst bei der strenggeregelten Erbfolgeordnung unserer Fürstenhäuser auf Seitenverwandte über. Bei den Germanen überhaupt und bei den Goten insbesondere fand ja aber überdies gar kein festgeordnetes Erbrecht der Personen, sondern nur das eines gewissen Geschlechts im Allgemeinen statt. Das Volk wählte, wie Köpke S. 102 ausdrücklich anerkennt, den König, hielt sich aber dabei, auf Grund eines gewissermaßen religiösen Glaubens, an das herrschende Geschlecht gebunden, aus welchem es sich den Tüchtigsten zum Herrscher kürte.
Geberichs Vorgänger Ariarich hatte einen Sohn hinterlassen der (nach dem Anonymus Valesii) Constantin dem Großen im Jahre 332 als Geisel gegeben ward (s. Bd. I, S. 386): gleichwohl kann dessen Nachfolger Geberich selbst kaum ein andrer Sohn Ariarichs gewesen sein, weil die Geisel sonst wohl als dessen, des regierenden Königs, Bruder bezeichnet worden sein würde.
Daraus folgt aber keineswegs, daß Geberich, von dem Jord. c. 22 die gloria generis ausdrücklich hervorhebt, nicht eben so gut, wie seine letzten und frühern Vorgänger, Amaler gewesen sein könne.
Ist es überhaupt wahrscheinlich, daß der weise Theoderich und Cassiodor so großen Wert darauf gelegt haben würden, den Goten nachzuweisen, wie Athalarich, des erstern Tochtersohn, auch durch seinen an sich höchst unberühmten Vater Eutharich aus echtem Amalerblute stamme, wenn der Vorzug dieses Geschlechts so wenig historisch begründet gewesen wäre, daß unmittelbar vor Ermanarich gegen hundert Jahre lang andere Dynastien geherrscht hätten?
Wir können daher der gedachten Vermutung nicht beipflichten, glauben vielmehr, daß nur Ermanarichs Politik ihm die Gemüter der Westgoten entfremdet habe. Anders Dahn, Könige V, S. 1 f.
Diese waren vielleicht zivilisierter als die Ostgoten, weil sie nun schon fast ein Jahrhundert hindurch in wohl angebautem römischem Lande wohnten, von dem die Ostgoten, deren Hauptsitz jenseits des Dnjestr war, nur einen kleinen Teil, etwa im heutigen Bessarabien, inne gehabt haben können.
Der Grund des Zerwürfnisses zwischen den Brudervölkern ist mit Sicherheit nicht zu ermitteln.
Aus dem durch das große Verdienst von Georg Waitz entdeckten und herausgegebenen Bruchstücke eines Werkes vom Ende des vierten Jahrhunderts (Leben und Lehre des Ulfilas. Hannover, Hahn, 1840) ersehen wir im Berichte des Auxentius, Schülers und Zöglings des Wulfila, über diesen, daß derselbe im Jahre 355 (nämlich 33 Jahre vor seinem im Jahre 388 erfolgten Tode) bei einer Verfolgung der Christen, bei welcher viele Gläubige den Märtyrer-Tod erlitten, von den Goten vertrieben ward, durch Constantius aber im römischen Gebiete mit einer großen Anzahl Bekenner Aufnahme fand und in den Gebirgen des Hämus einen Wohnsitz erhielt. (S. den Text S. 20 u. Erläut. S. 37–40.)
Waitz vermutet hierbei (Mit Recht. D.) S. 38, daß der zu Anfang der Stelle erwähnte inreligiosus et sacrilegus judex Gothorum Athanarich gewesen sei: der von den Griechen und Römern diesem Häuptlinge beigelegte Amtstitel judex (δικαστής) war kein neuer, sondern ein altherkömmlicher. J. Grimm hält ihn, nach Waitz S. 38, für eine ungenaue Übersetzung des gotischen faths, das mehr Herr als Richter bedeute.
Im Winter 361/62 rieten Julians Freunde demselben einen Krieg wider die häufig trügerischen und treulosen Goten an, worauf derselbe erwiderte: »Er suche bessere Feinde: für jene genügten die galatischen Händler, welche deren überall ohne Unterschied des Standes feilböten.« (Ammian XXII, 7, S. 295 und Bd. I, S. 488.) Man kann kaum zweifeln, daß jener Rat nicht bloß auf den Nationalcharakter der Goten, sondern zugleich auf damalige innere Zerwürfnisse derselben begründet war.
Während des persischen Krieges im Jahre 363 hatte Julian (wie Eunapius p. 68, 13 berichtet) die noch im Verborgenen glimmenden Unruhen unter den Goten vorhergesehen und darüber geschrieben: »Jetzt sind sie noch ruhig, werden aber diese Ruhe vielleicht nicht lange bewahren.«
Hierauf folgen die schon Bd. I, S. 545 erwähnten Feldzüge des Valens gegen die Goten in den Jahren 366, 367 und 368. Auf Prokops Begehr, unter Berufung auf seine Verwandtschaft mit Julian, dem letzten Sprossen des großen, mit den Goten föderierten Kaiserhauses, hatte der König dieses Volkes ihm ein Hilfscorps gegen Valens gesandt (S. Eunapius p. 46–48 und Zosimus IV, 7.) Ammian XXVIII, 5 dagegen läßt letztern nach Prokops Tode im Jahre 366 diplomatisch anfragen: was das den Römern befreundete und föderierte Volk zu diesem Schritte bewogen habe? Die Sendung selbst kann erst im Frühjahre 365 erfolgt sein, denn nur auf die Vorbereitung derselben ist die Stelle Ammians XXVI, 6 Consumto hieme docetur relatione ducum gentem Gothorum conspirantem in unum ad pervadenda parari collimitia Thraciarum. zu beziehen, nach welcher sich die Goten die Grenze zu überschreiten anschickten. Da die Verhandlung fruchtlos blieb, ließ Valens die Hilfstruppe durch seine Generale vom Rückzug abschneiden und in sichere Verwahrung bringen. Der König der Goten forderte sie, als in gutem Glauben gesandt, zurück, was der Kaiser verweigerte, worüber es denn zum Kriege kam. Über letztern ersehen wir nun aus Ammian (XXVII, 5) und Zosimus (IV, 10 und 11) nur Folgendes: der Feldzug des Jahres 367 muß vom westlichen Untermösien aus, etwa in der heutigen Wallachei, stattgefunden haben, weil sich die Goten in steile und unbetretene Gebirge zurückzogen. Der zweite Feldzug ist dagegen unzweifelhaft von Kleinskythien (der heutigen Dobrutscha) aus unternommen worden, weil Noviodunum, etwa dreizehn Meilen vom Pontus entfernt, der Übergangspunkt und das dem Meere noch nähere Marcianopel das Hauptquartier war.
Nach Überschreitung der Donau greift Valens mittelst fortgesetzter Märsche das entfernter sitzende kriegerische Volk der Greuthungen an. Nach leichtern Gefechten wagt Athanarich, der damals mächtigste Richter, mit einer für ausreichend erachteten Mannschaft Widerstand zu leisten, wird aber, um einer noch schwereren Niederlage zu entgehen, zur Flucht gezwungen Continuatis itineribus longius agentes Greuthungos bellicosam gentem aggressus est: postque leviora certamina Athanaricum ea tempestate judicem potentissimum, ausum resistere cum manu, quam siti crediderit abundare, extremorum metu coegit in fugam., worauf dann bald der Friede folgt.
Das merkwürdigste in diesem Kriege ist die Schwäche des Widerstandes derselben Westgoten, welche nur elf Jahre später Ostrom beinahe vernichten. Die Berichte sind bei Ammian und Zosimus verschieden (während Eunapius uns nur über das Jahr 366 erhalten ist), lassen sich jedoch vollständig miteinander vereinigen und sind gerade recht geeignet, den Vorzug des nüchternen, Zeit und Ort unterscheidenden Historikers vor dem schwatzhaften, alles durcheinander werfenden Griechen hervorzuheben, der Nebensachen, die dem Bereich der Anekdote angehören, zum Mittelpunkte seiner Erzählung macht, wie hier das Abschneiden der Köpfe von einzelnen, in den Sümpfen versteckten Barbaren (was auf den Feldzug 369 hinweist), durch die für Lohn dazu angetriebenen Troßknechte. Dies Verfahren war ein bei den Römern sehr gewöhnliches, das zuerst Probus in großem Maßstabe, später aber auch Julian in Anwendung brachte, (S. Bd. I, S. 476.)
Wir gehen auf das Jahr 369/70 (das sechste des Valentinian und Valens vom März 369–70) über, von dem Hieronymus in seiner Chronik berichtet: »Athanarich, König der Goten, verfolgt die Christen, tötet deren Viele und vertreibt sie aus ihren Sitzen auf römisches Gebiet.«
Diese Verfolgung, von der Waitz S. 39 und Köpke S. 115 Köpke bezeichnet dieselbe »als einen Rückschlag des Volkslebens gegen die Niederlage, die es soeben erlitten hatte« – eine unerweisliche, aber geistvolle Vermutung. gewiß mit vollem Recht annehmen, daß sie erst auf den Frieden des Jahres 369 gefolgt sei, war es unstreitig, an welche sich die Martyrien des heiligen Saba im Jahre 372 und des Niketas knüpften. (S. Köpke, S. 113.)
Der wichtigste Vorgang ist der uns von Sokrates (IV, 33) im Wesentlichen in Folgendem berichtete:
»die jenseits der Donau wohnenden, Goten genannten, Barbaren eilten sich (ετμήθησιν) in zwei Parteien, von denen Fritigern die eine, Athanarich die andere führte. Da aber Athanarich der stärkere schien, floh Aus dem Ausdruck προσφεὺγει folgt nicht notwendig, daß Fritigern mit seinem ganzen Heere über die Donau in römisches Gebiet geflohen sei. Derselbe kann sich auch nur für seine Person dahin begeben. Fritigern zu den Römern und rief deren Hilfe gegen den Gegner an. Da dies Valens erfuhr, befahl er den in Thrakien (Mösien) garnisonierten Truppen den, gegen andere Barbaren streitenden, Barbaren beizustehen, worauf diese, jenseits der Donau über Athanarich siegend, den Feind in die Flucht schlugen. Auf diese Veranlassung wurden viele der Barbaren Christen, da Fritigern, die empfangene Wohltat zu vergelten, den Glauben des Kaisers (d. i. den arianischen) annahm und die ihm Untergebenen dasselbe zu tun bewog.«
Im Folgenden bemerkt Sokrates, daß aus diesem Grunde die meisten Goten der arianischen Sekte ergeben seien. Weil aber durch Wulfila nicht bloß die Goten Fritigerns, sondern auch die des Athanarich zum Christentum bekehrt worden seien, habe dieser als Verteidiger des väterlichen Glaubens viele derselben mit Strafen belegt, so daß arianische Barbaren Märtyrer geworden seien.
Über die Zeit dieses Ereignisses ersehen wir mit Sicherheit aus dem folgenden Kap. 34, daß es nicht lange (ουκ εις μακράν) vor dem Einbruche der Hunnen, zu dessen Zeit die Parteien, d. i. Athanarich und Fritigern, sich bereits wieder versöhnt hatten, stattfand. Aus dem Schlusse von des Sokrates Erzählung (c. 33) scheint zwar zu folgen, daß der Kampf zwischen Athanarich und Fritigern der Verfolgung des Jahres 369/70 vorausgegangen sei: darauf ist aber nicht mit Verlaß zu schließen, weil jene Verfolgung Athanarichs gewiß eine längere Zeit hindurch fortgesetzte war.
Dasselbe Ereignis erzählt Sozomenos (VI, 37), der Sokrates dabei benutzt zu haben scheint, aber alles dadurch verwirrt, daß er den Kampf zwischen Athanarich und Fritigern erst nach dem Einbruche der Hunnen und der Flucht der Goten über die Donau eintreten läßt. (Vergl. Waitz, S. 42–44, nach welchem schon Baronius dem Sozomenos Unwahrheit vorwirft; Kraft, die Anfänge der christlichen Kirche, Berlin 1854. S. 369 u. 370 und Zeuß, S. 413.)
Den Stellen des Zeitgenossen Epiphanius (Adv. haereses III, I, 14, besonders p. 828) dürfte kein sonderlicher Wert beizulegen sein. Stände mit Sicherheit fest, daß derselbe diese im Jahre 375 geschrieben (was Kraft S. 368 angeführt, aber nicht bewiesen hat), so würde daraus nur folgen, daß eine Vertreibung arianischer Christen aus Gotien im Jahre 371 stattgefunden habe. Spätere Schriftsteller, die aus obigem schöpften, zu zitieren halten wir für ungeeignet.
Das Wichtigste ist die kritische Folgerung aus diesen Quellenzeugnissen, auf die wir nun übergehen.
Mit Gewißheit erhellt zuvörderst, daß das Christentum schon lange vor dem Jahre 355 bei den Goten Eingang, aber auch heftigen Widerstand gefunden hatte, der von Zeit zu Zeit in blutige Verfolgung ausbrach. Daß die religiöse Parteiung auch zu einer politischen Anlaß gegeben, ist zu vermuten, sicherlich aber nur innerhalb der Westgoten allein, da es weder angedeutet, noch irgend wie wahrscheinlich ist, daß sie zur Quelle der Spaltung zwischen West- und Ostgoten geworden sei. Von einer solchen geben die angeführten Quellen überhaupt gar keine unmittelbare Nachricht: nur mittelbar ließe sich vielleicht aus den Julian betreffenden auch auf ein politisches Zerwürfnis schließen. Gleichwohl sind, nach dem damals häufigen Verkaufe von Goten selbst höhern Standes als Sklaven, vorausgegangene innere Kämpfe anzunehmen.
Wichtiger noch ist die Nachricht des Eunapius, der, wahrscheinlich im Jahre 363 bereits geboren, unzweifelhaft die beste Quelle benutzte.
Aus dieser ergibt sich, daß bis zum Jahre 363 zwar schon Anzeichen einer bevorstehenden Störung der Ruhe bei den Goten vorhanden waren, die Trennung selbst aber noch keineswegs stattgefunden hatte.
Eben so unwahrscheinlich ist, daß zwischen den Jahren 363 und 366, in welchen die Feindseligkeiten mit Valens beginnen, ein wirklicher offener Krieg zwischen Ost- und Westgoten ausgebrochen sei, da ein so genauer Schriftsteller wie Ammian in seinem Bericht über die Jahre 367–369 dieses auf den Krieg der Römer notwendig einflußreichen Ereignisses sicherlich gedacht haben würde.
Dies führt uns auf letztern selbst.
Gewiß schon im Beginn seines Unternehmens, daher von Konstantinopel aus, das, nachdem sich Prokop im Herbste 365 dessen bemächtigt, ihm acht Monate lang huldigte, suchte derselbe auf Grund des von Constantin dem Großen abgeschlossenen Vertrags bei den Goten um Hilfe nach, die er auch vom Könige (βασιλεύς) der Skythen, d. i. Goten, im Frühjahre 366 erhielt. (Eunap. p. 46.)
Das Foedus war früher mit dem oder den Königen des Gesamtvolkes geschlossen (s. Bd. I, S. 386). An wen anders konnte er sich wenden, als an diesen, wer anders ein Verlangen von so großer politischer Tragweite bewilligen, als eben dieser? Auch Ammian, der überall sonst Greuthungen und Therwingen genau unterscheidet, spricht in beiden angeführten Stellen nur vom Gotenvolk im Allgemeinen.
Darauf ward jenes Hilfskorps sicherlich von Ermanarich Anders, Dahn. Könige V, S. 4 f. selbst bewilligt: auch scheint der Verzug von dessen wirklichem Eintreffen bis kurz vor Prokops Tode (Amm. XXVII, 5) durch des Königs Entfernung auf dem Eroberungszuge erklärt werden zu können.
Was den von Sokrates berichteten Kampf zwischen den westgotischen Häuptlingen Athanarich und Fritigern betrifft, so kann derselbe, unerachtet des Schweigens von Ammian, nicht bezweifelt werden: doch mag die Beteiligung der Römer an demselben, die sich wahrscheinlich auf die der nächsten Grenzbesatzungen beschränkte, eine unerheblichere gewesen sein als es nach erster Quelle scheinen könnte. Eifersucht und Zwietracht unter germanischen Häuptlingen war etwas sehr Gewöhnliches. Den Anlaß dazu kann Athanarichs diktatorische Anmaßung, zugleich aber auch, was uns sehr wahrscheinlich dünkt, die Verschiedenheit der religiösen Ansicht geboten haben.
Die Glaubensfrage gärte damals in den Gemütern, ward daher, auch vor offenem Wechsel des Bekenntnisses, gewiß schon Gegenstand von Parteinahme.
Fritigern namentlich mag, wie dessen schneller und entschlossener Übertritt beweist, schon vorher ein Haupt der Christenfreunde gewesen sein.
Daß die politische Trennung der Ost- und Westgoten zu Ende von Ermanarichs Regierung Nach Dahn, Könige V, S. 1 schon nach Ostrogotha. erfolgte, steht nach Jordanis, der für eine so wichtige Tatsache gewiß Cassiodor folgte, unzweifelhaft fest.
Bruderkrieg zwischen beiden Stämmen hat nicht stattgefunden. Wohl hätte daher ein kluger Nachfolger Ermanarichs die wesentlich gelockerten, aber noch nicht entschieden zerrissenen Bande, das alte Gesamtkönigtum, wieder herstellen können. Nur erst der Einbruch der Hunnen machte es zur vollendeten Tatsache, zu einem weltgeschichtlichen Ereignisse höchster Wichtigkeit.
(Man hielt die Hunnen früher für die Nachkommen der Hiong-nu, von welchen chinesische Quellen berichten; fest steht wohl nur ihre Zugehörigkeit zur mongolischen Rasse. D.)
Söhne der Wüste und der Berge zugleich waren sie gewohnt, dem glühenden Sande wie dem ewigen Schnee gleichmäßig zu trotzen. Das stählt Körper und Seele.
Hirten aus Beruf, Jäger und Krieger aus Lust und Leidenschaft zogen diese Nomaden fortwährend in der unermeßlichen Steppe umher, im Sommer nach dem Norden und in die Berge, im Winter nach den wärmsten Weiden im Süden, das notwendig zu Transportierende in ihren auf Räder gesetzten und durch Ochsen gezogenen Filzhütten mit sich führend. Fast mehr Kentauren als Menschen mußten schon die Kinder, auf Schafen reitend und mit Bogen und Pfeil nach Ratten und Vögeln schießend, für Jagd und Krieg sich ausbilden.
Das Wüstenleben gewöhnte Menschen und Tiere zugleich an zähes Ertragen von Hunger und Durst, was sie einem zivilisierten Feinde so gefährlich machte. Da aber Milch, Blut und Fleisch der Tiere, falls nötig: selbst der Pferde, ihre Nahrung war, so führten sie überall den Proviant lebendig mit sich, das Fleisch, wo es an Feuer und Muße der Bereitung gebrach, unter dem Sattel der Reiter ermürbend.
Ihre Kriegstaktik war furchtbar. Mit Sturmesschnelle stürzte sich eine unermeßliche Reiterschar auf den zugleich mit einem Pfeilhagel überschütteten Feind. Hatte dieser Disziplin und Haltung genug, solchen Anprall auszuhalten, so waren Parieren, Umkehren und regellose Flucht das Werk eines Augenblicks. Die größten Reiterscharen verschwanden plötzlich wieder wie Staubwolken. Aber wehe dem Gegner, wenn er sich zur Verfolgung hinreißen ließ: dann war er in seiner dadurch aufgelösten Ordnung rettungslos verloren, da die Fliehenden blitzschnell sich zu neuem Angriffe formierten.
Die Wiederholung dieser mit unglaublicher Raschheit und Unablässigkeit ausgeführten Attacken war es nämlich, welche sie endlich doch meist zum Siege führte.
Die blanke Waffe, womit die Reiter ebenfalls bewehrt waren, mag mehr nur für die Verfolgung und den Notfall bestimmt gewesen sein.
So verschieden diese Kriegsweise, der Natur beider Völker entsprechend, von der der Germanen erscheint, so waren doch Tapferkeit und Kriegsmut, die Seele derselben, auf beiden Seiten fast gleich.
Merklich dagegen die Unähnlichkeit des sittlichen Bildungsgrades. Bei den Germanen auch die Wildheit des Urvolkes, aber mit den Keimen der Veredelung: bei den Nomaden Ostasiens tiefe Roheit.
Das von jenen hochgeehrte Alter ward bei diesen gering geschätzt, weil nur das Maß der Kraft zugleich das der Geltung gab. Die Alten mußten bei dem Essen mit dem vorlieb nehmen, was die Jüngern ihnen übrig ließen. Diese galten nicht eher für Männer, als nachdem sie einen Feind getötet oder mindestens Mut und Kraft dazu bewährt hatten.
Auch vom Kultus der Frauenwürde keine Spur: der Sohn heiratete nach des Vaters Tode seine Stiefmutter: die orientalische Polygamie war daselbst urtümlich.
Gemeinsam war beiden Völkern das Festhalten am gegebenen Wort unter sich und die Betreibung des wichtigsten Nahrungserwerbs durch Knechte, des Ackerbaues bei den Germanen, der Herdenzucht bei den Hunnen, wozu sie die zahlreichen Gefangenen verwandten.
In der öffentlichen Verfassung bei den Germanen der Grundzug Freiheit, bei den Hunnen Despotismus. Die Gewalt der Häuptlinge der einzelnen Horden, deren Recht wahrscheinlich auf der Geburt beruhte, anscheinend wenig beschränkt, die des »Herrschers über Alle«, in der Idee vielleicht noch weniger, in der Wirklichkeit wohl durch die Persönlichkeit bedingt, wobei jedoch in der Teilung in viele spezielle Mediatherrschaften unter einem Gesamtgebieter auch wieder der Keim zu innern Zerwürfnissen lag, an denen es nie gefehlt haben mag.