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Fünfzehntes Kapitel.
Attila und die Hunnen

Mit Freuden begrüßen wir in diesem Kapitel ein neues treffliches, leider unvollständiges Quellenwerk in den Fragmenten aus des Priscus acht Büchern der Geschichte von Byzanz und Attila.

Unzweifelhaft einer der besten spätern griechischen Historiker, dem wir nur noch Dexippus nahe stellen möchten, würde er uns das treueste, fleißigst ausgeführte und lebendigste Gemälde einer Zeit von mindestens zehn Jahren aufrollen, wenn er uns ganz erhalten wäre. Auch so aber sind die hundertunddrei Seiten (nach der Bonner Ausgabe), welche wir noch von ihm besitzen, unschätzbar, wiewohl nur als isolierte, des Zusammenhangs mit dem historischen Gerüst entbehrende Miniaturen, deren chronologische Stelle wir erst aufzusuchen haben.

In der Zeit bis 381 beteiligten sich wohl hunnische, alanische und andere Freischaren oder Abenteurer am Kriege der Westgoten in Thrakien und dessen Umgegend, von einem Volkskriege der Hunnen wider Rom aber findet sich für diese Zeit in den Quellen keine Spur. Indem jedoch Theodosius zu Anfang seiner Regierung die Goten durch Vertrag sich zu unterwerfen trachtete, lag es in seiner Politik, das Reich gegen räuberische Einbrüche auch der Hunnen zu sichern.

Unter dem Skythen »Balamer« (des Priscus) bestand nun bereits ein Friede mit Rom, welchen derselbe durch eine Raubfahrt in römisches Gebiet und Zerstörung mehrerer Städte brach. Darauf erging eine römische Gesandtschaft an Balamer, durch welche, weil er den Raub mit der äußersten Not entschuldigte, unter Bewilligung eines jährlichen Tributs von dreihundert Pfund Goldes der alte Vertrag erneuert wurde. Da wir nun gewiß wissen, daß dieser Tribut bis zu Ruas Tode im Jahre 433 dreihundertundfünfzig Pfund betrug, so muß (?) dessen Festsetzung auf dreihundert eine frühere gewesen sein, welche wir mit Wahrscheinlichkeit schon Theodosius zuschreiben dürfen (? D.). Wenigstens werden uns aus dessen Zeit nach der oben erwähnten Raubfahrt vom Jahre 382, welche möglicherweise sogar die von Priscus angeführte sein könnte, keine Feindseligkeiten der Hunnen gegen Rom berichtet, während unter des Theodosius Nachfolgern sogar ein entschieden freundliches Verhältnis derselben zum Reiche hervortritt.

Dies Fragment wird nun zwar gewöhnlich auf den nach Attilas Tod zur Selbständigkeit gelangten Ostgotenkönig Walamer bezogen (s. Köpke, S. 145): dem steht aber die ausdrückliche Bezeichnung des Balamer als Skythe, d. i. Hunne, entgegen (Βαλαμέρος του̃ Σκύθου) (aber Skythe heißt auch Gote. D.).

Im ganzen Priscus findet sich nämlich in Attilas Geschichte nicht eine einzige Stelle, wo Skythe etwas anderes als Hunne, oder mindestens Untertan (das genügt, auch Goten zu umfassen D.) und Diener des Hunnenkönigs, bezeichnete Nur der Ausdruck: Skythien und skythische Völker wird bisweilen in dem alten geo- und ethno-graphischen Sinne für Nordlande und Nordvölker überhaupt gebraucht. (Siehe aber Dahn, Könige II, S. 57–64, gegen obige Ausführungen.), während an zwei Stellen (p. 190 und 207), wo von der Sprache die Rede ist, Hunnen und Goten ausdrücklich unterschieden werden. Besonders aber werden nach Attilas Fall, in welche Zeit eben jenes Fragment 217 gehören wurde, wenn es sich auf Walamer bezöge, die Goten stets als solche aufgeführt p. 160 und 162–164. In diesem letztern Bruchstück zu Anfang und am Schlusse sowie in Fragment 21, p. 162 umfaßt nun zwar der Ausdruck Skythe allerdings einigemal auch die Goten, aber nur insoweit, als sie mit den Hunnen vereinigt waren, also eine Gesamtbezeichnung für beide nötig oder mindestens zulässig war.

Auch ergibt sich aus des Priscus erwähntem Fragment, p. 217, daß damals Balamer zuerst einen Tribut empfing, was sich auf den Ostgoten Walamer nicht beziehen kann, da dieser ja nach Jordanis (Kap. 52) schon von seiner Niederlassung in Pannonien an eine regelmäßige Zahlung (consueta dona) vom Kaiser Marcian erhielt, wie er sich denn auch mit dem geringen Betrage von nur dreihundert Pfund Goldes kaum begnügt haben dürfte. (? All das ist unbeweisend. D.)

Während der Regierung der Söhne des Theodosius bis zu des Honorius Tode, d. i. 395–423 tritt (manchmal) ein freundliches Verhältnis der Hunnen zu Rom hervor. Der hunnische Häuptling Uldes bekämpft und tötet im Jahre 400 den Rebellen Gaina und schickt dessen Haupt nach Konstantinopel. Acht Jahre später fällt derselbe zwar, man weiß nicht, aus welchem Anlaß, in römisches Gebiet ein, muß aber schimpflich wieder abziehen und scheint sich von da an nicht wieder geregt zu haben.

Westrom bezieht fortwährend einen großen Teil seiner Streitkräfte von den Hunnen und den diesen unterworfenen oder verbündeten Alanen. In dem ersten Kriege gegen Alarich in Italien 401 bis 403 werden zwar nur letztere ausdrücklich genannt: doch schließt dies die gleichmäßige Teilnahme hunnischer Söldner nicht aus (aber auch nicht ein! D.), deren zahlreiche Reiterei es vor allen war, welcher Stilicho im Jahre 405 die größten Dienste wider Radagais verdankte. Ebenso nimmt Honorius, nach Zosimus (V, 50), 10 000 Hunnen wider Alarich in Sold, wogegen freilich auch einzelne Haufen derselben den Westgoten und andern Germanen zugezogen sein mögen. (S. Zosimus V, 37.)

Das Wichtigste und Verhängnisvollste für das weströmische Reich aber war, abgesehen von dem Vordringen einzelner Scharen nach Pannonien, der mittelbare Einfluß der Hunnenmacht, d. i. der Druck, den diese in den ersten Jahren des fünften Jahrhunderts auf die Germanen an der Mittel-Donau ausübte und der sie zur Auswanderung aus den alten Sitzen und Eroberung neuer in Gallien und Spanien antrieb.

Unzweifelhaft hatten die Hunnen jedoch damals, wie sich dies weiter unten ergeben wird, den an fünfzig Meilen langen Südlauf der Donau von Waitzen bis Belgrad noch nicht bleibend überschritten, so daß dieser Strom auch im Westen deren Grenze gegen Rom bildete.

Von dem innern Volks- und Staatsleben der Hunnen erhalten wir erst durch Priscus Kunde, können daher nur durch Rückschluß aus der spätern Zeit zu einer ungefähren Anschauung über die voraus gegangenen fünfzig Jahre gelangen und lassen deshalb unsere Ansicht darüber erst auf die Mitteilung des merkwürdigen Berichts dieses Schriftstellers selbst folgen.

Auch über die Regentenreihe bei den Hunnen sind wir ohne ausreichende Nachricht, wissen daher auch nicht, wer nach Balamer oder Balamber regierte, unter dem sie Jordanis zufolge, in Europa einbrachen.

Jedenfalls kann Uldes oder Uldin – an deren Identität doch kaum zu zweifeln ist –, da derselbe in römischem Sold stand, kaum ein Gesamtherrscher der Hunnen gewesen sein.

Olympiodor dagegen erwähnt in einem übrigens ziemlich dunkeln Fragmente (p. 455 d. B. A.) eines Charaton, als des vornehmsten unter den Königen (d. i. Häuptlingen) der Hunnen, den wir in die Regierung des Arcadius setzen müssen, zu welchem Olympiodor selbst nebst dem Rhetor Donatus als Gesandter abgeordnet worden war.

Mit Sicherheit wissen wir nun für die Folgezeit, daß vor und bis zum Jahre 433 ein oberster Herrscher den Hunnen vorstand, den Priscus (p. 166/7) Rua, Jordanis (c. 35) Roas, Prosper Tiro zum Jahre 433 aber Rugila nennt, alle wohl dieselbe Person bezeichnend.

Er war der Bruder von Attilas unstreitig früh verstorbenem Vater Mundzuc (nach Jordanis) oder Mundiuch (nach Priscus p. 150) und hatte zwei damals noch lebende Brüder, Octar und Oebarsius, ersterer (nach Jordanis a. a. O.) Mitregent über einen Teil des Volkes, letzterer (nach Priscus p. 208) noch im Jahre 448 als geehrter Verwandter bei Attila lebend.

Daß jener Octar mit dem von Sokrates (VII, 30) erwähnten und während des Krieges verstorbenen Uptar, König oder Führer des hunnischen Hilfsheers gegen die Burgunder identisch war, ist zu vermuten, mit ziemlicher Sicherheit aber solchesfalls auch anzunehmen, daß dessen Stellung eine seinem Bruder Rua untergeordnete gewesen sein müsse, da er außerdem wohl nicht in römischen Sold getreten wäre.

Dagegen beruht der von demselben Schriftsteller (VII, 43) als Befehlshaber des von Attila im Jahre 424 dem Usurpator Johannes zugeführten Hilfsheers genannte Rohas wahrscheinlich auf Verwechselung mit dem Namen des damaligen Königs Rua oder Roas (nach Jordanis) als Absenders dieses Heers, wie dies jenem von Unrichtigkeiten wimmelnden Kirchenhistoriker füglich zuzutrauen ist. Sollte aber auch in diesem Falle eine bloße Namensähnlichkeit stattgefunden haben, so dürfen wir doch annehmen, daß Rua mindestens schon im Jahre 424 Beherrscher der Hunnen war.

Mit dem Augenblicke nun, da einiges Licht auf die große Geschichte jener Zeit zu fallen beginnt, wird dieselbe fast ausschließlich durch zwei Namen – weltgeschichtlichen Klanges – Aëtius und Attila ausgefüllt

Von ersterem, dessen wir bereits gedachten, entwirft Renatus Frigeridus in Gregor von Tours (II, 8) das glänzendste Bild. Er nennt ihn: gleich ausgezeichnet an Körper und Geist, Meister aller kriegerischen Fertigkeiten und Künste, aber auch in denen des Friedens groß, zu jeder Anstrengung und körperlichen Entsagung gern bereit, sowie unerschrocken in Gefahren. Wenn er aber zugleich dessen gutes Gemüt, dessen Freiheit von Hab- und Ehrsucht, wie er bösen Ratgebern widerstanden, Beleidigungen aber geduldig ertragen habe, hervorhebt, so muß er ihn nach dem Maßstabe der verderbtesten Zeit gemessen haben: (da die Geschichte seinen Ehrgeiz mancher Arglist und Bluttat zeihen muß. D.).

Von dem mächtigsten Einfluß auf die Folgezeit war sein mehrjähriges Leben bei den Hunnen als deren Geisel, das von Frigeridus bezeugt ist: dadurch wird zugleich das schon seit langer Zeit bestandene Vertragsverhältnis auch zwischen Westrom und diesem Volke bestätigt.

Des Aëtius Stellung bei den Hunnen war, wie bei Geiseln vornehmen Landes überhaupt, unzweifelhaft eine geehrte.

Wenn Charaktere wie Aëtius und Attila sich irgendwo begegnen, so müssen sie sich finden und anziehen. Von der Freundschaft, welche beide verband, gibt Priscus mehrfache Nachricht. Bedurfte Attila eines geschickten Kabinettsrats oder Geheimsekretärs (ab epistolis), so schickte ihm Aëtius einen dazu geeigneten Römer (Priscus p. 276 und 286), wie ersterer letzterem wiederum den Zwerg und Possenreißer Zercon zum Geschenk machte (Priscus 206 und 226). Das außer diesen gelegentlich erwähnten Fällen noch häufigere und innigere Beziehungen zwischen beiden stattfanden, ist nicht zu bezweifeln.

Diese Verbindung mit den Hunnen war es nun, welche die oben berichtete Absendung des Aëtius zu denselben durch den Usurpator Johannes veranlaßte, von welcher er auch mit einem Heere, für jenen aber zu spät, zurückkehrte.

Zu eben diesen Freunden floh nun Aëtius acht Jahre später, als er, von Bonifacius besiegt, im Jahre 432 das Reich verlassen mußte. Rua, dem nichts erwünschter sein konnte, als den Freund an der Spitze der Regierung zu sehen, vermittelte aber dessen Wiederaufnahme bei der Kaiserin und schloß zugleich mit Aëtius Frieden und Foedus ab, in welchem Westrom einen Teil Pannoniens an die Hunnen abtrat, wie dies aus Priscus (an zwei Stellen p. 147 Er erwähnt als Herkunft des Orestes denjenigen Teil Pannoniens, »welcher an dem Save-Fluß gelegen, gemäß dem mit Aëtius, dem Feldherrn der Weströmer, geschlossenen Bündnis den Barbaren gehörte«. und 198) zweifellos hervorgeht. Das Opfer mag kein großes gewesen sein, da die Römer die festen Hauptplätze sich vorbehielten, wie wir dies von Sirmium (aus Priscus p. 186) mit Sicherheit erfahren, das platte Land aber gegen hunnische Raubfahrten ohnehin wohl kaum zu schützen war.

Wie das starke Hunnenheer, das Aëtius auf Grund jenes Bündnisses mitbrachte, in den Kriegen der Römer in Gallien wider Burgunder und Goten, wenigstens bis zum Jahre 439, wo dessen in den Quellen zuletzt gedacht wird, teilnahm, wird im vorigen Kapitel erwähnt.

Ob Aëtius dasselbe in letzterem Jahre, nachdem der Friede in Gallien vollständig gesichert war, nach Italien mit zurückführte und von dort vielleicht, großenteils wenigstens, entließ, wissen wir nicht, können aber nicht zweifeln, daß unter den im römischen Reiche dienenden Barbaren fortwährend auch viele Hunnen sich befanden, wie denn dergleichen auch früher Stilichos Leibwache bildeten.

Unter diesen müssen sich auch mehrere zum Christentum bekehrt haben, da Hieronymus (epist. 107 ad Laetam) p. 673 d. Ausg. v. Ballarsius. Verona 1734. Die vorhergehende Ep. 106 an die unzweifelhaft gotischen Theologen Sunnila und Fretila, welche dieselbe über exegetische Anfragen, namentlich die Psalmen betreffend, belehrt, beweist die gründliche Bildung und Forschung dieser Germanen, die doch wohl, da sie sich an Hieronymus wenden, Katholiken waren. Vergl. Dahn, Könige VI, S. 42. Urgeschichte I, S. 423. und Orosius (VIII, 41) auch die Hunnen unter den Christen aufführen, was zwar übertrieben, aber sicherlich nicht ganz unwahr sein kann. Diese waren dann freilich wohl ihr Vaterland aufzugeben und ganz Römer zu werden genötigt. (? D.)

Noch vor jenem Frieden wohl hatte Rua die aufständischen Völkerschaften der Amilzuren, Itimaren, Tonosuren, Boisker und andre an der niedern Donau, weil sie mit Rom in Verbindung getreten waren, mit Krieg zu überziehen beschlossen.

Die römische Politik gegen die Hunnen war eine doppelte: die offene – : Frieden und Freundschaft mit Tributzahlung, die geheime – : Förderung aller Auflehnung der ihnen unterworfenen Völker.

Die gedachten Namen nun sind genau oder beziehentlich beinahe dieselben, welche Jordanis, Kap. 24, als Alipzuren, Alzidzuren, Itimaren, Tunkasser und Boisker, die von den Hunnen bei ihrem Übergang nach Europa zuerst unterjocht worden waren, aufführt. Es müssen altskythische Volksschaften gewesen sein, die sich vor den mächtigen Alanen in die nördlichen Steppen der Krim zurückgezogen hatten, wo dieselben wohl in einer gewissen Abhängigkeit von erstern lebten. Von diesem Ursitze müssen die Hunnen sie an die niedere Donau verpflanzt haben. (? D.)

Um nun den römischen Umtrieben ein Ende zu machen, sandte Rua den Esla mit der Drohung nach Konstantinopel, das bestehende Foedus aufzuheben, wenn man nicht sogleich alle zu den Römern übergegangenen hunnischen Untertanen ausliefere, worauf Theodosius II. die Abordnung einer Gegengesandtschaft in der Person der Konsularen Plinthas und Dionysius beschloß. Vor deren Abgang aber verschied im Jahre 433 Rua, dem seine beiden Bruderssöhne Bleda und Attila folgten (Prosper Tiro zum Jahre 433 und Priscus p. 167 und 169), worüber, obwohl ersterer nur Bleda, letzterer, zunächst wenigstens, nur Attila nennt, kein Zweifel möglich ist. In Margus (Semendria) an der Donau langte nun die für die neuen Herrscher bestimmte Gesandtschaft an, welcher Stadt gegenüber auf hunnischer Seite das Kastell Constantia (contra Margus auf den alten Karten) lag, in dessen Nähe auch die »königlichen Skythen« sich eingefunden hatten. Vor letzterm Orte kamen beide Teile zu Roß zusammen, da die Römer, weil die Hunnen nicht anders verhandelten, ebenfalls zu Pferd zu steigen genötigt waren.

Man vereinigte sich dahin, daß alle hunnischen Überläufer und entwichenen römischen Gefangenen ausgeliefert oder für letztere acht Goldstücke pro Kopf gezahlt werden sollten. Der Marktverkehr zwischen beiden Völkern ward geregelt: im übrigen solle der bestehende Vertrag so lange fortdauern, als die Römer jährlich 700 Pfund Goldes, etwa 630 000 Mark, statt des vorigen Betrages von nur 350 Pfund, zahlen würden.

Die ausgelieferten Überläufer, worunter zwei Sprossen königlichen Geschlechts, wurden sofort ans Kreuz geschlagen.

Nach diesem Frieden zogen Attila und Bleda zu Unterwerfung skythischer Völker aus und zwar zunächst wider die Sorosger, nach Zeuß (S. 695 u. 708) verschrieben für Oroger, ein sarmatisches Volk. (Priscus, zweite Sammlung, Fragment 1 a. Schl., p. 169.)

Dies war der Beginn der Ausdehnung des Hunnenreichs nach Norden und Nordosten, bei der man aber nicht an große und blutige Eroberungskriege zu denken hat. Die zwischen dem Pontus und der Ostsee sitzenden skythischen, slavischen und finnischen Völker waren eines erfolgreichen Widerstands gegen die Hunnen nicht fähig, mögen sich daher denselben, wenn auch vielleicht nicht ohne Kampf, doch im Ganzen leicht unterworfen haben. In dies Unabwendbare dürften sie sich auch um so williger geschickt haben, da die Hunnen den Unterworfenen gegen Anerkennung ihrer Oberherrlichkeit, Leistung von Kriegshilfe, vielleicht auch eines mäßigen Tributs, die Beibehaltung einer gewissen Selbständigkeit, oft unter eignen Fürsten, gern gönnten.

Von dem an sind wir sieben Jahre lang ohne Nachricht.

Im Jahre 440 war Gaiserich in Kalabrien und Sizilien eingefallen, fand aber so tapfern Widerstand, daß er wenig ausrichtete. Nicht sowohl zu Verteidigung dieser weströmischen Provinzen nun, als um mit dem auch ihm gefährlichen Manne und Erzpiraten überhaupt ein Ende zu machen, sandte Theodosius im Jahre 441 eine gewaltige Flotte nach Sizilien, von wo der Übergang nach Afrika so leicht war (Prosper Aquitanus). In dieser Besorgnis wandte sich Gaiserich an Attila und mag denselben durch eine große Geldsumme, wofür letzterer stets empfänglich war, zum Einfall in römisches Gebiet bewogen haben. Dies erhellt zwar nicht unmittelbar aus den Quellen, wird aber dadurch, daß jener Angriff gerade im Augenblick der dringendsten Gefahr für den Vandalen erfolgte, auch wirklich die Rückberufung der kaiserlichen Flotte aus Sizilien zur Folge hatte, wahrscheinlich. Auch wird der diplomatische Verkehr beider Herrscher und Gaiserichs Bestreben, Attila durch Geschenke zu gewinnen, neun bis zehn Jahre später durch Jordanis (Kap. 35) ausdrücklich bezeugt.

Jener Hunnenkrieg ist nun unzweifelhaft derselbe, dessen Priscus in der ersten Sammlung der Fragmente p. 140–141 in folgender Weise gedenkt.

Attila hatte dem Bischof von Margus vorgeworfen, daß er sich verborgener Schätze in seinem Gebiete bemächtigt habe, und ließ deshalb die bei einem Markte oder Feste zahlreich versammelten Römer überfallen und niederhauen. Auf Beschwerde darüber verlangte derselbe die Auslieferung des Bischofs nebst der eines Überläufers: da dies von Theodosius verweigert ward, ging er verheerend über die Donau und nahm Viminatium, sowie (nach Marcellin) Singidunum und Naissus nebst mehreren anderen festen Plätzen ein. Da begannen die Römer von der Notwendigkeit, den Bischof auszuliefern, zu reden, worauf dieser aus Furcht hiervor freiwillig zu den Hunnen floh und sich erbot, ihnen gegen völlige Straflosigkeit die Festung Margus in die Hände zu spielen, was er auch wirklich durch List ausführte. Hierauf neue Verhandlung zwischen Attila und Theodosius: und weil letzterer fortwährend die Auslieferung der Überläufer verweigerte, abermaliger Einfall des erstern in römisches Gebiet, wobei unter mehreren anderen auch die volkreiche Stadt Ratiaria genommen und zerstört wurde. Dieser Kriege Zweck war nicht Eroberung, auch nicht Behauptung der genommenen Plätze, da diese vielmehr alle in Schutt und Asche gelegt, auch die zwischenliegenden Landstriche (großenteils wenigstens) in Wüste verwandelt wurden. Wann der Krieg aufhörte, wissen wir nicht, müssen aber vermuten, daß dies durch einen noch im Jahre 442 oder Anfang 443 geschlossenen, in der Tat aber von Attila diktierten Frieden geschah.

Die staatsrechtliche Stellung der beiden Herrscher Bleda und Attila zueinander ist uns nicht genau bekannt, doch ist nach des Prosper Aquitanus Worten Zum Jahre 445: Attila rex Hunnorum Bledam fratrem et consortem in regno suum peremit ejusque populos sibi parere coëgit, wobei die Worte ejusque populos eine Sonderherrschaft Bledas andeuten. geteilte Herrschaft anzunehmen, neben welcher übrigens unstreitig auch Gesamtregierung in den wichtigsten Angelegenheiten, namentlich für auswärtige Kriege, bestand. Man vermutet mit Grund, daß Bleda der ältere der Brüder gewesen sei, welcher Vorzug das erste Aufkommen desselben neben dem so viel gewaltigern Attila erleichtert haben, der Willkürgewalt dieses letztern aber eine um so drückendere Fessel gewesen sein mag, so daß derselbe, nach dem einstimmigen Zeugnisse von Prosper Aquitanus, Tiro, Marcellin und Jordanis (Kap. 35) im Jahre 445 Prosper Aquitanus setzt die Tötung allerdings in das Jahr 444. Da jedoch die Notizen dieses Jahres mit ihr schließen und das folgende 445 gar keine dergleichen enthält, so scheint gerade an dieser Stelle ein Irrtum des Abschreibers leicht möglich gewesen zu sein. den Bruder durch Tötung aus dem Wege räumte.

In die nächste Zeit möchten wir die von Jordanis (Kap. 35) nach Priscus berichtete Entdeckung eines alten im Boden vergrabenen Schwertes setzen (Sage, welcher Tatsächliches gar nicht unterliegen muß. D.), welches ein Hirt, unstreitig in der Steppe zwischen Don und Dnjestr, dadurch auffand, daß sich eine seiner Kühe daran verletzt hatte. Dasselbe ward Attila überliefert und von ihm – als Pfand des Sieges und der Eroberung – für das Schwert des Mars ausgegeben, der schon den alten Skythen heilig gewesen sei.

Erst im Jahre 447 wieder gedenkt nun Marcellin eines neuen, viel größern Krieges, in welchem der Magister militum Arnegisl (ein Germane, nach seinem Namen) in einer Schlacht an dem in die Donau mündenden Flusse Utus getötet ward, Attila bis zu den Thermopylen vordrang, endlich aber nach einer anderweiten Hauptschlacht auf dem Chersones (Halbinsel Gallipoli), die jedenfalls eine entscheidende Niederlege der Römer war, Friede geschlossen ward. Wir haben nach letzerer Lokalität anzunehmen, daß ein von Asien herbeigezogenes kaiserliches Heer auf der Halbinsel gelandet war und an deren Ausgange mit den Hunnen zusammentraf. Der Friede war über alle Massen schimpflich: außer der Rückgabe sämtlicher Überläufer und entwichener Gefangenen, wenn letztere nicht mit zwölf Goldstücken pro Kopf eingelöst würden, Zahlung von 6000 Pfund Goldes oder 5 400 000 Mark – für die frühern, während des Krieges natürlich nicht gezahlten Tribute Da dieser Tribut früher 700 Pfund betrug, berechnet Haage S. 16 etwa achtjährige Rückstände, was wir wegen des dazwischenliegenden Friedens bezweifeln, vielmehr, da Attila mit dem Schwerte rechnete, die Annahme des neuen Betrages von 2100 Pfund auch für die Vergangenheit wahrscheinlicher finden. Auch setzt Haage den Silberwert eines Pfundes Goldes etwas zu hoch an (s. oben). und 2100 Pfund jährlich für die Zukunft. Der zitternde Kaiser hatte nicht die Mittel, das Geld aufzubringen, so daß es zum Teil auf die härteste, ungerechteste Weise den Reichen abgepreßt wurde. Da sollen, wie Priscus hinzufügt, viele derselben freiwillig ihrem Leben ein Ende gemacht haben. Merkwürdig ist, daß eine einzige, wahrscheinlich nur kleinere Stadt, Asimunt in Thrakien, nicht nur allen Eroberungsversuchen der Hunnen widerstanden, sondern auch bei späteren Ausfällen viele Feinde getötet und denselben ihre Beute nebst Gefangenen abgenommen hatte, welche freilich bei dem Frieden wieder herausgegeben werden mußten.

Nach Prosper Tiro, der dieses Kriegs nur kurz gedenkt, würde derselbe schon in das Jahr 446 fallen, in welchem er möglicher Weise begonnen haben könnte, während Priscus (Fragment 3, zweite Sammlung) nur den nach der Schlacht auf dem Chersones durch Anatolius geschlossenen Frieden erwähnt, den wir, nach der Reihe der auf denselben folgenden, im Zusammenhange von ihm berichteten Ereignisse nicht vor Ende 447 oder Anfang 448 setzen können.

In stolzem Machtgefühle beutete nun Attila zunächst des Theodosius Schwäche dadurch aus, daß er unter unerheblichen, zum Teil leeren Vorwänden vier Gesandtschaften nach einander an denselben absandte, deren eigentlicher Zweck nur die Bereicherung seiner damit beauftragten Günstlinge war, denen der Kaiser in seiner Furcht die größten Geschenke zu geben sich genötigt glaubte. In der Tat war auch der Ärmste damals zugleich von den Persern, von vandalischen Piraten, von aufständischen Isauriern, von Sarazenen und Äthiopiern mehr oder minder bedrängt. (Priscus, Fragment 4, S. 146.)

Folgenschwerer ward die fünfte Gesandtschaft, zu welcher Attila den Edeco nebst Orestes abgeordnet hatte. Jenen nennt Priscus einen Skythen, der sich durch Großtaten im Kriege hervorgetan habe. Nach dem Anonymus Valesii in dessen Exzerpten über Odovakar und Theoderich und dem Johannes von Antiochien (in Müllers Fragm. Histor. Graec. IV, p. 609) war aber ein Edeco Der Name ist bei ersterm Aedeco, bei Johannes Ant. aber Idico geschrieben, darauf jedoch kein Wert zu legen, da die Schreibart fremder Namen in den Quellen bei unzweifelhafter Identität, fast niemals völlig gleichlautend zu sein pflegt. Die meisten Historiker nehmen übrigens die fragliche Identität an., Germane, der Vater des berühmten Odovakar, auf den wir bald kommen werden. Attilas höchste Würdenträger überhaupt, so weit uns deren Nationalität bekannt wird, waren nicht Hunnen, sondern Fremde: seine germanischen Untertanen erschienen ihrer höhern Kultur nach überhaupt auch für die diplomatische Verhandlung weit geeigneter als seine asiatischen Nomaden.

Orestes war Römer, als Insasse des von Aëtius im Jahre 433 an Rua abgetretenen Teils von Pannonien aber hunnischer Untertan geworden.

Edeco überreichte dem Kaiser Attilas Schreiben, worin die Auslieferung sämtlicher Überläufer, zugleich aber auch das Verbot jeglicher römischen Ansiedlung in dem von ihm eingenommenen Landstriche südlich der Donau, an sechzig Meilen in der Länge (von Belgrad bis Sistowa) und fünf Tagereisen in der Breite, mindestens also tausend Quadratmeilen, begehrt ward. Wolle man ihm übrigens zu weiterer Verhandlung eine Gegengesandtschaft schicken, so müsse diese aus den ausgezeichnetsten Konsularen bestehen, welchesfalls er derselben bis Sardica entgegenkommen werde. Das Schreiben scheint lateinisch gewesen zu sein: bei der weitern mündlichen Mitteilung aber fungierte der in römischem Dienste stehende Bigila, vielleicht ein geborner hunnischer Untertan, als Dolmetsch: (sein Name ist wohl gotisch. D.).

Nach der Audienz begab sich Edeco durch die Reihe der Paläste zu des Kaisers Theodosius damaligem allmächtigen Günstlinge, dem Oberkammerherrn Chrysaphius, einem Eunuchen. Er drückt diesem seine Bewunderung, vielleicht auch seinen Neid über solche Pracht und Schätze aus: derselbe läßt ihm erwidern, wie er des allen in reichstem Maße teilhaftig werden könne, wenn er von den Hunnen zu den Römern überginge. Dies lehnt jener mit seiner Diensttreue ab: nun führt das weitere Gespräch auf Edecos Stellung zu Attila, bei dem er von Zeit zu Zeit den persönlichen Wachdienst habe, worauf ihn Chrysaphius zu einer geheimen Zusammenkunft einladet, was ersterer annimmt. Bei dieser schwören sich beide zuvörderst unverbrüchliches Schweigen über die Verhandlung, in welcher der Eunuch dem Edeco für Attilas Tötung die reichste Belohnung verspricht, worauf dieser eingeht, für jetzt nur fünfzig Pfund Goldes zu Dingung der Mörder verlangend. Doch könne er auch diese Summe nicht sogleich mitnehmen, weil dies vor dem übrigen Gesandtschaftspersonal, daher auch vor Attila, der den eigenen Geschenken stets sorgfältig nachforsche, nicht verborgen bleiben dürfte; er werde ihn aber durch den mitanwesenden Bigila, wenn dieser mit der Gegengesandtschaft bei ihnen anlange, über die Bezugsweise des Goldes in Kenntnis setzen.

Nachdem der Kaiser selbst nun mit Zuziehung des Reichskanzlers (magister officiorum) Martial diese Verabredung genehmigt hatte, wurde beschlossen, Maximin, welcher edelsten Geschlechts und Theodosius II. nahe befreundet war, auch schon hohe Ämter, wenngleich noch nicht das Konsulat, bekleidet hatte, mit Bigila an Attila abzusenden, ohne ihn jedoch, weil sie dessen anerkannte Rechtlichkeit scheuen mochten, von der Verschwörung in Kenntnis zu setzen. (Prise, a. a. O., p. 146–150.)

Hierauf folgt nun an einer andern Stelle der ungeschickt zusammengestellten Fragmente des Priscus (in der zweiten Sammlung unter 3, p. 169–212) der merkwürdige, ausführliche Bericht über Maximins Gesandtschaft, bei welcher er von diesem ihm befreundeten Gönner als Begleiter mitgenommen ward.

Der Gesandte sollte siebzehn Überläufer ausliefern, weil deren mehr nicht vorhanden seien, mündlich aber das dem Herkommen widerstreitende Verlangen, nur Abgeordnete konsularischen Ranges zu schicken, ablehnen. Es ist erklärlich, daß der alte Stolz des wenn auch noch so sehr herabgekommenen Kaiserhofes an solcher Kleinigkeit hing, desto merkwürdiger aber der Wert, den Attilas Eitelkeit darauf legte – : Beweis in der Tat, wie sehr die Idee römischer Größe und Würde der Barbarenwelt damals immer noch imponierte.

Nach dreizehn Tagen kam die römische Gesandtschaft in Begleitung der zurückkehrenden hunnischen in dem zerstörten Sardica an, wo Maximin letztere zum Male einlud. Bei diesem erhitzten sich die Gemüter durch einen Streit über ihre beiderseitigen Herrscher, in welchem Bigila ausrief: »man könne doch Attila, den Menschen, nicht mit dem Gotte Theodosius vergleichen.« Das erbitterte die Hunnen, die man nur mit Mühe wieder zu besänftigen vermochte. Nach der Tafel beschenkte Maximin den Edeco und Orestes mit seidenen Gewändern und Edelsteinen, worüber letzterer nach des erstern Entfernung große Freude, zugleich aber auch herben Tadel früherer Vorgänge aussprach, bei denen Edeco allein in solchem Maße geehrt worden sei. Als dies Bigila erfuhr, tadelte er Orestes, der sich Edeco auf keine Weise gleichstellen dürfe, und bemerkte später, daß letzterer über die ihm mitgeteilte Anmaßung seines Kollegen höchst erzürnt und nur schwer wieder zu beruhigen gewesen sei.

Unfern des ebenfalls in Trümmern liegenden Naissus stieß man auf ein Schlachtfeld am Margus, dessen Ufer auf beiden Seiten mit Knochen bedeckt waren, eine Tagereise hinter dieser Stätte aber auf den römischen Grenzbefehlshaber Agintheus, von dem man zu Erfüllung der siebzehn noch fünf Überläufer empfing. Die römische Linie scheint hiernach etwa zwanzig Meilen von der Donau entfernt gewesen zu sein.

An diesem Strom, über den die Gesandtschaft in ausgehöhlten Baumstämmen gesetzt ward, fand dieselbe die Vorrichtung des Stromübergangs für ein ganzes Heer, dem sie auch jenseits begegnete, welches Attila vorgeblich zu einer großen Jagd, in Wahrheit aber wohl zum Kriege gegen die Römer daselbst zusammengezogen hatte.

Etwa zwei Meilen jenseits der Donau stand Attilas Lager, vor welchem Maximin Halt zu machen genötigt war. Hier trafen bald, vom Könige gesandt, Edeco und Orestes nebst Scotta und anderen Großen mit dem Verlangen ein, ihnen die Zwecke der Mission vollständig mitzuteilen, was jedoch, da sie an den Souverän selbst gerichtet sei, nach völkerrechtlichem Brauche verweigert ward. Bald aber kehrten dieselben, wiewohl ohne Edeco, zurück, gaben dem Römer den ihnen auf andre Weise bekannt gewordenen Inhalt seiner Botschaft genau an, und überbrachten ihm den Befehl, sofort wieder abzureisen, falls er nicht anderes noch auszurichten habe.

Der als Mitverschworener vollständig unterrichtete Edeco hatte nämlich Attila alles verraten, sei es nun, daß sein Eingehen auf den Mordplan gleich anfangs ein erheucheltes gewesen oder daß der bei jenem Vorfalle in Sardica ihm offenbar gewordene Neid des Orestes den Verdacht in ihm hervorgerufen, dieser werde dem Herrn jene ihm nicht unbekannt gebliebene geheime Zusammenkunft mit Chrysaphius anzeigen.

Bigila, der auf Attilas ihm früher bewiesenes Wohlwollen eitel war, riet zu lügenhaftem Vorgeben weiterer Aufträge, was aber Maximin verwarf, der abzureisen beschloß.

Am andern Morgen gelang es jedoch Priscus mit Zuziehung eines andern Dolmetschers, den Scotta, Bruder des damals abwesenden Onegesius, Attilas ersten Ministers, zu sprechen und ihn durch den Vorteil, den der Empfang der Gesandtschaft auch für dessen Bruder haben werde, für Verwendung bei dem Könige zu gewinnen, welcher nun wirklich auch die gewünschte Audienz gewährte.

Der Gesandte richtete dem Herrscher, der auf einem höheren Stuhle saß, bei Überreichung des kaiserlichen Schreibens die gewohnten Grüße und Glückwünsche aus; dieser erwiderte: »Auch den Römern geschehe, wie sie mir es wünschen« und wandte sich sogleich mit den Worten zu Bigila: »Wie er, unverschämte Bestie, der doch aller frühern Verhandlungen kundig sei, es wagen könne, ohne Mitführung aller Überläufer zu ihm zurückzukehren?«

Auf die Erwiderung, daß deren mehr nicht vorhanden wären, ward der König immer zorniger und rief unter den heftigsten Schmähungen aus: er würde ihn sofort als Rabenspeise an das Kreuz schlagen lassen, wenn nicht das Völkerrecht ihn zurückhielte. Darauf ließ er die Liste der noch bei den Römern befindlichen Überläufer vorlesen, dem Maximin aber befahl er, so lange zu verziehen, bis die Antwort auf das kaiserliche Schreiben fertig sei.

Man ersieht hieraus, wie Attila gegen den Unschuldigen mild, gegen den Teilhaber am Verrat aber erbittert war.

Bigila ahnte Edecos Geständnis nicht, hielt dies sogar für undenkbar, mochte aber auch des Königs unerklärlichen Zorn der Mitteilung jenes Streits über die beiden Herrscher in Sardica nicht beimessen, weil keiner von den Teilnehmern daran, außer Edeco, aus Ehrfurcht oder Scheu Attila anzureden wage. In jener Meinung ward er noch mehr dadurch bestärkt, daß Edeco bald darauf über die Herbeischaffung der fünfzig Pfund Goldes sich mit ihm benahm.

Mit obiger Entdeckung aber hing es, wie wir bald sehen werden, zusammen, daß der König der Gesandtschaft auf das Strengste verbot, irgend etwas, außer den unentbehrlichsten Lebensmitteln, namentlich römische Gefangene, von seinen Untertanen zu erkaufen.

Um diese Zeit kehrte auch Onegesius zurück, der mit Attilas ältestem Sohne Ellak zu den Akatziren gesandt worden war. Ob diese die schon von Herodot genannten sarmatischen Agathyrsen oder ein erst nach den Hunnen zugewandertes Volk der Altai-Race waren, ist nicht zu ermitteln (s. Zeuß, S. 713 und 714); gewiß nur, daß sie den Hunnen nicht unterworfen waren, ihre Freundschaft daher von Theodosius eifrigst gesucht wurde. Die Gesandten desselben hatten jedoch das Ungeschick gehabt, den Kuridachus, einen der Häuptlinge der Akatziren, bei Verteilung der Geschenke zurückzusetzen, worauf der Beleidigte Attilas Hilfe gegen die Bevorzugten anrief. Sogleich entsandte dieser ein Heer, welches sämtliche Fürsten teils tötete, teils deren Gesamtgebiet unterjochte. Kuridachus ward geschont, jedoch zur Siegesfeier berufen, lehnte dies aber mit der klugen Erwiderung ab: ein Sterblicher könne so wenig in die Sonne blicken, als vor dem höchsten der Götter erscheinen. In das eroberte Land war nun jetzt Onegesius mit Ellak gesandt worden, um letztern als Herrscher einzusetzen, wobei jedoch der Prinz das Unglück gehabt hatte, durch einen Sturz die rechte Hand zu brechen.

Unmittelbar darauf ward Bigila mit Essla, dem hunnischen Gesandten, nach Konstantinopel zurückgeschickt, angeblich wegen der Überläufer, in der Tat aber um den bedungenen Mordlohn zu holen.

Am folgenden Tage brach Attila nach dem Norden auf, indem er sich unterwegs zu seinen vielen Gemahlinnen noch eine neue, namens Esca, beilegte.

Die Gesandtschaft folgte auf anderm Wege, wobei sie mehrere schiffbare Flüsse Nach Priscus, S. 183, Dreco, Tigas und Tiphesis, nach Jordanis, c. 34, der freilich aus diesem schöpfte, Dricca, Tisia und Tibisia. Die beiden letzten können verschiedene Arme der Theiß gewesen sein, ersterer wahrscheinlich die Temes. zu passieren hatte.

Zur Nahrung ward derselben Hirse und als Getränk Met oder ein aus Gerste bereitetes, Camus (der Kumis der Tataren), geliefert, überall aber gastliche Aufnahme freundlichst gewährt. In einem Dorfe, dessen Herrin eine von Bledas Witwen war, übersandte diese nicht nur Speisen, sondern auch – ein eigentümlicher Brauch hunnischer Hospitalität – schöne Frauen, welche man jedoch unberührt ließ.

Nach sieben Tagen mußte Maximin bei einem Orte Halt machen, weil Attila diesen vorher zu passieren hatte.

Hier traf er eine weströmische Gesandtschaft, den Comes Romulus, den Präfect Noricums Beweis, daß Noricum damals weströmisch war. Primutus und den General Romanus, bei denen sich hunnischer Seite Attilas (ihm früher durch Aëtius empfohlener) Geheimschreiber Constantius und Orests Vater Tatullus befanden, welcher letztere dem Romulus als seines Sohnes Schwiegervater nahe befreundet war.

Jene führte ein eigentümlicher Handel herbei. Bei Sirmiums Belagerung durch die Hunnen im Jahre 441/2 (was also denselben im Jahre 433 nicht abgetreten worden sein kann) hatte der Bischof dem Constantius, einem frühern, ebenfalls durch Aëtius empfohlenen, Geheimschreiber gleichen Namens goldne Kirchengefäße mit dem Auftrag übergeben, ihn oder nach seinem Tod andere Gefangene durch deren Erlös loszukaufen. Nach Sirmiums Einnahme aber, bei der der Bischof umgekommen sein mag, achtete Constantius dies nicht, verpfändete vielmehr in eignem Interesse jene Gefäße an einen Silvanus in Rom, ward aber bald darauf von Attila und Bleda, also spätestens im Jahre 445, wegen Verdachts gekreuzigt. Später nun verlangte Attila, der von obigem Vorfall Kunde erhalten haben mochte, die Auslieferung Silvans, der sich seines Eigentums bemächtigt habe. Diese sollte nun Romulus, weil jener in gutem Glauben gehandelt, ablehnen und, weil die heiligen Gefäße selbst zum Profangebrauche nicht ausgeliefert werden dürften, nur die Zahlung des Goldwerts dafür anbieten. (Priscus bis p. 187.)

Bald darauf folgte die Gesandtschaft dem Attila nach einem großen Dorfe (κώμη), welches dessen Residenz bildete und sich nur durch den Mangel an Mauern von einer Stadt (πόλις) unterschied. Die Entfernung vom letzten Ruhepunkt ist nicht angegeben: wir erfahren aber, daß die Residenz in einer stein- und baumlosen Steppe lag (p. 188, Z. 2) und zwar, wie der Reisebericht ergibt, zwischen Donau und Theiss, wahrscheinlich also in dem Jazygenbezirk in der Richtung von Pest nach Debreczin.

Der »Palast« des Königs, auf einer Erhebung gelegen, überragte den ganzen Ort und zog schon von weitem durch seine Türme die Blicke auf sich.

Mit jenem Namen bezeichnete man einen weiten, umfriedigten Raum, der mehrere Häuser, wie die des Königs, so seiner Lieblingsgemahlin Cerca (die Helke der Sage D.), einiger seiner Söhne und wahrscheinlich auch die Wohnungen seiner Leibwachen in sich faßte; die Umfriedigung war, ebenso wie die innern Gebäude, von Holz. Das allem Anschein nach im Mittelpunkt gelegene und von Türmen flankierte Haus Attilas war mit großen Planken bekleidet, die bewundernswürdig schön poliert und so genau an einander gefügt waren, daß sie nur ein einziges Stück zu bilden schienen. Die Wand bestand unstreitig nach Art des jetzt noch üblichen Holzbaues aus zusammengefügten Stämmen, die nur von außen und innen mit Bohlen belegt waren. Das der Königin war von leichterer, aber mehr verzierter Bauart, hatte erhabene Muster und Bildnerarbeiten, die nicht ohne Anmut waren. Dessen Dach ruhte auf viereckigen, sorgsam behauenen Pfeilern, die durch eine Reihe zierlicher Kreisbögen von Holz verbunden waren.

Das Haus des Onegesius stand in einiger Entfernung vom Palast, ebenfalls mit einer Umfriedigung eingeschlossen und dem des Königs ähnlich, nur viel einfacher.

Neben diesem hatte der Minister mit großen Kosten ein römisches Badehaus aus Stein durch einen gefangenen römischen Baumeister aufführen lassen, wozu das Material weit hergeschafft worden war.

Onegesius war sonder Zweifel Römer oder Grieche, bei den Hunnen jedoch erzogen und eingebürgert, auch mit einer Barbarin verheiratet (p. 196, Z. 3 von unten).

Attilas Einzug war höchst feierlich. Die Frauen des Orts bildeten durch weit und hoch (unstreitig an Stangen) aufgespannte weiße, feine Linnentücher einen Bogengang, in welchem Mädchen, je sieben und mehr im Gliede, unter vaterländischen Gesängen dem Könige vorauszogen.

Er hielt sein Roß vor des Onegesius Hause an: des Ministers Gemahlin trat mit zahlreicher Dienerschaft hervor und bot ihm mit ehrfurchtvollster Begrüßung Speisen und Wein auf einer silbernen Tafel an. Letztere wurde von den Begleitern zu ihm erhoben: er nahm davon mit ehrender Auszeichnung: darauf begab er sich in den Palast.

Die Gesandtschaft speiste bei derselben Vornehmen als Wirtin, während der eben mit Ellak zurückgekehrte Onegesius für seine Person zur Berichtserstattung bei Attila verweilte.

Am Abend schlug sie ihr Zelt an dem in der Nähe des Palasts ihr angewiesenen Orte auf.

Tags darauf sollte Priscus dem Minister die ihm bestimmten Geschenke überreichen, mußte aber vor dem verschlossenen Hause lange warten, wo ihn ein wohlgekleideter Mann, scheinbar Hunne, mit dem griechischen: »χαι̃ρε!« begrüßte, was ihm um so mehr auffiel, da im Lande sonst nur hunnisch oder gotisch, von nicht wenigen aber auch lateinisch gesprochen wurde. Der Mann war, wie sich ergab, ein reicher Kaufmann aus Viminatium, der des Onegesius Sklave geworden, durch tapfere Kriegstaten aber die Freiheit erworben und eine Barbarin geheiratet hatte, mit der er nun, als des Onegesius Klient, ein zufriedeneres Leben als früher führte.

Dabei ergoß er sich in das Lob des patriarchalischen hunnischen Regiments unter dem man völlig unbelästigt der größten Ruhe genieße, während man im römischen Reiche, fortwährenden Bedrückungen ausgesetzt, das Recht erkaufen müsse. Priscus stritt tapfer für sein Vaterland und der Gegner mußte endlich zugestehen, daß die römische Staatsverfassung, an sich weit vollkommener, nur durch die Verderbnis der Beamten (worin er freilich Recht hatte) schlecht geworden sei.

Nachdem Onegesius hierauf seine reichen Geschenke empfangen, begab er sich zu Maximin. Dieser stellte ihm sogleich eine weit glänzendere Belohnung in Aussicht, wenn er als Gesandter seines Herrn zum Kaiser alle Irrungen zwischen beiden Reichen zum Austrag bringe. Onegesius erwiderte, daß er doch immer nur Attilas Befehle überbringen werde und fragte, ob sie ihn des Verrats seines Herrn fähig hielten und darüber zweifeln könnten, daß er den Dienst Attilas allen Schätzen Roms vorziehe? Auch werde er Rom durch versöhnende Beratung Attilas weit mehr nützen können, als durch persönliche, so leicht Mißtrauen weckende, Verhandlung mit dem Kaiser.

Am nächsten Tage fand die Audienz bei Attilas vornehmster Gemahlin, die in einem mit Teppichen belegten Saale, von Dienern auf der einen und stickenden Frauen auf der andern Seite umgeben, auf einem Ruhebette liegend die überreichten Geschenke empfing.

Nach der Entlassung sah der alles sorgfältig beobachtende Priscus, da Maximin seiner Würde halber sich stets zurückziehen mußte, noch eine Gerichtssitzung Attilas mit an. Vor dem Palaste hatte sich eine große Menge Volkes lärmend versammelt, zu der der König, von Onegesius begleitet, stolz heraustrat: er hörte die streitenden Parteien an und gab jedem seinen Spruch, hier und da wahrscheinlich kaum ohne Willkür; aber welch' ein Unterschied zwischen diesem und dem schleppenden, kostspieligen römischen Rechtsgange! Darauf zog sich der Herrscher zu einer Audienz barbarischer Gesandter in seine Gemächer zurück. (Priscus bis p. 198.)

Hier folgt nun bei unserm Berichterstatter eine Unterredung desselben mit den weströmischen Gesandten, die durch ihres Hauptes Romulus genaue Kenntnis der hunnischen Verhältnisse wichtig ist. Klagend, daß der König auf Silvans Auslieferung beharre, fügte er hinzu: Glück und Macht hätten Attila so aufgebläht, daß kein Vernunftgrund gegen seine Willkür etwas vermöge. In der Tat aber habe auch kein Herrscher Skythiens oder irgend eines andern Landes binnen so kurzer Zeit so Großes vollbracht. Ganz Skythien bis zu den Inseln der Ostsee habe er sich unterworfen und fordere nun auch von den Römern Tribut, ja denke selbst an Persiens Eroberung [wobei Romulus eines frühern Einfalls in dieses Land unter dem Befehle der königlichen Skythen Bazicus und Cursicus gedachte, welche später (vielleicht im Jahre 433 unter Aëtius) mit vielem Volk in römischen Sold getreten seien]. Da man jenes Vorhaben gegen Persien als Abzugsmittel erwünscht fand, erwiderte Constantiolus aus Pannonien, nach Besiegung der Perser werde Attila nicht mehr als Verbündeter, sondern nur noch als Gebieter zurückkehren. Jetzt nehme er noch unter dem Titel eines römischen Heerführers Gehalt vom Kaiser an Dies nicht zu bezweifelnde Anführen scheint mit der oft bemerkten Tributzahlung, welche Attila sogar ausdrücklich für ein Zeichen der Dienstbarkeit erklärte (s. w. u.), nicht vereinbar zu sein. Wir können aber nicht zweifeln, daß der dem Geldgewinn unter jeder Form so eifrig nachtrachtende Attila noch neben dem Tribute, der zum Teil auch den königlichen Skythen zufloß, einen persönlichen Gehalt vom Kaiser bezog, und zwar, weil der Erzähler der Gesandte Westroms war, gewiß auch von diesem Reiche., obwohl er in Augenblicken des Unwillens die römischen Generale bereits Sklaven nenne und die Seinigen deren Herrschern gleichachte. (Priscus, p. 201.)

Nachdem Maximin noch von Onegesius erfahren, daß der König keine anderen Gesandten, als Anatolius, Nomus oder einen Senator annehmen und die Verweigerung dieses Verlangens für Kriegserklärung ansehen werde, empfing derselbe nebst Priscus eine Einladung zur königlichen Tafel um drei Uhr.

Der Saal, in welchem diese abgehalten wurde, bildete ein großes längliches Gemach, worin Sessel und kleine Tische für je vier bis fünf Personen aufgestellt waren. In der Mitte erhob sich eine Estrade, welche Attilas Tisch und Ruhesitz trug, auf dem derselbe schon Platz genommen hatte; ein wenig weiter rückwärts befand sich ein zweites Ruhebett, das, wie das erstere, mit weißen Linnen und bunten Decken geschmückt war und den in Griechenland und Rom bei Hochzeiten gebräuchlichen glich. Im Augenblick, wo die Gesandten eintraten, reichten ihnen die Mundschenken, die an der Türschwelle standen, Becher voll Wein, aus denen sie, den König begrüßend, trinken mußten. Der Ehrenplatz, der rechts von der Estrade angebracht war, wurde von Onegesius eingenommen, dem zwei von des Königs Söhnen gegenüber saßen; den Gesandten wies man die Tafel links, die zweite im Range an; hier saß ein edler »Hunne«, (?) Namens Berich (ein gotischer Name D.), obenan. Ellek, der älteste von Attilas Söhnen, nahm auf dem Lager seines Vaters, aber viel weiter unten, Platz, wo er mit niedergeschlagenen Augen in respektvoller Haltung blieb. Nachdem sich alle niedergelassen, überreichte der Mundschenk dem Attila einen Becher voll Wein, welchen dieser austrank, indem er einen Ehrengast begrüßte, der sich sofort erhob, aus den Händen des hinter ihm stehenden Schenken eine Schale empfing und mit dieser die Gesundheit des Königs erwiderte. Hierauf kam die Reihe an die Gesandten, welche in gleicher Weise, den Becher in der Hand, das Wohl des Monarchen ausbrachten. So wurden alle Gäste, hinter deren jedem ein Schenke stand, einer nach dem andern ihrem Range gemäß begrüßt und erwiderten dies in gleicher Weise. Darauf ward für Attila zuerst eine Schüssel voll Fleisch sowie Brot und Zukost aufgetragen. Dessen Schüssel und Becher waren von Holz, während man für die Gäste Brot und Speisen aller Art auf silbernen Schüsseln auftrug: auch deren Trinkschalen waren von Silber oder Gold. Die Gäste nahmen nach Belieben aus den vor ihnen stehenden Schüsseln. Nach Beendigung des ersten Ganges kamen die Schenken wieder und die Begrüßungen erneuerten sich mit derselben Etikette wie vorher. Der zweite Gang war eben so reichlich wie der erste, bestand aber aus anderen Gerichten, bei welchen die Gäste ihre Becher wiederum aufstehend auf obgedachte Weise leerten. Gegen Abend, als die Fackeln bereits angezündet waren, traten zwei Dichter ein, die in hunnischer Sprache vor Attila selbstgefertigte Verse sangen, in denen seine kriegerischen Tugenden und Siege gefeiert wurden. Ihre Gesänge riefen bei der hunnischen Zuhörerschaft einen gewaltigen Eindruck hervor; die Augen leuchteten; viele weinten – Tränen freudigen Verlangens bei den jungen Leuten, Tränen des Schmerzes bei den Greisen. Diese Tränen des Hunnenreiches wurden hierauf von einem Possenreißer abgelöst, dessen Grimassen und Albernheiten allgemeines Gelächter erregten.

Hierauf trat der Mohr Zerco ein, ein buckliger, mißgestalteter Zwerg, der seit zwanzig Jahren in der Welt herumzog. Einst Bledas Günstling war er diesem entlaufen, hatte aber, zurückgebracht, denselben durch den Entschuldigungsgrund, es sei dies nur geschehen, weil man ihm keine Frau gegeben, wieder versöhnt und eine solche in der Person einer wegen groben Vergehens in Ungnade gefallenen, edelgebornen Dienerin der Königin wirklich erhalten. (Priscus, p. 225.) Nach Bledas Tode schenkte ihn Attila dem Aëtius, der ihn seinem ersten Herrn, Aspar in Konstantinopel, zurückgab, von wo ihn Edeco jetzt wieder mitgebracht hatte.

Dessen Erscheinung, Possen und lateinisch-hunnisch-gotisches Kauderwelsch erregten lautes Gelächter.

Während dieser Schauspiele war Attila unausgesetzt unbeweglich und ernst geblieben, ohne daß irgend eine Gebärde, irgend ein Wort die geringste Teilnahme in ihm verraten hätte; nur als sein jüngster Sohn Ernack eintrat und sich ihm näherte, glänzte ein Blitz von Zärtlichkeit aus seinen Blicken; er zog das Kind näher an sich und streichelte ihm sanft die Wange.

Überrascht von dieser plötzlichen Veränderung in Attilas Gesichtszügen, wendete sich Priscus zu einem seiner barbarischen Nachbarn, der ein wenig Lateinisch sprach und flüsterte ihm die Frage ins Ohr, aus welchem Grunde dieser Mann, der gegen seine übrigen Kinder so kalt sei, sich gegen dieses so liebreich zeige. – »Ich will es Euch gern erklären, wenn Ihr darüber schweigen wollt«, antwortete der Barbar. »Die Wahrsager haben dem Könige prophezeit, daß sein Geschlecht in den übrigen Kindern aussterben, in Ernack aber fortleben werde; dies ist der Grund seiner Zärtlichkeit; er liebt in diesem jungen Kinde die einzige Quelle seiner Nachkommenschaft.«

Tief in der Nacht zogen sich die Römer zurück.

Am nächsten Tag erlangte Maximin noch die Freigebung einer seit sechs bis sieben Jahren gefangenen vornehmen Römerin, Sullas Gemahlin, für 500 Pfund Goldes von Attila, wobei dieser deren Söhne sogar dem Kaiser zum Geschenke machte. Hierauf speiste die Gesandtschaft bei Reka, einer andern Gemahlin des Königs, welche dessen Haushalte vorstand.

Am folgenden Tage wurden sie wieder zur königlichen Tafel geladen, bei welcher unter übrigens gleicher Etikette, statt des Sohnes, Oebarsius, der Oheim des Herrschers, den Platz neben ihm hatte. Diesmal war Attila freundlich, drang aber sehr in Maximin, den Kaiser dahin zu bringen, daß er das seinem Geheimschreiber Constantius erteilte Versprechen, diesem eine reiche Römerin zur Frau zu geben, erfülle, da es einem Souverän nicht anstehe, zum Lügner zu werden. Dies betrieb derselbe so eifrig, weil ihm Constantius eine große Summe Goldes dafür versprochen hatte.

Drei Tage darauf ward die Gesandtschaft beschenkt und entlassen. Mit ihr reiste, als Gegengesandter Attilas zu Theodosius, der vorstehend genannte Berich, der als Grundherr vieler Dörfer bezeichnet wird.

Während der Reise, auf der man die Kreuzigung eines angeblichen Spions und zweier Knechte, die ihre Herren getötet hatten, mit ansah, war Berich zuerst freundlich, ward aber wegen eines Streites zwischen dem beiderseitigen Gefolge so erbittert, daß er Maximin das ihm geschenkte Pferd wieder abnahm und erst in Adrianopel scheinbar wieder besänftigt werden konnte, noch in Konstantinopel aber den Römer verleumdete.

Inzwischen war Bigila, welchem die Gesandtschaft zwischen den letztgedachten Städten begegnete, an Attilas Hoflager zurückgekehrt, ward aber daselbst sogleich angehalten und das Gold, welches er mit sich führte, ihm abgenommen. Vor Attila geführt und befragt, wozu er eine so große Summe mitgebracht habe, suchte er sich durch Ausflüchte zu helfen, deren Nichtigkeit der König unter harter Schmähung ihm bewies, indem er namentlich hervorhob, daß er ja den Loskauf Gefangener, welchen jener als Zweck angeführt hatte, verboten habe. Nach diesen Worten befahl er, Bigilas Sohn, den dieser als Privatbegleiter mit sich hatte, auf der Stelle zu töten, wenn der Vater nicht sofort ein offenes Geständnis ablege. Das wirkte; der Unglückliche bat unter Tränen, diesen Unschuldigen zu schonen und ihm selbst den Todesstreich zu geben, indem er nun die ganze Verschwörung bekannte. Attila, durch Edeco von allem unterrichtet, erkannte die Wahrheit und erklärte, Bigila gegen Zahlung anderweiter 50 Pfund Goldes aus dem Kerker, in den er geworfen ward, entlassen zu wollen, indem er dessen Sohn, zu Beschaffung dieser Summe, zurückreisen ließ.

Seinerseits sandte nun der König Essla und Orestes nach Konstantinopel ab. (Priscus, p. 211.)

Diese hatten folgende Instruktion (Priscus, p. 150 Fragment 6 der ersten Sammlung, welches Fragment 3 der zweiten sich anschließt. Die Zerreißung dieser zusammengehörigen Bruchstücke wird auch dadurch unsres Bedenkens nicht gerechtfertigt, daß ersteres der byzantinischen, letzteres der gotischen Geschichte entlehnt sein soll.); Orestes solle mit dem um den Hals gehängten Beutel, in welchem Bigila die für Edeco bestimmten 100 Man sieht nicht ein, woher statt der früher erwähnten fünfzig hier auf einmal von hundert Pfund die Rede ist. Die Auszüge sind aus verschiedenen Werken, von denen das Spätere möglicherweise das Frühere berichtigt haben kann. Am wahrscheinlichsten erscheint es aber, daß Bigila statt der bedungenen fünfzig Pfund zu mehrerer Sicherheit das Doppelte mitgegeben worden war. Pfund Goldes überbracht hatte, vor den Kaiser treten und Chrysaphius fragen, ob er diese Börse anerkenne; Essla aber solle in seines Herrn Namen erklären: »Theodosius und Attila beide seien Söhne edler Väter: er aber sei des Seinigen würdig geblieben, Theodosius hingegen habe den ererbten Adel dadurch verloren, daß er durch Tributzahlung ihm dienstbar geworden sei. Nicht recht aber handle derjenige, welcher dem Bessern, den ihm das Schicksal zum Herrn gegeben, als untreuer Diener hinterlistig nachstelle. Daher werde er nicht aufhören, Theodosius des Verrats anzuklagen, wenn er ihm nicht den Eunuch zur Bestrafung ausliefere.«

Diese Sprache mußte der Kaiser anhören, doppelt geängstigt dadurch, daß zu gleicher Zeit auch der fast allmächtige Zeno an der Spitze des Speeres die Ausantwortung des Günstlings verlangte.

Der verschmitzte Eunuch aber wußte sich gegen seinen gefährlichsten Feind dadurch zu helfen, daß nun die Vornehmsten des Reichs, die Patrizier und Magistri militum, Anatolius und Nomus, mit ungeheuern Summen Goldes und dem Versprechen, auch des Constantius Verlangen zu erfüllen, zu Attilas Besänftigung abgesandt wurden.

Dieser ging ihnen mit nun befriedigter Eitelkeit achtungsvoll bis an den Drenco in der Nähe der Donau entgegen.

Zuerst hochfahrend, ward er durch das große Geldgeschenk bald umgestimmt, erklärte sich bereit, den früher bedungenen Frieden zu halten, den Anspruch auf den Landstrich südlich der Donau ganz fallen zu lassen, ja den Kaiser selbst wegen der Überläufer nicht weiter zu belästigen, wenn nur die Römer deren in Zukunft nicht mehr aufnähmen.

Bigila ward für die verlangten fünfzig Pfund Goldes, welche dessen Sohn mitbrachte, entlassen, während andrerseits nun auch Constantius die versprochene Frau in der Person einer jungen, reichen und vornehmen Witwe empfing. (Priscus bis p. 215.)

Reichlich beschenkt mit Pferden und kostbarem Pelzwerk, womit die königlichen Skythen sich zu schmücken pflegten, wurden die Gesandten entlassen.

Dies muß zu Ende des Jahres 449 oder Anfang 450 geschehen sein.

Unmittelbar nachher (wenn Fr. 6 des Priscus, p. 215 nicht einer viel frühern Zeit angehört und nur aus Versehen hierher gesetzt worden ist) forderte Attila unter Kriegsdrohung die in Rückstand gebliebene Tributzahlung, worauf Apollonius zu ihm gesandt wurde. Da dieser aber das Geld nicht mitbrachte, nahm ihn der König nicht an, befahl ihm jedoch bei Todesstrafe, die kaiserlichen Geschenke abzuliefern, worauf der Gesandte würdig erwiderte: »Du kannst sie entweder durch meinen Empfang erhalten oder mit Gewalt nehmen; freiwillig aber gebe ich sie auf dein Verlangen nicht.« Darauf ließ ihn Attila unverrichteter Sache, aber unangefochten zurückkehren.

Wir unterbrechen hier den Geschichtslauf durch einen Rückblick auf das innere Volks- und Staatsleben der Hunnen.

Da finden wir denn: Festhalten an dem alten Nomadentum in vielen Beziehungen, überwiegendes Reiterleben, Haß gegen Städte, die Steppe ihr Element: anderseits aber auch schon Fortschritt zur Seßhaftigkeit, Empfänglichkeit für Zivilisation, Geschick und Sinn für völkerrechtliche Verbindungen.

Zu Roß wird diplomatisch verhandelt, zu Roß genießt der König von einem Ehrenmale; nicht in einer der zahlreichen Städte des alten Dakiens oder in anmutigen Vorbergen Ungarns, in der Steppe schlägt Attila seine Residenz auf, die zwar nicht mehr ein Zeltlager, aber doch nur aus Holz erbaut ist: nicht ohne Zier, aber ohne Befestigung.

Auf den ersten Blick scheint Priscus sogar die angebliche Verwandlung ganz Dakiens in eine Wüste (der wir widersprachen) dadurch zu unterstützen, daß er dies von dem Landstriche südlich der Donau ausdrücklich anführt und nördlich derselben mindestens keiner Stadt außer der Festung Constantia an jenem Flusse (p. 223) gedenkt.

Aber in Wirklichkeit war nur der Grenzstreif zwischen Hunnenland und dem römischen Gebiet mit seinen festen Plätzen aus Militärraison wüste gelegt und von den Hunnen gar nicht in Besitz genommen worden, wovon sich keine Spur findet; höchstens ward er vorübergehend als Hutweide benutzt: Priscus hat auf seiner Reise nicht das alte Dakien, nur das Jazygenland betreten, das sicherlich immer ohne Städte war.

Übergang zur Seßhaftigkeit finden wir nicht nur in Attilas Residenz selbst, sondern auch in der mehrfach erwähnten Grundherrlichkeit über unterworfene Orte, deren Insassen gewiß weder Hunnen noch Germanen, sondern die alten jazygischen oder römischen Bewohner waren.

Luxus, wenn auch nicht um Attilas Person, und Hofetikette beweisen den Fortschritt zur Kultur. Die höhere Bildung der Römer wird anerkannt und geschätzt; aus ihnen wählt der König nicht nur seine Arbeitsgehilfen, auch seinen ersten Minister; die Sprache derselben ist in das Volk eingedrungen. Auch die Germanen hat der König offenbar für gebildeter und brauchbarer als seine Hunnen angesehen. Daß der innige Verkehr mit jenen überhaupt einen mildernden Einfluß auf das Steppenvolk ausgeübt habe, ist nicht zu bezweifeln. Köpke, S. 137, nimmt (mit Recht D.) an, bereits vor dem Einbrüche der Hunnen sei an den Grenzen vielleicht eine Mischung der Goten mit denselben eingetreten. Schon in der Zeit vor Attila haben deren Fürsten gotisierende Namen gehabt, wie Balember, Walamir, Mundioch (nach andern aber Mundzuck) und Mundevech; Attila und Bleda selbst aber sind ganz gotisch.

Der damalige Umfang des Hunnenreichs ist unbekannt, daran aber, daß alle »skythischen«, d. h. finnischen und slavischen und auch manche germanische Völker zwischen dem Pontus und der Ostsee ihm unterworfen waren, nach der zuverlässigen Angabe des Romulus (S. 234) ebensowenig zu zweifeln, als daß die Slaven damals mindestens schon bis zur Weichsel nach Westen vorgerückt waren. Aber eine merklich weitere Ausdehnung der Herrschaft Attilas, namentlich über Germanen westlich des gedachten Stromes, können wir nicht annehmen, müssen daher des Jordanis Angabe (Kap. 49 Fortissimarum gentium dominus, qui inaudita ante se potentia solus Scythica et Germanica regna possedit.), »daß er die skythischen und germanischen Reiche besessen«, den vielen gedankenlosen Äußerungen dieses Schriftstellers beizählen, der in den auf den Bericht von Attilas Tod folgenden Worten wahrscheinlich die spätere, nur ganz vorübergehende Unterordnung germanischer Völkerschaften bei dessen Zuge nach Gallien vor Augen gehabt hat.

Vom innern Staatsleben können wir (nach Priscus, p. 167, 168 und 214) nur annehmen, daß allein die Horde oder der Stamm der »königlichen Hunnen« (βασιλείοι Σκύθαι Priscus nennt dieselben bald Skythen, bald Hunnen, was ihm gleichbedeutend ist.) das herrschende Volk bildete, alle übrigen Einwohner aber nur Untertanen waren, wobei jedoch die übrigen Hunnen noch mancher Vorrechte vor den lediglich unterjochten Völkern genossen. Auch die dazu gehörigen Germanen, namentlich die Ostgoten und Gepiden, erfreuten sich, wie wir bald sehen werden, schonender, ja oft ehrender Behandlung. Die obersten Beamten und angesehensten Männer am Hofe wurden anscheinend ohne Unterschied der Geburt Logaden (Große) genannt. (Priscus, p. 173, 174 und 210.)

Der römische Tribut ward nach Priscus, p. 168, nicht dem König allein, sondern den königlichen Hunnen gezahlt, die sich überdem durch besondere Tracht auszeichneten.

Das Regiment war ein durchaus patriarchalisches. Der König selbst sprach, auf die einfachste Weise, unentgeltlich, das Recht; furchtbar die Strafen, deren eine andre als Kreuzigung gar nicht erwähnt wird; unbelästigt aber, größter Freiheit genießend jedweder, der von Verletzung der einfachen Gebote des Herrn und von Frevel sich fern hielt, so daß selbst geborne Römer das Leben unter den Hunnen dem im römischen Staate vorzogen. Auch in den Lasten ein großer Unterschied: dort der Untertan beinah erdrückt, hier der herrschende Stamm sicherlich völlig abgabenfrei, während den übrigen, außer den Kriegs- und sonstigen Diensten, gewiß nur mäßige Entrichtungen, großenteils wohl in Naturalien oblagen, da die beschränkten Bedürfnisse der Geldwirtschaft unstreitig hauptsächlich aus dem römischen Tribute bestritten wurden, der von Konstantinopel allein zuletzt 2100 Pfund Goldes (zwischen 1 800 000 und 2 100 000 Mark) jährlich betrug. Wahrscheinlich war auch Westrom, dem der Hunnenkönig ein starkes Hilfsheer zuführte, davon nicht frei. (Haage nimmt zwar (S. 19) aus guten Gründen an, daß dies Reich keinen eigentlichen Tribut, sondern nur einen persönlichen Gehalt an Attila zu zahlen hatte. Dies schließt aber eine Entrichtung für das Hilfsheer, das vom Jahre 433 bis mindestens 439 den Römern diente, nicht aus.) Rechnet man hier zu die auf einmal gezahlte nachträgliche Kriegssteuer, die im Jahre 466/7 allein nahe sechs Millionen betrug, die Spendungen des reichen Gaiserich und vor allem den Erlös aus der namenlosen Plünderung und Beute, wovon dem Könige gewiß ein großer Teil zufiel, so kann es Attila wahrlich an Geld nicht gefehlt haben.

Wir können nicht zweifeln, daß die ursprüngliche Staats- und Volksverfassung der Hunnen, Avaren, Magyaren und anderer asiatischer Einwanderer im Wesentlichen dieselbe war, nur mit dem Unterschiede, daß sie bei den Tataren, die fortwährend in der Steppe sich tummelten, stationär blieb, bei den Hunnen und übrigen aber durch die Übersiedlung in Länder anderer Beschaffenheit und Kultur wie durch die Nachbarschaft Roms und sonstiger christlicher Staaten sehr bald wesentlich modifiziert ward.

Auch jene nur beschränkte Gewalt des Oberhauptes mag bis zu Attila fortbestanden haben und erst durch dessen gewaltige Persönlichkeit, wiewohl unter kluger Schonung der Nationalansichten und Vorurteile, in eine fast ungebundene Despotie umgewandelt worden sein.

Auch Attilas Politik erklären wir aus weiser Auffassung und richtiger Würdigung des Nationalinstinkts. Das weite nordische Flachland seiner dünnen und rohen Bevölkerung fand er zur Unterwerfung trefflich geeignet, das römische Gebiet mit seinen reichen Städten und Kulturschätzen keineswegs. Dahin übersiedeln konnte er sein Volk nicht, ohne dies, wie mit den Vandalen in Afrika geschah, zu entnationalisieren und zu verderben. Eroberung und Verwüstung des europäischen Ostroms bis zur Seeküste, welche ihm bei der Überlegenheit der römischen Marine wohl Schranken gesetzt haben würde, wäre ihm zwar leicht gewesen, dadurch aber hätte er die Kuh, die ihn nähren sollte, mutwillig selbst getötet.

Deshalb sind wir überzeugt, daß Attila die Donau als Grenze zwischen seinem Reich und Rom festhalten wollte, was denn auch durch den letzten Friedensschluß mit Anatolius und Nomus merkwürdig bestätigt wird, durch den er sogar den früher weggenommenen und gewiß nur aus den vorstehend erwähnten militärischen und ökonomischen Rücksichten wüste gelegten Landstrich südlich der Donau wieder herausgab.

Am 20. Juni oder 28. Juli S. Tillemont VI, 2, S. 188, der jedoch nur spätere Quellen anführt, da die Chronisten den Tag nicht angeben. verschied der fromme und gelehrte, aber sehr schwache Theodosius II., welchem sein unwürdiger Günstling Chrysaphius, auf Pulcherias Befehl hingerichtet (Prosper Aquitanus und Marcellin), bald im Tode folgte. Letztere, des Kaisers mehrerwähnte Schwester, die bereits Augusta war, wählte den tapfern und verdienten Krieger Marcian, neunundfünfzig Jahre alt, zum Thronfolger und Gemahl, wobei sie sich jedoch die Bewahrung ihrer bereits einundfünfzigjährigen, daher anscheinend kaum noch gefährdeten Jungfräulichkeit zur Bedingung gemacht haben soll.

Sogleich nach des Theodosius Tode forderte Attila von dessen Nachfolger den bedungenen Tribut. Marcian aber verweigerte diesen mit den Worten: für den friedlichen Nachbar habe er zwar Geschenke, dem Kriegdrohenden aber werde er mit nicht geringerer Streitkraft entgegentreten.

Zu gleicher Zeit auch hatte der König den Beherrscher Westroms, Valentinian III., beschickt, unstreitig auch wegen des noch nicht ausgetragenen Streits über Silvan, besonders aber weil ihm (nach Priscus, p. 51) damals erst Honorias Behandlung bekannt geworden sei, deren Hand er nun mit der Drohung verlangte, er werde ihr, wenn ihm nicht das ganze Reich sogleich abgetreten werde, zu Hilfe eilen.

Valentinian erwiderte: Honoria sei bereits vermählt, könne ihm also nicht verbunden werden; auf das Reich aber habe sie überhaupt keinen Anspruch, weil die Thronfolge in Rom nur Männern zustehe.

Auf diese beiden Gesandtschaften bezieht nun Thierry (Kap. 4 a. Schl., p. 127) eine Stelle des Malalas (Chronogr. XIV, p. 358 d. Bonn. Ausg.), nach welcher Attila beiden Kaisern durch seine Sendboten folgenden gleichen Bescheid zugehen lassen: »Mein Herr und Dein Herr, Attila, befiehlt Dir durch mich, sogleich Deinen Palast für ihn einzurichten.« Dieselbe Nachricht befindet sich auch im Chron. Paschale, aber mit völlig gleichen Worten, also unstreitig aus dem etwas ältern Malalas abgeschrieben.

Dieser letztere sagt nun, zu des Theodosius II. und Valentinians III. Zeit habe »ein gewisser Attila, aus dem Stamme der Gepiden«, ein unermeßliches Heer zugleich wider Rom und Konstantinopel geführt, und dabei den Kaisern obigen Befehl ausrichten lassen. Diese Worte charakterisieren einen Schriftsteller von arger Unwissenheit. Wie aber ein Historiker auf den alleinigen Grund solcher Autorität hin eine Tatsache, deren innere Unglaubhaftigkeit zu beleuchten überflüssig wäre, als von ihm nicht bezweifelt aufstellen kann – haben wir dem eignen Ermessen unsrer Leser anheimzustellen.

Zu jener doppelten Verwickelung Attilas mit beiden Reichen gesellte sich nun auch noch eine dritte.

Gaiserich, dessen reiche Schätze bei letztern stets willigen Eingang fanden, wiegelte ihn gegen den Westgotenkönig Theoderich auf. Schwer hatte der Vandale diesen durch Rücksendung seiner auf das Grausamste verstümmelten Tochter beleidigt, mochte daher dessen Rache im Wege eines Bündnisses mit Rom um so mehr fürchten, da letzteres längst auf Vernichtung des ihm so furchtbaren Herrschers brannte.

Was konnte ihn dagegen sicherer schützen, als wenn Attila beide oder einen dieser Feinde angriffe?

Da schwankte der Hunne zwischen dem Kriege nach Osten und dem nach Westen; den Ausschlag mag Gaiserichs Gold für letzteres Ziel gegeben haben. Haage in der angeführten Schrift, S. 17, läßt Attila schon bei dem Frieden mit Anatolius und Nomus den Krieg gegen Westrom im Auge haben. Dies ist möglich, aber die Ausbeutung des Ostreichs lag ihm an sich militärisch und politisch viel näher und da der Feldzug des Jahres 451 nicht gegen Italien, sondern offenbar gegen die Westgoten in Gallien gerichtet war, so sind wir fortwährend überzeugt, daß Gaiserichs reiche Spende ihn hauptsächlich dazu bestimmt habe. (Siehe aber dagegen Dahn, Könige V, S. 77. Urgeschichte I, S. 369.

Dabei wirkten noch zwei Nebenrücksichten auf den Zug nach Gallien mit.

Der Arzt Eudoxius, ein schlechter, aber gewandter Mann, war, wohl um einer Strafe zu entgehen, zu den Bagauden und von da bereits im Jahre 447 zu den Hunnen entwichen. (Prosper Tiro.) Dieser mag nun Attilas Waffen, unter Verweisung auf die Hilfe der Bagauden, gegen sein Vaterland zu lenken gesucht haben.

Auch war, anscheinend nicht lange zuvor, bei den Franken und zwar wohl bei den ripuarischen, nach dem Tod ihres Königs S. Priscus 1. Sammlung 8, p. 152. An die salischen Franken ist schon ihrem Sitze im äußersten Nordwesten Galliens nach weniger zu denken: auch ersehen wir, daß im Jahre 451 Childerich über sie herrschte und auf römischer Seite mitfocht, also kaum jener blondgelockte Jüngling gewesen sein kann, den Priscus im Rom sah., ein Erbfolgestreit zwischen dessen Söhnen entstanden, in welchem der ältere Attilas, der jüngere des Aëtius Hilfe anrief, der ihn sogar adoptierte. Diesen letztern sah Priscus selbst als Jüngling im Schmucke seiner lang über die Schultern herabfallenden goldnen Locken zu Rom.

Die zweite Hälfte des Jahres 450 mag die militärische und diplomatische Vorbereitung erfüllt haben.

Dahin gehörte vor allem die Unterwerfung oder richtiger die Erzwingung der Bundeshilfe aller zwischen dem obern Pannonien (beziehentlich auf beiden Ufern der Donau) und dem Rheine sitzenden germanischen Völker. Daß er mit diesen vorher schon Beziehungen angeknüpft hatte, ist sehr wahrscheinlich, ein Zwangsgebot aber erging wohl erst jetzt. Die Welt war vom Schrecken Attilas erfüllt: wie hätten diese verhältnismäßig schwachen Völker bei der Wahl, ob sie ihn als Freund oder Feind aufnehmen wollten, auch nur einen Augenblick schwanken können?

Hauptsächlich aber aus des eignen Reiches weiten Gauen vom Pontus bis zur Ostsee, vom Don bis zur Weichsel entbot der Völkerfürst seine Scharen, deren tunlichste Ordnung und verbesserte Bewaffnung nebst der Beschaffung des unentbehrlichsten Kriegsbedarfs ihn zunächst beschäftigt haben mag. Der Dichter Sidonius Apollinaris führt in seinem Panegyricus auf Avitus Carm. VII, v. 321–327:

Barbaries totas in te transfuderat arctos
Gallia, pugnacem Rugum comitante Gelono,
Gepida trux sequitur. Sarum Burgundio cogit,
Chunus, bellonotus, Neurus, Bastarna, Toringus,
Bructerus, ulvosa quem vel Nicer alluit unda,
Prorumpit Francus, cedit cito secta bipenni
Hercinia in lintres, et Rhenum texuit alno.
Et jam terrificis diffuderat Attila turmis
In campos se, Belga, tuos.

Das Bellonotus halten wir für ein Beiwort: kriegsberühmt, woraus irrtümlich durch die Abschreiber ein Eigenname gemacht worden, der sonst völlig unbekannt ist. (Aber beide o sind lang. D.)

nach Dichterweise, wie wir dies schon bei Claudian bemerkten, eine Menge teils bekannter, teils unbekannter Namen der Völker in Attilas Heergefolge an.

Unter den dabei miterwähnten Burgundern haben wir zu denken an die im Fortgange des Kriegs zum Anschluß an Attilas Heer gezwungenen, unter römischer Oberhoheit in Gallien sitzenden.

Die Historia miscella, eine zwar meist wertlose spätere Compilation, großenteils aus den Chronisten, die doch zum Teil aber auch uns verlorne Quellen benutzt hat, nennt (Buch XV, p. 444 der Baseler Ausg. von 1569) richtiger nächst den Gepiden und Goten, Markomannen, Sueben, Quaden, überdies Heruler, Turkilinger und Rugen, unter ihren eignen Königen, endlich die barbarischen Völker des Nordens.

Die Thüringer werden hier zuerst mit diesem Namen erwähnt. Nördlich der Donau und östlich des Limes saßen zu Anfang des ersten Jahrhunderts n. Chr. unzweifelhaft die Hermunduren (s. Bd. I). Hier kennt sie die Geschichte bis zum markomannischen Kriege, an welchem sie sich beteiligten. (S. Bd. I)

Auf einmal verschwindet deren Name Das einzige spätere Vorkommen dieses Volkes in Jordanis, c. 22, zur Zeit Constantius des Großen bezieht sich aber – auf einen ganz anderen Sitz derselben in den Karpaten., während in deren Sitzen, besonders aber südlich von denselben, im Jahre 270 plötzlich ein neues Volk, die Juthungen, aber als ein schon seit langer Zeit bestandenes genannt wird. Dies war ein zu den Alemannen gehöriges Volk. Die Juthungen bleiben uns dort bis zum Jahr 429 ungefähr bekannt, wann Aëtius dieselben aus Noricum, in das sie eingefallen waren, wieder herausschlägt und demütigt.

Hierauf wiederum neuer Namenswechsel der Bewohner desselben Landes. Die Juthungen verschwinden (sie waren nach »Schwaben« abgezogen): die Thüringer treten an deren Stelle.

Daß auch diese, weil zuerst Vegetius Renatus Artis veterinanae libri IV, der IV, 6 die thüringischen Pferde, nach den hunnischen, denen er den ersten Rang zum Kriegsgebrauch einräumt, für die tüchtigsten erklärt, ist ungewissen Alters. Doch möchte man glauben, daß er, jener Äußerung nach, erst nach den großen Hunnenkriegen mit Rom 451 und 452 schrieb. von Sidonius Apollinaris unter Attilas Hilfsscharen erwähnt, nördlich der Donau saßen, durch welche Gegend ein Teil des Heeres ziehen mußte, ist mindestens höchst wahrscheinlich, wird aber in wenig späterer Zeit durch Eugippius (Leben St. Severins c. 27 und 31) zu zweifelloser Gewißheit erhoben.

So haben wir denn in den Thüringern nur den neuen Namen derjenigen Germanen zu erkennen, die das Land nördlich der Donau inne hatten.

So weit Sicherheit; über die Verbreitung dieses Volkes nach Norden zu aber großes Dunkel.

Da jedoch schon zu des Frankenkönigs Childerich Zeit, der nach obigem am Attilakriege Teil nahm, Basinus als König der Thüringer genannt wird, der unzweifelhaft bereits in dem heutigen Thüringen, wo dessen Nachfahren residierten, seinen Sitz hatte, so kann an dem Mittelpunkt der Macht der Thüringer nicht gezweifelt werden. Dies wird auch dadurch bestätigt, daß der Frankenkönig Theuderich, als er im Jahre 527 den der Thüringer, Hermanfrid, angreift, dessen Reich durch eine Schlacht an der Unstrut stürzt (Gregor von Tours, III, 7).

Auf das merkwürdige Problem der Entstehung dieses neuen Namens, worüber ohnehin nur Vermutungen möglich sind, können wir hier nicht tiefer eingehen, wagen aber doch unsre Ansicht darüber kurz auszusprechen, die sich, wenn auch nicht in allem Einzelnen, doch im Wesentlichen der Leos in seinen Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Volkes und Reiches (Halle 1854, Kap. 22, S. 239 und folgende) anschließt. (S. aber Bd. I. D.)

Es taucht in den Resten der Hermunduren der alte Stammname dieses einst so mächtigen Volkes wieder auf, und wird der Mittelpunkt einer Vereinigung der nordsuebischen vom Harze bis Donau. Im Süden durch die Hunnen bedroht, von Westen durch die ripuarischen Franken, von Norden durch die Sachsen – neue mächtige Volksgenossenschaften –, mußten sich diese hermundurischen Reste auflösen oder neu zusammenschließen.

(Daß aber der neue Name der Thüringer, althochdeutsch Duringa, in dem alten der Irmin-Duren, Irmun-Duren, d. i. die Hauptduren, großen, allgemeinen Duren, seine Wurzel findet, s. Bd. I)

Über Sidonius bemerken wir noch, daß dessen Gelonen und Neuren nichts als poetische Lizenz sind, wohin wir fast auch die Bastarnen rechnen möchten, deren geringe Reste in dem alten Dakien, nach Übersiedlung des Hauptvolkes auf römisches Gebiet unter Diokletian (s. Bd. I), kaum noch fortgelebt haben können.

Nicht minder dürfte die Erwähnung der Brukterer neben den Franken, welchen sie damals unstreitig angehörten, mehr dichterisch, als historisch sein (anderer Meinung D.). Dagegen könnte der auf die Franken bezügliche Beisatz: ulvosa quem vel Nicer alluit unda, wohl Wahrheit und dies Volk nach dem Rückzuge der Alemannen und dem Rheinübergange der Burgunder füglich bis an den Neckar vorgedrungen sein.

Die Hist. misc. in der angeführten Stelle kann unter Sueben nur die Thüringer, Quaden und andere verstehen. Die Alemannen, so weit sie auf dem rechten Rheinufer saßen, können sich damals durch Zurückweichen in den südlichen Schwarzwald und in die Schweiz, wohin sie ja bereits im dritten und vierten Jahrhundert vorgedrungen waren, vor Attilas durchziehendem Heere geborgen haben, was um so wahrscheinlicher ist, da dies sonst so bekannte Volk unter seinem Sonder-Namen wenigstens in keiner Quelle über den Attilakrieg erwähnt wird.

Den Kern und die Kraft dieses unermeßlichen Heeres, das Jordanis Kap. 35 zu 500 000, die Hist. misc, p. 443, aber sogar zu 700 000 Mann angibt, bildeten nächst den Hunnen unzweifelhaft vor allem die Gepiden und Ostgoten, deren Könige Ardarich und Valamer Attila vor allen andern wert hielt, ja liebte, was zugleich auf die bevorzugte Stellung ihrer Völker schließen läßt (Jord. c. 38.)

List und Schwert war des Hunnenkönigs Wahlspruch. Darum schrieb er zunächst, Wohlwollen und Freundschaft heuchelnd, an Valentinian: nicht gegen Rom, sondern lediglich gegen dessen eigne Feinde, die Rom so gefährlichen Westgoten, sei sein Angriff gerichtet. Theoderich dagegen stellte er die Befreiung Galliens vom Joche der Römer als Zweck dar, indem er ihn dabei an die durch sie erlittenen Niederlagen erinnerte. (Jordanis, Kap. 36.)

Aëtius aber ließ sich nicht täuschen, bot vielmehr alle Kräfte gegen das heranziehende Ungewitter auf. Dem Westgotenkönig schrieb der Kaiser: »Vereint euch, ihr Tapfern, mit uns gegen den Feind des Weltalls, der seine Herrschsucht nach dem Umkreise seines Armes mißt, seinen Stolz durch Frechheit sättigt. Gedenkt, wie euch die Hunnen einst verfolgten, unterwerft euch nicht ohne Gegenwehr der drohenden Schmach und Vernichtung.«

Theoderich soll (nach Jord. a. a. O.) erwidert haben: »So habt ihr denn, Römer, euren Wunsch erreicht, uns mit Attila zu zerwerfen. Wir werden sehen, wozu er uns ruft, und wie aufgeblasen auch sein Stolz durch viele Siege sein möge, so wissen doch die Goten auch mit Stolzen zu kämpfen.«

Da soll, nach Jordanis, das Bündnis sogleich geschlossen worden sein, was jedoch, wie wir später sehen werden, Irrtum ist, indem vielmehr Theoderichs erste Absicht offenbar auf eine zuwartende Neutralität Vielmehr auf eine Defensive hinter der Loire. D. (Könige V, S. 78.) gerichtet war.

Leichter mag es Aëtius geworden sein, andere Kräfte Galliens, auch die der mehr unabhängigen Völker, wie der Burgunder und der Bewohner von Aremorica, gegen den Gefürchteten aufzubieten, ja alle salischen und einen Teil der ripuarischen Franken, sogar sächsische Hilfsscharen, Letztere gewiß nur als Söldner, für sich zu gewinnen, wie dies das von Jordanis (Kap. 36 a. Schl. Franci, Sarmatae, Aremoriciani, Liticiani, Burgundiones, Saxones, Riparioli, Briones, quondam milites Romani, tunc vero jam in numero auxiliorum exquisiti, aliique nonnulli Celticae vel Germanicae nationes.

Unter den Sarmaten und dem verderbten Namen Liticiani können hier nur die einundzwanzig sarmatischen und die zwölf lätischen Kohorten verstanden werden, welche nach der Not. dign. Occid., Kap. 40, unter dem Magister militum standen und damals teilweise vielleicht schon etwas unabhängige Kolonnen geworden waren. Die Briones müssen die am Brenner sitzenden Breonen sein.

) mitgeteilte, wiewohl höchst verworrene Verzeichnis seiner angeblichen Hilfsvölker ergibt.

Es war zu Anfang des Jahres 451, wohl im Januar, als der Osten und Nordosten unsres Weltteils unter Attila in Waffen gegen dessen Südwesten heranzog.

Vermutlich in zwei Hauptkolonnen rückte Attilas Heer vor, die eine auf dem rechten Ufer der Donau auf der alten römischen Militärstraße über Augst nach dem Oberrhein, die andre, von der nördlichen Donaustraße aus, den Odenwald umgehend, am Niedermain hinauf in die Gegend von Mainz. Letztere zog nun auf dem Marsche die bis nach Regensburg hinauf nördlich der Donau sitzenden, des Königs Machtgebot sich unterwerfenden Thüringer, sowie am Rhein diejenigen ripuarischen Franken an sich, welche sich demselben anschlossen.

Die festen Plätze mögen genommen (wofür Attila viel Geschick gehabt haben muß,), oder, wenn sie zu stark waren, umgangen worden sein.

Zu Überschreitung des Rheins lieferten die nahen Wälder das Material: (die hunnischen Gäule durchschwammen wohl den Strom. D.).

Nach der Historia miscella Hist. misc: Attila itaque primo impetu, mox ut Gallias ingressus est, Gundicarium regem Burgundiorum sibi occurrentem protrivit, pacemque ei supplicanti dedit. Gesta episc. Mettens.: Attila rex Hunnorum omnibus belluis crudelior, habens multas barbaras nationes suo subjectas dominio, postquam Gundigarium Burgundionum regem sibi occurrentem protriverat, ad universas deprimendas Gallias suae sevitiae relaxavit habenas. und der (von Paulus Diaconus verfaßten) kurzen Schrift Gesta episcoparum Mettensium (ed. Perz im II. Bande der Monum. Hist. Germ., p. 246) ward nun zunächst Gundikar, König der Burgunder, geschlagen und hierauf erst der Verwüstungszug durch Gallien angetreten. Dies würde zu weiterer Betrachtung Anlaß geben, wenn nicht Waitz (in einem, im I. Bande, erstes Heft, der von der Münchener Akademie herausgegebenen Forschungen für Deutsche Geschichte, Göttingen 1861, erschienenen Aufsatze: »Der Kampf der Burgunder und Hunnen«) überzeugend nachgewiesen hätte, daß Paulus Diaconus für seine Nachricht keine besondere Quelle gehabt, sondern dieselbe vielmehr nur aus einer Notiz des Prosper Aquitanus entnommen oder vielmehr gemacht hat. Letztere enthält zwei Sätze, deren ersten bis zu dem Worte: »dedit« Paulus Diaconus da, wo er vom Jahre 435 handelt (XIV, p. 94 d. Ausg. v. Muratori) wörtlich nachschreibt, den zweiten dagegen, der die Vernichtung der Burgunder durch die Hunnen berichtet, hier wegläßt, und erst später (XV, p. 97) bei dem gallischen Kriege anführt, also dieselbe Attila zuschreibt. Offenbar hat daher hier nur die Sage, welche zur Zeit dieses Schriftstellers im achten Jahrhundert bereits lebendig sein mußte, denselben zu jener Versetzung eines Ereignisses des Jahres 436 oder 437 in das Jahr 451 verleitet, wozu ihm sein Gewährsmann Prosper Aquitanus insofern einigen Anlaß bot, als auch er die Burgunderschlacht Daß der grausen Burgunderschlacht der Nibelungen jene gewaltige Niederlage derselben durch die Hunnen zum Grunde liege, welche nur die Sage Attila selbst zugeschrieben hat, beruht außer Zweifel. (Doch sind neben den historischen Wurzeln der Sage deren mythische nicht zu übersehen. D.) nicht bei dem Kriege mit Aëtius, sondern erst als ein späteres Ereignis berichtet, wenngleich dessen Worte: »welches Friedens sich Gundikar nicht lange erfreute« (qua non diu potitus est) auf keine Weise (? D.) gestatten, dasselbe noch vierzehn bis fünfzehn Jahre weiter hinauszuschieben.

Gegen diese Ansicht läßt sich auch die zweite Erwähnung desselben Vorgangs in der Geschichte der Bischöfe von Metz nicht einwenden, weil sie nicht die geringste neue Tatsache, welche auf eine besondere Quelle dafür schließen ließe, sondern nur andre Worte als die Hist. misc. enthält.

Attilas Südheer muß über Straßburg auf Metz gezogen sein, indes die Nordkolonne wohl über Trier durch Belgien marschierte.

Letztere muß den ausziehenden salischen Franken nahe gekommen sein, da die Gregor von Tours Historia Francorum angehängte Epitome, die dem angeblichen Fredigar zugeschrieben wird (unter 11, p. 579 der Migneschen Ausg. d. Gr. v. T.), deren König Childerich, den Sohn des Meroveus Auf diesen Namen wird später, wenn wir zur Geschichte der Franken gelangen, zurückzukommen sein. Ein Überfall der fränkischen Nachhut, bei der sich Childerich wohl befand, durch die blitzschnelle hunnische Reiterei hat übrigens etwas sehr Glaubliches. (Aber das Ganze ist Sage. D.) von den Hunnen gefangen nehmen, durch seinen Getreuen Viomad aber wieder befreit werden läßt.

Beide Kolonnen dürften übrigens, sowohl ihrer Verpflegung als der Plünderung halber, in breiter, viele Meilen weit sich ausdehnender Fronte, einem alles verwüstenden Heuschreckenschwarme gleich, vorgerückt sein.

Das feste Metz hielt die Südkolonne, bei der sich Attila damals selbst befand, auf.

Schon war er, da die Festigkeit der Mauer den gewaltigen Stößen des Widders nicht wich, zur Belagerung des nahen Scarpona abgegangen, als er auf die Nachricht einer bewirkten Bresche im Fluge zurückkehrte, den Platz in der Nacht vor Ostern (8. April) erstürmte, die Einwohner teils niederhieb, teils samt ihrem Bischof gefangen abführte, die Stadt aber den Flammen Preis gab.

Gleiches Schicksal erlitt alsbald Rheims, wobei, nach dem Leben des S. Nicosius, das bereits vom Rumpf gehauene Haupt des frommen Bischofs noch im Niederfallen rief: »Mache mich nach deinem Worte wieder lebendig« (was wir, zur Charakterisierung von Thierrys Quellen, nicht unerwähnt lassen. S. Thierry, p. 148). Von Rheims marschierte das Heer über Châlons, Troyes und Sens nach dem sechzig Meilen von Metz entfernten Orleans, wo dasselbe im Mai angelangt sein dürfte – eine Richtung, welche das Westgotenreich unzweifelhaft als Attilas Operationsziel herausstellt. Ob sich die Nordkolonne bereits in der Champagne mit der südlichen vereinigt hatte, ersehen wir nicht, möchten dies aber daraus abnehmen, daß auch sie Paris nicht berührte, wohin, nach dem Leben der heiligen Genoveva (der Thierry hier p. 151 bis 160 neun Seiten widmet), kein Hunne gelangte.

In der Umgegend von Orleans saßen die Alanen, mit deren König Sangiban Attila Unterhandlungen, worauf derselbe willig eingegangen war, angeknüpft hatte. Mutmaßlich war die Übergabe von Orleans deren Zweck (? wohl nur Anschluß des Königs an Attila D.) und da sich der Alane dieses immer römisch gebliebenen Platzes wegen sorgfältiger Hut der Verteidiger nicht zu bemächtigen, die verlangte Bedingung also nicht zu erfüllen vermochte, wie er dies wohl gehofft hatte, mag er späterhin dem Freundschaftserbieten des Hunnen nicht getraut und sich vor ihm auf das linke Ufer der Loire zurückgezogen haben, wo er sich nachher vielmehr den Römern anschloß.

Wir wenden uns nun zu Aëtius. Mit geringen Streitkräften zog er über die Alpen (Sid. Apoll, carm. VII, v. 329 und 330), jenseits deren aber wohl schon ein starkes Heer versammelt war. Groß ward seine Verlegenheit, da Theoderich immer noch zwischen Neutralität und Bündnis (Richtiger: Verteidigung hinter der Loire und Vormarsch gegen die Marne. D.) schwankte. Da wandte sich der Feldherr an den allverehrten Avitus, der bereits im Jahre 439 als Präfect Galliens den zuerst verweigerten Frieden mit den Westgoten abgeschlossen hatte, des höchsten Ansehens bei diesen genoß und vom König, auch als dessen früherer Lehrer im Lateinischen (a. a. O., v. 496), besonders geehrt war, nun aber in wissenschaftlicher Muße auf seinem fürstlichen Landsitz Avitacum lebte.

Dessen Person und Beredsamkeit war es nun, welche Theoderich zu folgsamerem Anschluß an Rom (und Annahme des offensiven Kriegsplans des Aëtius D.) bestimmte (a. a. O., v. 353). Die Goten in ihren Tierfellen (pellitae turmae, v. 349), Theoderich mit seinen beiden ältern Söhnen, Thorismund und Theoderich, an deren Spitze, folgten nun den (nach Nordosten vormarschierenden D.) römischen Legionen. Die Verhandlung und Rüstung aber mag wohl viel Zeit gekostet haben.

Schon vor Attilas naher Ankunft vor Orleans war dessen frommer Bischof Anianus nach Arles zu Aëtius geeilt, um sich dessen rechtzeitiger Hilfe zu versichern (Gregor von Tours II, 7, p. 199 d. Mign. Ausg.). Das von Thierry benutzte Leben des heiligen Anianus Plenus prophetiae Spiritu VIII. Kal. Julii diem esse praedixit, woraus Thierry unbegreiflicher Weise den 14. Juni statt des 24. macht, wenn sich dies nicht etwa durch einen Druckfehler erklärt. läßt ihn den Johannistag als das Endziel der möglichen Haltung der Festung bestimmen.

Gewiß hatten Verteidiger und Bewohner, für die es sich um Gut und Blut handelte, alles, was Menschenkräfte vermögen, für Verstärkung und Verproviantierung des Platzes getan.

Da richtete denn auch Attila, obgleich es ihm unzweifelhaft nicht an Belagerungswerkzeugen fehlte, wozu ihm ja so viele römische Kräfte zu Gebot standen, anfangs wenig aus. Als aber Widder und Maschinen immer nachhaltiger wüteten (Gregor von Tours II, 7 zu Anfang), unablässiger hunnischer Pfeilregen die Verteidiger von den Zinnen vertrieb, Woche um Woche ohne Entsatz verging, da wuchs außen die Hoffnung, innen die Verzweiflung.

Verschieden wird nun die Katastrophe in den Profanquellen berichtet.

Nach Gregor von Tours (a. a. O.) befahl der Bischof am letzten Tag allgemeines brünstiges Gebet und ließ vom Turme nach Aëtius spähen. Nichts zu sehen, die Antwort; weiteres Gebet, und abermaliges Spähen, mit eben so wenig Erfolg; zum dritten Male sinkt alles auf die Knie, da ruft endlich der Turmwart, er bemerke eine Staubsäule in der Ferne. »Wohlauf, spricht der fromme Mann: das ist die Hilfe des Herrn.« Schon beginnen die gewaltig erschütterten Mauern einzustürzen, als Aëtius und Thorismund mit dem Heer erscheinen. Sogleich greifen diese an, werfen den Feind heraus (ejiciunt p. 199, Z. 24) und schlagen ihn weit ab von der Stadt in die Flucht.

Neben dieser unverkennbaren Legende stehen zwei Zeilen der unbedingtesten Glaubhaftigkeit des Zeitgenossen Sidonius Apollinaris, dessen Geburt man in das Jahr 431 setzt. Derselbe schreibt (VIII, 15) dem Bischof Prosper, des heiligen Anian Nachfolger in Orleans: dieser habe ihn die Geschichte Attilas zu schreiben aufgefordert, »worin der Stadt Belagerung, Sturm, das Eindringen in diese, aber ohne deren Plünderung, sowie jene bekannte, vom Himmel erhörte Weissagung des Bischofs enthalten sei«: er habe das Werk auch begonnen, jedoch wieder aufgegeben – ein für uns unersetzlicher Verlust.

Ganz anders berichtet Thierry p. 176 und 177 nach dem Leben des heiligen Anian in Du Chesne, Script Fr. I, p. 646, den Hergang.

Wir können den Sinn seiner verworrenen und unklaren Erzählung nur in Folgendem finden.

Anian, zu Attila abgeordnet, bot Kapitulation unter Bedingungen an, welche dieser zwar verwarf, wobei er jedoch erklärte, daß die Bewohner, wenn sie sich der Herausgabe ihrer Habe und Abführung in Knechtschaft ruhig unterwürfen, durch geordnete Vollziehung gegen Blutvergießen und Plünderungsgreuel gesichert sein sollten.

An dem folgenden Tage seien nun, nach Öffnung der Tore, Attilas Offiziere in die Stadt gezogen. Hier seien die Gefangenen schon gruppenweise verlost und die Wagen mit der Beute beladen worden, als plötzlich der Ruf von des Aëtius Ankunft (dessen wunderbare Herbeirufung wir hier übergehen) alles, teils mit Hoffnung, teils mit Bestürzung erfüllt habe. Sogleich hätte derselbe von dem linken Ufer her angegriffen, indes die Bewohner sich von innen auf den Feind geworfen; da sei ein furchtbarer Straßenkampf entstanden, bis Attila den Rückzug seiner zugleich in der Front und im Rücken bedrängten Krieger angeordnet habe.

Diese Erzählung läßt sich aber weder mit Sidonius Apollinaris noch mit Gregor von Tours vereinigen. Nennt letzterer nun auch seinen Gewährsmann nicht, so ist doch nicht zu zweifeln, daß die merkwürdige Geschichte der Befreiung von Orleans noch über ein Jahrhundert lang im Volke, besonders in der Geistlichkeit, fortlebte, dem (nach Loebell Gregor von Tours, S. 10) zwischen 539 und 544 gebornen Bischofe des benachbarten Tours also in ihren Hauptzügen gewiß bekannt war. Dies schließt die Ausschmückung seines Berichts in geistlichem Sinne nicht aus, wohl aber die Tatsache, daß die Rettung erst am Tage nach der bereits bedungenen Übergabe erfolgt sei. Das Entscheidendste aber ist, daß der (hier D.) unbedingt zuverlässige Sidonius von dem ruhigen Einrücken der Hunnen in eine ihnen freiwillig übergebene Festung nicht den Ausdruck: irruptio brauchen konnte.

Die heiligen Legenden dagegen waren reine Tendenzschriften, bei denen Kritik und historische Treue durchaus nicht für nötig angesehen wurden. Nach unserer Ansicht ist Folgendes zu vermuten:

Orleans, das alte Genabum Julius Cäsars (VII, 11), unter Kaiser Aurelian restauriert und nach ihm benannt, welches in der Geschichte Frankreichs wiederholt eine so wichtige Rolle gespielt hat (Geschrieben 1864! D.), lag damals fast ganz auf dem rechten Ufer der Loire, hatte aber auf dem linken einen durch eine Brücke verbundenen Brückenkopf und gewiß auch einen kleinern Stadtteil.

Wahrscheinlich auf dieser Seite müssen nun die Hunnen am Morgen von des Aëtius Ankunft bereits in die Stadt gedrungen sein, die auf Entsatz hoffenden Verteidiger aber, den schwachen Punkt kennend, durch Innenwerke, Besetzung und Verrammelung der Häuser, von denen Steine herabgeschleudert wurden, die Gegenwehr noch fortgesetzt haben, bis endlich die Erlösungsstunde schlug. Das von Sidonius ausdrücklich bemerkte gewaltsame Hereindringen (irruptio) wird so durch den Ausdruck Gregors von Tours: gewaltsames Herauswerfen (ejiciunt) ergänzt.

Attila, dessen bisher unerhörtes Glück vor Orleans seinen Wendepunkt erreichte, war zum Rückzuge genötigt. So viel Mittel ihm auch für Rekognoszierung zu Gebot standen, so muß er doch durch Aëtius, der wohl mit der äußersten Anstrengung in später Stunde noch herbeieilte, überrascht worden sein. Da war für den Hunnen in der Nacht kaum noch eine geordnete Formierung möglich, vor allem gewiß aber auch das in der Nähe der Stadt zwar ebene, aber durch Mauern, Gräben, Weinberge und andere Kulturhindernisse kupierte Terrain für dessen Hauptwaffe, die Reiterei, zu schlagen nicht geeignet. Überdem hatte der Rückzug aus Militärraison, für die Hunnen wenigstens, nichts Schimpfliches, daher auch an sich nichts Demoralisierendes.

Noch in der Nacht muß Attila aufgebrochen sein und sein Lager großenteils mindestens zurückgelassen haben.

Sehr geschwächt und zerrüttet aber war unstreitig damals schon der Zustand seines Gesamtheeres. Der Raubkrieg in so weiter Ausdehnung löst an sich alle Ordnung auf, setzt die sich zerstreuenden und isolierenden Nachzügler der Ermordung durch die Beraubten aus und erzeugt durch den Wechsel von schwelgerischem Genuß und Entbehrung Krankheiten.

Wie sehr sich dies alles auf dem eiligen, an dreißig Meilen langen Rückmarsche durch ein völlig ausgeraubtes Land gesteigert haben mag, liegt auf der Hand; insbesondere dürfte ein großer Teil der nordischen, des Klimas ungewohnten Barbaren dadurch aufgerieben worden sein.

Erst in der weiten Ebene der Champagne (Campania), die Jordanis (Kap. 36) zu dreißig Meilen Länge und einundzwanzig Breite angibt, einem für Reiterei trefflich geeigneten Terrain, machte Attila Halt, um zu schlagen.

Auf der Straße von Châlons nach Verdun zehn bis zwölf Kilometer, etwas über anderthalb Meilen, von ersterer Stadt findet sich nun bei dem Dorfe la Cheppe ein altes römisches Lager, welches im Volksmunde das Lager von Attila heißt. Dahin versetzt man, wie das auch Thierry tut, von der Sage geleitet, das Schlachtfeld, während eine neuere Schrift von Peigné-Delacourt (Recherches sur le lieu du champ de la bataille d'Attila en 451: Paris, Jules Claye 1860) dasselbe auf Grund des im Jahre 1842 vermeintlich daselbst aufgefundenen Grabes des Westgoten-Königs Theoderich, etwa drei Meilen nördlich von Troyes bei Arcis-sur-Aube annimmt – ein anderer aber, H. d'Arbois de Jubainville, der diese Ansicht bereits gekannt hat (in einem in der Bibliothèque de l'école des chartes 21 me année I ere Série vom Jahre 1860 Paris bei Dumoulin erschienenen Aufsatze), dasselbe vielmehr bei dem vormaligen, jetzt verschwundenen Dorfe Moirey, sechzehn Kilometer, zweizweisiebentel Meilen, westlich von Troyes, an der Straße von Sens dahin sucht.

Wir haben der interessanten Frage über die Stätte der bis zur Neuzeit größten und merkwürdigsten Völkerschlacht der Weltgeschichte eine besondere Abhandlung in der Beilage zu diesem Kapitel gewidmet. Vermag diese auch das Problem nicht mit Sicherheit zu lösen, so dürfte sie doch andern Forschern den Weg dazu anbahnen. Vergl. aber die zusammengestellte neuere Literatur und deren Ergebnisse bei Dahn, Könige V, S. 79.

Vor der Hauptschlacht fand in der Nacht ein äußerst heftiges Treffen zwischen den Franken auf römischer und den Gepiden auf hunnischer Seite statt, in welchem von beiden 15 000 Mann Die frühere Lesart 90 000 XC statt XV ist offenbar falsch, was auch durch die Hist. miscella außer Zweifel gesetzt wird.

Daß dies Treffen in der Nacht unmittelbar vor der Hauptschlacht geliefert ward, sagt Jordanis nicht ausdrücklich, obwohl dies zu vermuten ist.

blieben. Dies war unstreitig ein Gefecht mit der hunnischen Nachhut, die wahrscheinlich einen Flußübergang decken sollte, wobei die Größe des Verlusts ergibt, daß Attila den betreffenden Punkt mit äußerster Anstrengung zu behaupten befohlen hatte.

Jordanis erzählt:

C. 36 a. Schl. »In der catalaunischen, auch mauriacenischen genannten Ebene, die dreißig Meilen lang und einundzwanzig breit ist, stoßen die Heere aufeinander. Da wird nicht durch Kriegslist, nur mit offnem Ansturm (aperto Marte) gefochten.

C. 37. Attila, durch den frühern Unfall (bei Orleans) erschüttert und seinem Heere nicht mehr vertrauend, denkt bei sich an Flucht, beschließt aber vorher die Wahrsager zu befragen. Diese verkünden aus den Fibern, Adern und Knochen der Opfertiere den Verlust der Schlacht, zugleich aber den Tod des feindlichen Führers. Dies bezieht der König auf Aëtius und hält die Wegräumung dieses ihm überall entgegentretenden Mannes selbst durch eine Niederlage nicht für zu teuer erkauft.

Besorgt über den Ausfall, beschließt er jedoch, erst Mittags drei Uhr zu schlagen, um im ungünstigsten Fall in der einbrechenden Nacht Hilfe zu finden.«

Diese Mitteilung der geheimen Gedanken Attilas scheint mehr gemacht als überliefert zu sein, obwohl es nicht undenkbar ist, daß vertraute Römer aus dessen Gefolge, sei es als Gefangene oder als später Übergegangene, Ähnliches berichtet haben. Die Schlacht konnte natürlich erst beginnen, nachdem Attila aus der Wagenburg, mit welcher er nach C. 40 sein Lager umwallt hatte (septa castrorum, quae plaustris vallata habebat) heraus und vorgerückt war.

C. 38. »Auf dem Schlachtfelde befand sich ein Abhang, auf dessen Scheitel sich ein Hügel erhob. Bei der einleuchtenden Wichtigkeit dieses Punktes suchten beide Teile sich dessen zu bemächtigen, so daß die Höhe rechts von den Hunnen, links aber von den Römern, Westgoten und Hilfsvölkern besetzt, über den Gipfel in der Mitte jedoch von beiden gekämpft ward.

Den rechten Flügel des römischen Heeres nahm Theoderich mit den Westgoten ein, den linken Aëtius mit den Römern, das Mitteltreffen bildete Sangiban mit den Alanen, dessen verdächtiger Treue man sich durch diese Umschließung mehr zu versichern glaubte.

In der feindlichen Schlachtordnung stand Attila mit dem Kerne seines Volkes im Zentrum, sich durch dessen Tapferkeit und Treue gegen persönliche Gefahr zu schützen. Die Flügel nahmen die zahlreichen, ihm untertänigen Völker ein.

Unter diesen ragte besonders das Heer der Ostgoten unter dem Befehle der edlen Amaler und Brüder Valamer, Theodemer und Vidimer hervor, daneben aber auch an der Spitze der unzählbaren Gepiden der so tapfere und kriegsberühmte Ardarich. Diesem und Valamer vertraute Attila so ganz, daß er kein Bedenken trug, die Ostgoten des letztern den stammverwandten Westgoten entgegenzustellen. Die Schar der übrigen Könige und Führer lauschte den Winken des gefürchteten Oberherrn, der die Seele des Ganzen war und führte in blindem Gehorsam jeden seiner Befehle aus.

Zuerst stritt man noch über die erwähnte Höhe; Attila trieb die Seinen auf den Gipfel hinan, Thorismund und Aëtius aber waren zuerst hinaufgelangt und warfen nun von oben herab die aus der tiefern Stellung andringenden Hunnen leicht hinunter.«

Im 39. Kap. läßt Cassiodor-Jordanis Attila, der sein Heer durch den Ausgang dieses Vorkampfes etwas betroffen sah, eine begeisternde Schlachtrede halten, die, kräftigen und gedrungenen Schwunges, selbstverständlich von Cassiodor komponiert ist. Thema sind der Glanz und Ruhm der zahllosen Siege der Hunnen und des Feindes Schwäche durch seine ungefüge Zusammensetzung aus so verschiedenen Völkern. War dies nicht im hunnischen Heere in noch höherem Grade der Fall?

Er schließt mit den Worten: »Zuerst werde ich meine Geschosse auf den Feind schleudern. Wer müßig bleiben kann, wenn Attila kämpft, ist begraben.«

Hierdurch angefeuert, stürzen sich alle in die Schlacht.

Kap. 40. Obwohl in der Sachlage Grund zur Besorgnis war, so hob doch des Königs Gegenwart jedes Zaudern.

Mann focht gegen Mann; eine grause, vielgegliederte, ungeheure, hartnäckige Schlacht, die im ganzen Altertume nicht ihres Gleichen hatte. Dürfen wir ältern Si senioribus credere fas est. Offenbar hat Cassiodor, der im Jahre 470 geboren ward, noch Augenzeugen der Schlacht selbst gesprochen. Personen glauben, so schwoll der das Schlachtfeld durchschneidende Bach beinah bis zum Strom an, so daß die ihren Durst zu löschen Begierigen zugleich Blut und Wasser tranken.

Indem Theoderich anfeuernd durch seine Schlachtreihen sprengt, wird er plötzlich vom Pferde herabgeworfen und unter den Füßen (d. i den Rosseshufen) seines Gefolges zertreten, während er nach andern durch einen Wurfpfeil des Ostgoten Andax getötet worden sein soll. Das war nun die Erfüllung jenes Wahrspruchs, den Attila irrig auf Aëtius gedeutet hatte.

Darauf trennen sich die Westgoten von den Alanen und dringen mit solcher Wut auf die Hunnen vor, daß sie fast Attila selbst niedergehauen hätten, wenn dieser sich nicht vorsorglich mit den Seinen hinter die Wagenburg zurückgezogen hätte. Hinter dieser schwachen Schutzwehr sucht nun der Mann Rettung, dem kurz zuvor noch kein Mauerwall zu widerstehen vermocht hatte.

Thorismund aber, der mit Aëtius zuvor jene Höhe besetzt und den Feind von dort gänzlich vertrieben hatte, geriet in der Nacht, indem er sein Volk aufsuchte, ohne es zu ahnen, an die hunnische Wagenburg, wo er heftig angegriffen, durch Verwundung seines Rosses herabgeworfen, von seinen Getreuen aber gerettet ward.

In gleicher Verwirrung und Finsternis irrte Aëtius mitten unter den zurückweichenden Feinden umher, gelangte aber, ängstlich forschend, ob den Westgoten nicht ein Unfall begegnet sei, endlich zu diesen, wo er die Nacht zubrachte.

Am nächsten Morgen erst erkannten die Feldherren auf römischer Seite ihren Sieg, da Attila gewiß nicht ohne große Niederlage aus der Schlacht gewichen sei, nahmen aber kein Zeichen weiterer Flucht wahr, hörten vielmehr in dessen Lager zu neuem Angriff blasen.

Wie ein von den Jägern bedrängter Löwe, wenn er seine Höhle erreicht, zwar nicht mehr auszubrechen wagt, aber im Eingange auf- und abwandelnd die Gegend noch mit seinem Gebrülle schreckt, so ängstigte der kriegerischste aller Könige selbst eingeschlossen noch die Sieger.

Der Kriegsrat der Führer beschloß, von jedem wegen des Pfeilregens der Hunnen so gefährlichen Angriff auf die Wagenburg abzusehen, Attila vielmehr auszuhungern.

Dieser soll damals, wie erzählt wird, auch im Unglück noch groß, »einen Scheiterhaufen aus Pferdesätteln errichtet haben, um bei Erstürmung des Lagers nicht in Gefangenschaft oder durch das feindliche Schwert zu fallen, sondern freiwillig in den Flammen zu enden.«

Wir unterbrechen hier den Bericht durch eine kritische Betrachtung dieser in der Weltgeschichte (bis auf die neueste Zeit) einzigen Völkerschlacht, in welcher, nach Jordanis, Kap. 41, auf beiden Seiten 165 000 Menschen, also mit Hinzurechnung der 15 000 im vorhergehenden Nachtkampfe gebliebenen Gepiden und Franken, deren überhaupt 180 000 gefallen sein sollen.

Fassen wir zuerst das moralische Element in das Auge, so finden wir unzweifelhaft bei Attila und mehr noch in dessen Heer gesunkenes, auf römischer Seite aus gleichem Grunde aber gehobenes Vertrauen. Für jenen fochten außer seinen Hunnen nur Untertanen, in Gehorsam zwar gegen dessen Machtgebot, aber doch ohne eignes Interesse, außer dem der Beute, deren größten Teil sie auf den zahlreichen Wagen mitgeführt haben müssen. Für Rom dagegen stritten nur freie Völker oder gallische Untertanen: alle aber nicht bloß für Rom, sondern, angesichts der namenlosen Greuel hunnischer Verwüstung und Mordlust, für sich selbst, für Gut und Blut, Weib und Kind. Man darf auch nicht vergessen, daß Attila zwar vielfach schon römische Heere in großen Schlachten besiegt hatte, aber immer nur die des Ostreichs, welchem die des Westens an Kriegstüchtigkeit weit überlegen waren.

In bezug auf die Führung der Schlacht ist augenscheinlich das Gewinnen der dominierenden Höhe durch die Römer für den nachfolgenden Kampf um diese Höhe entscheidend geworden. Überhaupt ist hier der Brennpunkt der Schlacht zu suchen; hatte sich doch auch Aëtius, obwohl den linken Flügel befehligend, hierher begeben. An dieser Höhe zerschellten die Angriffe der Hunnen. Der Kampf um dieselbe entsprach auch noch in der Hinsicht den Absichten der Führer, als man dadurch das Mitteltreffen, die Alanen, gewissermaßen deckte, sich wenigstens vor der Notwendigkeit bewahrte, mit diesen unzuverlässigen Truppen den Kampf unmittelbar gegen die feindlichen Heerscharen aufzunehmen.

Vor allem aber sind wir überzeugt, daß Aëtius bei seiner genauen Kenntnis der hunnischen Taktik nach der Weise tüchtiger Feldherren den einzig richtigen Weg eingeschlagen und eine derselben entgegengesetzte Taktik erdacht und ausgeführt haben werde. Jene bestand in einem furchtbaren Reiteranprall mit Pfeilregen und, wenn nicht dieser schon den Feind sprengte und warf, in blitzschneller Flucht – wobei für letztern nichts gefährlicher war, als die Verfolgung – und in der Erneuerung ähnlicher Angriffe.

Wie vor und nach Erfindung der Feuerwaffen ein Fußvolk, das mit kaltem Blut und Geistesgegenwart seine feste geschlossene Haltung bewahrt, den Reiterangriffen zu widerstehen vermag, so gewiß auch, wenn es so geschult war, das römisch-gotische den Hunnen gegenüber.

Die letzte Entscheidung mag kurz vor Einbruch der Nacht der verzweifelte Angriff der Westgoten auf die Hunnen gegeben haben, obwohl sie dabei, sich von den Alanen sondernd (se dividentes), eine an sich höchst gefährliche Lücke bildeten. Daß dieselben von der Wut des Rachedursts wegen des Falls ihres Königs dazu getrieben worden seien, wird nicht gesagt, ja nach Kap. 41 ist beinahe das Gegenteil zu vermuten. Wir sind aber doch überzeugt, daß deren Führer die wenn auch vielleicht noch zweifelhafte Kunde dieses Verlustes zu Anfeuerung ihrer Krieger benutzt haben.

Der Verlust, besonders der der Hunnen bei dem Rückzug in das Lager, mag ungeheuer gewesen sein, obgleich wir des Jordanis Ziffer bei einer wenig über sechsstündigen Schlacht doch für übertrieben halten.

Über die Stärke der Heere fehlt jede Nachricht: doch glauben wir die der wirklichen Kombattanten in beiden zusammen im allerhöchsten Falle nicht über eine halbe Million anschlagen zu dürfen, wobei wir den teils unbewehrten, teils auch bewehrten, aber für die Schlacht unbrauchbaren Troß nicht mitrechnen.

Nach dem 41. Kap. läßt nun Jordanis am Morgen nach der Schlacht die westgotischen Prinzen, Thorismund und Theoderich, ihren Vater suchen, dessen Abwesenheit im Siege sie Wunder nimmt. Endlich wird unter dem dichtesten Haufen der Erschlagenen die entseelte Hülle des Helden aufgefunden (inter densissima cadavera reperissent) und vor den Augen der Hunnen unter den Tränen und Gesängen seiner treuen Krieger auf das Feierlichste aufgehoben und fortgeschafft (abstulerunt: und: efferri inspiciebant). Sogleich hierauf ruft das Heer Thorismund zum König aus.

Dieser denkt zunächst nur, des Vaters Tod an den Hunnen zu rächen, holt aber darüber doch zuvor des erfahrenem Aëtius Rat ein, dessen politischer Kopf, die aus der gänzlichen Vernichtung der Hunnen durch die Westgoten zu besorgende für Rom so gefährliche Übermacht letzterer in das Auge fassend, Thorismund vielmehr schleunige Rückkehr nach Toulouse anrät, wo dessen Brüder im Besitze der väterlichen Schätze (die ja noch von Roms Eroberung durch Alarich herrührten) der Herrschaft sonst leicht sich bemächtigen könnten. Dazu hätte die Bemängelung von Thorismunds tumultuarischer Wahl vielleicht sogar einen legalen Vorwand bieten können (vergl. Dahn, Könige V, S. 82).

Der junge König folgt diesem Rat, Attila aber, Kriegslist fürchtend, traut dem Anscheine nicht, bleibt daher noch längere Zeit im Lager, bis die sichere Überzeugung von jenem Abzug ihn zu neuen Hoffnungen weckt.

So weit reicht des Jordanis im Wesentlichen, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, gewiß richtiger Auszug aus Cassiodor, während das 42. Kap. wieder selbständiger mit den seltsamen, ungereimten Worten beginnt:

»Indem Attila nun die durch den Rückmarsch der Goten gewonnene Gelegenheit benutzt und das feindliche Heer, wie er so oft gewünscht, zerteilt sieht, marschiert er, nun sicher geworden, auf Bezwingung der Römer (ad Romanorum oppressionem) los und belagert sogleich Aquileja« (welches nur die Kleinigkeit von einhundertzwanzig Meilen vom Schlachtfeld entfernt ist).

Selbst im vorhergehenden 41. Kap. ist Jordanis vielleicht irrig; und der Abzug der Westgoten dem Attilas nicht vorausgegangen, sondern erst nachgefolgt, was an sich ungleich wahrscheinlicher. Dünkt uns aber diese Behauptung eine zu gewagte, so müssen wir doch mindestens annehmen, daß Aëtius seinem Verbündeten die Heimkehr nicht eher angeraten haben werde, als nachdem er die zweifellose Überzeugung von der Ungefährlichkeit der Hunnen, selbst für sein vermindertes Heer, gewonnen hatte.

Von den übrigen Quellen über Attilas Rückzug scheint uns nur Prosper Aquitanus beachtenswert, der kurz sagt: »Gewiß ist die Besiegung der Hunnen in so weit, daß nach verlornem Vertrauen zu Fortsetzung des Kampfes die Überreste derselben (qui superfuerunt) in die Heimat zurückkehrten.« Die andern, Gregor von Tours II, 7 und der soviel spätere Isidor von Sevilla, Chron. d. Goth. sind noch vager und kürzer. Ersterer sagt: Attila ad internecionem vatari suum cernens exercitum, fuga dilabitur und weiter unten: Attila cum paucis reversus est.

Aëtius baute dem fliehenden Feinde goldene Brücken. Ob ihn dabei Erwägungen ähnlicher Art leiteten, wie sie Stilicho zu zweimaliger Verschonung Alarichs bestimmten, wissen wir nicht. Nicht zu bezweifeln aber ist, obwohl die besten Quellen darüber schweigen, daß er die abziehenden Hunnen zwar nicht mehr angreifend, aber doch beobachtend verfolgen ließ, um abschweifende Raubfahrt zu verhüten und die gewiß sehr zahlreichen Nachzügler, wo sie in größern Haufen erschienen – denn für Einzelne sorgte wohl das Volk selbst schon – niederzuhauen oder gefangen zu nehmen. Hierzu wandte er wohl die von der hunnischen Verwüstung betroffenen, daher rachedürstenden Franken Thierry, S. 195, hält die Worte Gregor von Tours II, 7: Simili (d. i. ebenso wie Thorismund) dolo et Francorum regem fugavit für irrtümlich. Es ist möglich, daß ein isoliertes, auf die Person eines fränkischen Häuptlings bezügliches Faktum dazu Anlaß gegeben. Daß Aëtius aber die Franken, die ihm gerade für die Verfügung so wichtig waren, damals im Ganzen fortgeschickt habe, können wir nicht wohl glauben. und Gallier an, namentlich auch wohl die Überreste der Burgunder.

Dies wird durch Fredigar ausdrücklich bestätigt, nach welchem Aëtius das feindliche Heer durch die Franken, unter Erteilung besonderer Instruktion dafür, bis Thüringen habe verfolgen lassen. Obwohl nun diese Quelle im Allgemeinen keine zuverlässige ist, so wird doch gerade diese Nachricht durch innere Wahrscheinlichkeit dringend unterstützt.

Sehr stark mag auf diesem Rückzug eines völlig demoralisierten Heers durch meist verwüstetes Land die Einbuße der Hunnen an Mannschaften und Pferden gewesen sein.

Groß hatte sich Aëtius in diesem Feldzuge bewiesen. Dessen glänzendstes Verdienst war, nächst der gesamten Vorbereitung, der rechtzeitige Entsatz von Orleans, den er gewiß nur durch die äußerste Anstrengung zu vollführen vermochte. Man müßte aber den Hof von Ravenna nicht kennen, um zu glauben, daß der Feldherr auch an diesem gerechte Anerkennung gefunden habe. Bot doch schon das Verdienst der Westgoten in der Entscheidungsschlacht, vor allem aber das Entkommen Attilas, in Verbindung mit des Aëtius alter Freundschaft mit ihm, dem Neid und der Verleumdungssucht Stoff genug zu Verdächtigung und Anklage dar.

Das Schwert des Kriegsgottes hatte eine tüchtige Scharte erhalten; dessen Träger mußte sie auswetzen, wenn er seine alte Machtstellung behaupten wollte. Gut sagt Haage S. 25: Attilas Herrschaft war nur auf die Gewalt seiner Person und den Glanz seines Glückes begründet; und rasch, wie die Pracht seiner hölzernen Paläste, mußte dies glänzende Reich von seiner Höhe herabsinken, sobald der Zauber des Glücks einmal von seinem Könige wich, ganz zerfallen aber mußte es, sobald die Hand, die es zusammenhielt, nicht mehr war.

Darum war erneute angestrengteste Rüstung nach der Rückkehr in die Heimat – und zwar unstreitig in seine alte, uns bekannte Residenz – Attilas erstes Geschäft.

Von speziellern Quellen sind wir wiederum verlassen: nur berichtet uns Prosper Aquitanus, daß der Gewaltige, nachdem er seine in Gallien verlornen Streitkräfte wieder ergänzt, im Jahre 452 durch Pannonien in Italien eingefallen sei. Dawider habe Aëtius nichts vorgekehrt, sogar die Alpenpässe nicht einmal besetzt, vielmehr daran gedacht, ganz Italien mit dem Kaiser zu verlassen, woran ihn jedoch der allgemeine Unwille behindert habe.

Das ist das Echo der nach des großen Mannes bald darauf erfolgtem Sturze vom Hofe wider ihn aufgewiegelten Volksstimme. (Die Wahrheit ist wohl: D.) Aëtius kannte die Hunnen gut genug, um zu wissen, daß sie sich durch Gebirge nicht aufhalten ließen, erachtete seine Streitkraft, der die gallischen Völker diesmal abgingen, dem frischen, beutedurstigen Heere für nicht gewachsen, mochte aber hoffen, das durch Raubfahrt und Klima geschwächte, beutebeladene seiner Zeit in günstigen Terrainverhältnissen angreifen und schlagen zu können. Auch erwartete er Hilfstruppen des Ostkaisers Marcian, die nach Idatius (zum 29. Reg.-Jahre Valentinians III.) wirklich eingetroffen sein müssen.

Attila rückt, nach Jord. Kap. 42, zuerst, wohl früh im Jahre, vor Aquileja, das er vergeblich belagert. Schon beginnt das Heer zu murren und auf Abzug zu drängen, als der König, unschlüssig, ob er dem nachgeben oder beharren solle, plötzlich mehrere Störche ihre Nester auf den Hausdächern verlassen und mit ihren Jungen fortziehen sieht. Klug benutzt er dies, seinem abergläubischen Volk eine Weissagung der zukunftskundigen Vögel darzustellen, welche den Untergang der Stadt vorhersähen. (Vielleicht, aber nicht notwendig, Sage. D.) Das erneuert den Mut; das Spiel der Belagerungsmaschinen wird mit verdoppelter Anstrengung fortgesetzt und das unglückliche Aquileja wirklich genommen, rein ausgeplündert und so zerstört, daß kaum noch, wie Jordanis a. a. O. von seiner hundert Jahre spätem Zeit sagt, Trümmer dessen ursprüngliche Stätte verkünden. Über das ganze venetianische Gebiet und durch die lombardische Ebene ergießt sich nun die Verwüstung; alle Städte, selbst Mailand und Pavia, fallen in die Hände der sich in Blut sättigenden Barbaren.

Ja, noch weiter hinaus über die benachbarten Gegenden, fast über ganz Italien läßt Jordanis, Kap. 42, die Verheerung sich erstrecken und die Historia Miscella, die doch nicht selten auch uns verlorne Quellen benutzt hat, schließt hieran den wichtigen Zusatz: Nachdem Attila darauf noch die Städte Aemiliens vernichtet hatte, schlug er zuletzt am Einflusse des Mincio in den Po Lager. Hiernach ist also Attila auch über den Po gegangen, hat die Städte der auf dessen rechtem Ufer gelegenen Provinz Aemilia ausgeraubt und sich nachher wieder über den Fluß zurückgezogen.

Näheres hierüber findet sich nun in einem Schriftsteller des 16. (! D.) Jahrhunderts, in den zwanzig Büchern des gelehrten und gründlichen Italieners Sigonius Historiarum de occidentali Imperio XIII zum Jahre 452.

Derselbe erzählt: Im Winter (also 452/3) habe Attila den Po überschritten und die Städte Placentia, Reggio und Parma (in der Provinz Aemilia) zerstört. Da sei ihm Aëtius mit starker Streitmacht entgegengezogen und am 20. Januar eine Hauptschlacht bei Modena erwartet worden, als Attila sich plötzlich zurückgezogen habe und, von Aëtius verfolgt wieder über den Po zurückgegangen sei.

Sigonius beruft sich dafür lediglich auf Paulus Diaconus (d. i. die Historia miscella). Da aber bei dessen Leben nur erst die Ausgaben Venedig 1516 und Basel 1518 erschienen waren, in welchen sich so wie in andern ältern, namentlich der von Muratori, eben nur die obengedachte Stelle findet, die damalige Existenz einer vollständigeren Handschrift auch nicht anzunehmen ist, da eine solche gewiß von den Herausgebern benutzt worden wäre, so muß derselbe für jenes Detail noch eine andere Quelle gehabt haben.

Diese kann nur in der Heiligenlegende des St. Geminianus, Bischofs von Modena, bestanden haben. Aus beiden hat daher Sigonius seine spezielle Erzählung und zwar mit so unverkennbarem Scharfsinn zusammengesetzt, daß man, wenn auch nicht die Wahrheit, doch die hohe Wahrscheinlichkeit derselben gern anzuerkennen hat. (? D.)

In den Actis Sanctorum von Bollandus (Antwerpen 1643 II p. 1096 unter dem 31. Januar) findet sich nämlich im Vorwort zum Leben dieses Heiligen aus einer weit älteren Quelle die Nachricht, daß am 26. Januar jedes Jahres nach kirchlicher Verordnung (ecclesiastico edicto imperata) die Rettung dieser Stadt von Attila durch deren Bischof St. Geminianus gefeiert werde.

Wenn nun die Historia miscella Attila nach der Einnahme von Mailand und Pavia auch die Städte Aemiliens plündern läßt, so muß er von jenen lombardischen Städten aus über den Po gegangen sein und hierauf, der ämilischen Straße folgend, zuerst auf Placentia, dann auf Reggio und Parma, zuletzt aber auf Modena gestoßen sein, welches letztere aber nach der durch jenes Kirchenfest bestätigten Nachricht verschont blieb. Wir können daher insoweit dem Sigonius nur verständige Ergänzung nicht Erfindung beimessen. Wenn derselbe aber die Rettung der Stadt Modena nicht einem durch deren Bischof bewirkten Wunder zuschreibt, wie dies das von einem Unbekannten zu Anfang des achten Jahrhunderts geschriebene, zuerst durch Mombritius herausgegebene Leben dieses Heiligen tut, sondern dem Anzuge des Aëtius mit seinem Heere, so müssen wir dies freilich, weil er sich auf keine Quelle dafür beruft, für Willkür erklären, aber wiederum für eine durch die dringendste Wahrscheinlichkeit unterstützte.

Die Legende dieses Lebens selbst ist übrigens handgreiflich ohne allen historischen Wert (Also! D.) vermischt sogar, wie das Vorwort selbst zugibt, die Geschichte zweier Geminiane mit einander, von denen der erste unter Kaiser Jovian, der zweite ein Jahrhundert später noch unter Majorian lebte. Die Erzählung des darin berichteten Wunders aber ist, wie Thierry in seinem Anhang über die Attila-Sagen mit Recht bemerkt, nichts weiter als eine sklavische Kopie von der Legende des h. Lupus in Troyes, welche nun auch Italien sich aneignen wollte.

Diesem allen zufolge steht also nach der Historia miscella, welche des Jordanis Phrase zur Bestätigung gereicht, fest, daß Attila den Po überschritten und das jenseitige Land verwüstet hat; nach allen sonstigen Quellen aber, daß er über diesen Fluß wieder zurückgegangen ist und sich bei Ambulejus (nach der Clossischen Ausgabe des Jordanis) am Einflüsse des Mincio in den Po aufgestellt hat.

Daß letzteres jedoch erst Ende Januar 453 geschehen sei, beruht freilich allein auf der Tradition von jenem modenesischen Kirchenfest, das aber, wenn auch dessen Anlaß durch die Sage ausgeschmückt und entstellt worden sein sollte, in der Hauptsache doch kaum erdichtet sein kann, zumal es auch durch des Sigonius gewichtige Autorität verbürgt wird, der ja in der Nähe von Modena lebte. (Auf all das ist nichts zu bauen. D.)

Was bewog nun den Gewaltigen, der bereits am Fuße des Apennins stand, zu jenem plötzlichen Rückzuge?

Er hatte, wie Jordanis sagt, die Absicht, nach Rom zu ziehen, als die Seinigen, wie Priscus anführt, Schwierigkeiten erhoben und ihm Alarichs Beispiel vorhielten, der ja nach Roms Eroberung seinen Tod gefunden, wobei übrigens des Heeres Wunsch, die reiche Beute in Sicherheit zu bringen, die Haupttriebfeder gewesen sein mag.

Waren aber jene Schwierigkeiten grundlos und beruhten sie allein auf Aberglauben?

Wahrlich nicht: vielmehr war Attilas Lage zwischen den Apenninen und Po, wo nicht eine verzweifelte, doch mindestens eine höchst gefährliche.

Noch hatte er nicht von einem äußern, desto mehr aber vom innern Feinde gelitten, wie derselbe aus der Zuchtlosigkeit eines raubfahrenden und von Krankheiten, besonders während des italienischen Sommers heimgesuchten Heeres notwendig hervorgehen mußte.

Unfern Mantua erschien eine Friedensgesandtschaft aus Rom vor Attila.

Diese bestand aus dem römischen Bischofe Leo, einem auch in den schwierigsten Staatsgeschäften bewährten Manne, den die römische Kirche den Großen, die griechische den Weisen genannt hat, dem Konsular Gennadius Avienus aus dem erlauchten Geschlecht der Valerier und Corviner, den Sidonius (I, ep. 9) fast einen gebornen Fürsten nennt, und dem Expräfectus Prätorio Trigetius.

Mit Freuden und Ehren nahm Attila solche Männer auf, bewilligte ihnen sogleich den verlangten Frieden und ging über die Donau in seine Heimat zurück.

Raffael hat diese Verhandlung durch eine seiner herrlichsten Fresken in Vatican verewigt: demjenigen aber, welcher ohne Phantasie Geschichte zu schreiben hat, gehen doch, ohne dem immerhin großen Verdienste des Papstes Eintrag zu tun, über das den König bestimmende Motiv erhebliche Zweifel bei.

Von irgend welcher Gegenleistung Roms ist bei diesem Frieden zuvörderst nicht die Rede, woraus freilich auf Nichtgewährung einer solchen in Gelde mit Sicherheit nicht zu schließen ist, wenngleich Jordanis den Römern Ungünstiges sonst nicht zu verschweigen pflegt. Dagegen läßt dieser Schriftsteller Attila nach dem Friedensschlusse sein Verlangen nach Honorias Hand und Erbe, unter der Drohung, noch Schlimmeres über Italien verhängend dahin zurückzukehren, wiederholen. Hat er hierbei nicht die dem Kriege vorausgegangene Drohung mit einer nachfolgenden verwechselt, so wäre es doch eine fast zu große Naivität gewesen, dasjenige, was er bereits am Fuße des Apennins stehend fordern konnte, erst nachträglich von der Donau her noch durchsetzen zu wollen.

Attilas Lage und Beweggründe bei diesem schnellen Frieden waren wohl andere. Der kühne Eroberer, der in seinem Siegeslaufe plötzlich schwankend stillsteht, muß seine Sache selbst für bedenklich ansehen.

Vor allem tritt in diesem Falle die Unfähigkeit eines wilden Nomadenvolkes zu Eroberung eines hochzivilisierten Landes und Militärstaates recht schlagend hervor. Hätte Attila die festen Plätze, statt sie zu zerstören, behauptet, das Land teilweise wenigstens, statt es zur Wüste zu machen, verschont, so konnte er im Venetianischen seinem Heer Erholung, Pflege, wohl auch Verstärkung verschaffen, vor allem aber, was für die Hunnen die Hauptsache war, die lustbare Beute in Sicherheit bringen, und dann mit einem neugekräftigten Heere den zweiten Teil des Feldzuges beginnen.

Mit einem geschwächten, von Seuchen befallenen, unwilligen aber noch sechzig Meilen weit nach Rom marschieren, Tage lang durch den Apennin ziehen, wo er des Übergewichts seiner Hauptwaffe, der Reiterei, beraubt gewesen wäre, dabei in der Flanke oder im Rücken einen großen Feldherrn mit noch frischem Heer, der gewiß nur erst da und dann, wo er des Sieges fast sicher sein durfte, geschlagen haben würde, nach diesem allen endlich noch die Schwierigkeit vor Rom selbst, welches, nicht Alarich, sondern den Verwüster des Erdkreises vor sich, mit der Verzweifelung der Todesangst widerstanden haben würde: (Lauter Kombinationen ohne feste Anhaltspunkte. D.) – wäre unter solchen Umständen des Krieges Fortsetzung nicht sehr gewagt gewesen?

Glücklicher aber war diese Gottesgeißel als die spätere: Napoleon I. vor Moskau, dem die Friedensbotschaft ausblieb, die er mit unaussprechlicher Freude begrüßt haben würde.

Ob die römische damals mit oder ohne des Aëtius Zustimmung erfolgte, wissen wir nicht, zweifeln aber nicht, daß die mächtige, ihm feindliche Partei am Hofe den Krieg ohne sein weiteres Zutun beendigt zu sehen wünschte, er selbst aber auch einem durchaus günstigen Frieden ohne wesentliches Opfer nicht entgegen sprach.

An diesen Krieg knüpft sich der Anfang Venedigs, der stolzen Lagunenstadt, die in 1300 Jahren aus armseligen Fischerhütten zur Beherrscherin der Meere erwachsen ist.

Das nackte Leben zu retten, flohen die Bewohner des Festlandes auf die unbewohnten Inseln, erhielten sich zunächst dürftig von der Fischerei, erfreuten sich aber in den Stürmen der Folgezeit dieses Asyls, schufen sich künstlich immer mehr festen Boden und fanden allmählich in Fischerei, Salzbereitung, Handel und Reederei einen Erwerb, der stets blühender wurde und schon zu Cassiodors Zeit, nach dessen denkwürdigem Rescript an die dortigen Tribunen (tribuni maritimorum), bedeutend gewesen sein muß (Cassiod. variar. XII, 24).

Thierry (S. 222) läßt Attila nach ungarischen (! D.) Schriften aus dem zwölften und sechzehnten (! D.) Jahrhundert über den Brenner durch Noricum zurückkehren und auf diesem Wege sogar, des Friedens unerachtet, Augsburg plündern, von wo er durch eine Frau mit den Worten: »zurück, Attila«, abgetrieben worden sei.

Obwohl wir nun jenen Büchern allen Wert absprechen müssen, so gewinnt doch jene Angabe durch des Idatius Notiz zum neunundzwanzigsten Jahre Valentinians Wahrscheinlichkeit, worin derselbe sagt: »Die in Italien eingefallenen Hunnen seien von Gott durch Hunger und Krankheiten geschlagen worden; worauf sie in ihren Sitzen (wohl im weitern Sinne für das Land jenseits der Alpen (?? D.) sowohl durch himmlische Plagen, als durch Marcians Truppen bedrängt worden seien (subiguntur). Hierauf hätten sie Frieden mit Rom geschlossen und seien in die Heimat zurückgekehrt.«

In dieser Stelle sind wahre Ereignisse offenbar unchronologisch durcheinander geworfen: an der Tatsache von Marcians Mitwirkung aber ist, nach diesem Zeugnis eines sonst zuverlässigen Zeitgenossen, nicht zu zweifeln. Für diese aber konnte in Verbindung mit des Aëtius Kriegsplan kaum eine zweckmäßigere Operation erdacht werden, als ein auf dem nächsten Wege vom Ostreiche her gegen Attilas Rückzugslinie durch die julischen Alpen gerichteter Angriff, welcher dann dessen Wahl der Brennerstraße vollkommen erklären würde. Dabei mag nun, wenn wir Idatius folgen dürfen, Marcians General an den Frieden mit Westrom sich nicht gebunden erachtet, daher die Nachhut der Hunnen gedrängt haben, wodurch, in Verbindung mit dem viel weitern Wege, deren Verluste, sowohl durch Mangel und Krankheiten, als durch das Schwert wesentlich zugenommen haben mögen.

Mit vorstehender Annahme ist freilich die einzige Stelle, die wir noch in den Auszügen aus Priscus (1. Samml. 9, p. 153) über Attila finden, schwer zu vereinigen, wo derselbe nur sagt: »Nach Italiens Verwüstung kehrte Attila in seine Heimat zurück und kündigte sogleich dem Ostreich Krieg und Landesverheerung an, weil der mit Theodosius geordnete Tribut nicht bezahlt worden sei.« Offenbar nämlich würde nach dem Angriff durch Marcians Heer die unterlassene Entrichtung des Tributs kaum noch als Grund zur Erklärung eines Krieges, der ja bereits begonnen hatte, angeführt worden sein.

Indes gewährt ein aus einem Geschichtswerke herausgerissenes Bruchstück von nur vier Zeilen kein sicheres Anhalten: die Wahrheit bleibt uns sonach unerforschlich (Und obige Kombination grundlos. D.), obwohl es uns schwer fällt, des Idatius Zeugnis gänzlich zu verwerfen.

Jordanis sagt im Beginn seines 43. Kap. fast wörtlich dasselbe, wie Priscus, setzt aber hinzu, diese Drohung sei nur Maske gewesen, Attila vielmehr sogleich wieder gegen die Alanen und Westgoten nach Gallien gezogen. Diese hier eingeflickte Unmöglichkeit ist schlechterdings nur dadurch zu erklären, daß des Schriftstellers Einfalt aus zwei Erzählungen desselben Krieges vom Jahre 451, die er in verschiedenen Quellen gefunden, eine Wiederholung desselben gemacht hat. In der Tat verläuft auch dessen zweiter Feldzug im Wesentlichen genau so, wie der erste, nur daß dabei der Römer nicht gedacht wird.

Auf eine Widerlegung dieser handgreiflichen, von allen neuern Forschern anerkannten Ungereimtheit hat sich mit Recht keiner derselben eingelassen; nur Thierry (S. 223) versucht ihn durch Verwechselung mit einigen im Jahre 452 gegen die aufständischen Alanen im Kaukasus gelieferten Schlachten zu erklären. Er läßt aber dabei auffälliger Weise außer Acht, daß Jordanis ja nicht die Alanen, sondern den Westgotenkönig als Attilas Hauptgegner und als in einer großen Schlacht von ihm besiegt anführt, nach welcher letztern, die fast auf ganz gleiche Weise, wie die catalaunische verlief, Thorismund, wie er ausdrücklich hinzufügt, in seine Residenz Tolosa zurückgekehrt sei.

Der Stern des Welterschütterers war seit dem Tage von Orleans im Sinken: er starb nicht lange darauf. Es war im Jahre 453 (welches von den Zeitgenossen Prosper Aquitanus, Prosper Tiro und Idatius einstimmig als dessen Todesjahr bezeugt wird), als Attila, wie Jordanis Kap. 49 unter ausdrücklicher Beziehung auf Priscus berichtet Qui, ut Priscus historicus refert., dem dichten Reigen seiner Frauen eine neue in der Person der schönen Jungfrau Idilko beigesellte. Nachdem er übermäßiger Freude, wohl auch dem Becher, am Hochzeitsmale sich hingegeben, lag er in der Brautnacht wein- und schlaftrunken auf dem Rücken, mit nach hinten herabgesunkenem Haupt, als ein plötzlicher Andrang des Blutes, das sich bei ihm sonst durch die Nase zu ergießen pflegte, mittelst gewaltigen Blutsturzes seinem Leben ein Ende machte.

Als er am Morgen nicht erschien, erbrach man endlich die Türe und fand den Entseelten in seinem Blute, neben ihm, unter ihrem Schleier in Tränen schwimmend, die junge Gemahlin.

Marcellin allein, der ein Jahrhundert später schrieb, läßt ihn durch diese getötet werden, fügt aber selbst hinzu, daß er nach andern an einem Blutsturze verschieden sei. Derselbe irrt auch darin, daß er, im Widerspruch mit den Zeitgenossen, Attilas Tod erst in das Jahr 454 setzt, noch mehr aber Prokop, der ihn d. b. Vand. I, 4, p. 330 sogar erst nach Aëtius sterben läßt.

Nicht durch Tränen, die der Hülle eines gewaltigen Kriegsfürsten nicht geziemt haben würden, sondern durch Männerblut, Zerfurchen des Gesichts und Abschneiden des Haars bekundete das Mongolenvolk seine Trauer.

Mitten auf der Steppe ward die Leiche zunächst in einem seidenen Zelt ausgestellt, vor welchem die edelsten und erlesensten Hunnen, nach Art der Zirkusrennen, im Kreise umhersprengten.

Dabei ertönte folgender Trauergesang:

»Attila, Mundzucs Sohn, der erlauchte König der Hunnen, Herr der tapfersten Völker, der in vorher unerhörter Macht allein die skythischen und germanischen Reiche beherrschte, schreckte beide römische Reiche, deren Städte er einnahm und zwang sie, die Schonung des Rests derselben durch einen jährlichen Tribut zu erkaufen.

Auf dem Gipfel solchen Glücks verschied er: nicht durch des Feindes Schwert oder der Seinen Hinterlist: sondern, während diese im Taumel der Freude schwelgten, schmerzlos, auf seinem Lager.«

Darauf ward über seinem Grabhügel ein ungeheuerer Leichenschmaus gefeiert, bei dem in schroffem Gegensatze Klage und Lust ineinander flossen.

Die Bestattung selbst erfolgte erst im Dunkel der Nacht, wobei zuerst ein goldner, dann ein silberner, endlich ein eiserner Sarg den Körper umschloß, dem erbeutete Waffen, Pferdeschmuck und andres kostbare von Edelsteinen glänzende Geräte beigelegt wurden.

Die Totengräber wurden – zu Bewahrung des Geheimnisses – sofort umgebracht.

Attila starb (nach der auch durch Wahrscheinlichkeit unterstützten Angabe des Calanus, Kap. 26, S. 157) im sechsundfünfzigsten Jahre seines Alters.

Wir stehen am Grabe eines großen Mannes, eines jener weltgeschichtlichen Schreckensmeteore, die sich nach Jahrtausenden oder vielen Jahrhunderten plötzlich einmal, einem grausen Ungewitter gleich, in Blutströmen und Vernichtungshagel über der Menschheit entladen.

Aus demselben Altaistamme folgte ihm nach acht Jahrhunderten Dschingis-Khan, nach einem Jahrtausend Timurleng.

Jordanis schildert Attila Kap. 35 in Folgendem:

»Er war zur Erschütterung der Welt geboren: die, man weiß nicht wie, verbreitete Meinung von seiner Furchtbarkeit setzte alle Lande in Schrecken. Stolzen Schrittes, die Blicke um sich her werfend, trat er auf: sein Machtgefühl leuchtete aus jeder seiner Bewegungen hervor; Krieg und Schlachten liebend, mäßigte er doch gern das Blutvergießen; unerschütterlichen Ratschlusses gab er doch Bittenden willig Gehör und war für diejenigen, welche er als treu erkannt hatte, voll Wohlwollens.

Im Äußern war er von kurzer Gestalt, breiter Brust, großem Kopfe, kleinen Augen, ein wenig graueingesprengtem Barte, platter Nase und dunkler Farbe« – so, wie wir hinzusetzen, die Merkmale seiner Rasse bekundend.

Dieser guten, offenbar Cassiodor angehörenden Charakteristik lassen wir die eigne folgen.

Es ist unmöglich, Attila zu begreifen, wenn man nicht festhält, daß er ein Asiate und das geborne Haupt eines wilden Nomadenvolkes war. Nicht, daß sein Tiefblick über den Nationalinstinkt nirgends hinausgegangen sei; davon losreißen aber konnte er nicht einmal sich selbst, noch weniger sein Volk.

In Attilas Person muß etwas unbegreiflich, fast auf übernatürliche Weise Imponierendes gelegen haben. Stummes Zittern erfüllte seine Umgebung. Dies aber war nicht die Furcht eines Orientalen vor seinem Pascha, sondern die fast religiöse Ehrfurcht vor einem höhern Wesen.

Seine Rechtssprüche, Worte, ja nur Blicke, denen selbst die Vornehmsten lauschten, wurden wie Naturgesetze unabänderlichen Waltens schweigend aufgenommen und blind vollstreckt.

Er war ein Despot: aber nur in der für sein Volk naturnotwendigen Form, übrigens wohlwollend und gerecht. Wie hätte er sonst, selbst bei Römern und Germanen, so viel treue Liebe und Anhänglichkeit finden können? Sein strenges Rechtsgefühl tritt besonders in dem Verhalten gegen Maximin und Bigila hervor, wo er, ohne sich von der Leidenschaft eines gerechten Zornes blind fortreißen zu lassen, den Schuldlosen sorgfältig von dem Schuldigen unterscheidet, auch im Verbrecher aber das Völkerrecht achtet.

Auch ein roher Barbar war er keineswegs, sondern gewiß voll Sinn für Kultur: daher den Verkehr Gebildeter suchend, deren einer sein erster und vertrautester Minister war.

Seinen Hof, bei dem ein sehr ausgebildetes Zeremoniell herrschte, umgab er mit fürstlichem Glänze, während er für seine Person an der alten Einfachheit des Steppenlebens festhielt und nur unverzierter Kleider und hölzerner Geräte sich bediente.

Attilas Gebote und Verbote waren durch furchtbare Strafen gesichert, da, bei Priscus wenigstens, eine geringere als der Kreuzestod nicht erwähnt wird. Der Kreis aber, innerhalb dessen die Freiheit seiner Untertanen dadurch beschränkt ward, mag ein enger gewesen sein, außerhalb dessen man sich dieser ganz unbelästigt und dabei doch in gesicherter Ordnung erfreuen konnte.

Das ist es ja, weshalb selbst geborne Römer das patriarchalische Hunnenregiment dem römischen enthusiastisch vorziehen.

In dem diplomatischen Verkehr mit den römischen Herrschern war der König hart, ungerecht, ja brutal; dies entsprang aus der Verachtung, mit welcher er im Stolze seines Machtbewußtseins auf deren Schwäche und Jämmerlichkeit herabblickte.

Ebenso verfuhren gegen die Schwachen das alte Rom und – nach Rom – andere Mächtige in neuerer und neuester Zeit.

In seiner Politik zog unser Held, echter Asiate, List und Verstellung stets den Waffen vor, die er nur als letztes Mittel in Anwendung brachte.

Zwei Züge nur sind es in Attilas Charakter, welche unserm Begriffe von Fürstenwürde unverständlich, ja widerlich erscheinen – : wir meinen den Wert, den seine Eitelkeit kleinlich auf vornehme Gesandte legte, und seine Gier nach Gold.

Wir haben oft gesagt, daß Roms Namen und historische Größe einen unbeschreiblichen Zauber auf die ganze Barbarenwelt ausübte, der sich mit der persönlichen Geringschätzung der zeitweiligen Herrscher vollkommen vertrug. Rom war immer noch das Höchste, Glänzendste, was man auf Erden kannte: jeder Barbarenfürst, auf welchen ein auserwählter Strahl dieser Herrlichkeit unmittelbar herabfiel, fühlte sich dadurch geschmeichelt. Ein Konsular daher, d. i. ein Mann, der einem Jahre für die ganze zivilisierte Welt seinen Namen gegeben hatte, schien mit einer Hoheit bekleidet, der man immer noch willig auszeichnende Verehrung zollte.

Schlimmer die zweite Schwäche –: Attila läßt sich von Gaiserich durch Geld zu Kriegen bestechen (? D.), nimmt von Theodosius, den er in stolzer Anmaßung seinen Knecht (δου̃λος) nennt, Titel und Gehalt an, läßt sich sogar von seinem eignen Diener, dem er durch seinen gebieterischen Einfluß eine reiche Frau verschafft, einen Teil der Aussteuer versprechen. Ist das nicht schmutzig, schimpflich? Prüfen wir genauer.

Ammian schließt seine oben mitgeteilte treffliche Schilderung der Hunnen mit den Worten: » Ihre vorherrschende Leidenschaft ist das Gold.«

Neben dieser Gier nach Gold waltete hier ein von Grund aus verschiedener Begriff von dem, was wir in germanischem Geist Ehrgefühl nennen. Da schien jedes zu Befriedigung eines an sich naturgemäßen Wunsches dienende Mittel naturgemäß, also unschuldig und erlaubt. (Gold bot dem König Macht und dem Volke – Genuß, nach welchem die wilden Mongolen maßlos lechzten. Gold war für den Herrscher wichtigstes Bestechungsmittel nach außen, Belohnungsmittel im innern, Soldmittel für den Krieg. D.)

Wir haben daher in jener unserm modernen Sinn so widerlichen Goldsucht Attilas nur den Durst nach Macht und den in ihm gipfelnden Nationalinstinkt seines Volkes zu erkennen.

Der Beiname Gottesgeißel (flagellum Dei), welchen eine spätere Zeit unserm Helden gegeben hat, gehört der Geschichte der seinigen nicht an, findet sich vielmehr zuerst in der Legende des heiligen Lupus, welche im achten oder neunten Jahrhundert verfaßt ward. S. Thierry, Anhang S. 200 der deutschen Übersetzung von Burkhardt. Leipzig 1859.

Die weltgeschichtliche Persönlichkeit Attilas bekundet sich vor allem durch dessen Fortleben in der Sage, die stets das Größte ergreift und es, phantastisch umkleidet, der Nachwelt überliefert. So lebt er fort bei den Galliern (in den Legenden), Germanen und Magyaren, welche letztere freilich in ihm zugleich den Nationalneiden feierten. Wir beschränken uns darauf, Attilas Erwähnung in den germanisch-skandinavischen Dichtungen, der Edda und den Nibelungen, kurz zu gedenken.

In ersterer sind es besonders das Gudhrunarhvöt Den aeldre Edda ed. Munch, Christiania 1847, S. 143–162., Atlakvidha und Atlamál, so wie in den Nibelungen beinah der ganze zweite Teil (von dem zwanzigsten bis zum neununddreißigsten Abenteuer), welche davon handeln. Da begegnen sich Geschichte und Dichtung zuvörderst in den Namen nicht nur Attilas selbst, als Atli der Edda und Etzel der Nibelungen, sondern auch dessen erster Gemahlin Cerca (Herkia der E., Helke der N), vor allem aber dessen Bruders Bleda (Blödel der N, 22. Abenteuer).

Völlig verschieden dagegen sind in beiden Dichtungen die Katastrophen: nach der Edda nimmt Gudrun (die Chrimhild der Nibelungen) für den Mord ihrer Brüder Blutrache an Atli, ihrem Gemahl, den sie tötet: – offenbar eine spätere Version über dessen plötzliches Ende, die schon zu Marcellins Zeit Verbreitung gefunden haben muß, während nach den Nibelungen umgekehrt Chrimhild die Ermordung ihres ersten Gemahls Sigfrid an ihren Brüdern und Hagen rächt, was denn die grause Burgunderschlacht ist, in der wir schon oben einen Kern historischer Wahrheit annahmen.

Merkwürdig aber, daß in beiden Dichtungen keine Spur von Attilas persönlichem Heldenmute sich findet, derselbe vielmehr nur den passiven Hintergrund des tragischen Epos bildet, in dessen Vordergrunde bei den weit ausführlicheren Nibelungen allein die furchtbare Chrimhild waltet.

Als Ausfluß des Nationalgefühles aber muß es in letztern betrachtet werden, daß, außer den Burgunderkönigen und deren Recken, nur noch der ebenfalls germanische Dietrich von Bern und dieser zwar als größter Held und endlicher Sieger in Attilas Dienst gefeiert wird.

Obwohl diese Nationalpoesien selbstredend kein historisches Material bieten, so haben doch die beiden Schlußstrophen des einundzwanzigsten Abenteuers der Nibelungen unsre Aufmerksamkeit gefesselt:

König Etzels Herrschaft war so weit erkannt,
Daß man zu allen Zeiten an seinem Hofe fand
Die allerkühnsten Recken, davon man je vernommen
Bei Christen oder Heiden; die waren all mit ihm gekommen.
Bei ihm war allerwegen, so sieht mans nimmermehr,
So christlicher Glauben als heidnischer Verkehr.
Wozu nach seiner Sitte sich auch ein Jeder schlug,
Das schuf des Königs Milde: man gab doch Allen genug.

Die hier wie in andern Stellen bezeugte Mischung von Heiden und Christen an Attilas Hofe und in dessen Heere beruht auf Wahrheit. Die meisten Germanen, mindestens die Ostgoten und Gepiden, unter ihm waren schon Christen.

Attilas Todesstunde ward die Geburtsstunde der Befreiung der Germanen aus fünfundsiebzigjähriger Knechtschaft, dieses wichtigsten Begebnisses des fünften Jahrhunderts.

Von den beiden Prosper und Victor Tununensis wird dies im Allgemeinen bestätigt: Näheres ergibt sich doch darüber allein aus des Jordanis 50. Kapitel, das offenbar wieder aus einer guten Quelle geflossen ist.

Attila mag die Absicht gehabt haben, seinen ältesten Sohn als den dafür Geeignetsten zum Nachfolger in seinem Gesamtreiche zu bestimmen. Dies kann aber auf eine nach der Volkssitte legale Weise noch nicht geschehen sein, weshalb die zahlreichen Söhne auf Teilung drangen. Unter diesen waren Nach Thierry, dessen zweiter Teil hiervon handelt, S. 236. sechs: nämlich Ellak, Denghizish, Emnedzar, Uzindur, Gheism und Ernak, bereits erwachsen. Ellak muß sich dem unterworfen haben. Als dies Ardarich, der Gepide, Attilas weiser und treuer Ratgeber erfuhr, loderte das germanische Freiheitsgefühl in ihm auf. Empört durch den Gedanken, ganze Völker wie unfreie Knechte verteilt zu sehen, erhob er sich zuerst wider Attilas Söhne; mit ihm bald auch die meisten seiner unter gleichem Drucke schmachtenden Stammgenossen.

Nachdem man beiderseits gewaffnet, kam es in Pannonien bei dem Flusse Netad (auch Nedad, Nedao oder Neoda) zur Schlacht. Ist diese geographische Bezeichnung genau, so wäre, da die Provinz Pannonien vor bis zur Donau reichte, der Krieg auf deren rechtem Ufer verlaufen.

Uns dünkt jedoch das linke zwischen Gran und Preßburg wahrscheinlicher, weil eines Stromübergangs nicht gedacht wird, und weil die Germanen, welche wohl von den Hunnen angegriffen wurden, auch wohl ein mehr gebirgiges Terrain zu ihrer Aufstellung gewählt haben dürften. Sollte diese Vermutung Anklang finden, so würde vielleicht der Name obigen Flusses in dem der Neitra wieder zu erkennen und an deren oberem Laufe das Schlachtfeld zu suchen sein.

In diesem Kampfe sah man, wie Jordanis Kap. 50 sagt, die Glieder eines Leibes, nach dessen abgeschlagenem Haupte, gegen einander wüten: Goten, Gepiden, Rugier und Sueben (Ostgoten, die Reste der Vandalen, dann Quaden und Markomannen) gegen Hunnen, Alanen Jordanis gibt nicht an, auf welcher Seite die einzelnen Völker standen: weil er aber die Alanen und Heruler erst nach den Hunnen aufführt, so scheint es wahrscheinlicher, daß letztere für diese fochten. Dies taten aber unstreitig auch diejenigen Germanen, welche wie Edeco in Attilas unmittelbarem Dienste standen, oder als Abenteurer und Söldner zu dessen Hoflager und Umgebung gehörten. und Heruler. Der Sieg aber blieb nach langem schweren Streite der Sache der Freiheit. 30 000 Mann sowohl Hunnen als anderer mit ihnen vereinter Völker fielen durch Ardarichs und seiner Streitgenossen Schwert.

Ellak blieb nach den Beweisen größter Tapferkeit in der Schlacht.

Seine Brüder flohen nach den Gestaden des Pontus zu und so wichen denn endlich die Hunnen, vor denen der Erdkreis gewichen war.

Im Hochgefühle der errungenen Freiheit sandten die Völker, zu friedlicher Auseinandersetzung über die neuen Sitze unter sich und mit Rom, Gesandte an Marcian, welche dieser auf das freundlichste empfing. Die Gepiden, welche sich des ganzen alten Dakiens als Sieger bemächtigt hatten, gewiß aber nur in Siebenbürgen und der Wallachei sitzen blieben, verlangten und erhielten vom Kaiser Frieden und Foedus mit jährlicher Geldzahlung, die ihnen auch bis auf des Jordanis Tage unter dem Namen eines Geschenks fortgewährt wurde.

Den Ostgoten, welche die Gepiden am Platze der Hunnen, letztere aber in ihren alten Sitzen sahen, auch schon unter der Herrschaft der Hunnen, als deren Vorhut gegen die andern Germanen, großenteils in Pannonien gesessen haben mögen, ward auf ihr Bitten Pannonien von Sirmium bis Wien von Rom überlassen, worunter wir Westrom verstehen müssen, das doch im Jahre 433 nicht die ganze Provinz, sondern nur einen Teil derselben den Hunnen abgetreten hatte.

Die Sarmaten, d. i. Jazygen, nebst einigen Hunnen empfingen einen Landstrich im westlichen Obermösien bis zu castra Martis, etwa vier Meilen westlich des Oescos (Isker) an der Donau, die Skiren, Satagaren und die übrigen Alanen (die Satagaren waren also ein Zweig letzterer) wurden in Klein-Skythien und Niedermösien angesiedelt. Bei dem Alanenkönige Candac war des Jordanis Großvater als Notar in Dienst.

Den Rugiern und einigen andern Völkern ward auf ihren Wunsch die Gegend von Bizzis und Arcadiopolis Diese Orte finden sich weder bei Ptolemäus, der nur ein Bizüä in Thrakien nennt, noch im Itinerar. Arcadiopolis lag nach Malchus (p. 243 und 262 d. Bonn. Ausg.) in Thrakien, ist aber offenbar nur der neue Name einer ältern, vielleicht durch Arcadius restaurierten Stadt. Diese Lage von Arcadiopolis paßt aber nicht für die Niederlassung der Rugier, für welche eine andere Stadt dieses Namens in Niedermösien anzunehmen ist. angewiesen.

Von Attilas Söhnen ließen sich Ernak oder Hernak der Jüngste in Klein-Skythien (Dobrutscha), Emnadzur und Utzindur im ripensischen Dakien an den Flüssen Utus, Oescus und Almus (etwa von Nikopolis an der Donau bis Widdin) nieder. (Jordanis, Kap. 50.) Da nach obigem in derselben Gegend auch die Sarmaten mit den Hunnen saßen, so waren erstere vielleicht unter hunnischer Oberherrschaft geblieben.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Rechtstitel dieses neuen Landbesitzes der Barbaren, der sonach auf einen langen Streifen südlich der Donau sich erstreckte, dessen Überlassung durch Rom war, mit dem deshalb gewiß von allen Völkern Verträge geschlossen wurden.

Nur die Nachricht von den Rugiern und Skiren kann nicht (? D.) von den Gesamtvölkern derselben verstanden werden, die späterhin unzweifelhaft im Norden der Mitteldonau im heutigen Österreich und beziehentlich Oberungarn saßen, ist daher nur auf eine Abteilung derselben, vielleicht derjenigen, welche auf hunnischer Seite gekämpft hatten, zu beziehen. (S. Zeuß, S. 484/5.)

Wir wenden uns zu Rom zurück.

Wer Valentinian und den Hof zu Ravenna kannte, mußte vorhersehen, daß Aëtius des Reiches Erlösung von Attila nicht lange überleben würde.

Ein schwacher Herr und ein von Neid und Haß erfülltes Hofgesinde können einen übermächtigen Diener um so weniger ertragen, je größer dessen Verdienst ist. Es war die Wiederholung von Stilichos Sturz unter Honorius: nur mit dem Unterschiede, daß letzterer zwar von gleicher Schwäche, aber doch verständiger, vor allem ängstlicher, daher vorsichtiger war, als der leidenschaftliche und zügellose Valentinian III. Daher handelte auch Honorius nicht früher, als nachdem es durch eine schurkische Intrige, die er gewiß nicht vollständig durchschaute, gelungen war, den größten Teil des Heers zum Aufstand wider Stilicho zu bringen, was ihm eine Art von Vorwand bot.

Nur entbehrlicher mochte im Jahre 454 der große Feldherr erscheinen, weil der Reichsfeind bereits tot war, während im Jahre 408 Alarich noch, und zwar in drohender Nähe, lebte.

Prosper Aquitanus, den Tiro kopiert, berichtet Folgendes vom Jahre 454, in welchem Aëtius selbst Konsul war Dies setzt des Aëtius Todesjahr außer Zweifel. Tillemont VI, 2, Art. 27 hält zwar für wahrscheinlicher, daß dies ein dem Ostreich angehöriger Aëtius gewesen sei, was wir jedoch, da auch der zweite Konsul, Studius, daher war, nicht glauben.: nach gegenseitigen Treue-Schwüren, nach verabredeter Vermählung ihrer Kinder (des Aëtius Sohn Gaudentius mit Valentinians Tochter Eudocia) sei die bitterste Feindschaft entstanden, welche der Eunuch Heraclius (Oberkammerherr) im Kaiser geweckt und geschürt habe. Tillemont VI, 2, S. 452 zitiert bei dem Berichte von des Aëtius Fall unter andern auch Sidonius Apoll. Carm. V, worin sich v. 127–310 eine weitschweifige poetische Verhandlung zwischen des Aëtius Gemahlin und ihrem Manne über die durch Majorians Zukunft ihrem Sohne drohende Gefahr findet.

Nach Prokop (d. b. Vand. I, 24, p. 329) und Johannes von Antiochien (dessen Fragmente Carl Müller in seinen Fragm. Historic. Graec, Paris 1851, T. IV, herausgegeben hat, Fragment 201, p. 614) soll aber auch der sogleich zu erwähnende Maximus mitverschworen gewesen sein.

Die Katastrophe selbst wird von letzterm Schriftsteller aus der ersten Hälfte des siebenten Jahrhunderts, der nach dem Herausgeber (p. 538) für die betreffende Zeit hauptsächlich Priscus benutzt hat und für diese, wie uns dünkt, mit Recht empfohlen wird, sehr umständlich, kürzlich aber in Folgendem erzählt.

Als Aëtius, um Rechnung abzulegen und Geld abzuliefern, zum Kaiser gekommen, sei dieser heftig schreiend aufgesprungen und habe ihn mit den grundleersten Vorwürfen überhäuft.

Indem sich der Patricius hierauf verantworten wollen, hätten sich Valentinian und Heraclius, der einen Dolch unter dem Mantel verborgen, auf ihn gestürzt und ihn mit wiederholten Stößen getötet.

Daß der Kaiser dabei selbst als Mörder mitwirkte, wird auch von Prosper Aquitanus bestätigt.

Auch der Präfectus Prätorio Boethius und wohl noch andre Anhänger des Aëtius wurden nach ihm umgebracht.

So fiel in ungefähr gleichem Alter mit Attila Roms letzter großer Mann: und mit ihm das Westreich selbst, das von dem an nur noch in zweiundzwanzigjährigem Todeskampfe ruhmlos den letzten Atem verhauchte.

War er voll Ehrgeiz, scheute er zu dessen Befriedigung, namentlich zu Wegräumung von Nebenbuhlern kein Mittel, auch Mord und Lüge nicht, so fragen wir nur: welcher hochgestellte Römer seiner Zeit würde bei gleichem Ehrgefühl anders gehandelt haben? Trugen dessen Gegner nicht auch Mordgedanken im Busen? Wirklich erzählt uns Johannes Antiochenus (p. 615) hierbei, daß der Patricius Felix auf Placidiens Veranlassung Aëtius nach dem Leben getrachtet habe.

Was aber der Überwinder Attilas als Feldherr, was er als Staatsmann war, beweist die Geschichte.

Der anekdotenreiche Prokop erzählt (p. 329 a. Schl.): »ein vom Kaiser darüber befragter Römer: ob er nicht wohlgetan, Aëtius wegzuschaffen, habe diesem erwidert: darüber könne er nicht urteilen, daß er sich aber die rechte Hand mit der linken abgehauen habe, wisse er genau.«

Die rächende Nemesis zögerte diesmal nicht.

Nach Johannes Antiochenus a. a. O. suchte Maximus des Aëtius Ämter, namentlich das Konsulat, zu erlangen, ging aber, weil ihm Heraclius entgegenwirkte, leer aus, worauf er erbittert des Kaisers Sturz beschloß. Dazu gewann er zwei tapfere Goten, Optila und Traustila (Al. -äla, goth. -aila? doch wohl -ila; vergl. Optaris; vielleicht Transtila? D.), des Aëtius treue Waffengefährten, die nun unter den kaiserlichen Leibwächtern dienten.

Unbesorgt reitet Valentinian mit schwacher Begleitung, unter welcher die Verschworenen sich befinden, zum Bogenschießen auf das Marsfeld. Indem er nun daselbst absteigt, empfängt er von Optila den ersten Streich auf das Haupt und, sich nach diesem umwendend, den zweiten in das Gesicht, der ihn zu Boden wirft. Gleichzeitig tötet sein Genosse den Heraclius, worauf beide mit dem kaiserlichen Diadem und Roß, ohne daß jemand die gefürchteten Krieger aufzuhalten wagt, zu Maximus eilen.

Prokop dagegen berichtet a. a. O. p. 328: Valentinian habe aus böser Lust des Maximus schöne Frau durch List in den Palast gelockt und ihr daselbst Gewalt angetan, was deren Gemahl zu jener blutigen Rache getrieben habe. Die weitere Erzählung dieses Schriftstellers, dem auch Gibbon und andre, selbst Niebuhr, folgen, enthält aber Unrichtigkeiten, was denn auch obiges Anführen verdächtig macht, von dem der weit genauere Johannes Antiochenus nichts weiß, den jene Historiker freilich noch nicht kannten.

Valentinian III. starb am 16. März Nach der in Roncallis Sammlung II unter VIII abgedruckten Chronik eine unbekannten Verfassers wird S. 168 der 17. März als der Erhebungstag des Maximus angegeben. 455 im fünfunddreißigsten Altersjahr; auch bei ihm ist, wie bei Honorius, seine Geschichte zugleich seine Charakteristik.

Nach des Kaisers Tode spalteten sich die Meinungen der Soldaten über den Nachfolger. Neben Maximus wollten viele einen Maximian, andre den spätern Kaiser Majorian erheben, welchen letztern Eudoxia, Valentinians Witwe, begünstigte.

Maximus aber hatte das meiste Geld: das gewann ihm, wie einst Didius Julianus, den Thron, den er auf gleiche Weise und eben so bald wie jener wieder verlor.


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