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Elftes Kapitel.
Gallien und Spanien bis zur Ankunft der Westgoten

Anknüpfend an Anm. 585 des 10. Kapitels ist über die Quellen für Kap. 11 und 12 noch Einiges zu bemerken:

1. Olympiodors zweiundzwanzig Geschichtsbücher, welche die Zeit vom Jahre 407 bis 425 behandeln, würden uns, was auch Photius über dessen Stil und Darstellung Ungünstiges sagt, ein unschätzbares Material bieten, wenn dieselben uns durch des Photius Auszüge vollständiger erhalten worden wären; sie sind aber auch so von größter Wichtigkeit. Er war Zeitgenosse, Heide, muß meist in Italien gelebt und die besten Quellen benutzt haben.

2. Unter den Chronisten hat sich der Vorzug des Prosper Aquitanus und Idatius, des Letztern besonders für spanische Verhältnisse, vor den Übrigen immer mehr bewährt. Aber auch Unrichtigkeiten und Widersprüche finden sich häufig, wie denn auch die Rechnungsweise des Prosper Tiro und Idatius nach Regierungsjahren, statt nach Konsulaten, die Vergleichung erschwert und zu Irrtümern Anlaß gibt.

3. Die schon für die nächstvergangene, besonders aber auch für die folgende Zeit nicht unwichtigen theologischen Schriftsteller Hieronymus, Augustinus und Salvianus (de gubernatione Dei etc., auch de Providentia bezeichnet), denen man gewissermaßen den Historiker Orosius beizählen könnte, bedürfen einer erläuternden Bemerkung.

Die Reaktion des noch stark im Volke gärenden Heidentums suchte den jammerwürdigen Verfall Roms zu Anfang des fünften Jahrhunderts als eine Folge der Apostasie vom alten Glauben darzustellen. Dawider erhob sich in Rede und Schrift das Wort der christlichen Lehrer: »Nein, ein Gottesgericht ist es, riefen sie; die verdiente Strafe eurer namenlosen Sündengreuel. Die Barbaren siegen, weil sie besser sind, als ihr; die christlichen, weil sie, wenn auch Häretiker, doch frommer; die heidnischen, weil sie mindestens sittlich reiner sind.« Vergl. Dahn, Urgeschichte I, S. 544.

Aus dieser Tendenz nun haben wir die Schriften der Theologen zu erklären, deren religiöser Eifer fast immer in das Maßlose schweift. Der gute Zweck entschuldigt die Übertreibung. (Vergl. Bd. I, S. 585 über Gregor von Nazianz.)

Was nun die zum Teil wichtigen historischen Nachrichten in den Werken dieser Schriftsteller, namentlich in des Hieronymus Briefen betrifft, so muß man nicht vergessen, daß der Schreiber eines Privatbriefes theologischen Inhalts, bei gelegentlicher Einstreuung politischer Notizen, gar nicht die Verpflichtung skrupulöser Genauigkeit hat, zumal den Adressaten die Sache in der Regel selbst bekannt ist

Davon findet sich unter andern ein Beleg in Hieronymus (epist. 107 ad Laetam T. I. p. 673 der Ausgabe von Vallarsius, Verona 1734), wo derselbe unter den zum Christentum übergegangenen Barbaren, eben so wie Orosius (VII, 41), auch die Hunnen im Allgemeinen mit aufführt, während sich dies doch unbezweifelt nur auf wenige Einzelne beziehen kann, die unter Römern lebend übertraten.

Jedenfalls irrig ist es aber, unter den theologischen Forschern Sunnia und Fretela, an welche des Hieronymus vorhergehender Brief 106 gerichtet ist, sich Hunnen zu denken, da dies offenbar gotische Geistliche im römischen Reiche waren, die sich über schwierige Auslegungsfragen der Psalmen von Hieronymus Belehrung erbeten hatten. (Dahn, Könige VI, S. 42; Urgeschichte I, S. 423.)

Merkwürdig aber die Gründlichkeit des Studiums unter diesen jungen Christen germanischen Stammes, die namentlich auch das Verhältnis des griechischen und lateinischen Textes zum Überirdischen in das Auge faßten

Den theologischen Quellen ist auch das Carmen de Providentia eines Ungenannten, anscheinend vom Jahre 416, beizuziehen, das in der Pariser Ausgabe des Prosper Aquitanus (s. Anm. 645 des vorigen Kapitels) mit abgedruckt ist. (Dahn, Urgeschichte I, S. 541.)

Anlaß und Zeitpunkt des Weltereignisses, mit welchem die germanische Eroberung jenseits der Alpen und des Rheines neu begonnen hat, ward vorstehend entwickelt und begründet.

Aufgescheucht von Hunnenfurcht (? D.), wenn auch noch nicht alle gewaltsam verdrängt, waren die Völker jenseits der Mitteldonau zu Gewinnung neuer, gesicherterer Sitze nach Italien aufgebrochen. Stilichos Politik aber wußte die durch gewohnte Unterwerfung unter ein starkes, allverehrtes Oberhaupt noch nicht verbundene Masse zu teilen.

Die Mehrzahl, angeblich zwei Dritteile derselben, ließ sich bewegen, in dem von Truppen entblößten Gallien ein leichteres Eroberungsfeld aufzusuchen.

Diese bestand hauptsächlich aus den Völkern der Vandalen und Alanen, denen sich jedoch auch zahlreiche Angehörige anderer Stämme, namentlich suebischer, angeschlossen hatten. Prosp. Aquit. u. Cass. zum Jahre 406; Orosius VII, 40; Jordanis 31; Zosimus VI, 3 u. Prokop, de bell. Vand. I, 3.

Die Vandalen waren seßhaft zwischen Donau und Theiß an und in den Vorbergen der Karpaten: ihre Schicksale in den Jahren 331 bis 334, sowie 358 wurden im I. Bande umständlich berichtet. Dem Bereiche der Hunnen, welchen sich die Nachbarn, die Gepiden, bereits unterworfen hatten, zunächst sitzend, mußten die Vandalen sicherlich zuerst an Auswanderung denken.

Die Alanen saßen teils in Europa, teils in Asien. Ersteren gehörten, abgesehen selbst von den Roxalanen, diejenigen an, welche sich nach Bd. I, S. 133 am markomannischen Kriege beteiligten. Bei Ankunft der Goten traten sie zum Teil in ein Klientelverhältnis zu diesen. Die Hauptmasse der europäischen nahm die östliche Grenzmark am Don und der Mäotis ein. Andere müssen unter wirksamer Oberherrlichkeit der Goten inmitten derselben um den Dnjestr und Pruth sitzen geblieben sein, von wo sie als aufständische Untertanen und böse Nachbarn Rom beunruhigten.

Die mächtigen asiatischen Alanen dagegen wurden erst von den Hunnen unterworfen, indem sie, unter Anerkennung von deren Oberherrlichkeit, diesen sich anschlossen.

Als Steppenvolk waren sie ursprünglich unzweifelhaft Nomaden: und es scheint ihnen die Beweglichkeit dieser Lebenssitte geblieben zu sein. Wir sehen bald nach dem Hunneneinbruche, der sie doch im äußersten Osten traf, Scharen derselben an der Spitze der Zuwanderer im Westen auftreten. Der römische Solddienst besonders muß die größte Anziehungskraft für sie gehabt haben. Sie bildeten Gratians Lieblingsgarde und spielten eine wichtige Rolle in Stilichos Heeren.

Kaum aus den vorbemerkten westlichen Alanen am Dnjestr allein können jedoch, ihrer sich bald ergebenden großen Anzahl nach, die Auswanderer bestanden haben; auch von den östlichen europäischen, vielleicht selbst von den asiatischen, mögen sich manche ihnen angeschlossen haben. Nur das Gesamtvolk war es nicht, da wir ja später noch selbst zu des Jordanis Zeit Alanen unter ihren Königen neben den Ostgoten finden.

Unter den in den Quellen bemerkten Sueben haben wir (nach Zeuß, S. 457) Semnonen (? D.) zu verstehen.

Daß endlich auch Gefolgschaften und Einzelne anderer Völker, wie Heruler, Gepiden, Sarmaten, d. h. Jazygen und Quaden dem Strome mit gefolgt sind, würde auch ohne des Hieronymus Versicherung (I. Epistol. epist. 123 ad Ageruchiam, p. 907 d. Ausg. von Vallarsius, Verona 1734) vorauszusetzen sein, da nach alter Sitte jedem streitbaren Abenteurer der Anschluß an solchen Zug offen stand.

Die Alemannen und Franken haben sich unzweifelhaft von der Gemeinschaft mit den neuen Eindringlingen fern gehalten, ihre alten Sitze (im Kampf mit den hindurch Wandernden D.) behauptet (und nur von diesen aus ihre Ausbreitung in die römischen Provinzen Gallien, Belgien, Rätien, Vindelicien, Noricum fortgesetzt. D.).

Eigentümlich die Stellung der Burgunder, von denen wir vermuteten, daß sie bereits in der letzten Zeit des Theodosius, bis an den Rhein vorgerückt, die Alemannen weiter nach Straßburg den Strom hinaufgedrängt hätten, von wo sie dann später erst, ohne sich an der großen Völkerflut des Jahres 406 zu beteiligen, ihren Anteil an der zerwirkten Römerbeute in Besitz nahmen.

Der in langer Marschlinie und vielen Kolonnen ausrückende Wanderzug warf auf seinem rechten Flügel, den die Vandalen bildeten, die nächsten Franken, die Widerstand versuchten, über den Haufen (Orosius VII, 40 Francos proterunt). Diese aber, verstärkt durch Stammgenossen, griffen nun die Vandalen mit solcher Entschlossenheit an, daß deren König Godigisil mit 20 000 seiner Krieger auf dem Platze blieb. Prokop d. bell. Vand. I, 3 läßt sie unter des Godigisdus (offenbar derselbe) Anführung noch nach Spanien ziehen, doch ist dieser Schriftsteller über Früheres unzuverlässig; vergl. Dahn, Könige I, S. 143. Da wäre das Gesamtvolk vernichtet worden, wenn nicht Respendial, der König der Alanen, demselben sogleich zu Hilfe geeilt wäre. (Renatus Profuturus Frigeridus nach Gregor von Tours II, 9.) Hierbei bemerkt dieser Schriftsteller noch, daß ein anderer Häuptling der Alanen, Goar, vermutlich durch hohen Sold gelockt, zu den Römern übergegangen sei.

Es ist sicher, daß dieser Krieg noch auf dem rechten Rheinufer verlief, teils weil wir nach Obigem nicht annehmen können, daß die Franken damals schon ganz festen Sitz auf dem linken eingenommen hatten, teils besonders aber auch um deswillen, weil die Franken gar kein wesentliches Interesse gehabt hätten, die bereits übergegangenen Vandalen, die sicherlich in das Innere Galliens vorzudringen beabsichtigten, noch angreifend zu verfolgen.

Unter allen Umständen muß jener Rheinübergang fast unbehindert durch die Römer erfolgt sein; denn was hätten die schwachen Grenzbesatzungen gegen solche Massen vermocht? Der Übergang geschah wohl auf mehreren Punkten, etwa zwischen Worms und Bonn: auch diesmal nicht mehr, wie früher oft, nur zu kurzer Raubfahrt und flüchtigem Besitze: nein, mit der Absicht und dem Erfolge bleibender Niederlassung in den römischen Westlanden.

Mangel an Truppen und mehr noch, wie Salvian (de gubernatione Dei) sagt, Kleinmut und Verzagtheit der in Wohlleben versunkenen Bewohner erleichterten die Eroberung: Straßburg, Speier fielen sofort in des Feindes Hände, Worms erst nach langer Belagerung, Mainz anscheinend durch Sturm, wobei in letzterer Stadt, von deren Zerstörung die Rede ist, viele Tausende in der Kirche hingeschlachtet worden sein sollen. (Hieronymus a. a. O., p. 908.)

Von hier aus wälzte sich der Zug nicht den Rhein hinab, sondern westwärts nach Belgien. Feuersäulen loderten auf, wohin er drang. Das mächtige Rheims, Amiens, Arras, Teruana An der obern Lys etwa zwischen Lille und St. Omer. und Tournai gingen in Flammen auf; was an Menschen dem Schwert entrann ward, neben unermeßlicher Beute, in Knechtschaft fortgeschleppt

Von Belgien aus ergoß sich der Verheerungsstrom nach dem Südwesten, über die Marne, Seine und Loire in das reiche Aquitanien Unstreitig im Wesentlichen auf dem jetzigen, meist den Flußtälern, erst auf und dann hinab folgenden Straßenzuge über Châlons, Troyes, Sens, Orleans, Tours, Poitiers und Angoulême zur Garonne, wobei selbstverständlich nach beiden Seiten weit abgeschweift wurde., das gründlich ausgeraubt ward, ja weiter hin nach Spanien zu, wo er sich erst an den Pyrenäen brach, von deren Pässen die tapfern Bergbewohner ihn abwiesen. Der zurückgeworfenen Brandung gleich flutete er nun weithin über den Süden Galliens. Auch hier fielen fast alle Städte unter Feindesschwert von außen und schwerer Hungersnot im Innern: und wenn Toulouse durch den Mut und die Klugheit seines Bischofs Exsuperius gerettet ward, so waren doch dessen Leiden so groß, daß Hieronymus deren nur mit Tränen gedenken zu können versichert. (S. Hieron. a. a. O., p. 908.)

So war das unglückliche Gallien noch nie heimgesucht worden: vom Rhein bis an den Ozean, von den Alpen bis zu den Pyrenäen, sagt der gedachte Zeitgenosse, schwamm Alles im Blute.

Vergessen wir indes auch nicht, daß das Gerücht, welchem der ferne Hieronymus seine Feder lieh, immer übertreibt, die Augenzeugen Salvian und der Verfasser des Gedichts (de Providentia v. 15–60) aber einen viel längeren Zeitraum umfassen, in dem noch Vieles, was der ersten Verheerung entging, nachgeholt worden sein kann.

Und Stilicho, der im Jahre 406 noch in voller Kraft war, wo blieb der berufene Retter? Was fesselte ihn? Um Italien zu retten, hatte er Gallien preisgegeben: jenes aber war unfehlbar verloren, wenn er es verließ, ohne vorher mit Alarich im Reinen zu sein. Was er dafür im Jahre 406 vorkehrte, wie er im Jahre 407 zur eigenen Mitwirkung nach dem Orient abgehen wollte, vom Kaiser aber daran behindert ward, ist oben berichtet worden.

Da schien die Hilfe auf illegitimem Wege zu nahen.

Die Erbärmlichkeit des Hofes zu Ravenna, der maßlose Jammer Galliens und die Furcht, bei möglicher gleicher Not auf gleiche Weise verlassen zu werden, regten den schon immer meuterischen Sinn des britannischen Heeres zur Empörung auf. Sie riefen (und zwar schon im Jahre 406 Dies erhellt aus Olympiodors Angabe p. 460: bevor Honorius das siebente Konsulat antrat, was am 1. Januar 407 geschah. Daß Orosius und die Chronisten den Marcus nicht erwähnen, steht der bestimmten Angabe des Olympiodor und Zosimus nicht entgegen.) einen gewissen Marcus zum Kaiser aus, bereuten aber bald die Wahl und töteten ihn, worauf ein Gratian, zu dessen Nachfolger berufen, nach vier Monaten auf gleiche Weise beseitigt ward. Da lenkte ein großer Name die Wahl: ein Soldat niederen Grades, Constantin geheissen, empfing den Purpur.

Richtigen Blickes setzte dieser, das Heer zu beschäftigen, baldmöglichst bei Boulogne nach Gallien über (Zosimus VI, 2. Orosius V, 40. Olympiodor, Bonn. Ausg., p. 451 und Prosper. Aquit.)

Die Provinz, von dem rechtmäßigen Herrscher verlassen, in der Hochmut der Not um ihr Leben ringend, begrüßte ihn als Retter, nicht als Rebell. Zuerst zog er alles, was noch an römischen Truppen in festen Plätzen und Kastellen im Norden zerstreut war und bald auch die Garnisonen aus Aquitanien und dem südlichen Gallien an sich, wohin er, vielleicht unfern der Küste, durch eine Flotte gedeckt, zog. Zu Heerführern ernannte er Justinian und Nebisgast, welcher Letztere unstreitig ein Germane, vielleicht Franke, war.

Mit den Häuptern der Feinde suchte er sich durch Verträge zu verständigen, welche diese stets eben so leicht zu schließen als zu brechen geneigt waren. Wahrscheinlich überließ er ihnen bestimmte Gegenden zur Niederlassung, woran sich diese jedoch, zumal die Führer ihres Volkes nicht sehr mächtig gewesen sein mögen, nicht gebunden haben dürften. Dies führte zu Kämpfen, worin er eine größere Abteilung der einem allgemeinen und geordneten Kommando schwerlich folgenden Germanen in scharfen Treffen besiegte. (Orosius III, 4 u. Zosimus VI, 3.)

Da kam ihm ein gefährlicherer Feind in den Rücken.

Das Gespenst eines Thronräubers, der sich schon Italien näherte, weckte den erschrockenen Honorius zur Gegenwehr. Der tapfere Sarus ward über die Alpen gesandt. Zwischen diesen und dem Rhone traf er bereits Constantins Feldherrn Justinian mit einer starken Vorhut und schlug ihn sofort auf das Haupt, wobei Letzterer selbst blieb. Im Begriff, nun auf das feste Valence, wohin sich Constantin begeben hatte, vorzurücken, warf sich ihm Nebisgast in den Weg, den er zur Unterhandlung bewog, bei dieser aber, trotz des geschwornen Eides, hinterlistig umbrachte: er zog darauf vor Valence.

Constantin hatte inzwischen den Franken Edobich und den Britannier Gerontius zu Feldherren ernannt, die mit so starker Streitmacht zum Entsatze heranrückten, daß Sarus, der sein bereits geschwächtes Heer ihnen nicht gewachsen geglaubt haben mag, sich zum Rückzug über die Alpen entschloß.

Diese waren aber bereits von dem flüchtigen und aufständischen Landvolke, wiederum, wie zu Maximinians Zeit, Bagauden genannt, in solcher Anzahl erfüllt, daß Sarus es geraten fand, den freien Übergang durch die von denselben besetzten Pässe durch Überlassung der mitgeführten Beute sich zu erkaufen. (Zosimus VI, 2.)

Dies muß in den ersten Monaten des Jahres 408 geschehen sein.

In diesen ziemlich unvollständigen Berichten überrascht uns die Stärke von Constantins Truppen und Hilfsmitteln, bei deren Sammlung derselbe große Tätigkeit entwickelt und besonders Germanen in seinen Sold genommen haben muß.

Auch muß zu Beginn dieses Jahres eine Art von friedlichem Verträgnisse zwischen ihm und den eingedrungenen Barbaren bestanden haben, so daß er ohne Gefahr eines jeden Angriffs durch dieselben an Ausdehnung seiner Herrschaft auf Spanien denken konnte.

Von Gallien aus beherrscht zu werden gewohnt würde dieses Land bei der Entscheidung zwischen dem nahen illegitimen Machthaber, welcher Soldaten, und dem fernen legitimen, der nur Rescripte für sich hatte, kaum geschwankt haben, wenn nicht das persönliche Interesse letztern verteidigt hätte, indem sich des Honorius reiche und mächtige Vettern Didimus, Verenianus, Theodosius und Logadius für ihn erhoben.

Was sich von Truppen im Lande, namentlich in Lusitanien befand, an sich ziehend, verteidigten sie in Gemeinschaft mit den Gebirgsbewohnern eine Zeit lang die Pyrenäenpässe mit Glück (Orosius VII, 40). Nachdem aber Constantin seinem Sohne Constans, der bereits Mönch gewesen war, den Befehl übertragen und ihm die unter dem Namen Honorianer bekannten Fremdregimenter In der Not. dign. des Abendlands finden sich Kapitel V drei comitatensische Legionen und acht palatinische Auxilien, sowie Kap. VI drei Fähnlein Reiterei, welche diesen Namen, zum Teil neben andern, z. B. Honoriani Marcomanni oder Mauri seniores und juniores führen. Der Name beweist, daß diese Regimenter frühestens nach des Honorius Geburt, wahrscheinlich erst unter dessen Regierung errichtet worden sind. beigegeben hatte, gelang es diesem, den Eingang, vermutlich im jetzigen Katalonien (möglicherweise in Verbindung mit einer Landung an der Küste) zu erzwingen. Didymus und Verenianus wurden nach energischem Widerstande geschlagen, setzten zwar durch das Aufgebot ihrer Sklaven und Kolonnen den Kampf fort, gerieten aber endlich in Gefangenschaft (Zosimus VI, 4).

Darüber mag das Jahr 408 verlaufen sein. Den plünderungsdurstigen Honorianern ward nun, vermutlich, um sie aus dem Innern loszuwerden, wo ihnen die Ausraubung der kaiserlichen Hausgüter nachgesehen worden war, an der Stelle der so treuen als tapfern Landeskinder die Hut der Pyrenäen übertragen.

Das nackte rauhe Gebirge aber, 10 000 Fuß über dem Meere, war kein solchen Gesellen zusagender Standort. Nach Beute und Wohlleben lüstern schweiften sie weit ab in die Ebenen hinein und gewährten so (vielleicht auch in Verrat D.) den in Gallien hausenden Barbaren die Füglichkeit, durch die schwach oder gar nicht besetzten Pässe, auf deren Öffnung jene begierig lauerten, am 18. September oder 13. Oktober Um diese vierzehn Tage weichen die Nachrichten nach Idatius in dessen Chronik ab. 409 in Spanien einzudringen.

In der Völkerwanderung regt sich ein eigentümlich instinktives Leben. Dem Auszug aus der alten Heimat lag der Trieb, sich eine neue, bleibende (unbedrohte [»quietam patriam«] und räumlich wie durch Fruchtertrag genügende D.) zu gewinnen, zu Grunde. Wie groß nun auch die Reize unbehinderter Raubfahrt, freien Mordens und Brennens gewesen sein mögen, jenes Endziel mußte doch fest im Auge bleiben: – (schon aus Not. D.).

Weniger klare Berechnung gewiß als Instinkt aber ließ sie erkennen, daß, je weiter ab vom Mittelpunkte römischer Macht, um so gesicherter die neue Niederlassung sein werde.

Darum (Stärker noch wirkte die Bedrohung durch die Truppen Constantins, der in Gallien den Hauptsitz seiner Macht hatte. D.) trieb es die Vandalen, Alanen und Sueben, die hier wieder genannt werden, das reiche und blühende Gallien mit Hispanien zu vertauschen, das, wenn auch damals gleichen Flors, doch viel mehr unwirtbares Gebirge enthält.

Wunderbar die Geschichte dieses fernsten, von der Natur so gesicherten Außengliedes unsers Erdteils. Es ward Tummelplatz gerade der entlegensten, freilich durch dessen Naturschätze angelockten Völker der Erde: zuerst ließen sich Phöniker und Griechen, dann Carthager, denen es zu wesentlicher Machtquelle wurde, daselbst nieder; ihnen folgte die römische Republik; zu Ruhe, Ordnung und hoher Kultur aber gelangte Spanien erst zur Kaiserzeit, während welcher es mehr als vier Jahrhunderte friedlichen Glückes nach alter Weise genoß, das durch den doch nur einen engern Raum berührenden Verheerungszug einer fränkischen Raubschar zu des Gallienus Zeit (s. Bd. I), wenngleich sich diese zwölf Jahre lang in Spanien behaupteten, wenigstens nicht wesentlich und bleibend gestört wurde.

Nun ward es zur Beute einem Völkerstrom von der Niederweichsel und Donau, ja von der Mäotis und dem Pontus her, Wanderern, denen erst der atlantische Ozean ein Ziel setzte.

Die letzten Eindringlinge und zugleich die gebildetsten aller waren die Westgoten, deren wir im nächsten Kapitel gedenken werden. Sie wurden nach langen Kämpfen ihrer Vorgänger Meister. Ruhiger und vollständiger, als auf andern Eroberungsfeldern vollzog sich nun in drei Jahrhunderten der Romanisierungsprozeß der Germanen in Spanien, als plötzlich in wildem Aufschwunge des muselmännischen Fanatismus ein neuer Eroberungssturm von Afrika her sich über Land und Volk ergoß. Die Westgoten Alarichs und Theoderichs I. (in der catalaunischen Schlacht) waren damals nicht mehr. Im ersten Anlaufe ward das Germanentum von den Mauren beinahe vernichtet. Aus kleinem Anfange wuchs aber ein Widerstand heraus, der erst nach beinahe acht Jahrhunderten mit dem vollständigen Siege des Christentums und Europas über den Islam und Afrika endigte.

Über Zeit und Art der Niederlassung der Germanen in Spanien sind die Quellen dürftig.

Unzweifelhaft ging hier im Rausche des Einbruchs ein Verheerungssturm, wie in Gallien, voraus, den der Zeit- und Landesgenosse Idatius Dessen Geburt wird um 388, dessen Tod 468 angenommen. in seiner Chronik mit vielleicht zu starken Farben schildert.

In grausamer Roheit ergossen sich Raub und Verwüstung über Stadt und Land. Aussaat und Ernte waren behindert: daher Hungersnot: so daß man hier und da durch Menschenfleisch, ja Mütter durch das ihrer eigenen Kinder, das Leben zu fristen suchte.

Desto üppiger die Freiheit der wilden Tiere, welche, nicht mehr verscheucht, die Menschen zerrissen: bis die Gefährtin des Hungers, die Pest, Besiegte und Sieger dahinraffend, das Übermaß der Leiden erfüllte.

Der Gipfel der Not mag zum Umschlag, zur Besinnung und dadurch zur Hilfe geführt haben. Indem sich die Germanen in dem entvölkerten Lande niederließen, wird Schonung und Erhaltung der Bewohner in ihrem eigenen Interesse gelegen haben.

Auch ward ein großer Teil der tarraconensischen Provinz in Aragonien, Catalonien und Valencia, wo sich die Römer behaupteten, im Wesentlichen gewiß ebenso verschont, wie die baskischen Provinzen, Nordcastilien, Asturien und die Hochgebirge überhaupt.

Nach Orosius (VI, 41) haben auch die Provinzialen hier und da Barbaren zu ihrer Verteidigung gegen andere in Sold genommen.

Bei der endlichen Festsetzung, die nach des Idatius Chronik Des Idadus Chronik zum siebzehnten Regierungsjahre des Honorius. im Jahr 411 sich vollendete, nahmen die (asdingischen D.) Vandalen und Sueben Galläcien und die westliche Seeküste, die Alanen Lusitanien und Carthagena, die Silingen, ein (anderer) vandalischer Stamm, Andalusien in Besitz. Gallaeciam Wandali occupant et Suevi, sitam in extremitate oceani maris occidua. Alani Lusitaniam et Cartaginiensem provincias et Wandali cognomine Silingi Baeticam sortiuntur. Die Niederlassung der Alanen in Lusitanien und in Cartagena muß, obgleich sich das alte Lusitanien bis an die Mancha erstreckte, doch in getrennten Abteilungen erfolgt sein.

Gallien war nun, im Wesentlichen wenigstens, von den Barbaren befreit, von denen nur einzelne Scharen, namentlich alanische, wie wir später sehen werden, daselbst zurückblieben, indem sie von der wüsten Raubfahrt zu Niederlassung und Verträgnis mit den Römern und Einwohnern übergingen.

Schlimmer mag es an den Grenzen gestanden haben, wo Mauren, Burgunder und Alemannen unbehindert eindrangen.

Die Ripuarier mögen damals auch Trier, die alte Residenz, genommen haben, dessen viermaliger Verwüstung Salvian in späterer Zeit gedenkt.

(Von allen diesen über den Rhein dringenden Germanen ist anzunehmen, daß nicht mehr Plünderung und Zerstörung, vielmehr bleibende Festsetzung auch auf dem linken Rheinufer, der Franken am Niederrhein, der Burgunder um Worms, der Alemannen am Oberrhein ihr Ziel war. D.)

Für Constantin war inzwischen durch Stilichos Tod und des Honorius äußerste Bedrängnis, der Leben und Herrschaft nur hinter Ravennas Sümpfen zu fristen vermochte, die Sonne des Glücks aufgegangen. Schon nach des Sarus Rückzug zu Anfang des Jahres 408 hatte er die Alpenpässe gegen wiederholten Einbruch durch Schutzwerke zu sperren gesucht. Was Zosimus (VI, 3) von Wiederherstellung der seit Julian vernachlässigten Rheinwehr sagt, kann nur sehr unbedeutend, etwa am Oberrhein in der Gegend von Basel gewesen sein. Die angebliche Vernachlässigung ist, so viel Valentinian I. betrifft, geradezu unwahr, und widerspricht Zosimus eigenem Anführen IV, 3. (Zosim. VI, 2.) Mit den Barbaren muß selbst vor deren Abzug nach Spanien eine Art Verträgnis bestanden haben, so daß er sich, nachdem sein Sohn Constans von Spaniens Eroberung mit den gefangenen kaiserlichen Vettern zurückgekehrt und von ihm zum Augustus und Mitherrscher erhoben worden war, stark genug fühlte, zu Anfang des Jahres 409 durch eine Gesandtschaft über seine Anerkennung mit Honorius in Verhandlung zu treten, welcher ihm auch, in Hoffnung auf dessen Beistand wider Alarich und zu Rettung seiner beiden Die beiden andern Brüder, Theodosius und Logadius, hatten sich zur See nach Ravenna und Konstantinopel gerettet. Vettern, die er noch lebend glaubte, den Purpur übersandte. Letztern Zweck aber erlangte er dadurch nicht, da Didymus und Verenianus vorher schon und zwar, wie Constantin vorgab, ohne sein Vorwissen getötet worden waren.

So war dieser nun gegen die Legitimität gesichert: aber nicht gegen die Rebellion, zu der er selbst das Beispiel gegeben. Sein nach des Constans Abreise in Spanien zurückgebliebener Magister militum Gerontius erhob sich wider ihn, aber nicht um sich selbst, sondern um seinen Sohn (oder Klienten Nach Olympiodor p. 453 dessen Sohn, nach Orosius (VII, 42) Maximum quendam (einen gewissen), nach Renatus Profuturus Frigeridus, Gregor von Tours (II, 9) und Sozomenos (IX 13) familiaris, einer von dessen Vertrauten. Erstere Quelle ist die glaubhafteste.) Maximus auf den Thron zu heben.

Die Zeit und der nächste weitere Verlauf dieses Ereignisses (Zosimus VI, 5) sind mit Sicherheit nicht zu ermitteln. Der Aufstand erfolgte entweder unmittelbar vor dem Einbruche der Germanen in Spanien, der alsdann dadurch wohl erleichtert ward, oder sechs bis acht Monate später im Jahre 410, als deren das tarraconensische Spanien verschonende Zug nach dem Westen sich festgestellt hatte. In dem Bürgerkriege rüsteten beide Teile durch Anwerbung germanischer Söldner, indem Gerontius wohl Vandalen, Alanen und Sueben, Constantin aber Franken und Alemannen an sich zog (Gregor von Tours a. a. O.).

Wie lange der Krieg in Spanien dauerte, wissen wir nicht, müssen aber annehmen, daß Constantin auf Sieg hoffte, da er im Sommer 410 auf dem Wege zu Honorius in Italien war, um diesen, vermutlich unter dem Vorwande der Hilfsleistung, zu stürzen, als ihn die Tötung des Allobich, des damaligen Machthabers am Hofe zu Ravenna, den er wohl gewonnen haben mochte, zur schleunigen Rückkehr veranlaßte, wenn dazu nicht vielleicht auch Nachrichten aus Spanien beitrugen (Olymp., p. 452).

Gewiß ist, daß Constantius Sohn und Mitkaiser Constans gegen Ende des Jahres 410 aus Spanien fliehen und sich, das Feld zu behaupten unfähig, in die feste Stadt Vienne werfen mußte, deren sich Gerontius schließlich bemächtigte, wo er zu Anfang des Jahres 411 (nach Prosper Aquit., Marcellin und Sozomenos VII, 13) den Ex-Mönch und Kaiser umbrachte. Der Vater, unvermögend den Sohn zu entsetzen, suchte nun selbst in dem noch festeren Arles Schutz, wo ihn Gerontius belagerte.

Von da ab tritt die Geschichte des Westens in eine neue Phase, deren Erzählung wir einen Rückblick auf die römische Herrschaft in Britannien und Aremorica vorausschicken.

Mit Constantius Auszug aus ersterem Lande mag die römische Zentralverwaltung daselbst, wo nicht ausdrücklich aufgehoben worden, doch aus Mangel an Exekutivgewalt erloschen sein. Prosper Tiro zum Jahre 409. Hac tempestate prae valetudine Romanorum vires funditus attenuatae Britanniae. Da bildete sich in den bedeutendsten Städten, deren Anzahl ein Mönch des vierzehnten Jahrhunderts (Daher ganz unglaubhaft! D.), Richard von Cirencester (de situ Britann., p. 36), wiewohl mit zweifelhafter Sicherheit, auf neunzig angibt, eine Selbstregierung sowohl zur Verteidigung gegen Picten, Scoten und Sachsen nach außen, als für Ordnung und Gericht im Innern, welche von den großen Grundherren freilich sehr bestritten worden sein mag. (S. Gibbon, Kap. 31, Not. 172–186.) Diese hat Honorius, der bei völliger Tatlosigkeit doch den größten Eifer für das Regiment auf dem Papier bewies, durch Schreiben an die britannischem Städte auch anerkannt.

Ähnlich mag es in Aremorika, hauptsächlich in der heutigen Bretagne zwischen Seine und Loire, ergangen sein, wo sich eine große Anzahl der Freiwilligen, die Maximus im Jahre 383 nach Gallien begleiteten, niedergelassen hatte. Durch das Treiben der Barbaren auf der Hauptstraße aus Nordgallien nach Aquitanien vom Sitze der Zentralregierung in der alten Provinz im Süden abgeschnitten, jedenfalls deren Schutzes an ihren Außenküsten beraubt, mußten sie sich in gleicher Weise wie die Britannier selbst helfen, was Honorius ebenfalls anerkannte (s. Zosimus VI, 511).

Wir verließen Constantin zu Beginn des Jahres 411 in Gallien, um die Zeit also, da Alarich nicht mehr war und Honorius wieder frei atmete.

Allerdings war Ataulf noch in Italien, aber ungefährlicher, da er unter dem Einfluß Placidias seinen Rom freundlichern Sinn wahrscheinlich in Unterhandlungen bald offenbarte.

Das benutzte der legitime Herrscher, den Rebellen – in dessen Bedrängnis durch einen gegen ihn selbst aufgestandenen Rebellen – anzugreifen. Dazu sandte er in den ersten Monaten des Jahres 411 den Constantius ab, dem er einen Goten, Wulfila, beigab.

Wohltuend tritt uns in Constantius zuerst wieder seit Stilichos Tod auf römischer Seite ein Mann entgegen: und zwar nicht nur von Kraft und Mut, sondern auch von Gesinnung. Constantius war Römer aus Naissus in Illyricum, das dem Reiche seit langer Zeit der Tüchtigsten so viele geliefert hatte. (Olympiodor, p. 453 und 467, Prosper Aquit., Tiro, Idatius in fastis, Orosius VII, 42.)

Als sich dieser Arles näherte, zog ihm Gerontius entgegen. Indem hier die Grundsätze und Persönlichkeiten zusammenstießen, gingen die Truppen großenteils von der abstoßenden des Rebellen zu der einnehmenden edlen des legitimen Führers über. Gerontius floh, ward aber bald darauf von seinen eigenen Soldaten in einem Hause belagert, wo derselbe nach der heldenmütigsten Gegenwehr nebst seiner Frau und einem guten Freunde durch gegenseitige und eigene Tötung in dem brennenden Gebäude sein Ende fand. (Olympiodor p. 454, Sozomenos VII, 13 und Orosius VI, 42.)

Der Titularkaiser Maximus floh zu den Barbaren, wo er im Jahre 417, als Orosius sein Werk schloß, noch im Elend lebte.

Constantius rückte nun vor Arles, wo Constantin sehnlich die Hilfe erwartete, welche ihm sein General, der Franke Edobich, vom Rhein her zuführen sollte, wohin er ihn schon bei des Gerontius Angriff zu Anwerbung von Landesgenossen entsandt hatte. Als dieser heranzog, ging ihm Constantius sogleich über den Rhone entgegen und manövrierte dabei so geschickt, daß seine Reiterei unter Wulfila dem Feinde, den er mit dem Fußvolke in der Fronte angriff, in Rücken und Flanke fallen konnte. Das entschied; das Heer ward nach großem Blutbade zerstreut, der Rest suchte im Entrinnen oder Übergang Rettung, Edobich selbst floh zu einem durch Wohltaten ihm verpflichteten gallischen Gastfreunde, Ecdicius, der niedrig genug war, durch dessen Tötung und Überbringung des Hauptes des Constantius Gunst gewinnen zu wollen, von diesem aber mit Unwillen über den Verrat aus dem Lager verwiesen wurde.

Verlassen von seiner letzten Hilfe ward nun Constantin, statt von dem Rebellen, von dem legitimen Heerführer in Arles belagert. Dies dauerte schon in den vierten Monat hinein (Gregor von Tours a. a. O.), als plötzlich das Auftreten eines neuen Gegenkaisers, des Jovinus oder Jovianus am Rhein, Constantius bestimmte, durch Anerbieten einer billigen Kapitulation die Übergabe zu beschleunigen. Besatzung und Bewohner mögen durch das Versprechen unbedingter Straflosigkeit und Schonung gewonnen worden sein und sich mit einer Zusicherung des Lebens ihres bisherigen Herrn begnügt haben, die vielleicht etwas vager Natur war und die zu hoffende Ratifikation des Kaisers vorbehielt. Constantin hatte schon vorher das Kaisergewand abgelegt und sich in einer Kirche zum Priester weihen lassen, ward gleichwohl aber nebst seinem jüngsten Sohne nach Ravenna geschickt und unterwegs schon auf des Honorius Befehl, der ihm die Tötung seiner Vettern Didymus und Verenianus nachtrug, samt seinem Sohne getötet. (Olympiodor p. 454.) Am 18. September 411 ward (nach Idatius) dessen Haupt nach Ravenna gebracht und nachher in Karthago ausgestellt, eine »Ehrenbezeugung«, welche dieser zweiten Stadt des Westreichs schon unter Constantin und Theodosius durch die Häupter früherer Tyrannen zu Teil geworden war.

Constantin, der vier Jahre lang herrschte, kann kein unfähiger Mann gewesen sein. Allerdings hatte er die Gunst der Umstände, namentlich des Honorius damalige Machtlosigkeit für sich: er hatte diese aber auch zu benutzen gewußt und mag sich eine gewisse Zuneigung und Vertrauen bei seinen Untertanen wie bei den Germanen erworben haben.

Merkwürdig übrigens, daß sich unter den zahlreichen »Tyrannen«, welche die Kaiserzeit namentlich unter Gallienus kannte, nur drei große Charaktere finden: Postumus, das Weib Zenobia und Carausius. Der Erste und der Letzte fielen auch nicht durch den legitimen Herrscher, sondern, in Vergeltung der Schuld ihres Ursprungs, durch die eigenen Leute; Zenobien zu besiegen aber bedurfte es der vollen Anstrengung eines der größten Kriegshelden Roms: Aurelians.

Der neue Rebell, Jovinus, war ein Gallier edelster Geburt, dessen Erhebung aber ein Werk der Germanen, die, Alarichs Beispiel folgend, von einem Kaiser ihrer Schöpfung den meisten Vorteil erwarteten. Der Burgunderkönig Gunthari und der Alanenhäuptling Goar, der schon bei dem ersten Einfalle der Germanen in Gallien zu den Römern übergegangen war und wahrscheinlich unter dem Schein von Unterwerfung ein Stück Landes unfern des Rheins in Besitz genommen hatte, erhoben ihn zu Mainz auf den Thron. Olympiodor p. 454, Gregor v. Tours a. a. O. und Orosius VII, 42. Nach Olympiodor wäre er bei Mundiacum erhoben worden, was nur falsche Lesart für Moguntiacum sein kann. Derselbe brach hierauf sofort mit seinen Bundesgenossen und einem aus andern Germanen, namentlich Franken und Alemannen, geworbenen Heere nach dem Süden auf. Über die nächste Zeit verlassen uns jedoch die Quellen wieder. Wir müssen annehmen, daß der tapfere Constantius, so nötig auch gerade jetzt sein Schwert gewesen wäre, Gallien verließ, indem nun Dardanus als neuer Präfectus Prätorio daselbst genannt wird.

Möglich, daß man um diese Zeit in Ravenna schon von Ataulfs beabsichtigtem Zuge nach Gallien Kenntnis hatte und Constantius nicht mit diesem, den er um Placidiens willen bitter haßte, in Berührung bringen wollte. Auch von Jovinus erfahren wir nichts, können daher nur vermuten, daß er, durch Belagerung der dem Kaiser treu gebliebenen Festungen aufgehalten, nur langsam vorrückte und an Dardanus einen tüchtigen Gegner fand.

Im folgenden Jahre nun tritt Ataulf auf den Plan, dessen Wirken in Gallien, mit dem unsere Quellen wieder etwas reichlicher zu fließen beginnen, das folgende Kapitel gewidmet ist.


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