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Zweiter Exkurs.
Über die angebliche Identität der Geten und Goten

Diese schon in alter Zeit aufgetauchte Streitfrage ist wieder angeregt worden durch J. Grimm in einer am 5. März 1846 in der k. Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehaltenen Vorlesung. Ihm trat jedoch sofort v. Sybel (die Geten und Goten, in Schmidts allgemeiner Zeitschrift für Geschichte, Bd. VI, Berlin 1846) entgegen, während J. Grimm in seiner Geschichte der deutschen Sprache, Berlin 1848 (s. zweite Ausgabe, Leipzig), S. 123–151, 305–320 und 555–573 seine Meinung aufrecht erhielt und dazu in einer im April 1849 in der Akademie der Wissenschaften gehaltenen Vorlesung noch einen Nachtrag lieferte. Unterstützung hat derselbe gefunden in W. Kraft, »Die Anfänge der christlichen Kirche«, 1. Band, Berlin 1854, S. 77–127.

Die Geten sind dasjenige Volk, welches von vielen Geschichtsschreibern und Geographen zuerst als ein Teil des thrakischen von Herodot (um die Mitte des fünften Jahrhunderts vor Christus: IV, 93–96 und V, 3–8), dann von Thukydides (etwa zwanzig Jahre später, II, 96), von Strabo (VII, 3), von Arrian (unter Hadrian de exped. Alex. I, 3) und zuletzt vielfach von Cassius Dio erwähnt und beziehentlich umständlich beschrieben wird, das innerhalb dieser sechshundert Jahre unter Boirebistes zur Zeit Augusts so wie unter Dekebalus zur Zeit Domitians zu hoher politischer Macht gelangte, schon nach des ersteren Tode aber das zwischen Hämus und Donau gelegene Land (Nieder-Mösien, das heutige Bulgarien) verlor und unter Dekebalus endlich durch Trajan politisch ganz vernichtet wurde, indem dieser dessen Gesamtgebiet zur Provinz Dakien (jetzt Banat, Donaufürstentümer, Siebenbürgen und Bessarabien) machte.

Herodot bezeichnet die Geten, welche Darius auf seinem Zuge nach Norden zunächst zwischen Hämus und Donau traf, als einen Zweig des großen thrakischen Volkes, das viele kleinere in sich begreife (ονόματα δὲ πολλὰ έχουσι κατὰ χώρας έκαστοι V, 3), nennt aber von solchen, außer den Geten, ihrer Besonderheiten halber nur noch die Trausen, Krestoner und die über letzteren Wohnenden.

Da die Namen dieser Nebenvölker insgesamt in der Geschichte verschwunden sind, so müssen sie im Getenreiche, welches deren Sitze unzweifelhaft umfaßte, aufgegangen sein. Herodots nordöstliche Grenze zwischen Thrakien und Skythien ist nicht ganz deutlich, doch scheint der Tyras, Dnjestr, dafür angenommen werden zu müssen. Die von Strabo VII, S. 306, von Plinius IV, 12 vor Untergang des dakischen Reichs erwähnten Tyrigeten sind offenbar am Tyras wohnende Geten. Ptolemäus, der nach des dakischen Reiches Sturz schrieb, führt sie aber nach III, 5, § 25 im europäischen Sarmatien (dem südlichen Rußland) in Verbindung mit III, 10, § 13 als Bewohner des linken Tyrasufers auf.

Noch Pomponius Mela aber, um die Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christus, kennt die Geten als eines der Spezialvölker des thrakischen Stammes, die verschiedene Namen und Sitten hätten. (II, 2, 3.)

Der westliche Teil der Geten bis zur Theiß erscheint unter dem Namen der Daken, Daci, während der östliche den der Geten behalten hat. Ursprünglich unstreitig als Nebenzweige eines Hauptastes verschieden, hatten sie doch im Wesentlichen dieselbe Sprache, und zwar die thrakische (Strabo VII, S. 303 und 305) und gehörten insgesamt zu des Boirebistes und des Dekebalus Reiche. Da die Daken von Dalmatien und Makedonien aus den Römern zuerst bekannt wurden, legten diese dem ganzen Volke deren Namen bei, während die Griechen es Geten nannten, weil sie umgekehrt von Ost und Süd her nur mit dessen östlichem Zweig in Berührung traten. (Cass. Dio LXVII, c. 6.)

Unter den Goten verstehe ich hier dasjenige Volk, welches sich in seiner eigenen Sprache Gutthiuda nannte, wie sich dies aus dem von Ang. Mai herausgegebenen Kalender-Fragmente aus dem Kloster Bobbio an der Trebbia ergibt. S. Ulfilas von Gabelenz und Löbe II, S. 17; Zeuß, S. 134 und J. Grimm S. 308 und 440. Nach Kraft a. a. O. S. 387 noch aus dem vierten Jahrhundert, notwendig aber spätestens aus der Zeit der Gotenherrschaft in Italien, die in der zweiten Hälfte des sechsten endigte. Dasselbe ward in der Geschichte zuerst durch Pytheas 330–320 v. Chr. bekannt, der es auf seiner Seereise unter dem Namen Guttones an der Ostsee zwischen Weichsel und Pregel fand, woselbst es, wahrscheinlich jedoch nicht von Pytheas selbst, sondern nur von Plinius, der ihn zitiert, als ein germanisches bezeichnet wird. Plinius XXXVI, 2. »Pytheas Guttonibus Germaniae genti accoli aestuarium oceani, Mentonomon nomine.« Von Plinius nochmals (IV, c. 14, Sekt. 28), weitläufiger von Tacitus als Gothones (Germ. 43 und Ann. II, 62) erwähnt, war dasselbe Marobods großem Suebenreiche mit unterworfen, weshalb unter den von Strabo VII als letzterem angehörig genannten Βούτονες wahrscheinlich auch Goutones zu verstehen sind. Zuletzt führt es Ptolemäus in der Mitte des zweiten Jahrhunderts (III, 5, § 20) unter dem Namen Γύθωνες. Es ist dasselbe, welches zuerst unter Caracalla zu Anfang des dritten Jahrhunderts nach Chr. am schwarzen Meer auftritt und von dem an beinahe die ganze römische Geschichte bis in die Hälfte des sechsten Jahrhunderts beschäftigt, Ostrom bald als Bundesgenosse rettet, bald als Feind demütigt und erschüttert, zur Vernichtung Westroms beiträgt und heute noch in Spanien fortlebt.

Die weit überwiegende Mehrzahl der griechischen und römischen Schriftsteller, vor allem die glaubhaftesten derselben, nennen es stets Göthen: aber auch der Name Geten wird von einigen derselben dafür gebraucht.

Beide, Geten und Goten, und noch viele andere umschloß und verhüllte der Name Skythen: dieser war bei den Alten kein ethnographisch bestimmter und fest begrenzter.

Er umfaßte ursprünglich alle Bewohner des mittelasiatischen und osteuropäischen (fast durchaus flachen) Landes, östlich und nördlich des Pontus von China bis zur Donau, wobei jedoch die europäischen Skythen von Herodot mit dem Spezialnamen Skoloten belegt werden. (Herod. IV, 6. Vergl. Zeuß, S. 376 u. folg.)

Erst später lösten sich allmählich den Griechen und Römern Kelten, Germanen und Sarmaten aus dem Gesamtbegriff ab. Auch der Name Sarmaten aber war noch ein ähnlich unbestimmter. Möglich ist, daß man zunächst, wie J. Grimm behauptet, Schaffarik aber entschieden leugnet, auch Slaven darunter begriffen, kaum zu bezweifeln aber, daß man von des Tacitus Zeit an folgendes charakteristisch ethnographische Kennmal damit verband:

Fortwährende Nomadenweise, Mangel an festen Wohnsitzen, Haupternährung durch Viehzucht (daher »Galaktophagen und Hippomolgen«: Milchesser und Pferdemelker), Reiterei ihre Stärke, Bogen und Pfeil ihre Hauptwaffe, gleichwie die Hunnen bei ihrem Eintritt in Europa von Jordanis c. 23 geschildert werden; im Allgemeinen zäheres Festhalten an asiatischer Sitte, der Europäisierung widerstrebend, mit mehr oder minder mongolisch tartarischer Gesichtsbildung.

So sagt Tacitus in der bekannten Stelle (Germ. 46 Peucinorum Venedorumque et Fennorum nationes Germanis an Sarmatis ascribam dubito: quamquam Peucini, quos quidam Bastarnos vocant, sermone, cultu, sede, ac domiciliis, ut Germani agunt. Sordes omnium ac torpor. Procerum connubiis mixtis, nonnihil in Sarmatarum habitum foedantur. Venedi multum ex moribus traxerunt. Nam quicquid inter Peucinos Fennosque silvarum ac montium erigitur, latrociniis pererrant. Hi tamen inter Germanos potius referuntur, quia domos figunt, et scuta gestant, et pedum usu ac pernicitate gaudent, quae omnia diversa Sarmatis sunt, in plaustro equoque viventibus. und Florus (des Tacitus Zeitgenosse), Bellum Thracicum III, 4 zum Jahre 74 v. Chr. (vergl. Livius epit. LXI) unter anderm: »Curio Dacia tenus venit, sed tenebras saltuum expavit. Appius in Sarmatas usque pervenit«, wobei er durch Sarmaten offenbar die Jazygen bezeichnet hat, welche Tacitus (XII, 29 und Hist. III, 5) stets Sarmatas Jazyges nennt und deren Reiterei (vim equitum, qua sola valent) er ausdrücklich hervorhebt. Das Steppen- und Sumpfland zwischen Donau und Theiß aber war ein solches, das zwar dem Nomadenvolke, nicht aber den schon mehr europäisierten Kelten und Germanen zusagte.

Östlich dieser in Thrakien, dem Lande zwischen Theiß und Dnjestr, Hämus und Karpathen Man hüte sich mit der alten geographischen Bezeichnung Thrakien, wie solche Strabo und Pomp. Mela noch kennen, den Namen der römischen Provinz Thrakien, ein Teil des heutigen Rumelien südlich des Hämus mit Byzanz, zu verwechseln., saßen nun als ein Teil des thrakischen Volkes die Geten, und zwar der diesen Spezialnamen führende Zweig des Hauptvolkes, nach Herodot (a. a. Stelle) zwischen Hämus und Donau. Eingekeilt zwischen hellenischer Kultur im Süden und dem Wogen und Drängen sarmatischer Horden und Nachzügler, auf der großen Wanderstraße europäischer und asiatischer Menschheit im Norden und Osten Außer der oben bemerkten Einwanderung der Jazygen führt zwar die Geschichte in den nächsten Jahrhunderten vor und nach Christus kein Eindringen asiatischer Völker in Thrakien mit Sicherheit an: wie dies aber das Nachdrängen kleinerer Abteilungen nicht ausschließt, so gibt auch Strabo VII, 306 ausdrücklich sarmatische Stämme zwischen dem Borysthenes und der Donau, also innerhalb Thrakiens, und jenseits des ersteren die Roxalanen als deren Nachbarn an.

Könnte man Ovids Klagen aus Tomi südlich der Donau in Niedermösien über die Roheit und Wildheit der Geten trauen, so müßte man sogar diese mehr für Sarmaten halten, die Übertreibung leuchtet aber so durch, daß darauf wenig zu geben ist. Übrigens kann aber gerade die Umgegend von Tomi, die heutige Dobrutscha – unstreitig die von Strabo angegebene Γετω̃ν ερημία – ihrer flachen und sumpfigen Beschaffenheit halber auch von eingedrungenen Sarmaten besetzt gewesen sein.

, kann solche Umgebung auf des Volkes Entwickelung nicht ohne Einfluß geblieben sein.

Seit Anfang der Kaiserzeit kannten nun die Römer Geten und Goten hinreichend, um sie richtig zu unterscheiden.

Römische Untertanen, Soldaten und Sklaven waren sowohl Germanen als Geten (letztere in Niedermösien seit 29 v. Chr. unterworfen): von erstern insbesondere dienten mehrere Tausende in Rom: edle Germanen, z. B. Marobod, wurden dort ausgebildet; derselbe, sowie Catualda, des erstern Nachfolger, lebten nach ihrer Vertreibung zu Ravenna und Forum Julium (Frejus) in Gallien viele Jahre lang im Exil.

Auf die Daken (Geten) insbesondere muß gerade nun die Zeit, als Tacitus über Germanien schrieb, die regste Aufmerksamkeit gerichtet haben, weil eine schwere Sühne der Demütigung Roms durch Dekebalus von Trajan vorauszusehen war. Im Jahre 86 n. Chr. (Dio LXXVII, c. 7) sandte Domitian die dakischen Gesandten nach Rom, d. i. an den Senat, welcher solche wiederum im Jahre 103 (Dio LXXVIII, c. 10) empfing. In beiden Fällen saß Tacitus, der im Jahre 88 Prätor, im Jahre 98 Konsul ward, bereits im Senate. In Domitians Triumph endlich müssen ebenfalls zahlreiche Daken als Gefangene, wenn auch zum Teil dazu erkaufte, figuriert haben. Wer kann zweifeln, daß Tacitus die Daken und zwar genau kannte?

In Hinsicht auf subjektive Glaubwürdigkeit sind über ethnographische Fragen Geographen und Historiker, welchen deren Erforschung Zweck und Pflicht ist, unstreitig glaubhafter als andere, namentlich Dichter und Kirchenväter, welche darauf Bezügliches – ihrer Hauptaufgabe Fremdes – nur nebensächlich berühren. Selbstredend muß aber bei erstern vor allem auch die Sachkenntnis und der Geist, welche deren Werke sonst bekunden, gewürdigt werden. In unserm Falle steht nun in dieser Beziehung sonder Zweifel Tacitus oben an, ihm folgt Plinius, der Germanien und dessen Bewohner aus Autopsie kannte und die Kriege mit ihnen beschrieb, dann Strabo, zuletzt Cassius Dio, der sich in Ethnographischem allerdings sehr schwach beweist. Tacitus nun, der große Meister, von dem Joh. Müller schön sagt: »Er war so kurz, weil er so klar war, so klar, weil er alles durchschaute«, sagt von den Peukinen, die mitten unter den Geten an den Donaumündungen saßen:

»Peucinum Venedorumque et Fennorum nationes Germanis an Sarmatis ascribam dubito: quamquam Peucini, quos quidam Bastarnos vocant, sermone, cultu, sede, ac domiciliis, ut Germani agunt. Sordes omnium ac tolpor. Procerum (nach andrer Lesart ceterum) connubiis mixtis, nonnihil in Sarmatarum habitum foedantur.«

In dieser Stelle ergibt der Zweifel die Gewissenhaftigkeit, die Ermittelung des germanischen Idioms bei einem ganz von Geten umschlossenen und schon halb sarmatisierten Volke die Genauigkeit der Forschung.

Wir gehen nun zur Folgerung aus Vorstehendem über und heben zuerst die Verschiedenheit der Sprache der Geten und der Goten hervor, welcher letzteren rein germanisches Idiom durch Wulfilas Bibelübersetzung außer allen Zweifel gesetzt ist. J. Grimm (S. 124 und 662, 811) selbst gibt zu, daß nach Strabo die Geten und Daken dieselbe und zwar die thrakische Sprache redeten, und daß Plinius und Tacitus diese ausdrücklich von den Germanen sondern (wozu auch noch Pomp. Mela II, 4 anzuführen sein würde).

Was wird nun der schlagenden Aussage sachverständiger, glaub- und gewissenhafter Zeugen über die sprachliche und nationale Verschiedenheit der Geten (synonym mit Daken) und Germanen zu jener Zeit entgegengesetzt?

J. Grimm sagte S. 563: »Wie die Griechen noch nicht zur rechten Einsicht zwischen Galliern und Germanen gelangt waren, blieb den Römern umgekehrt die nahe Verwandtschaft der Geten und Germanen dunkel.«

Abgesehen vom ersten Satze, bezüglich dessen der geehrte Herr Verfasser selbst zugeben wird, daß die Nicht-Wissenschaft einer Kategorie von Zeugen kein logischer Grund gegen die Wissenschaft einer anderen, von einem noch dazu ganz verschiedenen Gegenstande, ist, hat derselbe in der Hauptsache unbezweifelt vollkommen Recht, da der Geist der Sprachforschung damals gewiß noch nicht bis zu Entdeckung des inneren Zusammenhanges verschieden lautender, aber dennoch nah verwandter Sprachen vorgedrungen war.

Noch unerheblicher ist der (auf derselben S. 813) aus des Tacitus Irrtum über den Ursprung der Germanen, die er für Aboriginer halte, hergeleitete Gegengrund, nicht nur, weil er an sich ebenfalls nicht logisch sein würde, sondern hauptsächlich um deswillen, weil die Quellen und Hilfsmittel des Geschichtsstudiums jener Zeit einen solchen Tiefblick in die Nacht der Vorgeschichte, wie er der unserigen möglich ward, überhaupt noch nicht gestatteten. Was Kraft S. 107 darüber sagt, der einfach, jedoch ohne Angabe eines Grundes, Strabos Wissenschaft bezweifelt, ist ebenso unhaltbar.

Dürfte also durch obiges Anführen der Gegenbeweis nicht gelungen sein, so ist dagegen der durch das einstimmige teils direkte, teils indirekte Zeugnis von Strabo, Plinius und Tacitus geführte Beweis: daß die getische und die germanische Sprache für das Ohr und Urteil kundiger römischer Schriftsteller als wesentlich verschieden angesehen worden sei, völlig erbracht.

Nicht allein in der Sprache, auch in der Sitte beider Völker hat eine merkliche Verschiedenheit bestanden: und zwar in Bezug auf Verfassung, Priestertum, Ehe, Geschlechtsverkehr und Städtegründung.

So gewiß Cäsars Urteil, das den Germanen Priester ganz abspricht, nur ein relativ, d. i. im Gegensatze zu den Galliern, keineswegs aber ein absolut richtiges ist, so widerstreitet doch ein über der Volksgewalt stehendes Priestertum dem Wesen der germanischen Verfassung auf das Tiefste. Nur eine Straf-Vollzugsgewalt stand dem Priester als Organ der Gottheit zu: gewiß mehr mit der Wirkung, Fürstenmacht zu mindern, als Priestermacht zu begründen.

Insbesondere findet sich von einem Einfluß derselben auf Gesetzgebung und Verwaltung nicht die leiseste Spur. Die Nachricht von dem Oberpriester der Burgunder, Sinistus, bei Amm. Marc. (XXVIII, 5 gehört nicht nur einer beinahe dreihundert Jahre späteren Zeit an, sondern gibt auch nur von dessen Unabsetzbarkeit, keineswegs aber von einer ausgedehnten, über dem Volke stehenden Gewalt desselben Kunde.

Bei den Geten hingegen fand, nach dem, was schon Herodot (IV, 94–96), besonders aber Strabo (VII, S. 297 und 304) ausführlich berichten, nicht bloß ein einflußreiches Priestertum, sondern wirklich eine Art von Theokratie statt, da letzterer die Macht des bis in die Zeit Cäsars regierenden Boirebistes, dessen Zeitgenosse er selbst noch in seiner Jugend war, ausdrücklich auf den Einfluß des Priesters Dikeneus zurückführt, der sogar die Ausrottung des Anbaues und Genusses von Wein im Volke durchgesetzt habe. Es ist höchst interessant, welche scharfe Kritik der vortreffliche Herodot c. 96 in seinen Äußerungen über Zalmoxis – den angeblichen Gründer jener Theokratie, der aber offenbar nur eine mythische Person war – beweist, und wie sehr er dadurch spätere Schriftsteller einer schlechteren Zeit beschämt, die, wie Porphylius und Jamblichius, jenen, ohne selbst die Chronologie zu berücksichtigen, in allem Ernste zu des Pythagoras Schüler machen. (Vergl. Barth, Teutschl. Urgesch. I, S. 165.) Auch Strabo aber bekundet seine Vorsicht, da er über Zalmoxis nur als Sage, über Dikeneus hingegen aus eigener Wissenschaft berichtet.

Bemerkenswert ist ferner, daß Tacitus von den Goten ausdrücklich sagt: »Gothones regnantur, paulo jam adductius, quam ceterae Germanorum gentes, nondum tarnen supra libertatem

Dagegen finden wir nun in der Geschichte der Geten nach Herodots Zeiten nur Könige, und zwar unter ihnen den Eroberer Boirebistes und den mächtigen Dekebalus ohne Andeutung einer andern Beschränkung ihrer Gewalt, als durch jenen theokratischen Einfluß.

Reinheit und Adel der Familien- und Geschlechtsverhältnisse muß dem ganzen thrakischen Volksstamme fremd gewesen sein. Herodot sagt (V, 3), daß alle Zweige des thrakischen Gesamtvolkes ähnliche Gebräuche und Sitten (νόμοι παραπλησίοι) haben, außer den Geten, Trausen und den über den Krestonäern Wohnenden. Hierauf führt er als Spezialsitte an von den Geten den Unsterblichkeitsglauben, von den Trausen die Wehklage bei Geburten und Freude bei Todesfällen, sowie von den über den Krestonäern die Polygamie und die Tötung der geliebtesten Frau bei Ableben des Mannes. Was er uns (c. 6) von den allgemeinen Gebräuchen der Thraker anführt, ist zwar dem strengen Wortlaute nach, weil er also beginnt: Θρηΐκων εστιν όδε ο νόμος vielleicht nicht mit auf die Geten im engern Sinne zu beziehen, obwohl für eine entgegengesetzte Auslegung auch sehr erhebliche Gründe sprechen, namentlich weil er c. 7, ohne eine Änderung des Subjekts anzudeuten, sogleich auf den, was nie bezweifelt worden, auch bei den Geten stattgefundenen Areskult übergeht. Hierauf kommt jedoch um deswillen überhaupt nichts Entscheidendes an, weil wir es im ersten Jahrhundert nach Christus, worauf sich obiger Beweissatz beschränkt, nicht mehr mit dem Herodotischen Spezialvolke zwischen Hämus und Donau, sondern mit dem mindestens schon unter Boirebistes in eine politische Einheit zusammengeflossenen Gesamtvolke der Geten oder Daken zu tun haben, unter welchem alle Spezialnamen Herodots unzweifelhaft mit inbegriffen waren.

Jene allgemeine Volkssitte nun schildert derselbe c. 26 in folgendem:

Sie verkaufen ihre Kinder, jedoch nur zum Export über die Grenze. Die Jungfrauen hüten sie nicht, sondern gestatten ihnen, sich denjenigen Männern preiszugeben (μίσγεσθαι), welchen sie wollen. Die Frauen aber hüten sie streng und kaufen solche um vieles Geld von deren Eltern.

Menander, der Lustspieldichter im vierten Jahrhundert v. Strabo (S. 297) angeführten Versen:

»Denn alle Thrakier und vor den andern wir
Vom Getenvolk (von diesem nämlich rühmt
Sich mein Geschlecht zu stammen) sind
Der Mäßigkeit nicht sehr ergeben.

Denn unter uns heiratet keiner, der nicht zehn,
Nein eilfe, zwölfe, ja noch mehr der Weiber nimmt.
Dagegen aber, wer nur vier hat oder fünf,
Dem wird kein andrer Name dorten beigelegt,
Als Unglücksmann und ledig, arm und ehelos.«

Strabo aber fügt aus eignem Wissen hinzu:

»Und dies wird auch durch andere bestätigt

Pomponius Mela führt II, 2 von den Frauen in Thrakien jenseits der Donau an:

Super mortuorum virorum corpore interfici et sepeliri votum eximium habent, et quia plures simul singulis nuptae sunt, cujus id sit decus certamine adfectant.

Solinus endlich, wahrscheinlich aus dem dritten Jahrhundert n. Chr., bemerkt:

Uxorum numero se viri jactitant et honoris loco ducunt multiplex conjugium.

Diesen vereinten Zeugnissen über das häusliche Leben der Geten, unter denen das letzte allein als minder zuverlässig erscheinen könnte, die entsprechenden des Tacitus über die Germanen gegenüber zu stellen, ist wohl überflüssig. Besonders hervorzuheben ist aber der Erkauf der Weiber von deren Eltern um Geld, während Tacitus G. 18 sagt:

Dotem non Uxor marito, sed uxori maritus offert. Intersunt parentes et propinqui ac munera probant etc. Inter haec munera uxor accipitur, atque ipsa armorum aliquid viro affert.

Charakteristisch ist hierbei der Kauf um Geld von den Eltern bei den Geten.

J. Grimm gedenkt dieser Verschiedenheit (S. 132, 133 und 571), aber mit Vorsicht, und beruft sich darauf, daß ja auch bei den Germanen mehrere Frauen eines Mannes vorkamen und Menander, wenn man den Komiker überhaupt nicht der Übertreibung zeihen wolle, von einem Brauche weit früherer Zeit rede, der im ersten Jahrhundert längst abgekommen sein möge. Wie sich letzteres aber durch Strabos eignes Zeugnis und Pomp. Mela erledigt, so ist in jenen Versen Menanders wohl Übertreibung, aber da, wo er einen Geten ausdrücklich von der Sitte seines Stammes reden läßt, bei der genauen Bekanntschaft der Athener mit diesem Volke, von dem sie so viel Sklaven besaßen, doch gewiß keine Unwahrheit anzunehmen.

Kraft, der sich weiter unten hierüber eingehender verbreitet, bezieht sich noch auf Horaz Oden III, 24 In avaros. Dieser sagt, nachdem er den Geiz der Römer erwähnt:

Campestres melius Scythae,
Quorum plaustra vagas rite trahunt domus,
Vivunt et rigidi Getae,
Immetata quibus jugera liberas,
Fruges et Cererem ferunt,
Nec cultura placet longior annua,
Defunctumque laboribus,
Aequali recreat sorte vicarius.
Illic matre carentibus
Privignis mulier temperat innocens,
Nec dotata regit virum
Conjux, nec nitido fidit adultero.
Dos est magna parentium
Virtus et metuens alterius viri
Certo foedere castitas.

Ganz abgesehen von dem Gewicht eines lyrischen Gedichtes als historischen Zeugnisses überhaupt, ganz abgesehen auch davon, daß jenes illic eben so wohl, ja mehr noch auf Scythae als Hauptsubjekt als auf Geten bezogen werden kann, hat Kraft hier die Worte: matre carentibus privignis mulier temperat innocens übersetzt: »wie die zweite Gattin für die Kinder der Verstorbenen, ihre Stiefkinder, in aller Unschuld Sorge trägt, wie für ihre eigenen.« Man könnte dagegen anführen, daß jene Äußerung mit gleichem, ja mit höherem Grunde von einer polygamen Ehe zu verstehen sei, weil es ungleich bemerkens- und lobenswerter erscheine, die Kinder einer nun verstorbenen, früher aber gleichzeitigen Frau und Nebenbuhlerin sorgsam zu erziehen, als die einer Vorgängerin, mit der die Stiefmutter nie in Kollision kam.

Will man aber auch hiervon absehen, so ist doch die ganze Stelle nichts weiter als ein bedeutungsloser Gemeinplatz: »die Stiefmutter trachtet ihren Stiefkindern nicht nach dem Leben«, was nur die patriarchalische Unschuld des Getenvolks im Gegensatze zu dem verderbten Rom bezeichnen soll.

Daß übrigens von Horaz die Zucht der Ehe gepriesen wird, namentlich die Zurückhaltung andrer Männer von fremden Ehefrauen, metuens castitas alterius viri, stimmt mit obiger Stelle Herodots, der diese ebenfalls hervorhebt, vollkommen überein, schließt aber die von ihm angeführte Unkeuschheit der Mädchen auf keine Weise aus.

Kann hiernach auf jene Ode des Lyrikers, der an einer andern Stelle IV, 15 mit poetischer Lizenz, aber plumper Unwahrheit die Unterwürfigkeit der Geten gegen Rom mit der der Chinesen (Serer) und Perser auf eine Stufe stellt, kein Wert gelegt werden, so sagt in Bezug auf die Germanen Tacitus c. 18: »nam prope soli barbarorum singulis uxoritus contenti sunt, exceptis admodum paucis, qui non libidine, sed ob nobilitatem plurimis nuptiis ambiuntur.«

Monogamie ist also hier die Regel: und die Ausnahme, um sich, wie dies Ariovists Beispiel erläutert, Zuwachs von Macht und Ansehen zu verschaffen, eine seltene, während die vorgedachten Schriftsteller bei den Geten gerade umgekehrt Polygamie als Regel, und die Ausnahme nur als Folge der Armut schildern, wie heute noch im Orient nur diejenigen mehrere Frauen haben, welche die Mittel zu deren Ernährung besitzen.

Zu den eigentümlichen Merkmalen des germanischen Stammes gehört der Mangel, ja die Verhaßtheit ummauerter Städte.

Bei den Geten dagegen finden wir, außer der schon von Herodot (IV, 99) genannten Stadt Karnis und der von Alexander d. Gr. eingenommenen (Strabo VII, 301), und zwar in deren eigentlichem Stammsitze zwischen Hämus und Donau, nach Dios Bericht über dessen Eroberung in den Jahren 29 und 30 (L, Kap. 23–27) in Kap. 23 ein τει̃χος καρτερόν, Kap. 24 zwei dergleichen, und in Kap. 26 wieder ein φρούριον erwähnt, wobei allenthalben der Belagerung vor der Einnahme gedacht wird. In Trajans Feldzügen gegen Dekobalus (Dio LXXVI) wird (c. 9) dessen Versprechen die Festungen, ερύματα, zu schleifen, (c. 10) die heimliche Wiederherstellung derselben und endlich (c. 14) die Einnahme der Hauptstadt Zarmigethusa (c. 9) berichtet.

In drei wichtigen Beziehungen ist sonach merkliche Verschiedenheit der Sitte zwischen den Germanen und Geten nachgewiesen. Dazu kommt folgendes:

Wir sprechen den Geten die Tapferkeit nördlicher Völker nicht ab, aber eine Widerstandsfähigkeit derselben gegen Rom hat sich nicht in vielen Fällen, wie bei den Germanen, sondern nur ein einzig Mal unter Domitian gezeigt. Dessen persönlicher Einfluß auf jenen Krieg ergibt sich aber aus Dio (XXVII, 6 a. Schl.) zur Genüge.

Unter August und Trajan begegnen nur Siege, nirgends Unfälle der Römer. Schon ersterer versetzte (nach Strabo VII, S. 303) 50 000 Geten vom jenseitigen Donauufer, unstreitig nur Männer, nach Mösien, so daß deren zur Zeit von Boirebistes höchster Blüte 200 000 Mann zählende Streitmacht damals schon durch Krieg und andere Zerrüttung bis auf 40 000 Mann herabgesunken war. Daß durch Trajan das ganze Volk vernichtet worden sei, würde, wie die Gegner mit Recht sagen, eine törichte Behauptung sein, daß es aber ganz ungemein geschwächt worden, wird niemand bezweifeln.

Ein Teil desselben mag ausgewandert sein Wohl teils in die Karpaten, teils zu den Sarmaten., ein nicht geringer blieb aber im Lande zurück, wohin (nach Eutrop VIII, 6).Trajan: ex toto orbe Romano infinitas copias hominum transtulerat ad agros et urbes colendas, welcher Kolonisation Name und Nationalität der Rumänen ihren Ursprung verdankt. Zeuß entwickelt S. 263 Anm. überzeugend, wie der Sieg des römischen Sprachelements im alten Dakien eine Folge der spätern Mischung der verschiedenartigsten Völker gewesen sei. Man kann noch hinzusetzen, daß die späteren Herren von Dakien nicht bleibend, sondern stets wechselnd waren, vor allem aber auch das Übergewicht der einzigen Kultur- und Schriftsprache sich geltend gemacht haben muß.

Zuerst finden wir nun die Goten in Kleinasien oder der Provinz Thrakien diesseits des Hämus: denn nur dort kann sie Caracalla nach Spartian (Carac. 10: dum ad orientem transiit) in einzelnen Scharmützeln (tumultuariis praeliis: von einem großen Kriege ist nicht die Rede) geschlagen haben, weil der Marsch nach dem Orient (Syrien usw.) durch Thrakien über den Hellespont ging. Derartige kühne Raubzüge in das Tiefinnere des römischen Gebiets hinein haben nun die Goten, wie wir sahen, sehr viele ausgeführt, während den unterworfenen Geten, zumal so bald nach des Septimius Severus kraftvoller Regierung, ein solches Wagnis auf keine Weise zuzutrauen ist.

Noch unvereinbarer mit den Geten erscheint das große Reich des Ermanarich, das sich angeblich beinahe von der Ostsee bis zum Pontus erstreckte, während es nichts Auffälliges hat, wenn ein großer Eroberer die Landstriche, welche sein Volk vor hundert bis hundertundfünfzig Jahren bereits in Krieg und Sieg durchzogen, vielleicht teilweise sogar behauptet hatte, wiederum in seine Gewalt bringt.

Die weitere Geschichte der Goten gehört nicht hierher: der unbefangene historische Takt aber kann nicht zweifelhaft sein, daß es der im Norden gestählte, durch und durch germanische Stamm der alten Goten war, der den wankenden Koloß des römischen Staats bald stützte, bald erschütterte, Byzanz nur durch seinen Abzug befreite, Westrom aber vernichtete.

Das anscheinend wichtigste Fundament der vermeintlichen Identität der Geten und der Goten ist unstreitig die Identität des Namens, da auch das Gotenvolk den Namen Geten geführt habe.

Aber nicht allein die weit überwiegende Mehrzahl der historischen Zeugen, sondern auch diejenigen gerade, welchen die bessere Wissenschaft und meiste Glaubwürdigkeit beiwohnt, bezeichnen das Volk stets mit dem Namen Goten, während nur wenige, unglaubhafte es Geten nennen.

Die vollgültigsten Beweismittel sind öffentliche Urkunden, zu denen insbesondere auch die Münzen, jedenfalls die in der römischen Staatsanstalt geprägten, gehören. Diese bezeugen nun als Ehrennamen ausschließlich Gothicus und Gothica (victoria) für die Kaiser Claudius, Aurelianus, Probus und Constantin den Großen. (S. Eckhel VII, p. 472–475, 484, 505 und VIII, p. 83 u. 90.)

Dasselbe bestätigt die von Eckhel VII, p. 475 angeführte Inschrift auf des Claudius Triumphbogen.

Daß auch Justinian endlich den Titel Gothicus führte, geht aus mehreren Gesetzen desselben, namentlich aus der Überschrift der Institutionen, de emendando Codice, Nov. 43 und den Konstitutionen 43, 44 und 128 hervor, wie denn auch in dessen Kodex I, 5 de Haeret. et Manichaeis in dem Auszuge jener griechisch abgefaßten Konstitution die Föderaten Γότθοι genannt werden, von welchem Namen sich bei näherer Nachforschung wahrscheinlich auch noch mehr Beispiele finden dürften.

Unter den Zeugen nehmen die Historiker den ersten Rang ein, unter welchen unzweifelhaft, nach ihrer persönlichen Stellung als hohe Militär- und Zivilbeamte und ihrem Verdienste als Geschichtsschreiber, Ammianus Marcellinus, Cassiodor und Prokop obenan stehen.

Allerdings sagt Spartian (Carac. 10): Non est ab re etiam diasyrticum quiddam in eum dictum addere. Nam cum Germanici et Parthici et Arabici et Alemannici nomen adscriberet, Helvius Pertinax filius Pertinacis dicitur joco dixisse: adde si placet etiam »Goticus« Maximus, quod Getam occiderat fratrem et Gotti Getae dicerentur: quos ille, dum ad Orientem transiit, tumultuariis praeliis devicerat.

In Getas Leben (c. 6) dagegen gebraucht derselbe Verfasser ganz andere Ausdrücke: adde et Geticus Maximus, quasi Gothicus, was wesentlich zu beachten ist.

Was beweisen nun, unbefangen betrachtet, jene Worte, wobei noch vorauszuschicken ist, daß in der ganzen ferneren Hist. Aug. das Volk an unzähligen Stellen mit wenigen unerheblichen Ausnahmen Eine solche Stelle wird unten noch näher erläutert werden. Vorläufig nur so viel, daß unter Geticos populos a. d. O. verschiedene barbarische Völker jenseits der Donau zu verstehen sind, welche Probus im Wege der Verhandlung auf seinem Marsche nach dem Orient von Thrakien (d. i. der römischen Provinz dieses Namens) aus zur Übersiedelung auf römisches Gebiet bewog.

Darunter befanden sich unzweifelhaft auch solche, welche früher dem Getenreiche unterworfen gewesen waren, also mit Recht Getici genannt werden konnten. Waren, wie es scheint, auch Scharen gotischer Abkunft darunter, so ergibt sich der Ausdruck zwar als ungenau, beweist aber immer noch nicht, daß Fl. Vopisc. Goten und Geten für identisch gehalten habe, zumal eine solche einzige Ausnahme die durch Übereinstimmung aller andern Stellen und Beweismittel festgestellte Regel nicht entkräften könnte.

nur Goten genannt wird? Offenbar im günstigsten Sinne nicht mehr, als daß den Goten auch der Nebenname Geten beigelegt ward. Dies könnte aber, da derselbe in Staatsdokumenten und bei den glaubhaftesten Schriftstellern nicht vorkommt, immer nur ein uneigentlicher gewesen sein.

Eutrop, nur Kompilator, aber aus guten Quellen mit Verstand und Geist kompilierend, nennt (IX, 8, 11,13 und X, 7) nur Goten. Ebenso die beiden andern Epitomatoren Aurelius Victor de Caesar, (c. 29, 34 u. 41) und die Epitome (c. 46 u. 48).

Ammianus Marcellinus (unter Julian und dessen Nachfolgern), abgesehen von seinem Latein, der beste Historiker für mehrere Jahrhunderte, kennt ebenfalls nur Goten.

Unzweifelhaft dürfte Cassiodor, der hochgebildete Konsul und Staatssekretär Theoderichs des Großen, als Verfasser einer Geschichte der Goten den höchsten Glauben verdienen.

Auf diesen nun bezieht sich auch J. Grimm (S. 565, Nr. 815), was aber, da derselbe irgendeine Stelle dafür nicht angeführt hat, nur auf Jordanis Zueignung seines Werkes an Castalius sich beziehen kann, worin er sagt:

»Suades ut nostris verbis duodecim senatoris volumina de origine actuque Getarum ab olim usque nunc per generationes regesque descendente in unum et hoc parvo libello coartem.«

Dies soll aber nur eine Bezeichnung des Gegenstandes, worüber Senator beschrieben, kein Zitat des von Letzterem gewählten Titels sein, da Cassiodor selbst, in der Vorrede seiner variarum auch sein Geschichtswerk erwähnend, dieses Gothorum überschrieben zu haben versichert. In fünf verschiedenen deshalb verglichenen Ausgaben steht überall Gothorum. In den amtlichen Ausfertigungen, Schreiben, Rescripten und Mandaten aber, welche in den zwölf Büchern variarum gesammelt sind, wird überall nur der Name Goten gebraucht. (S. z. B. im I. Buche 4, 19, 24 universis Gothis, 28 univ. Goth. et Romanis, und 38.)

Nur var. X, 31 findet sich eine, daher nähere Erwähnung fordernde, Ausnahme. Nach Theodahads Tode ward im Kampfe gegen Byzanz Witichis von gemeinfreiem Geschlechte, seiner Tapferkeit halber, von den Goten zum König erwählt. Dieser machte seine Erhebung durch die a. a. O. abgedruckte Proklamation universis Gothis kund. In dieser sagt er, um den Grund seiner Wahl zu bezeichnen:

Nicht in Frieden »sed tubis concrepantibus sum quaesitus, ut tali fremitu concitatus, desiderio virtutis ingenitae regem siti Martium Geticus populus inveniret«. Da jedoch das ganze Manifest, außer der Überschrift, noch viermal die Goten, und zwar nur diese, erwähnt, so kann das Geticus in jener schwülstigen aus Cassiodors Feder geflossenen Phrase nur durch die Zusammenstellung mit Martium (Mars, der Hauptgott der alten Geten) Erklärung finden, weshalb hierauf dasjenige zu beziehen ist, was weiter unten bei Jordanis über Cassiodors gotische Geschichte überhaupt bemerkt werden wird.

Von großer Wichtigkeit ist ebenfalls Prokop, aus dem die Gegner wiederum zwei Stellen für sich zitieren, die deshalb spezieller Erwähnung bedürfen:

de bello Gothico I, 24. Das von Belisar eingenommene Rom wird von den Goten belagert. In höchster Gefahr ergeben sich günstige Vorzeichen: Theoderichs Mosaikbild in Neapel zerfällt, einige Patrizier in Rom bringen ein Orakel der Sibylle vor, wonach die Gefahr nur bis zum Juli dauern werde. Denn es sei beschlossen, daß alsdann ein römischer Kaiser erwählt werden würde, unter dem Rom nichts Getisches (Γετικόν) mehr zu fürchten haben werde. Hierauf folgen nun die Worte: Γετικόν γὰρ έθνος φασὶ τοὺς Γότθους ει̃ναι.

De bello vand. I, 2 sagt Prokop: Gotische Völker gab es viele und andere früher als jetzt. Die größten und mächtigsten unter allen sind die Goten, Vandalen, Visigoten Zu Prokops Zeit gab es im oströmischen Reiche nur noch einen Zweig der Goten, die vormals, als deren noch zwei vorhanden waren, Ostgoten, zu seiner Zeit nur Goten genannt wurden. Die vor beinahe hundertundfünfzig Jahren ausgewanderten Westgoten, damals in Spanien, durfte er allerdings als ein verschiedenes Volk anführen. und Gepiden. Darauf folgt: εισὶ δὲ οι καὶ Γετικὰ έθνη ταυ̃τ' εκάλουν. »Es gibt einige, welche auch diese getische Völker nennen.« Hiernach redet Prokop in der ersten Stelle ausdrücklich von einer Sage (φασί), in der zweiten von einer andern, von einigen gebrauchten Benennung der Goten. Ein guter Historiker aber, der eine Bezeichnung stillschweigend verwirft, indem er in seiner ganzen Geschichte fortwährend und ausschließlich eine andere anwendet, kann erstere, obwohl solche hie und da vorkommen möge, nicht für richtig halten, würde vor allem, wenn er eine tiefere historische Begründung derselben gehabt hätte, dies hierbei mindestens anzudeuten verpflichtet gewesen sein.

Auch alle andern byzantinischen Geschichtsschreiber führen das Volk als Goten auf. Von besonderer Wichtigkeit sind diejenigen, welche als Zeitgenossen schrieben. Abgesehen von Dexippus und Eunapius sind dies in dem ersten Bande der Bonner Ausgabe des Corpus Script. Hist. Byzant. folgende: Petrus Patricius, Priscus, Malchus, Menander und Olympiodor. (I, S. 124, 152, 260, 292, 206, 235, 237, 253, 255 u. 258, 283, 480, 448–450, 458, 459, 461 u. 462, 468 u. 469.) Zosimus, ebenfalls Zeitgenosse, begreift die Goten in der Regel unter dem Namen Skythen, nennt jedoch zweimal (I, 27 u. 31) auch Γότθοι als skythische (vergl. c. 26) Völkerschaft. Syncellus aus dem achten Jahrhundert sagt in seiner Chronographie (S. 705, Z. 10 der Bonner Ausgabe): Σκύθαι οι λεγόμενοι Γότθοι, und (S. 716, Z. 12) von denselben: καὶ Γότθοι λεγόμενοι επιχωρίως, woraus sich deutlich ergibt, daß Goten deren vaterländischer Name war und nur die Griechen sie »Skythen« nannten.

Von vorzüglichem Interesse ist ferner Agathias, der die Geschichte seiner Zeit von 553 bis 559 trefflich beschrieb. Dieser beweist nämlich in seiner Vorrede (C. Ser. Hist. B. III, 5) zugleich seine Kenntnis des getischen Altertums, indem er, den Gedanken ausdrückend, daß niemand zu großen Taten angetrieben werden würde, wenn nicht die Geschichte diese verewigte, sich der Worte bedient: τη̃ς ιστορίας αυτοὺς απαθανατιζούσης· ουχ οι̃α τὰ Ζαμόλξιδος νόμμα, καὶ η Γετικὴ παραφροσύνη, wie zumal aus dem Nachsatze hervorgeht, den Sinn haben, daß er hier nicht die verkehrte delirierende, auf Zamolxis sich gründende Unsterblichkeitslehre der » Geten«, sondern die echte historische meine. Derselbe gebraucht nun in seinen beiden ersten Büchern, welche sich auf den Krieg mit den » Goten« beziehen, diese Benennung ausschließlich und an so zahlreichen Stellen, daß deren spezielle Zitate hier nicht angemessen sein würden.

Der Universalhistoriker des elften Jahrhunderts Zonaras sagt (II, 12, 24, S. 596, Z. 21 der Bonn. Ausg.) von den Herulern: Σκυθικω̃ γένει καὶ Γοτθικω̃, weit öfter aber in dem beinahe gleichzeitigen Cedrenus, z. B. Th. I, S. 515, 519, 546–549, 588, 653, 658 u. 659 und 679, während allerdings Joannes Lydus (ed. Bonn. Das Werk des Lydus de mensibus ist verloren. Der Excerptor desselben hat unter vielen an dem ohne allen Zusammenhang rhapsodisch daraus entnommenen Notizen astronomischen, religiösen, mythologischen, aber auch historischen und geographischen Inhalts unter Mon. Sept. auch folgende ganz unverbundene Sätze ausgeschrieben:

Den 18. d. Oktob. Aufgang des Arctur.

Den 12. desselben ziehen, nach Cäsar, die Schwalben fort. Zu Nicomedia die Tyrannen Bithyniens. Hierauf:

Die Goten, Geten.

Daß eine solche Notiz, deren Sinn völlig unklar ist, nichts beweisen kann, bedarf nicht der Ausführung.

S. 106) einmal οι Γότθοι Γέται sagt und Genesius (ed. Bonn. S. 33), wo er neben Hunnen und Vandalen Geten nennt, wahrscheinlich Goten darunter versteht.

Besondere Erwähnung unter den Griechen verdient aber noch Stephan von Byzanz im sechsten Jahrhundert, der ein uns nur im Auszug erhaltenes geographisches Wörterbuch schrieb, daher unzweifelhaft auch als Hauptzeuge zu betrachten ist. Derselbe sagt (S. 206 der neuen Ausgabe von Meinecke):

Γετία η χω̃ρα τω̃ν Γετω̃ν· Γετὴς γὰρ τό εθνικόν ου τὸ κύριον· έστι δὲ θρακικὸν έθνος.

S. 112 aber: Γότθοι έθνος πάλαι οίκησαν εντὸς τη̃ς Μαιώτιδος· ύστερον δὲ εις τὴν εκτὸς Θράκην μετανέστησαν.

Dieses ausdrückliche und bewußte Absondern der Geten von den Goten, ohne daß irgendwie auf deren Verwandtschaft hingewiesen wird, hält nun auch J. Grimm (S. 566) selbst seiner Meinung nicht für günstig.

Den Kirchenvätern, die nicht Geschichte oder Geographie, sondern Theologie schrieben, ist, wenn sie gelegentlich, ohne allen Zweck ethnographischer Belehrung, Volksnamen anführen, Gewicht überhaupt nicht beizulegen.

Sie sind mindestens unbedingt den Historikern und Geographen nachzusetzen. Doch nur drei derselben, Philostorgius, Hieronymus und Augustinus nennen das Volk Geten, wogegen die Mehrzahl derselben, Sokrates Schol., Sozomenos und Auxentis und andere ebenfalls den Ausdruck: Goten gebrauchen.

Hätten wirklich die Goten, neben diesem Namen, auch den gleichberechtigten der Geten geführt, so wären aus demselben Grund auch die Zweige des Hauptstammes, Ost- und Westgoten, mit solchem zu belegen gewesen. Gleichwohl kommen in den Quellen niemals Ost- und Westgeten vor.

Die Gegner haben außer den erwähnten, ihnen aber entgegenstehenden Cassiodor und Prokop für sich nur folgende Schriftsteller anzuführen vermocht: die Historiker Jordanis und Orosius, den Panegyristen Ennodius, den Dichter Claudian, die oben genannten drei Kirchenväter und ein Jugendwerk des späteren Kaisers Julian.

Paulus Orosius, wahrscheinlich Bischof von Tarragona in Spanien, Schüler des h. Augustin, schrieb sein Geschichtswerk als Theolog für einen theologisch-apologetischen Zweck. Der Vergleich Roms mit Babylon und der Zerstörung ersterer Stadt durch Alarich mit der von Sodom und Gomorra ist ihm wichtiger, als historische Kritik. Seine Geschichte ist reine Kompilation, großenteils Abschrift von Justin, aber freilich immer noch eine bessere, als die des Jordanis. Unstreitig hat er des Livius und Tacitus verlorene Bücher gehabt – welch' Unglück, daß er sie nicht besser benutzt hat! Auch dieser aber bezeichnet das Volk überall, wo von diesem die Rede ist (VII, 22, 24, 28, 33, 35 und 37), ausschließlich als Goten: den von Trajan besiegten Herrscher nennt er Dacorum rex.

Nur eine Stelle ist es daher, worauf sich die Gegner beziehen könnten.

In dem, von den Siegen der Amazonen handelnden Buch I, Kap. 16 sagt er:

»Mox autem Getae illi, qui et nunc Gothi, quos Alexander evitandos pronunciavit, Pyrrhus exhorruit, Caesar declinavit, relictis vacuefactisque sedibus suis, ac totis viribus tot Romanas ingressi provincias, simulque ad terrorem diu ostentati, societatem Romani foederis precibus sperant: quam armis vindicare potuissent; exiguae habitationis sedem, non ex sua electione, sed ex nostro judicio rogant; quibus subjecta et patente universa terra, praesumere, quam esset libitum, liberum fuit: semetipsos ad tuitionem Romani regni offerunt, quos solos invicta regna timuerunt. Et tamen caeca gentilitas, cum haec Romana virtute gesta non videat, fide Romanorum impetrata non credit, nec adquiescit, cum intelligat, confiteri beneficio Christianae religionis (quae cognatam per omnes populos fidem jungit) eos viros sine proelio sibi esse subjectos, quorum feminae majorem terrarum partem immensis caedibus deleverunt.«

Der Zweck dieses Anführens ist nun lediglich der, zu erweisen, daß das blinde Heidentum der Goten, welche, obwohl ein viel streitkräftigeres Volk als die Römer, sich gleichwohl diesen unter Kaiser Valens als Föderierte freiwillig unterworfen hätten, nun dennoch nicht einsähe, wie sie es der Wohltat des Christentums zugestehen müßten: daß sie – diejenigen Männer, deren Frauen schon einst den größeren Teil der Erde mit ungeheurem Blutvergießen verheert hatten – jetzt im Frieden ihm (sibi), nämlich dem Christentume, unterworfen seien. Hier haben wir also den Ursprung der gotischen Amazonen des Jordanis, Orosius' Abschreibers, und, mit Justin verglichen, zugleich den Ursprung der ganzen Fabel, vor allem aber, wie wir sogleich sehen werden, den Ursprung der ganzen vermeinten Identität von Goten und Geten bei Jordanis. Justin führt nämlich in seiner Geschichte (II, 1, 3, 4 und 6) die Amazonen vielfach als die Frauen der Skythen auf. Weil nun der Name Skythen für Nordvölker überhaupt gebraucht wurde, so begriffen die älteren, namentlich griechische, Schriftsteller häufig auch die Geten Herodot begreift mehrfach Thrakien nördlich der Donau unter Skythien, namentlich IV, 97 bis 99. Nun erwähnt dieser zwar c. 93 das Spezialvolk der Geten südlich der Donau. Da dieses jedoch bei Eroberung Niedermösiens zum Teil jenseits dieses Stromes zurückwich, jedenfalls das Gesamtreich und Volk der Geten auch jenes skythische Thrakien mit umfaßte, so durften sie nach jener alten Anschauung allerdings unter den Skythen begriffen werden., sowie die Goten darunter, wie denn noch Zosimus (im fünften Jahrhundert n. Chr.) die Goten Skythen nannte. Orosius schließt nun also, um seinen absurden theologischen Beweissatz durchzuführen, wie folgt:

»Die Geten sind Skythen, die Goten sind auch Skythen, folglich sind die Geten Goten.«

Ist dies nicht genau ebenso, als wenn wir, um die Identität der Polen und Russen zu beweisen, sagen wollten: Die Russen sind Nordländer, die Polen sind auch Nordländer, folglich sind die Polen Russen?

Über Jordanis J. Grimm hält Jornandes für den ursprünglichen Eigennamen, der bei der Konversion zum Christentum oder seiner Ernennung zum Bischof (aber nicht von Ravenna), in Jordanis umgewandelt worden sei. In den ältesten Handschriften steht Jordanes oder Jordanis.

Seine Abkunft anlangend, lautet die Stelle Kap. 50 so: sein Vater hieß Alanowamuth sein Großvater Peria. Letzterer war Notarius des Dux der Alanen, Candax. Perias Schwester war mit Andax verheiratet, dem Sohne der Andala, die aus dem Geschlechte der Amaler stammte.

Hiernach dünkt mich wahrscheinlicher, daß Jordanis selbst Alane war, nur seine Großtante (unter hunnischer Herrschaft) den Goten Andax geheiratet hatte, was er der vornehmen Verwandtschaft halber hervorhebt. Indes bleibt die Sache zweifelhaft, ist aber für den vorliegenden Zweck jedenfalls gleichgültig.

ist ausführlicher zu handeln.

Derselbe nennt sich (c. 50) selbst agrammatus und wird von J. Grimm (S. 565, Nr. 813) ein » erbärmlicher Kompilator« genannt. Prüfen wir dies Urteil näher. Er sagt in der Zueignung seines Werks an Castalius folgendes:

»Superat nos hoc pondus quod nec facultas eorumdem librorum (der zwölf Bücher von Cassiodors Geschichtswerke) nobis datur, quatenus ejus sensui inserviamus. Sed ut non mentiar, ad triduanam lectionem dispensatoris ejus beneficio libros ipsos antehac relegi.«

Er bemerkt nicht, ob er sein Werk sogleich nach Cassiodors Lektüre begonnen, oder das antehac vielleicht eine längere Zwischenzeit umfaßte.

Nicht aus Cassiodor hat derselbe ferner seinem Anführen nach Anfang, Ende (weil jener nicht so weit schrieb) und mehreres in der Mitte entnommen. Leider wissen wir nicht genau, wie weit dieser, nur aus andern Quellen Über dessen Quellen s. v. Sybel, de fontibus libri Jordanis de orig. actuque Oet. Berlin 1838 und Rudolph Köpke, die Anfänge des Königtums bei d. Goth. Berlin 1859. Das naivste Armutszeugnis hat sich Jord. dadurch ausgestellt, daß er sogar die Vorrede seines Werks fast wörtlich aus des Rufinus Vorrede zur Übersetzung von des Origenes Kommentar des Römerbriefes abgeschrieben hat. S. v. Sybel in A. Schmidt Zeitschr. f. Gesch. VII, 288 und Köpke im ob. Werke 65. herrührende, Anfang reicht.

Nach einer im Wesentlichen aus Orosius entlehnten, aber auch abgeschmackte Zusatze Z. B. c. 3: die Inseln in der Ostsee seien so unbewohnbar, daß sogar die Wölfe dort blind würden. enthaltenen geographischen Einleitung fährt er im 4. Kapitel fort: Aus diesem, c. 3 beschriebenen Skanzia, der vagina gentium oder officina nationum, nun seien die Goten einst unter ihrem König Berich ausgezogen, und hätten an der Ostseeküste, nach Besiegung der Ulmeruger und Vandalen, in Gothiskanzien ein Reich gegründet. Da sich jedoch die Volksmenge sehr vermehrt, habe Filimer Nach der durch Zeuß S. 402 verbesserten und durch Kap. 24 bestätigten richtigen Leseart: post Berich. Filimer, filio Godarici., beinahe der fünfte König nach Berich (etiam pene quinto rege regnante) mit dem Heere auszuziehen beschlossen, um bessere Wohnsitze zu suchen. Zuerst langten sie in Skythien an, wo sie sich des großen Reichtums des Landes erfreuten: dann aber sei, nachdem die Hälfte des Heeres bereits einen Fluß passiert habe, die Brücke gebrochen und der Rest in den dortigen Sümpfen elendiglich umgekommen. Denn es sei, nach den Versicherungen der Hinkommenden, die es, wenn auch aus weiter Ferne, gehört, zu glauben (ex commeantium adtestatione quamvis a longe audientium credere licet), daß jetzt noch daselbst Geblök von Herden gehört und Spuren von Menschen wahrgenommen würden. Der übergesetzte Teil der Goten aber habe, nachdem sie die Spalen (Slaven) geschlagen, das äußerste Skythien am Pontus glücklich erreicht.

Dieses alles werde durch deren alte Lieder beinahe mit (in) historischer Weihe (Weise) (pene historico ritu) der Erinnerung bewahrt, wie dies denn auch Ablavius, der ausgezeichnete Geschichtsschreiber des Volks der Goten, in der wahrhaftigsten Geschichte bestätige (verissima adtestatur historia). Warum aber, fügt er in großer Naivität hinzu, Josephus, der so gründliche Annalist, der doch in gedachtem Lande deren Stamm erwähne, und daß sie Skythen hießen versichere, diesen Ursprung der Goten nicht anführe, wisse er nicht.

Im 5. Kap., in welchem er Skythien, das sich von den Germanen bis zu den Serern erstrecke, weitläufig beschreibt Hier bekundet Jord. seine geographische Unwissenheit durch die Worte: Scythia Germaniae terra confinis eotenus ubi Hister oritur amnis, vel stagnum dilatatur Mysianum. Hätte er bei dem Anfange nicht den Fluß, sondern den Namen Ister gemeint, so wäre mindestens der Ausdruck ganz falsch. Für Mysianum ist nach Handschriften Mursianum, mutmaßlich der Plattensee, zu lesen. Bald darauf nennt er Tisianus und Tausis als zwei verschiedene Flüsse, während nach der Beschreibung ersterer offenbar die niedere, letzterer die obere Theiß sein muß., läßt er im westlichsten Teile desselben zwischen Donau und Theiß die Gepiden sitzen, in der Mitte, d. i. in Dakien, Thrakien und Mösien, sei Zamolxis, der große Philosoph, König gewesen. Denn zuerst hätten sie den Zeuta, dann auch den Dikeneus und als dritten Zamolxis gehabt, darum seien die Goten auch, wie der griechische Geschichtsschreiber Dio (Chrysostomus) anführe, fast weiser als alle Barbaren, ja den Griechen beinahe gleich gewesen. Die erste (d. i. östlichste) Stelle an der Mäotis aber habe Filimer eingenommen. – Von weiterer Kritik dieser Stelle absehend, sei nur bemerkt, daß jener angebliche Zeuta unstreitig nichts anderes ist als der mißverstandene Amtsname des getischen Oberpriesters – etwa Theuta, dem griechischen θεὸς verwandt. (S. Strabo VII, 298 u. 304.) Fand aber Jordanis Zamolxis in seiner Quelle erwähnt, vielleicht in Strabo, den er in einem früherem Kapitel zitiert, so fand er dabei gewiß auch den davon unzertrennlichen Pythagoras, muß also diesen berühmten Philosophen mindestens in Augusts Zeitalter versetzt haben, da er des Zamolxis Vorgänger, Dikeneus, nach Kap. 11 für einen Zeitgenossen Sullas hält.

Im 6. Kap. läßt er nun die Goten, ohne Andeutung der Zwischenzeit, von Tanausis (wofür Jandusis zu lesen ist [s. Arrian Parth. fragm.]) regieren, welcher den ägyptischen König Vesosis (der nichts anderes als der große Eroberer Sesostris sein kann, daher entweder gegen siebenundzwanzig oder mindestens vierzehn Jahrhunderte v. Chr. gelebt hat Bunsen hält ihn, nach Manetho, für Setrutesen, der nach ersterem von 2732 bis 2684, nach Lepsius von 2287 bis 2259 v. Chr. regierte. Indessen scheint jetzt ziemlich allgemein angenommen zu werden, daß Herodots Sesostris, nach den von ihm berichteten Taten und dessen Zeit, vielmehr eine Verschmelzung zweier späterer Könige ist, nämlich des Königs, der auf den Inschriften Seti Miemptah, bei Manetho Σέθως heißt, und der erste der neunzehnten Dynastie war, und seines Sohnes Ramessu II. Miamum. Ersterer hat nach Bunsen 1404–1392, nach Manetho 1392–1341, nach Lepsius von 1393–1388 regiert.) am Phasis schlägt, bis nach Ägypten verfolgt und nur durch den Nil und durch die – gegen die Äthiopier Die handgreifliche Absurdität dieses Zwischensatzes bedarf nicht erst des Nachweises. Es ist aber möglich, daß Trojus Pompejus (unter August) aus Mißverständnis eines dunkeln Ausdrucks seiner griechischen Quelle, welche vielleicht Araber meinte, hier selbst Äthiopier gesetzt hat, also Jord. unschuldig fehlte. Wie aber Justin, der hier fast wörtlich mit Jordanis übereinstimmt, jenen Zusatz weggelassen hat, so konnte auch kein denkender und unterrichteter Schriftsteller zu einer Zeit, wo geographische Bildung schon allgemeiner war, denselben wiederholen. errichteten – Festungen verhindert wird, solchen in seinem Vaterlande zu vertilgen (extinxisset). Auf dem Rückmarsch unterjocht Jandusis beinahe ganz Asien, macht dieses aber (nach der von der gewöhnlichen abweichenden richtigen Lesart) seinem teuern Freunde, dem Mederkönige Sornus, tributpflichtig.

Von den siegenden Goten nun finden einige das Land so einladend, daß sie vom Heere desertieren und in Asien bleiben. Von diesen stammen, wie Trojus Pompejus sage, die Parther ab, weil parthi im Skythischen Flüchtlinge bedeute.

Im 7. Kap. handelt er von den Amazonen. Während nämlich die Männer auf obige Weise abwesend sind, greift ein Nachbarvolk die gotischen Frauen an, wird aber von diesen geschlagen. Hierdurch ermutigt wählen sich solche zwei Fürstinnen: Lampeto und Marpesia.

Erstere hütet das Land, Marpesia aber zieht mit einem Frauenheere nach Asien, überwältigt viele Völker, schließt mit andern Frieden und gründet eine Niederlassung an den kaspischen Pforten, wo Virgil noch das Saxum Marpesiae kenne. Nach einiger Zeit ziehen sie aus, bezwingen Armenien, Syrien, Kilikien, Galatien, Pisidien und alle Städte Asiens und machen Jonien und Aeolien zur Provinz, wo sie viele Städte gründen und unter anderem auch zu Ephesus der Diana einen wunderschönen Tempel bauen. Nachdem sie fast hundert Jahre dort regiert, ziehen sie sich zu den marpesischen Felsen im Kaukasus zurück.

Wie diese gotischen Amazonen ihr Geschlecht zu erhalten wußten, und von den sich verschafften Kindern nur die weiblichen behielten, erfahren wir in Kap. 8, das mit der Erzählung schließt, gegen diese solle Herkules gefochten, von ihnen Theseus Hippolyta erbeutet, deren Reich aber bis zu Alexander dem Großen bestanden haben.

Darauf im 9. Kap. zu den Männern der Goten zurückkehrend, bemerkt er, Dio, der fleißigste Forscher Derselbe, nämlich Dio Chrysostomus, lebte unter Domitian, von dem er nach Thrakien ins Exil geschickt wurde, und unter Trajan, also lange vor dem Erscheinen der Goten an Roms Grenzen. Reimarus hält ihn mit gutem Grunde für Cassius Dios mütterlichen Großvater. Cass. Dio edit. Sturz VII, S. 514., habe seinem Werke den Titel Getica gegeben, und fügt hinzu: quos Getas jam supriori loco Gothos esse probavimus Orosio Paulo dicente. Jener Dio erwähne nun einen viel späteren König derselben, Telephus, der, Mösien (dessen Grenzen er hierbei genau nach denen der römischen Provinz beschreibt) beherrschend, ein Schwestersohn des Priamus gewesen, und im Kriege gegen die Danaer, bei Verfolgung des Ajax und Ulisses stürzend, von Achilles in der Hüfte verwundet worden sei, aber dennoch die Griechen von seinen Grenzen abgetrieben habe.

Diesem sei sein Sohn Eurypylus, dessen Mutter ebenfalls eine Schwester des Priamus gewesen (letzterer hatte also seine Tante geheiratet), gefolgt, welcher, aus Liebe zu Kassandra seinen Verwandten im trojanischen Kriege Hilfe leistend, alsbald dort geblieben sei.

Beinahe sechshundertunddreißig Jahre später, heißt es nun im 10. Kap., habe Cyrus, der Perserkönig, die Königin der Geten, Tamyris, bekriegt, welche, den Übergang über den Araxes (den heutigen Sirdaja) ihm absichtlich gestattend, zwar zuerst geschlagen worden sei, nachher aber einen entscheidenden Sieg erfochten habe.

Sed iterato Marte Getae cum sua regina Parthos devictos superant atque prosternunt, opimamque praedam (Cyrus Haupt) de eis auferunt: ibique primum Gothorum gens selica vident tentoria.

Darauf sei Tamyris nach Mösien hinübergegangen und habe dort die Stadt Tamyris gegründet.

Hiernächst der gänzlich mißlungenen Züge des Darius Hysdaspis und Xerxes gegen die Goten gedenkend, erwähnt er noch, daß Philipp von Makedonien mit einer gotischen Königstochter sich vermählt, nachher aber doch, wiewohl ohne Erfolg, die Goten mit Krieg überzogen habe; was durch deren König Sitalcus später gerächt worden, indem dieser die Athener mit 150 000 Mann bekriegt und in einer großen Schlacht wider Perdiccas geschlagen habe, welchen Alexander der Große zum Erben des Prinzipats über Athen eingesetzt habe. Diese Stelle hat A. v. Gutschmid über die Fragmente des Pompejus Trojus (Separatabdruck S. 200–201, Leipzig 1851 bei Teubner) ausführlich behandelt. Er nennt sie einen Rattenkönig von Mißverständnissen. Jord. verwechselt darin Perdiccas II. von Maked. zur Zeit des peloponn. Kriegs mit dem hundert Jahre späteren Reichsverweser gleichen Namens, und läßt des Sitalcus Zug zugunsten der Athener wider solche gerichtet sein.

Im 11. Kap. wird die Ankunft des großen Philosophen Dikeneus, unter Boroista, der ihm beinahe königliche Gewalt verliehen, berichtet. Nach der unzweifelhaft richtigen, unter anderen auch durch Barth, Teutschl. Urgesch. II, S. 171, wieder hergestellten Lesart. Nach dessen Rat habe Boroista die germanischen Lande (quem nunc, d. i. zu Jord. Zeit, Franci obtinent) verwüstet und selbst Cäsar (und zwar, wie deutlich erhellt, nicht Octavianus, sondern Julius) habe die Goten, obwohl dies oft versuchend Bekanntlich eine grobe Unwahrheit. In den so vollständigen Quellen über Cäsar, von dem fast jeder Schritt bekannt ist, findet sich nur bei Sueton Octavian 6 die Worte: Caesare post receptas Hispanias, expeditionem in Dacos et deinde in Parthos destinante, woran er bekanntlich durch seine Ermordung verhindert wurde. (crebro tentans) nicht zu unterwerfen vermocht. Darauf habe Dikeneus das Volk in der Ethik, Physik, Logik und Astronomie unterrichtet, auch, bis jetzt schriftlich vorhandene, Gesetze, Bellagines, gegeben. Ihm sei nach dem Tode mit gleicher Macht Comosicus, der zugleich als König und Oberpriester gegolten, gefolgt.

Das 13. Kap. führt uns auf die von dem Gotenkönige Dorpaneus (Dekebalus des Cassius Dio) über Domitian erfochtenen Siege, in deren Folge aber die Eroberung des ganzen Landes durch Trajan und des Dorpaneus Tod auch nicht mit einer Silbe erwähnt, vielmehr sogleich auf den Kaiser Maximin, gotischer Abkunft, übergegangen wird. Vorstehender, im Wesentlichen wortgetreuer Auszug aus den ersten dreizehn Kapiteln des Jordanis enthält zugleich die Kritik dieses merkwürdigen Machwerks. Dasselbe nennt übrigens in der Regel nur Goten. Der Name Geten kommt, wenn wir nicht irren, darin überhaupt nur an drei Orten vor: in c. 5, so wie in den o. a. c. 9 und 10, wo Jord. die Skythen der Tamytis am Araras erst dreimal Geten, zuletzt aber doch wieder Goten nennt.

Die Frage, in wie weit dessen Inhalt von Cassiodor selbst oder nur von Jordanis herrühre, hat die Forscher schon mehrfach beschäftigt. Vergl. v. Sybel: De fontitus libri Jordanis de orig. actuque Getarum. Berlin 1838. Kassel tritt J. Grimms Ansicht, gegen welche diese Abhandlung gerichtet ist, S. 304–308 ebenfalls bestimmt entgegen, während Schirren sich darüber zwar nicht so bestimmt ausspricht, doch aber mehr zu meinen Gegnern sich zu neigen scheint. Beide irren übrigens offenbar darin, wenn sie annehmen, Cassiodors Werk habe den Titel de Getarum etc. geführt. (Selig-Kassel, magyarische Altertümer. Berlin 1858. S. 293–308, und Schirren, De ratione quae inter Jordanem et Cassiodorum intercedat Commentatio Dorpat 1858.)

Da eine monographische Erschöpfung des Gegenstandes zu weit abführen würde, soll nur einiges hervorgehoben werden. Vor allem das Schreiben Athalanchs an den römischen Senat (Valiar. IX, 25), worin er diesem Cassiodors Ernennung zum Praefectus Praetorio unter rhetorisch-schwülstiger Empfehlung desselben bekannt macht.

Nicht bloß die lebenden Herrscher, heißt es dann, die ihm nützen konnten, lobte derselbe, sondern tetendit se etiam in antiquam prosapiem nostram, lectione discens, quod vix maiorum notitia cana retinebat. Iste Reges Gothorum longa oblivione caelatos, latibulo vetustatis eduxit. Iste Amalos cum gentis sui claritate restituit, evidenter ostendens, in decimam septimam progeniem stirpem nos habere regalem. Originem Gothicam historiam fecit esse Romanam, colligens quasi in unam coronam germen floridum, quod per librorum campos passim fuerat ante dispersum. Perpendite quantum vos in nostra laude dilexerit, qui vestri principis nationem docuit ab antiquitate mirabilem. Ut sicut fuistis a majoribus vestris semper nobiles aestimati, ita vobis rerum antiqua progenies imperaret.

Mit schwerer Sorge blickte der große Theodorich gegen Ende seines ruhmvollen Laufs auf die Gefahr seiner Dynastie, in welcher nur ein Weib, seine Tochter Amalaswintha, und ein Kind, deren zehnjähriger Sohn Athalarich, ihm zurückblieb.

Mochte, wie der Erfolg bewährte, der Zauber seines Namens und Willens die erste Nachfolge sichern, wer schützte fortwirkend das Kind gegen Neid und Ehrgeiz edler Goten, gegen das Aufstandsgelüst der Römer?

Zweierlei war dafür zu beweisen wichtig: erstens, für den germanischen Volksglauben, daß Athalarich auch väterlicherseits ein echter Amaler sei, und zweitens, für den römischen Nationalstolz, daß das Volk der Goten ein noch älteres und durch Tatenglanz noch ruhmvolleres als selbst das römische sei.

Zu diesem doppelten Zwecke verfaßte als politische Tendenzschrift Cassiodor seine Geschichte der Goten. Auftrag und Ausführung ist vielleicht erst unter Amalaswintha, als die Verhältnisse schwieriger wurden, erfolgt, die Idee aber wohl von dem dem Königshause treu ergebenen Cassiodor selbst ausgegangen.

Beide obige Sätze nun werden in Athalarichs Schreiben als erwiesen angesehen, der erste bestimmt (evidenter ostendens in decimam septimam progeniem nos stirpem habere regalem), der zweite mittelbarer in den Schlußworten. Jener erste aber, unstreitig um so entschiedener der wichtigste, je zweifelhafter das echte Amalerblut von Athalarichs Vater, Eutharich (s. Schirren S. 78–80, der solches für erdichtet hält), sein mochte, konnte wirkungsvoller durch gelegentlichen Nachweis in einem durch Gelehrsamkeit imponierenden Werke ausgeführt werden, als in einer besonderen Abhandlung ad hoc, welcher man die Absicht sogleich angemerkt haben würde.

Für den zweiten Zweck kam es darauf an, die mythischen Großtaten, welche Geschichte und Sage den Skythen und Amazonen beigelegt hatten, den Goten zuzuschreiben. Dies war in einer Zeit des Verfalls der Wissenschaft nicht gar schwierig. Waren doch die Goten Nordländer, daher auch Skythen, worunter der Sprachgebrauch, selbst der literarische, noch immer alle nordischen Völker zwischen Tanais und Donau begriff, woselbst ja auch die Goten ihre ersten Sitze hatten. Der Schwerpunkt der Aufgabe und der Kern der Täuschung lag also hier nur im Zeitpunkte der Wanderung der Goten von der Ostsee nach dem Pontus, welche nicht übergangen werden konnte, weil die Erinnerung daran im Volke, jedenfalls in dessen Liedern und des Ablavius Geschichte noch fortlebte. (S. Jord. 4 u. 5, sowie obige Stelle der Variar.: quod vix majorum cana memoria retinebat.)

Wie aber, wird man einwenden, konnte denn Cassiodor jene, vor noch nicht vier Jahrhunderten erfolgte Tatsache willkürlich um Jahrtausende weiter zurückschieben? In einem Volk ohne Schrift, Literatur und feste Zeitrechnung kann wohl die Erinnerung an ein großes Ereignis lange mythisch fortleben, nimmermehr aber dessen sichere Zeitbestimmung, für welche bei solchem überhaupt die Königsnamen, die ja auch hier, wenn auch nur teilweise und unvollständig, bewahrt wurden, unstreitig das einzige Anhalten bildeten.

Kennen denn die Edda und das Nibelungenlied eine Chronologie? Würde es möglich sein, aus Homers Ilias allein die Zeit der Zerstörung Trojas abzunehmen, wenn wir nicht daneben noch eine griechische Geschichte hätten? Ist aber einmal ein Zeitpunkt gänzlich verschoben, so ist es für das Bewußtsein des Volkes gleichgültig, ob dieser von einem Historiker um hundert oder zweitausend Jahre weiter hinaufgerückt wird, zumal wenn die Täuschung dem Stolze durch Zuteilung gewaltiger Ahnen schmeichelt.

Bedenklicher mochte der Glaube auf römischer Seite sein. Nicht das Volk im Allgemeinen aber konnte den Trug durchschauen. Merkwürdigerweise findet sich jedoch auch weder bei Dio noch bei Herodian (der sich überhaupt um fremde Völker sonst nicht kümmert), noch bei dem späteren Ammian irgend eine Nachricht über An- und Abkunft der wirklichen Goten. Auch bei andern, wie unstreitig bei Dexippus, kann dies nur isoliert und nebenher der Fall gewesen sein, da sich eine Spur davon sonst gewiß erhalten haben würde. Dennoch mögen einzelne Römer von besserer historischer Bildung Absicht und Kunst wohl erkannt haben. Erwägt man aber, daß die Schriften jener Zeit nicht, wie in der unsrigen, ein Gemeingut aller Gebildeten und dadurch Gegenstand öffentlicher Kritik wurden, gerade bei der Mitteilung dieser gewiß auch mit besonderer Vorsicht verfahren wurde, vor allem aber Parteischriften für den Herrscher durch eben diese ihre Bestimmung schon gegen unberufene Angriffe gesichert waren, so konnte in solcher Besorgnis gewiß kein Behinderungsgrund der Abfassung derselben gefunden werden, wenn diese an sich nur eine geschickte war, was sie unzweifelhaft gewesen sein muß.

Namentlich ließ hierbei derjenige Punkt, worin die Absicht am kennbarsten war, die Übergehung notorischer Tatsachen, wie Trajans Eroberung von Dakien – in Folge des jedem Urteilsfähigen sofort einleuchtenden politischen Zweckes – eine mißliebige Kritik am wenigsten befürchten.

Hält man nun obige Ansicht fest, so muß notwendig auch die Ableitung der Goten in uralter Zeit zuerst aus Skanzia und dann von der Ostseeküste von Cassiodor selbst herrühren, was Schirren S. 51–54 meines Erachtens mit ebenso viel Gründlichkeit als Scharfsinn nachgewiesen hat.

Nur kann man nicht II, S. 9 ff. und III, S. 20 f., Selig-Kassel a. a. O. besonders S. 297 beipflichten, wenn beinahe der ganze Jordanis auf Cassiodor zurückführt, daher auch die zahlreichen Zitate desselben aus andern Schriftstellern nicht für eigne desselben, sondern insgesamt nur für abgeschriebene aus Cassiodor erklärt werden. Dies widerspricht nicht nur des Jordanis ausdrücklichen Worten der Vorrede: ad quos nonnulla ex historiis graecis atque latinis addidi convenientia, sondern vor allem dem Urteile und Takte Cassiodors, des Gelehrten und Staatsmannes, der dem politischen Zwecke seiner Arbeit durch Beweise grober Unwissenheit und Beimischung einleuchtend absurder Fabeln, wie deren oben mehrere hervorgehoben sind, nur schaden konnte, weil Ignoranz und Lüge im einzelnen die Glaubhaftigkeit des Ganzen verhindert, wo nicht aufgehoben hätte. Die genaue Bestimmung darüber aber, was aus des Jordanis Buche ihm selbst, was Cassiodor angehöre, wird nie mit voller Sicherheit möglich sein, obwohl durch Obiges Cassiodor keineswegs von all' den zahllosen Irrtümern in jenem Werke freigesprochen sein soll, das teilweise wenigstens, unter dem Drange von Staatsgeschäften, ziemlich flüchtig verfaßt worden sein mag. Köpke, die Anfänge d. Königt. b. d. Goten, Berlin 1869, bestätigt S. 89–93 obige Ansicht vollkommen, nur darin abweichend, daß K. nur für Irrtum Cassiodors hält, worin wohl auch Diplomatie lag. Wie konnte der Gelehrte die Vernichtung des Getenreichs durch Trajan ignorieren, dessen Triumph über Daken und Skythen er in seinem Chroniken selbst anführt? Diese aber mußte natürlich verschwiegen werden, wenn man dem römischen Volke durch den alten Nationalruhm der Goten imponieren wollte.

Indes muß ihm letzterer überhaupt Nebensache gewesen sein, die Verherrlichung der Goten durch die Skythen- und Amazonenfabel, die Besiegung des Sesostris, des Cyrus, der Griechen, vor allem die Unterstützung der Trojaner – der Ahnherren der Römer – das war die Hauptsache.

Ist die entwickelte Ansicht richtig, so wird dadurch im Wesentlichen zugleich die Beweiskraft von des Jordanis Buch für die Gegner vollständig aufgehoben.

Nachdem Cassiodor den Goten in ihrer Eigenschaft als Skythen den mehr mythischen Ruhm dieses Volkes nebst dem der Amazonen beigelegt hatte, war von den Perserkriegen bis zu Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. immer noch eine lange Lücke auszufüllen, für welche die nun eingetretene historische Zeit keinerlei Anhalten mehr darbot. Dafür gab es kein bequemeres Mittel, als die Goten zugleich an die Stelle der Geten zu setzen. Altera ejusdem rei medela, sagt Schirren S. 54, in addendis Gothorum historiae Getarum fatis posita erat. Nennt doch Herodot I, c. 206 und sonst Tomyris Königin der Massa geten, diese aber (c. 201) ein skythisches Volk. Mit mehr historischem Anschein noch als die Goten waren daher unstreitig die Geten für Skythen, neben welchen sie saßen, zu erklären, wodurch sie denn, weil auch die Goten Skythen waren, zugleich zu Goten wurden, was überdies die Namensähnlichkeit unterstützte.

Die Brücke für diesen kühnen Übergang baute eben jene Tomyris, welche Cassiodor, dem dies unzweifelhaft beizulegen ist, nach Jord. c. 10, »nachdem sie Cyrus besiegt«, von Asien nach Europa übersetzen und die Stadt Tomi in Mösien gründen läßt.

Nun saßen dort zwar nach Jordanis schon seit der Ureinwanderung Goten (c. 5), auch wird vorher bereits der Gotenkönig Telephus, der Zeitgenosse des trojanischen Kriegs, daselbst erwähnt (c. 9), doch ist die Tomyris-Nachricht (eine offenbar absichtliche, aber zu damaliger Zeit schwer zu kontrollierende Lüge) mit Geschick so gehalten, daß man in den folgenden Herrschern (c. 10–13) deren Nachkommen und Ruhmeserben vermuten kann.

Vor allem ferner mußte Cassiodor daran liegen, den gefeierten Namen und Kulturglanz des Zamolxis auf die Goten zurückzuführen und dadurch die Phrase (c. 5): »Unde et pene omnibus barbaris Gothi sapientiores exstiterunt, Graecisque pene consimiles« zu begründen, weshalb diese, wie auch Schirren S. 27 näher ausführt, unstreitig von Cassiodor herrührt.

Es geht aus der entscheidenden Stelle des Jordanis c. 9: quos Getas jam superiore loco Gothos esse probavimus, Orosio Paulo dicente, zweifellos hervor, daß er hier gar kein eignes Urteil aus-, sondern lediglich das des Orosius nachspricht. Jener locus superior aber findet sich (c. 5) in den Worten, wo er nach Erwähnung des Kampfes von Vesesis mit den Männern der Amazonen fortfährt:

De queis feminas bellatrices et Orosius in primo volumine professa voce testatur. Unde cum Gothis eum pugnasse evidenter probamus, quem cum Amazonum viris absolute pugnasse cognoscimus.

Die Stelle des Orosius I, 16 aber, worauf sich diese seltsame Logik bezieht, ist die oben bereits erörterte, in welcher der ganz einseitig in seinen apologetischen Standpunkt verbissene und diesem alle historische Wahrheit aufopfernde Theologe aus der Tatsache, daß die Goten, deren Frauen (die Amazonen) allein einst den größeren Teil der Erde mit ungeheurem Blutvergießen verheert, sich dem christlichen Rom friedlich unterworfen hätten (was freilich im Wesentlichen völlig unbegründet war), einen Triumph für das Christentum ableitet.

Wo also, wie hier, die Quelle einer Nachricht erwiesen auf absichtlicher Entstellung oder gröbster Unwissenheit beruht, kann auch diese selbst keinerlei Beweis für irgendeine Meinung begründen.

Es ist aber auch gar nicht wahr, daß Jordanis in seinem Werke selbst die Goten jemals als Geten bezeichne: derselbe kennt vielmehr gar nicht zwei Völker, sondern überhaupt nur ein Volk, nämlich das der Goten, welche er Jahrtausende vor Chr. an den Pontus und in Thrakien einwandern läßt, er straft daher alle griechischen und römischen Schriftsteller, selbst Zeitgenossen, Lügen, welche daselbst Geten oder Daken erwähnen und beschreiben.

Ennodius, Bischof von Ticinum, in seinem Panegyricus mit der Überschrift: dictus Ostro gothorum regi Theodelico braucht in der Regel lediglich den Namen Gothi, z. B. S. 26 u. 39, so daß nur einmal c. 19, S. 74 der Ausg. v. Meinecke, wo er von der militärischen Ausbildung der Jugend redet, der Ausdruck: getica instrumenta roboris vorkommt.

Die in dem ak. Vortrage S. 39 angeführte Stelle aus Aethicas Kosmographie: ab Oriente Alania, medio Dacia, ubi et Gothia, deinde Germania, welche für die Sache gar nichts beweist, scheint J. Grimm, weil er sie in der Gesch. d. d. Spr. nicht wieder anführt, selbst nicht weiter beachtet zu haben.

Unter den Kirchenvätern ist unstreitig der von J. Grimm (S. 128) zitierte Philostorgius, der uns nur in des Photius Auszug erhalten ist (II, 5), um den Anfang des fünften Jahrhunderts, der bedeutendste, indem er sagt:

Wulfila habe um diese Zeit von den Skythen τω̃ν πέραν ’Ίστρον, οὺς οι μὲν πάλαι Γέτας, οι δὲ νυ̃ν Γότθους καλου̃σι, vieles Volk in das römische Land übergeführt, welches der ευσέβεια (d. i. des Christentums) wegen vertrieben worden sei.«

Daß die ganze Nachricht, wie sich weiter unten ergeben, auch von Philostorgius selbst (IX, 17) anerkannt wird, in dieser Weise falsch ist, erweckt schon kein Vertrauen in die Zuverlässigkeit dieses Kirchenhistorikers.

An sich wird aber überhaupt durch das Anführen:

»die Alten nannten jene Skythen Geten, die Neuern Goten« nur die verschiedene Benennung jener Völker zu verschiedenen Zwecken, keineswegs jedoch die Identität der Träger dieser Namen erwiesen. Jedenfalls könnte letzterer Beweis nicht mittelbar aus der vagen und mehrdeutigen Ausdrucksweise eines Schriftstellers entlehnt werden, der thrakische und germanische Nationalität von skythischer überhaupt nicht zu unterscheiden wußte.

Dagegen führt der Dichter Claudian zu Anfang des fünften Jahrhunderts sowohl in der Überschrift seines Gedichtes de bello Getico als in dessen Text und sonst die Goten allerdings stets unter dem Namen Geten auf. Wirft man aber nur einen Blick auf das deklamatorische, den alten Klassikern nachgekünstelte, überall mit Belesenheit prunkende Streben dieses Poeten, so kann man einen irgendwie glaubhaften historischen Zeugen in ihm sicherlich nicht erblicken. Unstreitig hat derselbe den Namen Geten nur um deswillen vorgezogen, weil er ihm klassischer, als der wirkliche, aber moderne erschien.

Zuletzt ist unter den von den Gegnern angeführten Zeugen der spätere Kaiser Julian zu besprechen, welcher in der Lobrede auf seinen Vetter, den Kaiser Constantius, von dessen Brüdern, Constantins des Großen Söhnen, während des Vaters Lebzeit redend (S. 12 der Ausg. v. Schäfer, Leipzig bei Köhler 1802) sagt: Der eine wirkte bei Besiegung der Tyrannen mit, der andre τὴν πρὸς τοὺς Γέτας ημι̃ν ειρήνην τοι̃ς όπλοις κρατήσας παρεσκεύασεν ασφαλη̃. Daß er hier durch Geten Goten habe bezeichnen wollen, ist allerdings wahrscheinlich, aber keineswegs gewiß, weil Constantin damals auch mit Sarmaten, wie die Quellen sagen, in Berührung kam, was oben erörtert worden ist. Die ganze Arbeit ist aber keine Staatsrede, sondern nur eine Chrie. Ihr Zweck war unstreitig der, dem Kaiser gewinnende Dinge zu sagen. Überall erkennt man darin die Schule, aber auch den Geist des spätern großen Mannes. Wenn der junge Julian, dessen Ausbildung eine durchaus griechische und dem es in der ganzen Sache überhaupt nur um einen schönrednerischen Effekt zu tun war, hier einen bekannten griechischen Namen gebrauchte, so hat er dabei sicherlich nicht an strenge Unterscheidung, noch weniger an Lösung eines ethnographischen Problems gedacht.

Hierüber wird nun von Schirren a. a. O. S. 56 auch noch aus Ausonius, Sidonius Apollinaris und Prudentius Aurelius – insgesamt also Dichter der schlechtesten Zeit – der Gebrauch von Geta für Gothus zitiert, was hier nur der Erwähnung, nicht aber der Widerlegung, noch weniger spezieller Kritik der einzelnen Stellen bedarf, da von ihnen alles dasjenige gilt, was vorstehend bereits von Claudian bemerkt worden ist.

Wichtiger würden die von ihm zitierten Inschriften mit der Bezeichnung Getae sein, welche daher Erwähnung fordern.

In einer in Mabillon (Vett. Annal p. 359, 7) angeführten Inschrift von Theodosius finden allerdings die Worte: Quod Getarum nationem in omne aevum etc. Allein in Grutor (281, 1) und dem so zuverlässigen Muratori (später als Mabillon) (466, 1) heißt es in derselben Inschrift statt dessen: Gothorum nationem, weshalb ersteres entweder Druckfehler ist oder mindestens ohne genauere kritische Feststellung nichts zu beweisen vermag.

Was hingegen die aus Gruters Corp. Inscriptionum angeführten betrifft, so beruht das erste Zitat (T. I, p. 261, 2) auf Versehen, da es in dieser Gothorum mentes, wie in der vorhergehenden unter 1 post gothicam victoriam heißt. Beide sind übrigens als amtliche Inschriften auf die durch Narses bewirkte Wiederherstellung des pons Salarius über den Anio von Wichtigkeit für meine Meinung. Dagegen findet sich in den drei andern (T. III, p. 1170, 13; 1171, 4 und 1173, 4) allerdings Getes und Getae. Diese aber gehören zu derjenigen Sammlung christlicher Grab- und Inschriften, die Gruter wenige Blätter zuvor mit folgendem Titel bezeichnet: Epigrammata sequentia omnia inveni in vetero libro Bibliothecae Palatinae Friderici IV. eloctoris, videbaturque descriptus 100 aliquot annos retro e templis fere Urbis Romae. Da solche hiernach jeder Beglaubigung der Echtheit, namentlich der Zuverlässigkeit des Epigraphikers entbehren, so vermögen dieselben offenbar nichts zu beweisen.

Nach diesem allen stellt sich als Ergebnis des Gegenbeweises nur so viel heraus: daß, außer Orosius und Jordanis, die nach obigem nicht zu beachten sind, allerdings einige, aber nur sehr wenige, und insgesamt minder glaubhafte Schriftsteller die Goten auch Geten nennen.

Es fragt sich nun, worauf diese, der amtlichen Bezeichnung dieses Volks und der übereinstimmenden Autorität nicht nur der zahlreichsten, sondern auch der vollgültigsten Zeugen widersprechende Benennung beruht?

Nur entweder auf dem Grunde bewußter Überzeugung von der ursprünglichen Identität der Geten und Goten zur Zeit der Ureinwanderung: oder auf dem der Vereinigung beider Völker vom Ende des zweiten Jahrhunderts ab in den alten Wohnsitzen der Geten und vor allem auf der Ähnlichkeit beider Namen.

Diese Frage mit Sicherheit zu lösen, ist unmöglich, aber die zweite Voraussetzung für die richtigste zu halten: und zwar um deswillen, weil nach der Natur der Sache und des Tacitus Urteil zu Folge die Kunde der Ureinwanderung bei den europäischen Völkern und den Germanen insbesondere um die Zeit nach Christus bereits gänzlich erloschen war, zweitens aber weil gerade bei den römischen Historikern nicht die geringste Spur einer solchen Wissenschaft oder auch nur Vermutung sich findet. Für römischen Nationalstolz aber würde es ein hohes, wenn auch nicht praktisches Interesse gehabt haben, in den Goten nur die Stammbrüder und Nachfolger der von Trajan so arg gedemütigten Geten wieder zu finden.

Wenn J. Grimm (S. 129) Strabos Glaubwürdigkeit dadurch zu mindern sucht, daß dieser (VII, S. 312) Skythien bis zum Rhein erstrecke, demnach auch Germanien mit darunter begreife, so hat er an dieser, den Schluß des 4. Kapitels bildenden Stelle den Anfang des nächstfolgenden nicht beachtet. Aus diesem ergibt sich, daß sich in der letzten Stelle von Kap. 4: τοιαύτη μὲν η εκτὸς ’Ίστρου πα̃σα η μεταξὺ του̃ ‘Ρήνου καὶ του̃ Ταυάδος ποταμου̃, das τοιαύτη nicht bloß auf Skythien, wovon Kap. 4 handelt, sondern auch auf die drei vorhergehenden bezieht, indem Kap. 5 ausdrücklich mit den Worten beginnt: Λοιπή δ' εστι τη̃ς Ευρώπης η εντὸς του̃ ’Ίστρου nämlich Makedonien und die griechische Halbinsel, wonach in beiden Stellen das εκτὸς und εντὸς d. i. nördlich und südlich der Donau, den Gegensatz bildet.

J. Grimm hält (sowohl in seiner akad. Vorl. vom Jahre 1843, S. 60, als in d. Gesch. d. d. Spr. S. 136 und 561) Dekebalus nicht für einen Eigennamen, sondern für ein Appellativ, d. i. Amtstitel der getischen Herrscher. Schon Reimarus in seiner Ausgabe des Cassius Dio S. 1105, Anm. 35, hat vermutet, daß sich solches von Baal (Herrscher) der Dakier ableiten lasse.

Allein wenn Cassius Dio LXVII, 6 sagt, daß der Name Daken nicht allein bei den Römern üblich sei, sondern auch das Gesamtvolk selbst sich so nenne, so dürfte dies allerdings in so weit für richtig anzunehmen sein, als in den beiden Friedensschlüssen zwischen Dekebalus und Rom, welche Dio im Senatsarchiv einsehen konnte, dieser Name für das Gesamtvolk gebraucht worden sein muß.

Strabo hingegen unterscheidet in früherer Zeit ausdrücklich Daken und Geten, indem er (VII, p. 304 a. Schl.) von der Donau redend sagt:

»Der Fluß heißt in seinem oberen Laufe nach den Quellen zu bis zu den Katarakten (den Stromschnellen bei Orsova), wo hauptsächlich die Daken wohnen, Danubius, in seinem untern bis zum Pontus hin, da, wo die Geten sind, Ister.«

Hieraus ergibt sich, daß das Land der Daken nur einen kleinen Teil des Gesamtgebiets umfaßt haben kann.

Er selbst gebraucht aber, wo er von der Gesamtheit redet, nur den Namen Geten, nennt daher auch Dromichartes und Boirebistes, der selbst ein Gete war, König und Herrscher der Geten.

Daß hierauf nichts ankomme, weil Strabo als Grieche nur den bei den Griechen gewöhnlichen Namen anwende, ist irrig, da wir schon aus Herodot wissen, womit alle späteren Quellen bis auf Strabo und Pomponius Mela übereinstimmen, daß Geten der Spezialeigenname eines der thrakischen Völker und zwar des südlichsten und kultiviertesten derselben war. Möglich nun, daß Dekebalus für seine Person Dake war, der Name seines Stammes daher zu dessen Zeit für das Gesamtvolk selbst gebraucht worden sein mag, höchst unwahrscheinlich aber, daß ein von dessen persönlicher Herkunft abgeleitetes Appellativ, Baal der Dakier, der legale Amtstitel der Herrscher des alten Getenreichs geworden sei.

Unstreitig ist übrigens Dio für alles ethnographische eine höchst schwache Autorität.

Unzweifelhaften Glauben dagegen verdient derselbe, wo er als Konsular auf Grund amtlicher Kenntnis berichten konnte. Dio gebraucht aber im 67. u. 68. Buche den Ausdruck Dekebalus mindestens zwanzig Mal, und zwar meist so, daß darin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, ja einmal sogar mit Sicherheit ein Eigenname zu erkennen ist. Letzteres nämlich LXVII, c. 6: Δακοὺς ω̃ν τότε Δεκέβαλος εβασίλευε.

Würde dies nicht, wenn er hier nur den Amtstitel ausdrücken wollte, ebenso abgeschmackt gewesen sein, als wenn ein deutscher Historiker ein bestimmtes Oberhaupt des Kirchenstaats durch die Worte: »welchen damals der Papst regierte«, bezeichnen wollte?

Der Name wechselt, der Amtstitel bleibt. Zwei Könige der Geten nennt nach obigem Strabo. Drei der Geten Augusts erster Feldzug war allerdings nur gegen die Geten im engern Sinne zwischen Hämus und Donau gerichtet, wo nach des Boirebistes Tode mehrere Könige oder Fürsten sich in das Reich geteilt hatten., beziehentlich aber auch Daken nennt Dio, als Roles, Dapyx (LI, 24 und 26) und Duras (LXVII, 6) welcher die Regierung freiwillig an Dekebalus abtrat. Da nun Duras nach obiger Meinung ebenfalls ein Dekebalus gewesen sein müßte, so würde sich Dio hier ebenso unangemessen ausgedrückt haben, als wenn man im Deutschen sagen wollte: Karl I., König von Spanien, trat die Regierung freiwillig an den König des Landes ab.

Das Gewicht dieser Gründe kann auch durch die Vermutung, daß Orosius, welcher jenen König nicht Dekebalus, sondern Diurpaneus nenne, letztern Namen aus des Tacitus verlornen Büchern entlehnt habe, nicht entkräftet werden. Ist nämlich auch nach dem Inhalte der Kompilation desselben anzunehmen, daß er hier weder aus Dio noch Sueton geschöpft habe, so folgt doch daraus noch nicht, daß dies aus Tacitus geschehen sein müsse. Vor allem kann aber auch durch doppelten Irrtum der Abschreiber des Tacitus und des Orosius Dekebalus leicht in Diurpaneus (Jordanis schreibt Dorpaneus) verfälscht worden sein, zumal Anfang und Schlußbuchstaben, sowie das mittlere a beiden Namen gemein sind. Endlich kommen ja auch häufig Doppelnamen bei einer und derselben Person vor. Wollte man endlich für J. Grimm noch die Stelle des Treb. Poll. 30 Tyr., c. 10, nach welcher es von dem sich wider Gallien empörenden Regillianus heißt: gentis Daciae, Decebali ipsius, ut fertur affinis, anführen, so dürfte diese umgekehrt wohl mehr gegen ihn beweisen.

Da nämlich Dakien damals seit hundertundfünfzig Jahren keine Könige mehr hatte, so mußte entweder derjenige König, welchem R. verwandt gewesen, genannt oder, wenn früher alle Herrscher eines Geschlechts waren, statt des Amtstitels der Ausdruck stirpia regalis gebraucht werden: auf die bloße Möglichkeit einer falschen Ausdrucksweise kann man doch keine Konjektur gründen. So kann man der versuchten Ableitung der »Taifalen« (als der »Königlichen«, »Fürstlichen«) von Dekebalus nicht beipflichten.


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