Hermann Conradi
Lieder eines Sünders
Hermann Conradi

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I.
Wir sind die Sieger!

(An Johannes Bohne.)

       

Freund! Noch sproßt uns die Kraft
Und die Liebe ist jung!
Blüten duft'ger Erinnerung
Wird nimmer sammeln
In kommenden Tagen,
Der nur mit Stammeln,
Der nur mit Zagen
Zu den Göttern gefleht!
Und nie ein Gebet
In flammender Begeisterung,
In blühendem Hymnenschwung,
Gen Himmel gesandt,
Auf daß er ihn löse
Von lastender Schuld!
Auf daß er ihn labe
Aus dem Gnadenkelch
Seiner Trösterhuld!
Auf daß er ihm leihe
Verklärende Weihe –
Lebendigen Odem,
Wie er durchflutet
Der Seligen Brust!
Nicht bangende Lust,
Nicht karges Hoffen,
Nicht zaghaftes Wollen:
Den Tiefen der Seele
Entlockt und entquollen
Ströme sie hin
In berauschendem Rollen:
Die Leidenschaft!

Wie Bergwasser tosen
Und jauchzend durchbrechen
Gigantischer Felsen
Ehernen Wall:
So flamme sie schäumend
Und siegend umspanne
Mit allmächtigen Armen
Sie Zeiten und All!

Laß Andere langsam,
In erwogenem Wandel,
Die Pfade schreiten,
Die ihnen gezeichnet
Ein auglos Geschick:
Mit blitzender Brünne,
Im Blicke Flammen,
In der Seele die Freiheit,
Laß uns erringen
Das heilige Ziel!

Laß Andere fahrten
Den Nacken gebeugt
Und ängstlich das Auge,
Das entgeistete, stumme,
Zu Boden gekehrt,
Von tauben Lasten
Die Seele beschwert –
Wir sind die Sieger!

Des Weltalls Weiten
Durchfühlen in kühnen
Gedankenfahrten
Wir glückliche Wandrer!
Und furchtlos schreiten
Wir durch der Zeiten
Rätselumgürtetes
Riesenthor –
Nur höher und höher
Zu dir, o leuchtende
Sonne, empor!
Wir sind die Sieger!

 
II.

       

Wie bist du plötzlich über mich gekommen,
Du Zug der Sehnsucht, der mich mächtig packt?
Ich war so lustig mit dem Strom geschwommen
Und ward so zahm, voll Höflichkeit und Takt!

Weit hinter mir lag all mein unstät Brausen,
Der »gute Ton« ward mir Respektsmoment . . .
Ich fügte mich und machte keine Flausen
Und ward – »vernünftig«, wie man das so nennt . . .

Ich saß mit Hinz und Kunz an einem Tische
Und der Beschränktheit reichte ich die Hand . . .
Und ruhte nicht, bis ich auf einem Wische
Verbürgt, verbrieft mein – Lob der Narrheit fand . . .

Da hatten sie es sauber hingeschrieben,
Auf Pergament, verbrämt voll Phantasie:
Ich wär' auf rechten Wegen stets geblieben
Und hätte ebenso gedacht wie sie . . .

Und hätte ebenso wie sie gelogen –
War's auch ein wenig anders ausgedrückt –
Und hätte ebenso wie sie betrogen,
Wär' ebenso wie sie herumgekrückt . . .

(Natürlich gab's auch hierfür andre Worte,
Doch war der Sinn derselbe, denk' ich, wohl! . . .)
Und unterweil verschrumpft' ich und verdorrte,
Und die Gemütlichkeit ward mein Idol!

So ging auch heute mir der Tag zu Ende,
In blödem Einerlei verthan, verbracht . . .
Da lodert's plötzlich auf wie Feuerbrände,
In meiner Brust in stiller Mitternacht! . . .

Da plötzlich schäumt es auf wie Katarakte –
Es schreit der Sturm und peitscht mein totes Blut –
Und vor mir steht die Wirklichkeit, die nackte:
Ich ward ein Sclave unter Sclavenbrut! . . .

Was ich verhöhnt, verlacht, mit Recht verachtet
Dereinst, als jung mein Herz und lauter noch:
Ich hab' es jahrelang voll Fleiß ertrachtet
Und manchmal war's, daß ich zu Kreuze kroch!

Und manchmal war's, daß ich den Geist geschunden,
Daß er wie auf der Marterbank gestöhnt –
Da lag er, überdeckt von tausend Wunden,
Der arme Kerl, vom Pöbel strohgekrönt! . . .

Und endlich dann – dann hatt' ich ihn bezwungen
Und ihn geknechtet mit Verrätherhand –
Das Kunststück war mir ganz famos gelungen:
Daß schließlich Alles ich – »natürlich« fand! . . .

Und nun! Und nun! O feueräugig Wunder,
Das sich herausgebar auf nächt'gem Schooß!
Vor mir zerstäubt der taube, tote Plunder
Und zu der Freiheit ringe ich mich los!

Ich find' sie wieder, all' die alten Pfade,
Ein überirdisch Licht beflammt die Spur –
Durch eines neuen Geistes Huld und Gnade
Kehr' ich zurück zur Wahrheit und Natur!

Ich kehr' zum Leben und zu seinen Quellen,
Sein wahres Wesen giebt sich heiter kund,
Vor meinem Blick will sich das Tiefste hellen
Und offen liegt mir aller Dinge Grund . . .

In mächt'gen Wogen rollt in Herz und Hirn mir
Die Kraft zurück, die neu den Kampf gebiert!
Der Muskel knollt, graniten wird die Stirn mir:
Mir ward der Geist nun, der sich nicht verliert!

 
III.

               

Abseits war ich gegangen,
Wo in die Wildniß,
In aufgehügelte, totstille Wildniß,
Sich die Pfade verlieren –
Wo Menschenwesen
Und Menschensprache
Unheimisch dem krautkargen Felsen
Und der nackten Steinklippe,
Den verzwergten Halmen,
Die spärlich sprießen
Zu Füßen der Hügel . . .
Wo die Einsamkeit wohnt
Und die Weltentsagung,
Ihre ernstere Tochter . . .

Und abgethan hatt' ich
Menschenwahn
Und Menschenschicksal . . .
Zwiesprach nur hielt ich
Mit dem zeitzergleisten Gestein,
Mit dem Winkelgestrüpp
Und den Wolken des Himmels
Und mit dem ewigen Gott,
In dem ich war
Und der in mir war
Vom Morgen bis zum Abend
Und wiederum vom Abend
Bis zur Frühe,
Wenn das aufzuckende Morgenrot
Falbe Farbenbündel
In meine Siedlung warf,
Und ich aus Träumen mich hob –
Aus Träumen von Gott
Und zeitlosem Sein . . .

Und ich atmete die Gedanken
Des unendlichen Geistes –
Seines Wesens Hauch
Durchleuchtete mich,
Und ich wuchs in ihm
Und wachsend überwand ich
Die Welt und das Schicksal,
Und begreifend verging ich
Leicht wie die Windspur . . .

Und lebend und lernend
Starb
ich schmerzlos . . .

Da aber mahnte der Ewige mich
Verschollener Stunden,
Und verschollener Stunden
Kern und Bedeutung
Enthob sich aus Tiefen,
Drin sie versunken,
Als ich die Menschen ließ
Und ihres Wandelns
Verwirrte Fragmente . . .

Und Er sprach zu mir
Mit dem Geiste der Zeit,
Die war und bedingt war:

Nicht taugt es dem Menschen,
Daß er mich spüre,
Wo ich der Erde
Versagt den Genossen
Und Sünde und Reue . . .

Denn hier betastet
Mich Keines Finger,
Und da die Einöde haust,
Stirbt des verirrten
Gottsuchers Seele
Lebend in mir,
Wie ich lebe,
Dem Sein entkeimend
Und auch dem Nichtsein . . .

Aber nur der in Nöten gesündigt,
Errät' des Todes
Tieferen Sinn
Und schlürft seines Lohnes
Köstliche Fülle . . .

Also hebe dich auf
Und, Dank im Gemüte
Und Erlösungssehnsucht,
Schreite hinab
Und mische dich wieder
Unter der Menschen
Rätselgeschlecht . . .

Und wieder werde
Menschensatzung
Allstündig dir Richtschnur
Und maschiges Netzwerk,
Drin sich verhaken
Gedanken und Triebe,
Sündengebärend
Zugleich und entsühnend! . . .

Und ich ging von dannen
Und stockender Stimme
Entgrüßt' ich die Gräser
Und den krautkargen Steinsitz,
Die Wolken des Himmels
Und die Siedlung ließ ich
Dahinten verdämmern . . .

Den Menschen gesellt' ich mich wieder –
Den Menschen der Stunde,
Und irdisches Maaß,
Ziel und Bedingniß
Umschnürten mich wieder
Und lehrten mich wandeln
Auf Menschenpfaden . . .

Doch Menschenpfade
Bewuchert die Sünde,
Und die Sünde meistert
Die Creaturen . . .
Denn sie bedeutet
Folge und Satzung . . .

Und sie zu begreifen,
Und sie zu erfüllen
Ist menschlich zugleich
Und göttlich groß . . .

Denn nur das Leben
Gebieret die Sünde,
Aber die Sünde,
Die du begriffen,
Gebieret den Tod
Und seiner Krone
Stolzes Bewußtsein . . .

Nur der gesündigt
In Lebensnöten,
Errät des Todes
Tieferen Sinn
Und schlürft seines Lohnes
Köstliche Fülle . . .

Und die Fülle ist Kraft,
Und sie lebt in mir
Bis zum Ende der Tage . . .

Ich ward ein Mensch
Und entdeckte den Himmel!

 
IV.

               

Die Flut ist nun verbrandet,
Der Sturm ist nun verdröhnt –
Ich aber bin gelandet
Wo Liebe still versöhnt!
Wo Liebe leise atmet
Und mir den Kummer ebbt,
Den ich durch Staub und Schlachtendampf
Tagüber mitgeschleppt.

Es hat die Wunderaugen
Die Nacht erschlossen weit,
Und meine Blicke saugen
Sich in die Ewigkeit.
Mir ist, als hört' ich schlagen
In mir das Herz der Welt,
Als wär' ich, ird'scher Grenzen baar,
Dem Ew'gen zugesellt..

Wie dünkt mich Menschentrachten
So zwerghaft nun und klein!
Ein großes Weltverachten
Zieht in die Brust mir ein!
Am Schild des Schrankenlosen
Zerbröckelt, was bedingt!

Was mich im Tagesschwall bewegt,
Zerfällt nun und versinkt!

Die Flut ist nun verbrandet,
Der Sturm ist nun verdröhnt,
Ich aber bin gelandet,
Wo Liebe still versöhnt!
In goldner Flut entquillt sie
Dem Universums Kern,
Und ihren Schleier spannt sie aus
Durch mich von Stern zu Stern!

 
V.

       

Mein Herz ist voll Sonne,
Voll Sonne so ganz . . .

Kaum,
Daß einstige Schmerzen
Rückführender Traum
Leise mich streift . .
Es reift
Alles, was ich besitze,
Zu köstlicher Nahrung,
kommender Blitze
Satte Bewahrung . . .

Mein Herz ist voll Sonne,
Voll Sonne so ganz . . .
Um die Schläfen mir schlingen
Die glücklichen Götter
Den olympischen Kranz . . .

 
VII.
Purgatorio.

       

Zieh' ein, o Schmerz,
Und weihe dies Herz,
Das lange sich deiner gewehrt hat!
Und in flammendem Groll
Gegen des Lebens Zoll,
Gegen deine Macht sich empört hat!

Zieh' ein, o Schmerz,
Und läut're dies Herz –
Ich geb' es besiegt dir zu eigen!
Und erbarmungslos
Entlös' deinem Schooß
Der Qualen nachtlockigen Reizen!

Zieh' ein, o Schmerz,
Und heil'ge dies Herz –
Furch' deine Flammenspuren!
Was morsch ist, zerbrich,
Bis das Gemeine entwich,
Und die Flitter von dannen fuhren.

Zieh' ein o Schmerz,
Und pflanze ins Herz
Der Weltenrätsel Erkenntniß!
Was gesucht' ich so lang'
In glühendem Drang,
Entschlei're in ernstem Geständniß!

Zieh' ein, o Schmerz,
Entsünd'ge dies Herz –
Ich geb' es besiegt dir zu eigen! –
Bis in flammender Pracht
Aus Schlünden der Nacht
Der Erlösung Sonne mir steigen! . . .

 
VIII.

             

Es rauscht um mich leis und geheimnißschwer
Der Mitternacht phantastisch Tönemeer . . .

Wie Nebelschatten, wie ein Geisterreigen,
Entsteigt es flutend dem geschwätzigen Schweigen . . .

Die Wehr, die ich durch Markt und Gassen trug –
Nur eine Zahl im großen Kriegerzug,

Der lebenstrotzig ringt um karge Spenden
Mit derben Fäusten, hagern Bettlerlenden –

Gesichtern bleich, hohlwangig, schmerzzerwittert,
Von der Vergängniß Pestgestank umzittert,

Gepackt von der Verzweiflung Geierklauen,
Gepeitscht von dürrer Armut Geißeltauen –

Die ich in diesem Sturme trug, die Wehr:
Ach solch' ein Kerl! Ein Kampflegionär!

Auch solch' ein Held! Ein armer Proletar!
Düsteren Auges . . . mit wirr strupp'gem Haar,

Zerdachter Stirne, schwärenschwerem Leib,
Gehüllt in Fetzen, zunderdünn Gestäub –

Auch solch' ein Rüttler, Zweifler, Schrankenbrecher,
Ein Meuterer, Rebell und » auch« ein Rächer –

Und nochmals Einer, der, was sacrosanct
In tiefstem Marke dennoch fault und krankt –

Was reich verbürgt, bestätigt und verbrieft
Dennoch von grenzenlosem Unrecht trieft:

Zerbricht – von einem neuen Geist getauft,
Nicht zum Verrat mit rotem Gold erkauft –

Solch ein Gesell in hartem Tagesringen,
Im Kampf mit Wahnpropheten, Finsterlingen:

Leg' ich die Wehr von mir um Mitternacht,
Wenn es um mich wie Geisterruf erwacht . . .

Wenn es zu mir in die Mansarde tritt:
Das hohe Weib mit traumhaft leisem Schritt . . .

Schwer fließt sein Haar in goldnen Wellen nieder,
Auf seinen Lippen liegen ew'ge Lieder . . .

Von seiner Stirne flammen Gottgedanken –
Weltüberwindend, sprengend alle Schranken . ..

Und mit der hoch erhobnen Rechten weist
Es in die Zukunft – und es jauchzt mein Geist! . . .

Denn folgend diesem Zeugniß seiner Gnade
Enthüllt mein Auge neue Zukunftspfade,

Die ich gesucht tagüber, doch nicht fand,
Dieweil die Lippe sog nur dünnen Sand . . .

Von der Erkenntniß hellem Glanz umsäumt
Liegt's deutlich vor mir, was ich nur geträumt . . .

Die Nebelfetzen in die Tiefen sanken,
Zerweht von meines Geistes Lichtgedanken! . . .

Sei mir gesegnet, dreimal heilig Weib –
Gehört dem Tage auch mein Sclavenleib –

Mein Leib, von enger Waffenwehr umschnürt:
Ist's doch mein Geist, der deinen Odem spürt! . . .

Der dich begreift von Inbrunst hingerissen,
Dem einz'ge Leuchte du in seinen Finsternissen . . .

Kniet doch mein Geist vor deiner Majestät,
Wenn ihn dein Schöpferodem leis umweht! . . .

Was mich erniedrigt, an den Staub gebannt,
Du nimmst es von mir mit allgüt'ger Hand . . .

Und meine Schwingen, die der Marktlärm bog,
Du reckst sie sanft zu neuem Fluge hoch . . .

Und meinen Sinn, den in die Enge zwang
Des schrillen Tages heißer Ueberschwang:

Du weitest ihn, daß er das All versteht
Und nicht zerstückt im Kleinen untergeht! . . .

Daß er im Wandel, was da bleibt, begreift –
Aus der Verstäubniß zu der Freiheit reift! . . .

O Weib, hochheilig mir, gebenedeit,
Mittlerin zwischen Tag und Ewigkeit:

Du tönst die Botschaft aus der nächt'gen Stille –
Und Heiterkeit sprießt aus der Gnadenfülle! . . .

Ja, heiter ward ich! Heiter wie das Licht,
Das aus der Nacht verborgnen Quellen bricht! . . .

Es knüpfen sich zur Einheit die Gewalten,
Draus aber will die Freiheit sich gestalten! . . .

Und ruft der Tag mich wieder auf den Markt:
Wuchs nächtens ich, bin nächtens ich erstarkt!

 
IX.

       

Was mir die Brust so wundermächtig schwellt,
Was mich durchzuckt in ungestümem Fühlen:
Daß ist: daß ich zu neuen Heilsasylen –
Daß ich gelandet bin zu einer neuen Welt!

Was viele Monden, viele Jahre lang
Mir still genügt in engumschränkter Richtung –
Ich warf es von mir – eine neue Lichtung
Erschloß sich meines Herzens Feuerdrang! . . .

So atme auf denn, qualzerspaltne Brust –
Was unaussprechlich, wurde dir zu eigen! . . .
Nun hülle dich in tiefgeheimes Schweigen –
Der Welt Geheimniß wurde dir bewußt! . . .

Der Dinge Wesen und der Dinge Grund:
Erfahren hast du es mit seltner Fülle!
Vor meinem Auge fiel die letzte Hülle
Und von dem Zweifel ward mein Herz gesund . . .

Ein neues »Werde!« – es kam über mich,
Und gottgewaltig klang es mir zu Ohren:
Was ich besaß, das habe ich verloren –
Doch was ich bin, besitze ich!

 
X.

             

O köstliche Stille der Einsamkeit!
Es schweigen Nähe und Weite . . .
Doch in mir wogt es und braust es wie Sturm –
Klingt es wie Glockengeläute! . . .

Glückauf! Die große, die herrliche Zeit
Strömender Frühlingsgefühle:
Wieder bricht sie mit Macht herein –
Lädt mich zum Waffenspiele . . .

Den Zelter schnür' ich – ich schärfe mein Schwert:
Noch spür' ich Jugendgemutung!
Die Winterklage sei abgethan –
Die Sehnsucht nach stiller Verblutung!

Nicht sterben will ich im Dämmerasyl,
Umkreuzt von Nebelphantasmen –
Nicht sterben will ich verwelkt und zermürbt,
Umdünstet von Fiebermiasmen!

Wo aus feuchter Scholle des Frühlings Blut
Treibt lichtgrüne Ranken,
Will ich mich betten und atmen tief –
Atmen des Frühlings Gedanken! . . .

Will lauschen der Wiesenwasser Gesang –
Will wiedergeboren mich heben:
Im Auge Flammen, den Muskel gestrafft –
Will leben, leben, leben!

Weißt du, verschüchterte Creatur,
Was Leben heißt und bedeutet?
In den blühenden Frühling tritt hinaus,
Wo die Welt dem Auge sich weitet! . . .

Da wird dir so groß, so siegreich ums Herz –
Da fühlst du ein köstlich Erbeben –
Ein Hauch von der Größe der Schwärmerzeit –
Ein einziges Schwellen und Leben! . . .

Dann sprengst du die Bande! Dann reckst du dich weit.
Dann fühlst du es wogen und gähren!
Dann fühlst du, wie sich in wildem Drang
Eine neue Welt will gebären! . . .

Und jauchzend schreist du dein Dankgebet,
Alleins mit den Weltengewalten:
Fühlst du dich selig, fühlst du dich stark –
Spürst du die Kraft zum Gestalten! . . .

Zurück ihr Schemen der Alltagswelt!
Zerfließt vor dem Frühlingswunder! . . .
Was ich geschaut, ist Unsterblichkeit –
Ihr aber seid nichtiger Plunder! . . .

O wonnige Stille der Einsamkeit –
Es schweigen Nähe und Weite . . .
Doch in mir – in mir klingt es wie»Sieg!« –
Tönt es wie Ostergeläute! . . .

 
XI.

                   

Durch meine letzten Tage
Ein seltsam Leuchten ging –
Wie helle Botschaft großer Zeit –
Wie stummer Schicksalswink:
Daß, da die Stunden herbsten,
Das Licht auf Abschied sann,
Der Sieg in mir vollendet ward,
Um den ich rang so hart, so hart,
Als Frühlingsstürme krachten,
Als Sommernächte wachten –
Den ich trotz heißem Trachten,
Doch – nimmer- nimmermehr gewann! . . .

Durch meine Brust es säuselt
Wie tagende Dämmerung –
Und mich ergreift so seltsam süß
Schweifender Sehnsucht Schwung!
Bald wird es sich erfüllen –
Zur Freiheit reift es um!
Die letzte Bürde werf' ich hin –
Nur Eines dünkt mich noch Gewinn –
Die Zweifel unterliegen –
Mag's brechen oder biegen –
Nur Ein's will ich ersiegen:
Der Zukunft Evangelium!

 
XII.
Osterpsalm.

                 

Nun feiert vom Werke! des Alltags Gelüst,
Nun bannt es aus Sinnen und Herzen!
Und von der Sonne der Liebe geküßt
Laßt flammen der Freuden Kerzen!
Wir haben gerungen mit schwieliger Hand,
Im Werkeltagsstaube geschmachtet.
Nun laßt uns vergessen den leeren Tand,
Nun laßt uns zünden den Opferbrand,
Und der Liebe, die lang wir verachtet,
Die an's Kreuz wir geschlagen in frevelndem Wahn,
Gekrönt mit Dornengewinden:
Wir geben uns heute ihr unterthan.
Auf daß Erlösung wir finden!
Und der Liebe, die lang' wir verspottet, verhöhnt:
    Geeint und versöhnt
Erschließen wir heute die Herzen!
Und wie im jungfröhlichen Märzen
Der Lenz mit allmächtigem Werdeton
Durch die Lande ruft, der Sonnensohn,
Und die Welt im Auferstehungsgesang,
Ihm zujauchzt, daß nun die Kette zersprang,
Die der Winter ihr wand um die Glieder:
    Also auch wieder
Werfen wir heute weit auf, weit auf
Der Seele Pforten: zu Hauf nun, zu Hauf
Sammelt euch, Lichtgedanken!
Jungblühender Liebe Osterpracht,
In Flammen und Gluten zum Leben erwacht
Nach bleischwer lastender Winternacht,
Heile die Müden und Kranken!
Und wenn wir gebangt, gezagt und geklagt,
    Die Seele zerrissen von Schmerzen –
Wir wissen es alle: Es tagt, es tagt,
    Und in lichtgrünem Gekränz'
Wandelt der Lenz
Wandelt der heilige Osterlenz
Heut' durch die Lande und Herzen!

 
XIII.

       

Ich beuge mich über dich
Und küsse dich
Leise – – –
In seine Kreise
Zog dich der Traum –
Du atmest kaum – – –

Und was mich zu dir trieb –
Was mich wie einen Dieb
Zu deinem Lager schleichen ließ:
Mein Begehren erstirbt,
Hier, wo um mich wirbt
Der Keuschheit Paradies . . .

Als hätte dein Genius mich,
Dein Genius, der um dich wacht,
Mit leisem Fittig gestreift:
So bebt mir das Herz . . .

Nur wer das Heil'ge begreift
In still verschwiegener Nacht,
Der hat vollbracht
Und von ihm wich
Jedwede Sünde,
Jedweder Schmerz . . .

 
XIV.
Gebet auf dem Gipfel.

               

Höhen gabst du mir, Vater, Höhen –
Mittagshöhen des Lebens!
Da ich größer war, denn du,
Und göttlicher!

Denn ich begriff dich, Allesempfindender!

Denn ich begriff dich,
Und deiner Gedanken
Weite Wunder!

Ich strömte in dir aus
Meiner Gefühle Katarakte.

Vater! Da stand ich auf Höhen
Und empfand Alles!
Und verstand Alles!

Des Gebärers qualvolle Wollust
Und deines Seelenbrunnens
Ewige Unergründlichkeit!

Höhen gabst du mir, Vater,
Stolze Höhen erklomm ich!
Uebermenschliche.

Vater! Ich zittere nicht –
Ich bange nicht,
Denn ich ward wie du!

Vater! Gieb mir Tiefen!
Tiefen, Vater, Tiefen!
Laß mich des Staubes Eingeweide durchwühlen –
Drücke Mund und Stirne
Tief ein in den dürren, tauben Sand
Und zermalme meine Größe!

Denn Vater, deine Nähe –
Deine reine Nähe,
Schmölze die Seele mir in der Brust –
Schmölze sie –
Und ich zerfiele.

Nur der aus der Tiefe
Zu dir emporklimmt,
Mächtig erbebend,
Wird wie du –
Wird du!

Denn nur ein neues Hinab
Gebiert ein neues Hinauf –
Und nur im Wechsel
Vollendet sich die Erkenntniß!

Denn bin ich nicht du –
Und bist du nicht ich?
Ruhlose Ruh
Bis zum letzten großen Gedankenstrich . . .

 
XV.
Triumph des Uebermenschen.

       

Schaust du die Sterne, vergißt du der Wesen,
Die zu Füßen unzählig dir wimmeln:
Unter ewigen, ehernen Himmeln
Wirst du vom Reiche der Schatten genesen!

              Schicksalgekrümmter
              Staubbestimmter!

Raffe mit kühnen Freierhänden
Ihre Rätsel in deine Brust –
Und du wirst in stolzer Lust
Deines Wanderns Fragmente vollenden!

Sterblicher! Sprich mit der Ewigkeit!
Sterne geben dir ihr Geleit –
Brennen auf deinen Scheitel nieder –
Gießen Ströme des Segens aus:
Daseinsfreude hebt die Lider –
Türmet die Quadern des neuen Bau's!

Siehe! Unter dem Baldachine
Ewiger Unermeßlichkeit
Heitert sich des Dulders Miene!
Golgatha's blutrotes Schmerzenskleid
Färbt sich zu weißem, bläulichem Glanze –
Himmelsprache: köstlich Kristall,
Drin sich erklären die Stäubchen im Tanze –
Draus sich enthüllt das erlösende All!

Sterblicher! Hüte den Schatz, den einen,
Drin sich Leben und Tod vermählt –
Drin sich Sünde und Gnade vereinen –
Und deine Schmerzen sind gezählt!

Sterblicher! Deine Schmerzen verfliegen –
Deine Thränen saugt der Sand:
Ueber die Kleinheit wirst du siegen,
Da dich die Größe übermannt!

Glaubst du den Sternen, vergißt du der Schatten,
Die dir zu Füßen in Knäueln sich winden:
Die sich der Kraft nie verloren hatten,
Werden in der Kraft sich nie wiederfinden!

 
XVI.
Wiedergeburt.

       

Fall' ab von mir, du gottverfluchte Sünde!
Fall' ab von mir, wie mürber Blätter Spreu!
Auf daß die Welt ich endlich überwinde –
Auf daß ich endlich – endlich Frieden finde!
Erhebe dich, du trotzig starker Leu
Der Weltentsagung – recke dich empor,
Zerbrich die Schranke, die dich hält, in Splitter!
Ihr Osterwinde rauscht, ein Feierchor!
Aufsprang mir der Erkenntniß Sonnenthor:
Entsagt hab' ich jedwedem Tand und Flitter!

 
XVII.
Vollbracht.

       

Durch webenden Nebel ging ich zur Nacht.
Da kam mir, Christus, dein Wort in den Sinn –
Dein Wort am Kreuze: Es ist vollbracht! –
Und seine Tiefe nahm mich hin . . .

Ich riß dich zu mir! – Scharf klang mein Schritt –
Ich riß dich zu mir –ein gläubiges Kind! –
Und was ich in Lebensängsten litt:
Hinstarb es wie flüsternder Abendwind . . .

Bunt kreuzte der Nebel phantastischer Kreis.
Ich ging durch die stille, die atmende Nacht –
Da kam es von meinen Lippen leis:
                  Es ist vollbracht!


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