Hermann Conradi
Lieder eines Sünders
Hermann Conradi

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Meine lieben Freunde und Herzgenossen!

                        »Er sucht in Freundesherzen seine Wohnung,
Beharrlich, trotz der Seltenheit des Fundes.«

Dranmor.

Hier habt Ihr mein Buch! Euch gehöre es, weil es zugleich ein gutes und markiges, saftgeschwollenes Stück Eures intimsten Seelenlebens darstellt. Kann ich irgend Einen finden, der diesen harten Herzensfehden näher stünde als Ihr? Der dieser vieltönigen, im buntesten Melodienkranze vorgetragenen Beichte ein seelenvolleres Verständniß, eine feinere, durchgeistigtere Aufnahmefähigkeit entgegenbringen könnte als Ihr? Mit so vielen dieser Lieder und Gesänge ist die große Jugendfreundschaft, die uns ein heiteres und wohlwollendes Schicksal reizvoll und keimkräftig, bildend und blicköffnend, zusammen aufführen und ausbauen ließ, so eng, so untrennbar verwoben und verwachsen! Manche dieser Weisen kennt Ihr wohl auch schon, und Ihr habt in ihr Ausdruck und Wiedergabe gefunden von Seelenspannungen, die uns bis in das Allerheiligste unserer – wir haben es nachgerade erfahren! – anders gearteten Brust aufgewühlt und ergriffen hatten! . . . Vieles ist Euch noch neu – ich denke, Ihr werdet Euch auch mit ihm abfinden können, wenigstens bis an die Schwelle heran, die nun einmal auch die treuesten, rückhaltslosesten Herzgenossenschaften zu nur bedingten macht . . . Wie viele der köstlichsten Erkenntnisse durften wir gemeinsam aus dem überreich sprudelnden Jugendborne unserer Freundschaft schöpfen! Wie oft haben wir dem Tiefsten und dem Höchsten, so es unter der Sonne und dem Monde und den Sternen giebt, nachgesonnen, mit beherztem Geistesfinger mutig nachgespürt! . . . Und mancher Schacht erschloß sich uns, der von edelsten Erzen funkelte, und mancher Hinaufstieg zu freien Sonnengipfeln war uns vergönnt . . . daheim, in engem Großstadtgehäuse, und draußen in weiteren Bergbezirken! . . . Und Führer und Leitsterne erkoren wir uns, leuchtend und befruchtend, und Arm in Arm mit noch wenigen Herzkameraden durften wir oh! so reiche und ausgebreitete Stätten menschlichen Geisteswirkens nach kostbarem Gewinn durchforschen . . .

Ja! Es war eine große und bedeutende Zeit – und die Schatten fliehen zurück und in heiterheller Abendbeleuchtung liegt das verlassene Land unserer Jugend da, meine Freunde, – in satten Farben und scharfen Conturen, das Land, das uns durch eine Ueberfülle streitender und ringender Kräfte zu Männern gereift – liegt es da vor dem halbverthränten Blick des heimwärtsschauenden Jüngling-Mannes . . .

So mancher, der mit uns ein Stück gegangen und sich eine kleine oder größere Weile an demselben Gewebe gemüht, hat einen anderen Weg eingeschlagen – immer enger ward unser Kreis und auch wir – auch wir, meine Freunde, die wir dereinst so nahe bei einander saßen und – Ihr wißt es! – emsig und inbrünstig an dem Gespinnst unseres Lebens, das uns schließlich heute noch so schnurrig dünkt wie damals, spannen – auch wir sind wohl ein Stück auseinandergerückt und ein Jeder hat sich ein eigen Ziel erlesen . . . Und doch – Ihr wißt es wie ich! noch fluten die Ströme der Sympathie in satter Fülle herüber und hinüber – und ich glaube, wir haben eine Bürgschaft dafür, daß wir uns einander nie ganz verlieren werden . . . Wohl wandelte sich auch unser Freundschaftswissen zum Freundschaftsglauben mit den Tagen, die das Leben münzte und münzte und mit gleicher Kaltblütigkeit und gleicher Teilnahmlosigkeit hinwarf, sowohl dem freudigen wie dem bekümmerten Sinn – aber sagt. müßten wir mit dem Vergessen und Aufgeben unserer Freundschaft nicht auch zugleich die großen, fruchtbaren Lebensrechte verneinen, welche die Jugend in ihrem stolzen Drange und ihrem kraftstrotzenden Keimtrieb je und je besessen und in Ewigkeit besitzen wird? . . .

Nein! Nein! Sind wir auch noch so verschieden von einander – und wir sind es! – wir haben doch an denselben Brüsten getrunken, unsere Augen haben sich an denselben Zierraten geweidet, unsere Herzen haben sich an denselben Labsalen erquickt und gestärkt, wir trugen gleiche Wunden und Geschwüre – ich denke, es wird einmal mehr sein als die bloße leidige » Gewohnheit«, das uns zusammenhält und weiterführt . . .

Erlaubt mir, liebe Freunde, hier sogleich noch verschiedenes Andere anzufügen, in der Andeutung wenigstens, das mit dem, was ich gerade Euch kurz und knapp sagen wollte, wenn auch nicht ganz direkt, so doch indirekt zusammenhängt.

Zunächst: Warum »Lieder eines Sünders«?

Diese Bezeichnung nimmt sich beinahe aus, als ob sie die Teilnahme eines stetig nach Pikanterieen lüsternen Publikums herausfordern sollte . . . Nichts liegt mir ferner als die Sucht, einen litterarischen Skandal zu provociren . . . Man hat meinen »Brutalitäten« dieselbe Absicht untergeschoben . . . Soll ich das Frechheit oder Dummheit, polizeiwidrigen Blödsinn nennen? Man muß schlechterdings in dieser Welt der Gemeinheit, der allgemeinen Verlogenheit und Charakterverwahrlosung, des brennenden Kampfes ums Dasein, um den Vorrang – man muß da eben auf Alles gefaßt sein . . . Ich habe meine »Brutalitäten«, über die ich, beiläufig bemerkt, Gott sei Dank! gänzlich hinaus bin, deren Schwächen und Fehler ich vielleicht deutlicher als irgend ein Anderer einsehe und bedauere, und die ich beinahe lieber nicht geschrieben haben möchte – natürlich nur aus einem Gefühle heraus, das sich bei einem echten, aufrichtigen, redlich strebenden Künstler von selbst versteht! – also dieses verkannte und gemißhandelte Büchlein, dessen Kraft und Gefühlsdrang ich aber nach wie vor aufrecht erhalte, habe ich eben mit dem getadelten Titel gezeichnet, weil sein Inhalt wirklich grell und brutal ist . . . Oder hätte ich etwa »Honigbonbons« oder »Syrupspillen« darauf schreiben sollen? . . . Es hat manchmal wahrhaftig den Anschein, als ob man in unserem lieben engeren Germanien die derbe Wahrheit in die Düngergrube versenken müßte . . . Ich bin nun einmal eine Natur, die auf das geharnischte Zusammenspiel der Contraste hin gestimmt ist. In meinen Gedichten tritt dieser Zug oft genug deutlich zu Tage. Die Gegensätze der Zeit in ihrer ganzen tragischen Wucht und Fülle, in ihren herbsten Aeußerungsmitteln zu empfinden: dafür bin ich nun einmal besonders disponirt . . . »Wer kann wider seine Natur?«

Doch zum Capitel des Namens dieses Buches: Er drängte sich mir meiner Entwicklung, meinem ganzen Fühlen und Denken, Dichten und Trachten nach in Kunst und Leben geradezu auf! »Sünde« . . . geistige Unfreiheit: ist's nicht Eines? An eine Willensfreiheit glauben wir nicht . . . Wir besitzen nur eine gewisse Wahl-Freiheit . . . Allzusehr stehen wir im natürlichen Banne der Vergangenheit, unter dem Zwange der uns vererbten Eigenschaften – der Eindrücke und Einflüsse, in denen sich die einzelnen Stadien unserer Entwicklung darstellen . . . Nach den Wünschen und Erkenntnissen der abstrahirenden Vernunft können wir uns so selten willenhaft entscheiden! . . . Und darum kann »Freiheit« nur bedeuten: innerhalb der gegebenen Grenzen das Notwendige erkennen! . . . Auf das Sichselbstkennen kommt man immer wieder zurück. Jedes einzelne Gedicht aber, sofern es wahr, nicht gemacht ist, illustrirt eine gewisse Art des geistigen Seins, erschließt mehr oder minder klar bestimmte individuelle Wesensmomente . . . Durch alle Höhen und Tiefen, Verirrungen und Fährnisse, Errungenschaften und Niederlagen führt der Weg . . . bis Einer schließlich, wenn auch nur bedingt, den Charakter innerhalb seiner Menschlichkeit erkannt hat . . . Und hier hebt das kleine Stück vergeistigter Freiheit an, das unser kärgliches, mühsam errungenes Besitzteil! . . . Und wie wird heute eine junge, biegsame Menschenseele durch eine blöde, vernunftslose Erziehung, durch einen leidigen, auf ein Dressirmaß zugeschnittenen Schuldespotismus beleidigt, verrenkt und schimpfirt! Wie wird sie gleichsam vor sich selbst in eine Einöde, eine Wildniß gestoßen, aus der sie sich zumeist nur mit den allergrößten Mühen und Kämpfen zurückringen und in eine gesündere Sphäre zurückgewinnen kann! Wie die Verhältnisse liegen, sind am letzten Ende alle diese Conflikte nicht überflüssig, sobald man sie eben – überwunden hat. Sie härten und stählen und machen mannreif . . . Aber ein Grauen packt Einen manchmal, wenn man bedenkt: wie einfach und klar und leicht doch eigentlich Alles sein könnte! . . . Es ist schwer, bitter schwer heutzutage ein wenig mehr zu sein, als ein bloßer »Figurant«, wie Gervinus sagt – eben nur ein – Mensch . . . Ein jeder ernstere Geist kann sich Dank dieser verlotterten und verzerrten, halb mittelalterlich, halb modern costumirten Anschauungen sein bischen Menschenthum nur va banque erkaufen.

Entweder – oder! . . . Der mehr will als Gold und Brot, ist jeden Augenblick in Gefahr, in Abgründe zu stürzen . . . Und doch hat ein Jeder Recht – ein Jeder auf dieses Mehrwollen . . . »Glück« und »Zufriedenheit« in engem, herkömmlichem Sinne giebt es für uns nicht . . . Die Erkenntniß der Werde-Faktoren stählt zwar, aber sie schmerzt auch – o so sehr! . . . Und wer wollte dafür bürgen, daß er sich nicht von Neuem blenden – erniedrigen ließe? Nach Katastrophen, die man überdauert, erreicht man Höhepunkte, Sonnengipfel, Araratsspitzen . . . Aber das Leben ist eine einzige Versuchung . . . Und nur zu leicht wird man seiner Natur untreu. Goethe hatte die gewaltige Erneuerungszeit in Italien, wo er seine Wiedergeburt erlebte, hinter sich, als er seinen »Bürger - General« &c. schrieb – kleine, kleinliche Machwerke, die aus neuen Irrtümern, neuen Kümmernissen und Verkümmerungen hervorgegangen . . . Und wenn Einer das Ideal, »harmonisch« zu leben, begriffen und annähernd erreicht hat, so war es Goethe . . . . Aber Bruchstücke – nur Bruchstücke umsäumen unseren Lebenspfad . . . Wem das Leben ein Mosaikbild zusammenfügt, das notdürftig Sinn giebt, darf sich glücklich schätzen . . . Also:

»Lieder eines Sünders« bedeuten Lieder eines Kämpfers, der sich nicht ganz von der grenzenlosen Gemeinheit des Lebens knechten lassen wollte . . .

Ich hätte im Anschluß an diese Worte noch Mancherlei zu sagen. Es wurmt mich noch so Vieles – aber erlaßt mir das heute . . . Die Herren Kritiker werden wieder einmal über mich herfallen – sie werden mich zu Tode schweigen oder zu Tode zupfen und rupfen. Das kann mir gleichgültig sein. Wer diesen Kampf um die innere Freiheit, von dem mein Buch Zeugniß ablegt, nicht an sich erfahren, wer nie von der Begeisterung für die höchsten menschlich-ethischen Ideale erfüllt gewesen, der wird in meinen Strophen nur Pathos, Klingklang, manierirte Gedankenbildnerei und Aehnliches finden. Ich weiß im Voraus, daß ich innerlich das, mit dem ich heute auf den Plan trete, bald überwunden haben werde. Ich hoffe es sogar. Aber ich halte es gerade für ein im besten Sinne des Wortes modernes Künstler-Charakteristikum: daß man voll Inbrunst und Hingebung versucht, die verschiedenen Stufen und Grade des Sichabfindens mit dem ungeheueren Wirrwarr der Zeit schöpferisch zum Ausdruck zu bringen, einseitig trotz aller Vielseitigkeit – vielseitig trotz aller Einseitigkeit . . . Wohl wird die Natur mit ihren unermeßlichen Zauber und Trost und Gesundungskräften je und je ein Motiv für den Poeten bleiben. Wohl wird ihn die Liebe immer begeistern – – aber auf uns Alle, die wir früh auf den Markt geworfen sind, hat der Alltag mit seiner ganzen grausamen Kleinlichkeit abonnirt – und ist es nicht gerade das Kleine und Kleinliche, das Gemeine, Gemeinsame und darum Alltägliche, das uns überkrustet, einschichtet, verdorren und verstummen läßt? . . . Gewiß ist das ein dem Wesen der Dinge immanentes Moment – aber immanent ist uns auch die Sehnsucht nach der Freiheitnatürlich ist dem Menschen auch sein ideologischer Drang: es kommt nur auf die Intensität der Kräfte an, mit der er sich äußern darf . . . Wer sich darum gegen mich wendet, spricht aus einer anderen Sphäre zu mir – aus einer Welt, welche nicht die meine ist – und ich habe immerhin das Recht, ihn ignoriren zu dürfen. Denn ich kann mir nicht denken, daß ein Mensch – ich spreche dieses Eigenlob, das darum nicht »stinkt«, weil es in dieser Verbindung zugleich einen Vorwurf gegen mich enthält, scheulos aus – leidenschaftlicher mit dem Höchsten und Tiefsten gerungen hat denn ich . . . Und damit Gott befohlen! Bei Philippi sehen wir uns wieder! . . .

Hermann Conradi.


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