Hermann Conradi
Lieder eines Sünders
Hermann Conradi

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Nachtwache.

Ich weiß, manch' eines Traum hat nicht so bösen Schwung,
Ist farblos wie er selbst, wie ewige Dämmerung.

Hopfen.


             

Aus schweren Träumen hob' ich mich. –– Noch lag gebreitet schweigend, groß,
Das schwarze Bahrgewand der Nacht, ein rätselschwang'rer Riesenschooß –
Noch kündete mit falbem Schein sich nicht der junge Morgen an –
Ich aber schrie zu Gott empor: Erlöse mich von diesem Bann!

Erlöse mich von diesem Fluch, der auf mir liegt wie Panzererz –
Hinsiecht mein Leib, mein Geist verstumpft, verdorrt ist mein lebend'ges Herz –
Mein Herz, das sonst mit reicher Kraft die Welt in Weh und Lust verstand:
Verblödet liegt's und sucht und sucht und findet nimmer heil'ges Land . . .

Und findet nirgends eine Statt, da es von Neuem wurzeln mag –
Die Nacht ist schwarz ihm, sternenleer und sonnenlos der lange Tag –
Und Alles, dem es sonst geglaubt, dem es in Glut entgegenschlug,
Verlor die Farbe, ließ den Wert und wandelt' sich in Dunst und Trug . . .

Sank auf die Lider mitleidsvoll der Schlaf geheimen Flugs herab –
Vergaß es, daß die Welt doch nur ein blütenüberwuchert Grab –
Vergaß es, daß ein jeder Schlag, den es nach ehernem Gebot
Hinzucken muß, ein Opferstück der Creatur dem Herrscher Tod:

Dann tritt, als hätte ihn gesandt der Furien beutedurst'ger Schwarm,
Zu meinem Lager hin ein Geist und rüttelt mich mit Geisterarm,
Und stößt mich aus dem Paradies, da ich vergessen, was ich litt,
Und flößt in meine Träume Blut und zerrt des Wahnsinns Schatten mit! . . .

O Herr! O Herr! Als trüge ich die Sündenlast der ganzen Welt
So schwer liegt's auf mir – und ich bin doch nur ein fadenschein'ger Held!
Wie einst vor deines Mundes Hauch zerbrochen Babels Riesendom,
So sprach mein Herz, das einst so stolz, zermalmt von dieser Lüste Strom!

Von dieser Lüste Flutenschwall, der siedend alle Welt durchkreist,
Und jedes Herz dir abgewandt und sich geknechtet jeden Geist –
So brach es, das verblendet, jäh der wahren Freiheit ganz vergaß
Und sich, ein gieriges Gewürm, in's üpp'ge Fleisch der Sünde fraß! . . .

So brach es, als es aufgeschreckt entsetzt erkannt, was es gethan –
Zertrümmert liegt nun all sein Glück, verschüttet seines Heiles Bahn . . .
Wohl zuckt es noch in irrem Schlag, doch längst entfloh die alte Kraft –
Doch längst entwich der alte Mut und die Prophetenleidenschaft!

Zerbrochen liegt mein Saitenspiel – nur manchmal schrillt zerspalten, hart,
Ein Ton noch nach und schreit mir zu die nachtumflorte Gegenwart –
Geweckt von eines Dämons Hand, dem ich verfallen rettungslos –
O Herr! O Herr! Erlöse mich! Die Qual ist übermenschlich groß! . . .

Zu einem Riesenleibe hat die Menschheit sich verdichtet rings –
Und dieser Leib ist schwärensiech – aus seinen Augen grinst die Sphinx –
Wie Pestgestank durchstäubt's die Luft, der über die Gefilde streift,
Und Alles stirbt und Alles dorrt, was seiner Arme Klammer greift!

In meine Träume strömt es wild – verzerrt zur Fratze mein Gesicht –
Jach schreck' ich auf, als riefe mich Posaunenschrei zum Weltgericht –
Mir ist's, als wüchse geisterbleich aus Nebeln eine weiße Hand –
Schrieb Mene Tekel Espharsin an meiner Klause weiße Wand! . . .

Ja! Mene Tekel Espharsin! Dumpf dröhnt der Erde mürb Gebein –
Blutrot durchzittert es die Luft, fährt blendend hin wie Wetterschein –
Wie Trommelwirbel gellt es schrill, wie unterirdisches Gegroll –
O Herr! O Herr! Erbarme dich! Nimm meiner reinen Buße Zoll! . . .

Nimm von mir dieses Angstgesicht – o führ' herauf das goldne Licht! . . .
Dann flattert's hin im Morgenwind, der zu den Creaturen spricht
In seines Säuselns Gnadenton: »der Herr die Finsterniß zerschlug!
Noch einmal flammt die Sonne auf – noch einmal tötet er den Fluch! . . .«

Noch einmal, Herr, erbarme dich – auch mich schließ' deine Gnade ein! . . .
Dann weitet meine Seele sich – will sich verjüngter Kraft dir weih'n –
Und ob die Brandung mich umdröhnt, mit Sündenfingern mich belegt:
Du segnest mich von Neuem, Herr, daß jedes Herz mein Lied bewegt! . . .

Dann will ich auf die Märkte geh'n – will künden, Herr, dein Gnadenwort –
Will alle Herzen pflügen um, die gierzermodert, lustverdorrt –
Du rüstest deinen Boten auf, daß er im Sturm sie an sich reißt,
Sie aus der Enge auf zu dir, zum freiheitsgroßen Zion, weist! . . .

Da blutet's auf am Horizont! . . . O Herr! O Herr! Gepriesen sei! . . .
Du willst die Gnade, du vernahmst der Seele bängsten Hülfeschrei! . . .
Es singt der junge Morgenwind – in goldnen Bächen strömt das Licht –
Und seine Wogen spülen hin mein nachtgebornes Zorngesicht! . . .

Ich atme auf! Der Tag! Der Tag! Der ist so lang, so überlang!
Nun gürte dich, mein gläubig Herz, nun fülle dich mit neuem Drang! . . .
Erblüh' zu Wundern ungeahnt und sprühe Liebesflammen auf:
In diesem Zeichen trinmphirst du über Sünde, Nacht und Graus! . . .


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