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Achtundzwanzigstes Kapitel

Ein fataler Zufall hatte gewollt, daß Oakland Annies Lichtsignale noch von anderen Augen beobachtet wurden. Terry Cahoon, der als Vertrauensmann von Peter Blodgett Chauffeurdienste getan, hatte die Lichtzeichen bemerkt.

Terry war in der Garage einquartiert und saß mit seiner Pfeife vor der Tür, um ein bißchen frische Luft zu schnappen. Er dachte an Blodgetts Weisungen, der ihm in Gedanken an etwaige Komplicen Sandersons gesagt: »Spitz die Ohren, Terry – jeder von euch soll hundert Dollar extra kriegen, wenn wir den Vogel diesmal fangen.«

Die Pfeife war zu Ende. Gerade als er eine zweite in Brand setzen wollte, sah er auf dem dritten Stock das dreimal wiederholte Lichtsignal aufflammen und kurz darauf das Antwortzeichen. Terry Cahoon war ein heller Junge und sofort über die Bedeutung im klaren.

In der Dunkelheit konnte er das kleine Bündel, das am Haus heruntergeworfen wurde, nicht sehen – wohl aber einen Schatten, der sich vorsichtig über den Rasen in der Richtung aufs Haus heranschlich.

Terry Cahoon war im Vorteil. Er befand sich dem Haus viel näher als der andere. Plumps – er hörte etwas leise zu Boden fallen. Es war das Kleiderbündel, dem die darin verpackten Schuhe Gewicht gaben. Flach auf dem Boden kroch er heran, einen Revolver in der Hand.

Rotkopf ahnte nichts von der drohenden Gefahr und pirschte sich vorsichtig, von Gebüsch zu Gebüsch springend, bis unter das Fenster, aus dem Annie das Paket heruntergeworfen hatte.

Das Bündel war etwas zur Seite gerollt. Er fand es nicht sofort und nahm die elektrische Taschenlampe zu Hilfe, mit deren Licht er den Boden absuchte. Als Rotkopf sich nach dem Bündel bückte, nahm Terry seine Chance wahr und sprang von hinten auf ihn los. Blitzschnell gelang es Rotkopf, sich aufzurichten. Die beiden standen sich dicht gegenüber.

»Hände hoch«, befahl Terry. Der andere dachte nicht daran und umklammerte mit beiden Händen den bewaffneten Arm, der ihn bedrohte. Terry drückte ab. Der Schuß versagte, und es war unmöglich, in der eisernen Umklammerung eine neue Kugel in den Lauf zu bringen. Rotkopf, der in dieser Lage keine Möglichkeit fand, die eigene Waffe zu ziehen, sah seine einzige Chance in der Entwaffnung des Angreifers, dessen Handgelenk er nicht losließ. Da gelang es ihm, Terry zu Fall zu bringen. Blitzschnell stürzte er sich auf ihn und stieß ihm das Knie in die Magengrube. Terry Cahoon, vergeblich nach Luft schnappend, begriff, daß er verloren war. Er konnte nur noch nach Hilfe schreien, um im Haus gehört zu werden.

Aber im gleichen Augenblick, in dem er losschreien wollte, hatte ihm Rotkopf die Waffe entwunden und sie an der Mündung gepackt. Mit aller Kraft hieb er mit dem schweren Griff auf Terrys Schädel – einmal, zweimal, dreimal. Nur ein Gurgeln kam über Cahoons Lippen – wie leblos sank er mit blutüberströmtem Gesicht in eine schwere Ohnmacht.

Schwankend richtete sich Rotkopf auf und schnappte nach Luft. Alles an ihm zitterte im Gedanken an die Gefahr, der er so knapp entronnen war. Einen Augenblick wartete er ab, ob sich der Mann am Boden auch nicht mehr rührte; der sollte sobald keinen Alarm zur Verfolgung geben können. Dann tastete er noch mit benommenem Kopf nach dem Bündel, preßte es unter den Arm und rannte quer über den Rasen nach der Straße zu.

Peter Blodgett hatte Al Simons heruntergeschickt, um die leblose Masse, die unten vor dem Fenster lag, zu untersuchen. Ein Blick auf das blutgerötete Gesicht, und er hatte Terry erkannt.

Er rief's Blodgett zu, der sich von oben aus Sandersons Zimmer hinausbeugte, das er nicht zu verlassen wagte. – »Sieht bös aus, Chef – nein, nicht tot. Grade bewegt er sich ein bißchen.«

Blodgett glaubte jetzt zu wissen, warum die Durchsuchung vergeblich geblieben war. Sanderson hatte mit einem Komplicen gearbeitet und diesem den Brillanten aus dem Fenster zugeworfen. Und Terry Cahoon hatte den Komplicen überrascht.

Terry stöhnte wieder und bewegte sich schwach unter Simons' Händen, der versuchte, seine Verwundungen festzustellen.

»Kommt schon wieder zum Bewußtsein«, rief Simons hinauf. »Wird bald seine fünf Sinne wieder beisammen haben.« Er brachte Cahoon in sitzende Stellung. Terry murmelte unzusammenhängendes Zeug.

»Wird schon bald wieder werden, alter Junge«, tröstete Simons.

»Rasch wieder werden –« ächzte der andere. »Hab' ein schönes Loch im Kopf – mein Revolver hat versagt – ah, verflucht –«

»Bring ihn 'rauf, Al!« befahl Blodgett von oben. Der Detektiv wandte sich Sanderson zu, der seine Gedanken erriet.

»Hübsch schlau, Sanderson, so zu tun, als ob Sie keine Angst vor der Durchsuchung hätten. Sie glaubten wohl schon, mich anschmieren zu können? Also Sie haben den Bulburry Ihrem Komplicen durchs Fenster zugeworfen – demselben, mit dem Sie in Long Island gearbeitet.«

Sanderson fühlte sich nicht recht wohl bei der Entwicklung der Dinge. »Seien Sie Ihrer Sache nicht allzu sicher, Blodgett.«

Es war nur natürlich, daß Oliver Harrington Sanderson jetzt wieder mit Bestimmtheit für den Dieb hielt. Der Kampf unter Sandersons Fenster bewies es.

»Sicher ist sicher«, meinte Blodgett und legte Sanderson Handschellen an. »Der Boden wird hier heiß für Sie – wollen sorgen, daß Sie sich nicht davonmachen können.«

Die Unruhe begann sich im Haus spürbar zu machen. Als Al Simons den noch schwankenden Terry Cahoon die Treppen hinaufführte, begegneten sie in der Halle Mrs. Hastings, die beim Anblick des blutüberströmten Gesichts in gellendes Geschrei ausbrach. Um die Vorplatzecke beobachtete Oakland Annie, was vor sich ging und wie weit ihre eigene Sicherheit bedroht schien. Unauffällig blieb sie draußen stehen.

Terry Cahoon, noch schwach und wankend, wurde zu einem Stuhl geführt; er sollte erst einmal wieder klaren Kopf bekommen.

Blodgett fragte ihn aus. »Was war los, Terry? Wer hat Sie niedergeschlagen?«

»Konnte den Kerl nicht deutlich erkennen. Mein Revolver versagte – der Kerl entriß ihn mir – wollte ihn nicht niederschießen – und dann hieb er auf mich mit dem Griff ein – verflucht noch mal, mein Schädel!«

»Nehmen Sie Ihren Verstand zusammen, Terry, berichten Sie mal genau, was sich abgespielt hat, von Anfang an.«

Terry Cahoon berichtete dem Chef haarklein, wie sich alles entwickelt hatte. Blodgett sah in der Meldung die Bestätigung seiner Theorie.

»Der Bulburry ist fort!« stöhnte Oliver Harrington. »Der Kerl, der diesen Mann da niedergeschlagen, ist mit dem Brillanten davon und hat schon Meilen Vorsprung.«

»Keine Sorge, Harrington«, beruhigte ihn der Detektiv. »Wir haben den Dieb. Und Sandersons Komplicen mit dem Schmuck wollen wir auch bald kriegen.«

»Gott sei Dank ist er wenigstens versichert. Wenn ich warten wollte, bis Sie ihn mir wieder herbeischaffen –« Harrington brach mit einer entmutigten Geste ab.

Sanderson mußte sich eingestehen, daß die Situation für ihn verflucht heikel war. Trotzdem gab er die Hoffnung nicht auf. Es hing jetzt viel für ihn vom guten Gedächtnis Terry Cahoons ab.

»Fragen Sie Ihren Mann doch mal«, schlug er Peter Blodgett vor, »ob er sich genau erinnert, aus welchem Fenster die Lichtsignale kamen.«

Blodgett war seines Mannes sicher. »Ich wette meinen Kopf, daß er's weiß – es war dies Fenster hier, Terry, nicht wahr?«

Cahoon, der sich inzwischen wieder leidlich erholt, dachte angestrengt nach. »Sind wir hier auf dem zweiten Stock? Dann kann es hier nicht gewesen sein. Das Lichtsignal kam vom dritten Stock, und zwar aus dem mittleren der drei Fenster.«

»Ausgeschlossen«, fuhr ihn Peter Blodgett an. »Da oben sind ja die Dienerschaftsräume!«

»Ich bin ganz sicher, Chef.« Cahoon blieb fest.

»Unmöglich«, rief der Detektiv. »Der Mann ist ja ganz durcheinander und weiß nicht, was er sagt.«

»Der weiß genau, was er sagt«, widersprach ihm Sanderson. Er wollte das Frauenzimmer nicht direkt beschuldigen. Aber er hatte sie im Flur herumspionieren sehen und war sicher, sie würde sich aus dem Staub machen, wenn sie Gefahr witterte. So fuhr er mit erhobener Stimme fort, um draußen von ihr gehört zu werden. »Aber stellen Sie doch fest, wer das Zimmer da oben bewohnt – dann werden Sie die richtige Spur haben.«

Als Terry Cahoon von den Lichtsignalen im dritten Stock gesprochen, war Mrs. Hastings erblichen. Ihr begann etwas zu dämmern. So einfältig sie war – hier waren die Zusammenhänge zu deutlich. Zitternd mischte sie sich ein.

»Der Herr hat ganz recht. Es war oben – es war bei Clarice im Zimmer. Ich hab' die Taschenlampe selbst gesehen!«

Peter Blodgett war wütend, daß seine Theorie angetastet werden sollte. »Unsinn«, fuhr er dazwischen.

»Kein Unsinn«, rief empört die Haushälterin. »Ich kann nicht glauben, daß das gute Kind so schreckliche Sachen macht, aber Wahrheit muß Wahrheit bleiben, Mr. Blodgett, und ich weiß, was ich gesehen habe. Jetzt verstehe ich erst, warum sie sich eingeschlossen hatte und so blaß war, wie ich ihr Tee brachte. Mir machte sie vor, sie hätte Kopfweh. Natürlich hab' ich's geglaubt. Die Taschenlampe hatte sie unter Papieren versteckt, aber ich sah, wie sie zu Boden fiel.«

»Hilft Sanderson gar nichts«, erklärte Blodgett. »Das Frauenzimmer ist einfach noch ein Komplice.«

»Lächerlich«, rief Oliver Harrington. »Meine Frau hat die Jungfer schon seit Wochen – lang bevor ich auch nur daran gedacht, Sanderson für dies Weekend einzuladen.« Er warf einen zerknirschten Blick auf den gefesselten Gast. »Herrgott, wie hab' ich mich in die Tinte gebracht!«

»Aber Mrs. Harrington sagte doch, daß sie von einem Mann überfallen wurde«, erinnerte der Detektiv.

Sanderson spürte, daß die Wendung für ihn günstig wurde.

»Ich halte es nicht für seltsam, daß ein Frauenzimmer Männerkleidung anlegt. Dieser Cahoon erzählte ja eben, daß etwas aus dem Fenster geworfen wurde. Das wird die Maskerade gewesen sein. Ich halte es durchaus für möglich, Mr. Blodgett, daß sich die Sache so verhält.«

Aber Blodgett hatte sich zu fest in seine Theorie verbissen und ließ nicht locker.

»Ich bleib' dabei«, protestierte er. »Mrs. Harrington sprach von einem großen Mann. Wenn es sich um die Person handelt, die ich gesehen habe – die kann man jedenfalls nicht groß nennen.«

»Aber rechnen Sie doch mit der Erregung, in der Mrs. Harrington sich befand. In ihrer Vorstellung mag es ein großer Mann gewesen sein, aber –«

Oliver Harrington unterbrach ihn und machte den vernünftigen Vorschlag, das Mädchen heranzuholen und auszufragen. »Sie hat meiner Frau erzählt, ihr Vater sei Gouverneur oder Vizegouverneur irgendwo im Westen gewesen – aber das schien mir recht unwahrscheinlich –«

»Meinetwegen will ich sie verhören.« Blodgett gab widerwillig nach.

»Ist sie noch bei Mrs. Harrington im Schlafzimmer?«

Sandersons Kombination war richtig gewesen. Oakland Annie hatte genug gehört. Sie dachte an die gefälschten Zeugnisse, die sie vorgelegt. Jede Nachfrage konnte fatal werden. Sie war leise heruntergeschlichen und in der Nacht verschwunden – ohne Hut, ohne Mantel.

»Verflucht – die wollen mich hochnehmen. Der verdammte Rotkopf – warum hat er halbe Arbeit gemacht!«

Ein leichter Lastkraftwagen, der für Provianttransporte und dergleichen diente, war aus der Garage herausgebracht worden, um drinnen Platz für die Autos der Gäste zu machen. Der Wagen stand am Rand der Einfahrtsstraße, und man konnte den gelben Lack in der Dunkelheit erkennen. Sie entschloß sich, mit dem Lastkraftwagen davonzugehen, und nicht mit einem der anderen Wagen, deren Getriebe wahrscheinlich abgeschlossen waren. Aber erst wollte sie noch eine Verfolgung durch die schnellen Personenwagen unmöglich machen.

So eilig sie es hatte – das mußte zu ihrer Sicherheit noch besorgt werden. Rasch schlüpfte sie in die Garage, fand eine Kanne Öl, schüttete den Inhalt in die Polster der vier Wagen und über den Boden. Dann zündete sie das Öl an und rannte fort.

Einen Augenblick später war sie mit dem Lastkraftwagen auf und davon.

Im Haus wurde inzwischen Oakland Annies Flucht den in Sandersons Zimmer Versammelten gemeldet. Sanderson hatte nur auf diese Nachricht gewartet und unterdrückte ein befriedigtes Lächeln. Ihm war's recht so. Es lag ihm nichts daran, daß sie gefaßt wurde.

Peter Blodgett rannte zum Fenster. Die Schüsse, die er dem flüchtenden Wagen nachsandte, blieben völlig wirkungslos.

Mit einem Fluch wandte sich der Detektiv ins Zimmer zurück.

»Hinterher«, brüllte er. »Mit dem schnellsten Wagen!«

Aber auch diese letzte Hoffnung, Oakland Annie zu fangen, wurde vernichtet. Vernichtet in des Wortes wörtlichster Bedeutung. Eine furchtbare Explosion ließ alles erzittern. Die Garage brannte. Das Feuer, das Oakland Annie angelegt, hatte auf einen Benzintank übergegriffen.

Eine neue Explosion – ein zweiter Benzinbehälter entzündete sich, und ein Flammenmeer schoß aus dem Garagendach.

»Das Teufelsweib hat die Garage angesteckt«, tobte Blodgett. »Und wir können ihr nicht nach.«

Das Mädel hat Grips, dachte Sanderson. Und sie weiß ihn zu gebrauchen, wenn's drauf ankommt. Ich hab' Glück heut nacht – wahrhaftig Glück! Er wandte sich Blodgett zu. Der saß zusammengebrochen da und begriff, daß er der Dumme war. Und ein Frauenzimmer hatte ihn überlistet!

»Ich glaube, Sie haben was vergessen, Blodgett?«

»Was ist los?«

»Meinen Sie nicht, es wäre an der Zeit, diesen Schmuck von meinen Handgelenken zu entfernen?«

»Ja, wahrhaftig«, stöhnte Oliver Harrington. »Und zwar schleunigst, Sie Detektiv, Sie! Ihr ganzer Erfolg besteht darin, daß ein Frauenzimmer mit meinem Achtzigtausend-Dollar-Schmuck auf und davon ging, und daß ich meinen Gast, der ein Gentleman und Ehrenmann ist, aufs schwerste beleidigt habe.«

Er wandte sich Sanderson zu und streckte ihm die Hand mit einer Geste entgegen, die um Verzeihung bat.

»Ich habe gar nicht den Mut, Sie um Verzeihung zu bitten, Sanderson, so beschämt bin ich. Wenn ich das irgendwie wieder gutmachen könnte –«

»Ich kann Ihnen meine Hand unter den gegebenen Umständen nicht reichen«, erklärte Sanderson mit einem Blick auf die Handschellen. Peter Blodgett blieb nichts anderes übrig, als Sanderson freizugeben, wenn er auch im Grund seines Herzens nicht glaubte, daß dieser so unschuldig sei, wie es jetzt aussah.

»Wir sind noch nicht ganz quitt«, meinte Sanderson. »Sie schulden mir noch hundertundfünfzig Dollar für den Koffer, den Sie mir da ruiniert haben.« Die Forderung war unter den gegebenen Umständen ziemlich unverschämt.


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