Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Noch bevor das Diner zu Ende ging, war sich Maxwell Sanderson vollkommen klar darüber, daß die Einladung zu Oliver Harrington eine Falle war, die man ihm gestellt, und daß der Bulburry als Köder für seine Habgier dienen sollte. Und da es sich um eine Falle handelte, mußte sie wohl von Adam Decker gestellt sein. Darum also hatten ihn Deckers Spürhunde in der letzten Zeit nicht mehr verfolgt! Während man die Falle vorbereitete, sollte er in Sicherheit gewiegt werden. Nein, darauf fiel er nicht herein. Die Durchsuchung der Koffer hatte seinen Argwohn erregt, und alle weiteren Beobachtungen hatten ihn bestätigt.

Er dachte an die nur mühsam beherrschte Unruhe in Oliver Harringtons verlegener, fast schuldbewußter Haltung, an den Wortschwall seiner allzu betonten Herzlichkeit; an die kleinen Fehler, die dem ersten und zweiten Diener passierten; an die Art, wie der letztere jede seiner Bewegungen beobachtete. Ein weniger scharfsichtiger Kopf würde die Überwachung nicht bemerkt haben – einem Sanderson konnte sie nicht entgehen, und sie ließ ihm keinerlei Zweifel mehr über die gegebene Situation. Man lauerte auf ihn, wie Raubtiere auf die Beute, sprungbereit, ihn zu packen im selben Augenblick, wo er die Hand nach dem Bulburry ausstrecken würde. Er spürte, wie sie förmlich auf die Tat warteten.

Sanderson war mehr als erstaunt, daß ein Mann wie Oliver Harrington sich zu solcher Sache hergab. Aber er erinnerte sich jetzt des Geschwätzes von Norcross während der Autofahrt. Dieser Klatsch schien ihm jetzt bedeutungsvoll. Und er kam zur Überzeugung, daß Adam Decker einen finanziellen Druck auf Harrington ausgeübt und ihn zu dem unwürdigen Spiel gezwungen hatte.

Hätte sich's nur um Deckers Spione gehandelt, Sanderson hätte sie mit dem größten Vergnügen heiter an der Nase herumgeführt. Aber hier war die Situation kompliziert durch die Anwesenheit des verbrecherischen Frauenzimmers. Es war ja klar, daß sie's auf den Schmuck abgesehen hatte; die hatte die Stirn, die Sache durchzuführen, und war gerissen genug, Erfolg zu haben.

Für ihn bestand die fatale Gefahr, daß sie der Dieb wurde und man ihn verdächtigte. Dann galt er als der Dieb, und sie hatte die Beute. Er hätte gern gewußt, ob sie über die gestellte Falle Bescheid wußte. Aber jeder Versuch, diese Frage zu beantworten, war reines Rätselraten.

»Alter Junge«, sagte sich Sanderson im stillen, »halt die Ohren steif. Wenn du nicht höllisch achtgibst, macht das Mädel das Rennen noch einmal auf deine Kosten.«

Nichts in seinem Ausdruck verriet die angestrengte Gedankenarbeit. Sanderson war vollkommen ungezwungen heiter und bewahrte die tadelloseste Haltung. Mrs. Harrington war so entzückt von dem Gast, daß sie sich vornahm, Sanderson in Zukunft recht häufig einzuladen.

Während der Tafel war das Gespräch mehrfach auf den Bulburry gekommen. Die alberne Miss Elkins wollte durchaus all die unheimlichen und wohl übertriebenen Geschichten, die sich an den Stein knüpften, hören. Nach Tisch wurde Bridge gespielt, und als sich schließlich die Damen zurückzogen, blieb Harrington mit den Herren noch im Rauchzimmer. Doc, der Schäferhund, hatte sich zu Sandersons Füßen ausgestreckt.

»Nehmen Sie mir's nicht übel, Oliver«, meinte Mr. Chadwick, »aber ich finde es recht gewagt, mit dem kostbaren Schmuck so leichtsinnig umzugehen. Denken Sie nur an all die Einbrüche in Landhäuser während des letzten Sommers. Wenn ein gerissener Einbrecher in Erfahrung bringt, daß der Brillant hier draußen ist – na, ich möchte die Verantwortung nicht haben.«

Oliver Harrington lachte gezwungen.

»Unsinn. Meine Frau hat einen sicheren Safe in ihrem Zimmer. Schon morgen oder Montag bringe ich den Schmuck wieder zur Bank nach New York. Ich muß allerdings zugeben, daß Mrs. Harrington die Sache ebenso ungemütlich findet wie Sie.«

»Aber Sie sind doch versichert?« fragte Norcross.

»Selbstverständlich«, bestätigte Harrington.

Chadwick blieb bedenklich. »So lang's dauert! Wenn die Versicherung erfährt, daß Sie den Schmuck in so niedlichen kleinen Wandschränkchen aufbewahren, wird sie sich beeilen, die Police für ungültig zu erklären. Mrs. Harringtons Safe wird nicht viel Sicherheit gegen moderne Geldschrankknacker bieten.«

Harrington schielte zu Sanderson herüber, der nicht die geringste Bewegung verriet.

»Ich bin ganz der Meinung von Chadwick«, pflichtete Sanderson bei. »Sie sollten den Bulburry schleunigst ins Bankdepot zurückschaffen und inzwischen hier besondere Vorsichtsmaßnahmen treffen.«

Ob wirklich Deckers Theorie stimmte? Dann war der Mann aber kaltblütig, dachte Harrington.

Wenn Sanderson eine Ahnung von den Vorgängen gehabt, die sich genau im selben Augenblick oben in Mrs. Harringtons Schlafzimmer abspielten, hätte er wohl kaum die gleiche Ruhe bewahrt. Das kleine Frauenzimmer hatte ihr verbrecherisches Vorhaben schon ausgeführt.

Norcross erhob sich und streckte sich gähnend.

»Ich glaub', ich geh' zu Bett.«

»Schließ' mich an«, sagte Chadwick. »Möchte früh aufstehn und vor dem Frühstück eine Runde Golf spielen. Wenn ihr mitmacht, sind wir zu viert.«

Norcross wehrte ab. »Ich nicht. Mach' mir nichts aus Golf, und morgens nüchtern – nein, ich danke schön.«

Er zog sich zurück. Sanderson rauchte noch seine Zigarre zu Ende und ging bald darauf allein ins obere Stockwerk, während die beiden anderen Herren noch unten blieben.

Auf dem Weg zu seinem Zimmer war Sanderson dicht an der Wäschekammer vorbeigegangen, in der Blodgetts Mann einsam Wache hielt. Der Detektiv schaute auf das leuchtende Zifferblatt seiner Uhr und notierte in Gedanken »zwölf Uhr zehn aufs Zimmer«. Er hatte nun aufzupassen, ob der verdächtige Gast sein Zimmer noch einmal verlassen würde.

Sanderson war so stark von seinen Gedanken in Anspruch genommen, daß er nicht schlafen konnte. Wenn die kleine Diebin ihre Absicht durchführte, war er in einer verteufelt unangenehmen Situation. Aber was konnte er gegen die als Zofe verkleidete Verbrecherin unternehmen? Die Antwort darauf war nicht einfach. Morgen fand sich vielleicht Gelegenheit, ein Wort fallen zu lassen, das ihr als abschreckende Warnung dienen konnte. Aber wenn die Person in ihrer Ungeduld und Sorge, der Brillant würde nach New York zurückgebracht, schon heute nacht –

Er zog sich aus, schlüpfte in sein Pyjama, machte dunkel und öffnete das Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Geräuschlos ging es auf, und Sanderson blickte eine Weile nachdenklich in die Dunkelheit.

»Barton hatte ganz recht. Ich Esel hätte Verdacht schöpfen sollen bei der Einladung – wenn das Frauenzimmer nur bis morgen warten wollte –«

Da sah er Lichtsignale im Dunkel aufflammen. Drei. Sanderson war sich sofort über die Bedeutung klar. Genau so hatte er sich vor ein paar Monaten bei Rittenhouse mit Clark verständigt. Gespannt wartete er auf das Antwortzeichen. Kurz darauf kam es und – zu seinem Erstaunen – bemerkte er, daß jemand ein dunkles weiches Bündel von oben herunterfallen ließ. Er streckte die Hand aus und schnappte es, gerade als es sein Fenster passierte.

Im Dunklen konnte er fühlen, was es war – Männerkleider – ein Paar Schuhe – hm – das war merkwürdig, höchst merkwürdig!

Wäre es hell gewesen, hätte er sofort das kleine Päckchen gesehen, das sorgfältig im Mantelknopfloch festgebunden war. So fühlten es seine tastenden Hände. Er war wie im Fieber. Blitzschnell wurde ihm klar, was das zu bedeuten hatte.

Sie hat ihn gestohlen – sie hat den Bulburry gestohlen – das nenn' ich fixe Arbeit. Teufelsmädel! Ein fader Geruch stieg ihm in die Nase. Chloroform!

Eine Sekunde zögerte er – dann löste er die Schnur, mit der der in Papier gewickelte Stein am Mantel befestigt war, und ließ das Bündel herunterfallen.

Ein triumphierendes Lächeln spielte um seinen Mund, als er ihm nachschaute. Nun sind wir quitt, mein Kind, dachte er. Jetzt magst du dir mit deiner Bande in die Haare geraten, wer von euch den anderen geprellt hat. Er öffnete das Päckchen und betrachtete den faszinierend strahlenden Stein.

Was nun? Vielleicht wär's besser gewesen, den Schmuck zu lassen, wo er war. Gefahr! Das Wort brannte sich mit glühenden Lettern in sein Bewußtsein.

Er sah die zerrissene Platinkette, begriff, daß der Schmuck gewaltsam Mrs. Harrington vom Hals gerissen worden war. Er dachte an die Männerkleider, die Schuhe, den Chloroformgeruch – das ganze Drama, das sich im Schlafzimmer abgespielt, stand ihm bis in die letzten Einzelheiten deutlich vor Augen.

Sanderson dachte angestrengt nach, ohne den Blick vom Bulburry abzuwenden.

Jeden Augenblick kann der Raub entdeckt werden. Man wird sofort Haussuchung vornehmen und bei mir anfangen. Verteufelte Situation – auf den Stein verzichten – trotz allem, ich denke nicht daran.«

Plötzlich fuhr er zusammen und umklammerte den Brillanten. Ein Geräusch an der Tür – vielleicht von einem Fuß. Seine Blicke durchsuchten den Raum nach einem Versteck. Sein Instinkt ließ ihn fürchten, daß draußen ein Detektiv herumschlich.


 << zurück weiter >>