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Barton Clark hatte nicht vor dem späten Nachmittag auf Sanderson gerechnet. Trotzdem quälte ihn unruhige Erwartung, während sich der Sonntag endlos lang und eintönig hinzog und die Dunkelheit einbrach. Was war mit Sanderson los – wo blieb er?
Wahrscheinlich war er selbst in Verdacht geraten, vielleicht in Haft. Clark stellte sich Sanderson vor, wie er kühl lächelnd, seelenruhig und durch nichts aus der Fassung zu bringen, das Verhör auf der Polizeistation von Long Island über sich ergehen ließ.
Soviel steht einmal bombensicher fest, dachte Clark bei sich, Sanderson hält dicht. Das ist keiner von denen, die andere hereinlegen. Da kann passieren, was will.
Acht Uhr, neun Uhr – nichts rührte sich. Clarks Unruhe wurde unerträglich. Er unterbrach sein Auf- und Abgehen, sah nach, ob der Fenstervorhang seines öden Zimmers richtig zugezogen, die Tür gut verschlossen war, und zog unter der Matratze die zwei Schmuckkästen heraus.
Er konnte sich überhaupt nicht mehr erinnern, daß er den zweiten in die Tasche gesteckt hatte, in dem bedrohlichen Augenblick, als plötzlich der Diener mit erhobenem Revolver vor ihnen stand. Und dieser Kasten enthielt die Brillantohrringe von Mrs. Rittenhouse, ein halbes Dutzend anderer Schmuckstücke und achthundert Dollar in Noten. Es fehlten nur zweihundert Dollar zur Deckung des Fehlbetrags in seiner Kasse. Wenn Sanderson ausblieb? Wäre es zu gewagt, das eine oder andere Stück zu versetzen, um den fehlenden Betrag zu beschaffen?
An die Verwertung der Perlen durfte er natürlich nicht denken. Das wäre viel zu gefährlich gewesen. Man mußte »dazugehören«, um eine Absatzmöglichkeit für solche Beute zu finden; mußte unterirdische Beziehungen haben, einen Hehler von Format kennen, der bedeutend genug war für ein derartiges Objekt. Abgesehen davon, daß Clark natürlich nicht daran dachte, die Perlen für sich zu verwerten, bevor er Gewißheit über Sandersons Schicksal bekam.
Es klopfte an die Tür. Clark schob hastig die beiden Kästen wieder unter die Matratze.
»Was gibt's?«
»Telephon«, sagte die Wirtin kurz angebunden. Sie liebte es nicht, ihre Mieter ans Telephon zu rufen.
Clark sprang zur Tür. Das mußte Sanderson sein!
Er nahm den Hörer. »Bitte?« Es war Sandersons Stimme, die antwortete, und sie war's auch wieder nicht. Die Stimme klang matt und kraftlos.
»Ich bin zu Hause. Kommen Sie zu mir.«
»Ist alles in Ordnung?«
»Alles gut und schön, Clark.«
»Soll ich –«
»Ja, bringen Sie's mit.«
Clark stürzte in sein Zimmer zurück, holte die Kästen wieder unter der Matratze heraus, warf sich rasch einen Mantel über und eilte fort. Er bezahlte die Taxi mit Geld, das ihm Sanderson am Tag vorher gegeben.
Der schwarze Liftmann erkannte ihn.
»Ich soll Sie sofort herauffahren. Mr. Sanderson hat wirklich reichlich Aufregung. Donnerwetter noch mal. Der ist bös zugerichtet.«
»Zugerichtet?« wiederholte Clark erschrocken.
»Und ob.«
»Aber was ist denn passiert?«
»Das hat er mir nicht erzählt. Aber riechen tut er wie ein ganzes Hospital.«
Clark stürzte aus dem Lift; als Sanderson ihm selbst öffnete, wurden wenigstens seine schlimmsten Erwartungen nicht bestätigt. Sandersons Gesicht verschwand fast unter dem Verband, und er trug den linken Arm in einer Schlinge. Wie sie zusammen zur Bibliothek gingen, hinkte er vor Schmerzen.
»Nicht der Rede wert. Der Schaden ist bald behoben. Die wollten mich acht bis zehn Tage in der Klinik behalten, aber da wurde nichts draus. Ich mußte mich doch mit Ihnen in Verbindung setzen und die Sachen vor morgen früh zu Geld machen. Ich habe einen Händler für heute abend herbestellt, da ich nicht gut selbst ausgehen kann.« Er nahm Platz, und man sah, daß er Schmerzen hatte.
»Aber was ist denn geschehen?« wiederholte Clark.
»Hab' einen Autounfall gehabt.«
»Gerieten Sie in Verdacht – mußten Sie flüchten?« –
»Nein, mein Lieber. Soweit ist's nicht gekommen. Aber haben Sie denn nichts von dem Wagen gemerkt, der auf der Chaussee dicht hinter Ihnen her war?«
»Den Wagen gemerkt?« Clark schauerte zusammen. »Und ob! Ich fuhr mit Vollgas, konnte ihn aber nicht loswerden. Heiliger Himmel! War das der Wagen, der den Unfall hatte? Ich begriff gar nicht, wieso ich ihn plötzlich loswurde, kurz nachdem ein paar Schüsse gefallen waren. Ich hatte den Autoschlüssel verloren und habe mich darum verspätet.«
»Es hing an einem Haar, mein Lieber. Aber Sie haben Dusel gehabt. Der Fahrer ging zu rasch in die Kurve und schmiß die ganze Karre in den Graben. Rudi Ferris – einer von den Gästen, Sie werden ihn nicht kennen – ist's gut bekommen. Er flog hübsch weich in den Dreck. Aber Rittenhouse hat ein gebrochenes Nasenbein und eine Gehirnerschütterung abgekriegt. Und ich selbst eine Schulterverrenkung und ein paar Glassplitter.«
Clark dämmerte der Zusammenhang auf.
»Sie – Sie waren natürlich am Steuer – Sie sind absichtlich in den Graben gefahren!«
»Was hätte ich sonst machen sollen? Ich mußte Sie doch 'rausreißen.«
»Fabelhaft, Sanderson. Donnerwetter – fabelhaft! Das hätte Ihnen den Hals kosten können.«
Sanderson grinste unter seinem Verband.
»Da gab's nicht viel zu überlegen, mein Lieber. Sonst hätte es uns beiden den Hals kosten können.«
»Das werde ich Ihnen nie vergessen. Auf mich können Sie zählen«, sagte Clark mit bewegter Stimme.
Beide schwiegen einen Augenblick.
»Ist der Diener – tot?«
»Nein – dafür können Sie Ihrem Glück oder der Vorsehung oder wem sonst danken, Clark. Gresham hat nur eine leichte Kopfverletzung. Aber es ging hart am Tod vorbei.«
»Mich hat es auch gepackt –« schauderte Clark. »Wissen Sie, wie das ist, wenn man Stunden und Stunden in der Ungewißheit schwebt, ob man zum Mörder wurde?«
Sanderson schüttelte den Kopf.
»Nein – und die Erfahrung wünsche ich auch nicht zu machen. Ich hab' mir einen heiligen Eid geschworen, niemals einen Menschen umzubringen; und wenn man mich auch verhaftet. Die Waffe habe ich nur zur Einschüchterung bei mir, nicht zum Töten. Eine Waffe kann jeder brauchen – ich brauch' lieber meinen Verstand.«
Nebenan klingelte es.
»Gehen Sie an den Apparat, Clark. Es ist das Haustelephon, und ich vermute, daß ein Mann namens Bauxbaum gemeldet wird. Lassen Sie ihn herauffahren. Geben Sie mir die beiden Kästen und gehen Sie dann ins Schlafzimmer. Mr. Bauxbaum zieht es vor, unter vier Augen zu verhandeln.«
Die Besprechung mit Bauxbaum verlief kurz und sachlich. Es gab nicht viel zu feilschen. Schon nach einer halben Stunde verließ der Hehler das Haus. Er trug den Rittenhouseschen Schmuck wohlverstaut in seinen Taschen.
Als Clark auf Sandersons Ruf aus dem Schlafzimmer zurückkam, fand er diesen noch im gleichen Sessel, zwei Haufen Banknoten auf dem Tisch neben sich.
»Sie haben das Geld schon?« stotterte Clark.
»Nur teilweise. Das Objekt war selbst für Bauxbaums Barmittel zu groß. Ich hab' übrigens besser abgeschnitten als erwartet. Vierzigtausend für die Perlen und zehntausend für das übrige. Zwanzigtausend heute und die restlichen dreißigtausend innerhalb einer Woche. Das ist der einzige Hehler in New York, dem ich Kredit gebe. Auch Ehrlichkeit unter Dieben macht sich bezahlt, Clark.«
»Und das alles soll mir gehören?«
»Halb und halb, Clark – nur so gibt's keinen Streit.«
Clark befingerte ungläubig den dicken Haufen von Banknoten.
»Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen. Ich hab' mir das von Anfang an gedacht. Hoffen wir, daß beim nächsten Mal –«
»Kein nächstes Mal – für mich«, fiel ihm Clark heftig ins Wort.
Sanderson lächelte nachdenklich.
»Ein weiser Entschluß«, erwiderte er nach kurzer Pause. »Wenn Sie je Schluß machen wollen, tun Sie's jetzt. Machen Sie Schluß, bevor Sie's mit Haut und Haaren und für immer hat – wie mich. Am Ende steht immer das Gefängnis. Manchmal versteht's einer und schiebt die Endabrechnung länger hinaus – aber schließlich kommt's doch zur Bilanz. Und auch das Seil, auf dem ich tanze, wird einmal reißen.« Ein trauriges Lächeln beschattete ihn.
»Nehmen Sie Ihre zehntausend Dollar, Clark. Und fünfzehntausend bleibe ich Ihnen noch schuldig. Mit tausend können Sie Ihre Dummheit wieder gutmachen. Und es bleibt Ihnen ein hübscher Überschuß. Ich könnte Sie um Ihren Entschluß beneiden – aber ich bin dem Spiel endgültig verfallen.«
Clark nahm nervös die Banknoten und steckte sie ein. Er stand noch neben dem Tisch, in unentschlossener Haltung.
»Sie haben recht, Sanderson, natürlich gibt's kein Entrinnen. Wir sind nun einmal auf der schiefen Ebene. Ich begreife es jetzt – aber mich hat's auch. Ich werde immer dabei sein, wenn Sie mich brauchen.«
Sanderson erhob sich mühsam und reichte ihm die Hand. Ihr Händedruck wog mehr als Worte.