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Äußerlich erschien Oliver Harrington als liebenswürdigster Gastgeber, innerlich fühlte er sich höchst unbehaglich. Er kam sich in seiner Rolle als Wirt wie ein Verräter an einem seiner Gäste vor.
Nur seine verzweifelte Situation hatte ihn dahin gebracht. Er schuldete Adam Decker annähernd eine viertel Million Dollar, und wenn man ihm ein bis zwei Monate Zeit ließ, bestand für Harrington die Möglichkeit, sich vor dem Zusammenbruch zu retten; sonst war sein sofortiger Ruin unvermeidlich. Er war vor Deckers Zumutung zurückgeschreckt, aber Decker hatte sein finanzielles Entgegenkommen eindeutig von Harringtons Zustimmung abhängig gemacht. Es gab keine andere Wahl – entweder stellte er sein Haus, seine gesellschaftliche Stellung, den Bulburry-Brillanten zur Verfügung, um einen Mann zu fangen, der als Dieb verdächtigt wurde – oder er würde dies Haus verlieren und wahrscheinlich den Brillanten dazu.
Ein Gedanke wenigstens tröstete ihn: Decker war ein Narr – war von einer fixen Idee besessen. Maxwell Sanderson sollte ein Dieb sein? Es war ausgeschlossen – einfach absurd! Harrington versuchte sich selbst zu überzeugen, daß er im Grund Sanderson einen wirklichen Dienst erwies – so konnte dieser sich reinwaschen.
Er hatte es vermieden, Mrs. Harrington in der peinlichen Angelegenheit ins Vertrauen zu ziehen. Natürlich war sie sehr erstaunt gewesen, daß plötzlich alte Dienerschaft fortgeschickt und durch neue Leute ersetzt worden war; aber Oliver Harrington hatte eine einigermaßen befriedigende Erklärung dafür gegeben. Hätte sie nur eine Ahnung von den wirklichen Zusammenhängen gehabt, so wäre sie in ihrem Stolz tödlich verletzt gewesen.
Genau so ungemütlich und nervös wie Harrington selbst fühlte sich auf seine Weise Peter Blodgett. Er kam sich höchst lächerlich vor in seiner Verkleidung als zweiter Diener. Für einen harmlosen Beobachter aber wirkte er ganz einfach als unerfahrener Anfänger, der sich noch geniert fühlte.
Adam Decker konnte zu seinem Leidwesen nicht dabei sein, wenn Sanderson in die Falle ging. Er hatte Blodgett die strategische Leitung des Unternehmens übertragen, und der Detektiv war gerüstet, Sanderson dingfest zu machen, sobald dieser nach dem Köder schnappte.
Die Gäste kamen teils mit dem Nachmittagszug, teils im Auto. Mr. Harrington und Peter Blodgett hatten noch eine kurze Besprechung in der Bibliothek. Der Detektiv nahm zerstreut eine Zigarre und zündete sie an.
»Ich denke, Mr. Harrington, es ist alles in Ordnung, nicht wahr?«
Oliver Harrington beherrschte sich mühsam. Ein Diener, wenn auch nur ein verkleideter, der seinen Herrn mit der Zigarre im Mund ansprach – das ging zu weit.
»Lassen Sie das gefälligst!« stöhnte er.
»Lassen – was?«
»Es gehört sich nicht, daß die Dienerschaft im Haus raucht. Wenn Mrs. Harrington Sie sieht, werden Sie entlassen.«
Blodgett wurde rot, rauchte aber ruhig weiter. Er hatte den ganzen Tag auf die gewohnte Zigarre verzichten müssen.
»Mir ganz gleich. Ich bin kein Diener. Herrgott noch mal – ich will froh sein, wenn diese blöde Geschichte vorbei ist!«
»Ich auch, Sie können's mir glauben. Es ist wirklich eine verrückte Idee.«
Blodgett blieb in seiner ungehörigen Haltung und nahm ungeniert in einem Sessel Platz.
»Glauben Sie denn an Deckers Theorie?«
»Ich denke nicht daran«, erwiderte Harrington. »Und niemand mit gesundem Menschenverstand. Sie vielleicht?«
»So halb und halb, Mr. Harrington. Ich bin nicht so sicher. Ich beobachte diesen Maxwell Sanderson. Er gibt viel Geld aus und scheint immer bei Kasse zu sein, aber ich kann nicht herausbringen, wo er's hernimmt.«
»Wo einer sein Einkommen hernimmt, ist seine Privatangelegenheit«, meinte Oliver Harrington.
»Die Behörde interessiert's auch«, erwiderte der Detektiv. »Er war schlau genug, eine Steuererklärung abzugeben. Ich hab' sie mir angesehen. Sieht ein bißchen faul aus. Aber beweisen kann ich nichts.«
»Viele Steuererklärungen sehen so aus, mein Lieber. Wenn Sie z. B. das Geld hätten, um das Adam Decker die Steuer betrügt, brauchten Sie auch nicht in dieser Verkleidung Jagd auf einen Unschuldigen zu machen, den ein Narr als Verbrecher entlarven möchte.« Harrington wurde sarkastisch und Blodgett wütend.
»Sie brauchen sich nicht über mich lustig zu machen, Mr. Harrington. Wir sind beide an dieser Sache finanziell interessiert. Ich für Geld, das ich bezahlt bekomme, und Sie für Geld, das Sie nicht zahlen können. Decker hat mich orientiert.«
Harrington sah aus, als solle ihn der Schlag treffen; er verzichtete auf weitere persönliche Bemerkungen.
»Decker wird Ihnen wohl erzählt haben, worauf sich sein Verdacht gründet?«
»Jawohl, die Geschichte mit den Händen – es ist verrückt, total verrückt. Das müssen Sie zugeben.«
»Ganz so einfach liegen die Dinge doch nicht. Ich hab' festgestellt, daß Sanderson während der Fahrt von Deckers Jacht von New York abwesend war, daß Sanderson in der Einbruchsnacht Gast bei den Rittenhouse war, daß Sanderson sich aus dem Staub machte, während ihn meine Leute beobachteten, und daß drei Tage später bei einem Bankraub in Long Island die Markendale-Perlen gestohlen wurden. Sie müssen zugeben, daß das schon eine gewisse Basis ist –«
»Ich hab' nie Vertrauen zu Indizienbeweisen gehabt, und in diese am allerwenigsten. Es ist absurd, anzunehmen, daß sich jemand so völlig verwandeln kann, und es ist ebenso absurd, daß ein Mann von Sandersons gesellschaftlicher Stellung –«
»Lassen Sie mich aus mit der gesellschaftlichen Stellung! Wenn Decker recht hat und Sanderson mit dem sogenannten ›Geldschrankspezialisten‹ identisch ist, werden wir ihn diesmal klappen – falls Sie uns nicht das Spiel verderben und den Mann warnen. Denn auf wessen Seite Ihre Sympathien sind, ist nicht schwer zu raten.«
Harrington widersprach empört. »Davon kann keine Rede sein. Wenn der Mann wirklich ein Verbrecher ist, wünsche ich nur, daß mit ihm nach Verdienst verfahren wird.«
»Schön. Und ich denke, Sie werden keinen Wert darauf legen, daß er Ihnen mit dem Bulberry-Brillant durchgeht. Es soll ja ein besonders schöner Stein sein. Sie haben ihn hier, nicht wahr?«
»Bulburry – Bulburry, Mr. Blodgett«, verbesserte der andere, leicht gereizt. Er holte ein kleines Kästchen aus der Tasche und brachte ein Etui aus Juchtenleder zum Vorschein. »Ich hab's heut früh in New York aus dem Banksafe geholt.« Seine Züge umwölkten sich bei dem Gedanken, den geliebten Schmuck zu verkaufen, was er seit Wochen in seiner Notlage erwog. »Möchten Sie'n sehen?«
»Gern.« Aber als er den Schmuck betrachtete, schien Blodgett fast enttäuscht. Er hatte nie einen gelben Brillanten gesehen und glaubte, ein Brillant müsse unbedingt von rein weißblauem Wasser sein. »Schöne Größe – aber, was die Farbe angeht –«
»Ein fehlerfreier gelber Brillant, mein Lieber«, erklärte Oliver Harrington in mitleidigem Ton. »Es gibt nur ganz wenige. Die Seltenheit macht seinen Wert aus. Sehen Sie sich doch mal das goldene Feuer an!«
Peter Blodgett betrachtete den Stein ohne große Begeisterung. »Die Gnädige ist wohl ganz verrückt damit?«
»Sie bewundert seine Schönheit. Leider haben sie die unglücklichen Geschichten, die mit dem Stein in Verbindung gebracht werden, allzusehr beeindruckt. Dabei halte ich diese Geschichten zumeist für erfunden.«
»Soll Unglück bringen, der Stein, was? Wie's auch vom Hope-Diamant behauptet wird?«
»So ähnlich.«
»Nun, wenn das stimmt, was Decker mir erzählte, so hat er Ihnen jedenfalls kein Glück gebracht.« Blodgett war von überwältigender Taktlosigkeit.
Harrington schloß das Etui verärgert und verletzt. Er war entschlossen, sich mit dem Detektiv nicht mehr als unbedingt nötig abzugeben.
»Bitte, fallen Sie jetzt nicht mehr aus Ihrer Dienerrolle.«
»Schließen Sie die Tür«, erwiderte der verkleidete Blodgett. »Erst rauche ich meine Zigarre zu Ende.«
Oliver Harrington ging in das Ankleidezimmer seiner Frau hinauf, die er bei der Toilette fand. Auf sein Klopfen öffnete ihm die Jungfer, ein auffallend hübsches Mädchen, mit einem artigen Knicks. Sie war erst ganz kurz im Haus, gehörte aber nicht zu Blodgetts Leuten.
»Madame ist gerade fertig mit Ankleiden.«
Mrs. Harrington saß an ihrem Toilettentisch und empfing den Gatten mit einem leicht gelangweilten Lächeln.
»Hallo, Oliver – alter Knabe«, begrüßte sie ihn. Harrington war von dieser Anrede nicht sehr entzückt. Schließlich war er fünfzehn Jahre älter als sie.
»Du schaust so feierlich aus?«
»Tu' ich das?«
»Ist schon wieder vorbei, Lieber – wie gefällt dir meine Frisur?«
»Reizend.« Er warf einen flüchtigen Blick darauf.
»Clarice hat sie sich ausgedacht. Ich finde sie nicht nur reizend, sondern einfach fabelhaft!«
»So – Clarice.« Er hatte bisher keine Ahnung gehabt, daß das der Name der neuen Jungfer war.
»Clarice ist eine Perle, Oliver. Ich hätte nie geglaubt, für Nanette einen Ersatz finden zu können. Aber jetzt bin ich so froh, Clarice zu haben.«
»Zu gütig, Madame.« Clarice knickste wieder.
»Was sagst du dazu, Oliver! Clarice erzählte mir gerade von zu Haus. Ihr Vater war Gouverneur.«
»Nur Vizegouverneur, Madame«, verbesserte Clarice bescheiden.
»Nach dem Tod des Gouverneurs wäre er aber selbst Gouverneur geworden. Es ist so angenehm, ein Mädchen aus gutem Haus um sich zu haben, Oliver.«
Harrington stimmte zu und zog sein Zigarettenetui heraus.
»Zünd mir auch eine an, Lieber. Wolltest du etwas mit mir besprechen oder kamst du nur so vorbei?«
Harrington zögerte. Er hatte nicht den Mut, ihr zu sagen, warum er den Bulburry-Schmuck geholt. Die Jungfer räumte nebenan die Kleider wieder ein, die die Gnädige nicht anzuziehen gewünscht. Langsam zündete er die Zigaretten an und dachte über eine Ausrede nach.
»Ich hab' was aus der Stadt mitgebracht –« fing er an. Mrs. Harrington wurde plötzlich lebhaft. Sie war in der letzten Zeit nicht verwöhnt worden und hatte eine leise Ahnung, daß nicht alles zum Besten stand, aber keine Vorstellung davon, wie gefährlich die Situation wirklich war.
»Ich liebe Überraschungen!«
»Hoffentlich auch diese –« er zog das Etui aus der Tasche. »Der Bulburry, Liebling. Ich möchte, daß du ihn heute trägst.«
Mrs. Harringtons Gesicht zeigte Enttäuschung und Angst.
»Nein –« Sie schob mit heftigem Protest das Etui an die äußerste Ecke des Toilettentischs. »Wie kannst du mir das antun, Oliver! Du kennst doch meine Abneigung –«
»Wie kann man nur so kindisch sein, wegen alberner Geschichten – solch wundervolles Stück. Und was hat ein Schmuck für Sinn, der nicht getragen wird?«
»Ich will und kann ihn nicht tragen. Und hier auf dem Land! Oliver, ich begreife nicht –«
»Hör mir nur einen Augenblick zu, und du wirst mich begreifen«, unterbrach sie Harrington.
Sie ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Oliver, du bist nicht bei Trost. Wenn sich's um einen ganz besonderen Anlaß handeln würde, meinetwegen – aber hier und heute ist's doch ganz unangebracht. Und außerdem direkt gefährlich – denk an all das neue Personal.«
»Hör doch mal erst einen Augenblick ruhig zu, warum ich's gerade heute abend dringend wünsche.«
»Bitte?« fragte sie ungeduldig.
Harrington sprach leise, damit die Jungfer ihn nicht hören sollte. »Ich hab' dir schon ein paarmal angedeutet, daß ich geschäftlich in der letzten Zeit Pech gehabt. Das hat Anlaß zu dummem Geschwätz gegeben. Du weißt ja, wie die Leute übertreiben. Ich werde meine Angelegenheiten schon wieder in Ordnung bringen – aber erst muß mal den Leuten der Mund gestopft werden.«
»Aber was hat das mit dem Bulburry zu tun?«
»Hör zu. Eins der Gerüchte, die im Umlauf sind, behauptet, ich hätte den gelben Brillanten zu Geld machen müssen. Drum möchte ich, daß du zum Gegenbeweis den Schmuck heute abend trägst. Das hebt den Kredit.«
Ein glänzender Einfall! Harrington war stolz auf den Ausweg, den er gefunden. Mrs. Harrington gab sofort nach.
»Einverstanden. Es war vielleicht kindisch von mir, Oliver, aber diese dummen Geschichten –«
»Alles törichter Aberglaube, Liebe. Wie kann man solchen Unfug ernst nehmen. Natürlich trägst du den Schmuck nur über Tisch. Im übrigen wird er –« Er zeigte auf den eingebauten Schmucksafe im Ankleidezimmer.
»Ich glaube, Oliver, ich bin nur wegen der neuen Diener so nervös. Du bist sicher, daß es zuverlässige Leute sind?«
»Absolut. Ich bürge dir für jeden einzelnen.«
»Der zweite Diener ist unmöglich!«
»Du hast recht. Wir werden ihm wieder kündigen. Ich kann sicherlich Jaggers wiederhaben. Aber ich muß mich jetzt umziehen. Gib acht auf den Schmuck, Liebling.«
Als der Gatte das Zimmer verlassen, betrachtete Mrs. Harrington einen Augenblick den Stein. Sie liebte ihn, wenn sie auch Angst vor ihm hatte.
»Clarice!« Die Jungfer erschien in der Tür. »Ich möchte Ihnen meinen gelben Brillanten zeigen.« Man mußte das Mädchen, das aus so guter Familie stammte, mehr als Gesellschafterin behandeln.
»Ist es nicht ein wunderbarer Stein? Schauen Sie!«
Mrs. Harrington ließ das Licht auf den Brillanten fallen, der in einem goldenen Feuer erstrahlte. Das Mädchen schloß wie geblendet die Augen. Vielleicht wollte sie auch einen Ausdruck der Gier verbergen. Sie wurde blaß, und ihre Hand zitterte. Ihre Stimme bebte: »Wirklich, Madame, ein wunderbarer Stein.«