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Fünftes Kapitel

Sandersons gemütlich-freundschaftlicher Ton brachte Clark aus der Fassung. Keine Spur von Vorwürfen oder Anklagen. Das klang ja eher nach einem Kompliment.

»Was haben Sie mit mir vor?« fragte er gespannt. »Ich bin hierhergekommen, Sie auszurauben, hab' gedroht, Sie zu erschießen, und nun –« Er schwieg völlig verwirrt.

»Das weiß ich alles. Aber ich zweifle, ob Sie bis zum Äußersten gegangen wären. Ich glaube nicht. Sie sehen mir nicht brutal genug dazu aus. Sie sind noch nicht abgebrüht für solche Sachen. Ich halte Sie für entschlossen und kaltblütig, aber nicht für gewalttätig.«

»Und warum haben Sie mich nicht der Polizei übergeben?«

Sanderson machte es sich in seinem Sessel gemütlicher, lehnte den Kopf zurück und verzog den Mund zu einem Lächeln.

»Aus ganz egoistischen Gründen, mein Lieber. Ich habe andere Absichten mit Ihnen.«

»Andere Absichten?«

»Jawohl.«

»Erklären Sie!«

»Ich bin im Begriff, Clark, aber auf meine Weise. – Wieviel Geld haben Sie bei Cudworth gestohlen?«

Clark fuhr zusammen.

»Wie – wieso wissen Sie –« stotterte er, »daß ich überhaupt Geld bei Cudworth gestohlen habe?«

»Das war nicht so schwer zu erraten. Zunächst war mir gleich klar, daß Ihr Besuch heut abend kein gleichgültig gesellschaftlicher sein konnte. Kein normaler Mensch wird bei solchem Wetter selbst seinen besten Freund besuchen; und wir beide sind nicht einmal Freunde, höchstens Bekannte. Ihre Nervosität war an Ihrem gespannten Ausdruck zu erkennen. Sie nahmen sich zusammen – das muß man Ihnen lassen – aber Ihre krampfhaften Handbewegungen verrieten doch, daß Sie sich im Druck befanden.

Warum waren Sie in dieser Lage ausgerechnet zu mir gekommen, zu jemandem, den Sie nur zweimal gesehen? Die Antwort darauf machte mir die Situation klar. Sie hielten mich für einen reichen Mann. Also hatten Sie Geldnöte. Schulden wohl kaum. Sie sind zu vernünftig, um erwarten zu können, daß ein Ihnen völlig Fremder Ihre Schulden bezahlt. Kleinere Beträge hätten Sie von Ihren Freunden pumpen können. Also brauchten Sie viel Geld, und brauchten es dringend – so dringend, daß Sie sich entschlossen, an mich zu appellieren. Sie sind Kassierer bei Cudworth und –«

Clark lächelte bitter.

»Hm, ja – ich begreife. Es war ziemlich durchsichtig. Sie haben recht geraten. Ich nahm Geld aus der Kasse, setzte damit auf einen der sogenannten ›todsicheren‹ Tips, und in ein paar Stunden war alles futsch. Wenn Sie eine Möglichkeit sehen, mir aus der Patsche zu helfen, werde ich nie wieder –«

»Doch, mein Lieber. Sie würden es wieder tun, wenn Sie überzeugt wären, nicht geschnappt zu werden. Das haben Sie schon bewiesen, als Sie heute abend das Geld aus meinem Safe holen wollten. Manche stehlen in einem schwachen Augenblick, so wie Sie, als Sie bei Cudworth in die Kasse griffen, mit der Absicht, es zurückzuerstatten, schwache Naturen, aber im Grund anständig. Man kann da auch von Gewissen sprechen – zu denen gehören Sie nicht.«

Clark machte eine flehende Handbewegung.

»Wenn Sie mir nicht helfen wollen und kein Verständnis für meine Situation haben, warum ließen Sie mich dann nicht hochnehmen? Jetzt ist schon alles eins. Sie helfen mir nicht, und ich muß die Suppe selbst ausessen. Aber vors Gericht laß' ich mich nicht schleppen. Lieber –«

»Ich mache mir nichts aus billigem Pathos, Clark. Wieviel haben Sie bei Cudworth gestohlen?«

»Genau tausend Dollar.« Clark schöpfte Hoffnung. »Um Gottes willen, Mr. Sanderson, spannen Sie mich nicht auf die Folter. Wenn Sie mir schon das Geld nicht geben wollen – was haben Sie mit mir vor?«

Sanderson strich lässig die Asche ab und beugte sich vor.

»Entweder war ich wirklich sehr gerissen oder Sie sind ein bißchen blöd. Bilden Sie sich noch immer ein, daß ich die fünftausend Dollar im Haus habe, die Sie holen wollten?«

»Aber Sie sagten doch selbst –«

»Was Sie hörten, mein Lieber, war ein fingiertes Telephongespräch im Nebenzimmer. Und Sie glaubten, daß ich tatsächlich mit einem Freund telephonierte. Nun, Sie haben sich geirrt. Der Freund, das ganze Gespräch, die fünftausend Dollar, alles war Schwindel. Schauen Sie her!« Er faßte unter die Tischkante und drückte auf einen Knopf. Es schellte. »Ich rufe nicht gern laut nach den Dienstboten, und so habe ich hier diese Schelle anbringen lassen. Ich hatte es drauf abgesehn, Sie zu täuschen – und Sie sind mir auf den Leim gegangen und haben ans Telephonläuten geglaubt.

Die Klingel läutete genau in dem Augenblick, als Sie mich ins Vertrauen ziehen, von dem Diebstahl bei Cudworth sprechen und mich anpumpen wollten. Die Tür ließ ich natürlich absichtlich auf, damit Sie alles hören sollten. In einem Spiegel konnte ich Sie beobachten und sah, wie Sie hinter dem Wandteppich den Safe entdeckten. Das bewies mir rasches Denkvermögen. Ich hatte gar keine Plätze für die ›Midnight Follies‹, und hatte auch gar nicht vor, hinzugehen. Es war ein kleiner Trick. Das Aufleuchten Ihrer Augen und Ihre Absage verrieten mir Ihre Freude über die glänzende Gelegenheit, die der unverschlossene Geldschrank und die leere Wohnung boten. Ich rechnete mit Ihrer Rückkehr, vorausgesetzt, daß Sie kaltblütig genug wären. Und wenn Sie nicht wiederkamen, wär mir's auch gleich gewesen. Fangen Sie an, mich zu verstehen, Clark?«

Clarks staunende Verständnislosigkeit wurde nur größer. Er hatte keinen Schimmer.

»Ich verstehe nur soviel, daß Sie mich hierhergelockt haben mit Ihrem Schwindel von den fünftausend Dollar. Ich hab' mein Leben für nichts aufs Spiel gesetzt. Wenn das ein Spaß sein soll –«

»Ganz und gar nicht, mein Lieber. Ich hatte meine guten Gründe. Zunächst wollte ich mal feststellen, ob Sie Schneid hätten, und dann kam mir's darauf an, zu sehen, wie Sie sich in einer heiklen Situation aus der Affäre ziehen würden. Ich rechnete schon nicht mehr auf Sie, dachte, Sie hätten kalte Füße gekriegt und war im Begriff, zu Bett zu gehen, als ich Sie am Küchenfenster hörte.«

»Kommen Sie doch endlich zur Sache«, schrie Clark, verzweifelt vor Ungeduld. »Was steckt denn hinter alledem? Was kann das schon Sie interessieren, ob ich kaltblütig bin, oder wie ich mir aus der Patsche helfe!«

»Wie Sie vor drei Jahren bei Ihrer Ankunft in New York zu mir kamen, haben Sie mir nicht den geringsten Eindruck gemacht«, erwiderte Sanderson, ohne sich von Clarks Drängen beeinflussen zu lassen. »Sie waren genau wie all die anderen jungen Leute, die in Scharen aus der Provinz ankommen. Ich habe Ihnen eine Gefälligkeit erwiesen, weil das so meiner Natur entspricht, wenn ich keine Umstände davon habe und weil mein Vetter erwartete, daß ich etwas für Sie tun würde. Im übrigen habe ich mir keine Gedanken über Sie gemacht.« Er sog gemütlich an seiner Zigarre. »Komisch, wie sich die Dinge manchmal entwickeln, mein Lieber. In dem Augenblick, wo ich Sie in Ihrer Verlegenheit sah, sagte etwas in mir: das ist dein Mann. Ich hatte plötzlich das Gefühl, Sie wären der Rechte – und Sie sind's. Sie haben mir das zu meiner vollen Zufriedenheit bewiesen.«

»Sie sprechen in Rätseln, Mr. Sanderson. Der rechte Mann – wozu?«

»Ich denke an besondere Unternehmungen«, lautete die unverständliche Antwort.

»Sie meinen, daß Sie mir aus der Patsche helfen wollen, wenn ich Ihnen zu Diensten bin? Es handelt sich wohl um etwas, womit Sie sich nicht selbst die Hände beschmutzen möchten?«

Maxwell Sanderson warf die Zigarre weg und legte die schöngeformten Hände mit den Fingerspitzen zusammen. Er lächelte.

Ganz richtig haben Sie nicht geraten. Ich will Ihnen gemeinsame Arbeit auf der Linie Ihres hübschen kleinen Unternehmens von heut nacht vorschlagen. Aber das kann ich Ihnen garantieren, daß mehr dabei herausspringen wird. Und ich werde nichts von Ihnen verlangen, was ich nicht selbst mitmache. Ich schlage Ihnen vor, Clark, mein gleichberechtigter Partner zu werden, der Risiko und Gewinn mit mir teilt – bei Verbrechen natürlich.«

Clark sprang auf und starrte den anderen ungläubig an. Der noble Sanderson und solche Vorschläge! Es war phantastisch – wohl ein fauler Witz. Er wußte nicht, was er davon halten sollte.

»Machen Sie sich lustig über mich?« Er schnappte nach Luft. »Wollen Sie mir weismachen, daß Sie ein Verbrecher sind? Oder wollen Sie mich auf die Probe stellen?«

»Keins von beiden, mein Lieber. Sie irren. Mein Vorschlag ist todernst. Vielleicht glauben Sie mir jetzt, wenn ich Ihnen versichere, daß mein ganzes Vermögen aus einem einzigen Zwanzig-Dollar-Schein besteht, und daß der ganze Luxus, den Sie hier sehen, mit gestohlenem Geld bezahlt wurde. Ich habe bisher immer allein gearbeitet, aber deswegen sind mir auch viele gute Sachen durch die Lappen gegangen. Partner hätte ich schon früher haben können, aber es war nie der richtige. Als Sie heute abend herkamen, hatte ich das Gefühl, Sie sind der Mann, den ich brauche und mit dem ich schon nicht mehr rechnete. Ich wollte sicher gehen, und darum stellte ich Sie auf die Probe. Ich habe in der letzten Zeit verfluchtes Pech gehabt und bin total abgebrannt. Natürlich kann ich mir jederzeit ein paar hundert Dollar pumpen, aber das kommt für mich nicht in Frage. Ich kann doch meinen Ruf als reicher Mann nicht aufs Spiel setzen. In erster Linie ist deshalb nie Verdacht auf mich gefallen, weil ich für reich galt. Ich muß viel Geld und rasch Geld haben, Clark. Und Sie sind der Mann, mir dabei zu helfen.«

Clark starrte ihn einen Augenblick fassungslos an und fiel in seinen Sessel zurück, als wenn ihn einer umgeschmissen hätte.

»Wie lange betreiben Sie das Geschäft schon«, fragte er, als er seine Stimme wiederfand. »Ich hielt Sie wie alle Welt für einen reichen Mann!«

»In New York schätzt man die Leute nach ihren Ausgaben. Fünfzigtausend Dollar sind das Einkommen, das bei fünf Prozent Zinsen einem Kapital von einer Million entspricht. Auf diese Weise hält man mich für einen Millionär.«

»Sie wollen sagen«, schrie Clark förmlich, »daß Sie im Jahr fünfzigtausend Dollar zusammengestohlen haben, ohne daß man Sie erwischt hat?«

»So ungefähr. – Ich hab' keine Bücher geführt. Es ist genau so leicht – und manchmal leichter – einen Schmuck im Wert von fünfundzwanzigtausend Dollar zu stehlen wie eine Krawattennadel im Wert von fünfundzwanzig Dollar, vorausgesetzt, daß man in den richtigen Kreisen verkehrt. Sie haben keine Ahnung, wie schlampig manche Leute mit ihren Wertsachen umgehen.«

Clark war noch wie erstarrt über die Ruhe, mit der Sanderson sich als Verbrecher bekannte. Es war unvorstellbar, daß dieser vornehme Mann, der in der besten Gesellschaft verkehrte, wirklich der Verbrecher war, als den er sich selbst darstellte.

»Wollen Sie damit sagen, daß ich die tausend Dollar, die ich für die Kasse brauche, mit Ihnen stehlen soll? Ich fürchte, so komm' ich aus dem Schlamassel nicht heraus, Mr. Sanderson. Sobald die Kasse kontrolliert wird, bin ich verloren. Das kann morgen geschehen, übermorgen – jeden Augenblick. Jedenfalls wahrscheinlich früher, als wir Ihre Pläne verwirklichen können.«

»Warten Sie mal – ich glaube, da seh' ich einen Ausweg. Morgen – oder vielmehr heute – haben wir Sonnabend. Die Banken schließen um zwölf. Ich gebe Ihnen einen Scheck, den Sie bis Montag früh als Kassenbestand betrachten können. Wenn Sie das in Ihren Büchern nicht in Ordnung bringen, taugen Sie nichts als Buchhalter.«

Clark widersprach: »Aber es ist ja keine Deckung da für Ihren Scheck. Und was geschieht Montag?«

»Montag ist eine Sache für sich – bis dahin sind noch volle vierundzwanzig Stunden. Es ist natürlich riskant, aber in vierundzwanzig Stunden kann allerhand passieren, besonders wenn's dringlich ist, daß was passiert. Ich hab' gutes Zutrauen in meine Fähigkeiten und in Ihre Zuverlässigkeit als Helfer. Darauf wollen wir bauen.«

»Sie meinen, noch vor Montag Geld zu kriegen?«

»Etwas, was man sehr rasch zu Geld machen kann. Ihr Anteil wäre mehr als das Doppelte von dem, was Sie hier zu finden hofften, als Sie heute nacht einstiegen.«

»Aber wie?« drängte Clark.

»Das sollen Sie erfahren.« Sanderson sprang auf und holte aus seiner Schreibtischschublade ein Zeitungsblatt. Er machte Clark auf eine unauffällige Notiz in der zweiten Spalte aufmerksam. Clark las:

Julius H. Rittenhouse, ein reicher Fabrikant, hat die berühmten Perlen aus dem Henry-Robertson-Nachlaß erworben, die der verstorbene Besitzer in langen Jahren in der ganzen Welt gesammelt hat. Es heißt, daß Mr. Rittenhouse 75 000 Dollar für die Kette bezahlt hat. Wir erfahren ferner, daß der Schmuck als Geschenk für Mrs. Rittenhouse bestimmt ist anläßlich deren Geburtstag, der auf dem Landsitz der Familie bei Glen Cove, Long Island, gefeiert werden wird.

Clark schaute Sanderson fragend an. Der lächelte, als ob ihm die ungläubige Aufregung des Jüngeren Spaß mache.

»Sie scheinen ein bißchen skeptisch, ob der Fang glücken wird?«

»Mehr als ein bißchen – wenn ich aufrichtig sein soll. Wenn ich daran denke, wie leicht ich heute nacht erwischt wurde, und daß ich ohne Ihre Hilfe geliefert gewesen wäre, können Sie mir meine Skepsis nicht übelnehmen. Es ist doch klar, daß Rittenhouse eine Perlenkette im Wert von fünfundsiebzigtausend Dollar nicht einfach herumliegen läßt. Und sicherlich ist das Haus auch mit Alarmvorrichtungen gegen Einbruch versehen.«

»Alles schön und gut, Clark. Aber ich habe mir schon recht komplizierte Geldschränke von innen angesehen, und die Alarmvorrichtungen brauchen uns beide nicht zu stören. Ich werde nämlich schon vorher im Hause sein.«

»Wie meinen Sie das?«

»In solchen Fällen rentiert sich, was man in seine gesellschaftlichen Beziehungen hineingesteckt hat. Ich werde ganz einfach deswegen im Haus sein, weil ich eine Einladung zu der Weekendgeburtstagsfeier von Mrs. Rittenhouse habe, bei der sie die Robertson-Perlen als Geschenk erhält. Es ist vielleicht nicht besonders geschmackvoll, seine Gastgeber auszuplündern, aber wenn man so verzweifelt Geld braucht wie wir beide, kann man sich's nicht leisten, heikel zu sein. Der alte Rittenhouse hat auch keinerlei Bedenken – er hat sein Geld im Krieg gemacht.«

Barton Clark lachte etwas gezwungen.

»Moralische Erwägungen haben mich nicht bedrückt. Worauf's mir allein ankommt, ist die Frage: werden sie uns auch nicht erwischen?«

Sanderson zuckte die Achseln.

»Nichts Gewisses weiß man nicht. Die Spannung der Ungewißheit macht doch das Leben erst interessant.

Ich will Ihnen jetzt den Plan auseinandersetzen. Und Sie werden selbst sehen, daß es nur aufs Glück im Spiel ankommt.«


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