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Enttäuscht, voll Wut und Verzweiflung starrte Barton Clark auf die höhnische Leere des Geldschranks. Mechanisch schloß er die Tür und ließ den Wandteppich zurückfallen.
»Mir hat mein ›Glück‹ einen schönen Streich gespielt«, sagte er erbittert zu sich selbst. »Ich hätte so was erwarten sollen. Es ging alles viel zu glatt.«
Es gab zwei Möglichkeiten: entweder hatte Sandersons Freund sich anders besonnen und das Geld abgeholt, oder Sanderson war ängstlich gewesen, die große Summe im unverschlossenen Safe aufzubewahren, und hatte das Geld an einen versteckteren und besser gesicherten Platz gebracht. Dann mußten die fünftausend Dollar irgendwo anders in der Wohnung sein, und er würde sie schon noch finden. Clark biß die Zähne zusammen, drehte sich auf dem Absatz und versuchte sich rasch klarzuwerden, welche Stellen als Versteck in Betracht kommen könnten.
Kein warnendes Geräusch war an sein Ohr gedrungen, aber ein unbestimmtes Angstgefühl ließ ihn erschauern. War es Einbildung oder hatte sich der Vorhang zwischen Bibliothek und Speisezimmer bewegt? Er fuhr mit der Hand in die Tasche, umklammerte den Revolver, zog ihn heraus und ließ das Licht auf die Mündung fallen.
»Hände hoch – ich habe auf Sie angelegt – treten Sie vor!« Er war keineswegs sicher, daß sich der Vorhang bewegt hatte, aber er wollte keine Vorsichtsmaßregel versäumen. Im nächsten Augenblick war er sicher. Der Vorhang teilte sich gehorsam. Maxwell Sanderson trat mit erhobenen Händen in den Raum, ein schwaches Lächeln auf den Lippen, ohne jedes Zeichen von Erregung oder Wut. Er war im Abendanzug, nur trug er statt des Smokings den elegantesten seidenen Schlafrock, den Clark je gesehen.
»Es scheint, daß man bei mir einbricht«, sagte er mit einer Stimme, die ruhig, fast gemütlich, klang. »Das erstemal, daß mir so was passiert, trotzdem –«
»Halt's Maul«, brummelte Clark und versuchte den Ton eines Strolchs anzunehmen. Er war sicher, daß Sanderson ihn noch nicht erkannt hatte. »Soll ich dich über den Haufen schießen?«
»Aber keineswegs, mein lieber Herr.«
»Also 'raus mit der Pinke – und 'n bißchen fix.«
»Pinke? Sie meinen wohl die üblichen Wertsachen, die für Einbrecher in Frage kommen. Ich fürchte, Ihr Risiko lohnt nicht die Beute. Geld ist hier nicht zu holen, und was Juwelen angeht, so ist mein persönlicher Geschmack ...«
»Bist wohl verrückt? Quatsch nicht und riskier keine faulen Witze. Los! Ich weiß, daß reichlich Knaster im Haus ist – und ich werd' ihn kriegen.«
Sandersons Gleichmut blieb unverändert. Er zuckte die Achseln und lachte.
»Wenn Sie hier bei mir Geld finden, schenke ich Ihnen die Hälfte. Sie sind in einen leeren Stall gekommen.«
»Ich weiß Bescheid«, antwortete Clark, und blieb in seiner Rolle eines Kerls aus der Verbrecherwelt. »War 'n prima Tip, daß hier was zu holen ist. Verstanden? Das werd' ich mir holen, und vorher wirst du mich nicht los.«
Er ging einen Schritt vor und drückte Sanderson die Revolvermündung auf die Brust. »Also her damit.«
Ohne um Erlaubnis zu bitten, nahm Sanderson nachlässig in einem Sessel Platz, senkte die Arme, ließ aber die Hände, mit denen er die Aufschläge des Schlafrocks faßte, sichtbar. – Der Mann war kaltblütig!
»Sie haben ja schon den Geldschrank untersucht, Verehrtester. Ich stand hinter der Portiere und beobachtete Sie. Hätte ich eine Waffe zur Hand gehabt, es wäre ein leichtes gewesen, Sie von rückwärts abzuschießen. Denken Sie doch selbst nach. Wenn ich das Geld hätte, das Sie hier vermuten, wär' es doch im Safe!«
Clark hielt es nicht für klug, zuzugeben, daß er über den Geldschrank Bescheid wußte, weil der andere sonst seine Identität hätte erraten können. Die Taschentuchmaske verbarg den entschlossenen Ausdruck, den er annahm; aber bevor er weitersprechen konnte, ertönte ein Klingeln in der Wohnung.
»Das Haustelephon«, bemerkte Sanderson und runzelte nachdenklich die Stirn. »Was können die unten um diese Stunde wollen?«
»Finger weg vom Telephon. Laß es läuten. Meinst du vielleicht, ich laß dich 'ran, um denen zu sagen, was los ist? Denk dir was anderes aus –«
»Wirklich ungewöhnlich, sehr ungewöhnlich«, meinte Sanderson.
»Wird der Kies jetzt gutwillig beigeschafft oder nicht?« fragte der andere heiser und hielt Sanderson die Waffe unter die Nase. Der antwortete nicht. Das Telephongeklingel dauerte mit bedrohlicher Beharrlichkeit eine volle Minute lang.
»Oder soll ich dich abknallen?« schloß Clark drohend.
»Sie würden zum Mörder wegen einer Zwanzig-Dollar-Note«, erwiderte Sanderson und zuckte wiederum nur die Achseln. »Und das ist wahrhaftig nicht nötig. Sie finden meine Brieftasche im Schlafzimmer auf der Kommode. Auch die Uhr. Für die können Sie vielleicht fünfzig Dollar kriegen. Sonst gibt's nur Tischsilber, aber das lohnt nicht das Risiko des Wegschleppens.«
»Laß das alberne Geschwätz. Hier sind ein paar tausend Dollar Bargeld zu holen, ich weiß Bescheid. Die hol' ich mir, egal wie.« Er war erstaunt, daß der drohende Revolver auf Sanderson nicht den geringsten Eindruck zu machen schien. Er hätte geradesogut die leere Hand ausstrecken können. Dieser Sanderson konnte verteufelt gut bluffen.
Wieder klingelte es, aber es war ein anderes Läuten als vorher. Sanderson, plötzlich ernst, sprang auf.
»Das ist an der Tür«, sagte er mit gespanntem Ausdruck. »Das gilt Ihnen. Dacht' mir's schon, als das Telephon läutete. Vorhin war ich im Zweifel, jetzt ist die Sache klar. Man hat Sie übers Dach klettern sehen, wie Sie durchs Fenster einstiegen.«
Sandersons Bemerkung und die plötzliche Erregung in seiner Stimme verblüfften Clark. Die Waffe in seiner Hand schwankte, wurde aber gleich wieder ruhig.
»Ein Schritt zur Tür«, zischte er, »und du bist ein toter Mann. Du hast mich verdammt hereinlegen wollen, aber bevor ich mich hochnehmen lasse –«
Mit einer unglaublich raschen Bewegung hatte plötzlich Sandersons Faust den Mann mit der Maske am Handgelenk umklammert. Clark versuchte verzweifelt, den Hahn abzuziehn, aber der ganze Unterarm war von einem rasenden Schmerz völlig gelähmt. Er verstand nicht, wie es möglich gewesen, aber begriff, daß dies Jiu-Jitsu war. Im nächsten Augenblick hatte Sanderson den Revolver. Clark machte einen Versuch, sich zu wehren, wurde aber in einen Sessel geworfen.
»Seien Sie kein Narr, Clark. Jetzt wird die Sache brenzlig. Nehmen Sie doch den verfluchten Lappen vom Gesicht und –«
»Sie – Sie kennen mich?« stotterte Clark. »Sie wissen die ganze Zeit schon –«
»Selbstverständlich – aber jetzt ist keine Zeit zum Fragen.«
Die Türklingel schellte ununterbrochen. »Rasch weg mit dem Lappen. Verstecken Sie Mütze und Gummischuhe. Legen Sie Handschuhe und Hut auf den Tisch. Ich sehe, Sie haben's in der Tasche. Her mit dem Mantel. Und ruhig Blut – liefern Sie sich nicht selbst ans Messer.«
Noch völlig verblüfft, riß Clark sich das Taschentuch vom Gesicht, streifte die Handschuhe ab und stopfte sie in die Tasche. Mütze und Gummischuhe versteckte er hinter dem losen Kissen seines Sessels. Er beobachtete, wie Sanderson den Revolver in einer Schreibtischschublade verschwinden ließ. Also hatte Sanderson ihn erkannt! Warum hatte er diese Komödie gespielt? Und warum schützte er ihn scheinbar? All diese Fragen konnte ihm nur Maxwell Sanderson selbst beantworten.
»Zünden Sie eine Zigarre an«, rief ihm Sanderson leise vom Vorplatz aus zu. »Sieht gemütlicher aus.« Dann verschwand er im Türrahmen und blieb nur stehen, um Clarks Überzieher in einen Schrank zu hängen. Die Nässe des Mantels war zu auffällig.
Einen Augenblick später hatte Sanderson die Tür aufgeschlossen und sah sich einem Schutzmann in Uniform gegenüber. Hinter dem Beamten stand Joe, der Liftmann, dem die Augen fast aus dem schwarzen Negergesicht herausfielen.
»Bitte?« fragte Sanderson schroff.
»Wohnt der Herr hier?« herrschte der Polizist den Liftmann an.
»Ja – jawohl« – stotterte der Neger. »Das ist Mr. Sanderson. Natürlich wohnt er hier. Das ist doch seine Wohnung. Du lieber Gott, Mr. Sanderson, wie ich vergeblich klingelte und klingelte, dachte ich schon, Sie wären tot. O Gott, o Gott!«
Der Polizist schob sich vor.
»Muß leider stören, Mr. Sanderson, aber wir suchen einen Einbrecher.«
»Was?« fragte Sanderson überrascht. »Ein Einbrecher – hier im Haus?«
»Grade hier in Ihrer Wohnung, wenn der Mann von gegenüber uns richtig orientiert hat.«
»Das ist ja komisch«, meinte Sanderson und schüttelte lachend den Kopf. »Ich plaudere hier eben noch mit einem Freund, und keiner von uns hat einen Ton gehört.«
»Anscheinend nicht mal Ihr Telephon«, brummte der Beamte. »Ich ließ den Mann hier unausgesetzt bei Ihnen läuten, und da keine Antwort erfolgte –«
»Also das war das Haustelephon«, lachte Sanderson. »Wie dumm, ich hab's verwechselt. Ich bin an den Stadtapparat gegangen und hab' das arme Telephonfräulein schön beschimpft, wie sie behauptete, es hätte niemand bei mir angeläutet.«
»Und ich hab' schon geglaubt, der Kerl hätte Sie umgebracht, Mr. Sanderson«, sagte Joe.
»Für 'nen toten Mann bin ich ja noch ziemlich lebendig, was? Haben Sie gehört, Clark? Wir sollen hier Verbrecherbesuch haben.«
Barton Clark verstand das Stichwort und kam mit seiner Zigarre gemütlich heraus. »Was für ein Unsinn«, bemerkte er nachlässig.
»Wir wollen uns lieber versichern, daß es wirklich Quatsch ist«, erklärte der Polizist. »Der Mann gegenüber schien ein ganz vernünftiger Kerl zu sein und war seiner Sache sicher. Er lag gerade lesend im Bett, als er ganz deutlich hörte, wie jemand übers Dach ging. Er trat ans Fenster und sah einen Mann in einer Mütze die Feuertreppe an der Hofmauer heruntersteigen. Er tat das einzig Vernünftige und rief sofort den Schwarzen hier an –«
»Und ich rief die Polizei an«, warf Joe ein.
»Wir kamen sofort zu dritt im Auto von der nächsten Wache. Alle Ausgänge sind besetzt – so ist dem Kerl der Rückweg versperrt. Nach dem Telephonanruf konnte Ihr Gegenüber gerade noch beobachten, wie der Mann in der Mütze durchs Fenster in Ihre Wohnung einstieg.«
»Er hat sich total geirrt«, wiederholte Sanderson. »Mr. Clark und ich müßten ihn unbedingt gehört haben. Übrigens sind die Fenster meiner Wohnung immer verschlossen. Darauf halte ich streng.«
»Das beweist nur, daß Sie keine Ahnung haben, Mr. Sanderson, was für gerissene Burschen es unter diesen Einbrechern gibt. Die arbeiten fabelhaft ruhig, und ein Fenster zu durchschneiden, ist denen ein Kinderspiel. Ich denke, es ist besser, wir schauen einmal genau nach, ob sich der Kerl nicht bei Ihnen versteckt hat, als er Stimmen hörte und bemerkte, daß Sie noch auf waren.«
»Wie Sie meinen. Aber ich bin sicher, daß hier ein Irrtum vorliegt. Vielleicht war's ein anderes Hoffenster. Es sind so viele, daß der Mann von gegenüber sich leicht täuschen konnte.«
»Das glaube ich kaum. Er hat sehr genau beobachtet. Jedenfalls schauen wir besser nach. Zeigen Sie mir bitte das Fenster, das nach dem Hof und der Feuertreppe herausgeht.«
»Gern. Das wäre in der Küche. Bitte kommen Sie mit.«
Barton Clark staunte über die Situation. Sanderson hatte ihn auf frischer Tat ertappt, und anstatt ihn der Polizei zu übergeben, machte er die größten Anstrengungen, um ihn zu retten. Er konnte sich die Sache nicht zusammenreimen und war neugierig auf die Erklärung. Vielleicht wollte Sanderson ihn diesmal noch retten, vielleicht sogar ihm die tausend Dollar leihen, um die Unterschlagung zu decken. Jedenfalls war er nicht so unerbittlich in Verurteilung einer unehrenhaften Handlung, wie Clark angenommen.
Der Beamte schickte den Liftmann wieder zu seinem Dienst und folgte Sanderson durch die Bibliothek und das Speisezimmer zur Küche. Clark schlenderte hinterher. Es war ja klar, daß man das Loch in der Fensterscheibe entdecken würde; aber da Sanderson ihn als seinen Gast ausgab, konnte kein Verdacht auf ihn selbst fallen.
»Aha«, stellte der Beamte fest, als er die Gardine zur Seite schob. »Die Sache stimmt. Da hat der Einbrecher gearbeitet, um an den Riegel zu gelangen.« Er zeigte auf einen nassen Fleck auf dem Linoleum, den Clarks Gummischuhe hinterlassen. »Und hier ist er auch tatsächlich eingestiegen.«
»Kaum zu glauben«, rief Sanderson.
»Hier haben Sie den Beweis.« Der Polizist dämpfte die Stimme zu einem heiseren Wispern. »Wie er drin war, hat er Sie mit Ihrem Freund sprechen hören. Ich wette, er hat sich versteckt, um zu warten, bis Sie im Bett wären oder bis Ihr Besuch Sie verließ.«
»Wir müssen genau nachsehen«, meinte Clark.
»Da haben Sie recht«, brummte der Beamte und zog seinen Dienstrevolver.
»Hier muß einer mit der Waffe 'ran. Wenn diese Diebsratten gestellt werden, kommt's ihnen auf einen Kampf nicht an, und bewaffnet sind sie immer.«
Er durchsuchte die Küche. Die kleinen eingebauten Schränke konnten niemand verstecken. Dann öffnete er den Küchenaufzug, die Waffe schußbereit in der Hand. Natürlich fand er nichts.
»Einmal hat sich einer im Küchenaufzug versteckt – da schau' ich in solchen Fällen gern zuerst nach.«
»Vielleicht ist er durch den Aufzug hinuntergeklettert«, meinte Sanderson.
»Zu gefährlich«, antwortete der Polizist. »Der Aufzug kann unmöglich das Gewicht eines Mannes neun Stockwerke hinunterbefördern. Wir verlieren Zeit. Ich will die übrigen Räume durchsuchen.«
Wie Sanderson und Clark im voraus wußten, verlief die Jagd fruchtlos. Der Beamte gab das Rennen erst auf, als er jeden nur denkbaren Winkel durchstöbert hatte, und war sichtlich verärgert über seinen Mißerfolg.
»Ich möcht' verflucht gern wissen, wie der Kerl sich davongemacht hat«, schimpfte er. »Ich und meine beiden Leute waren in fünf Minuten hier, und Ihr Gegenüber hat das Fenster unausgesetzt beobachtet, mit Ausnahme der zwei Minuten, die er telephonierte. Die Sache bleibt unverständlich.«
Die drei Männer standen jetzt in der Bibliothek, und Sanderson bot dem Beamten eine Zigarre an.
»Die Sache scheint mir klar«, lachte er. »Der Kerl hat sich auf dem gleichen Weg davongemacht, auf dem er hereingekommen ist, entweder nach oben oder nach unten. Fünf Minuten ist zwar ein bißchen knapp, aber es reicht grade. Ich hab' Glück gehabt, daß ich noch so spät auf war – dank meinem Freund Clark.«
Der Beamte brummte etwas, und Clark wußte nicht recht, ob er sich's nur einbildete oder ob der Mann ihn wirklich mit forschenden Blicken betrachtete. »Ich kann hier nichts weiter tun. Will noch Dach und Keller absuchen. Im übrigen wird's am besten sein, ein Detektiv stellt fest, ob er keine Fingerabdrücke entdecken kann. Diese Einbrüche werden meist von Gewohnheitseinbrechern unternommen.«
»Aber bitte nicht mehr heut nacht. Ich möchte schlafen –« erklärte Sanderson.
Clark setzte sich in den Sessel, dessen Kissen die verräterische Mütze und die Gummischuhe verbarg, und wartete, bis Sanderson den Beamten herausbegleitet hatte. Dieser höchst merkwürdige Sanderson kam zurück in die Bibliothek, nahm gemütlich dem Amateureinbrecher gegenüber Platz, zündete sich eine Zigarre an und lächelte zynisch.
»Das wäre soweit in Ordnung, mein Lieber. Aber das Einbrechen ist scheinbar doch erheblich gefährlicher, als Sie sich's vorgestellt haben. Trotzdem haben Sie Ihre Sache glänzend gemacht, jedenfalls besser, als ich erwartet hatte.«