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Kapitän Fisher hatte recht prophezeit. Die Fahrt kam zu einem raschen Ende. Als Ruth Vale begriff, daß der Schmuck endgültig verloren sei, verfiel sie in einen hysterischen Wutanfall, den man vorn und achtern hörte. Adam Decker mußte eine wilde Flut von Flüchen und Schimpfworten über sich ergehen lassen, die keineswegs fein und damenhaft waren. Der Ausbruch war erschütternd. Decker hätte dem Schicksal dankbar sein können, das ihn so restlos über die Charaktereigenschaften der ersehnten Gattin aufklärte. Aber er blieb so verblendet, daß er nur noch heftiger nach der Verwirklichung seiner Wünsche verlangte.
»Glückliche Tage« legte in Charleston an, und eine halbe Stunde später war Ruth Vale schon mit ihrem ganzen Gepäck unterwegs nach New York. Sie hatte jedem, ob er's hören wollte oder nicht, erklärt, Decker und sein widerliches Gesicht solle ihr nicht mehr unter die Augen kommen. Auch die Tatsache, daß der Verlust ihres Schmucks durch Versicherung voll gedeckt war, konnte ihre Wut nicht besänftigen.
»Die ist schlau«, meinte Mrs. Tomkinson. »Sie wird die Versicherungssumme kriegen und noch ein Brillantkollier von Decker dazu. Der ganze Krach war doch nur Theater. Die versteht's, einen Mann um die Finger zu wickeln.«
In Charleston wurde die Fahrt abgebrochen, Barton Clark als Funker entlassen und voll ausbezahlt. Da er dort nichts zu tun hatte, kehrte er sofort nach New York zurück. Er fühlte sich ohne Sanderson ganz verloren und wußte nicht, was er mit sich anfangen sollte.
Er hatte reichlich Zeit, sich umzustellen, da ihm von der Rittenhouse-Beute her immer noch einundzwanzigtausend Dollar geblieben waren.
Soviel stand für ihn fest – mit der Verbrecherlaufbahn sollte es ein Ende haben. Die Worte Sandersons vom bitteren Ende kamen ihm nicht aus dem Sinn. Mit eigenen Augen hatte er sich von ihrer Wahrheit überzeugt.– Er hätte ja auf eigene Faust allein weitermachen können, aber er war sich über seine Grenzen klar und wußte, daß er weder schlau noch geistesgegenwärtig genug war, um selbständig zu arbeiten.
Mit zwanzigtausend Dollar würde er sich an einem anständigen Geschäft beteiligen können. Es würde keine Sensationen mehr geben, dafür aber Sicherheit.
In New York angelangt, begab er sich traurig und niedergeschlagen nach Hause. Er war sich nicht darüber klar, was ihn so unwiderstehlich trieb, Sandersons Wohnung aufzusuchen. Vielleicht war's der Gedanke, die Erinnerung an den Freund dort lebendig zu spüren. Er machte sich bald auf den Weg.
Wortlos fuhr der Liftmann den bekannten Besucher auf den neunten Stock. Clark ließ sich selbst ein, wie so oft in den vergangenen Monaten. Hier hatte er Sanderson zum erstenmal gesehen, hier hatte Sanderson die dramatische Einbruchskomödie inszeniert, die dann zur gemeinsamen Arbeit führte.
Sandersons Verschwinden würde ein ungelöstes Rätsel bleiben. Mit der Zeit würde man wohl Nachforschungen anstellen, aber die Wahrheit nie entdecken. Er, Clark, war der einzige, der Bescheid wußte – aber niemals würde ein Wort über seine Lippen kommen.
Clark knipste kein Licht an, nahm im dunklen Zimmer Platz und dachte nach. Hier in diesem vertrauten Raum erschien es ihm unvorstellbar, daß Sanderson nicht mehr am Leben sei. Er spürte förmlich in diesen Räumen die starke Persönlichkeit des Freundes; ja, es war ihm, als schwebe noch der vertraute Zigarrendunst in der Luft.
So deutlich wurde dieser Eindruck, daß er den Kopf hob und schnupperte. War's Einbildung? Nein, es war Zigarrendunst, ein köstliches Aroma, das ihm in die Nase stieg. Und plötzlich –
Ihm gegenüber im Raum sah er ein winziges Glimmen – eine brennende Zigarre. Er sprang auf – ein Schrei entfuhr ihm – narrten ihn seine Sinne? Bevor er den Lichtschalter erreichte, sagte ruhig eine Stimme im dunklen Raum:
»Nicht erschrecken, Barton.«
Seine Stimme! Das gedämpfte Licht durchflutete das Zimmer – da saß im Schlafrock der leibhaftige Sanderson, heiter lächelnd. Aber es war ja nicht möglich – es konnte nicht Wirklichkeit sein! Sanderson war doch bei hohem Seegang zwanzig Meilen von der Küste entfernt ins Wasser gesprungen!
»Machen Sie kein so entsetztes Gesicht, Barton. Sehe ich aus wie ein Gespenst? Gar nichts Schlimmes passiert, mein Lieber – nur ein Schnupfen!«
Clark war sprachlos. Er stand da mit wankenden Knien, glotzenden Augen und verzerrtem Mund. Er begriff, daß es kein Gespenst war, und doch blieb es unfaßbar, daß Sanderson ihm in Fleisch und Bein gegenüberstehe, bis er ihn selbst mit zitternder Hand berührte.
»Sie leben noch! Dem Himmel Dank!«
Sanderson nahm Clarks Hand und hielt sie einen Augenblick fest.
»Vielleicht war ich unnötig grausam, Bart. Aber ich dachte nicht, daß es Sie so tief treffen würde. Ich habe selbst nicht gewußt, wie nah wir einander gekommen sind. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht die volle Wahrheit sagte – aber ich wollte Ihnen Ihre Unbefangenheit nicht nehmen. Sie können Ihr Gesicht nicht beherrschen, und Decker sollte unter keinen Umständen Verdacht auf Sie bekommen.«
»Aber Sie sagten mir doch, daß Sie nicht schwimmen können.«
»Kann ich auch nicht.«
»Sie sind doch zwanzig Meilen und mehr geschwommen!«
»Nein, mein Lieber, ich bin nicht geschwommen – ich bin gepaddelt.«
»Gepaddelt – aber wieso denn? Wollen Sie mir weismachen, Sie wären in einem Boot davon?«
Sanderson erhob sich.
»Ich zeig's Ihnen lieber, als daß ich's Ihnen theoretisch erkläre. Warten Sie einen Augenblick.« Er ging ins Nebenzimmer und brachte ein zerknittertes Bündel aus schwarzem Gummistoff an. »Dieses Ding ist ein sogenannter Rettungsanzug. Während des Kriegs, als für alle Schiffe die Gefahr der Torpedierung bestand, konnten die Passagiere solche Anzüge leihen. Eine ganz einfache Erfindung, ein wasserdichter Anzug, den man über die gewöhnliche Kleidung streift. Selbst die Füße bleiben trocken. Der Rücken ist mit Kork gefüttert wie ein Rettungsgürtel, und man kann unmöglich darin untergehen. Man schwimmt auf dem Rücken und bleibt knochentrocken; nur das Gesicht wird naß. Es gibt sogar eine wasserdichte Mütze, die den Kopf trocken hält. Nur der dichte Nebel hat Sie verhindert, meine ausgestopfte Figur zu bemerken, als ich über Bord sprang. Haben Sie nicht gesehen, daß ich etwas in der Hand hielt?«
»Nein – ich hab' nur gesehen, daß Sie absprangen.«
»Hier ist das Ding, das ich in der Hand hatte.« Sanderson zeigte ein zusammenlegbares Ruder zum Paddeln. Man konnte es leicht in einem Handkoffer unterbringen.
Er fuhr in seiner Erklärung fort. »Ich trieb, leicht wie ein Kork, auf dem Rücken und brauchte nur das Paddelruder zu benützen, mit dem ich ganz gut vorwärtskam. Natürlich bestand die Gefahr –«
»Haifische!«
»An die hab' ich nicht gedacht, bevor ich absprang. Aber ich will Ihnen gestehen, daß mir nachher bei dem Gedanken kalter Schweiß ausbrach. Trotzdem blieb die schlimmste Gefahr, durch den Wellenschlag an felsigem Ufer zerschmettert zu werden. Es war schließlich ziemlich bewegte See.«
Er machte eine Pause und fuhr dann fort:
»Sieben Stunden habe ich für die zwanzig Meilen gebraucht, und nie sind mir sieben Stunden so lang geworden. Ich hatte Glück und kam an sandigem Strand, vier Meilen von einem Ort entfernt, ans Land.«
»Aber daß Sie nicht die Richtung verloren haben!«
»Ich hatte einen Kompaß am Handgelenk in Form einer Armbanduhr. Der Kompaß war wasserdicht und hatte ein leuchtendes Zifferblatt. Sonst hätte ich keine Ahnung von der Himmelsrichtung gehabt.«
»Und Sie haben sich nicht zu Tod gefroren in dem eisigen Wasser?«
»Durchaus nicht. Unter dem undurchlässigen Gummianzug entwickelt sich viel Wärme, und beim Paddeln wurde mir verflucht heiß. Als ich an Land kam, brauchte ich nur diesen Gummianzug abzustreifen und stand vollständig bekleidet und trocken da. Ich hatte noch einen Mantel mit – außer dem, den ich an Deck zur Täuschung zurückließ. Eine Mütze, und eine Tasche, um den Gummianzug drin unterzubringen, hatte ich eingesteckt. Ich ging zu Fuß zum nächsten Ort, schlief zehn volle Stunden und fuhr mit der Bahn nach New York.«
»Ihr Haar hat ja wieder seine alte Farbe!«
»Ich hab's so färben lassen, Bart. Das war das erste, was ich in New York machen ließ. Sie sind jetzt wohl im Bild. Mr. Prather, der Übeltäter, ist offiziell tot, und Sanderson ist außer Gefahr und Verdacht. Wollen Sie unsere Belohnung sehen?« Er wartete Clarks Antwort nicht ab und holte aus dem eingemauerten Safe einen Lederbeutel, den er mit großer Geste entleerte. Vor ihnen funkelten und glitzerten in lebendigstem Feuer die Brillanten der Ruth Vale. »Fünfzigtausend Dollar für jeden von uns, Bart. Ist schon ein Risiko wert, was?«
»Nein! Alle Brillanten der Welt sind's nicht wert. Sanderson, wir wollen das Spiel aufgeben, bevor es bös ausgeht für uns. Sie haben selbst gesagt, daß es immer zuletzt ein schlechtes Ende nimmt.«
Maxwell Sanderson spielte mit dem Brillantenhalsband. Noch bevor er antworten konnte, klingelte das Telephon.
»Einen Augenblick, Barton, ich will antworten.« Kurz darauf kam er völlig verwandelt aus der Bibliothek zurück. Noch nie hatte Clark den Freund mit einem Ausdruck so nervöser Spannung gesehen.
Mit fiebriger Hand raffte er die Beute zusammen. »Decker – Decker war am Apparat. Er ist unten. Er will mich sofort sprechen.«
Clark erbleichte.
»Dann hat er Verdacht –«
»Keine Ahnung, was er will, Barton. Schlimmes Zeichen jedenfalls – aber eines steht fest: er kann nichts wissen.«
»Sie werden ihn doch nicht empfangen, hier, wo die Sachen sind?«
»Doch, ich bat ihn zu mir. Ich muß ihn bluffen. Ohne polizeiliche Genehmigung kann er keine Haussuchung veranstalten!«
»Aber wenn er mich hier fände?«
»Schnell ins Nebenzimmer. Wenn ich Sie brauche, rufe ich. Wenn's wirklich zum Schlimmsten kommt – wenn er etwa Bescheid wissen sollte – ein toter Mann kann nicht mehr aussagen – ich hoffe, es kommt nicht dahin – aber wenn's nicht anders ist – hier, stecken Sie das Zeug ein –«
In diesem Augenblick klingelte es an der Wohnungstür. Barton Clark stopfte den Lederbeutel in die Tasche und verschwand im Nebenzimmer.