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Neunzehntes Kapitel

Sanderson hatte sofort seine harmlos ungezwungene Haltung wiedergewonnen. Er zündete sich eine frische Zigarre an, bevor er den unwillkommenen Besucher, dessen Erscheinen nichts Gutes bedeuten konnte, einließ: die Hand, die das Streichholz hielt, war vollkommen ruhig. Seine außerordentliche Selbstbeherrschung ließ ihn auch jetzt nicht im Stich.

Er trug eine kühle Höflichkeit zur Schau, als er die Tür öffnete. »Welche Überraschung, Mr. Decker. Wenn ich mich recht erinnere, das erstemal, daß Sie sich zu mir unter mein bescheidenes Dach bemühen.«

»Gewiß eine Überraschung – kann ich mir denken«, erwiderte Decker mit schlecht verhehlter Ironie. Er war allein. Die beiden Männer standen einander gegenüber und maßen sich mit den Blicken.

»Darf ich nach dem Anlaß Ihres Besuches fragen –?«

»Aber Sie wissen doch Bescheid, Sanderson. Wenn Sie auch Ihr undurchdringlichstes Gesicht aufsetzen – Sie wissen genau, warum ich komme.«

»Hören Sie mal, Decker, ich hab' Sie nicht aufgefordert, hier zu erscheinen, und dieser Ton paßt mir ganz einfach nicht –«

»Kann ich mir denken – aber ich bin nun einmal hier, Sie schlauer Fuchs. Keine Ahnung, wie Sie's fertiggebracht, aber daß Sie's gewesen sind, weiß ich so gut wie sicher. Verstehen Sie – so gut wie sicher!«

»Decker, ich glaube, Sie sind übergeschnappt. Wovon reden Sie denn überhaupt?«

Decker lachte höhnisch.

»Donnerwetter, Sanderson, Sie haben gute Nerven. Das muß man Ihnen lassen – Sie haben Schneid.«

»Soll wohl ein Kompliment sein, Decker. Aber anstatt hier in Rätseln zu reden, kommen Sie wohl jetzt zur Sache.«

Der andere ging ungefragt ins Zimmer und nahm Platz. Seine Blicke musterten einen Augenblick den Raum und richteten sich dann wieder auf das völlig beherrschte Gesicht Sandersons.

»Hm, Mr. Prather, ich würde was drum geben, zu wissen, wie Sie an Land gekommen sind.«

Sandersons Ausdruck verfinsterte sich.

»Sie sind verrückt oder betrunken, Decker. Wovon reden Sie eigentlich?«

»Hören Sie, Sanderson, Sie sind durchschaut – aber geben Sie die Sachen zurück, und ich lass' Sie laufen.«

»Der Kerl ist verrückt – total verrückt«, sagte Sanderson wie zu sich selbst mit einer entsprechenden Handbewegung.

»Da haben wir's«, schrie Decker. »Hier ist der Beweis – der klare Beweis für mich. Sie möchten wohl wissen, wie ich Ihnen auf die Schliche gekommen bin? Schön, sollen Sie erfahren. Ihre Hände und Ihre Handbewegungen haben Sie verraten!

Irgend etwas an dem Mr. Prather blieb mir rätselhaft – irgend etwas, das mir bekannt vorkam und das ich mir doch nicht zusammenreimen konnte. Erst diese Nacht ist mir's klargeworden. Es waren Ihre Hände – verschieden von allen Händen der Welt. Schon bevor Sie Miss Vale bestahlen, hab' ich Sie an Bord beobachtet. Nach dem Diebstahl hab' ich Sie noch schärfer ins Auge gefaßt, und endlich, in der vergangenen Nacht, wurde mir der Zusammenhang klar – die Hände! Sandersons Hände, dachte ich mir. Nicht Sandersons Gesicht – aber Sandersons Hände. Und dann fiel mir ein –« er feixte verständnisvoll – »damals, wie die Rittenhouse-Perlen verschwanden, war Sanderson auch dabei. Prather und Sanderson sind identisch!«

»Verstehe ich recht, so halten Sie mich für einen Dieb?« Sanderson fragte es mit solch eisiger Ruhe, daß Decker zusammenfuhr.

»Lassen Sie doch das Bluffen, Sanderson. Sie sind durchschaut. Ich hätt' es selbst nicht geglaubt, wenn Sie nicht an Land gekommen wären. Wer das fertigbringt, bringt alles fertig – auch sein Gesicht zu wechseln. Aber Ihre Hände können Sie nicht maskieren. Sie haben Jerry Townsend entführt und eingesperrt. Haben den Brief gefälscht und sind an Bord meiner Jacht erschienen; dann haben Sie mir den Brief wieder aus der Tasche gestohlen, damit wir die gefälschte Schrift nicht entdecken sollten; Sie haben den Brand inszeniert, während des Durcheinanders die Juwelen gestohlen und sind über Bord gesprungen, als das Boot zwanzig Meilen von der Küste fort war. Das ist der rätselhafte Schluß der Geschichte, den ich nicht verstehen kann.«

»Ich denke«, sagte Sanderson sarkastisch, »kein Mensch versteht diese Rätsel. Ist ja auch ganz unmöglich. Decker – bevor ich Sie beim Kragen nehme und hinauswerfe, will ich Ihnen mal was sagen: Sie sind einfach wahnsinnig – und wenn mir je zu Ohren kommt, daß Sie diese blöde Geschichte herumerzählen, werde ich Sie wegen Verleumdung verklagen.«

Sandersons Bluff war glänzend gewesen, und Decker stutzte für einen Augenblick. Aber dann betrachtete er Sandersons unvergleichliche Hände und faßte sich sofort wieder.

»Damit werden Sie bei Gericht aber weit kommen, was? Beweisen Sie mal erst, wo Sie sich denn aufgehalten haben während der Fahrt von ›Glückliche Tage‹!«

»Bilden Sie sich ein, ich würde mich überhaupt gegen Ihre lächerlichen Anschuldigungen verteidigen? Aber das machen Sie sich klar, Decker, wenn mir je zu Ohren kommt, daß Sie diesen Unsinn herumerzählen, dann sollen Sie allerdings mein Alibi erfahren.«

»Ich hab' mir sagen lassen, ein gutes Alibi sei für einen gerissenen Verbrecher die einfachste Sache der Welt.«

»Sehen Sie sich vor, Decker! Sie haben sich schon reichlich um Kopf und Kragen geredet. Ich tu' mein Bestes, mich im Zaum zu halten. Aber ich warne Sie – reizen Sie mich nicht allzusehr. Und nun machen Sie, daß Sie fortkommen, bevor ich Sie hinauswerfe!«

Adam Decker begriff, daß jeder Versuch, Sanderson aus der Fassung zu bringen, völlig vergeblich war. Jetzt wollte er es anders und diplomatischer anfangen.

»Hören Sie, Sanderson, ich schlage Ihnen einen Vergleich vor. Wenn Miss Vales Schmuck innerhalb der nächsten sechs Stunden in meinen Händen ist, werde ich nicht zur Polizei gehen. Schließlich geht mich die Geschichte mit den Rittenhouse-Perlen nichts an. Aber Sie wissen wohl Bescheid über meine Beziehungen zu Miss Vale. Ich hab' ihr versprochen, die Juwelen wieder herbeizuschaffen. Keine Sorge – ich verlange gar nicht, daß Sie mir den Schmuck persönlich übergeben. Sie sollen nur dafür sorgen, daß er in sechs Stunden in meinen Händen ist – und ich werde nichts bei der Polizei unternehmen.«

Maxwell Sanderson hatte nur ein höhnisches Lachen.

»Aber Sie waren ja längst bei der Polizei! Da kommen Sie ja her und sind mit Ihren Märchen nur ausgelacht worden. Die haben Sie mit Ihrem hirnverbrannten Unsinn zum Teufel geschickt. War's vielleicht nicht so?«

Adam Deckers Ausdruck bewies, daß Sanderson den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Einen Augenblick war er völlig verdattert – dann sprang er auf und brachte sein Gesicht ganz dicht an das des anderen.

»Schön – mag sein, daß ich bei der Polizei war – mag sein, daß sie mich ausgelacht haben. Aber ich weiß, was ich weiß. Wenn die Brillanten von Miss Vale nicht vor morgen früh in meinen Händen sind, werde ich mir den besten Privatdetektiv von ganz New York nehmen. Und gleich für ein ganzes Jahr, und werd' ihn auf Ihre Spur hetzen, Tag und Nacht, bis ich Sie entlarve. Haben Sie verstanden?«

»Ganz genau, Decker.« Sanderson hatte nur ein Achselzucken. »Wie's Ihnen paßt. Geben Sie Ihr Geld bis zum letzten Dollar an die Detektive – mir ist's gleich. Aber wenn Sie Ihre schmutzige Geschichte herumreden, wenn Sie nur eine Silbe davon verlauten lassen, bring' ich Sie ins Gefängnis. Einem den ehrlichen Namen stehlen, ist ebenso Diebstahl, als wenn man sich an anderem Eigentum vergreift.«

»Ihr ehrlicher Name!« Decker tobte. »Sie – Verbrecher Sie!«

Er ging auf die Tür zu.

»Einen Augenblick«, sagte Sanderson eisig, und der andere blieb stehen. »Ich versprach, Sie hinauszuwerfen, und das soll geschehen.« Er packte Adam Decker, der sich verzweifelt wehrte, am Kragen, schob ihn vor sich her durchs Zimmer, öffnete die Wohnungstür und warf ihn in hohem Bogen auf den Vorplatz.

Bleich und zitternd kam Clark aus seinem Versteck in die Bibliothek zurück.

»Ich hab' alles gehört, Sanderson. Jedes Wort. Das hätten Sie nicht machen sollen.«

»Was nicht, Bart?«

»Ihn regelrecht hinausschmeißen. Das wird seine Rachsucht nur steigern.«

»Unsinn! So oder so – der ist rachsüchtig genug. Und so bringt ihn vielleicht doch meine Haltung gekränkter Unschuld zur Überzeugung, daß er sich irrt.«

»Sie wollen seinen Vorschlag nicht annehmen?«

»Hunderttausend Dollar wieder 'rausrücken, für die ich mein Leben aufs Spiel gesetzt hab'? Nein, mein Lieber, ich denke nicht daran. Damit beweise ich ihm nur, daß ich Prather gewesen. So wie die Dinge liegen, ist das vorläufig eine fixe Idee, die er sich in den Kopf gesetzt und die ihm kein Mensch glaubt.«

»Aber er wird seine Drohungen wahr machen, wird uns Detektive an die Fersen heften. Wir haben uns einen verflucht gefährlichen Feind gemacht, Sanderson. Der gibt keine Ruhe, bis er Sie geklappt hat.«

Sanderson gab keine Antwort. Er betrachtete seine Hände.

»Man kann so schlau sein, wie man will – es gibt immer Grenzen. Hier, an diesen Händen, hat er mich erkannt. Seit heute weiß ich erst, Barton, daß Hände ihr eigenes Leben haben. – Orientieren Sie sich über die abgehenden Dampfer, und sagen Sie mir, wann ich nach Le Havre abreisen kann. Wir können drüben überm Teich einen besseren Preis erzielen.«


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