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An Friedrich von Preen

Basel, 2. Juli 1892

Nicht ohne die selbstsüchtige Absicht, wieder ein erwünschtes Lebenszeichen von Ihnen zu bekommen, greife ich zur Feder. Es ist heute ohnehin ein Tag boni ominis, mein Doktor hat mich heut früh, wie das vor den Ferien Brauch ist, umständlich untersucht und mir eine für das fünfundsiebzigste Lebensjahr leidlich gute Nota erteilt. Sodann muß ich doch zu rechter Zeit melden, daß ich anfangs September meine Wohnung verändern und nach dem Äschengraben ziehen werde, wovon Ihnen tempore suo noch besondere Anzeige gemacht werden soll. Sie denken vielleicht, Ihr greiser Freund hätte nach sechsundzwanzig Jahren Aufenthalt in der alten Wohnung auch noch den Rest seines Daseins in dieser Höhle zubringen können; allein meine Verwandten redeten mir zu, es sei jetzt hohe Zeit, eigene Haushaltung anzufangen, und für eine richtige Perpetua werde man mir sorgen, und so entschloß ich mich denn, freue mich auch im stillen Herzen, endlich einmal gewisse Dinge nach eigenem Geschmack anordnen zu können, anstatt dem geheiligten Schlendrian zu gehorchen. Ich weiß nur nicht, wovor mir beim Umzug am meisten graut: wegen meines Hausrates? oder wegen meiner Bücher- und Photographiensammlung?

Unser Semester geht tatsächlich in vierzehn Tagen zu Ende; ich gehe dann zunächst wieder nach Aargau-Baden, werde aber nicht mehr wie die letzten Jahre täglich fünfzig Minuten im Zementkasten sitzen, sondern nur dreißig Minuten, nach heutiger Weisung des Doktors; immerhin gedenke ich jedesmal im Bad den ›edlen‹ ›Figaro‹ zu lesen, woneben mich noch ein Freund in Mailand täglich mit ›Corriere, Secolo, Guerrino, Italietta‹ usw. abwechselnd zu versorgen pflegt. Da ich allgemach manche Blicke in den italienischen Jammer, in diesen allgemeinen Streberfraß habe tun können, verstehe ich jetzt diese Lektüre.

Unser hiesiges Dasein steht augenblicklich ganz unter dem Zeichen eines der sinnlosesten Riesenfeste, welches heut über acht Tage beginnen soll: die Verherrlichung des Jahres 1392, da Groß- und Klein-Basel eine Stadt wurden. Das Fest wäre würdig, vom seligen Gotti Bischoff ersonnen zu sein, und sein Schatten im Hades rumort jetzt ohne Zweifel sehr, weil er nicht dabei sein kann. Ich für meine Person habe natürlich einen Altersdispens und brauche nicht dabei zu sein, und wenn nur der ganze pathetische Schwindel glücklich vorübergeht, bin ich völlig zufrieden. Alles ist mit größtem Aufwand vorbereitet, und sehr angesehene hiesige Leute sind seit Wochen von früh bis spät damit in Anspruch genommen. Nachher wird die hiesige Welt matt wie Fliegen sein, und dann ist wieder mit den Leuten zu reden.

Über dieser ›Feststimmung‹ haben wir hier die Bismarckwoche fast gänzlich zu verfolgen verabsäumt. Heute lese ich die neueste Äußerung des großen Mannes über die Ungnade, in die er beim Kaiser gefallen: »Der Kaiser ist ja nicht bei mir in Ungnade gefallen!« und das möchte wohl das Stärkste sein, das nicht mehr wird können überboten werden. Ich schlug im ›Rheinländischen Hausfreund‹ die Geschichte von ›Seinesgleichen‹ nach und las, wie folgt: ›Der Wirt aber, der bisher ruhig am Ofen stand, trat hervor und sagte: Jetzt, Zirkelschmied, reist!‹ – und ein kleiner Abstecher, etwa nach England, wo er bereits (laut ›Figaro‹) seine Papiere liegen hat, möchte dem Herrn bald zu raten sein.


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