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An Emanuel Geibel

Basel, 10. Oktober 1863

Lieber Freund! Schon für die Zusendung der fünf Bücher französischer Lyrik hätte ich Dir danken sollen, würde Dir auch gerne mein Buch ›Kultur der Renaissance‹ geschickt haben, wenn nicht alle meine Freiexemplare längst wären verschossen gewesen; nun erhalte ich Dein ›Münchner Liederbuch‹ und habe wieder Freiexemplare meines Buches, mag aber keines mehr abschicken, dieweil ich das Buch gänzlich überlebt habe und mich seiner Unzulänglichkeit auf alle Weise schäme. Wenn Du aber partout eins willst, so melde Dich ...

Ich meinerseits habe seit acht Jahren stricto sensu keinen Vers gemacht, habe weiße Haare, die ich ganz kurz als Bürste trage, und bin ganz verträglichen Gemütes. Es ist mir ganz recht, wenn alles bleibt, wie es ist. Meine Stellung ist gut und ehrenvoll, mehr als ich (ungelogen) verdiene; ich habe einen angenehmen Schuldienst (bloß sieben Stunden die Woche Geschichte) und als Professor das, was man in unserem Erdwinkel volle Kollegien nennt (fünfundzwanzig bis dreißig Zuhörer); außerdem lese ich alle paar Winter vor gemischtem Publico. Auch auf solche Zeiten suche ich mich zu fassen, da ich außer Mode kommen und in den Schatten gestellt sein werde. Solange ich gut zu Fuß bin und meine vortrefflichen Augen behalte, werde ich mich mit Lektüre und mit Wanderungen durch unsere bescheiden schöne, mir stets neue Gegend leidlich durch das Leben bringen. (Wir haben jetzt in Vorder-Alamannien ganz paradiesisch schöne Tage mit warmen Regennächten dazwischen; der Wein gerät höchst massenhaft und auch in der Qualität gut.) Bücher lasse ich keine mehr drucken, da ich die Zeit für die Vorlesungen besser angewandt glaube, das heißt, ich rede von mir und meinen Verhältnissen und nicht von andern Leuten. Was mir fehlt, wäre etwa der Umgang mit einem Menschen von Phantasie, der dabei doch kein unbequemer Hansnarr wäre. Leute von Geist, mit welchen man ein vernünftiges Wort reden kann, gibt es Gott sei Dank schon, aber so wenige, die die Welt zugleich als äußeres Bild fassen; ich glaube, sie sind in allen Zonen rar. – An die Gefahren, welche unser Leben von allen Seiten umgeben, denke ich möglichst wenig, gemäß unserem Prinzip von Anno damals, Du entsinnst Dich schon. Ich glaube nicht, daß man durch beharrliches Starren ins Chaos weiser und besser wird. Die fünf Bretter, welche meinen Katheder ausmachen, haben wenigstens das für sich, daß ich weder großdeutsch noch kleindeutsch, weder etc. noch etc. zu predigen brauche, sondern auf alle Manieren meine Meinung sagen kann.

Von Heyse weiß ich seit langer Zeit gar nichts, als was ich durch einen Brief Ribbecks im Juli erfuhr; wenn Du ihn siehst, so grüße ihn bestens. – Reisest Du gar nicht mehr? Es sollte Dir hierzulande schon gefallen, und mein Semester beginnt erst im November! Denn brieflich kann und mag ich mich gar nicht mehr mitteilen, so gerne ich auch Lebenszeichen von andern in Empfang nehme. Schwatzen aber möchte ich für mein Leben gern, wie 1856 in München.

Nun meinen herzlichen Dank für den tatsächlichen Beweis, daß Du meiner noch eingedenk bist, und Lebewohl von Deinem alten

J. Burckhardt


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