Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.


Ich erreichte ohne Schwierigkeit das andere Ufer, aber der Felsen war unersteigbar. Ich schwamm in der Hoffnung, einen Vorsprung oder eine Einbiegung zu erreichen, wo ich wenigstens meine matten Glieder ausruhen, um, wenn es nöthig war, wieder über den Fluß zu schwimmen, und hierzu neuen Muth und Kraft sammeln konnte, am Rande hin. Ich erwartete, daß das Wasser bald seicht werden, oder daß mir der Felsen einen Ruhepunkt für meine Füße bieten würde. Diese doppelte Hoffnung wurde getäuscht.

Es giebt Niemanden, dem ich eine Ueberlegenheit im Schwimmen einräumen würde, aber meine Kraft hatte, wie die anderer menschlicher Wesen, ihre Grenzen. Meine vorausgegangenen Anstrengungen waren sehr groß gewesen und meine durch die Nässe schwer gewordenen Kleidungsstücke hinderten und verzögerten meine Bewegungen in hohem Grade. Ich hatte daran gedacht, mich dieser Hindernisse zu entledigen, aber ich sah die Schwierigkeit voraus, vollständig nackt durch diese Gegend zu wandern, und war daher bereit, sie auf jede Gefahr hin zu behalten. Ich fuhr fort, gegen die Strömung zu kämpfen und die Möglichkeit zum Erklettern der Felswand zu suchen. Mein Suchen blieb fruchtlos und ich fing an, an das Zurückschwimmen über den Fluß zu denken.

Mein Schicksal hat gewiß nie seines Gleichen gehabt. Wo sollten diese Folgen von Mühseligkeiten und Gefahren endigen? Kaum war ich einer Gefahr entgangen, so drohte mir schon wieder eine neue. Ich war aus der furchtbaren Finsterniß im Schooße der Erde nur hervorgegangen, um die höchsten Qualen des Hungers zu erdulden und auf die Tatzen eines wilden Thieres zu treffen – von diesen wurde ich errettet, nur um unter Wilde zu gerathen, um einen endlosen, hoffnungslosen Kampf mit Meistern im Morden zu führen – die darnach verlangten, sich an meinem Fleische zu sättigen und mein Herzblut zu trinken – von diesen wurde ich gleichfalls befreit, aber blos um in der Tiefe des Flusses umzukommen, um an einem unbesuchten Ufer umherzuschwimmen, oder weit weg aus dem Bereiche der Neugier oder des Mitleids gespült zu werden.

Früher war das Wasser nicht allein der Schauplatz meiner Vergnügungen, sondern auch mein Sopha und mein Bett gewesen; ich konnte stundenlang, fast ohne die geringste Bewegung aufzubieten, auf seiner Fläche umherschwimmen und mich an seiner köstlichen Kühle freuen. Es war ein Element, das sich eben so gut für die Ruhe, wie für die Bewegung eignete, aber jetzt schien der elastische Geist entflohen zu sein – meine Muskeln waren zusammengeschrumpft; die Luft und das Wasser hatten eine gleiche eisige Kälte und es bedurfte meiner kräftigsten Anstrengungen, um mich auf der Oberfläche zu erhalten.

Anfangs hatte ich mich mit meiner gewohnten Leichtigkeit und Schnelligkeit vorwärts bewegt, aber meine Kräfte waren bald erschöpft. Mein Keuchen und meine Anstrengungen nahmen zu und ich sah, daß es unmöglich sei, wieder über den Fluß zu gelangen. Ich mußte daher fortfahren, eine zugängliche Stelle an dem Ufer zu suchen, an welchem ich entlang schwamm.

Jeder Augenblick verminderte meine Kraft und ich mußte festen Fuß fassen, ehe noch eine Minute verflossen war. Ich fuhr fort zu schwimmen, das Ufer zu beobachten und erfolglose Versuche zum Festhalten an demselben zu machen. Die Pflanzen, welche daran wuchsen, hielten mich nicht, und die Fragmente, welche mich einen Augenblick mit Hoffnung erfüllten, zerbröckelten, sobald ich sie berührte.

Endlich bemerkte ich eine Fichte, welche in einem Spalt am Wasser Wurzel geschlagen hatte; der Stamm, sowie jeder Theil der Wurzel war außer meinem Bereiche, aber ich hoffte, den am tiefsten hängenden Ast erfassen zu können, damit er mich, nachdem ich ihn erfaßt hatte, in den Stand setzen werde, den Stamm zu erreichen und so dem Tode zu entgehen, der auf keine andere Weise zu vermeiden war.

Der Versuch war mühsam. Wenn ich ihn gemacht hätte, sobald der Ast das Ufer erreicht hätte, so würde es keine Schwierigkeit geboten haben, daß ich mich jetzt aber einige Fuß über die Oberfläche des Wassers werfen sollte, konnte von Jemandem, dessen ganze Kraft erforderlich zu sein schien, sich vor dem Untersinken zu bewahren, kaum erwirkt werden. Aber so schwierig dieses Unternehmen auch war, so wurde es doch versucht und vollbracht. Die Zweige waren zu meinem Glücke stark genug, um meine Last zu tragen, bis ich andere Aeste erreicht hatte und endlich bis zum Stamme gekommen war.

Diese Gefahr war jetzt vorüber, aber ich gab der Ueberzeugung Raum, daß ich noch andere, nicht weniger große zu bestehen habe und daß mein endliches Schicksal der Tod sei. Ich blickte nach oben – erneute Anstrengung setzte mich vielleicht in den Stand, den Gipfel dieser Felswand zu erreichen, aber auf diese Art konnte ich möglicherweise nur in die Lage versetzt werden, aus welcher ich eben befreit worden war. Es kam wenig darauf an, ob der Ort meiner Gefangenschaft ein nicht zu durchbrechender Körper oder eine Felswand war, von welcher ich nicht herabsteigen konnte.

Der Fluß trennte mich allerdings von einer ebenen, sicheren Straße, aber ich erinnerte mich meiner letzten Gefahr nur, um über den Gedanken, mich ihr zum zweiten Male auszusetzen, indem ich versuchte, hinüber zu schwimmen, zum Schaudern gebracht zu werden. Ich erröthe bei dem Gedanken an diese Feigheit – sie war wenig verwandt mit dem Muthe, den ich vor kurzer Zeit bewiesen hatte; sie war in der That meinem Herzen fremd und wurde schnell durch Beharrlichkeit und Unerschrockenheit verdrängt.

Ich stieg den Berg hinauf; mein Weg führte von einer Wurzel zur andern und von einem Zweige zum andern. Er wurde vollbracht und ich setzte mich nieder, um über künftige Heimsuchungen nachzudenken. Auf dieser Seite des Flusses, die rauh und unfruchtbar war, lag keine Straße und die Ansiedelungen waren spärlich auf derselben zerstreut; die Erreichung einer solchen war jetzt das Ziel meiner Wünsche. Ich hatte das Verlangen, Solebury vor dem Morgen zu erreichen, nicht aufgegeben, aber meine nassen Kleider und die Kälte der Nacht schienen mich der Kraft beraubt zu haben.

Ich ging auf dieser Anhöhe weiter und behielt dabei den Fluß zur Rechten; ihre Erhebungen und Senkungen waren keineswegs beschwerlich und ich wurde bei meinen Mühseligkeiten dadurch ermuthigt, daß ich bemerkte, wie mich jede Meile der Wohnung meines Onkels näher brachte. Ich sah mich mittlerweile nach Zeichen des Bewohntseins um, diese zeigten sich endlich – auf einer wilden Haide, über welche der Octoberwind brauste und die spärlich mit den dünnen Stengeln wohlriechender Kräuter und den kahlen Köpfen des saftlosen Wallkrautes bedeckt war, folgte ein eingezäuntes Feld und ein Kornfeimen. Ich suchte eifrig nach der Wohnung, zu welcher diese gehörten.

Es wunderte mich nicht, daß alle Stimmen schwiegen und keine Lichter brannten, denn es war die Stunde der Ruhe. Nachdem ich ein Vordach an dem Hause erreicht hatte, blieb ich stehen; ich überlegte, ob ich um diese Zeit um Einlaß klopfen, die freundlichen Bewohner erschrecken und ihnen die Ruhe rauben sollte, welche ihre täglichen Anstrengungen und ihre ländliche Unschuld so süß gemacht hatten, oder ob es gerathener sei, mich zu dem Obdach zurückzuziehen, welches ein Heufeimen oder eine Scheune bieten konnte.

Ich blickte inzwischen an dem Hause auf; es war ein Muster von Reinlichkeit und Behaglichkeit; es bestand aus Holz, aber die Materialien waren sowohl mit dem Hobel wie mit der Axt und Säge bearbeitet worden. Es war weiß angestrichen und die Fenster hatten nicht allein Läden, sondern auch gegen den Gebrauch Glasscheiben. In den meisten Fällen ist die Oeffnung, wo Glas sein soll, mit einem alten Hute oder Unterrocke ausgestopft. Die Thür war nicht allein überall ganz, sondern war auch mit Schnitzereien und einem Giebel verziert. Aus diesen Zeichen schloß ich, daß dies nicht allein die Wohnung ländlicher Wohlhabenheit und Unschuld, sondern eines durch Bildung und Vermögen über die ländliche Mittelmäßigkeit erhabenen Bauers sei.

Es schien mir, als ob ich auf eine Verwandtschaft mit solchen Wesen Anspruch machen könnte. Wenn ich ihre Wohlthätigkeit und Freundlichkeit nicht in Anspruch nahm, so hieß dies ebensowohl eine Verletzung beibringen wie erhalten; die Mühe, einem so verlassenen Unglücklichen, wie ich war, ein Obdach, Wärme und gesunde Nahrung zu gewähren, mußte von ihnen eifrig aufgesucht werden.

Aber ich wollte sie dennoch nicht gern stören; ich dachte daran, daß ich vielleicht in ihre Küche kommen und Alles, was meine Bedürfnisse forderten, erlangen könnte, ohne ihren Schlummer zu stören. Ich brauchte nichts wie die Wärme, welche mir ihr Küchenheerd gewähren würde; wenn ich mich auf die Steine ausstreckte, konnte ich meine Kleider trocknen und vielleicht ein wenig ungestörten Schlaf genießen. Ich glaubte trotz meiner düstern Ahnungen und der gräßlichen Erinnerungen an das, was ich vollbracht und erduldet hatte, daß die Natur mir einen kurzen Stillstand meiner Sorgen gewähren würde.

Ich ging zu der Thüre des Raumes, der die Küche zu bilden schien – die Thür stand weit offen. Dieser Umstand bedeutete Böses; obgleich es nicht gewöhnlich ist, sie zu verschließen oder zu verriegeln, so ist es doch noch weniger gebräuchlich, die Eingänge ungeschlossen zu lassen. Ich trat mit vorsichtigen Schritten ein und sah genug zur Bestätigung meiner Befürchtungen. Mitten auf der Diele lagen mehrere Stücke halbverbranntes Holz. Sie schienen unzweifelhaft in der Absicht, das ganze Gebäude in Flammen zu setzen, von dem Herde hierher gebracht worden zu sein.

Das Feuer hatte auf der Diele einige Fortschritte gemacht, war aber zur rechten Zeit durch Wasser gelöscht worden, welches man mit einem Eimer darauf geschüttet hatte. Der Boden war noch von Nässe überschwemmt, und der seines Inhalts nicht ganz entleerte Eimer stand auf dem Herde. Die irdenen Geschirre und Teller, deren eigentlicher Platz der Anrichtetisch war, lagen in Trümmern ringsum im Gemach zerstreut; ich sah mich nach Jemand um, der mir dieses Schauspiel hätte erklären können, aber es zeigte sich Niemand.

Der letzte Funken des Feuers war ausgelöscht, so daß in diesem Augenblicke jeder weitere Versuch einer Nachforschung vergeblich zu sein schien. Aber weder die Neugier noch das Wohlwollen gestatteten mir, mich von hier zu entfernen. Es lag auf der Hand, daß ein tödtlicher Schade beabsichtigt worden sei; welcher größere sich zugetragen hatte oder ob nicht ein größerer durch meine Einmischung abzuwenden sei, war nur dadurch zu ersehen, daß ich weiter in dem Hause vordrang. Ich machte eine Seitenthüre auf, welche in das Innere des Gebäudes führte, und gelangte an ein Schlafzimmer.

Der Himmel war nicht ganz bewölkt, so daß einiges Licht in das Zimmer drang. Ich sah, daß ein Bett in einer Ecke stand, aber die Vorhänge hinderten mich, zu unterscheiden, ob Jemand darin lag oder nicht. Ich stand einige Minuten zaudernd da, als mir eine Bewegung im Bett zeigte, daß Jemand darin sei. Ich klopfte nochmals, zog mich aber vor die Thüre zurück.

Dies weckte den Schlafenden, der halb ächzend und die Luft durch die Nase blasend in der rauhesten Stimme, welche ich jemals gehört hatte, und im Tone mürrischer Ungeduld murrte: »wer ist da?«

Ich zögerte mit meiner Antwort, aber die Stimme fuhr sofort im Tone eines halb schlafenden und über eine Störung aufgebrachten Menschen fort: »Bist Du es, Peg? Hol' Dich der Henker, bleib' jetzt draußen – ich sage Dir, bleib' draußen, sonst schneide ich Dir bei Gott die Gurgel ab; ich will –« er fuhr fort zu murmeln und zu fluchen, aber ohne Zusammenhang oder Deutlichkeit.

Dies waren die Töne der Trunkenheit, sie verkündeten ein wildes, schlechtes Leben. Sie standen nicht sehr mit dem äußern Ansehen des Hauses im Einklang und vereitelten alle meine Hoffnungen, unter diesem Dache Zartsinn und Gastfreundschaft zu treffen. Es war nutzlos, mit diesem Menschen zu reden und ihn zur Nüchternheit und zum Verstande zu bringen – ich war in Verlegenheit, wie ich ihn anreden sollte oder ob es rathsam sei, ein Gespräch mit ihm ihm zu führen. Mein Schweigen wurde inzwischen durch die Eingebungen seiner kranken Phantasie ersetzt.

»So,« sagte er, »Du willst also doch? Nun, so komme nur – wir wollen sehen, wer sich besser auf den Eichenstock versteht – wenn ich Dich fortlasse, ehe ich Dir die Knochen losgeschlagen habe – ich will Dir lehren, immer die Hände in meine Schüssel zu stecken, Du Teufelsbraten, Du!«

Bei diesen Worten taumelte er aus dem Bette. Bei dem ersten Schritte schlug er mit dem Kopfe an die Bettpfosten, richtete sich aber auf und taumelte auf den Ort zu, wo ich stand. Es kam ihm ein neues Hinderniß in den Weg – er taumelte und fiel zu Boden.

Es wäre thöricht gewesen, einem Menschen in diesem Zustande entgegenzutreten oder ihm Vorstellungen zu machen – ich drehte mich um und ging mit betrübtem Herzen auf den Hof vor dem Hause.

Meine Phantasie malte mir die Leiden aus, welche ein ausschweifender Gatte oder Vater allen denen zufügt, welche ihr trauriges Schicksal mit ihm in Verbindung bringt, und sie entlockten mir Schmerzensthränen, aber diese Bilder wichen schnell dem Nachdenken über meinen eigenen Zustand. Jetzt blieb mir weiter nichts übrig, wie die Scheune, ein Lager und eine Decke von Stroh zu suchen.

Ich hatte kaum den Fuß in den Scheunenhof gesetzt, als ich einen Laut wie das Schreien eines Kindes hörte; es schien aus der Scheune zu kommen. Ich trat leise näher und lauschte an der Thür. Das Schreien des Säuglings dauerte fort, wurde aber von den Bitten einer Wärterin oder Mutter, still zu sein, begleitet; in diese Bitten mischten sich ein herzzerreißendes Schluchzen und Ausrufungen: »O Gott! Mein Kind, kannst Du nicht schlafen und Deiner unglücklichen Mutter ein wenig Ruhe gönnen? Du frierst und ich habe keine genügende Wärme für Dich! Was wird aus uns werden? Dein irregeleiteter Vater kümmert sich nicht darum, ob wir bald umkommen.«

Diese Worte schienen eine Andeutung von der wahren Beschaffenheit der Scene zu geben. Jetzt erinnerte ich mich auch anderer Umstände, welche weiteres Licht darüber verbreiteten. Auf dieser Seite des Flusses hatte früher ein Mann Namens Selby gelebt, er war ein bejahrter Mann, der mit den einfachen, fleißigen Gewohnheiten des Ackerbauers Bildung und Geschmack verband. Er hatte einen Sohn, der mehrere Jahre in Europa lebte, aber bei dem Tode seines Vaters in Begleitung einer Frau zurückkehrte. Er übernahm die Farm, aber das Gerücht hatte viele nachtheilige Erzählungen über seine Moral geflüstert. Seine Frau sollte von zartem, gebildetem Benehmen und ihrem Manne sehr unähnlich sein.

Jetzt fiel mir ein, daß dies die Wohnung der Selby's sei und ich schien einen Einblick in die Zwietracht und das häusliche Unglück erlangt zu haben, unter welchem die unglückliche Frau duldete. Jetzt war keine Zeit, mein Mitgefühl an Andere zu verschwenden. Ich konnte ihr nichts nützen. Selby war vermuthlich von einer Schwelgerei zurückgekehrt und alle seine bösen Leidenschaften waren durch die Betrunkenheit zum Wahnsinn gesteigert worden. Er hatte seine trostlose Frau aus ihrem Bett und Haus getrieben und sie war, um Mißhandlungen und Gewaltthätigkeiten zu entgehen, mit ihrem hülflosen Kinde in die Scheune geflohen.

Seine Wuth zu stillen, sie zu trösten, ein Hülfsmittel gegen dieses Unglück anzurathen, stand nicht in meiner Macht. Wenn ich ein Gespräch gesucht hätte, so würde ich nur ihre Furcht erregt und ihr Zartgefühl erschreckt haben, ohne zur Erleichterung ihres Elends etwas beizutragen. Hier gab es also kein Asyl für mich – ich mußte in einer benachbarten Wohnung einen Ruheplatz aufsuchen; vermuthlich war in nicht sehr großer Entfernung eine solche zu finden; der Weg, welcher von dem Orte, wo ich stand, durch ein Thor auf eine Wiese ging, konnte mich zu dem nächsten Hause führen, und ich beschloß, diesem Wege sofort zu folgen.

Ich wollte gern das Thor ohne Geräusch öffnen, aber dies gelang mir nicht; ein Kreischen der Angeln wurde unbedingt hervorgebracht, von dem ich fürchtete, daß es von der Frau gehört werden und ihre Befürchtungen und Besorgnisse vermehren würde. Dies war unvermeidlich, ich schloß daher das Thor und verfolgte den Weg vor mir mit der größten Schnelligkeit. Ich hatte das andere Ende der Wiese noch nicht erreicht, als ich auf etwas traf, was quer über den Weg lag und was bei näherer Besichtigung ein menschlicher Körper zu sein schien. Es war die Leiche eines mit einer Axt verstümmelten Mädchens. Ihr blutiger, seiner Locken beraubter Kopf erklärte zur Genüge, von welcher Art von Feinden sie angegriffen worden war. Hier lag der Beweis vor, daß diese ruhige, abgelegene Wohnung von den Indianern auf ihren Vernichtungswegen heimgesucht worden sei. Das Mädchen war von ihnen erschlagen und ihr Scalp nach ihrer wilden Gewohnheit herabgerissen und als Trophäe aufbewahrt worden.

Das auf der Diele der Küche angezündete Feuer trat mir jetzt wieder vor das Gedächtniß und bestätigte die Folgerungen, welche ich aus diesem Zeugniß zog. Und doch erregte es einigermaßen mein Erstaunen, daß das Unglück so beschränkt gewesen war und daß der betrunkene Elende, der hülflos und gleichgültig gegen die drohende Gefahr auf seinem Bett lag, sowie die Mutter und ihr Kind entkommen sein sollten. Konnten die Wilden bei ihrem Werke gestört und gezwungen worden sein, ihre Rache unvollendet zu lassen?

Ihr Besuch hatte vor kurzer Zeit stattgefunden; es waren noch nicht viele Stunden verflossen, seitdem sie an diesem Orte umherschweiften. Waren sie ganz verschwunden und beabsichtigten sie nicht, zurückzukehren? Welcher neuen Gefahr konnte ich nicht ausgesetzt sein, wenn ich so führerlos und ohne jedes Vertheidigungsmittel blieb.

In Folge dieser Ueberlegung ging ich mit größerer Vorsicht weiter. Ich warf vorsichtige Blicke vor mich und nach beiden Seiten.

Jetzt näherte ich mich dem Zaune, der die Wiese auf dieser Seite begrenzte; ich entdeckte etwas oder glaubte etwas zu entdecken, was dicht am Zaune an der Erde ausgestreckt war und den Weg versperrte. Meine Besorgnisse wegen eines lauernden Feindes waren schon vorher erwacht und meine Phantasie stellte sich augenblicklich einen Bewaffneten vor, der an der Erde liege und lauere, um den arglosen Vorübergehenden anzugreifen.

Anfangs fühlte ich mich angetrieben zu fliehen, aber ein zweiter Gedanke zeigte mir, daß ich mich schon hinlänglich genähert hatte, um gesichert zu sein. Die Gestalt blieb trotz meinem Stillstehen regungslos; die Möglichkeit, daß ich mich in meiner Vermuthung getäuscht habe, lag vor – das, was ich sah, konnte ein Stamm oder ein zweites Opfer wilder Grausamkeit sein. Dieser Weg war derjenige, dessen Verfolgung mir meine Sicherheit gebot; wenn ich mich zur Seite wendete oder zurückkehrte, hätte ich mich auf's Neue verirrt.

In Folge dieser Ueberlegung ging ich näher hinzu und war endlich nahe genug, um zu erkennen, daß die Gestalt menschlich sei – sie lag auf dem Gesicht und neben der rechten Hand lag eine Muskete. Dieser Umstand, seine Todeslage und die Kleidung und der Schmuck eines Indianers ließen mir leicht einen Schluß auf die Art und die Veranlassung dieser Katastrophe ziehen; hier waren die Angreifer getroffen und zurückgewiesen worden und wenigstens einer von ihrer Zahl auf dem Kampfplatz zurückgeblieben.

Ich war es müde, diese traurigen Gegenstände zu beobachten. Die Gewohnheit hatte mich selbst in so kurzer Zeit mit Schreckensscenen vertraut gemacht – ich war unempfindlich und unbeweglich geworden; ich hielt mich nicht damit auf, über das Schauspiel nachzudenken, sondern ergriff die Muskete, welche jetzt ohne Besitzer war und zu meiner Sicherheit nothwendig sein konnte, und eilte in den Wald. Auf dieser Seite wurde die Wiese von Gehölz begrenzt, aber ein betretener Weg führte in dasselbe, den ich daher ohne Gefahr verfolgen konnte.


 << zurück weiter >>