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Drittes Kapitel.


Den folgenden Tag verbrachte ich zum Theil in Schlaf, zum Theil in Abspannung und Unruhe. Ich brütete unaufhörlich über die Vorfälle der vergangenen Nacht. Der Plan, welchen ich entworfen hatte, war vereitelt. Stand zu erwarten, daß diese unbekannte Person ihren nächtlichen Besuch bei der Ulme wiederholen werde? Sollte ich, wenn sie es that, und wieder entdeckt werden konnte, eine zweite Verfolgung unternehmen, welche eben nutzlos oder mit einem großen Unglück endigen konnte? Aber welche Beweise hatte ich dafür, daß sie den nämlichen Weg einschlagen, und sich wieder an derselben Stelle lebendig begraben werde? Oder warum dringe ich, wenn er es that, nicht hinter ihm ein, da sein Wiedererscheinen hinlänglich bewies, daß die Höhle nicht gefährlich sei, und daß derjenige, welcher sich hineinwagte, hoffen dürfte, wohlbehalten wieder heraus zu kommen? – Was konnte diesen Menschen bewegen, sich an einen unterirdischen Zufluchtsort zu begeben? Der Boden dieser ganzen Gegend besteht aus Kalksteinen, einen Stoff, der an Spalten und Höhlungen sehr reich ist. Diese erscheinen in Folge der allmähligen Verwitterung ihrer Verbindungstheile häufig an Orten, wo man sie am wenigsten erwarten würde. Meine Aufmerksamkeit ist oft durch den hohlen Klang erregt worden, welchen zufällig meine Schritte erregten, welcher mir bewies, daß ich auf das Dach einer Höhle trat. Eine Berghöhle, und das Brausen eines unsichtbaren Baches sind Zuthaten dieses Schauplatzes, die für meine jugendliche Einbildungskraft großen Werth haben. Norwalk enthielt sehr viel von romantischen Scenen.

Ich hatte dieselben eifrig aufgesucht, aber diese war bisher meiner Beobachtung entgangen und ich faßte den Entschluß, sie später zu erforschen. Für jetzt beschloß ich, die Ulme wieder aufzusuchen und an dem Orte nachzugraben, wo dieser Mensch auf dieselbe Weise beschäftigt gewesen war – vielleicht lag hier etwas verborgen, was ein neues Licht auf sein Verfahren warf. Ich nahm in der folgenden Nacht zu geeigneter Stunde meinen früheren Standpunkt wieder ein. Der Mann erschien wieder. Meine Absicht nachzugraben, sollte unter der Bedingung seiner Abwesenheit ausgeführt werden und wurde daher vereitelt.

Ich beschloß meiner früheren Absicht zuwider, noch nicht auf ihn zu stürzen, und den Zauber zu stören, welcher seine Sinne gefesselt hielt, sondern seine Entfernung abzuwarten, und mich führen zu lassen, wohin es ihm beliebte. Die Richtung nach welcher er mich jetzt leitete, war eine andere, wie die frühere, und ein schiefer, kreisrunder, an- und absteigender Irrgang, wie er in einem solchen Grade nur in einer Gegend stattfinden konnte, die eine so unregelmäßige Oberfläche hatte, die eine so reiche Anzahl von Bergen und Anhöhen hatte, wie Salsbury.

Es schien der einzige Zweck seiner Anstrengungen zu sein, seinen Verfolger in Verwirrung zu bringen oder zu ermüden, sich in die dichtesten Gebüsche zu versenken, in die dunkelsten Höhlen zu dringen, die steilsten Anhöhen zu erklettern, und sich dem schlüpfrigen, schwindelnden Rande der steilsten Abgründe zu nähern.

Ich wollte mich bei diesem Laufe nicht besiegen lassen; alle Gefahren wurden übersehen, und allen Schwierigkeiten Trotz geboten; ich versenkte mich in die Dunkelheit und kletterte über Hindernisse hinweg, vor denen ich bei einem anderen Geisteszustande und mit einer anderen Absicht mit unüberwindlicher Schüchternheit zurückgebebt sein würde. Als es vorüber war, konnte ich mich der Gefahren, denen ich mich ausgesetzt hatte, nicht ohne Schaudern erinnern. Endlich schlug mein Führer einen Weg ein, der im Vergleich mit der Reinheit desjenigen, welchen wir vorher verfolgt hatten, leicht und eben war. Dieser Pfad führte uns von dem Rand der Wildniß, und wir erreichten nach nicht sehr langer Zeit ein offenes Feld, wo sich in nicht geringer Entfernung ein Gebäude zeigte, welches ich als das Inglefield gehörige erkannte. Jetzt erwartete ich die Erfüllung meiner Vorhersagung. Mein Führer richtete seine Schritte nach der Scheune, in welche er durch eine niedere Thüre eintrat.

Wie waren meine Zweifel gelöst! Dies war kein anderer, wie Clithero Edny. In seiner Erscheinung lag nichts, was sich mit dieser Folgerung nicht vertragen hätte. Er und sein Kamerad hatten ein Gemach in der Scheune als Wohnzimmer inne. Dieser ersehnte Zweck war erfüllt, und ich zog mich unter einem benachbarten Schuppen zurück, nicht sowohl, um von den Beschwerden eines ungewöhnlichen Marsches auszuruhen, wie um über ein ferneres Verfahren nachzudenken.

Jetzt blieb weiter nichts übrig, wie Clithero vorzunehmen, ihm die Beobachtungen der letzten beiden Nächte mitzutheilen, ihm meine Vermuthungen und meinen Verdacht mitzutheilen, ihn von der Redlichkeit meiner Absichten zu überzeugen, und ihm eine Enthüllung aller mit dem Tode Waldegrave's in Verbindung stehenden Thatsachen abzuzwingen, die er mitzutheilen vermochte.

Ich beschloß, um eine Zusammenkunft mit ihm herbeizuführen, ihn in das Haus meines Onkels einzuladen, damit er eine gewisse Arbeit unter meinen eigenen Augen besorge; dann blieb er ohne Zweifel über Nacht bei uns, und ich wollte vor Abend eine Gelegenheit suchen, ein Gespräch mit ihm anzufangen.

Es gehörte eine längere, tiefe Ueberlegung dazu, um mich fähig zu machen, daß ich meine Rolle bei dieser beabsichtigten Zusammenkunft auf die geeignete Weise spielte. Ich achtete auf die Gefühle, welche sich in diesem neuen Zustande meines Wissens geltend machten, und ich fand Veranlassung, Vertrauen auf meine neuerlich erlangte Gelassenheit zu setzen.

»Die Reue,« sagte ich, »ist eine reichliche und geeignete Ausgleichung aller Vergehen. Was will die Rache anders, wie Elend hervorrufen? Wenn das Elend kommt, so ist ihr Zweck erreicht, und nur der hartnäckige, triumphirende Verbrecher verdient unseren Zorn.«

Es ist etwas Gewöhnliches, daß das Mitleid auf die bittersten Antriebe zur Wiedervergeltung folgt, wenn der rachgierige Geist durch das Schauspiel des von ihm verursachten Jammers erfreut wird, so ist wenigstens sein thierisches Verlangen gestillt, und die Hände bleiben von da an unthätig.

Am Abend des folgenden Tages machte ich Inglefield einen Besuch. Ich wünschte ihm die Entdeckungen mitzutheilen, welche ich gemacht hatte, und seine Gedanken über die Sache anzuhören, und eben so wollte ich von der Familie jede mögliche Auskunft über das Benehmen Clithero's zu erhalten suchen.

Mein Freund empfing mich mit seiner gewohnten Güte. Sein Charakter ist Dir nicht unbekannt; Du weißt, mit welcher väterlichen Liebe ich stets von diesem Greise angesehen worden bin, mit welcher Sorgsamkeit die Ausschweifungen meines Verstandes und die Ausbrüche der Leidenschaft beachtet und corrigirt worden sind, Du kennst seine Thätigkeit, um das Leben Deines Bruders zu retten und die Stunden, welche er damit verbracht hat, mich in meinen Vermuthungen über die Veranlassung zu seinem Tode zu unterstützen, und mir die Lehren der Buße und Pflicht einzuprägen.

Die Themen, welche bei einer solchen Zusammenkunft nothwendigerweise vorkommen mußten, wurden schnell besprochen, und dann ging ich hastig zu dem Gegenstande über, der mir zunächst am Herzen lag. Ich erzählte die Abenteuer der beiden vergangenen Nächte, und erwähnte die Folgerungen, zu welcher sie unwiderstehlich führten.

Er sagte, daß diese Schlüsse mit Vermuthungen übereinstimmten, die seit unserem letzten Beisammensein in Folge gewisser Mittheilungen seiner Haushälterin in ihm aufgestiegen seien. Wie es schien, hatte der Charakter Clithero's den Forschergeist dieser alten Dame von Anfang an in Anspruch genommen; sie hatte sein Benehmen sorgsam beobachtet und versucht, durch unzählbare Kunstgriffe eine Bekanntschaft mit seinem früheren Leben, und besonders mit den Beweggründen, aus denen er nach Amerika gekommen war, zu erlangen. Diese Kunstgriffe hatten jedoch, so schlau und listig sie auch angelegt worden waren, keinen Erfolg gehabt – er gab sich keine Mühe ihnen auszuweichen; er begnügte sich damit, daß er gegen alle indirekten Anspielungen und Winke taub blieb, und wenn er schärfer befragt wurde, so erklärte er einfach, daß er nichts mitzutheilen habe, was ihrer Beachtung werth sei.

Am Tage war er ein nüchterner, fleißiger Arbeiter. Seine Abende verbrachte er in ungeselligen Schweigen, und Sonntags schweifte er immer umher, ohne daß Jemand wußte, wohin, und ohne Begleiter. Ich habe bereits erwähnt, daß er und sein Kamerad in der Scheune das nämliche Gemach bewohnten. Dieser Umstand blieb von Miß Inglefield unbeachtet. Der Name des Kameraden Clithero's war Ambrosus. Dieser Mann wurde von seiner Herrin sorgsam befragt, und sie fand ihn keineswegs so störrisch, wie den andern.

Ambrosus erzählte in seiner schläfrigen, verwirrten Art, daß bald nachdem Clithero und er Schlafgefährten geworden waren, Letzterer durch Ruhelosigkeit und Reden im Schlafe bedeutend belästigt worden sei. Seine Sprache war unzusammenhängend, sie hatte in der Regel einen flehenden Ton, und schien um Rettung vor einem großen Unglück mit Worten, wie »Gnade! Barmherzigkeit!« zu bitten, in welche sich häufig Seufzer und Ströme von Thränen mischten. Zuweilen schien er ein Gespräch mit Jemand zu führen, der ihm bedeutende Anerbietungen unter der Bedingung, daß er ihm einen gefährlichen Dienst erweise, machte. Was er für sich selbst und als Antwort für diesen eingebildeten Versucher sagte, verrieth das größte Widerstreben.

Ambrosus empfand keine Neugier in Bezug auf die Sache. Da ihn die Störungen Anfangs am Schlafen hinderten, so pflegte er dem Reden dadurch ein Ende zu machen, daß er seinen Kameraden weckte, der große Unruhe und Niedergeschlagenheit zu erkennen gab, als er entdeckte, womit er beschäftigt gewesen war. Er fragte sorgsam, was er für Worte gesprochen habe, aber der Bericht Ambrosus' war selten befriedigend, weil er ihnen nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt hatte, und jeden Augenblick bedauerte, der ihm von seiner gewohnten Ruhe geraubt wurde.

Mochte nun Clithero dieses Benehmen eingestellt oder sein Kamerad sich an die Töne gewöhnt haben, so brachten sie doch keine Störung seines Schlummers mehr hervor.

Niemand schien über den Tod Waldegrave's mehr entsetzt zu sein, wie er, und seine Niedergeschlagenheit nahm nach diesem Ereigniß plötzlich zu. Dieses Symptom wurde von der Familie bemerkt, aber außer der Wirthschafterin nahm sich Niemand die Mühe, es gegen ihn zu erwähnen, oder Vermuthungen darauf zu gründen. Ambrosus bemerkte jedoch in der Nacht eine Wiederholung der alten Störungen. Er sah in einer Nacht, daß Clithero von seiner Seite verschwunden sei. Das Denkvermögen Ambrosus' war außerordentlich beschränkt; er schlief schnell wieder ein, und als er beim Erwachen seinen Kameraden neben sich fand, verbannte er es aus seinem Geiste.

Er erwachte in mehreren folgenden Nächten auf gleiche Weise, und fand jedesmal den Platz seines Kameraden leer. Die Wiederholung eines so seltsamen Vorfalles veranlaßte ihm endlich, denselben gegen Clithero zu erwähnen, letzterer wurde über diese Nachricht verwirrt, befragte Ambrosus mit großer Besorgniß über die näheren Umstände dieses Vorfalles, konnte aber von der stumpfsinnigen Unachtsamkeit desselben nichts Befriedigendes erfahren. Von dieser Zeit an trat eine merkliche Erhöhung seines Trübsinnes ein, seine Anfälle der Schweigsamkeit wurden hartnäckiger und auf seine Stirne lagerte sich eine tiefere Düsterkeit.

Es gab noch einen anderen Umstand von besonderer Wichtigkeit, welchen die Haushälterin erwähnte. Eines Abends hielt Jemand zu Pferde vor dem Thore, und klopfte mit gebieterischer Miene an dasselbe, um seinen Wunsch zu erkennen zu geben, daß Jemand aus dem Hause kommen solle. Miß Inglefield war in der Küche beschäftigt und sah durch ein Fenster derselben, wer das Zeichen gab. Clithero arbeitete in diesem Augenblick zufällig in ihrer Nähe, sie bat ihn daher, hinauszugehen und zu sehen, nach wem der Fremde verlange. Er legte die Arbeit weg und ging. Das Gespräch dauerte ungefähr fünf Minuten. Die Länge desselben weckte einige Verwunderung in ihr, welche sie bewog, ihre Beschäftigung zu verlassen und der Scene ungeminderte Aufmerksamkeit zu widmen, aber außer der Dauer derselben gab es nichts, was sie bemerkenswerth gemacht hätte.

Clithero kam endlich herein, und der Reisende setzte seinen Weg fort. Das Gesicht des Ersteren verrieth einen Grad von Unruhe, welchen sie noch nie zuvor bemerkt hatten, und die Muskeln seines Gesichts waren verzerrt und zuckten. Er setzte sich sogleich an seine Arbeit, aber er schien eine Zeit lang die Gewalt über seine Gliedmaßen verloren zu haben. Er bemühte sich, sich den Blicken der Dame zu entziehen und seine unentschlossenen oder unbeherrschten Geberden verkündeten den tiefsten Kummer.

Nach einiger Zeit fand er die Herrschaft über sich wieder, aber während der Gegenstand aus einem neuen Gesichtspunkte betrachtet wurde, und die Veränderung nur in der Einbildung des Beobachtenden existirte, so machte sich eine solche doch jedenfalls bemerkbar.

Diese Umstände wurden mir von Inglefield erzählt, und von seiner Haushälterin bestätigt. – Eine Folgerung ging unvermeidlich aus ihnen hervor – der Nachtwandler, welcher mich einen so weiten Weg geführt hatte, war kein Anderer, wie Clithero und ebenso bestand ein eigenthümliches Verhältniß zwischen ihm und demjenigen, welcher am Thore angehalten hatte. Was war der Gegenstand ihres Gesprächs gewesen? Auf die Fragen Miß Inglefield's hatte er nur gesagt, daß der Reisende gefragt habe, wohin die Straße führe, welche weiterhin in geringer Entfernung von der Chaussee abging. Wenn man die Dauer des Gesprächs berücksichtigte, so war es nicht wahrscheinlich, daß dies das einzige Thema gewesen sei.

Mein Entschluß, mit ihm eine geheime Unterredung zu suchen, erhielt durch die Folgerungen neue Nahrung. Inglefield stimmte meinem Vorschlage bei; seine eigenen Angelegenheiten gestatteten die Abwesenheit des Mannes auf einen Tag. Ich sah keine Nothwendigkeit eines Aufschubs und forderte Clithero sofort auf. Ich sagte ihm, ich fertige ein Werkzeug an, bei welchem ich mich nicht ganz auf meine eigene Geschicklichkeit verlassen könne – ich sei mit seiner Geschicklichkeit und der Zierlichkeit seiner Arbeit bekannt. Er willigte schnell ein, mir bei dieser Gelegenheit zu helfen. Am folgenden Tage kam er. Wider mein Erwarten schickte er sich am Abend an, nach Hause zurückzukehren, ich drang in ihn, bei uns zu bleiben, aber nein, es war ihm eben so bequem und angenehm nach Hause zu gehen.

Diese Entschlossenheit erwartete ich nicht; ich hätte allerdings voraussehen können, daß er, da er sein Übel kannte, wünschen würde, sich fremden Blicken zu entziehen. Ich sah mich schmerzlich in meinen Hoffnungen getäuscht, aber es fiel mir ein, daß das Beste, was ich thun könne, sei, ihm Gesellschaft zu leisten, und während dieser Zeit eine Gelegenheit zu suchen, meinen Vorsatz auszuführen. Ich sagte ihm, daß ich dann nicht dableiben wolle, der Unterhaltung wegen, und er aus einem wichtigeren Grunde nichts dawider habe, wenn ich ihn begleite.

Er willigte schweigend und dem Anscheine nach ohne Widerwillen in meinen Vorschlag und wir brachen daher zusammen auf.

Dies war eine furchtbare Krisis. Jetzt war die Zeit gekommen, welche meine Ungewißheit zerstreuen sollte. Wie sollte ich einen so wichtigen und eigenthümlichen Gegenstand in Anregung bringen? Ich war durch keinerlei Erfahrung in den Stand gesetzt worden, mich bei einer so kritischen Veranlassung richtig zu benehmen. Mein Begleiter beobachtete ein düstres unverbrüchliches Schweigen; er bot mir keine Gelegenheit den beabsichtigten Punkt zu erreichen; sein Verhalten war gesetzt, während ich durch die Verwirrung meiner Gedanken fast außer Stand gesetzt wurde, ein Wort zu sprechen.

Die Beschuldigung, welche ich im Begriff stand, auszusprechen, war furchtbar. Ich wollte meinen Begleiter keines geringeren Verbrechens anklagen, wie eines Mordes. Ihn zum Geständniß auffordern, die Gründe für meinen Verdacht angeben, und ihn bitten, sie zu widerlegen, oder zu bestätigen. Hierbei wurde ich hauptsächlich von unüberwindlicher Neugier angetrieben. Aber wenn ich auch nicht eine Wohlthat zu erweisen beabsichtigte, so bezweckte ich doch wenigstens auch nicht die Zufügung von Bösem. Ich überredete mich, daß ich jedes blutdürstige oder rachgierige Verlangen aus meiner Brust verbannen könne, und daß mein Gleichmuth unverändert bleiben werde, gleichviel, welches der Ausgang des Gespräches war.

Ich sann über verschiedene Arten nach, wie ich den Gegenstand vorbringen konnte, womit mein Geist beschäftigt war. Ich ging schnell von der einen zur andren über; keine war hinlänglich frei von Einwendungen, daß sie mir gestattet hätte, sie anzunehmen und meine Verlegenheit wurde jeden Augenblick peinlicher und meine Unfähigkeit, mich herauszuziehen, größer.

In diesem Zustande der Ungewißheit verging so viel Zeit, daß endlich die Ulme vor unseren Augen erschien. Dieser Gegenstand übte gewissermaßen eine mechanische Einwirkung auf mich aus. Ich blieb stehen und erfaßte den Arm meines Begleiters. Bis zu diesem Augenblick schien er mit seinen eignen Gedanken beschäftigt gewesen zu sein, und nicht auf die Empfindungen geachtet zu haben, welche in meinen Aussehen deutlich genug bemerkbar gewesen sein mußten.

Diese Handlung weckte ihn aus seinen Träumen, als er mein Benehmen bemerkte, war der erste Gedanke, welcher in ihm aufstieg, daß ich plötzlich von Unwohlsein ergriffen worden sei.

»Was giebt es?« fragte er in ängstlichem Tone, »befinden Sie sich nicht wohl?«

»Ja,« antwortete ich, »vollkommen wohl. Aber warten Sie einen Augenblick – ich habe Ihnen etwas zu sagen.«

»Mir!« versetzte er erstaunt.

»Ja,« sagte ich, »lassen Sie uns diesen Weg einschlagen,« und dabei zeigte ich auf den, auf welchen ich ihm in der vergangenen Nacht gefolgt war.

Jetzt theilte er meine Verlegenheit einigermaßen.

»Giebt es etwas Besonderes,« fragte er in zweifelndem Tone und hielt dann inne.

»Etwas von der größten Wichtigkeit,« antwortete ich; »kommen Sie mit mir diesen Weg herab – wir werden weniger Gefahr laufen, gestört zu werden.«

Er war unentschlossen und schweigsam, aber als er sah, wie ich den Schlag aufmachte und hindurch ging, folgte er mir. Es wurde weiter nichts gesprochen, bis wir in den Wald kamen. Ich überließ mich der Eingebung des Augenblicks; ich war jetzt zu weit gegangen, als daß ich hätte zurücktreten können, und die Nothwendigkeit, welche mich drängte, gab mir Worte. Ich fuhr fort:

»Dies ist ein merkwürdiger Ort. Sie werden sich vielleicht wundern, warum ich Sie hierher geführt habe. Ich darf sie nicht in Ungewißheit lassen. Es steht eine Geschichte damit in Verbindung, die ich Ihnen zu erzählen wünsche, und ich habe Sie in dieser Absicht herbeigeführt; hören Sie mich an.«

Nun wiederholte ich die Abenteuer der beiden vergangenen Nächte. Ich fügte weder etwas hinzu, noch ließ ich etwas weg. Er hörte mir im tiefsten Schweigen zu; jeder Umstand gab ihm neue Veranlassung zur Unruhe; er trocknete sich zu wiederholten Malen das Gesicht mit dem Taschentuche ab und seufzte tief. Ich verrieth mit keinem Worte, daß ich diese Symptome bemerkte; ich hielt es für meine Pflicht, nichts zu verschweigen. Als ich zu den letzten Vorfällen kam, durch welche seine Person außer Zweifel gestellt wurde, hörte er mich ohne neue Ueberraschung an.

Ich fügte meiner Erzählung die Nachfragen, welche ich bei Inglefield angestellt hatte und das Ergebniß dieser Nachfragen hinzu; dann fuhr ich folgendermaßen fort:

»Sie werden vielleicht fragen, warum ich mir alle diese Mühe gegeben habe? Das Geheimnißvolle dieser Vorfälle würde natürlicherweise die Neugier eines Jeden geweckt, und ein zufällig vorüber Kommender wahrscheinlich eben so gehandelt haben wie ich. Aber ich hatte meine besonderen Gründe. Brauche ich Sie an ein vor kurzem geschehenes Unglück zu erinnern, und daran, daß es sich unter diesem Baume zugetragen hat? Darf ich nicht mit Recht aus Ihrem Benehmen gewisse Folgerungen ziehen? Welcher Art diese sind, überlasse ich Ihnen zu entscheiden. Ihre Aufgabe sei es, sie zu widerlegen, oder zu bestätigen und zu diesem Zwecke habe ich Sie hierher geführt. Mein Verdacht ist stark und wie konnte er auch anders sein. Ich fordere Sie auf, zu sagen, ob er gerechtfertigt ist.«

Der Ort, an welchem wir standen, wurde durch den Mond erleuchtet, der jetzt heraufgestiegen war, obgleich ringsum Alles dunkel blieb. Seine Züge und seine Gestalt waren daher leicht zu erkennen. Seine Hände hingen an seiner Seite herab, er hatte die Augen niedergeschlagen und blieb regungslos wie eine Bildsäule, meine letzten Worte schienen kaum einen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Ich brauchte mich nicht gegen die möglichen Eingebungen der Rachsucht vorzusehen – ich fühlte nichts, wie die Zärtlichkeit des Mitleids. Ich fuhr eine Zeit lang fort, ihn schweigend zu beobachten und konnte keine Veränderung der Stimmung bemerken. Endlich war es mir nicht länger möglich, meine Unruhe über die Starrheit seines Gesichts zu erkennen zu geben und ich sagte daher:

»Fassen Sie sich, ich will Sie nicht zu sehr drängen; diese Sache ist ernst, aber sie braucht Ihnen nicht die Festigkeit zu rauben, welche einem Manne zukommt.«

Der Klang meiner Stimme erschreckte ihn. Er riß sich von mir los, blickte auf und richtete die Augen mit einem Ausdruck des Entsetzens auf mich; er schauderte und bebte zurück, wie vor einem Gespenst. Ich fing an, das Experiment zu bereuen. Ich konnte nichts für diese Veranlassung Passendes sagen; ich mußte als stummer, machtloser Zuschauer dabei stehen und diesen Paroxismus gestatten, sich von selbst zu legen. Als die Heftigkeit desselben einigermaßen abgenommen zu haben schien, fuhr ich fort:

»Ich bin fähig, Sie zu bemitleiden. Ich handle nicht auf die Eingebungen eines Charakters, der an dem Unglück Anderer Freude findet. Die Erklärung, um welche ich gebeten habe, ist um Ihretwillen nicht weniger nothwendig, wie um meinetwillen. Es ist Ihnen nicht unbekannt, wie ich diesen Mann ansah: Sie sind Zeuge des Schmerzes gewesen, welchen sein Schicksal geweckt hat und wie ich mich angestrengt habe, um seinen Mörder zu entdecken und zur Strafe zu ziehen. Sie haben die Verwünschung, welche ich auf ihn häufte und meine Schwüre ewiger Rache gehört; Sie erwarten, daß ich den Verbrecher, nachdem ich ihn entdeckt habe, in Schmach und Tod hetzen werde – Sie irren sich – ich halte die That für genügend gebüßt. Ihr nagender Schmerz ist mir nicht unbekannt – eben so die tiefe, unheilbare Verzweiflung, welche sie verfolgt, deren Beute Sie im Wachen sind und vor welcher der Schlaf Sie nicht schützen kann. Ich kenne die Größe Ihres Verbrechens, aber ich kenne nicht die Veranlassung zu demselben. Diese mag gewesen sein, welche sie wolle, so sehe ich die Folgen in Bezug auf sie, ich bemerke die Beweise der Reue, welche das Schuldbewußtsein stets begleiten muß und dies genügte. Warum sollten die Wirkungen unsrer Missethaten unendlich sein? Warum soll uns ein Tröster versagt bleiben? Wir können endlich von den Lenker unserer Geschicke eine Gelegenheit fordern, unsere Fehler wieder gut zu machen. Ich glaubte früher, daß mir derjenige, welcher Waldegrave ermordet hatte, das größte, mögliche Uebel zugefügt habe und das war ein Irrthum, von welchem mich das Nachdenken geheilt hat. Wenn die Zukunft meinen Blicken enthüllt und mir die Ereignisse mit Ihren Folgen klar gemacht wären, so würde ich vielleicht Grund haben, den Mörder als meinen besten Freund zu umarmen, fassen Sie Muth.«

Er war noch immer unfähig zu sprechen, aber die Thränen kamen ihm zu Hülfe. Er gab, ohne auf meine Vorstellungen zu achten, das Verlangen zum Zurückkehren zu erkennen. Ich hatte bis jetzt auf eine Enthüllung gehofft, fürchtete dabei nur, daß sie mir versagt bleiben würde. Er hemmte seine Schritte nicht eher, als bis wir das Vorhaus Inglefield's erreicht hatten – dann sprach er zum ersten Male, aber mit dumpfer, bebender Stimme:

»Sie verlangen von mir das Geständniß von Verbrechen – Sie sollen es eines Tages erhalten; wenn es geschehen wird, kann ich nicht sagen; es muß etwas geschehen und zwar in kurzer Zeit.«

Er eilte von mir hinweg in das Haus und ich lenkte nach kurzer Zeit meine Schritte heimwärts. Meine Gedanken drehten sich im Gehen fortwährend um einen einzigen Punkt; sie waren kaum mehr wie eine Wiederholung einer einzigen Idee mit geringfügigen Abwechselungen.

Als ich am Morgen erwachte, eilte ich im Geiste in den Wald. Ich sah nichts wie die Gestalt des Wanderers vor mir. Ich folgte wieder seinen Schritten, erzählte auf's Neue meine Geschichte und sann übers seine Geberden und Worte nach. Es fehlte meinem Zustande nicht an Genuß; meine stürmischen Leidenschaften hatten sich in eine bedeutungsvolle, mächtige Ruhe verwandelt, meine Seele schwoll von Erwartungen, es war mir, als ob ich in Begriff stehe, in eine Welt eingeführt zu werden, deren Scenen furchtbar, aber erhaben seien. Die Antriebe des Schmerzes und der Rache waren für den Augenblick verstummt und hatten einem großmüthigen Mitgefühl Platz gemacht, welches meine Augen mit Thränen füllte, aber mehr Freude, wie Schmerz mitbrachte. Daß Clithero bei dem Tode Waldegrave's betheiligt sei – daß er die Erklärung zu dem blutigen und geheimnißvollen Ereigniß geben könne, konnte ich durchaus nicht mehr bezweifeln.

»Er,« sagte ich, »ist allerdings der Mörder, und doch soll es mein Ziel sein, die Barmherzigkeit eines Vaters zu wecken, und ihn zum Frieden und zur Reinheit zurück zu führen.«

Es verfloß ein Tag nach dem andren, ohne daß ich etwas von Clithero gehört hätte. Ich fing an, unruhig und ungeduldig zu werden. Ich hatte so viel, und durch so unerwartete Mittel erreicht, daß ich die Ungewißheit über das, was mir noch zu erfahren übrig blieb, leichter ertragen konnte, aber meine Geduld hatte ihre Grenzen. Ich würde unzweifelhaft ein neues Mittel ergriffen haben, um diese Enthüllung zu beschleunigen, wenn sein rechtzeitiges Erscheinen sie nicht überflüssig gemacht haben würde.

Nachdem der Sonntag endlich gekommen war, beschloß ich zu Inglefield zu gehen, eine Zusammenkunft mit seinem Untergebenen zu suchen, und ihn durch wiederholtes Drängen zu bewegen, daß er mir das Geheimniß mittheile. Unterwegs erblickte ich Clithero. Sein Gesicht war blaß und eingefallen und seine Gestalt abgemagert. Ich erstaunte über die Veränderung, welche eine Woche in seinem Aeußeren hervorgebracht hatte. In einiger Entfernung hielt ich ihn für einen Fremden, aber sobald ich erkannte, wer er war, begrüßte ich ihn mit der größten Freundlichkeit. Meine Artigkeit machte wenig Eindruck auf ihn, und er benachrichtigte mich hastig, daß er auf dem Wege nach der Wohnung meines Onkels sei, um mit mir zusammen zu treffen und mit mir zu sprechen. Wenn ich es für geeignet halte, wollten wir zusammen in den Wald gehen und einen Ort suchen, wo wir mit Ruhe sprechen und vor Störung sicher sein könnten.

Du kannst Dir leicht denken, mit welcher Bereitwilligkeit ich seinen Vorschlag annahm. Wir bogen an der Straße in den ersten Nebenweg ein und gingen schweigend vorwärts, bis uns die Wildheit unserer Umgebung überzeugte, daß wir uns in der Mitte von Norwalk befanden. Wir fanden eine Schlüppe, mit welcher mein Begleiter bekannt zu sein schien, und die alle Vortheile der Einsamkeit hatte und zur Ruhe geeignet war – hier machten wir Halt. Bis jetzt hatte mein Begleiter einen gewissen Grad von Fassung gezeigt; nun verrieth sein Gesicht einen heftigen, innern Kampf. Es dauerte sehr lange, ehe er die Sprache fand und als er seiner Gefühle so weit Herr geworden war, fing er seine Erzählung an.


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