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Sechstes Kapitel.


Wie selig, wie unglaublich war dieses Ereigniß! Ich konnte kaum dem Zeugniß meiner Sinne glauben. War es wahr, daß Clarissa vor mir stand, – daß sie bereit sei, meine kühnen Wünsche zu erfüllen – daß sie Hindernisse, die mir unüberwindlich erschienen waren, gering geachtet hatte – daß ich zärtlich von ihr geliebt wurde, und in kurzer Zeit zum Besitz eines so unschätzbaren Gutes gelangen sollte? Ich will die Ausdrücke nicht wiederholen, in welchen ich zu ihren Füßen das Entzücken meiner Dankbarkeit ausströmte – mein Ungestüm entriß Clarissa bald eine Bestätigung der Erklärung ihrer Mutter. Von jetzt an fand zwischen uns ein ungehinderter Verkehr statt. Die Niedergeschlagenheit und Mattigkeit in meiner Brust wichen dem Entzücken und der Hoffnung; der Stern meines Glückes schien seine größte und unveränderliche Höhe erreicht zu haben.

Ach! Er war dazu bestimmt, mit unaussprechlich größerer Schnelligkeit zurückzutreten, und mich in einem Augenblick als unglücklichen Schiffbrüchigen zurück zu lassen!

Unsere Hochzeit würde ohne Aufschub vollzogen worden sein, wenn nicht eine traurige Pflicht dazwischen getreten wäre. Clarissa hatte in einem entfernten Theile des Königreichs eine Freundin, die Gesundheit derselben war schon lange die Beute der Schwindsucht, und sie näherte sich jetzt augenscheinlich ihrer Auflösung. Unter diesen Umständen bat sie ihre Freundin, ihr den Trost ihrer Gegenwart zu gewähren – ihr einziger Wunsch war nur der, in ihren Armen zu sterben.

Dieser Wunsch mußte wohl bereitwillig erfüllt werden. Es war meine Schuldigkeit, den Aufschub, der hierdurch in der Erfüllung meiner Wünsche eintreten würde, geduldig zu ertragen. Wenn ich das Dringende und Traurige der Veranlassung berücksichtige, so war es mir unmöglich, zu murren, und die zärtliche Clarissa wollte nichts zwischen sich und die Pflicht treten lassen, welche sie gegen ihre sterbende Freundin hatte.

Ich begleitete sie auf dieser Reise, blieb ein Paar Tage bei ihr, und trennte mich dann von ihr, um nach der Hauptstadt zurückzukehren. Man glaubte nicht, daß es nothwendig sein würde, daß sie ihre Abwesenheit über ein Monat ausdehnte. Als ich Abschied von ihr nahm, und ihr mittheilte, an welchem Tage ich zurückzukehren beabsichtigte, um sie abzuholen, fühlte ich keine Abnahme meiner Zufriedenheit; meine Gedanken waren heiter, und voller Triumph. Warum wurde mir nicht eine Andeutung der Schlingen gegeben, die auf meinem Pfade lagen? Derjenige, durch welchen die Falle zu meinem Verderben aufgestellt worden war, hatte es so geschickt angefangen, daß meine Sicherheit nicht durch die leiseste Andeutung gestört wurde.

Ich eile zu der Krisis meiner Erzählung. Ich zweifle fast an meiner Kraft. Je mehr ich mich derselben nähere, desto größer wird mein Widerwille – ja, anstatt daß mein Muth beim Fortschreiten wachsen sollte, nimmt er ab, ich bin Willens, noch länger bei vorausgehenden Umständen zu verweilen – es giebt noch andere Punkte, ohne welche meine Geschichte unvollständig sein würde. Ich erwähne sie, weil sie mir eine Art Aufschub des Grauenhaften gestatteten, bei dessen Erinnerung jedes Glied meines Körpers bebt. Es muß ertragen werden, aber die Schwäche, welche mich geneigt macht, mein Leiden zu verzögern, ist verzeihlich.

Ich habe den Geliebten erwähnt, den meine Gönnerin in Folge der Ränke ihres Bruders abweisen mußte. Seit ihrer Trennung waren mehr wie zwanzig Jahre verflossen. Er war von niederem Herkommen und ohne Vermögen. Er war von Beruf Arzt. Die Dame bewog ihn nicht allein, sein Vaterland zu verlassen, sondern machte ihm dies auch dadurch möglich, daß sie aus ihrem eigenen Geldbeutel für seine Bedürfnisse sorgte. Sein ausgezeichneter Verstand wurde eine Zeit lang durch die Leidenschaft verdunkelt, aber meine Gebieterin fand am Ende keine Schwierigkeit, seine Zustimmung zu allen ihren Plänen zu erhalten. Er erkannte die Redlichkeit ihrer Absichten und betete sie an, verschmähte es nicht, ihre Wohlthaten anzunehmen; und entwarf Pläne zu einem kräftigen Verkehr während ihrer Trennung.

Ihre Verwendung verschaffte ihm einen Posten im Dienste der ostindischen Compagnie. Sie wurde von Zeit zu Zeit über seine Bewegungen unterrichtet. Es brach ein Krieg zwischen der Compagnie und einigen eingebornen Mächten aus. Er war bei einer großen Schlacht zugegen, in welcher die Engländer geschlagen wurden – so weit konnte sie ihm vermöge seiner Briefe und andren Umstände folgen, aber hier riß der Faden ab, und sie war durch kein Mittel, welches sie verwendete, im Stande, Nachrichten von ihm zu erlangen. Es blieb mehrere Jahre lang nur eine Sache der Vermuthung, ob er gefangen oder todt sei.

Bei meiner Rückkehr nach Dublin fand ich meine Gönnerin im Gespräch mit einem Fremden. Sie stellte uns einander in einer Weise vor, welche die Achtung verrieth, die sie für uns Beide hegte. Ich betrachtete ihn, und hörte ihm mit großer Aufmerksamkeit zu: sein Aussehen war edel und verständig, aber sein von der Sonne verbranntes, gefurchtes Gesicht verrieth eine bunte, geräuschvolle Pilgerschaft. Die Linien auf seiner Stirn waren eher eine Folge von Beschwerden und Mühseligkeiten, wie des Alters; seine Sprache war feurig und energisch und die leidenschaftliche Kühnheit seines Tones, so wie der Inhalt seines Gesprächs, das voll von Anspielungen auf die Vergangenheit und Bedauern darüber war, daß der Lauf der Ereignisse ein anderer gewesen sei, ließen mich in seinem Charakter etwas Außerordentliches vermuthen.

Sobald er uns verließ, erklärte mir die Dame, wer er sei: – er war kein Anderer, wie der Gegenstand ihrer Jugendliebe, der ein Paar Tage vorher vom Himmel herab unter uns gefallen zu sein schien. Er hatte eine lange, bunte, mannichfaltige Geschichte zu erzählen, und sein Schweigen durch die Vorführung der Ereignisse seines Lebens entschuldigt. – Er war aus den Gefängnissen Hyder Ali's entflohen, zu Fuß und unter mannichfaltigen Verkleidungen durch die nördlichen Distrikte von Hindostan gewandert, wobei er einmal Gelehrter von Benares, dann wieder ein Schüler der Moschee war, und je nach dem Erforderniß des Augenblickes einen Pilger nach Mekka oder zum Jaggernaut vorstellte. Endlich kam er auf einem langen, gefahrvollen Umwege in der türkischen Hauptstadt an. Hier blieb er mehrere Jahre, während deren er durch die Ausübung des Berufes eines Arztes ein ärmliches Dasein fristete. Er mußte seinen Posten in Folge eines Duells zwischen zwei Schotten verlassen. Der Eine von diesen war zum griechischen Glauben übergetreten und mit der Tochter eines reichen Kaufmanns von dieser Nation verlobt. Er fiel in dem Kampfe, und die Familie des Mädchens führte nicht allein seine Hinrichtung herbei, sondern drohte Alle, von denen man wußte, daß sie mit ihm in Verbindung standen, in das nämliche Verderben zu verwickeln.

Da sein Leben so gefährdet wurde, so mußte er einen andern Aufenthaltsort suchen. Er floh mit einer Eile aus Constantinopel, welche ihn in die größte Armuth stürzte. Er hatte die indischen Eroberungen Alexanders als Bettler durchreist – jetzt durchwanderte er in der nämlichen Eigenschaft das Geburtsland Philipps und Philipoemens. Er bestand glücklich vielfache Gefahren, schiffte sich endlich in Salonichi ein, erreichte Venedig, und gelangte durch die Appenninenpässe nach Toskana. Auf dieser Reise erlitt er durch Räuber, von denen er gefangen genommen wurde, einen langen Aufenthalt. Sie schenkten ihm, in Folge seines harmlosen Benehmens und einer rechtzeitigen Darlegung seiner ärztlichen Geschicklichkeit das Leben, beraubten ihn aber eine Zeit lang seiner Freiheit, und zwangen ihn, in ihrer Gesellschaft zu bleiben.

Die Zeit, welche er in Höhlen eingesperrt und mit Räubern schwelgend verbrachte, wurde nicht schlecht verwendet. Seine Erzählungen waren höchst merkwürdig und interessant, und verkündeten die Größe seines Scharfsinnes so wie die Festigkeit seines Muthes.

Nachdem er die Wildniß verlassen hatte, fand er den Weg an den Ufern des Arno's entlang nach Livorno, dort bewerkstelligte er seine Ueberfahrt nach Amerika, von wo er eben mit einer bedeutenden Vermehrung seiner Erfahrung, aber keiner für sein Vermögen zurückgekehrt war.

Dies war ein merkwürdiges Ereigniß. Es zeigte sich Anfangs noch nicht, wie weit die Folgen desselben gehen würden. Die Dame war jetzt frei und unabhängig, obgleich die Leidenschaft, welche ihr Jugendglück überschattet hatte, erloschen war, hatte die Zeit doch nicht den Werth ihres Freundes vermindert, und sie war noch keineswegs in dem Alter angekommen, wo die Liebe phantastisch und eine Ehe eine Thorheit wird.

Es trat sofort ein vertraulicher Verkehr ein. Die Freigebigkeit der Mrs. Lorimer befreite ihren Freund bald von jeder Furcht vor der Armuth. – Sie sagte, er solle jedenfalls ferner nicht mehr wandern, sondern sein übriges Leben lang in eine behagliche Lage versetzt werden.

Seine Bedenken wurden durch ihre verständigen Vorstellungen und ihre warmen Bitten sämmtlich überwunden.

Zwischen mir und dem Neuangekommenen entstand eine herzliche Vertraulichkeit, wir hatten häufige Zusammenkünfte, und unsre Mittheilungen waren rückhaltslos. Er theilte mir das Ergebniß seiner Erfahrungen mit, und erging sich unaufhörlich in der Geschichte seiner Handlungen und Ansichten. Er erzählte die Abenteuer seiner Jugend und verweilte bei allen Umständen seiner Liebe zu meiner Gönnerin. Ich hatte in dieser Beziehung ein Allgemeines gehört. Im Laufe seiner Erzählung fand ich fortwährend Veranlassung, die hohen Eigenschaften der Dame zu bewundern und über die Leiden zu weinen, welche ihr die höllische Bosheit ihres Bruders zugezogen hatten.

Die durch die Beredtsamkeit dieses Erzählers ausgeführten und dramatisirten Geschichten der Missethaten dieses Mannes füllte mich mit Erstaunen. Wenn ein Dichter ein solches Portrait gezeichnet hätte, so würde ich geneigt gewesen sein, an seinem gesunden Verstand zu zweifeln. Bis jetzt hatte ich geglaubt, daß es keine einförmigen, und unvermischten Charakter gäbe, und meine Theorie der Leidenschaften setzte mich nicht in den Stand, eine Neigung zu erklären, die nur durch das Böse zu befriedigen war, und sich an Jammergeschrei und Schmerzen um ihrer selbst willen freute.

Es war natürlich, daß ich meinem Freunde, wenn er sich über dieses Thema aussprach, die Frage vorlegte, wie weit die späteren Ereignisse die Eindrücke verwischt hätten, welche damals gemacht worden waren, und ob es möglich sei, seine Ansprache zu dieser höchst günstigen Zeit wieder aufzunehmen. Wenn er es für angemessen hielt, diese Andeutungen zu beachten, so gab er mir zu verstehen, daß die Zeit in seinen Gefühlen in dieser Hinsicht keine wesentlichen Veränderungen hervorgebracht habe, – daß er noch immer einen jeden Tag neue Kraft erlangende Hoffnung hege, daß er, das Ergebniß möge sein, welches es wolle, auf seine Kraft baue, um es zu ertragen, wenn es ungünstig sei, und auf seine Klugheit, die werthvollsten Folgen daraus zu ziehen, wenn es günstig war.

Der Lauf der Dinge war seinen Hoffnungen nicht ungünstig; sie behandelte seine Andeutungen und Betheuerungen leicht hin, aber ihre Gründe schienen in keiner andern Absicht vorgebracht zu werden, wie eine Gelegenheit zur Widerlegung zu geben, und da keine Veränderung der Vertraulichkeit und Freundlichkeit stattfand, so blieb Raum für die Hoffnung vorhanden, daß das Benehmen seinen Wünschen gemäß endigen werde.


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