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Glaube nicht, daß ich diese Vorfälle triumphirend oder ruhig erzähle; meine ganze Erziehung und alle meine Lebensgewohnheiten dienten dazu, mich für einen solchen Kampf und ein derartiges Schauspiel ungeeignet zu machen. Aber ich wurde nicht von dem Geiste beherrscht, der für gewöhnlich mein Verfahren regelt; durch die beispiellosen Ereignisse, welche sich in der letzten Zeit zugetragen hatten, waren mir rachgierige, unbarmherzige und blutdürstige Gefühle eingeflößt worden.
Jetzt gab es Zeit zur Flucht. Wenn ich meine Waffen wegwarf, konnte ich in einem Augenblick den Wald erreichen. Ich hatte weder Munition, noch konnte mir Zeit bleiben, mein Gewehr wieder zu laden, mein Gegner würde meinen Dolch und meine Schnelligkeit nutzlos für mich gemacht haben. Wenn er mich fehlte, während ich floh, so blieb das Mädchen zurück und mußte durch ihre Qual und ihren Tod das Schicksal seiner Gefährten büßen.
Diese Gedanken stürmten in kürzerer Zeit durch meinen Geist, als zu dem Ausdrücken erforderlich ist. Sie wichen einem Auskunftsmittel, welches mir der Anblick der Flinte eingab, die zur Ermordung des Mädchens erhoben worden war und jetzt an der Erde lag. Ich bin nicht von starkem Knochenbau, aber es fehlt mir nicht an Gewandtheit und Kraft; Alles, was mir von diesen Eigenschaften noch übrig blieb, wurde jetzt angestrengt. Ich ließ mein Gewehr fallen, sprang die Anhöhe hinaus und flog vorwärts, um mich meiner Beute zu bemächtigen.
Erst als ich sie von der Erde aufhob, fiel mir ein, daß es angemessen sei, wenn ich meine frühere Stellung einnahm. Derjenige, welcher sich noch in der Hütte befand, konnte mich durch die Spalten der Wände bemerken und meine Vernichtung gewiß machen. Ich lief wieder auf den Rand der Anhöhe zu, und beabsichtigte, mich hinter denselben zu werfen; dies Alles geschah in einem Augenblicke, aber mein wachsamer Feind bemerkte seinen Vortheil und feuerte durch eine Oeffnung zwischen den Stämmen, die Kugel streifte meine Wange und brachte ein betäubendes Gefühl hervor, in dessen Folge ich augenblicklich zu Boden stürzte. Obgleich ich der Kraft beraubt und von dem Glauben erfüllt war, daß ich eine tödtliche Wunde erhalten habe, erlitt meine Vorsicht doch keine Verminderung; ich ließ die Flinte nicht los, und die Lage, in welche ich beim Fallen gerieth, setzte mich in den Stand, den Blick auf die Hütte gerichtet und die Hand am Drücker zu halten.
Als der Wilde meinen Zustande gewahrte, stürzte er aus seinem Versteck hervor, um sein Werk zu vollenden, erhielt aber drei Schritte vor der Schwelle meine Kugel in die Brust. Der geschwungene Tomahawk entfiel seiner Hand. Er stieß ein lautes Geschrei aus und stürzte auf den Körper seines Kameraden. Sein Geschrei drang mir tief in das Herz und ich wünschte, daß sein Glück sein Schicksal von ihm ab und auf mich gewendet hätte.
So habe ich Dir meine blutige unheilvolle Geschichte erzählt. Wenn Du an meine sanften Gewohnheiten, meinen Widerwillen gegen gewaltthätige, blutige Scenen, meine Unbekanntschaft mit dem Gebrauch der Feuerwaffen und dem Antriebe des Soldaten gedenkst, so wirst Du meiner Erzählung kaum Glauben schenken. Daß Jemand, der sich ohne Hülfsmittel oder Waffen, durch Mühseligkeiten und Schmerzen entmuthigt und geschwächt, in diese Gefahren stürzte, vier von Kindheit auf an die Listen und Anstrengungen der indianischen Kriegsführung gewöhnte Gegner besiegte, mag eher wie ein Traum der Phantasie wie als Wahrheit erscheinen.
Ich richtete den Kopf von der Erde auf und sann über das Schauspiel nach – die Großartigkeit dieser That ließ mich an deren Wirklichkeit zweifeln. Als ich meine Aufmerksamkeit auf meine Gefühle richtete, fand ich, daß ich keine Wunde erhalten habe, oder wenigstens keine, über die ich mit Recht klagen konnte. Das Blut strömte reichlich aus meiner Wange, aber die Verletzung war nur oberflächlich. Anders verhielt es sich mit meinen Gegnern. Der Letzte, der gefallen war, hörte jetzt auf zu stöhnen. Ihre mächtigen, an den Kampf gewöhnten und im Kriege geübten Glieder waren nutzlos für ihre eigene Vertheidigung und für die Beschädigung Anderer.
Die Verheerungen, welche ich erblickte, waren mächtig, drei mit kräftigen, feurigen Geistern begabte Wesen voller Energie und Heldenmuth hatten durch mich ihr Leben ausgehaucht, ich war das Werkzeug ihrer Vernichtung – dieses Schauspiel des Todes und des Blutvergießens war durch mich herbeigeführt – mit so schnellen Schritten war ich zu diesem Entsetzen geleitet worden.
In meinen Schmerz mischte sich Erstaunen. Dem mächtigen, einförmigen Ausdrucke zum Trotze, welchen äußere Gegenstände auf meine Sinne machten, waren die Uebergänge, welche ich erlitten hatte, so wild und unerklärlich – Alles, was ich vollbrachte – Alles, was ich gesehen hatte, seitdem ich die Grube verließ, war allen früheren Ereignissen so widersprechend, daß ich mich noch an den Glauben klammerte, daß meine Sinne verwirrt seien. Aus diesen Träumereien wurde ich endlich durch das Aechzen des Mädchens geweckt, das neben mir an der Erde lag.
Ich ging zu ihr und versuchte sie zu beruhigen, ich fand, daß sie, während sie auf dem Bett lag, einen Schlag auf die Seite erhalten hatte, der ihr noch heftige Schmerzen machte. Sie konnte weder aufstehen noch gehen, und es war deutlich zu erkennen, daß eine oder mehrere ihrer Rippen gebrochen seien.
Ich wußte nicht, welche Mittel ich zu unserer beiderseitigen Rettung ersinnen sollte. Die nächste Wohnung war möglicherweise viele Stunden entfernt. Ich wußte nicht, nach welcher Richtung ich gehen sollte, um sie zu erreichen, und meine Kräfte hätten nicht ausgereicht, um meine verwundete Gefährtin dorthin zu tragen. Es blieb uns nichts weiter übrig, wie bis zum Morgen auf diesen blutigen Stellen zu verweilen.
Ich hatte kaum diesen Entschluß gefaßt, als ich den Knall einer Flinte in geringer Entfernung vernahm und im nämlichen Augenblick hörte ich deutlich eine Kugel an mir vorüber pfeifen. Jetzt erinnerte ich mich, daß ich nur mit dem Schicksal von vier der Indianer, welche ich in der Höhle gesehen hatte, bekannt war. Der Fünfte lebte vielleicht noch und das Schicksal sparte ihm die Aufgabe, seine Gefährten zu rächen, auf, seine Schritte konnten jetzt zu ihrer Aufsuchung hierher gerichtet sein.
Die Muskete, welche demjenigen gehörte, den ich auf der Schwelle niedergeschossen hatte, war noch geladen – es war gerathen, jede mögliche Vorsichtsmaßregel gegen die Gefahr zu ergreifen. Ich bemächtigte mich seiner Flinte, setzte mich an die Erde und schaute sorgfältig nach allen Seiten hin, um die Annäherung des Feindes zu entdecken. Ich horchte mit athemloser Spannung.
Bald darauf ließen sich Stimmen vernehmen. Sie kamen aus dem Theile des Waldes, der meinen Blicken durch die Hütte verborgen wurde. Diese Stimmen hatten etwas an sich, was verkündete, daß sie Freunden und Landsleuten gehörten, aber bis jetzt war ich noch nicht im Stande, Worte zu unterscheiden.
Nach kurzer Zeit wurden meine Augen durch ein Geräusch wie von Füßen, welche das Gebüsch niedertreten, nach einer Stelle gelenkt. Ich sah mehrere Köpfe sich in einer Reihe hinter einander bewegen und endlich wurden die ganzen Gestalten sichtbar. Einer nach dem Andern sprang über eine Art Hügel, welcher an das Feld stieß und kam auf den Ort zu, wo ich saß. Dieser Trupp bestand aus zehn bis zwölf Personen, von denen jede eine Flinte auf der Schulter hatte. Sobald ich ihre Kleidung bemerkte, verstummten alle meine Befürchtungen.
Sie kamen bis auf wenige Schritte heran, ehe sie mich bemerkten. Der Eine blieb stehen, machte seinen Begleiter aufmerksam und fragte, wer ich wäre. Ich antwortete, daß ich ein Freund sei, der um ihren Beistand bitte. Ich will ihrs Erstaunen, als sie mich beim Näherkommen von den Waffen und Leichen meiner Feinde umgeben sahen, nicht beschreiben.
Ich saß an der Erde, hielt den Kopf mit der linken Hand, und stützte den Kolben einer schweren Muskete auf das Knie. Mein Gesicht war blaß und eingefallen, mein Hals und meine Brust mit Blut gefärbt und meine durch die Dornen fast ganz ihrer geringen Bedeckung beraubten Glieder von tausend Wunden zerfetzt. Drei Wilde, von denen zwei in ihrem Blute schwammen, lagen mit den Spuren des erst vor kurzer Zeit entflohenen Lebens im Gesicht, in geringer Entfernung. Dicht daneben befand sich das Mädchen, das ihren Schmerz durch das tiefste Stöhnen zu erkennen gab und die Kommenden um Beistand anflehte.
Einer von der Gesellschaft gab, als er sich dem Mädchen näherte, die höchste Bewegung zu erkennen.
»Guter Gott!« rief er, »ist dies ein Traum? – Ist's möglich, daß Du es bist? – Sprich!«
»Ach, mein Vater! Mein Vater!« antwortete sie, »ich bin es wirklich!«
Die durch dieses Gespräch herbeigerufene Gesellschaft drängte sich um das Mädchen, das ihr Vater von der Erde aufhob und in freudigem Entzücken an die Brust drückte. Auf dieses Entzücken folgte die Besorgniß wegen ihres Zustandes. Sie konnte seine Fragen nur durch Klagen, daß ihre Seite ganz zerschmettert sei, beantworten.
»Wie bist Du hierher gekommen? Wer hat Dich verwundet? Wohin hatten Dich die Indianer geschleppt?« waren Fragen, auf die sie nur durch Schluchzen und Wehklagen antworten konnte.
Ich vergaß meine eigenen Trübsale über der Betrachtung der Liebe und des Mitleides des Mannes für sein Kind. Ich fühlte von Neuem Freude bei dem Gedanken, daß ich sie nicht verlassen hatte und daß sie ihre Rettung meinen Anstrengungen verdankte. Die Fragen, welche das Mädchen nicht beantworten konnte, wurden jetzt an mich gerichtet. Alle fragten, wer ich sei, woher ich gekommen war und was diesen blutigen Kampf veranlaßt habe.
Ich war nicht geneigt, mich weitläufig über meine Geschichte auszulassen. Der Geist, welcher mich bis jetzt aufrecht erhalten hatte, fing jetzt an zu erschlaffen. Meine Kraft strömte mit meinem Blute dahin – ich wurde von Zittern, Mattigkeit und tödtlicher Kälte überwältigt und sank ohnmächtig nieder.
Das ist die launenhafte Zusammensetzung des menschlichen Geistes! So lange Gefahren drohten, so lange mein Leben nur durch Eifer, Muth und Wachsamkeit zu bewahren war, fehlte ich mir selbst nicht. Wenn meine Gefahren fortgedauert hätten oder selbst gewachsen wären, so würde meine Energie unzweifelhaft gleichen Schritt mit ihnen gehalten haben; aber in dem Augenblick, wo ich mich von Beschützern umgeben und in Sicherheit versetzt sah, wurde ich kraftlos und ohnmächtig. Meine Schwäche war an Dauer und Größe meinen vorausgegangenen Leiden angemessen, und die Ohnmacht, in welche ich jetzt sank, wurde von den Zuschauern unzweifelhaft für den Tod gehalten.
Als ich aus dieser Ohnmacht erwachte, waren meine Gefühle denen nicht unähnlich, die ich empfunden hatte, als ich in der Grube erwachte. Auf einen Augenblick wurde Alles von Nebel umhüllt und ich war nicht im Stande, etwas zu unterscheiden. Meine Sehkraft kehrte schnell zurück – mein peinlicher Schwindel verschwand und ich überblickte das Schauspiel vor mir voll Besorgniß und Verwunderung.
Ich fand mich an der Erde ausgestreckt. Ich sah die Hütte und den benachbarten Wald von dem sinkenden Monde beleuchtet. Mein Kopf ruhte auf einem Gegenstande, der, wie ich fand, als ich mich umdrehte, um ihn zu untersuchen, einer der getödteten Indianer war. Die beiden Anderen lagen in geringer Entfernung an der Erde, so wie sie gefallen waren. Ihre Waffen, das verwundete Mädchen und die Gesellschaft, welche sich in meiner Nähe befunden hatten, als ich ohnmächtig wurde, waren verschwunden.
Mein Kopf lag auf der Brust desjenigen, den ich in diesen Theil des Körpers geschossen hatte. Das Blut strömte nicht mehr aus der Wunde, aber meine verwirrten Locken waren von demjenigen durchdrungen, welches aus der Wunde geflossen war und dieselbe verstopft hatte. Ich sprang von diesem widerwärtigen Lager auf und stellte mich auf die Füße.
Ich erinnerte mich weder sofort an das was sich vor Kurzem zugetragen hatte, noch begriff ich die Natur meiner Lage. Endlich traten mir die Ereignisse wieder vor das Gedächtniß.
Daß mich diese Menschen in diesem traurigen Zustande verlassen hatten, schien einen Grad von Feigheit oder Grausamkeit zu verrathen, den ich ihnen nicht zugetraut hätte. Ich erinnerte mich jedoch bald, daß der Anschein sie leicht dazu habe verleiten können, an meinen Tod zu glauben – mich bei dieser Voraussetzung fortzuschaffen oder bei mir zu bleiben, würde nutzlos gewesen sein – vielleicht waren noch andere Feinde in der Nähe, oder ihre Familien bedurften jetzt, wo ihre Befürchtung einigermaßen beschwichtigt waren, ihrer Gegenwart und ihres Schutzes.
Ich ging in die Hütte. Das Feuer brannte noch und gewährte mir belebende Wärme. Ich setzte mich vor dasselbe und fing an, über den Zustand nachzudenken, in welchen ich versetzt war, und über die Maßregeln, welche ich zunächst ergreifen sollte. Das Tageslicht konnte nicht sehr weit entfernt sein – sollte ich bis zum Morgen in dieser Hütte bleiben oder sogleich meinen Weg fortsetzen? Ich war allerdings schwach, aber wenn ich hier blieb, so würde sich meine Schwäche noch vermehrt haben. Je eher ich eine menschliche Wohnung erreichte, um so besser, während mich die Wachsamkeit und der Hunger bei jeder Minute Verzögerung weniger fähig gelassen haben würden, vorwärts zu gehen.
Dieser Ort konnte am folgenden Tage besucht werden, aber dies war ungewiß. Die Besucher, wenn solche erschienen, würden nur kommen, um die Todten zu untersuchen und zu begraben und weder die Kleidung noch die Nahrung mitbringen, deren ich bedurfte. Der Weg war hinlänglich erkennbar und führte mich unausbleiblich zu einer menschlichen Wohnung. Ich beschloß daher, ohne Zeitverlust aufzubrechen.
Selbst in diesem Zustande vergaß ich nicht, daß meine Sicherheit die Vorsichtsmaßregel der Bewaffnung erfordern könne. Ueberdies war die Waffe, welche ich von Sarsefield erhalten und so unvermuthet wieder erlangt hatte, in meinen Augen um nichts werthloser gemacht worden. Ich hoffte, daß sie der Nachforschung derjenigen entgangen sei, die hier gewesen waren, und noch unterhalb des Abhanges an der Stelle liege, wo ich sie hatte fallen lassen.
Diese Hoffnung wurde nicht getäuscht – ich fand sie. Ich bemächtigte mich des Pulvers und Blei's, welches einem der Wilden gehört hatte, und lud sie. So zur Vertheidigung gerüstet, betrat ich den Weg wieder und ging schnell vorwärts. Die Natur hatte für die Wunde in meiner Wange ein blutstillendes Mittels gegeben, aber der Schmerz war groß und ich dachte an kein anderes Mittel wie an Wasser, womit ich das Blut abwaschen konnte. Mein Durst belästigte mich gleichfalls und ich sah mich eifrig nach den Spuren einer Quelle um. In einem Boden wie die mich umgebende Wildniß war nichts weniger zu erwarten, als daß ich auf Wasser stoßen würde. In dieser Hinsicht war mir jedoch das Schicksal günstig. Ich blickte bald Wasser in den Radspuren – es floß von der Seite aus dem Dickicht hierher, und als ich ihm in das Gebüsch folgte, erreichte ich die murmelnde Quelle – obgleich sie spärlich und klein war, gewährte sie mir doch unaussprechliche Erfrischung.
Du wirst vielleicht glauben, daß meine Gefahren jetzt zu Ende waren, daß das Blut, welches ich schon vergossen hatte, für meine Sicherheit genügend sei; ich hoffte wenig, daß keine neue Nothwendigkeit eintreten werde, die Waffen zu berühren, welche ich zu meiner Vertheidigung trug. Ich faßte eine Art Entschluß, den Kampf mit einem neuen Feinde fast auf Kosten meines eigenen Lebens zu vermeiden; ich war durch das Blutvergießen übersättigt und dachte mit Abscheu und Widerwillen an einen neuen Verwickelungsact.
Aber obgleich ich fürchtete, einem neuen Feinde zu begegnen, wußte ich doch, daß möglicherweise ein Freund in der Nähe sein könne. Ich war vorsichtig vorwärts gedrungen und mein Gesicht und Gehör achtete auf die geringsten Zeichen. Außer dem Trupp, welchen ich getroffen hatte, konnten andere in der Nähe umherschweifen und ich erinnere mich, daß von diesen wenigstens ein Mann am Leben geblieben.
Die Freude, welche mir der Quell gemacht hatte, war so groß, daß ich mich nicht beeilte, mich zu entfernen. Ich lag auf einem Felsen, der von einem Baume hinter mir beschattet wurde, von dem Orte aus konnte ich den Weg auf einige Entfernung überblicken und zugleich gegen die Beobachtung eines Andern geschützt sein.
Jetzt wurden meine Augen auf die Bewegungen gezogen, welche denen eines Thieres glichen. Unter anderen Umständen würde ich sofort vermuthet haben, daß es ein Wolf, ein Panther oder ein Bär sei, jetzt waren meine Befürchtungen in einer andern Beziehung rege und meine erschreckte Phantasie stellte sich nichts wie einen menschlichen Gegner vor.
Zu beiden Seiten des Weges lag Gebüsch – das meinem Platze gegenüber befindliche wurde in geringer Entfernung durch das bebaute Feld unterbrochen. Der Weg zog sich, auf der einen Seite von Gebüsch und auf der anderen durch den offenen Raum eingeschlossen, an diesem Felde hin, und auf diesem freien Raum bewegte sich das Wesen, welches ich jetzt entdeckte, vorsichtig zu mir.
Es bewegte sich auf allen Vieren und kam mir bald nahe genug, daß ich es erkennen konnte. Seine bemalten Glieder, die Verzierungen an seinen Ohren und seiner Nase und sein geschornes Haar waren unzweifelhafte Beweise, daß es ein Wilder sei. Von Zeit zu Zeit erhob er sich über das Gebüsch und überblickte mit argwöhnischer Wachsamkeit die Hütte und den Raum um dieselbe, dann ließ er sich wieder nieder und kroch wie vorher weiter.
Ich war nicht in Verlegenheit, wie ich diese Erscheinung deuten sollte – dies war ein überlebender Feind; er wußte nichts von dem Schicksal seiner Gefährten und näherte sich jetzt dem Schauplatz des Blutvergießens, um sich Gewißheit über ihr Schicksal zu verschaffen.
Der Vortheil war mir wieder geboten, von diesem Orte aus konnte ich mit Sicherheit zielen, und den letzten von diesem feindseligen Trupp das Schicksal der Uebrigen theilen lassen – sollte ich schießen, oder ihn in Sicherheit vorüber gehen lassen?
Mein Abscheu vor dem Blutvergießen war nicht vermindert, aber diesen Fall hatte ich nicht vorausgesehen. Meine bisherigen Erfolge hatten von einer Reihe Zufälle abzuhängen geschienen, von denen ich nicht erwarten konnte, daß sie wieder eintreten würden, aber jetzt hatte ich die nämliche Macht: das Ziel war nahe – nichts hinderte mich oder hielt mich ab; ich lief keine Gefahr und der Erfolg war sicher.
Warum sollte er am Leben bleiben dürfen; er war hierhergekommen, um meine Freunde zu morden und zu berauben; er hat dies unzweifelhaft schon vollbracht – ja, hat er nicht an der Ermordung meines Onkels und meiner Schwestern Theil genommen? Wenn er am Leben bleibt, so wird er nur die nämliche unbarmherzige Beschäftigung fortsetzen, das Blut meiner unglücklichen Freunde und meiner Brüder trinken, und sich ihres Jammers freuen. Das Schicksal hat ihm einen blutigen, gewaltsamen Tod vorbehalten – wie lange er auch aufgeschoben wird, muß seine Laufbahn doch endlich auf diese Weise endigen.
Wenn ich ihn verschone, so wird er noch länger in der Wildniß umherschweifen, und ich bin vielleicht dazu bestimmt, ihm wieder zu begegnen; dann ist vielleicht unsre gegenseitige Lage eine ganz andere und der Vortheil, welchen ich jetzt besitze, auf seiner Seite.
Während ich mich hastig mit diesen Gedanken beschäftigte, wußte ich recht gut, daß sich ein Ereigniß zutragen könnte, welches jedes Bedenken nutzlos machen würde. Wenn er vorher den Ort entdeckte, wo ich lag, so mußte ein Zaudern enden. Meine Sicherheit machte es unumgänglich nothwendig, daß ich schoß. Die Ueberzeugung veranlaßte mich, den Blick fest auf seine Bewegungen zu richten und mich bereit zu halten, seinem Angriff zuvor zu kommen.
Jetzt fiel mir noch zur rechten Zeit ein, daß noch eine wesentliche Pflicht zu erfüllen sei – eine Operation, ohne welche die Feuerwaffen nutzlos sind, war unerklärlicherweise vernachlässigt worden – mein Gewehr war nicht gespannt. Ich überlegte nicht, daß bei der Bewegung der Feder nothwendigerweise ein Laut hervorgebracht werden mußte, der genügte, ihn zu beunruhigen, aber ich wußte, daß die Aussicht, seiner Beobachtung zu entgehen, wenn ich vollkommen stumm und still blieb, außerordentlich gering sei und daß in einem solchen Falle seine Bewegungen schneller, wie die des Lichtes sein würden; es war daher meine Pflicht, das Vergessen wieder gut zu machen.
Der Ton erfüllte ihn mit Unruhe; er drehte sich um und warf einen forschenden Blick auf mich. Ich sah, daß das Erbarmen nicht mehr in meiner Macht sei; aber mein Herz bebte, während ich erfüllte, was man gewiß nur unumgängliche Nothwendigkeit nennen kann. Dieses Schwanken ließ mich vermuthlich ein wenig von der tödtlichen Linie abweichen – er wurde durch die Wunde kampfunfähig gemacht, aber nicht getödtet.
Er verlor alle Kraft zum Widerstand und war daher nicht mehr zu fürchten, er wälzte sich an der Erde umher, stieß ein jämmerliches Geschrei aus und schleuderte die Glieder in den Zuckungen umher, welche die höchste Qual verkünden, welcher der unglückliche Mensch unterworfen war. Schauder, Mitleid und Reue vermischten sich zu einem einzigen Gefühl und bemächtigten sich meines Herzens. Ich entfernte mich von dem Orte, um dieses Schauspiel nicht zu sehen, machte aber Halt, ehe ich außer Hörweite seines Geschrei's gekommen war.
Der Gedanke, welcher mich von dem Schauspiel hinwegtrieb, war kleinlich oder feig; das Geschehene konnte, so bedauerlich es auch war, nicht wieder gut gemacht werden; aber konnte ich diesem Unglücklichen nicht einige Erleichterung verschaffen? – War ich nicht wenigstens im Stande, seinem Leiden ein schnelles Ende zu machen? So so konnte er sich Stunden lang krümmen und den Tod rufen. Warum sollten seine Qualen nutzlos verlängert werden.
Es gab nur ein Mittel, sie zu endigen. Ihn sofort zu tödten, war das Gebot des Mitleids und der Pflicht. Ich kehrte schnell um und richtete wieder die Flinte auf seinen Kopf. Es war eine peinliche Verpflichtung, die ich mit unüberwindlichem Widerwillen erfüllte. Den Körper eines schon am Boden liegenden und machtlosen Feindes so anzugreifen und zu verstümmeln, war eine verabscheuungswürdige That, aber in diesem Falle wurde sie mir durch das Mitleid vorgeschrieben.
Meine bebende Hand machte diese zweite Kugel wirkungslos, es blieb mir jedoch ein zweites, noch verabscheuungswürdigeres Mittel übrig. Nachdem ich soweit gegangen war, würde es unmenschlich gewesen sein, inne zu halten: sein Herz konnte vielleicht durch das Bajonnet durchbohrt und so seinem Leben ein Ende gemacht werden.
Diese Handlung grausamer Barmherzigkeit war endlich vollbracht. Ich ließ die Waffe fallen und warf mich, durch das Entsetzliche dieses Schauspiels überwältigt, an die Erde. Das sind die Thaten, zu deren Vollbringung und Anschauen die verderbte Natur Tausende von verständigen Wesen zwingt – dies ist das endlos verlängerte und veränderte Schauspiel, das sich auf jedem Schlachtfelde zeigt, für welches nur die Gewohnheit und das Beispiel, die Verlockungen des Gewinnes und die Trugbilder der Ehre nicht zu widerwilligen und gleichgültigen, sondern zu eifrigen, erfreuten Theilnehmern und Zuschauern machen!
So wurde durch eine Reihe von unmöglich zu berechnenden oder vorauszusehenden Ereignissen die Vernichtung eines zu einem schweren Unternehmen unter ihren Gefährten ausgewählten Trupps, der sich durch Tapferkeit und Gewandtheit auszeichnete und ebenso wohlbewaffnet gegen einen Ueberfall wie gegen die Gewalt war, durch die Hand eines nicht an Feindseligkeiten gewöhnten, nicht mit Waffen versehenen, unbedachten, schüchternen Jünglings vollbracht! Ich habe Männer gekannt, die zu keinem andern Zwecke geboren zu sein schienen, wie durch ihre Thaten die Erfahrung Lügen zu strafen, die Voraussicht zu verwirren und alles Glaubwürdige zu übertreffen. Wollte Gott, daß ich nicht verdient hätte, zu ihnen gezählt zu werden! Aber welche Macht hatte mich gerade zur rechten Zeit aus dem Todesschlafe geweckt, daß ich dem unbarmherzigen Messer dieses Feindes entging? Wenn meine Ohnmacht fortgedauert hätte, bis er den Ort erreichte, so würde er meinen Tod durch neue Wunden herbeigeführt und mir die Haut vom Kopfe gerissen haben. Dies sind die feinen Fäden, an welchen das Schicksal des Menschen und des Universums hängt! Während ich mit diesen Gedanken beschäftigt war, bemerkte ich, daß der Mondschein vor dem Lichte der Sonne zu erbleichen begonnen hatte; eine düstere, röthliche Farbe verbreitete sich über den Osten. Durch diese Erscheinung erfreut, bemerkte ich mich wieder auf und setzte meinen Weg fort. Ich ließ den Wilden liegen, bemächtigte mich aber seines Tomahawks; ich hatte den meinigen in der Höhle zurückgelassen und diese Waffe vermehrte meine Last nur wenig; eine phantastische Laune bewog mich, seine Muskete in die Erde zu stoßen und ich ließ sie mitten im Wege aufrecht stehen.