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So wurde ich aus meinem Gefängniß befreit und dem Genuß der Luft und des Lichtes wiedergegeben. Vielleicht war der Zufall, welcher mich zu dieser Oeffnung führte, fast wunderbar; in jeder anderen Richtung hätte ich mich in ein unentirrbares Labyrinth vertiefen und meinen Untergang gewiß machen können. Aber was blieb jetzt noch zu thun übrig, um mich in vollkommene Sicherheit zu versetzen; außer dem Feuer konnte ich nichts sehen, aber da der Rauch schnell fortzog, so war deutlich daraus zu schließen, daß die Höhle auf der andern Seite der Luft zugänglich sei.
Ich ging vorwärts, aber meine Augen waren auf das Feuer gerichtet. Nach kurzer Zeit gewahrte ich in Folge des Umstandes, daß ich meine Stelle veränderte, mehrere Füße und die Ränder einer Decke. Ich erschrack über diese Erscheinung ein wenig. Die Füße waren nackt und mit plumpen Figuren bemalt. Die Mocassins, welche neben ihnen lagen und seltsame Zierathen zeigten, weckten augenblicklich den Verdacht, daß es Indianer seien. Kein Anblick war so geeignet, wie dieser, um Erstaunen und und Unruhe zu erregen. Hatte mich eine geheimnißvolle Macht von der Erde hinweggerissen und mich einen Augenblick mitten in die Wildniß versetzt? War ich noch in der Nähe meiner väterlichen Wohnung, oder Tausende von Meilen von ihr entfernt?
Waren dies die beständigen Bewohner dieser Gegend oder umherschweifende Räuber? So lange ich mich im Schooße des Berges befand, hatte ich den unklaren Glauben gehegt, daß ich mich noch innerhalb der Grenzen von Norwalk bewege. Diese Meinung wurde durch die Gegenstände, welche ich jetzt erblickte, auf einen Augenblick erschüttert, aber sie kehrte bald zurück. Wie sollte aber diese Ansicht mit so seltsamer, ungeschlachter Erscheinung in Einklang gebracht werden und welche Maßregel gab es, um die gebührende Rücksicht auf meine Sicherheit zu ergreifen?
Jetzt erblickte ich vier kräftige, furchtbare Gestalten, die am Boden lagen. Sie lagen neben einander auf der linken Seite, so daß mir ihre Gesichter verborgen waren. Neben Jedem befand sich ein freier Zwischenraum, auf dem eine Muskete lag; ihre rechten Hände schienen den Schaft ihrer Gewehre zu berühren, wie um sie beim ersten Zeichen einer Störung zu erfassen.
Die Oeffnung, durch welche ich diese Gegenstände erblickte, befand sich im Hintergrunde der Höhle und einige Fuß vom Boden entfernt; sie war gerade nur groß genug, daß sie einem menschlichen Körper den Durchgang gestattete, und in tiefe Dunkelheit gehüllt; so lange ich das Schweigen bewahrte und mich ihren Blicken fern hielt, lief ich keine Gefahr, beargwöhnt oder bemerkt zu werden.
Ich kam schnell zu dem Schlusse, daß sich diese Gäste an diesem Orte nur kurze Zeit aufhalten könnten. Ich durfte mit gutem Grunde vermuthen, daß es jetzt Nacht sei und daß sie nach einer kurzen Ruhe aufbrechen und ihre Wanderung fortsetzen würden. Ich beabsichtigte zuerst, in diesem Versteck bis zu ihrer Entfernung verborgen zu bleiben und machte mich darauf gefaßt, die Einkerkerung und den Durst noch ein wenig länger zu ertragen.
Meine Gedanken beschäftigten sich inzwischen mit der Erklärung dieses Schauspiels. Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß Norwalk das Ende einer schmalen, unfruchtbaren Strecke ist, die im indianischen Gebiet anfängt. Sie bildet eine Art rauher, felsiger Adern, und zieht sich über fünfzig Meilen weit hin. An einigen Stellen wird sie von schmalen, verwickelten Pfaden durchschnitten, durch welche die Verbindung zwischen den Farmen und Ansiedelungen zu beiden Seiten der Felskämme bewerkstelligt wird.
Diese rauhe Fläche war während der früheren Indianerkriege zuweilen von den Rothhäuten durchzogen worden, und mit Hülfe derselben hatten sie häufige und verderbliche Einfälle in das Herz der englischen Niederlassungen gemacht. Trotz der Vermehrung der Bevölkerung und der erhöhten Gefahr eines solchen Unternehmens war im Laufe des letzten Krieges eine Bande von ihnen in Norwalk eingedrungen und lange genug dort geblieben, daß sie einige der benachbarten Einwohner ausplündern und ermorden konnten.
Ich habe gute Ursache, mich dieses Ereignisses zu erinnern. Das Haus meines Vaters lag am Rande dieser Einöde; acht von diesen Mördern griffen es in tiefer Nacht an – meine Eltern und ein kleines Kind wurden in ihren Betten ermordet, das Haus geplündert und dann niedergebrannt – meine Schwestern und ich waren glücklicherweise zu einem Besuche auswärts. Der vorhergehende Tag war für unsre Rückkehr in das Haus unseres Vaters bestimmt gewesen, aber es hatte sich ein Sturm erhoben, der die Fahrt über den Fluß gefährlich machte und uns dadurch, daß er uns zwang, unsere Reise aufzuschieben, vor Gefangenschaft oder Tod bewahrte.
Die Mehrzahl der Menschen wird durch eine Art Furcht oder Antipathie verfolgt, welche sie in den meisten Fällen auf einen Vorfall zurückführen kann, der ihnen in früheren Jahren zugestoßen ist. Es wird Dich nicht in Erstaunen setzen, daß das Schicksal meiner Eltern und der Anblick der Leiche des einen von dieser wilden Bande, der bei der Verfolgung eingeholt und getödtet worden war, einen dauernden und furchtbaren Eindruck auf meine Phantasie gemacht hat – ich habe nie ohne Schaudern einen Wilden gesehen oder mir sein Bild in das Gedächtniß gerufen.
Ich wußte, daß um diese Zeit einige Feindseligkeiten an der Grenze stattgefunden hatten – daß die Indianerstämme durch eine lange Reihe von Ungerechtigkeiten und Verletzungen aufgebracht worden waren und daß man allgemein einen unbarmherzigen Vernichtungskrieg erwartete. Wir glaubten in unerreichbarer Ferne von der Gefahr zu sein, aber ich konnte nicht umhin, mich zu erinnern, daß diese Ueberzeugung früher ebenso fest gewesen sei wie jetzt, und daß ein Unternehmen, welches einmal gelungen war, möglicherweise wieder versucht werden konnte. Hier fanden sich alle Zeichen der Feindseligkeit und des Blutvergießens; jede liegende Gestalt war mit einer Flinte und einem am Leibe befestigten Lederbeutel versehen, der vermuthlich Kugeln und Patronen enthielt.
Durch diese Gedanken wurde das Bewußtsein meiner eigenen Gefahr auf's Neue belebt und geweckt, aber ich sann zugleich über die Gefahren nach, welche Anderen drohen konnten – ich war unzweifelhaft in Sicherheit geborgen, wenn ich in diesem Schlupfwinkel blieb, aber war es nicht möglich, ein Mittel zu ergreifen, durch welches Andere von der ihnen drohenden Gefahr gewarnt wurden? Wenn sie diesen Ort verließen, ohne daß die arglosen und friedlichen Bewohner der Umgegend von ihrer Annäherung benachrichtigt wurden, so konnten sie binnen wenigen Stunden die furchtbarsten, nicht wieder gut zu machenden Gräuel begehen.
Es war nur auf eine Art möglich, Lärm zu machen. Konnte ich nicht unbemerkt und ohne die Schläfer zu stören, aus dieser Höhle kommen? Der Schlummer eines Indianers wird durch das geringste Geräusch gestört, aber wenn jedes Geräusch fern bleibt, so ist er in der Regel tief. Ich glaubte, daß es möglich sei, meinen jetzigen Platz zu verlassen, in die Höhle hinabzusteigen und ohne das leiseste Geräusch hinauszugehen; ihre liegende Stellung überzeugte mich, daß sie schliefen – der Schlaf kommt auf ihr Geheiß, und wenn sie einmal zu unangenehmer Zeit wachsam sein müssen, so kauern sie immer auf den Fersen, stützen die Ellbogen auf die Knie und verbringen die langweiligen Stunden mit Rauchen.
Meine Gefahr mußte sehr groß sein – es konnten sich Vorfälle ereignen, die ich nicht in der Macht hatte und nicht voraussehen konnte, um sie in dem Augenblick zu wecken, wo ich an dem Feuer vorüber ging. Wenn ich wohlbehalten vorüber kam, so konnte ich in eine Wildniß gerathen, von welcher ich nicht die mindeste Kenntniß hatte, wo ich umherwandern konnte, bis ich vor Hunger umkam, oder wo meine Schritte von diesen unbarmherzigen Feinden bemerkt und ich verfolgt und eingeholt wurde. Diese Gefahren waren groß und drohend, aber ich bedachte auch, daß ich mich vielleicht in nicht großer Entfernung von den menschlichen Wohnungen befinde und daß mein Entkommen sie vor dem furchtbarsten Unglück bewahren könne. Ich beschloß, diesen gefährlichen Versuch ohne Zeitverlust zu machen.
Ich kam näher an den Ausgang und erhielt dadurch einen ausgedehnteren Ueberblick über die Höhle. Zu meinem unaussprechlichen Entsetzen erblickte ich jetzt Einen, der am Feuer saß; er hatte mir den Rücken zugedreht, so daß ich seine riesige Gestalt und seine phantastische Ausschmückung deutlich sehen konnte.
Mein Plan war vereitelt. Dieser Eine hatte vermuthlich den Auftrag, zu wachen und seine Kameraden zu wecken, wenn sie genug geschlafen hatten. Es war leicht zu schließen, daß er in der Ausführung der ihm zugewiesenen Rolle nicht untreu oder nachlässig sein werde – an ihm vorüberzukommen, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen, war unmöglich, und der Eingang konnte auf keine andere Art erreicht werden. Ich wich wieder zurück und sann hoffnungslos und von Besorgniß erfüllt über die Noth nach, in welcher ich mich befand.
Dieser Zeitraum trüber Ahnungen dauerte nicht lange. Eine Bewegung des am Feuer Sitzenden erregte meine Aufmerksamkeit – ich schaute hin und sah, daß er sich von seinem Platze erhob und aus der Höhle ging. Dieser unerwartete Umstand gab meinen Gedanken eine neue Richtung. Konnte aus seiner Abwesenheit nicht irgend ein Vortheil gezogen werden, war es nicht möglich, nun meine Flucht zu bewerkstelligen. Er hatte seine Flinte und Axt an der Erde zurückgelassen und es war daher wahrscheinlich, daß er nicht weit gegangen sei und bald zurückkehren werde. Konnte ich mich nicht dieser Waffen bemächtigen und mich so einigermaßen gegen die Gefahr rüsten, ihn draußen zu treffen oder verfolgt zu werden?
Ehe ich einen Beschluß fassen konnte, drang ein neuer Laut zu meinen Ohren: es war ein tiefes Stöhnen und dann ein Schluchzen, welches hervorbrechen zu wollen schien, aber von der leidenden Person mit Gewalt unterdrückt wurde. Dieser leise, bittere Klagelaut kam augenscheinlich von Jemand in der Höhle – er konnte nicht von einem von dieser braunen Bande herrühren. Er mußte daher von einem Gefangenen kommen, den sie für den Martertod oder die Sclaverei aufbewahrt hatten und der die Abwesenheit des Wachenden dazu benutzte, sich seiner Verzweiflung zu überlassen.
Ich streckte wieder den Kopf vor und sah ein junges, an Händen und Füßen gebundenes Mädchen von den Uebrigen entfernt liegen. Sie trug die grobe, braune Kleidung der Gegend, was sie als die Tochter eines Farmers bezeichnete. Ihr Gesicht verkündete den höchsten Grad von Furcht und Pein und sie bewegte die Glieder auf eine Weise, welche bewies, daß die Bande, womit sie gefesselt waren, durch ihre Festigkeit den größten Schmerz verursachten.
Jetzt richteten sich meine Wünsche nicht allein auf meine eigene Rettung und die Vereitelung der künftigen Versuche der Wilden, sondern auch auf die Befreiung dieses unglücklichen Opfers. Diese war nur zu bewerkstelligen, wenn ich aus der Höhle herauskam und mit geeignetem Beistande zurückkehrte; – das Schluchzen des Mädchens konnte die Schläfer wecken – mein Erscheinen vor ihr würde sie veranlaßt haben, ihr Erstaunen durch einen Ruf oder einen Schrei zu erkennen zu geben – was war daraus zu schließen, als daß die Bande aufspringen und ihre unfehlbaren Waffen gegen mein Haupt richten werde.
Ich weiß nicht, warum ich gegen diese Gefahr unempfindlich blieb. Mein Durst wurde durch diesen Aufschub unerträglich gemacht. Das Murmeln, welches mich hierher gelockt hatte, ließ sich noch immer hören – ein Wasserfall oder Bach konnte nicht weit entfernt von dem Eingange der Höhle sein und es war mir, als ob ein Schluck Wasser ein selbst durch den Tod wohlfeil erkaufter Genuß sei; dies und uneigennützigere Rücksichten, welche ich schon erwähnt habe, trieben mich vorwärts.
Die Wange des Mädchens ruhte auf dem harten Felsen und seine Augen wurden durch Thränen getrübt, da sie dieselben jedoch nach meiner Seite wendete, so hoffte ich, daß meine Bewegungen von ihr allmälig bemerkt werden, und dies daher ihr Erstaunen vermindern würde. Diese Hoffnung ging in Erfüllung; ich war noch nicht viele Schritte weit gegangen, als sie mich bemerkte. Dieser Augenblick war bedenklicher wie jeder andere im Laufe meines Daseins – mein Leben hing so zu sagen an einem Faden; Alles beruhte auf dem Eindruck, welchen diese Entdeckung auf das schwache Opfer machen würde.
Ich achtete aufmerksam auf die erste Bewegung ihres Auges, welche das Bewußtsein meiner Gegenwart andeuten würde. Ich bemühte mich, sie durch Geberden und Blicke daran zu hindern, daß sie ihre Bewegung verrieth. Meine Aufmerksamkeit richtete sich zu gleicher Zeit auf die Schlafenden und ich warf einen besorgten Blick auf die Gegend, aus welcher der wachende Wilde erscheinen konnte.
Ich bückte mich und ergriff die Muskete und die Axt. Der Raum jenseits des Feuers führte, wie ich erwartet hatte, in das Freie. Ich ging mit bebenden Schritten hinaus. Die Gefühle, welche mir die mich umgebenden Gefahren in Verbindung mit meinen kürzlich erduldeten Leiden einflößten, und die Einwirkung des Mondes, der jetzt hoch am Himmel stand und durch seinen Glanz meine geschwächten Augen blendete, sind nicht leicht zu beschreiben.
Ich war eine Minute lang unfähig, irgend einen Gegenstand zu unterscheiden. Diese Verwirrung verschwand bald und ich fand mich am Rande eines steilen Felsens. Auf allen Seiten stiegen zerklüftete Anhöhen empor; zur Linken befand sich ein Raum, welcher Fuß zu fassen gestattete; hierher wendete ich mich; unter mir selbst floß ein Bach, und dieser Weg schien zu demselben zu führen. Er zeigte sich bald meinen Blicken, und jede andere Sorge verschwand eine Zeit lang.
Das Wasser kam von dem Berge herab und fiel auf einen flachen Vorsprung, der sich zu beiden Seiten hinzog und auf welchem ich jetzt stand. Der Pfad wurde zur Linken von einer unzugänglichen Mauer begrenzt und endete zur Rechten in der Entfernung von zwei bis drei Fuß in einem Abgrund. Das Wasser floß acht bis zehn Fuß vor mir und es schien, als ob sich kein Hinderniß zwischen mir und demselben erheben werde. Ich eilte schnell vorwärts.
Meine Schritte wurden bald gehemmt; dicht neben dem herabfallenden Wasser erblickte ich jetzt den Wilden, der die Höhle vor mir verlassen hatte. Er saß am Rande, hatte den Rücken an den Felsen gelehnt und ließ die Beine über den Abgrund hinabhängen. Das Geräusch des Wasserfalles und die Unwahrscheinlichkeit einer Störung, wenigstens von dieser Seite, hatten ihn unachtsam gegen meine Bewegungen gemacht.
Ich blieb stehen. Der einzige Weg, auf welchem ich entkommen konnte, führte an diesem Rande entlang und wurde durch diesen Gegner vollständig gesperrt. Wenn ich auf ihn zuging oder blieb, wo ich war, so brachte dies die nämliche Wirkung hervor. In beiden Fällen würde dies bemerkt worden sein. Er war unbewaffnet, aber sein Geschrei würde augenblicklich seine Gefährten zum Beistand herbeigerufen haben. Ich konnte nicht hoffen, ihn zu überwältigen und ungeachtet seines Widerstandes an ihm vorbei zu kommen; aber selbst wenn ich dies bewerkstelligte, so begann augenblicklich die Verfolgung. Ich kannte den Weg nicht er bot unzweifelhaft Schwierigkeiten – meine Kraft war fast erschöpft – ich würde augenblicklich eingeholt worden oder ihr Mangel an Schnelligkeit würde durch die Genauigkeit ihres Zielens ersetzt worden sein und ihre Kugeln hätten mich wenigstens erreicht.
Es gab ein Mittel dieses Hinderniß zu beseitigen; das Gewehr, welches ich in der Hand hatte, war gespannt; es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß es geladen sei. Eine Vorsichtsmaßregel dieser Art würde von einem Krieger von seiner Farbe nie vernachlässigt worden sein; ich würde in größerer Entfernung wie in dieser nicht gefürchtet haben, mein Ziel zu verfehlen. Sollte ich nicht schießen und im nämlichen Augenblick vorwärts stürzen, um mir den Weg zu sichern, welchen mir der Tod meines Gegners eröffnete?
Du wirst vielleicht glauben, daß eine solche Absicht eine blutdürstige, mörderische Neigung verrathen müßte. Vergiß jedoch nicht, daß ich keinen Zweifel über die feindseligen Absichten dieser Menschen hegte. Dies wurde zur Genüge durch ihre Waffen, ihre Kleidung und die Gefangene, welche sie bei sich hatten, angedeutet. Und dann erinnere Dich des Schicksals meiner Eltern; ich wußte nicht, ob dies nicht vielleicht die nämlichen Menschen seien, welche die Mörder meiner Familie gewesen waren und mich und meine Schwestern zu Waisen und von Anderen abhängig gemacht hatten. Die Qual meines Durstes ist nicht mit Worten zu beschreiben. Die Beseitigung dieser Macht und die Sicherung meines Lebens lagen vor meinen Augen. Wie konnte ich zaudern?
Und doch zauderte ich – mein Widerwillen gegen das Blutvergießen war selbst durch die dringendste Nothwendigkeit nicht zu verscheuchen. Ich wußte allerdings, daß der Knall einer Muskete nur die noch übrigen Feinde aufstören würde, aber ich hatte eine andere, bessere Waffe in der Hand; ich konnte meinem Gegner den Schädel spalten und ihn ohne ein hörbares Geräusch in die Tiefe hinunterstürzen.
Aber ich war dennoch geneigt, mich zu entfernen, wieder in die Höhle zu gehen und in der düstern Tiefe, aus welcher ich gekommen war, eine Zuflucht zu suchen; hier konnte ich unbeargwöhnt bleiben, bis sich diese verabscheuten Gäste entfernt haben würden. Die mit meinem Rückzuge verknüpften Gefahren mußten kühn gewagt und die Qualen meines ungelöschten Durstes geduldig getragen werden, ehe ich meine Hände in das Blut meines Mitmenschen tauchte. Aber dies konnte nicht bewerkstelligt werden, wenn mein Rückzug von diesem Wilden bemerkt wurde. Hiervon mußte ich fast überzeugt sein. Ich zog mich daher zurück, hielt aber die Augen dabei auf den Feind gerichtet.
Das Schicksal wollte, daß ich mich nicht unbemerkt zurückziehen sollte. Ich war kaum vier Schritte gegangen, als er von seinem Platze aufsprang und mit schnellen Schritten auf mich zugegangen kam. Der Schatten des Felsen und die Unwahrscheinlichkeit, daß er hier einen Feind treffen werde, schützten mich einen Augenblick vor seiner Beachtung. Ich stand still; die leiseste Bewegung würde seine Aufmerksamkeit erregt haben; für jetzt nahm der enge Raum seine ganze Wachsamkeit in Anspruch; vorsichtige Schritte und die Beachtung des Weges waren zu seiner Sicherheit unumgänglich nothwendig.
Der Aufschub dauerte nur einen Augenblick und ich benutzte ihn zu meiner Vertheidigung. Wie hätte ich anders handeln können?
Die Gefahr, welche mir drohte, zielte nach nichts Geringerem wie nach meinem Leben; das einzige Mittel, sie abzuwenden, bestand darin, daß ich einem Anderen das Leben nahm; das Mittel lag in meiner Hand und es wurde angewendet – in einer solchen Gefahr würden meine Muskeln fast meinem Willen zum Trotz gehandelt haben.
Der Schlag erfolgte mit Blitzesschnelle und die Wunde war tief und tödtlich. Er hatte keine Zeit, den Urheber seines Todes zu bemerken, sondern sank nieder und verschied ohne einen Seufzer. Die Axt versenkte sich in seine Brust und rollte mit ihm in den Abgrund.
Ich hatte noch nie zuvor einem menschlichen Wesen das Leben genommen; ich hatte in dieser Beziehung in der That gewisse, religiöse Bedenken gehegt. Diese Bedenken untersagten mir nicht, mich zu vertheidigen, aber sie ließen mich nur vorsichtig und mit Widerstreben einen Entschluß fassen, und obgleich sie meine Hände nicht fesseln konnten, wenn sie durch eine Nothwendigkeit wie die vorliegende, angetrieben wurden, genügten sie doch, um mich mit Schauder und Reue auf die That zurückblicken zu lassen.
Ich blieb in dem jetzigen Falle nicht mitleidslos, aber das Gewühl meiner Gefühle beruhigte sich bald. Die Stillung meines Durstes war eine Rücksicht, die jede andere verdrängte. Ich ging an den Bach und trank nicht allein reichlich, sondern wusch mir auch den Kopf, den Hals und die Arme in diesem kostbaren Element.