Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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23

Alles umsonst

Wieder kam Amalie von einer Reise. Sie war mit dem Wagen in Magdeburg und Berlin gewesen.

Aus der ledernen Geldtasche zählte sie jetzt die harten Taler auf den Tisch. Dietrich zählte mit und rief endlich aufseufzend: »Achtundvierzig Taler! Ich kann mir also endlich das Werk meines Vetters, David Dietrich, kaufen. Du weißt, das vielbändige illustrierte botanische Lexikon. Wie lange habe ich mir's schon gewünscht!«

Amalie langte wortlos ein Heft vom nahen Eckbrett, blätterte darin, legte es aufgeschlagen vor Dietrich hin und sagte kühl »Es ist kein Ding unmöglich. – Vielleicht kommen wir noch einmal soweit, daß dir dieser Lieblingswunsch erfüllt wird. – Von diesem Geld wird das Werk nicht angeschafft, das bekommt zum größten Teil Madame Hänel. – Sieh nur mal her! Seitenlang geht es durch das Heft hindurch, da: Brennöl, – Sirup, – Hering, Salz, Mehl und so fort. – Wenn auch die einzelnen Posten nicht bedeutend sind, so siehst du doch, daß das Heft fast voll ist. – Ich war lange weg, da summt es zusammen,« und mit diesen Worten strich sie die vielen Taler zurück in die Tasche und verließ eiligen Schrittes das Zimmer. Von drinnen hörte man den schweren Tritt der sich Entfernenden. – Dietrich sah mit sprachloser Entrüstung nach der Tür.


»Wollen Sie denn gleich alles bezahlen?« fragte Madame Hänel.

»Ja, alles! Wollen Sie es nur zusammenrechnen.«

Madame Hänel warf einen Blick auf Amaliens Kleidung und fragte: »Sie sind wohl erst heute zurückgekommen?«

»Soeben.«

»Aber ich bitte Sie! Solche Eile hatte es doch nicht!«

»O doch, es hat Eile. Ich traue mir selbst nicht. Wer weiß, ob ich morgen nicht anders darüber gedacht hätte. Ach, des Menschen Sinn ändert sich!«

Madame Hänel schüttelte den Kopf, hob einen Stuhl über den Ladentisch und sagte: »Na, da werden Sie müde sein, setzen Sie sich derweile, dazu brauche ich Zeit und Ruhe, ich gehe damit in die Stube, wer kommt, muß warten.«

Amalie saß noch nicht lange, als das Ladenglöckchen bimmelte. Die alte Krummbiegeln humpelte herein.

»Is die Möglichkeit! – Sieht man dich ooch emal!« rief sie erregt und setzte sich auf den dargebotenen Stuhl.

»Du hast jüngere Beene, du kannst stehen. – Na, gut, daß ich dich mal treff'. Ach, Male, wie du wieder aussiehst! Wenn dich deine selige Mutter so säh! 's geht eich wohl wieder recht schlecht? –« Nach einigem Überlegen: »Soll ich d'r erne (etwa) e gutes Viergroschenstückchen borgen?«

»I bewahre!« sagte Amalie stolz, »ich habe Geld genug.«

»Du?!« lachte die Krummbiegeln, »ja, ja, du siehst ooch grade d'rnach aus! – Ach Male, Male! Wie oft denke ich an dich! Was warscht du für e hübsches, ansehnliches Mädel, der ganze Stolz deiner Eltern! Und da mußt du den Mann heiraten, wo du doch den Mehlhändler hätt'st haben können! Siehste, da drüben liegt das schöne, große Haus, was deins hätte sein können! Wenn dem seine Frau nur wollte, goldene Pantoffeln könnte die haben! E Dickkopp bist du! Ich hab' dir alles vorher gesagt. Ja, ja, der Hochmut! Ich wüßt' en Rat, aber du hörst ja uf niemanden.«

»Nun, – und.«

»Wenn de egal mit Kreitern rum wirtschaften mußt, da fang' doch en Grünwarenhandel an. Sieh mal de Laudel Rieke an, wie anständig die sich und ihre Kleene ernährt. Immer hübsch adrett sieht das Kind aus! – Und deine?«

Gequält sagte Amalie: »Da Ihr keine guten Erfahrungen mit mir gemacht habt, da gebt Euch doch keine Mühe mehr mit mir.«

»Nun, da bleib' in deinem Elend! Denkst de denn aber gar ni an dei Kind? Egal läßt de die alleene mit deinem Manne, – und der sieht sich ene Spinne genauer an, wie das Kind, – oder de schickst se zu fremden Leiten. Mit der wirschte ooch noch was derleben!«

»Wieso?« fragte Amalie kalt.

»Wenn de egal weg gehst, werdet ihr eich fremd. Vor längerer Zeit traf ich sie, da reistest du ooch wieder weg. Sie saß am Wiesenrand und weente zum Herzbrechen. Ich sah mich um, da bogst du grade mit dem großen Wagen um die Wegecke. Ich wischte ihr die Tränen vom Gesicht und sagte ihr, sie solle nach Hause gehen, sich das nasse Gesicht waschen und zur Schule gehen. Sie sah mich traurig an und sagte: ›'s is doch schon zu spät.‹ Bleib doch derheeme, das Kind wird dir fremd.«

»Ihr redet, wie Ihr's versteht,« sagte Amalie.

Da kam Madame Hänel mit dem quittierten Buch, Amalie griff in ihre Ledertasche und zählte in blanken Talern die Summe auf den Ladentisch. Weit öffnete da die Krummbiegeln ihre Augen, ja sie stand ganz erregt auf, sah erstaunt auf das viele Geld, dann nahm sie einen der Taler in die Hand und warf ihn prüfend auf den Tisch, fast ehrfurchtsvoll rief sie: »Wahrhaftig! gutes, echtes Silber! –«

Sie schüttelte den Kopf und sagte: »Malchen! – So viel Geld habt ihr? Ihr habt ja, weiß Gott, vielmehr wie ich selber! Und ich wollte dir borgen! – Nee, was ihr für närr'sche Leite seid! Haste denn das alles für das dumme eklige Zeig gekriegt? Wer kooft denn nor solchen Quark! Aber da geh doch ooch mal zur Bierrasten nach Roßwein und schaff' eich ordentliches Zeig an, da kriegste alles billig und dauerhaftig. – Aber warum gehste denn schon? Mit dir is gar ni zu reden! Könntest eenen doch ooch mal was von salte draußen erzählen!«


»Ist das eine Manier!« grollte Dietrich tief verstimmt, als Amalie zurückkam. »Wieviel hast du denn noch von dem Gelde?«

»Nicht viel,« sagte Amalie, »und für den Rest muß ich dir Wäsche, und dem Kind ein Kleid kaufen.«

»Braucht die denn schon wieder ein Kleid? Das ist ein ganz unwürdiges Dasein: in Kleider und Brennöl lege ich meine Kraft! Meine berechtigten Interessen werden beiseite geschoben! Und einst meinte ich, bei dir Verständnis zu finden. Alles wolltest du meinen Wünschen opfern! Ja, das war damals!«

Amalie sah Dietrich groß an und sagte: »Ja, damals! Damals als ich noch nicht wußte, daß du kein Heiliger, sondern auch nur ein irrender Mensch bist. – Aber laß uns einander nicht erbittern! Ich habe dir noch kaum von meiner Reise erzählen können,« fuhr sie ablenkend fort. »Ich bin in Magdeburg und Berlin gewesen. Außer der Geldsumme habe ich viele Aufträge für Sammlungen bekommen, gewiß für reichlich hundert Taler. Ich habe bedeutende Leute kennen gelernt, in Berlin Dr. Garke. Er hat auch Bücher herausgegeben. Und Alexander Braune. Weißt du, was sie sagen? Das Linnésche System sei veraltet, es sei mechanisch, neue Bahnen werden in der Botanik eingeschlagen. Man beobachtet das Leben der Pflanze, die Entwicklung. Es würde nicht lange mehr dauern und kein Mensch würde sich noch um Linnésche Klassen und Ordnungen kümmern. Auch die Bücher der Dietriche seien schon veraltet. Was also willst du mit dem botanischen Lexikon?«

Dietrich hatte ihr mit sprachlosem Staunen zugehört. – Hörte er recht? Diese kleine Frau, die er sich aus der Niederstadt geholt hatte, die da stand in geflicktem Kleid mit den plumpen Schuhen, die wagte es, in der Weise über die Dietrichs und sogar über einen Mann wie Linné zu sprechen? Das war ja unerhört!

»Linné – bei – seite – geschoben?!« brachte er endlich mühsam heraus. »Linné beiseite geschoben?«

Wie durfte sie es wagen, an diesem festgefügten Gebäude zu rütteln.

»Weißt du wohl, was du tust?« rief er erzürnt, »du durchschneidest sozusagen meinen Lebensnerv! Wenn Linné nicht mehr gelten soll, welchen Sinn hat dann mein Leben gehabt! Wie leichtfertig du so etwas nachsagst! Du hast ja kein Verständnis für das, was du redest!«

Stöhnend stützte er den Kopf in die Hände. Sie wollte über solche wichtige Sachen ein Urteil haben? Lächerlich! Nellen Malchen!


Ach, die Nacht brachte keinen Schlaf in Amaliens Augen, trotzdem sie von der Reise sehr ermüdet war.

Wie ganz anders hatte sie sich ihre Heimkehr gedacht! Mit leichtem Herzen war sie den Forsthofhügel hinaufgefahren, denn diesmal hatte sie ja Erfolg aufzuweisen. Und nun? – Alles war verwirrt und verschoben! War sie denn so unglücklich veranlagt, daß sie es keinem Menschen in der Welt recht machte? Ach jeder, – selbst die alte Krummbiegeln, – überhäufte sie mit Vorwürfen. – Wie unbeschreiblich schwer war ihr Leben, und doch erreichte sie weniger als die einfachste Handwerkerfrau. –

Wie nüchtern und kleinlich waren ihr einst ihre Jugendgefährtinnen erschienen, weil sie ohne die verzehrende Sehnsucht nach geistigem Wachstum ihren einfachen Weg gegangen waren; und nun mußte sie zu ihrer Beschämung sehen, wie diese schlichten Frauen viel mehr erreichten, viel glücklicher waren als sie. Sie war ja nicht einmal in der Lage, ihr einziges Kind zu erziehen, ihren Mann – den ihre Mutter anspruchslos genannt hatte – zu beglücken. War denn ihr Leben ein verfehltes? War es ein Irrtum gewesen, als sie in Siebenbürgen glaubte, einen Wink Gottes zu vernehmen, als ihr Herz sie wieder zu ihrem Manne trieb? Alle die Not, die sie gelitten, die Mühsal, die sie ertragen hatte, es war niemandem zugute gekommen. – Wohin sie sah, nur Mißerfolge. War alles Kämpfen umsonst?


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