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In dem kleinen sächsischen Bergstädtchen Siebenlehn saßen im Jahre 1823 vier Männer in einer ärmlichen Stube und spielten beim Schein einer hochbeinigen, zinnernen Öllampe Karten.
»Gottlieb,« riefen sie einem langen, hageren Manne zu, »Gottlieb, du bist am Geben!«
Der Angeredete sah aber nicht in sein Spiel, er hielt den Kopf lauschend nach dem Fenster und horchte gespannt auf den eiligen Tritt, der sich auf dem holprigen Steinpflaster hören ließ. Jetzt wurde die Tür geöffnet.
Eine kleine untersetzte Frau erschien, und ehe man sich das rotbackige, runde Kindergesicht, das auffallenderweise von schneeweißen Scheiteln eingerahmt war, genügend betrachten konnte, war sie resolut an den Tisch herangetreten. Sie hatte eine große Stallaterne in der Hand, und auf dem Arme trug sie ein Kind, ein kleines rotbackiges Mädchen, das aus großen blauen Augen klug und verwundert um sich blickte. Die Frau setzte die Laterne auf die Diele, schob die Lampe auf dem Tische beiseite, setzte das Kind behutsam in die Mitte, und sagte fest, aber nicht unfreundlich: »So, da habt ihr einen Trumpf drauf.«
Dieser kleine Vorfall hatte sich so schnell abgespielt, daß die Männer noch ganz verblüfft und wortlos dasaßen, als man schon wieder von draußen das Aufklappen der Lederpantoffeln hörte.
Das Kind sah der Reihe nach die vier Männer an, das Gesicht verzog sich zum Weinen, da neigte sich der hagere Mann mit verlegener Zärtlichkeit zu dem kleinen Mädchen und redete ihm freundlich zu, während er das rosige Gesichtchen gegen seine grobe, braun gewirkte Jacke drückte.
»So, so, Malchen,« sagte er tröstend, »nur nicht weinen, bis doch nich bange! Komm, wir wollen zur Mama, die legt dich in die Baba!«
»Baba – Mama!« lallte das Kind und legte die runden Ärmchen um den mageren Hals des Vaters. Gottlieb nahm Kind und Laterne und verließ mit kurzem Kopfnicken das Stübchen.
»Na, was ist denn das für eine böse Sieben, daß die uns hier das Spielchen verdirbt, 's is die Möglichkeit! Setzt uns den kleinen Balg wahrhaftig mitten in die Karten!«
Der das rief, war der Bader oder wie ihn die Niederstädter auch nannten, der »Balbier«. Er war erst seit einigen Tagen im Städtchen. Daß er sich für feiner und klüger hielt als seine Umgebung, das sah man schon seinem äußeren Menschen an; er trug nicht wie die anderen die gewirkte Wolljacke, sondern einen langen, kaffeebraunen Tuchrock; aber auch die geschraubte, überlegene Art, wie er mit den anderen umging, zeigte, wie hoch erhaben er sich neben den Siebenlehnern fühlte.
Noch ehe die Spielgefährten eine Antwort auf die Bemerkung des Baders fanden, bewegte sich beim großen Kachelofen der bunte Kattunvorhang, der nach sächsischer Sitte damals bei der ärmeren Bevölkerung den Wirtschaftsraum von der Wohnstube trennte und den man Hölle nannte. Eine Frau erschien, sie setzte sich auf den verlassenen Stuhl, schlug die Arme über der Brust zusammen und sagte in sächsischem Dialekt: »Wartet doch, bis Ihr die Leite kennt! Ene bese Sieben soll die Gevatter Cordel sin? Nee! das laß ich ni uf'r sitzen. Die beste Frau in der ganzen Niederstadt habt Ihr hinte gesehen. Freilich: Saufen, Spielen, Faulenzen, Schlechtes von seinen lieben Nächsten reden, nee das kann de Cordel ni leiden, aber hat se Eich e beses Wort gesait? Ich hab' nischt geheert, un ich bin ooch drinne gewest. De Cordel, wie die is! Resolut – ja! aber daderbei ni grob, ni ausfallend. Die war beese, daß der Gottlieb spielte; aber die hat 'ne Art! Von der können mer alle lernen!«
Der Bader lenkte ein und meinte: er als Fremder könne es ja nicht wissen, aber er ließe sich ja gern belehren, ihm könne es doch nur lieb sein, wenn er gute Nachbarn bekäme und sie möge ihm doch mehr von der Cordel erzählen, sie sei ihm gleich aufgefallen durch das weiße Haar, sie sei doch noch nicht so alt.
»Ach,« sagte die Frau, »von der Cordel kann man viel erzählen. Der Gottlieb hat se sich aus Scherme geholt, da war se viele Jahre Köchin in der Pfarre. Die hat von Pasters viel gelernt, die vielen Sprüche und Gesangbuchverse. He, wie die ihre Worte zu setzen weeß, da werd unsereener ganz kleene drneben. Un vun ihr, vun der Pastern, hat se das Salben- un Pflasterkochen gelernt. Was die alles weeß! Die kann gerade so gut wie Ihr Schröppköpfte un Blutegel setzen. Wenn man krank is, un se kummt mit en Krankensüppchen, da kriegt man noch en Bibelspruch oder sunst e gutes Trostwort mit. Und wie die Pastersleite viel uf se gehalten haben! Wie se Braut gewesen is, hat de Frau Pastern se selber geschmückt, hat ihr den Kranz ufgesetzt, un um den Hals hat se ihr en Duppeldukaten gehängt, den hat de Frau Pastern selber als Braut getragen. 's warn eben keene Töchter da, nor Söhne. Ja, de Cordel hat damals, so hört man, andere Träume gehabt; aber so junge Herren! Wenn se in de große Stadt kommen, da sin alle Schwüre vergessen! Die find't sich aber in alles, ob hoch oder niedrig! Die fercht' sich ooch vor niemanden, die red't mit'm Stadtrichter oder mit'm Pfarrer wie mit unsereenen! Vor e paar Jahren werd bei uns Einquartierung angesagt, ich kann aber grade gar keene gebrauchen, denn ich erwartete das Fränzchen. Das klagt ich der Cordel. Die geht heem, bind sich ne reene blaue Scherze vor un geht wahrhaftig ruf ufs Stadthaus, da red't se mit den Herrn; un nach 'ner Weile kommt se bei mir rein un sagt: ›Jette, deinen Soldaten nehm' ich dir diesmal ab, die Herren auf dem Rathaus sind einverstanden. Du bittest mich doch zu Gevatter, wenn du taufen läßt?‹ ›Ach ja, Cordel,‹ sagte ich, ›un wenn's e Mädel werd, da sull se Cordel heeßen,‹ aber 's wurde 's Fränzchen.«
»Hat sie denn damals, als sie den Pastersohn nicht kriegte, das weiße Haar bekommen?«
»Nee, o nee! Das is die Geschichte mit dem kleenen Fritz. Dadrzu is es aber hinte zu späte, das erzähl' ich Eich e andermal.«