Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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16

Nach Bukarest

Clärchen hatte bei allem bis zuletzt geholfen. Die drei hochbepackten Tragkörbe waren tags vorher zu Märker getragen, und die Nacht vor der Abreise blieb Clärchen auf dem Forsthofe, um bis zur letzten Minute behilflich zu sein. Noch ehe der Tag graute, wurde das Kind aus dem Bett genommen. Nachdem die Mehlsuppe gegessen war, wurde das kleine Öllämpchen gelöscht, die Wohnung abgeschlossen und der Schlüssel dem Wirt übergeben; dann machten sich die drei auf den Weg, das Kind führten sie in der Mitte. Die Chaussee, die von Siebenlehn nach Nossen führt, war damals mit hohen Pappeln bepflanzt, die an diesem Morgen ihre Gipfel wie gespenstische Riesen in den Nebel reckten. Große Tropfen hingen wie Tränen schwer und farblos an Zweigen und Gräsern, und als sie an Haubold Leberechts Haus vorübergingen, blieb Amalie einen Augenblick an dem Gärtchen stehen und zeigte auf drei verdorrte, braune Sonnenblumen, die ihre gealterten Köpfe tief gesenkt hielten. Die paar welken Blätter, die ihnen geblieben waren, schlotterten trübselig am dürren Stengel, wie armselige Lumpen an einem ausgehungerten Menschen.

»Die hab' ich gesehen, als sie noch strahlend ihren Kopf hochtrugen,« sagte Amalie und strebte vorwärts. Als sie etwa die Hälfte des Weges waren, da wo die Kirschhütte vor Augustusburg steht, klagte Charitas, sie sei müde; und als beide Frauen sich bückten, um sie aufzunehmen, sagte Clärchen: »Laß sie nur mir! Wer weiß, wie oft du sie noch schleppen mußt,« und sie legte mit mütterlicher Fürsorge Charitas' Köpfchen auf ihre Schulter und sagte: »Hast wohl nicht ausgeschlafen, Kind! So, so! – Ein halb Stündchen kannst dich noch hinlegen.«

Und das Kind hörte, in halbwachem Zustande, wie die beiden sehr ernst über eine große Reise, – über Wasser, – über Dresden und über Karl sprachen, und es war dem Kinde, als würden sie drei so in alle Ewigkeit immer weiter wandern. Es kam erst zu sich, als Clärchens Stimme sagte: »So, jetzt' setz dich da ganz hinten in die Ecke, da kannst du sitzen bleiben, bis du in Dresden bist. Verschlaf nur die Rummelei!«

Die Kleine war sehr neugierig, was das wohl sei: ›Dresden.‹ Dann dachte sie lange nach, die ganze Zeit während die Mutter und Clärchen miteinander sprachen; dann wurde sie noch einmal umarmt und geküßt, und nun setzte sich der schwerfällige Omnibus in Bewegung. Aber Clärchen lief durch die ganze Neugasse nebenher, bis an den Schloßberg, dann verschwand sie im Nebel.

»So,« sagte Amalie nach mehrstündiger, kalter Fahrt, »jetzt laß uns aussteigen, wir sind in Dresden.« Dabei hob sie Charitas aus dem Wagen und stellte sie auf das feuchte Steinpflaster eines eingeschlossenen dunklen Hofplatzes, wo allerlei Wagen standen, wo robuste Männer mit aufgekrempelten Ärmeln schwere Wassereimer vor die Pferde stellten, und wo sich ein zudringlicher, häßlicher Geruch bemerkbar machte.

Charitas sah sich enttäuscht in dem von hohen, geschwärzten Gebäuden umgebenen Hof um, und sie wunderte sich, daß ›Dresden‹ ein so kleiner, häßlicher Raum sei.

Dann kam Märker und ging mit den beiden nach dem Böhmischen Bahnhof. Wie weitete sich vor den Blicken des Kindes die Welt! So viele schöne Häuser, Türme, und ein Strom so schön und breit!

»Mutter,« rief das Kind erstaunt, »sieh mal, was für eine schöne, große Mulde!«

»Das ist nicht die Mulde,« sagte die Mutter »das ist die Elbe.«

Und das Kind zeigte auf die große Häusermasse und fragte: »Was ist das?«

»Das ist Dresden.«

Da versank das Kind in nachdenkliches Schweigen, soeben war ›Dresden‹ so häßlich gewesen, und nun war es plötzlich so groß und schön! Ehe das Kind sich alles zurecht legen konnte, sitzt sie wieder in einer Ecke am Fenster. Märker streckt die Hand herein und nimmt bewegt Abschied. Es geht mit dem Bummelzug, weil der nicht so teuer ist, nach Prag. Der Bummelzug bedeutet von Dresden bis Wien auf die Weise 23 Stunden Fahrt! – Aber ehe es nach Wien weiter geht, kann man in Prag essen und sich ein wenig ausruhen.

Endlich wird auch Wien erreicht. Die Menschen! Das Leben! Amalie muß einen Gasthof suchen, und als sie den hat, schleppt sie ihre drei Körbe dahin. Wie das Kind sie hindert.

»Daß du dich ganz fest am Rock hältst!« ermahnt Amalie, »wenn du mich losläßt, gehst du hier verloren!« Das Stübchen mit einem Bett liegt in einem düsteren Hinterhaus, vier Treppen hoch. Ach, endlich ruhen, nach der ewig langen Fahrt!

Am nächsten Morgen geht es nach der türkischen Gesandtschaft. Das Kind muß hier bleiben; es muß eingeschlossen werden. Aber sie schwankt in ihrem Entschluß. Und doch, – mitnehmen? Das wagt sie nicht. Wer weiß, wie weit sie zu gehen hat, und sie kann in der fremden, lauten Stadt nicht das große Kind schleppen. Sie sieht sich um, dann sagt sie mahnend: »Charitas, ich muß ausgehen. Ich lasse dich hier; daß du nicht das Fenster aufmachst! Hier ist ein Stück Brot, das iß, wenn du hungrig wirst.« –

Nach stundenlangem Umherirren kam Amalie erschöpft und angsterfüllt wieder. – »Keine Bureaustunde heute,« hatte ihr ein Mann gleichmütig gesagt. Am folgenden Tage kam sie so weit, daß sie den Paß da lassen konnte. Darauf ging sie vier Tage hintereinander hin, ehe sie den visierten Paß wieder bekam; und als sie ganz verzweifelt dem Wirt ihre Not klagte, sagte der achselzuckend: »Na ja, das ist halt türkische Wirtschaft.«

Wie schrecklich ist Wien! Jeder Tag kostet Geld; alles ist so fremdartig, so laut, und alle scheinen so vergnügt, aber keiner hat einen Blick für die einsame Frau. – Die Kirchen sind offen, sie nimmt das Kind und geht in die Kirchen. Daß es so viel Gold, so viel Pracht in der Welt geben könne, davon hatte sie keine Ahnung gehabt. Weihrauchdüfte hüllen die mit aller Pracht geschmückte Madonna und die reich gekleideten Priester in einen mystischen Nebel, und stellen sie selbst in ihrer dürftigen Verlassenheit in den härtesten Gegensatz zu all der Herrlichkeit. –

Als endlich der Paß visiert und auf der Polizei nachgesehen ist, kann die Reise nach Budapest weiter gehen. Wie herrlich liegt die Doppelstadt im Abendrot vor ihren Blicken. Nach Norden und Osten dehnt sich die reiche, lebhafte Stadt; und über dem Häusermeer sieht man die romantische Festung. In der Ferne aber wechseln Hügel und Berge in bunter Mannigfaltigkeit.

Kaum im Gasthof angekommen eilt Amalie nach der Donau-Dampfschiffahrt-Gesellschaft, um sich zu erkundigen, wann ihr Schiff fährt.

»Ist gestern abgefahren, das nächste fährt Dienstag,« wird ihr gleichmütig geantwortet.

»Dienstag,« wiederholt sie tonlos, »aber das ist ja noch fast eine Woche.«

»Ja natürlich, – das fährt jeden Dienstag,« brummt der Beamte.

Also wieder tagelang in der fremden Stadt! Und wie unheimlich ist hier alles. Die meisten Menschen sprechen eine ganz fremde Sprache; und selbst die, welche deutsch sprechen, kann sie nur mit Mühe verstehen; und wenn sie nachfragt, so schreit man sie an, als ob sie taub wäre. Was soll sie hier nur all die Tage anfangen? Nur nicht wieder so herum irren, aber auch nicht müßig sitzen, da überfällt einen die Verzweiflung. Und jeder Tag kostet Geld, ach so viel Geld, und ihr Vorrat ist schon so unheimlich zusammengeschmolzen. Sie sucht die Wirtin und macht der begreiflich, daß sie ihr helfen möchte. Erst will die sie kurz abweisen, als sie aber den verzweifelten Ausdruck in den müden Augen sieht, gibt sie ihr die Hand und sagt fast mütterlich: »Sorgen Sie sich nur nicht. Sie helfen mir bei der Hausarbeit, dann richten wir's schon ein.«

Auch diese Woche geht zu Ende, und Amalie kann endlich ihre drei Körbe aufs Schiff tragen. Das Kind will durchaus mit; so geht sie, die schwere Last auf dem Rücken und das Kind am Rockzipfel, ans Schiff.

»Hier,« sagt sie zu Charitas, »hier in dieser Ecke mußt du ganz still sitzen bleiben. Ich muß noch zweimal in den Gasthof. Willst du mir versprechen, daß du dich nicht vom Fleck rühren willst?«

»Ich will hier nicht allein bleiben, ich fürchte mich vor den vielen Menschen, laß mich doch mit dir gehen!« bittet das Kind unter Weinen.

»Willst du mich gleich loslassen! Wir kommen nicht mit, wenn ich mich nicht beeile!« Damit stürzt Amalie fort.

Das Kind aber drückt leise weinend sein Gesicht gegen die Wand in der Kajüte. Es mag die vielen lebhaft redenden und gestikulierenden Menschen nicht sehen. Das unheimliche Schaukeln des Schiffes macht ihm große Angst.

Da gleitet eine Hand sanft und leise über sein Haar, und eine Männerstimme fragt: »Warum weinst du denn so? Weshalb bist du nicht bei deinen Eltern?«

Furchtsam schaut Charitas in das bärtige Gesicht, dann sagt sie stockend: »Meine Mutter holt unsere Sachen; ich soll hier sitzen bleiben, aber ich fürchte mich so!«

»Du fürchtest dich?« lachte der Herr, »vor wem fürchtest du dich denn?«

Das Kind sieht hilflos auf die laute, bunte Menge.

Der Herr versteht den Blick und sagt überredend: »Komm du mit mir. So, – gib mir dein Händchen, und nun spring herunter. Hoppala! Siehst du? Und nun komm, ich habe eine kleine ruhige Stube hier auf dem Schiff, darin bin nur ich, und wenn du mit mir kommst, so schenk' ich dir einen schönen, großen Apfel.«

Charitas wendet sich verlegen und sagt zögernd: »Ich darf nicht. Wenn die Mutter kommt, muß ich hier sitzen.«

»Ich verspreche dir, daß du nicht gescholten wirst, komm nur mit.« Und der bärtige Herr nimmt das Kind mit sich und gibt ihm den versprochenen Apfel. »Wo willst du hin mit deiner Mutter?«

Charitas lacht und sagt: »In die Walalei zum Onkel Karl. Manchmal sagt Mutter aber auch, wir gehen nach Bu–ka–rest.«

Der Herr lacht und fragt weiter: »Und woher kommt ihr denn?«

»Wir wohnen auf dem Forsthof.«

»Aha! Und der Forsthof liegt im Walde.«

»Woher weißt du das? Bist du auch aus Sachsen?« fragt die Kleine erstaunt.

»Aus Sachsen?« sagt der Herr, »nein, da bin ich noch nie gewesen, aber ihr kommt also aus Sachsen.«

»Das sagen sie immer alle, wenn wir in einen Gasthof kommen; aber Mutter sagt dann immer, wir sind aus Siebenlehn.«

»So, so, – nachher erzählst du mir weiter vom Forsthof; jetzt will ich erst mal hinausgehen und sehen, ob deine Mutter da ist, hier bist du ja nicht bange; bleib also ruhig sitzen und iß deinen Apfel.«

Charitas hatte ihren Apfel noch nicht zur Hälfte verzehrt, als der Herr mit der Mutter eintrat. Die wollte schelten, aber der Herr nahm alles auf sich und sagte schließlich: »Gehen Sie in die erste Kajüte, die zweite ist kein Aufenthalt für ein solches Kind; es hört und sieht da zu viel, was ihm nicht gut ist. Ich bin der Kapitän dieses Schiffes; ich habe selbst Kinder, da weiß ich, wie man die hüten möchte. Wenn ich grade Zeit habe, hole ich mir Ihre Kleine, da kann sie mir vom Forsthof und von Sachsen erzählen.«

Als die beiden nun in den schönen Raum traten, wo nur wenige Leute waren, sagte Amalie zwischen Lachen und Weinen: »Du! Das hast du ja gar nicht verdient, daß dir trotz deines Ungehorsams ein so großartiges Geschenk gemacht wird.«

»Mutter,« sagte Charitas staunend, »sieh doch mal den närrischen Mann! Lebt er? Er sitzt auf seinen Beinen. Er hat so große, schwarze Augen. Ich bin bange vor ihm!« »Er tut dir nichts; ich glaube, das ist ein leibhaftiger Türke.

Neugierig trat Charitas näher an den Türken heran; der hatte einen weißen Beutel vor sich, aus dem holte er sich Datteln und Mandeln.

»Du,« sagte Charitas, »ich hab' auch einen Beutel, aber meiner ist bunt. Ich hab' eine Puppe und einen Ball darin. Den Ball hat mein Großvater gemacht, sieh mal!«

Der Türke lächelte, – schüttelte den Kopf und gab ihr aus seinem Beutel. Da aßen die beiden, während Charitas unablässig weiter plauderte. Der Türke konnte ihr freilich nicht antworten, aber er war ein guter Mann, und das genügte. Endlich schüttelte er seinen Beutel aus, hielt die flachen Hände hoch und sagte bedauernd: »Ah – Man–deln!«

Da der Türke nicht weiter mit ihr sprechen konnte, so war die Freundschaft nur von kurzer Dauer. Die Mutter saß so betrübt und teilnahmlos in einer Ecke, mit der war gar nichts anzufangen, und wie Charitas nun so hilflos umher schaute, da wurde sie freundlich von einem Herrn und einer Dame angeredet. Nach einigem Hin- und Herfragen sagte der Herr: »Hör', Kleine, wir müssen gut Freund miteinander werden, wir machen ja dieselbe Reise, wir wollen doch auch nach Bukarest.«

Da kam plötzlich Leben in Amalie. »Sie wollen nach Bukarest?« rief sie erregt, »ach, ich möchte wohl wissen, ob man jemals dahin kommt!«

»Freilich kommt man hin,« sagte der Herr und lachte. »Es ist allerdings mit allerlei Schwierigkeiten verbunden, die überwindet man aber. Die Reise ist es schon wert; gibt es doch kaum etwas Schöneres und Interessanteres als diese Donaufahrt. Schließen Sie sich nur uns an, vielleicht kann ich Ihnen nützen, da Sie wohl der rumänischen Sprache nicht mächtig sind.«

Das war eine große Hilfe und Beruhigung. Im Laufe der Unterhaltung erfuhr Amalie, daß der Herr ein Kaufmann aus Pest sei. Nach dem angstvollen, mühsamen Herumhetzen in Wien und Pest war diese Dampferfahrt in Gesellschaft der freundlichen Ungarn ein körperliches und seelisches Ausruhen. Ach, diese Donaufahrt! Eine Welt voll Wunder und Überraschungen brachte sie Amalie. Ihre Seele war freilich noch längst nicht entwickelt genug, um alles, was an ihrem äußeren Auge vorüberzog, ganz zu fassen. Ihr war, als träume sie, wenn das Schiff an Burgen, Städten, Brücken, Bergen und Ebenen vorüberglitt. Namen und Erklärungen tönten an ihr Ohr; aber alles verwirrte sie.

Nach einer Fahrt von 22 Stunden hielt das Schiff in Belgrad. Zollbeamte kamen und revidierten das Gepäck. Vom Schiff aus sah sie die hell leuchtende Stadt mit der romantisch gelegenen Festung, dann ging's weiter, – weiter!

Neue Überraschungen! Das Land veränderte sich auffallend. Mit einer Art bewunderndem Grauen sah Amalie plötzlich, wie sich mitten im Strombett ein gewaltiger, düsterer Felsen erhob. Unheimlich drohend ragte er aus den Fluten.

Der Ungar sah, wie sie staunend erschauerte. »Das ist der Babakai,« erklärte er auf ihren fragenden Blick. »Von diesem Ungetüm,« so fuhr er fort, »berichtet die Sage: ein eifersüchtiger Serbe hat hier seine Frau angeschmiedet. Wenn der Ostwind in schauerlich-klagenden Tönen um diesen Felsen heult, so sind das die Jammertöne der Verstoßenen. ›Babakai‹ heißt schreiendes Weib.« –

Weiter fließt der breite Strom, seine Wellen schlagen an das verwitterte Gemäuer einer alten Burgruine, – vorüber geht's an Eichenwaldungen und Sümpfen, – weiter, immer weiter. Durch zerrissenes Felsengeklüft, durch mauersteile Wände geht es, vorüber an sanften Hügelketten, die aber allmählich wieder zu Bergriesen anwachsen und das Tal mehr und mehr einengen.

»Das ist der Engpaß von Kazan. Sie sehen hier die großartigste Flußenge von ganz Europa,« sagt der Ungar erklärend.

Und immer dichter und düsterer wird es in der unheimlichen Wasserstraße. Jetzt schließen waldbewachsene Berge die Donau ganz ein. Es ist ein unbeschreiblich schönes Schauspiel. Wohin das Auge blickt, – zu beiden Seiten, hinter sich und vor sich nichts als gigantische Felsen, in die die Donau eingeschlossen erscheint. Gibt es keinen Ausweg? Was wird aus dem Strom? So von allen Seiten eingeschlossen verändert die Donau ganz ihren Charakter, ihre mächtige Bewegungskraft scheint erlahmt, man merkt kaum, daß noch Leben in ihr ist. – Gewaltige Bergriesen mit bewaldeten Gipfeln werfen düstere Schatten in die Täler und Schluchten, zerrissenes Felsengeklüft hängt drohend über den Wassern, als wollte es in jähem Absturz alles zerschmettern.

Wirklich kein Ausweg?

Doch horch! – Hinter jenen düsteren Kolossen donnert und tost es. Ist es der Jubelschrei über die wiedergewonnene Freiheit, mit dem die Donau sich dort trotz aller Hindernisse Bahn bricht?

Schon von ferne sieht man die Wasser um die Felsen stäuben, schaumige Säulen spritzen in die Lüfte; es kreist in Wirbeln und tobt um und über die zackigen Felsblöcke. Wie in verjüngtem Übermut wirft die Donau nun alles von sich, was sie noch belästigen und beschweren könnte. Die Schiffe, – mit Menschen beladen, – die duldet sie nun nicht mehr, mögen die sehen, wie sie weiter kommen, die Donau ist frei, und mit wilder, ausgelassener Lust will sie dieses neue Gefühl ungehemmt genießen.

Amalie hört, sie haben das Eiserne Tor erreicht. Auf Wagen werden die Reisenden nun weiter befördert. – Aber schon bald beruhigt sich die wilde Donau wieder, besinnt sie sich auf ihre Pflicht. Geduldig läßt sie sich alles wieder aufbürden, und nur der weiße Schaum, der sich an den kleinen eingestreuten Inselchen sammelt, deutet noch auf den soeben bestandenen harten Kampf.

Die Gebirgszüge treten jetzt mehr und mehr in den Hintergrund, und in majestätischer Breite ergießt sich der mächtige Strom in die walachische Tiefebene.

In Giurgewo warten Planwagen mit Ochsen bespannt für diejenigen, welche nach Bukarest wollen. Welch bunte, schreiende Menge! Dieses Sprachengewirr, dieses Rufen und Gestikulieren, dieses Drängen und Stoßen nach den Wagen. Amalie hält sich zitternd zu ihren Bekannten, die ihr nach vieler Mühe den äußeren Eckplatz des Wagens sichern, von wo aus sie einigermaßen die Gegend übersehen kann.

Die walachischen Fuhrleute mit ihrem schmutzigen Schafspelz, der dicken Lammfellmütze und den weichen Bundschuhen nehmen ihre Stöcke zur Hand und treiben mit Stößen und wilden Zurufen die Tiere an. Nur langsam kommt man auf den weichen Wegen in der öden Gegend vorwärts. Die Plane verhindert den freien Ausblick, und nur dann und wann entdeckt das spähende Auge auf der weiten Ebene eine ärmliche Hütte, deren erdbedecktes Dach fast unmittelbar auf dem flachen Boden ruht, oder einen einsamen, halb verfallenen Ziehbrunnen, der seine dürren Arme kläglich in die Luft streckt.

Nach stundenlanger Fahrt hält der Wagen vor einer elenden, walachischen Schenke, wo sich Mensch und Tier für die Weiterreise stärken können. Als sich der frühe Abend über die Ebene senkt, halten die Wagen in Calugureni, wo übernachtet werden soll. Viel Schlaf bekommen die Reisenden nicht, denn hier ist Musik und Tanz. Ein Dudelsack und eine Fidel spielen zur »Hora,« dem rumänischen Nationaltanz auf. Die phantastisch aufgeputzten Mädchen und Burschen haben einander an den Händen gefaßt und bilden einen großen Kreis.

»Laß uns, Schätzchen, tanzend wanken!
Wird getanzt heut bis zum Abend
Bist so schön, mein Liebchen traut,
Wie ein Frühlingstag so labend,
Komm, Mariechen, meine Braut.
Stampfet mit den Füßen alle,
Daß der Erdball fühlt den Tritt,
Daß die Welt staunt vor dem Schalle,
Ja, sogar der Himmel mit!
Heut ist Tanz in vollem Chore,
Drum, ob auch die Sohle flieh!
Tanzend möcht ich in der Hore
Mit dir sterben – Herzmarie!«Aus dem Rumänischen von R. Neumeister.

Weiter geht's am nächsten Tage. Hie und da wird die kahle Fläche von niederem Eichgestrüpp unterbrochen, dessen dürres Laub im Winde zittert. Die Reisenden holen den versäumten Schlaf im Wagen nach, und einförmig verrinnt eine Stunde nach der anderen, aber auch dieser Tag neigt sich endlich seinem Ende zu. Die Wagen erreichen bei einbrechender Dunkelheit den Argischfluß. Eine Fähre nimmt die Reisenden auf, und am jenseitigen Ufer sehen sie, daß der Himmel in der Ferne schwach gerötet ist. Da kommt Leben in die verschlafene Gesellschaft, und auf deutsch und rumänisch tönt es von allen Seiten: »Bukarest! Bukureschti!«


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