Charitas Bischoff
Amalie Dietrich
Charitas Bischoff

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Nach der Mutter Tod

Dietrich hielt in all seinen Sachen, besonders in seinen Sammlungen, auf peinlichste Ordnung. An den Büchsen, in denen er die Samen oder die Harzarten aufbewahrte, saß jedes Schleifchen regelrecht, und nun gar in den verschiedenen Schränken!

Wie ein Regiment Soldaten marschierten die tausenderlei Insekten in den mit Quecksilber versehenen Kästen daher. Alle streckten sie ihre sechs Beinchen im Laufschritt von sich, als wäre ihnen mitten im Marschieren ein plötzliches Halt! zugerufen worden. Keinem fehlte auch nur das kleinste Glied; und die dazu geschriebenen Erläuterungen über Fundort, Lebensweise und Eigentümlichkeiten legten Zeugnis dafür ab, wie eingehend Dietrich das unscheinbarste dieser Geschöpfe beobachtet hatte. Mit scharfem Auge hielt er häufig Rundschau über seine leblosen Truppen. O, wie viel Ausdauer, Geduld, Fleiß, Augenkraft und Geschicklichkeit erforderten allein die Insekten! Je kleiner und unscheinbarer sie waren, eine um so sorgsamere Behandlung verlangten sie.

Auch in diese mühsame, zeitraubende Beschäftigung hatte sich Amalie eingearbeitet. Sie hatte gesunde, scharfe Augen, eine schnelle, leichte Auffassungsgabe, so daß sie bald begriff, worauf es bei den Arbeiten ankam. Da dauerte es nicht lange, daß auch die Finger geschickt für die feinsten Aufgaben wurden. Wie sorgfältig mußte sie mit den im Tode zusammengezogenen Gliedmaßen umgehen. Die Beinchen und Fühlhörner waren so spröde, und der kleinste Bruch machte das Tier wertlos. Wie verdrießlich wurde Dietrich, wenn ein Käfer, dessen Auffinden ihn in Entzücken versetzt hatte, jetzt wegen einer Ungeschicklichkeit weggeworfen werden mußte.

Für Amaliens von Natur ungeduldiges, hitziges Temperament waren gerade diese Arbeiten keine leichte Aufgabe, aber sie nahm sich aufs äußerste zusammen, die Liebe überwand auch hier jede Schwierigkeit. Welches Glücksgefühl durchströmte sie, wenn Dietrich anerkennend sagte: »Prächtig hast du dich eingearbeitet! Du bist mir im jedem Sinne des Wortes eine treue Gehilfin!« Wie leuchtete dann ihr Blick! Wie leicht schien ihr dann jede Aufgabe.

Ja, so war es bisher gewesen! Aber, aber, die Mutter war tot. Und damit traten Aufgaben an Amalie, an denen sie verzagte. Nur zwei Hände fehlten, aber welche Veränderung brachte diese Lücke in den kleinen Hausstand. Sechs Jahre hatte sie dem Manne geholfen: sie wußte nichts vom Hausstand, nichts von Kindererziehung!

Sie war von morgens früh bei den Sammlungen und vergaß Zeit und Stunde, bis dann wohl ihr Vater mit dem Kinde erschien. »Ach!« rief sie dann erschrocken, »ihr wollt doch nicht etwa schon essen? Was ist denn die Uhr? Schon eins? Vater,« sagte sie bittend, »hier nimm den Krug, und hol' drüben bei Gläßens für einen Dreier Schlickermilch, dahinein brock' ich Schwarzbrot, dann haben wir ein schnell gerichtetes und ein billiges Mittagessen. Nicht wahr, Wilhelm, du bist ja zufrieden damit?« Die Antwort klang nicht sehr zustimmend, und Amalie wunderte sich; hatte doch die Mutter anerkennend geäußert, wie anspruchslos Dietrich sei.

Ach, das Haushalten war also auch eine Kunst! Amalie seufzte viel und konnte nachts nicht einschlafen, weil sie sich zurückzurufen versuchte, was sie denn in all den Jahren gegessen hatten. Warte: da war Hirsebrei, Kartoffelklöße, Kartoffelbrei und Hering, Speck, Brotsuppe – ja wenn man nur gleich wüßte, wie all diese Herrlichkeiten gekocht würden! Und alles kostete so viel Geld; es war aber immer nur wenig da, und Mutter Cordel hatte oft gesagt: »Seid niemand nichts schuldig, denn daß ihr euch untereinander liebet.«

Manchmal ging sie in der Dämmerung zum früheren Kantor-Klärchen, die jetzt Frau Nagel hieß, und fragte eilig um Nat.

Eines Tages stand sie an der Pumpe und wusch Salat; da trat der Vater zu ihr; sein gedrücktes Wesen sah sie nicht, da sie in großer Eile war. Als er ihr ein Weilchen zugesehen hatte, sagte er zögernd: »Bis nich böse, Malchen, aber ich wollte dir nur sagen, daß ich meine Wohnung hier gekündigt habe. Schweren Herzens bin ich damals aus der Niederstadt weggezogen; ich tat's der guten Mutter zuliebe. Was soll ich nun noch hier? Ich ziehe wieder in die Niederstadt und sehe zu, daß ich eine passende Wirtschafterin finde. Ich bin in dem Alter, wo ich meine Ordnung haben möchte, und du vergißt egal alles.«

»Vater!« sagte Amalie erschrocken und richtete sich auf, »du kannst mich verlassen? Stürzt denn alles zusammen? Vater, wie kannst du mich verlassen! Wo soll ich denn mit dem Kinde hin? Sie hatte an dir doch einen Anhalt. Du hast gekündigt, du willst wirklich fort!«

»Na,« sagte der Vater, »du hast deinen Mann und dein Kind, mit denen mußt du dich zurechtleben. Das müssen andere auch.«

»Freilich,« sagte Amalie kurz, »du hast ganz recht, andere müssen es auch.«


»Seit deine Mutter tot ist,« sagte Dietrich eines Tages, »liegt nie mehr mein Zeug zurecht, es ist auch nichts geputzt und gebürstet. Willst du mir einen Kragen geben?«

Ja, wo waren die Kragen! Einmal hatte sie sie schon gesehen; aber sie hatte vergessen wo. Nun fing ein langes Suchen an, und endlich fand sie noch einen. Da sah sie ein, daß sie in den nächsten Tagen waschen und plätten mußte.

Als Amalie am Plättbrett stand, lief das Kind an den Topf mit kochendem Wasser, den sie eben auf die Diele gestellt hatte. Mit einem Ruck riß sie die Kleine weg, aber – o weh! – der Augenblick hatte genügt; braun und deutlich hatte sich die Form des Plätteisens auf dem breiten Kragen abgedrückt. Sie nahm Wasser, – aufgelöste Stärke, – es war alles vergeblich, das Brandmal war echt.

»Ach,« jammerte sie, »so viel Zeit habe ich mit dem dummen Lappen vertrödelt! Was hätte ich nicht alles in der Zeit tun können!«

»Wo bleibst du nur?« rief Dietrich, »du vergißt wohl ganz, daß du die Pflanzen aus der kleinen Presse umlegen mußt, sie müssen heute noch in die Mittelpresse. Und was ist denn das? Hast du das Papier denn gestern gar nicht getrocknet? Das ist doch deine Sache. Wenn du nicht für ganz trocknes Papier sorgst, schimmeln die Pflanzen, und wir können sie wegwerfen.«

»Ich weiß! Ich weiß!« sagte Amalie mit nervöser Hast, »aber sieh mal, was mir hier passiert ist! – Deinen Kragen habe ich verbrannt.«

Sie legte den im Ärger zusammengeknüllten Kragen vor Dietrich hin und erwartete, daß er den Unfall als »nebensächlich« behandeln werde; aber sie irrte sich.

Entschiedener Unwille prägte sich auf seinem Gesicht aus, und er sagte verstimmt: »Du weißt doch, wer mir diese Kragen genäht hat? Es war das letzte Geschenk der guten Tante Charitas. Wie kann das, was mir so lieb ist, dir so gleichgültig sein? Deine Mutter hatte Pietät, die schätzte die feine Arbeit und ging sorgsam mit den Dingen um, die ihr anvertraut waren.«

»Ja Mutter, – die hatte auch Übung in all diesen Dingen, und doch nahmen sie sie fast ganz in Anspruch; ich soll Dir aber doch auch noch immer helfen.«

»Natürlich muß ich Hilfe bei den Sammlungen haben.«

»Das sehe ich ja auch ein, und du weißt doch, wie gern ich dir helfe, aber ich kann nicht für beides verantwortlich sein.«

»Und was rätst du?«

»Ich meine, wir müssen uns ein Hilfe suchen, die den Hausstand besorgt, es kann ja eine sein, die wenig verlangt. Bist du damit einverstanden?«

»Gut,« sagte Dietrich, »wenn es anders nicht geht, dann richte es so ein. Mir ist's auch am liebsten, ich behalte dich für mich wie bisher. Hierfür hast du entschieden Talent und Geschick; wie's aber mit dem Hausstand geht, das sieht man ja.« –

Die letzte Bemerkung überhörte Amalie, sie war glücklich, daß sie wieder an ihre alte Arbeit kommen sollte und freute sich auf die künftige Stütze.


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