Otto Julius Bierbaum
Stilpe
Otto Julius Bierbaum

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Schlußkapitel.

Etwa drei Wochen nach dem Gespräche Girlingers mit Stilpe erhielten die Berliner neben anderen Frühstücksbeilagen auch diese Notiz vorgesetzt:

(Selbstmord eines Chantantkomikers.) Die Besucher der Variétébühne »Zum Nordlicht« waren gestern Abend Zeugen eines grausigen Schauspiels. Der Komiker Schonaar hat sich auf offener Bühne vor den Augen des Publikums erhängt. Da der Schlußtric in der Nummer dieses Komikers (!) darin bestand, daß er sich an einem Laternenpfahl aufhängte, so gewahrte das Publikum es anfangs nicht, daß diesmal das an sich scheußliche Schauspiel entsetzliche Wirklichkeit war. Es applaudierte, die scheinbare Naturwahrheit der Darstellung bewundernd, anhaltend, so daß sich der Vorhang dreimal über dem zuckenden Körper des Hängenden erheben mußte. Da erst fiel es den »Habitués« dieser Schaustellung auf, daß der Darsteller nicht wie sonst seinen Kopf in der Schlinge gegen das Publikum verneigte. Man eilte über die Rampe weg auf die Bühne und schnitt den Erhängten ab. Da es nicht möglich war, ihn wieder ins Leben zu bringen, so muß mit Bestimmtheit angenommen werden, daß Schonaar, um ganz sicher zu gehen, sich vorher vergiftet hat. Die polizeiärztliche Untersuchung wird zweifellos die Richtigkeit dieser Mutmaßung ergeben. In den Taschen des Selbstmörders fand man ein Packet mit der Aufschrift: An den Staatsanwalt Girlinger. Dies erweckt die Vermutung, daß dieser Selbstmord vielleicht noch anderweites kriminelles Interesse hat. Wir kommen auf den krassen Fall zurück.

Schon zum Abendbrot hatten die Berliner volle Aufklärung über den Fall Schonaar. Sie lasen:

(Zum Selbstmord im »Nordlicht«.) Der scheußliche Selbstmord auf offener Bühne, von dem wir heute früh berichtet haben, hat kein weiteres kriminelles Interesse, wohl aber eine psychologisches traurigster Natur. Der Selbstmörder, der unter dem Namen Schonaar ein elendes Dasein als Komiker niederster Gattung gefristet hat, war der ehemals viel genannte und gefürchtete Kritiker Willibald Stilpe, derselbe, der sich in der Literatur durch das berüchtigte Pamphlet »Der Tintensumpf« unmöglich gemacht und dann das bald verkrachte »Literatur-Tingeltangel Momus« gegründet hat. Wieder einmal ein Talent, das an seiner eigenen Charakterlosigkeit zu Grunde gegangen ist! Über die direkten Motive zu diesem in so schauerlicher Weise in Szene gesetzten Selbstmord haben wir vom Herrn Staatsanwalt Girlinger, an den der Selbstmörder ein Bündel Manuskripte geschickt hat, nichts erfahren können. Man kann sie wohl in das eine Wort zusammenfassen: Delirium.

Das war das Amen-Wort der Öffentlichkeit zum Lebensabschluß Stilpes.

Das Leipziger Cénacle hatte den Vorzug, Stilpes eigene Meinung darüber zu vernehmen. Girlinger schrieb den Freunden:

. . . Nous allons, si tu veux, chanter le dernier psaume . . .

Hier sind die letzten Worte Schaunards. Seine Leiche ist, wie er wünschte, in der Anatomie. Ich habe sie gesehen und fürchte, daß ich den Anblick nie mehr los werde. Seid froh, daß ihr das nicht gesehen habt.

Stilpes Brief an Girlinger lautete so:

Landerirette!

Wie schreiben die kleinen Mädchen (ach, ach, ach, wie nett das klingt, – Mädchen ist ein liebes Wort), die kleinen Mädchen, wenn sie sich vergiften? So schreiben die kleinen Mädchen:

»Lieber Emil! Wenn Du diese Zeilen liest, dann bin ich tot!«

T O T

Das Wort hat rechts und links eine Peitsche und in der Mitte ein Loch.

Graphologie! Graphologie!

Ist es nicht tiefsinnig? Peitsche – Loch – Peitsche. Wie witzig! Profund!

Und dann der Ton, wenn mans ein bischen dumpf und gedehnt sagt, – das O ist sublim. Wie wenn man über einen Flaschenhals hinpfeift. Heisere Sirenen.

Indessen! Höre mich! Höre mich! Ich sage Dir: Sterben ist ein dummes Wort. Man sollte Schtärben schreiben. Da käme die ganze breit hingeschmierte Gemeinheit des Wortes zu Tage. Ekel. Würgen. Fuselaufstoßen.

Und quoad Fusel, ich weiß nicht recht: Ist der Fusel von heute schuld oder die ostpreußische Bowle von damals . . .?

Schuld? Schuld? Das Wort macht mir Wut. Wie ein Brummer rennts an mich an. Bin ich eine Fensterscheibe? Fliegenklatsche her! Fliegenklatsche!

Sei ruhig! Ich bin nicht betrunken. Wirklich nicht. Das ist es ja eben! Ich bin nicht betrunken, und ich werde es niemals mehr sein. Blos manchmal verrückt. Entschieden, Alter! Verrückt, das heißt: Geschüttelt, gezerrt, gestoßen, an die Wand geworfen, – und dazu lacht Einer.

Das Lachen legt sich Dir um den Hals wie eine Peitschenschnur um den Kreisel, einmal, zweimal, dreimal, viermal, fünfmal, immer nochmal, immer noch, immer noch, immer nochmal; – laß los! laß los! – Jetzt: Wwwt! und Du drehst Dich wie ein Kreiselchen, Kreiselchen, drehst Dich wie ein Kreiselchen auf einem Nagelkopf, scheibum, scheibum, lalalala, lalalala, scheib – um . . . Hund! Hund! Lache nicht, Peitsche, lache nicht! Wwwt! Wwwt! Scheib – um!

Unwürdig, Staatsanwalt, unwürdig! Ein homo sapiens! Wie kann man nur!

Aber das ist es nicht. Auch nicht die roten Mäuse und die weißen Männerchen, und die lieben kleinen Drehdingerchen, die immer so hin und her und hin und her, und oben an der Decke und unten an der Diele, – tritt doch! tritt doch! rufen sie –, du lieber Gott, an die Menagerie bin ich gewöhnt. Wie lange denn schon?

Du, weißt Du noch, meine gelbe Mütze? Oh, Jugendzeit! Oh, Porterbier!

Lästig, wie sie kribbeln, die Gedanken; laufen mir über die Brust wie Ameisen. Und die Springprozession der Flöhe: Meine Ideale.

In – der – That! I – de – ale!

Mit Deiner gütigen Erlaubnis: Ich habe wirklich welche.

Sie lassen sich nicht wegsaufen, die höheren Ziele. Wie lange schon bemüh ich mich, durchaus ein Lump zu werden, – und es ist mir immer noch nicht gelungen.

Wenn ich doch nur klar denken könnte! Ich möchte Dirs so gerne auseinandersetzen, Jurist, der Du bist.

Aber: Diese Blasen im Gehirn. Verschlammter Grund. Gurgelgase, Fuselgase. Ich weiß schon nicht mehr, was ich Dir auseinandersetzen wollte. Es wird wohl eine Lüge gewesen sein.

Daran darf nicht gezweifelt werden! Immer hab ich gelogen! Immer! Sieh nur meine Tagebücher durch.

Die Verse! Die Verse! Am liebsten hab ich mich selber belogen, und rhythmisch.

Wenn ich nur die Kraft gehabt hätte, das immer so zu fühlen, wie jetzt. Wenn ich mir nur über mein Talent nicht erst jetzt klar würde, wo es zu spät ist, wo ich nicht mehr die Kraft habe, es systematisch auszunutzen! Ich hätte nie was wollen sollen. Das Wollen war für mich eine ungesunde Lüge.

Dichter wollte ich werden, weil ich Verse machen konnte. Das war die Heckeratte, die infame. Wenn ich »Kritiker« geblieben wäre, – Du, was wäre ich da für ein ganzer Kerl geblieben, in Samet und in Seide, rund und aus einem Stücke, gar wohlgethan.

Ein Lump von einem Kritiker meinst Du und beschwörst jenen Gotthold Ephraim. Was thuts? Das sind Nüancen. Sag Feuilletonist statt Kritiker, sag Pickelhäring, Clown, Hanswurst der öffentlichen Meinung. Meinethalben. Aber das war mein Feld. Da hätt ich weiter ackern müssen. Aber das behagte mir nicht. Wollte oben hinaus. Die Hure, die Gouvernante sein möchte. Hol dich der Teufel! Huren ist auch ein Talent. Bleib im Bette und nähre dich redlich!

Jetzt ists wieder so. Ich habe Dich letzthin belogen. Mich dichterts immer noch. Immer noch möcht ich auf den Poetenberg. Immer noch hebt sichs da drin und klingt und will. Verse überfallen mich und tönen mir gut Oh, sie sind gut! Höre!

Und hinter mir, dem schwarzen Adler gleich,
Dem seine Schwingen feucht sind, weil er in Wolken war,
Schwebt schwer die Nacht . . .

Fühlst Du, fühlst Du, daß das Poesie ist? Von mir! Von mir!

Bin ich ein Hund?! Nein: Diese Verse sind von mir!

Ah! Höre!

Lau, ein Bad von Rosenblättern,
Legt sich Sehnsucht um mich, Sehnsucht;
Sinke, Haupt, ertrinke, Seele,
Stirb in diesen lauen Düften
Und genieße die Erfüllung . . .

Wie? Hat das nicht was? Der Teufel auch: Das ist ausgezeichnet, sag ich Dir, mi fili!

Dann:

Um mein Hans herum
Schwirren die Fledermäuse des Grams.
Zwei, sieh, hängen am Drachenbalken,
Grau am Grau,
Und blinzeln in den roten Lichtdunst meiner Lampe.
Öde heißt die eine,
Gier heißt die andre;
Die Schwirrenden pfeifen . . .

Ich lese mir das vor, mit leiser Stimme sprech ichs den Buchstaben nach; mir ist es, als hörte ichs von tief unten wo her aus Glockenmunde mit meiner Stimme, und ich fühle: Das ist gut.

Nein, ich bin keiner von den Schweren, Klebenden, in mir sind Stimmen aus der Tiefe, es ist ein Reichtum in mir. Ich habe mehr als ihr Almosenempfänger. Ich bin einer von den grands aumôniers des Herrgotts. Ich kann mich aufthun, und es fließt Leben in die Welt. In meiner Seele umschließen sich Zeugung und Empfängnis. Wie jene Blume bin ich, die Phallus und Vulva ist; so steh ich da im Garten des HErrn und begatte mich:

Liebe dich und löse Dich,
Löse dich auf und gebier dich der Welt
Aus der bebenden Lotosblume deiner Fülle!

Ich höre Dich lachen, Staatsanwalt! Lache! Lache! Spei mir Dein Lachen ins Gesicht! Ich will mich nicht einmal abwischen.

Ich weiß es ja, jede Zelle meines Wesens fühlt es ja: Das Alles ist krüppelhaft. Ich, die erstaunliche Lilie im Garten des Herrn, stoße nichts als Halbgeburten aus, ich wälze mich in Zeugungswollust und kann nichts austragen. Und die fragmentarischen Bankerte verrecken unter dem Hohngelächter meiner Erkenntnis, daß ich fürs Ganze impotent bin.

»Es fehlt dem Schüler an der rechten Ausdauer, seiner Begabung alles das abzugewinnen, was sie zu leisten vermöchte, wenn sie von Fleiß, Beharrlichkeit, Mäßigung unterstützt würde« . . . Diese Worte, nebst einigen andern, habe ich einmal von einem Schulzeugnis weggewischt, aber, als wenn ich sie auswendig gelernt hätte, stehen sie in mir fest und knarren sich heute mir vor.

Sehr gut, Herr Doktor! Sie sind ein guter Psychologe gewesen. Aber, weiß Gott, ein schlechter Pädagoge. Warum haben Sie mir alle die guten Dinge nicht beigebracht, Magister Sie? Warum haben Sie mich schon auf der Schule verlumpen lassen? War ich ein Talent, oh, Sie Halunke, warum haben Sie mich nicht gehütet? Warum haben Sie mich verhöhnt, von sich weggetrieben, meinem Zorn und Trotz in die Arme, daß ich nun erst recht auf mir bestand? Warum habt ihr mich überhaupt gequält mit eurer Rohheit, eurem Dünkel, eurer Gleichgültigkeit? Warum habt ihr meine Seele, da sie jung war, wundgescheuert, daß sie ewig schmerzende Narben davontrug und immer zuckender, unstäter wurde? Freilich, die meisten unter euch waren nicht einmal Psychologen, höchstens, daß sie instinktmäßig ahnten, daß in mir mehr war, als in ihnen, und dafür mußte ich geduckt werden. Geduckt, ich! In mich hinein fraß ich einen Haß gegen Alles, das nicht ich war, meine ganze Jugend wurde ein Eitergeschwür, all mein Blut verdarb, weil ihr mich drücktet!

Wie das Alles auf einmal vor mir steht. Wie ein schwefelgelber, brunstrot geäderter Sonnenuntergang.

Nie, seit Jahren nicht, sah ich so klar. Nie, seit Jahren nicht, war ich so bewegt. Nie, seit Jahren nicht, fühlte ich mich so frei wie in diesem jetzigen Augenblicke.

Wird man hellseherisch durch einen großen Entschluß? Oder – – – bin ich endlich, endlich wieder einmal betrunken? Dann – – könnte ich ja den großen Entschluß wieder aufgeben?

Denn, – Ruhe! Ruhe! nur noch einen Augenblick Ruhe! – warum hat sichs in mir eingenistet, eingegraben wie mit tausend feuchten Klauen, daß ich ein Ende machen muß? Lauf mir nicht fort, Bewußtsein! Bleib, daß ich mirs sage, klar, glatt, hell, daß ich es wenigstens einen Augenblick lang weiß. So! So! Ich habs! Nur deshalb . . . Nein! Nebel! Kopfschütteln. Müde. Trinken!

Ich laufe den ganzen Tag im Zimmer herum wie ein Tier im Käfig. Und ich merke, daß mich das hypnotisiert, wie einen Fakir das Kopfdrehen. Jetzt bin ich wunderbar ruhig. Das ist sehr schön. Nun weiß ich auch, warum . . .

Siehst Du, Robert (hab ich Dich je Robert genannt, Du Schäker?), so ists: Ich fühle, daß ich auch im Sumpf nicht ganz aufgehe. Nein, nicht einmal im Sumpf. Und doch ist Aufgehen Alles. Worin, das bleibt sich gleich . . .

Eine Weile schien Alles gut. Ich – fühlte mich wohl und akklimatisierte mich. Aber von dem Tage an, wo Du mit mir sprachst, begann das Ziehen wieder, das Hinaufwollen. Ein Taumel erst. Verse sprudelten auf, Fragment auf Fragment. Hohes Entzücken! Phönix aus der Asche! Dann aus allen Höhen herunter. Wirre Verzweiflung . . . Zuckende Erkenntnis. . . . Hin und her. Ich will! Ich kann! . . . Nein! Nein! Hund! Lump! Mach ein Ende! . . . Nein! Ich habe ja die volle Seele! Ich muß nur ein einziges Mal mit aller Kraft mich ganz fassen! . . . Ach! Ich bin mit dem Schädel gegen die Wand gerannt und habe mir, ganz biblisch, die Haare ausgerissen. Geheult und gekreischt in Weinen und Lachen! Unsinn! Unsinn! Noch mehr saufen! Ecce medicamentum. Vergeblich. Ich reagiere nicht mehr.

Ich habe nur noch das Ekelgefühl und eine marode Sehnsucht. Fertig, weißt Du, was man so fertig nennt. Hin und wieder angenehm verrückte Anstöße, aber ich fühle: Die verdanke ich auch blos dem . . . Entschluß.

Der macht mir überhaupt viele Freude. Ja. Ich finde doch, daß ich nicht übel abgehe.

Über den Geschmack der letzten Szene kann man ja streiten. Natürlich. Aber was geht das mich an? Ich finde, daß sie ausdrucksvoll ist. Dem Leben die Zunge herausstrecken, eurem Leben, meine Lieben, das Plaisier müßt ihr mir schon gönnen.

Ich bin nun mal auf die böse Seite hinübergerutscht, wo die Respektlosen, die Giftigen stehn. Wie kann da mein Geschmack der eure sein, ihr Leute von der Harmonie? Wenn ich Bomben würfe, würde die Geschmacksdivergenz noch mehr klaffen.

Genug! Kommen wir zu meinem Vermächtnis:

Meinen werten Leichnam, bitte, der Anatomie. Den Befund über das Gehirn mögt ihr dem Cénaclearchiv einverleiben.

Meinen werten Feinden von der Presse wende ich Stoff für mindestens zwei Notizen zu. Wer sein Handwerk versteht, kann am Ende gar ein Feuilleton herausschlagen.

Dir gehören meine sämmtlichen Werke. Wenn Du zu den Versen immer einen Anfang und ein Ende schmiedest, so kommt ein ganz netter Band Lyrik und Spruchweisheit heraus.

Sonst hab ich wohl nichts zu vermachen.

Qualis poeta pereo!

 


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