Otto Julius Bierbaum
Das Schöne Mädchen von Pao
Otto Julius Bierbaum

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XXVII.
Die unglaublichen Künste des Herrn A-yu.

Wenn mir nur um Gotteswillen was lustiges einfallen wollte! dachte sich unablässig Seine Majestät, damit der Kelch der Kelche wieder lacht. Aber es fiel ihm nichts ein. Deshalb berief er den Reichskanzler zu einem intimen Rate.

– Können Sie mir denn gar nichts amüsantes vorschlagen, lieber We? sprach er. Ich muß Ihre Majestät wieder lachen sehen, und koste es das Reich!

Der Graf-Reichskanzler zog die Brauen hoch und sprach: Haben es Ew. Majestät schon mit dem Theater versucht?

– Ach, sie will ja kein Theater sehn! Für das historische Drama hat sie, wie ich ihr nicht verdenken kann, nicht das mindeste Interesse, und das ist auch wirklich nicht amüsant. Und die Possenspieler stinken alle so nach Knoblauch, daß ihr schon bei dem Gedanken daran übel wird.

– Man könnte ihnen ja, verzeihen Ew. Majestät das derbe Wort, die Rachen parfümieren und sie auf Staatskosten baden lassen.

– Das könnte man freilich, meinte der Kaiser, aber erstens würden sie dadurch ihre Laune verlieren, und zweitens entsprechen die modernen Komödien gar nicht dem feinen, sensitiven Geschmacke Ihrer Majestät. Sie haben keine Ahnung, wie ästhetisch gebildet die Kaiserin ist, lieber Kanzler. Das Feinste erscheint ihr noch als roh. Kürzlich gebrauchte ich in einem Gedichte das Wort Raupe, und sie fiel in Ohnmacht, weil es ihr war, als kröche ihr eine Raupe in den Busen.

– Vielleicht ein Balletchen? Ich selbst habe einmal eins entworfen: Der verliebte Eunuch. Es ist zwar ein bißchen stark, aber voll von komischen Situationen. Z. B. wie der Eunuch . . . Seine Durchlaucht näherte sich dem allerhöchsten Ohre und flüsterte.

Der Kaiser schüttelte sich vor Lachen: Großartig! das müssen Sie mir mal vorspielen lassen; das muß ja zum Schreien sein! Aber für Ihre Majestät? Wo denken Sie hin! Wenn sie auch persönlich nicht prüde ist, so liebt sie in der Kunst doch das Keusche. Nein, das geht auch nicht. Leider!

Seine Durchlaucht strich sich den schwarzen Ziegenbart, benetzte die Lippen mit der Zunge, was bei ihm ein Zeichen heftigen Nachdenkens war, sah ernst an seinem Bauche entlang, der mit jeder Würde voller wurde, und klatschte sich plötzlich auf die Stirn.

– A-yu!

Er rief es so laut, daß er, über diese hofwidrige Unart erschreckt, sofort auf den Boden sank.

– Was ist das: A-yu!? fragte der Kaiser und winkte den Kanzler auf die Beine.

– A-yu ist der berühmteste Prestidigitateur dieser Zeit und eben von einer Studienreise nach Indien zurückgekehrt. Der Meister seines Faches. Was man von ihm hört, grenzt ans Unglaubliche. Der und kein anderer wird ein Lächeln des Beifalles auf Ihrer Majestät allerholdseligste Lippen zaubern. Daß ich nicht gleich auf ihn kam!

– Das ist allerdings unerhört, Verehrtester. Wo haben Sie denn Ihre Gedanken? Dichten Sie am Ende noch?

Der Kaiser sah eine Spur ungnädig aus, und der Kanzler erschrak bis ins Eingeweide.

– Kein Reim naht sich der Schwelle meiner mit Staatsgeschäften erfüllten Seele, oh Sohn des Himmels, stammelte er, seit Ew. Majestät die unverdiente Gnade gehabt haben, mich Wurm der Würmer in den Lichtkreis Ihrer göttlichen Entschließungen emporzuziehen. Ich . . .

– Schon gut, mein Werter, fiel ihm der Kaiser, schon wieder gnädig geworden, ins Wort. Bestellen Sie mir den Menschen sofort! Er soll sich aber zusammen nehmen. Gehts gut, so wird er Hofpresti . . . wie sagten Sie doch?

– digitateur.

– Schön: Hofprestidigitateur. Das ist übrigens ein sehr wohlklingender Titel. Blamiert er sich aber, so möchte es ihm übel ergehen!

– A-yu hat sich noch nie blamiert.

– Um so besser! Morgen nach Tisch soll er antreten!

– Heute habe ich aber mal eine Überraschung für dich, Schatz, sagte der Kaiser am nächsten Tage zu der immer gleich düsteren Kaiserin, als abgedeckt war. Wenn du die Güte haben wolltest, mit in den Garten der Zehntausend Lilien zu kommen?

– Eigentlich möchte ich lieber schlafen. Was ists denn?

– Ein Pre-sti-di-gi-ta-teur.

– Was für ein Ding?

– Weißt du, so ein Mensch, der Münzen aus der Luft fängt und Papierrollen aus dem Munde zieht.

– Ach, ein Hokuspokusmacher? So was habe ich früher allerdings recht gern gesehen.

Der Kaiser war überglücklich und schlug in die Hände: Also! Siehst du! Und es ist natürlich der Meister seines Faches! Der berühmte A-yu! Ein wirklicher Tausendkünstler! Er bringt die neuesten Tricks aus Indien! Paß auf! Das wird dich amüsieren.

– Gott ja. Vielleicht. Hoffentlich. Wir wollen Lulu mitnehmen.

– Selbstverständlich! Das ist auch was für den Kleinen! Ach Gott, ich freue mich furchtbar!

Der kleine Kronprinz hatte zwar offenbar gar keine Lust, Herrn A-yu zu sehen. und sträubte sich unter heroischem Gebrüll dagegen, aus der Wiege genommen zu werden, aber ein doppelt gesüßter Lutschbeutel besänftigte sein empörtes Gemüt, und er geruhte, sich, unablässig schmatzend, in den Garten tragen zu lassen.

Dort war auf einem Rundteil zwischen den in bunter Fülle stehenden und schwer duftenden Lilienbeeten ein gelber indischer Teppich ausgebreitet, und auf diesem Teppich lag, lang hingestreckt, Herr A-yu.

Als er sein Haupt zwölfmal erhob, um es zwölfmal wieder feierlich huldigend niederzulegen, sah man, daß es ein sehr schöner Mann mit einem indischen grüngelben Turban und einem braunen, gleichfalls indisch gestutzten Spitzbart war. Er war tadellos nach der neuesten Mode von Bombay gekleidet, d. h. er trug einen langen stahlblauen Kaftan mit einem eingestickten Ornamentenmuster von kühnster Linienführung und um die Hüften einen breiten Ledergürtel, der auf rehgrauem Grunde goldbraune Arabesken in demselben Geschmacke zeigte. An den Füßen rote Saffianschuhe von elegantester Form, in der rechten Hand einen mit mystischen Karakteren in eingelegter Elfenbeinarbeit bedeckten Ebenholzstab.

Nachdem er sich erhoben hatte, machte er noch zwölf tadellose Verbeugungen, strich sich den Spitzbart, lächelte charmant und sprach: Sohn, Tochter und Enkel des unendlichen Himmels, herrlich geformtes Dreiblatt, beschattend die vier Meere, Majestäten und kaiserliche Hoheit! Ich werde mit allerhöchster Bewilligung die große Ehre haben, Ihnen sogleich die auserlesensten meiner Künste vorzuführen, die ich mir mit rastlosem Eifer bei den Meistern der indischen Magie angeeignet habe. Wollen Sie sich gnädigst zuvor davon überzeugen, daß ich keinerlei Apparate bei mir habe, und daß auch dieser indische Teppich kein doppeltes Futter hat, in dem irgend derlei verborgen sein könnte.

– Willst du dich überzeugen, Schatz? fragte der Kaiser die Kaiserin.

– Ich will, daß der geschwätzige Herr endlich beginne, antwortete diese, die etwas ungeduldig schien.

Herr A-yu kreuzte die Arme über der Brust und sprach: Ich danke untertänigst für das allergnädigste Vertrauen Ihrer Majestät und werde nur noch die allernötigsten Beifügungen zu meinen Produktionen machen. Zuvor aber ist es nötig, daß ich einige Beschwörungen vornehme.

– Ist das unumgänglich nötig, meinte die Kaiserin.

– Zu meinem schrankenlosen Bedauern muß ich diese Frage Ew. Majestät bejahen. Ohne Beschwörungen keine magische Gnade, ohne magische Gnade keine Vorstellung aus der höheren Magie.

– Also beschwören Sie in Gottesnamen, aber fix, wenn ich bitten darf, entgegnete die Kaiserin und heftete die starren Blicke ihrer weitgeöffneten schwarzen Augen auf den Magier.

Der riß die Augen gewaltig auf, schüttelte seinen Kopf, als wollte er ihn von sich werfen, steckte seinen Stab in den Gürtel, rieb sich die Hände, daß es nur so knackte, und schrie: prassama – ba – ba – –! prassama – bo – bo – –! jam – jam – –! ri – ke – –! ri – ke – –! ri –ke – –! ri – ke!

– Um Gotteswillen, hören Sie auf, Mensch, mit diesem ewigen ri – ke! Wer ist denn das?

– Das wird die Göttin der indischen Magie sein. Unterbrich ihn nicht, Schatz; er hat schon Schaum vor dem Munde.

Herr A-yu sah in der Tat gefährlich aus. Seine Haare sträubten sich so, daß der Turban hochgehoben wurde, sein Spitzbart stand stachelig auseinander, seine geriebenen Hände knackten wie brennende Holzscheite. Plötzlich ergriff er seinen Ebenholzstab, schwang ihn bedrohlich ums Haupt und stach dann in die Luft, als gälte es, einen unsichtbaren Feind tausendfältig zu erdolchen. Dazu kreischte er: Pan! Pan! Huhu! Pan! Pan! Huhu!

– Jetzt vertreibt er die niedrigen Geister, erklärte der Kaiser; ich kenne das. Die Luft muß erst rein sein von den störenden Kobolden. Jetzt wird er aber gleich fertig sein.

Seine Majestät hatte natürlich recht.

Herr A-yu drehte sich nur noch etwa fünfzigmal rasend schnell um sich selbst, blieb dann eine Weile wie angewurzelt stehn, sprang fabelhaft hoch kerzengrade in die Luft, schlug in der Luft die Beine unters Gesäß und fiel so in die indische Sitzart nieder. Schwärmerisch beide Arme in die Höhe fackelnd und den Kopf soweit hintenüber geworfen, daß die Spitze seines Bartes gen Himmel wies, schrie er noch einmal mit aller Anstrengung: Ri – ke – –! hü – ke – sta! Dann wischte er sich mit einem schön gemusterten Seidentuch den Schweiß von der Stirne und den Schaum vom Munde und sprach: Nummero Eins: die Schmetterlinge!

Das sah so aus:

Er ballte sein Seidentuch zusammen, legte es vor sich auf den Teppich, kauerte sich daneben, machte ein paar fächelnde Handbewegungen darüber, blies es ein paarmal an, hob es vorsichtig auf – und: Zwei Schmetterlinge, ein grüner und ein gelber, folgten den Zipfeln des Tuches und schwangen sich hoch. Zwei, dreimal umflogen sie sein Haupt, setzten sich auf seinen Turban und – verschwanden in dessen Farben. Es war, als wäre es nur ein Spiel dieser Turbanfarben gewesen.

– Erstaunlich! sagte der Kaiser, dem die Augen fast aus dem Kopfe getreten waren vor starrem Hinsehen. Hast du eine Ahnung, Schatz, wie das zugegangen ist?

Die Kaiserin saß starr und schüttelte bloß den Kopf: Weiter!

Herr A-yu lächelte charmant und sprach: Nummero Zwei: die Tulipane! Ich bitte, allergnädigst zu beachten, daß es ein Teppich ist, auf dem ich mich produziere, und nicht das Erdreich. Ein ganz gewöhnlicher Teppich ohne jede . . .

– Schon gut! sagte die Kaiserin.

Herr A-yu fuhr zusammen, ließ sich nieder und breitete sein Tuch lang aus. Dann entnahm er seinem Gürtel ein Fläschchen in gesprenkelten Farben und goß daraus ein paar Tropfen auf das Tuch. Ein seltsamer narkotischer Duft teilte sich der Luft mit. Die Anwesenden schlossen für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder auftaten, sahen sie, daß sich das Tuch, über dem Herr A-yu ziehende Bewegungen machte, langsam erhob. Schließlich fielen seine Zipfel um einen Gegenstand herab, der sich offenbar unter ihm befand. Herr A-yu ergriff das Tuch mit den Spitzen des Mittelfingers und Daumens der rechten Hand in der Mitte und zog es behutsam in die Höhe. Siehe: Eine rot und gelb gesprenkelte Tulipane stand auf durchsichtig hellgrünem Stengel, und ein noch betäubenderer Duft als vorhin von der Flasche ging von ihr aus. Die Anwesenden mußten wiederum einen Augenblick die Augen schließen, und als sie sie wieder öffneten, war Duft und Tulipane fort, und sie sahen nichts als den charmant lächelnden A-yu, der die angenehmsten Verbeugungen machte.

– Fabelhaft! rief der Kaiser und griff sich an die Stirne. Ist das die Menschenmöglichkeit!? Ich bitte dich, Schatz! Ein Teppich. ein Tuch, ein gesprenkeltes Fläschchen und: eine Tulipane! Hast du Worte?!

Die Kaiserin sah nur noch starrer, hingenommener aus und flüsterte: Weiter! Weiter!

Meister A-yu erhöhte sein charmantes Lächeln zu einem bestrickenden Grinsen und sprach: Zum Schluß werde ich mit allerhöchster Bewilligung die Ehre haben, Ew. Majestäten und Seiner kaiserlichen Hoheit (die aber in einen gesegneten Schlaf verfallen war) den neuesten indischen Trick vorzuführen, der im Lande der Lotosblume unter dem Namen: Die unbegreifliche Strickleiter bekannt ist. Zur Ausführung dieses Tricks ist es nötig, daß ich mich entkleide.

– Sie sind wohl nicht bei Troste, Herr! rief der Kaiser, – in Gegenwart Ihrer Majestät!?

– Oh, nur bis auf die Unterpantalons natürlich, Majestät.

– Wie denkst du über diesen Fall, Schatz? fragte der Kaiser die Kaiserin.

– Es ist mir vollkommen gleichgültig, wie weit sich der Herr auszieht, antwortete diese.

– Also gut, ziehen Sie sich aus, Herr A-yu. Ihre Wäsche wird hoffentlich auf der Höhe Ihrer Kleider stehn. Und die Sache ist doch lustig?

– Die unbegreifliche Strickleiter hat noch überall fröhlichen Beifall gefunden, oh Sohn des Himmels, entgegnete der gewandte Zauberkünstler und löste seinen Gürtel. Dann tat er seinen Kaftan auseinander, schlüpfte aus den Ärmeln und stand in rotseidenen Pumphosen, gelbseidenen Strümpfen, blauseidener Hüftenschärpe und weißseidenem blusigen Hemde da.

– Ah, sagte die Kaiserin, der Herr sieht ganz allerliebst aus. Diese Art Wäsche ist netter, als eure Beinbinden und Sackhemden.

– Wenn du es wünschst, erwiderte höflich Seine Majestät, werde ich mich künftig so equipieren.

Dann, zu Herrn A-yu gewandt: Diese Sachen beziehen Sie wohl aus Indien?

– Es ist meine eigene Erfindung, Majestät, und es wird mir eine unaussprechliche Ehre sein, dem kaiserlichen Oberhofwäscheschneider die Schnittmuster zur Verfügung zu stellen.

– Genehmigt! erklärte der Kaiser.

Herr A-yu näherte sich nun seinem auf dem Boden liegenden Kaftan, spuckte dreimal darauf, berührte ihn tippend an allen Enden mit dem Ebenholzstabe, griff unter ihn und produzierte zum unsagbaren Staunen des Kaisers drei Räucherpfannen aus getriebener Bronze unter ihm hervor. Diese Räucherpfannen stellte er vor dem Kaiser, der Kaiserin und dem Kronprinzen auf, und sofort schlug eine blaue Flamme aus ihnen empor, hinter der ein gelblicher und sehr dichter, dabei aber höchst merkwürdig riechender Rauch aufstieg.

– Wie riecht das nur? rief der Kaiser. Ist es nicht wie ein Gemisch aus Kampher, Tee und Moschus?

– Ich schlief einmal zwischen getrockneten Teeblättern ein, – da war es mir gerade so, erklärte die Kaiserin. Mit offenen Augen schlief ich und träumte.

Unterdessen hatte Herr A-yu seinen Kaftan aufgenommen und vor sich ausgebreitet. Er kniete auf ihm nieder, beschrieb mit seinem Stabe unter dumpfem Gemurmel Linien darauf und sah dann den Kaiser und die Kaiserin durchdringend an, indem er ihnen die Elfenbeinspitze seines Stabes regungslos entgegenhielt und Pff! Pff! machte.

Sowohl der Kaiser, als auch die Kaiserin mußten wie gebannt auf den Stab blicken.

– Jetzt könnte ich den verehrten Majestäten beide Nasen abbeißen, und sie würden es nicht merken, dachte sich der verschmitzte Hexenmeister.

Und nun sahen der Kaiser und die Kaiserin folgendes:

Herr A-yu hob seinen Kaftan auf, – aber es war kein Kaftan mehr: es war ein Haufen gedrehter blauer Schnüre. Er entwirrte den Haufen und wand die Schnüre um seinen Zauberstab wie um eine Walze.

– Sehen Ew. Majestäten die blaue Strickleiter? fragte er.

– Ja, hauchte der Kaiser und die Kaiserin.

– Wo befestige ich sie nur? sprach Herr A-yu für sich und blickte zum Himmel. Der Mond ist noch nicht da, die Sonne ist zu hoch . . . Halt!

Und plötzlich drehte er sich, so sahen es der Kaiser und die Kaiserin, den Kopf vom Halse, wie man den Schraubendeckel von einer Flasche dreht, behielt aber merkwürdigerweise doch noch einen Kopf auf den Schultern. Mit diesem Kopf, den er auf hatte, berührte er küssend den Kopf, den er in der Hand hatte und der zum Unterschied von jenem ganz gelb aussah und einen feuerroten Spitzbart zeigte, und warf diesen Kopf mit einem leichten: Hup! in die Luft. Der Kopf flog etwa dreißig Meter hoch und blieb dann in der Luft stehen.

– Sehen Ew. Majestäten den Mond mit dem roten Spitzbarte? fragte Herr A-yu höflich.

– Ja, hauchte die Kaiserin.

– Natürlich! sagte der Kaiser, ich sehe sogar, daß er die Zunge herausstreckt. Eine Zunge, an der Spitze aufgebogen wie ein Küchenhaken. Me . . . me . . . merkwürdig!

– Das geschieht deshalb, erklärte Herr A-yu, damit die Strickleiter hält.

Und, jupp! warf er die blauen, jetzt mit roten Sprossen verbundenen Schnüre in die Luft, genau dem Monde ins Gesicht, wo die oberste Sprosse sich in der aufgebogenen Zungenspitze festhakte.

– Wenn sie nur auch festhält, sagte Herr A-yu und zog sie straff. Der Mond oben zog ein schmerzliches Gesicht, und der rote Bart sprühte Funken.

– Er ärgert sich, erklärte Herr A-yu, aber es hilft ihm nichts; ich steige doch hinauf und raufe dem Mond den Bart aus.

Und wirklich, der Kaiser und die Kaiserin sahen, wie Herr A-yu mit der Eleganz eines Seiltänzers die Sprossen hinausklomm und dem Mondgesichte rips – raps den ganzen Bart ausriß. Fürchterlich brüllte der Mond, so daß sich die Kaiserin erschrocken an Seine Majestät lehnte. Es war nur ein Glück, daß jetzt der Kronprinz nicht aufwachte.

Elegant wie er hinaufgestiegen war, stieg Herr A-yu unter anmutigem Hin und Her des prall sitzenden Teiles seiner Pumphose wieder herunter und hielt in seiner Hand – den roten Bart des Mondes? Nein: ein aus roten Meeralgen geflochtenes Nest, in dem zwei rote Eier lagen.

Mit einem sonderbaren, halb ängstlichen halb neugierigen Ausdruck betrachtete die Kaiserin diese Eier.

– Was wird damit? fragte sie.

– Das ist der Schlußeffekt, Majestät. Wenn die erhabene Tochter des Himmels geruhen wollte, dieses Nest auf den Schoß zu nehmen? . . .

Die Kaiserin erbebte und machte eine abwehrende Handbewegung. aber plötzlich griff sie mit beiden Händen zu und sprach wie ein kleines Kind: Haben! Haben!

– So werden die Eier aus dem Barte des Mondes der unendlichen Gnade teilhaftig sein, von der Herrin der vier Meere ausgebrütet zu werden. Ehe dies aber geschehen ist, ein kleines Intermezzo: Die Söhne des Mondes.

Herr A-yu klatschte in die Hände und rief: Allez!

Sofort riß der Mond seinen ohnehin schon gewaltig aufgesperrten Mund noch weiter auf und aus ihm heraus schlupften zehn rotgekleidete Kerlchen. Pfeil und Bogen über dem Rücken sprangen sie, ohne sich anzuhalten, die Strickleiter herunter, wie wenn es eine Treppe wäre, und stellten sich, zu Reihen von fünf geschieden, einander gegenüber auf.

Die rechte Reihe sang (in einem eigentümlich pfeifenden, ganz hohen Sopran):

Es steigt der Mond!

Die linke Reihe sang (ganz tief im tiefsten Männerbaß):

Die Sonne sinkt!

Die rechte Reihe sang und schwang die Bogen vor:

Da der Bogen von Yen!

Die linke Reihe sang und schüttelte die Köcher:

Da der Köcher von Tschi!

Und die Rechten und die Linken legten die Pfeile auf die Bogen, kniffen zielend die linken Augen zu und sangen:

Mausetot! Mausetot! Mausetot!

Und schossen die Pfeile aufeinander ab. Die rauschten surrend durch die Luft, und jeder blieb in der Brust des gegenüber stehenden Knaben stecken. Beide Reihen sanken vornüber und riefen, im Sopran die einen, im Baß die andern:

Oh! Oh! Oh!
Untergang!
Un-ter-gang!

In diesem Augenblicke stand die Kaiserin mit weit von sich gereckten Armen auf, das Nest fiel von ihrem Schoße, die Eier kollerten auf die Erde, und aus jedem Ei erhob sich pfauchend ein roter Drache und kehrte den Geierschnabel gegen die Kaiserin.

Mit einem entsetzlichen Schrei fiel die Kaiserin wie tot um.

Der Kaiser, wie aus einem Schlafe erwachend, obwohl er immer die Augen weit offen gehabt hatte, sprang auf, warf sich über die Kaiserin und rief: Was ist mit dir? Was ist mit dir?

Dann kehrte er sich zu Herrn A-yu und wollte ihm Verwünschungen ins Gesicht schleudern.

Der aber stand in seinem blauen Kaftan charmant lächelnd da und machte anmutige Verbeugungen.

Weg die Knaben, die Strickleiter, die Räucherpfannen, der Mond, – es sah alles ganz unmagisch aus.

– Meine Produktion ist zu Ende. Ich gebe mich der schmeichelhaften Hoffnung hin, daß sie Ew. Majestät vollen Beifall . . .

– Mörder! Mörder! schrie der Kaiser. Elender, was haben Sie angerichtet!

– Ach, das hat nichts zu sagen, Majestät, erwiderte der unausgesetzt lächelnde Prestidigitateur. Wenn Ew. Majestät gestatten wollen, daß ich der erhabenen Stirn Ihrer Majestät die Hände auflege, so wird sie sofort zu sich kommen. Das sind bloß die Nerven.

– Leg deine niederträchtigen Hände auf, gefährlicher Mensch, aber wehe dir, wenn sie nicht gleich erwacht!

– Oh! Oh! Es ist kein Anlaß zu Besorgnis vorhanden. Ein kleiner Nervenchoc, nichts weiter.

Herr A-yu näherte sich mit vollendeten Manieren und fortgesetzt charmant lächelnd der Kaiserin, legte ihr die Hand auf die Stirne und blies sie an.

Die Kaiserin erhob sich und schlug die Augen auf.

– Ah! machte sie, war das gräßlich!

Da fiel ihr Blick auf den lächelnden Herrn A-yu, und sie schrie: Ist denn dieser entsetzliche Drachenbeschwörer noch da? Aus meinen Augen, Scheusal! Fort! Fort! Fort!

Herr A-yu erbleichte und stammelte: Aber es war ja doch bloß Salonmagie, Majestät . . .

– Fort! Fort! Aus meinen Augen!

Herr A-yu wollte noch etwas erwidern, aber der Kaiser fuhr ihn an: Schweig, niederträchtiger Spukfabrikant! Wie konntest du dich unterstehen, in der Kaiserstadt Drachen zu machen? Elender Attentäter, das soll dir übel bekommen!

Der Kaiser schlug aufs Gong (dabei sah er immer sehr majestätisch aus) und befahl dem herbeieilenden Eunuchen vom Dienste: Dieser Mensch da hat ein Attentat auf Ihre Majestät verübt. Nehmen Sie ihn und lassen Sie ihn . . . Was soll mit ihm geschehen, Schatz? wandte er sich zur Kaiserin.

– Fort soll er, nur fort!

– Es gebührte ihm eigentlich tausendfacher Tod, erklärte der Kaiser, da aber Ihre Majestät nicht darauf zu dringen scheint, möge es fürs erste mit der Tretmühle sein Bewenden haben. Später können wir ihn vielleicht in die Eunuchengarde des östlichen Pavillons aufnehmen, damit er die Langeweile der Damen mit seinen Kunststücken, aber ohne Drachen! vertreibt. Weg mit dem Elenden!

– Ri–ke! Ri–ke! stammelte der käseweiß gewordene und völlig gebrochene Prestidigitateur und ließ sich willenlos abführen.


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