Otto Julius Bierbaum
Das Schöne Mädchen von Pao
Otto Julius Bierbaum

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III.
Die beiden schneidigen Staatsräthe.

Der Kaiser hatte nur den einen Gedanken: Wenn der Wechselbalg nur tot ist! Er ließ peinlich nachforschen, ob man das Kind ins Wasser gesetzt habe, und war erst beruhigt. als er hörte, es sei längst fortgeschwemmt. Nun erzählte er die Geschichte dem Hofastrologen und schloß: Das Kind ist also tot. Der Zauber muß demnach gelöst sein. Wollen Ew. Liebden gefälligst mit Hilfe der mystischen Zeichen untersuchen, ob dem so ist.

Po-yang-ju warf die Lose, las und sprach:

Weinen und Lachen!
Lachen und Weinen!
Lamm, verschlungen vom Geiste!
Pferd, verfolgt vom Hunde!
Hüte dich! Hüte dich!
Vor dem Bogen von Yen!
Vor dem Köcher von Tschi!

– Gütiger Himmel! Das ist ja noch unverständlicher, als das Gassenlied! Ew. Liebden erlauben sich wohl kleine Späßchen mit mir? Ich verbitte mir das! Aber sehr! Wollen Sie mir nicht gefälligst sagen, was nun wieder das Lachen und Weinen, das Lamm, der Geist, das Pferd, der Hund bedeutet? Das sind ja alles Bilderrätsel!

Der Reichs- und Hofastrolog zog Brauen und Schultern hoch und sprach: Was Lachen und Weinen bedeutet, weiß ich vorerst selber nicht; Lamm, Geist, Pferd, Hund bezieht sich auf die Tierzyklen unsres Kalenders und besagt, daß die Erfüllung des Mysteriums in einem Wu- und Wei-Jahre geschehen muß; und schließlich das wieder auftauchende Yen und Tschi besagt, daß der Zauber zwar nicht mehr im Palaste, aber noch wirksam ist.

– Eure Wu- und Wei-Jahre fangen an, mir uninteressant zu werden, mein Lieber; jetzt will ich die Sache doch lieber polizeilich anfassen. Welcher Ober-Staatsrat gilt augenblicklich als der schneidigste?

– Der Herr Tu-po.

– So soll also Herr Tu-po sofort vor mir erscheinen. Ich danke Ew. Liebden. erbitte mir aber für künftighin etwas mehr Klarheit.

– Majestät, ich bin bereit, mein Amt . . .

– Wenn ich Sie absetzen will, werde ich es sagen! Herr Tu-po soll kommen!

Der Reichs- und Hofastrologe entfernte sich mit der Empfindung, daß die Gnade Seiner Majestät einigermaßen aufgehört habe, ihm zu lächeln. Deshalb lächelte auch er selber nicht im mindesten.

Das Lächeln war jetzt an Herrn Ober-Staatsrat Tu-po.

– Ich habe Ihre Schneidigkeit rühmen hören, lieber Tu-po, sprach der Kaiser zu ihm, und das freut mich. Schneidige Beamte brauchen wir, nicht unklare Köpfe, die Ideologien spinnen. Ich hoffe, Sie sind der Mann, das auszuführen, was mir augenblicklich am meisten am Herzen liegt (nächst dem Wohle des Reiches natürlich). Hören Sie!

Und Seine Majestät erzählte dem aufhorchenden Ober-Staatsrate die seltsame Wochenbettgeschichte der alten Wang und schloß wie folgt: Es wäre nun möglich, daß dieser greuliche Wechselbalg, dieses Vierhundertundachtzigmonatkind doch noch lebte. Unkraut verdirbt bekanntlich nicht leicht. Aber ich denke: in diesem Falle werden Sie es ausfindig machen. Lassen Sie also darnach suchen, durch Stadt und Land, von Haus zu Haus, und wenn Sie die ganze Armee dazu benötigen sollten. Wer es herbei bringt, tot oder lebend, soll 200 Stück Seide bekommen, desgleichen der, der als Erster mitteilt, wo es sich befindet. Sie aber, mein lieber Ober-Staatsrat, werden in diesem Falle zum Wirklichen Geheimen Ober-Staatsrat befördert werden mit dem Prädikate Exzellenz.

Herr Tu-po legte sich auf den Bauch und klopfte zwölfmal mit der Stirne auf die Thronstufen. Der Kaiser aber fuhr fort: Die Familie, die den Bankert aufgenommen hat, wird natürlich hingerichtet.

Herr Tu-po erklärte, daß er selber hingerichtet zu werden wünsche, wenn es ihm nicht gelingen sollte, das abscheuliche Wesen aufzutreiben.

– Schön, mein lieber Tu-po, ich sehe, Sie sind im Bilde. Nun aber: Welches ist der schneidigste unter den Unter-Staatsräten?

Herr Tu-po ließ seine Freunde Revue passieren und erklärte schließlich: Herr Tso-yu scheint mir die meisten Talente in dieser Hinsicht zu besitzen.

– So soll Herr Tso-yu aufs strikteste folgendes durchführen: Nirgends, weder in Läden, noch auf dem Markte, noch im Hausierhandel dürfen fürderhin Bogen aus dem Yen-Baume und Köcher aus dem Tschi-Kraute verkauft werden; wer dawiderhandelt, wird hingerichtet!

Die Herren Tu-po und Tso-yu entwickelten sofort eine fieberhafte Tätigkeit. Im ganzen Lande zogen Suchpatrouillen herum, die auf das ausgesetzte Kind fahndeten, und überall verkündeten Edikte das kaiserliche Verbot des Handels mit Yen-Bogen und Tschi-Köchern.

Aber das Glück war nur dem geringeren Range hold. Während der Ober-Staatsrat nicht das Geringste fand, gelang es dem Unter-Staatsrate, ein altes Bauernweib dingfest zu machen, das mit Tschi-Köchern ahnungslos in die Stadt kam. Sie wurde sofort zur Richtstätte geführt, und der Unter-Staatsrat hatte das unaussprechliche Vergnügen, Seiner Majestät einen Bericht über ihre Arretierung und Hinrichtung einzureichen. Daß der Mann des alten Weibes, der mit Yen-Bogen hinter ihr her gegangen war, Zeit gefunden hatte, seine Bogen wegzuwerfen und das Weite zu suchen, verschwieg der vortreffliche Beamte aus Rücksicht auf die Seelenruhe des Kaisers. Der Lohn dafür blieb nicht aus: er wurde sofort zum Range eines Ober-Staatsrates befördert, wodurch er in die Lage kam, den ebenso rastlos wie vergeblich suchenden Herrn Tu-po kollegialiter aufzuziehen. Glücklicherweise vergaß der Kaiser, daß Herr Tu-po eigentlich auch nun endlich einen Bericht über seine Tätigkeit hätte einreichen sollen, aus Freude über das an der Tschi-Köcher-Verkäuferin statuierte Exempel.

Ach, wenn er gewußt hätte, daß es auch einen Yen-Bogen-Verkäufer gab, und daß der ausgerissen war!

Und just der, der nicht geköpfte Mann, war vom Schicksal ausersehen, in aller Ahnungslosigkeit eine für das Haus der Tschou verhängnisvolle Rolle zu spielen. Woraus zu ersehen ist, daß auch die schneidigsten Beamten immer noch nicht schneidig genug sind.

Hätte der pp. Tso-yu nur besser aufgepaßt und dafür gesorgt. daß auch der Mann geköpft werden konnte. Dann wäre das ganze Unheil nicht geschehen, – oder wenigstens nicht so.


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