Otto Julius Bierbaum
Das Schöne Mädchen von Pao
Otto Julius Bierbaum

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V.
Lachen und Weinen.

Nun geschah, wie es dem alten Kaiser auch durchaus das Liebste war, eine Reihe von Jahren hin nichts von Belang. Aber, als Seine Majestät eben ins dreiundvierzigste Jahr seiner Regierung getreten war, meldete sich das Unheimliche aufs neue.

Es war um die Zeit des großen Opfers im Tempel der kaiserlichen Ahnen, und Seine Majestät brachte die Nacht vor dem Opfer unter Fasten und Leibesbuße in der Sakristei des Tempels zu.

Ungefähr einhalb zwölf Uhr nachts wars, und der Kaiser kämpfte eben mit einem hartnäckigen Anfall von jetzt unerlaubter Müdigkeit, da, unerhört, kommt ein Weib schwebenden Schrittes lautlos von Westen her auf ihn zu.

Ein Weib! In der Nacht der Askese! Natürlich erregte das den höchsten Zorn Seiner Majestät. – Weg da! rief der Kaiser, und: die Garde Herein! Säubert den Tempel!

Aber wer nicht kam, war die Garde, und wer nicht ging, war das Weib. Im Gegenteil: es tut, als wäre Seine Majestät durchaus nicht zugegen, geht ohne weiteres an ihm vorüber, in den Ahnentempel hinein, lacht dreimal laut auf, weint dreimal laut auf, nimmt dann ganz gemächlich das Allerheiligste des Reiches, die Ahnentafeln sämtlicher Kaiser der Dynastie, von ihren Gestellen und trägt sie wie eine Schicht aufgetürmter Kuchen weg, – nach Osten weg.

Der Kaiser will auf, ihr nach, – aber nicht einmal schreien kann er. Ist wie gebannt, wie verhext.

So, mit verglasten Blicken nach Osten starrend, fanden ihn früh die Garden. Wie sie ihn anriefen, fiel er um und in einen tiefen Schlaf.

Als er erwachte, war sein erster Befehl: Seht nach den Ahnentafeln! Sind sie da?

– Freilich! Alle!

– Holt mir Po-yang-ju, den Astrologen!

Aha! dachte sich der, jetzt bin ich wohl wieder gut, weil Seine Majestät übel geträumt haben.

Mit nicht geringer Genugtuung legte er dem Kaiser die Erscheinung aus: Habe ich es nicht von Anfang an gesagt damals, Majestät? –: Ein Weib ist im Spiele! Und: was kündeten meine mystischen Lose? Hieß es nicht:

Lachen und Weinen!
Weinen und Lachen! –?

Nun?

– Ja doch, ja, mein lieber Po-yang-ju! Gewiß, Ew. Liebden haben immer recht. Wozu wären Sie sonst Hofastrologe? Das kann ich am Ende verlangen. Aber das Weib mit den Bogen von Yen und den Köchern von Tschi ist damals doch hingerichtet worden!

Geringschätzig bemerkte darauf der Astrologe: Was hat ein altes Bauernweib mit den Fügungen des Schicksals zu tun?

Der Kaiser, nicht bemerkend, daß in dieser Antwort eine Spitze gegen ihn war, erinnerte sich plötzlich an Herrn Tu-po.

– Der Ober-Staatsrat Tu-po soll augenblicklich kommen!

Diesmal lächelte Herr Po-yang-ju, aber Herr Tu-po lächelte nicht.

– Herr! schrie ihn der Kaiser an, wo ist der Bericht über Ihre Bemühungen damals in Sachen des Wechselbalges?

– Ma . . . ma . . . majestät, ich . . . dachte . . .

– Was unterstanden Sie sich zu denken? Sollten Sie denken? Sie sollten schneidig sein!

– Ich dachte, da doch das alte Weib hingerichtet worden ist . . .

– Was hat ein altes Weib mit den Fügungen des Himmels zu schaffen? Was gehen Sie die alten Weiber außerhalb ihres Ressorts an? Ah! Ich will Ihnen zeigen, was Schneidigkeit ist! Rührt die Gongs! Der Hofstaat herein!

Die Gongs heulten, der Hofstaat kam.

Der Kaiser erhob sich majestätisch und reckte seine Faust nach dem schlotternden Tu-po: Meine Herren! Sehen Sie sich, bitte, einmal diesen schneidigen Ober-Staatsrat an! Sie haben nicht mehr lange Gelegenheit dazu. Denn er soll augenblicklich wegen Pflichtvergessenheit geköpft werden!

Die Gesichter des Hofstaates nahmen die Farbe des Lehmes an, und alles duckte sich unwillkürlich.

Da . . . unglaublich! . . . da tritt der Ober-Staatsrat Tso-yu vor, hält seinen Kollegen Tu-po fest und ruft einmal über das andere Mal: Unmöglich! Unmöglich! Unmöglich!

– Sind Sie verrückt geworden? ruft der Kaiser.

– Nein! schreit der unglaubliche Herr Tso-yu, aber das, das ist scheußlich! Das ist unerhört! . . . Was kann denn Herr Tu-po dafür, daß Seine Majestät übel träumt? Gerechtigkeit, Sohn des Himmels, Gerechtigkeit!

– Er ist völlig übergeschnappt! bemerkt der Kaiser. Was hat denn der sonderbare Mensch? Den Tu-po zu töten, das ist mir nicht mehr, als würfe ich einen Strohhalm ins Feuer. Und da redet sich dieser gute Tso-yu noch Lipp' und Zunge müde! Hurtig! Köpft mir den Tu-po! Herr Tso-yu aber wird hoffentlich wissen, was sich nach seinen unpassenden Redensarten für ihn schickt!

– Ich weiß es! erklärte Herr Tso-yu und ging.

Just um dieselbe Zeit, als man Herrn Tu-po den Kopf abschnitt, schnitt er sich zu Hause den Hals ab.


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