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Am nächsten Tage erhielt Herr We-tê-king von Madame Wo folgendes im besten Briefstile abgefaßtes Schreiben zugesandt:
»Demütiges Schreiben
niederzulegen
auf der schimmernden Schwelle
des von Edelsteinen
strotzenden
goldenen Palastes
Seiner Herrlichkeit
We-tê-king
des erhabenen Dichters der vier Meere
aus der baufälligen
und schmutzigen
Hütte
der
niedrigen Sklavin
Wo-fu-ling
Geruhen Ew. Herrlichkeit mit gnädigem Finger dieses schlechte Papier zu ergreifen, auf dem eine unwürdige Hand mit dem gemeinsten Pinsel und höchst schäbiger Tusche diese stümperhaften Schriftzeichen niedergelegt hat. Die erbärmliche Schreiberin fleht auf das begnadete Haupt Ew. Herrlichkeit den Ährenregen des Himmels herab und hört nicht auf, das blühende Talent der himmlischen Flöte Chinas zu bewundern und im Staube hockend zu verehren.«
– Die gute Ta-Wo schreibt wie ein kaiserlicher Prüfungskommissarius, dachte Herr We, als er bis hierher gekommen war. Sie könnte wahrhaftig einen Briefsteller herausgeben. Dann las er weiter:
»Dem Wunsche Ew. Herrlichkeit gemäß, aber auch dem Antriebe meines eigenen jämmerlichen Inneren folgend, habe ich die Ehre, Ew. Herrlichkeit zu vermelden, daß es ganz und gar überflüssig ist, die mir anvertraute über alle Begriffe mit den Gnaden der Götter überschüttete Dame aus Pao in irgend etwas zu unterweisen. Sie ist eine mit tausend Perlen und Edelsteinen gezierte Schatulle aller Talente, und, soweit der Himmel auf der Erde aufliegt, gibt es nichts, das mit ihr verglichen werden könnte. Was ihr noch fehlt, sind lediglich seidene Kleider, Schmuckgegenstände und der goldene Stirnreif, der ihr gebührt.
Ew. Herrlichkeit haben mich unbeschreiblich beglückt, indem Sie mir vergönnt haben, dieses zauberhafte Wesen in meiner ruinösen Hütte zu beherbergen, dieses Wesen, das ohne jeden Zweifel von Göttern abstammt und nicht von Menschen. Mein jammervoller Pinsel ist nicht imstande, die erhabene Göttin würdig zu bezeichnen, und wenn ich selbst das unvergleichliche Talent Ew. Herrlichkeit besäße, im Walde der durcheinander sprießenden Schriftcharaktere Zaubervögel singen zu lassen, so würde ich dennoch glauben, unvermögend zu einer solchen Aufgabe zu sein.
Zwischen den Spinnweben meiner dem Einfalle nahen Hütte sitzend, sende ich in die strahlenden Gemächer von Ew. Herrlichkeit goldblendendem Palaste die demütige Bitte: Wollen Ew. Gnaden die unverdiente Huld haben, meine von Schmutz starrende Schwelle zu überschreiten und die für den Sohn des Himmels bestimmte Blume aus den Gärten der Götter mit seidenen Gewändern bekleidet dorthin führen, wo einzig und allein der würdige Sitz dieser zauberhaften Holdseligkeit ist: in den Onixpavillon der kaiserlichen Favoritinnen. Ich liege auf der von Würmern zerfressenen schmierigen Diele der meiner Niedrigkeit entsprechenden Ruine, in der ich hause, und harre gekrümmt des blendenden Schimmers, der sie durchleuchten wird, wenn Ew. Herrlichkeit geruhen wollen, sie auf goldenen Sohlen zu betreten.«
– Ganz erstaunlich, was für einen brillanten Stil die große Wo schreibt; man könnte diesen Brief wahrhaftig in die Paradigmensammlung für höfliche Schreibweise aufnehmen. Ich muß Seine Majestät wirklich bitten, ihr einen Ehrenbogen errichten zu lassen . . . Aber wo krieg ich bloß das viele Geld für die Aussteuer Pao-Szös her? Das ist ein schlimmer Casus . . . Doch was quäl ich mich! Hat mir die große Wo nicht schon oft gepumpt? Auch muß sie ja überhaupt eine reich ausgestattete Mädchengarderobe haben! Esel, der ich bin! Madame Wo wird sie schon anziehen!
In dieser tröstlichen Zuversicht begab sich der Hofdichter zur »baufälligen Hütte« der großen Wo, die natürlich ein wahres Palais zu nennen war gegenüber seiner Garçonwohnung. Die Garderobefrage war schnell im Sinne Herrn Wes erledigt, und Pao-Szö verließ das Haus von Madame Wo in einem gelbseidenen, blaublumig durchwirkten Kleide, eine dunkelrote Brokatschärpe um die Taille, eine Kette von großen grünen Steinen um den Hals, rotseidene Pantoffeln mit hohen gelben Hacken an den Füßen und entzückend frisiert.
So führte sie Herr We in seiner grünen Beamtensänfte zum kaiserlichen Palaste.
Da er gegen Vorzeigung seiner vom Palastamte abgestempelten Visitenkarte jederzeit gleich eingelassen und in die kaiserlichen Gemächer geführt wurde, so stand er mit seiner schönen Begleiterin bald vor Seiner Majestät.