Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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Siebenfarbenspiel

Es kam in den folgenden Tagen noch zu harten Kämpfen zwischen den Separatisten und dem empörten Volk. Die Folge war, daß die Lumpenbrigade des Generals, wohl die erbärmlichste »Freiheitsarmee«, die jemals auf ein geknechtetes Volk losgelassen wurde, die Pfalz fluchtartig verließ. Die letzten Schwärme der schwarzen Raben stoben mit zerrupften Federn über die westliche Grenze und sammelten sich in Metz, wo sie auf neue Möglichkeiten lauerten, die ihnen aber nicht mehr werden sollten. Versuche, mit französischer Hilfe eine separatistische Arbeiterpartei zu gründen, schlugen fehl.

Das Volk ging hellere Wege. Das Volk ahnte schon das kommende Licht. Der kleine General fiel mit seinem beschämenden Abenteuer, das unantastbare französische Prestige aber duldete nicht, daß sein Sturz bekannt wurde. Er ließ noch einmal ein letztes Schreckensregiment über die Pfalz hereinbrechen, in schamlosen Terrorakten übte er sein sogenanntes Strafgericht, mit dem Ergebnis, daß das Volk nur noch härter zusammenstand. Der General hatte verspielt, er war nicht klug genug gewesen, sich einen guten Abgang zu sichern. Als er später, am 18. Dezember 1924, die Pfalz verließ, glich er einer tragischen Gestalt, denn er war von allen verlassen, auch von Frankreich.

Der Tod eines französischen Capitaines mit Namen Marcel Foreste wurde geheimgehalten. Ein unglückseliger Zufall in Gestalt einer verirrten Kugel soll ihn das Leben gekostet haben, doppelt beklagenswert, weil das Unglück sich einen Tag vor seiner beabsichtigten Heimkehr nach Frankreich ereignet hatte. Er wurde in seine Heimat nach Südfrankreich überführt und dort mit hohen militärischen Ehren 647 beigesetzt, denn seine Verdienste aus dem Weltkrieg waren ungewöhnlich groß.

Er war Kommandeur der Ehrenlegion.

Ein nach der Pfalz beorderter Sonderausschuß der Rheinlandkommission verfügte, daß ab 17. Februar 1924 der »Separatistischen Regierung jede Handlung staatshoheitlichen Charakters verboten« sei.

Die Liquidation war ausgesprochen. Das pfälzische Volk durfte aufatmen.

Auch Poincaré, der Schöpfer des Ruhrabenteuers, stürzte.

Herriot trat an die Spitze der französischen Staatsführung, ihm zur Seite stand Briand, der »Soldat des Friedens«.

Es mußten aber noch viele Wochen vergehen, bis alle Vertriebenen wieder in ihre Heimat zurückkehren durften.

Der kleine General, pendelnd zwischen Haß und Schwäche, verblendet und von seiner Idee unheilvoll besessen, verließ die Bezirke des Menschlichen und fand sich zuletzt nur noch in Gesellschaft seiner fragwürdigen Gesinnung. Vielleicht hatte er manchmal das Gute gewollt, möglich, daß Mensch und Machthaber in ihm einen aussichtslosen Kampf geführt hatten, fest steht in der Geschichte, daß er, wenn auch gegen seinen Willen, Frankreich keinen guten Dienst geleistet hatte.

Am 8. September 1924 erst konnte der Regierungspräsident die pfälzische Regierung wieder übernehmen.

Am 21. Oktober ging auch die Verwaltung der furchtbar geschändeten pfälzischen Forsten wieder in die Hände deutscher Behörden über. Aus den pfälzischen Wäldern wurden durch den Raubbau der Pfänderpolitik eine Million und einhunderttausend Festmeter wertvollstes Holz geschlagen, wobei besonders hart die Verwüstungen in den Alteichenbeständen ins Gewicht fallen. Einhundertachtzigtausend Festmeter Eichenholz fielen dieser unseligen französischen Machtgier zum Opfer. Die Großeinschläge gewissenloser Firmen zerstörten selbst ehrwürdige Naturschutzgebiete. Ein elsässisches Sägewerk fällte die Kaiserin-Eiche im Bienwald, einen fast heiligen Baumriesen von über 18 Festmeter astreinem Schaftholz und 30 Festmeter Gesamtmasse. Das gleiche Werk schlug auch die Eichen aus der geschützten Urwaldbestockung der Eschen-, Eichen-, Erlen-, Hainbuchen- und Iffenstarkhölzer und zerstörte damit ein Naturdenkmal von unersetzlichem Wert.

648 Es mag erschüttern, wenn man vernimmt, daß durch Naturkatastrophen fast nur Nadelhölzer zerstört werden, während es zur Vernichtung edler Laubholzbestände der Menschenhände bedarf.

Am 16. November verließen die letzten Cheminots in französischen Regiezügen die Pfalz, die Eisenbahnen waren wieder deutsch.

Und den ersten deutschen D-Zug Saarbrücken–München fuhr bis zum Maschinenwechsel im Badischen der alte Lokomotivführer Aust, und als er mit viel Dampf und voller Fahrt die Station Bergweiler donnernd durchfuhr, da stand der Fahrdienstleiter Richard Aust auf dem Bahnsteig.

Und Vater und Sohn griffen an die Mützen. –

– Die Menschen mit ihrer Heimsuchung hatten schon wieder hellere Augen. Sie gingen durch die Tage und sammelten die Überreste ihres Glaubens und ihrer Hoffnungen auf. Und es war keiner, der umsonst gesucht hätte.

Denn das Rad rollte, Leben war rollendes Rad, Tod war Stillstand. Der Fischer Kolb ging auf den Aalfang, er stellte in den dunklen Nächten seinen Schokker in den Strom und senkte das Netz in das grüne Gewoge. Der Lachs war zu Berg, die Zugaale gingen auf ihre große Reise, es war nichts als ein unbegreifliches Wunder. Josepha war tot, es lebten noch drei Kinder, sie würden größer werden und in ihr Schicksal hineinwachsen. Die blasse und schmale Frau ging noch mit gebeugtem Haupt, aber sie war nicht verzagt, sie nahm es als eine jener kleinen Handbewegungen Gottes, gegen die man nicht aufbegehren sollte.

Viel härter hatte es noch die Familie des Fischers Pistorius getroffen. Sie erzählten sich, der kranken Frau wäre bald darauf das Herz gebrochen über den Verrat ihres verführten Mannes, der mit dem brennenden Schiff gesunken war. Vier Kinder waren zurückgeblieben, zwei gingen noch zur Schule, und der Älteste sollte die Fähre in Pacht nehmen. Franziska war aus der Heimat geflohen, man wußte nicht, wohin sie sich begeben hatte.

Ein Sandheimer Fischer wollte sie einmal auf einem Schiff gesehen haben, das mit Koks zu Berg ging. Ja, sie wäre eine romantische Seele gewesen, behauptete er, eine von denen, die nichts vergessen könnten. Sie trauere heute noch einem Brasilianer nach, der das Land verlassen hätte und über alle Meere wäre. Und da könnte einer drüber lachen oder nicht, aber gegen die Liebe wäre kein Kraut gewachsen, da müßte jemand schon das Pflänzlein Wunderhold 649 finden oder beim wachsenden Schein um Mitternacht ein Krötenauge verschlucken.

Die großen Sägewerke des toten Max Huß waren in Betrieb, die Gatter liefen, Menschen verdienten ihr Brot. Die Frau sah man selten, sie sang auch keine französischen Lieder mehr, man sollte Nachsicht haben mit ihr und vergessen. Es gab Leute, die behaupteten, sie wäre schwermütig geworden, aber das mochte wohl übertrieben sein.

Wer ins Tal bei Bergweiler kam, der konnte feststellen, daß auch der Sägemüller Gerhard Huß wieder Dampf aufgemacht hatte. Er war nicht unter den Hammer gekommen, Gott bewahre, er trug ein Fichtenzweiglein am Hut und war sauber rasiert. Den Kindern ging es gut und der Frau Rosa mit dem Kräuselhaar nicht minder. Lieber Gott, sie war nun mal nervös und hatte ein großartig bewegliches Mundwerk. Sie war glücklich, daß alles wieder im rechten Gleis war, sie freute sich, daß Richard Aust wieder die rote Fahrdienstmütze trug, daß der alte Aust auf der Maffeischen D-Zug-Lokomotive stand und Christoph Aust in seinen übel zugerichteten Wäldern wieder Aufbauarbeit leisten konnte. Nur den Peter Aust verdonnerte sie; der schriebe Romane, ach du lieber Herr und Josef. Zuletzt müßte ihn die Gemeinde ernähren, soweit käme es noch. –

– Ende August dieses Jahres 1924 kam Bastian Berghaus einmal zu dem Forstmeister Christoph Aust. Sie streiften zusammen durch die Wälder, sie kamen auch über das kahlgeschlagene Ödland, wo der Boden noch nicht vernarbt und die Stockrodung noch im Gange war.

Es sah gar nicht mal so trostlos aus, denn die Heide blühte, und wo Laubwald gestanden hatte, zeigten die Buchen- und Eichensämlinge, daß sie alle Lust besaßen, zu Bäumen zu werden.

Fast ein Jahrhundert würde vergehen, meinte der Forstmeister, bis der Boden wieder geheilt hätte, was verwüstet worden war. Und man dürfte nichts aufschieben, auch wenn der Feind immer noch im Land wäre.

Christoph Aust war bekümmert, denn es war schwer, den Mut nicht zu verlieren.

Sie gingen weiter aufwärts, der Tag war heiß, gegen Mittag entlud sich ein heftiges Gewitter über den Bergen.

Im abziehenden Gewölk stiegen sie bis zum Gipfel des kahlgeschlagenen Rehberges hinaus.

650 »Sieh mal, Christoph«, sprach Bastian Berghaus und deutete nach oben.

Ein gewaltiger Regenbogen, leuchtend im Siebenfarbenspiel, stand am Himmel. Es war, als wölbte er sich vom Rhein herauf bis hinüber zur westlichen Grenze, feierlich in der Reinheit seiner Kurve und wie eine Brücke, die zwei Welten überspannte.

»Die Abgründe sind groß«, sprach Bastian Berghaus, »siehst du, Christoph, ich habe mir schon immer gedacht, es sollte die Sendung der Dichter und Denker sein, Brücken zu schlagen, nicht aber Abgründe aufzureißen.«

Sie standen auf höchstem Punkt, es war kein Baum mehr in der Runde, aber die Heide blühte.

Und hoch oben, zwischen Wolkenflucht und Siebenfarbenspiel, sang eine Heidelerche.

»Christoph, wenn ich mich hier so umschaue und nachdenke, dann bleibt nur eines.«

»Aufforsten!« antwortete Christoph Aust.

»Ja, aufforsten und immer wieder aufforsten! Sieh mal, du bist ja noch jung, wenn du auch schon graue Haare hast. Du kannst den Wald hier wieder wachsen sehen. Du wirst wieder Bäume erleben, wenn sie auch nur klein sind. Aber dir sind ja noch zwei Söhne geblieben, du darfst doch nicht verzagt sein.«

»Nein, Bastian, das darf ich eigentlich nicht.«

»Siehst du. Und einer ist auf der Forstschule, der wird hier schon wieder Lichthauungen machen müssen, meinst du nicht?«

»Ja, Bastian.«

»Na also. Das hört ja nicht auf, das geht immer weiter, wer Bäume pflanzt, der darf nicht an sich denken, er hat dafür auch die Jahrhunderte zu Freunden. Hab' ich nicht recht, Christoph?«

»Doch, Bastian, du hast recht.«

»Du wirst ja uralt in deinen Bäumen, uralt. Sag' doch auch mal etwas, Christoph.«

»Ja, Bastian.«

Berghaus schaute sich im Kreise um, er machte eine sonderbare Bewegung, als ob er eine heiße Kartoffel im Mund rollte.

»Ich kann dir verraten, daß auch ich Bäume pflanzen will, Christoph.«

»Ich weiß es, Bastian, Maulbeerbäume.«

»Richtig, Maulbeerbäume. Ich glaube, das wollte mein 651 Urgroßvater schon. Weißt du, wir haben nie Zeit gehabt, da ist immer etwas anderes dazwischen gekommen. Christoph, glaube mir, ich werde nicht locker lassen. Das ganze Gebirge entlang und bis in die Ebene hinein werde ich Maulbeerbäume pflanzen, viele hunderttausend Maulbeerbäume. Und du wirst Eichen pflanzen und Buchen und Kiefern und Fichten. Und alle sollen sie wieder in den Himmel hineinwachsen. Was sagst du jetzt, Christoph?«

»Das ist ein weiter Weg, Bastian.«

»Wenn noch so weit, er hat ein Ziel. Und das ist doch wohl der Sinn aller Wege, daß sie ein Ziel haben.«

 


 


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