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Wenn man sich recht erinnert, war doch einmal ein gewisser General Fenner von Fenneberg Oberkommandierender der pfälzischen Revolutionsarmee, oder hatte man das nur geträumt? Wo war denn General Fenner von Fenneberg? Antwort, er war längst davongejagt und durch einen Polen ersetzt worden, eine angeblich großartige Persönlichkeit mit bedeutenden Feldherrntalenten; einen General Sznayda, der sich im polnischen Freiheitskriege 1831 als Kavallerieoffizier durch Schneid und Draufgängertum ausgezeichnet hatte, jetzt aber ein behäbiges, possierliches Männlein mit Atemnot und Fettansatz geworden war, der wohl noch mit Anstand zu Pferde saß, dort aber mehr humorvoll als kriegerisch wirkte.
Sznayda war ein kleiner General mit einem runden Bäuchlein und krummen Beinen, er hatte einen robusten grauen Reiterschnauzbart und zu beiden Seiten einen Backenbart. Er trug meist die Uniform eines Husaren aus Niemandsland, schwarzen Attila mit gelbroten Verschnürungen und Aufschlägen.
Der Bürgergeneral Franz Sznayda erließ prahlerische Tagesbefehle, sprach von meineidigen Volksbedrückern und gab Ordre, »daß von heute ab nur solchen Befehlen Folge geleistet werden darf, die von mir gezeichnet und vom Chef des Generalstabes, Oberstleutnant Techow, gegengezeichnet sind.«
Der abgesetzte Fenner von Fenneberg blieb ein ganzer Kerl, das müssen ihm seine schlimmsten Feinde lassen. Er blieb Soldat bis in die Knochen und ließ sich unmittelbar nach seiner Abdankung als gewöhnlicher Legionär in ein Freischaren-Studentenkorps aufnehmen, womit er aller Achtung besitzt bis ans Ende der Weltgeschichte.
Oberst Blenker, der Weinhändler aus Worms, der Erstürmer von Ludwigshafen, war die tiefere Ursache, daß Fenner von Fenneberg die Generalsuniform quittieren mußte. Blenker hatte am 20. Mai über den Kopf Fenners hinweg einen jämmerlich verfehlten Sturm auf die unter General Jeetze stehende Festung Landau gemacht. Die Revolutionäre hatten erwartet, daß die Tore von Landau sich öffnen würden und von einer großen Verbrüderung mit Kästenbuscher Wein geträumt; als statt dessen die ersten Kugeln über ihre Köpfe gepfiffen waren, hatten sie sich schleunigst aus dem Staub gemacht. Der Angriff, von Blenker mit allen Mitteln angefeuert, war in eine panikartige Flucht ausgeartet. Der Sturm des Bataillons Blenker auf 389 Landau, den Fenner von Fenneberg zu verantworten hatte, kostete dem Wiener Freiheitskämpfer den Generalskragen. Er konnte jetzt keinen Champagner mehr trinken und nicht mehr vierspännig kutschieren, es warteten auch vor bestimmten Wirtshäusern keine geheizten Lokomotiven mehr auf ihn, aber vom General zum gemeinen Soldaten sich durchfinden ist auch keine Kleinigkeit.
Es kam immer noch kein Feind, wohl aber kamen eine Unmenge von Erlassen. Der Salzpreis wurde um 25 Prozent herabgesetzt, ein Dekret vom Anfang Juni befahl strengsten Forstschutz, über dem ertrunkenen Kalb wollte man den Brunnen zudecken. Sznayda setzte die Zivilkommissare ab und ernannte dafür Militärkommissare, die Studentenlegionäre unter dem Kommando von Petersen Landau wurden einheitlich uniformiert und richteten flammende Aufrufe an das deutsche Volk.
Der Ökonom Didier aus Landstuhl lieferte den Stoff zu einer heiteren Komödie, als er nämlich mit dem Franzosen Henry Laroche nach Lüttich reiste und dort für 20 000 Gulden belgische Waffen einkaufte. Kaum war der Kauf abgeschlossen, da erließ die französische Regierung ein erneutes strenges Waffendurchfuhrverbot. Der Douanier Laroche, Vater des Henry Laroche, bei dem die Waffen den Zoll hätten passieren sollen, stellte sich lächelnd auf die Hinterbeine und wollte von dem Kuhhandel nichts wissen. Die Waffen wurden durch Belgien an den Unterrhein gebracht, auf einen Frachter zu Berg verladen und als Transitgut für die Schweiz deklariert. Henry Laroche aber, von Natur aus boshaft und schadenfroh, schrieb, wie sich später herausstellte, einen anonymen Brief an die preußischen Behörden nach Koblenz und denunzierte seine eigene Transaktion, nachdem er den Profit eingeheimst hatte. Als das Schiff mit dem Schweizer Transitgut nach Köln kam, wurden dort vierundzwanzig Kisten mit Waffen von den Preußen beschlagnahmt. Der westliche Bundesgenosse hatte sich wieder einmal glänzend bewährt. Er sollte sich in den nächsten Tagen noch besser bewähren.
Wann aber kam nun endlich der Feind, wo blieben denn in drei Teufels und aller Heiligen Namen die Preußen, wo doch die pfälzische Armee so brannte, sie windelweich in die Pfanne zu hauen?
Wenn nicht so viel goldener pfälzischer Humor drinnen läge, bliebe es vielleicht besser ungesagt, daß nämlich die pfälzische Revolution ihre großen Schlachten in den Wirtshäusern schlug. In der Pfalz wuchs nun einmal der herrliche Wein, man trank ihn aus Schoppengläsern 390 und Tonhafen, er begeisterte und feuerte an, er war ein prachtvoller Zeitgenosse für heißblütige Revoluzzer. Im Wein schwamm die goldene Freiheit daher, im Wein wurden Glück und Not rosig und trunken und der Schwere beraubt, im Wein dröhnten die Haubitzen und klirrten die Sensen, im Wein wurden sie dahingemäht alle die Reaktionäre und Fürstendiener, die Partikularisten, Volksbedrücker und Duodezkanaillen, im Wein tobte die Schlacht, wehten die Fahnen, schwebte die Siegesgöttin, kurz und gut: ohne Wein keine Revolution!
Und der achtundvierziger Revolutionswein, der Heckertropfen, war keiner von den Rachenputzern, er hatte Kraft und Feuer und ein prima Mostgewicht, er stand ölig im Glas und machte Kirchenfenster. Er war nicht der schlechteste Feldherr, bereits nach dem zweiten Liter ritt er Attacken, stürmte Barrikaden und warf mit Hackmesser und Laternenleichen um sich.
Jede Weinstube war ein Hauptquartier und an jedem Tisch wurden mit den Fingern strategische Stellungen in die Weinrinnsale gezeichnet. Auch die Kreide spielte keine geringe Rolle, man bedurfte ihrer, nicht nur um Feldzugspläne an Türen zu malen, nein, mehr noch, um die Schoppen anzumerken, die mancher über seinen Durst und über seinen Geldbeutel hinweg aus vaterländischer Begeisterung trank.
Die Gockelhähne in allen Hühnerhöfen waren bejammernswerte Geschöpfe, man stellte ihren Schwanzfedern nach; wo immer man ihrer habhaft werden konnte, verunstaltete man sie aufs greulichste, sie liefen schwanzlos umher und hatten ihre gesamte Misthaufenherrlichkeit zugunsten der Heckerhüte eingebüßt.
Wo aber, um erneut zu fragen, blieb denn der Feind?!
Er kam immer noch nicht, wohl aber lieferten in der Nähe der hessischen Grenze Kavalleristen, die einem Streifkorps angehörten, ein lustiges Husarenstückchen, bei dem eine Freundin der Barrikadenbraut Mathilde Hitzfeldt aus Kirchheimbolanden, die Amazone Greta Berghaus, eine dramatische Rolle spielte.
Das Husarenstückchen soll nicht vergessen werden.
Der Weingutsbesitzer Bastian Berghaus erhielt eines Tages einen anonymen Brief, worin ihm mitgeteilt wurde, wenn er wünsche, seine Tochter Greta in Empfang und Schutzhaft zu nehmen, solle er sich am 5. Juni morgens um zehn Uhr am Eingang des Waldweges zwischen den Dörfern Morchheim und Orbis einfinden, alles weitere habe er dort abzuwarten.
391 Am bezeichneten Tage gegen neun Uhr morgens ritten unter Führung eines Offiziers zwölf Husaren über die pfälzische Grenze und näherten sich dem Dorfe Morchheim. Der Husarenoffizier besaß eine Geländekarte, der Trupp ritt auf einem schmalen Fußweg und mied die Fahrstraße, es gelang ihm, in guter Deckung bis nahe an das Dorf heranzukommen. Hinter einem Kornfeld saßen sie ab und schickten eine Patrouille zum Rekognoszieren. Ein Morchheimer Bäuerlein muß aber die Preußen doch gesehen haben, er eilte spornstreichs ins Dorf und verkündete dort, der Feind stünde draußen und müßte wohl jeden Augenblick zum Sturm ansetzen.
Vor dem Rathaus waren gerade die Freischärler, eine Abteilung der pfälzischen Nordarmee unter Major Schlinke zum Exerzieren aufgestellt, unter den Freiheitshelden befanden sich auch Mathilde Hitzfeldt und Greta Berghaus, letztere in ihrer malerischen Kosakenuniform, mit ihres Vaters Husarenmütze und mit einer schwarzrotgelben Schärpe.
Die Nachricht fuhr wie ein Unwetter unter die Freischärler, zuerst rannten sie planlos durcheinander, viele flüchteten in wilder Hast, wobei sie Flinten und Pistolen fortwarfen, der Rest sammelte sich unter dem Kommando eines mutigen Schulverwesers, in Eile wurde vor dem Dorf eine Barrikade errichtet, sie liefen nach Waffen und Munition, aber es war schon zu spät.
Die Husaren kamen in stäubendem Galopp angeprescht, wie eine Handvoll Teufel setzten sie unter johlenden Rufen über die Barrikade, einige hatten die Säbel im Munde, andere schwangen die Karabiner, wieder andere schossen ihre Pistolen in die Luft, es war eine tolle Reiterjagd, ein unbeschreibliches Husarenstück.
Mit einem prachtvollen Elan sprengten sie mitten unter die Freischärler, die in Staunen und Schreck auseinanderstoben, als die Hölle so blitzhaft über sie hereinbrach. Alles spielte sich in wenigen Sekunden ab, keiner der zwölf Teufel stürzte beim Sprung über die beinahe zwei Meter hohe Barrikade, wie das wilde Heer gewitterten sie mitten unter den Feind. Ein Wirbel von Menschen, ein Taumel der Unordnung entstand, der klingende und schießende, jauchzende und wiehernde Husarenspuk war wie von Geisterhand befohlen, schon löste sich der Tumult, schon galoppierte die kühne Horde durch die Dorfstraße, ein Fähnlein blitzte im Wind, Säbel und Karabiner wedelten durch die Luft, die Pferde warfen einen Schollenregen hinter sich, und dann war der Spuk zerstoben.
392 Nur einer von den Freischärlern schwang sich auf einen Fuchswallach und jagte in polterndem Galopp hinterher, er ritt wie der siebte Höllenhund und schwang ein Lasso durch die Luft, seine gelben Hosen glänzten, das karrierte Hemd stand offen, das kurze Wams mit den brasilianischen Silbertalerknöpfen flatterte und der riesige Sombrero war wie Vogelfittiche bewegt.
»Qual vergonha!« brüllte er, »sie haben Greta Berghaus geraubt. Caracho e madre querida, Greta Berghaus haben sie – – o malo caballeros, Kreuzmillionendonnerwetter!!«
Er donnerte mit Wildwestgebrüll aus dem Dorf hinaus, Klaus Ringeis aus Brasilien, der ideale Freiheitsheld, der goldene Schwärmer, der Elefantenhaare als Talisman verschenkte, der dem alten Großvater im Fischerdorf am Rhein echte Gummischuhe mitgebracht hatte und der zaubern konnte wie der Doktor Faustus auf dem Boxberg. Natürlich konnte er zaubern, aber Greta Berghaus vermochte er nicht zu ihrem Truppenverband zurückzuzaubern. Hier verließ ihn seine Kunst, im Schritt kam er ins Dorf zurückgeritten, mit hängendem Kopf und traurig schwankendem Schlapphut. Er hatte nichts mehr ausrichten können, madre de dios, die Husaren waren wohl mit Greta durch die Luft davon, caracho! –
Als Greta Berghaus, der man sogar einen schwarzen Sack über den Kopf gestülpt hatte, zur Besinnung kam, fand sie sich in dem geschlossenen Landauer ihres Vaters, der an ihrer Seite saß und lustig lachte, als ob sie gerade vor einem Pulcinellakasten gesessen hätten.
»Wie kommst du denn dazu, meine Husarenmütze zu nehmen?«
Er zog ihr die Mütze vom Kopf und betrachtete die schwarzrotgelbe Kokarde. »Husar und Kosak und Amazone, du wirst noch völkerkundlich interessant.«
Greta sprach lange kein Wort, sie drückte sich in die Ecke, zog sich zusammen wie ein frierender Vogel und ließ die Unterlippe hängen.
Nach langer Zeit tauchte sie endlich aus ihrer revolutionären Zerknirschung und sprach einen zusammenhängenden Satz.
»Du hättest das nicht tun sollen, Vater.«
»Ich?!« rief Berghaus erstaunt; »ich bin unschuldig an deiner Entführung. Ich habe nur Interesse an meiner alten Husarenmütze.«
Er zeigte ihr den anonymen Brief. Sie las ihn, dann sank sie wieder in ihre Ecke zurück und grübelte.
»Es waren Husaren«, sprach Berghaus und rollte vergnügt die Kartoffel.
393 »Was für Husaren?«
»Ich glaubte von den siebten preußischen Husaren. Regimentskameraden.«
Stille. Lange Stille. Grübeln. Falten in der Stirn.
»War ein Offizier dabei?«
»Ich glaube fast, es war ein Offizier dabei.«
Fahrt durch Weinberge.
Überall Weinberge, wohin das Auge schaute, ein Meer des Segens, über die Hügel verstreut, ansteigend bis zu den bewaldeten Bergen. Warum denn Revolution in einem solchen Land!
»Wollen wir nicht das Verdeck zurückschlagen, Greta?«
Der Kutscher nahm das Verdeck fort und jetzt fuhren sie durch die blühende Gotteswelt, durch die flimmernde Herkunft der Millionen Rebstöcke, durch Notland und Todland, aber auch durch Heimatland.
»Sieh zu, daß du inwendig frei wirst, Greta. Jeder Mensch trägt seine eigene Freiheit hier in der Brust, die kann ihm kein anderer nehmen, und wäre er der Mächtigste des Erdballs.«
»Ich rücke Euch doch wieder aus, Vater.«
»Dann aber bitte nicht mit meinen Pferden.«
»Ich kann nicht anders.«
»Bis jetzt war es Abenteuer, Greta. Dieser Husarenstreich verrät mir, daß es anfängt, Ernst zu werden. Die Preußen marschieren.«
»Ich glaube eher, ein gewisser Offizier hat dir das genossene Gastrecht bezahlt. Die Preußen müssen gute Spione haben.«
»Krieg ist Männersache, Greta.«
»Meine Mutter hat diesen Rock hier getragen.«
»Aus Not, Greta. Du aber trägst ihn aus Überspanntheit.«
»Vater!! Es stehen in der Pfalz Hunderte von Frauen unter den Fahnen.«
»Die Barrikadenkrankheit, Greta.«
»Nenn es, wie du willst, wir kämpfen für die gute Sache.«
»Das tut jeder anständige Mensch unter uns. Ich habe für die gute Sache Haus und Hof verlassen und bin gegen Napoleon.«
»Wie kannst du dann deiner eigenen Tochter verwehren, in deinem Geist zu handeln?«
»Es ist nicht mein Geist, selbst wenn es der Geist der Freiheit wäre. Ihr jungen Leute seid nichts als Schwärmer, und die Schwärmer sind heute gefährlich, denn sie sind die Aufrechten und Anständigen, die Uneigennützigen und Gläubigen, aber es droht ihnen, daß sie den 394 Boden unter den Füßen verlieren. Ich achte, was du tust, Greta, aber ich kann es nicht billigen. Die Schwärmer sind blind, ihre Gefahr ist, daß sie auch andere blenden. Auf eurem Weg kommt euch keine Freiheit entgegen, ihr werdet zuletzt nur den Trümmern eurer Ideale begegnen.«
»Du kannst mich aber von diesem Weg nicht abbringen.«
»Es wird dir bekannt sein, daß als Rebell gilt, wer mit der Waffe in der Hand angetroffen wird?«
»Meinetwegen.«
»Er kommt vor das Standrecht.«
»Meinetwegen.«
»Und wird erschossen!«
»Ach, Vater, wie überflüssig, darüber zu reden. Lassen wir es doch. Schau dich um, ich weiß, dir sind die Wingert lieber und die Schädlingsbekämpfung, und die Maulbeerbäume. Ich bin so müde, Vater, erzähle mir doch von deinen Maulbeerbäumen. Wie ist das gleich mit den Seidenraupen, die fressen also die Blätter deiner Bäume und dann – – sagtest du nicht, über fünfhundert Meter Seidenfaden sind auf einem einzigen – – du, Vater, mach' doch mal wieder so, als ob du eine heiße Kartoffel – – ach, ich bin ja so müde – – so furchtbar müde.«
Als sie zu Hause ankamen und durch das breite Tor in den vorderen Hof fuhren, kam Frau Juliane aus dem Wohngebäude.
»Greta, muß das denn sein! Wie siehst du aus!«
Sie strich ihr zärtlich über den Kopf. »Du hast dir ja wirklich die Haare schneiden lassen.«
›Nein, was für krause Pläne dem Mädel durch den Kopf gehen‹, dachte sie, aber sie sagte nichts, je weniger man sprach, um so besser war es. Sie hatte nun einmal diese unbändige Tochter.
Die Kinder kamen aus der Scheune gestürzt, sie umringten Greta und waren voll der Fragen und voll kindlicher Zärtlichkeit.
»Greta«, rief der Älteste, »bist du in der Schlacht gewesen? Nimmst du mich mit, wenn wieder Schlacht ist?«
Ewald Berghaus, der mit seiner Frau, der rundlichen, stattlichen, immer beweglichen Marianne ebenfalls zur Bewillkommnung erschien, wurde ironisch, wie es seine Art war.
»Ich werde Anweisung geben, daß das biblische Kalb geschlachtet wird.«
»Ach Gott, die Haare! Greta!« rief Frau Marianne und lachte 395 schallend, »wie du hier stehst, kannst du sofort zum Zirkus gehen. So eine verrückte Henne!«
»Rede nicht despektierlich, liebe Frau, Greta ist drauf und dran, eine historische Persönlichkeit zu werden. Wer die Geschichte der pfälzischen Wirtshausrevolution schreibt, wird sie nicht übergehen dürfen.«
Frau Marianne kicherte. »Der Herrgott hat Langeweile gehabt, da hat er in der Pfalz ein Kasperle aufgefahren.«
Sie hatte nicht das geringste Verständnis für Gretas Träume. Lieber Himmel, drei Kinder und Arbeit von morgens bis in die späte Nacht, Gesinde und Vieh, frisch geferkelt und den Pips im Hühnerstall, jedem Huhn die Zunge schaben und die Hornspitze wegschneiden, Schularbeiten nachsehen und einen Korb voll Strümpfe stopfen.
Heilige Dreifaltigkeit, zieht das Mädel doch wirklich den alten mottenzerfressenen Kosak an und reitet davon, läßt sich die Haare schneiden und lungert acht Tage irgendwo herum, Gott mochte wissen, wo.
Und das Pferd, richtig, wo war denn der Wallach? Auch wieder beim Teufel, der goldenen Freiheit, den Rechten des Volkes geopfert, ha ha, zum Läusekriegen. Zuerst den Rappen erschossen, aus lauter Überspanntheit, nur weil ein gewisser preußischer Husar darauf geritten war, einfach den Rappen erschossen, Pistole heraus, bums, da lag er. Vierhundert Gulden verpfeffert, Gott helfe mir, und der Vater tat nichts, um den Querkopf zur Vernunft zu bringen. Ja ja, Faulheit trieb sonderbare Blüten.
Greta sprach kein Wort, sie ging ins Haus, Frau Marianne schaute ihr kopfschüttelnd nach. In jeder Familie gäbe es nun einmal ein Gewächs, sagte sie noch; Greta sei das Gewächs in der Familie Berghaus. Womit sie sich anschickte, zu den Hühnern zu gehen, um nach dem Pips zu schauen.
»Tante Greta«, rief das fünfjährige Mädelchen und lief hinter ihr her, »ist es wahr, daß du der Napoleon bist?«
»Unmittelbar nach Waterloo«, sprach Ewald.
Frau Juliane hatte nichts als ihr stilles Lächeln, ihre Güte und ihre Sorge, und ihr verborgenes Verständnis.
»Laßt sie«, sprach Frau Juliane, »sie ist unsere Tochter, gelt, Bastian?«
Bastian fand darauf nicht gleich die rechte Antwort, was hätte er auch sagen sollen.
396 »Ich will mal nach dem Trieb sehen«, sprach er, »was meint ihr, ich habe die Idee, den ganzen Musenhang, vorausgesetzt, daß das Wetter sich anläßt, bis zur Trockenbeere stehen zu lassen.«
»Hör' mal, Vater«, fiel Ewald ein und hatte das spöttische Fältchen im Mundwinkel, »du solltest die Gewann überm Grain umtaufen, wir brauchen ein paar zugkräftige Weinnamen. Wie wär's denn mit ›Deidesheimer Kosak‹!«
Bastian Berghaus stieg in die Wingert hinauf, er wollte jetzt allein sein, es gab viel zu denken, er hatte den Kopf voll Pläne, sein Leben würde nicht ausreichen, sie zu verwirklichen. Ein Glück, daß man Kinder hatte, und daß diese Kinder wieder Nachkommen hatten, und so immer weiter. Da würden wohl welche dabei sein, die seine Pläne einmal Erfüllung werden ließen, denn das Land ringsum war reich und von Gott gesegnet und gezüchtigt.
Ein Paradies sollte erstehen aus dem Lande östlich der Hardt, ein Paradies bis hinüber an den Rhein und nach Süden bis zur welschen Grenze. Und die Eisenbahn würde dampfen von Ost nach West und von Süden nach Norden, über die Ebene, und alle Täler entlang und mitten durch die Wälderberge. Überallhin durch alle Welt würden sich die Schienenstränge ziehen und die Menschen einander näherbringen, den Haß und die ewige Völkerfeindschaft endlich auslöschen und aus der Grimasse der hundert deutschen Filzpantoffelstaaten ein großes und einiges deutsches Antlitz formen helfen.
Bastian Berghaus stieg durch den Segen aufwärts, und je mehr er an Höhe gewann, um so vielfältiger und kühner, um so bunter und glückhafter wurden seine Gedanken und Wünsche, seine Träume und Hoffnungen.
Am Rande des Waldes blieb er stehen, und hier war ihm, als wüchsen seine Arme ins märchenhaft Gigantische; so ungeheuer groß konnten Arme werden, daß sie das ganze Land der Reben, das vor ihm lag im flimmernden Glanz der Junisonne, umarmten und an die Brust preßten, in der so viel Liebe wohnte zu einer Erde, die fast ohne Atempause heimgesucht war vom Unfrieden der Menschen und vom Zwiespalt törichter Machtbegierden.
So weit das Wunder des Schauens reichte, nichts als Weinberge und immer wieder Weinberge, wunderbar einträchtige Pflanzensiedlungen, und jede Pflanze filterte das Licht in sich hinein, jede Pflanze saugte die unsichtbare Kraft aus dem glühenden Wunderboden, trieb Blätter und Blüten und gewichtige Frucht.
397 Und war jeder einzelnen ihr Teil zugemessen an Himmelslicht und Kraft des Bodens. Millionen hatten Platz unter der gleichen Sonne, aus ihrem Blattgewirr rauschte ein sinnvolles Gesetz.
Ordnung schafft Zufriedenheit, sich bescheiden bringt Segen.
Lange stand Berghaus am oberen Saum des Gebirges, die Sonne stieg schon über die Wälder, der hohe Mittag war längst vorüber, über der Ebene schwamm der Dunst sommerlicher Hitze, hinter den Weinbergen, dort wo die Farben schon ins Violett fluteten, dort waren weite Flächen bewegt wie wogende Seen, das waren die Felder mit Korn und Hafer, mit Gerste und vereinzelt auch mit Weizen. Zwischen ihnen, aus dem Wiesengelände aufstrebend, standen die Fackeln der Napoleonspappeln, sie hatten aber hier schon gestanden, als Napoleon noch nicht geboren war, es waren uralte Bäume, beheimatet in der weiten Ebene am Rhein.
In dieser Ebene stand auch eine junge Pappel, gepflanzt auf dem Grab eines russischen Offiziers.
Berghaus legte eine Hand über die Augen und schaute in das überschleierte Vorgelände hinaus, er sah die Russenpappel stehen, ein schwermütiges Gebilde der weiten Landschaft, und ihm schien, um sie versammelt wäre ein Hauch russischer Steppeneinsamkeit.
Er lehnte sich gegen einen Stamm und rief seine stille Freundin, die Erinnerung. Sie kam zwischen den Stämmen daher und trat an seine Seite, denn es war eine rechte Stunde, um Zwiesprache zu halten mit den wunderlichen Trabanten der Vergangenheit, die nun in geschäftiger Unzahl ihn bedrängten und beglückten.
Es kamen auch russische Regimenter über die verhängte Ebene, das Kosakenkorps des Generals von Karpow, die Regimenter Grekow und die Ukrainer, das Kalmückenregiment Kutainikow und das Regiment Sementschenko. Ein Kosakenlied, woher kam es? Aus einem Fährschuppen am Rhein. Wer sang es? Menschen, Fremdlinge, Russen, krank am Heimweh. Ein Kosakenoffizier, wie hieß er? Von Litinow, er starb an seinem slawischen Ehrbegriff und an seiner Liebe. O Gott, wer auch wüßte um das Rätsel der Liebe! Fort, zu viele tauchen auf, zu viele Schatten bedrängen mich. Gott, ich will euch segnen, aber geht! Manchmal seid ihr mir Flügel, manchmal Gewicht.
Er wollte in den Wald hineingehen, er sah aber, auftauchend aus dem Gewässer seiner Erinnerung, daß ein Mensch an seine Seite getreten war, und mit ihm ein Hund, beide verharrten still.
»Du bist es, Andreas?«
398 »Ja, ich bin es, Bastian Berghaus, du bist erstaunt, daß du mich hier siehst?«
»Eigentlich nicht, Andreas, in diesem Augenblick habe ich an dich gedacht, ich weiß selbst nicht, warum. Ich erinnerte mich, daß du als Knabe durch den brennenden Wald gekommen bist.«
»Ja, Bastian Berghaus, das ist lange her, das ist viele, viele Jahre her.«
Er fuhr mit der Hand abwehrend durch die Luft, er hatte etwas zu verscheuchen.
»Manchmal ist mir«, sprach er seltsam traurig, »als ob es erst gestern gewesen wäre.«
Berghaus schaute den Förster an; die Hündin Flora stand an seiner Seite, still und mit den staunenden Augen des Wäldertiers. Ein wunderliches Paar.
»Sag' mal, Andreas, bedrückt dich irgend etwas? Du bist so verändert.«
»Nein, mich bedrückt nichts, Bastian.«
»Mir kommt es vor, als ob du über Nacht älter geworden wärst.«
»Mich bedrückt wirklich nichts, glaube mir.«
»Dann ist es gut. Aber hör' mal, was dir dein alter Freund rät, nämlich, daß du ihn nicht anlügen sollst. Ich weiß, daß es dir fast das Herz bricht, weil man in den letzten Wochen die Wälder wieder so kannibalisch verwüstet hat. Stimmt das, Andreas?«
»Ja, Bastian, das stimmt wohl.«
»Siehst du, ich bin genau informiert, ich weiß, daß man die Eichen aus den edelsten Beständen herausgeholt hat, im Bienwald und bei Pirmasens, beim Johanniskreuz und auch in deinem Revier.«
»Das stimmt, Bastian, das ist alles wahr.«
»Und ein Dekret des Provisoriums hat verfügt, daß die Holzpreise aus königlichen Ärarialholzhöfen um zwanzig Prozent herabgesetzt werden und in jeder Quantität an jeden Käufer, insbesondere auch an Ausländer gegen bares Geld zu veräußern sind. Das stimmt doch auch?«
»Ja, Bastian.«
»Siehst du. Und renitente Forstbeamte sollen durch die Zivilkommissare entfernt werden. Und die Waldgerechtsamen der Gemeinden sind in unsinnigem Ausmaß erfüllt worden.«
»Ja, Bastian, und das schadet den Wäldern auf Jahrzehnte hinaus.«
399 »Und der Diehl hat in den Wäldern von Pirmasens wie der böse Geist gehaust und sämtliches Staatsholz verkauft. Ich bin im Bilde, Andreas, du darfst mir nicht daherkommen und sagen, daß dich nichts bedrückt.«
»Das ist es nicht allein, Bastian.«
»So, genügt das nicht, rauchst du noch stärkere Pfeifen?«
»Bei mir sind zwölf Hektar Jungwald niedergebrannt, wir müssen wieder neu aufforsten, zum zweitenmal, seit ich lebe.«
»Wald abgebrannt?! Davon weiß ich nichts. Brandstiftung?«
»Das Sensenkorps vom Zinn war hinten beim Gaiskopf.«
»So, was haben die denn dort gemacht?«
»Schutzeskorte für die Waldarbeiter, die mir den letzten Eichenreinbestand unter Kahlhieb setzen wollten.«
»Du hast es nicht verhindern können?«
»Ich nicht, aber der Waldbrand hat es verhindert.«
»Wie meinst du das denn, Andreas?«
»Brand und Gewitter und Wolkenbrüche haben sie in die Flucht gejagt. Du weißt nicht alles, Bastian. Hast du nicht vorhin gesagt, daß renitente Forstbeamte durch die Zivilkommissare zu entfernen sind?«
»Doch, Andreas, du willst nicht etwa sagen – –?!«
Andreas Aust nickte schweigend. Mit der Hand fuhr er über den Kopf der Hündin Flora.
»Du bist – – entlassen?!«
»Ja, Bastian. Sie haben mich für den Brand verantwortlich gemacht.«
»Und deine Frau und deine Kinder?«
»Sind vorläufig auf der Isenach. Ich komme jetzt von dorther, ich bin über den Berg herüber. Sei still, Flora, bleibe da, leg' dich hin!«
»Und wer hat das auf seinem Gewissen?«
»Mein Schwager Huß.«
»Der Schwellenhuß, richtig, der ist ja Zivilkommissar für die Forsten.«
»Gewesen, Bastian. Der Sznayda hat ihn davongejagt.«
»Danke Gott, Andreas.«
»Zu spät, seine Sünden leben in hundert Jahren noch.«
Er nahm den Hut vom Kopf und fuhr sich über die Stirn und durch die Haare.
»Ein heißer Tag heute, Bastian.«
»Andreas, setz' dich doch mal zu mir auf den Stein dort. So, siehst 400 du, da kann man sich ein bissel ausruhen und der Blick hinunter in die Ebene, der ist ja auch nicht übel.«
»Ausruhen, Bastian, das wär' schön.«
»Du sagst also, der Huß ist gar nicht mehr Zivilkommissar?«
»Nein, der Polengeneral hat ihn durch einen Militärkommissar ersetzt. Sie haben jetzt oben eingesehen, wie sie mit den Wäldern Schindluder getrieben haben, jetzt wollen sie plötzlich den Forstschutz erhöhen. Es ist aber zu spät, die Hyänen haben gute Arbeit gemacht.«
»Die Hyänen sagst du? Da gehört doch der Huß selber dazu.«
»Er ist der Schlimmste gewesen, mit einem Stab von Strohmännern, Winkelbeamten, mit Franzosen und Elsässern und auch mit allerhand Rechtsrheinischen hat er gewaltige Holztransaktionen gemacht. Tausende von Kubikmetern erste Bodenklasse sind zu einem Spottpreis nach Frankreich hinein. Du weißt noch lange nicht alles, Bastian. Da war doch ein gewisser Henry Laroche, hast du schon von ihm gehört?«
»Er ist mir mal in Kaiserslautern begegnet.«
»Siehst du, diesen Henry Laroche, einen hochglanzpolierten Franzosen, hat der Fenner von Fenneberg in einem Champagnerrausch zum Kommissar für die Ludwigsbahn gemacht, ich denke, Lothar wird dir davon erzählt haben.«
»Ich habe Lothar schon längere Zeit nicht mehr gesehen, ich weiß nur, daß er wegen des Wolfsburgtunnels im Druck ist.«
»Na kurz und gut, der Henry Laroche, der auf dunklem Umweg vorher Experte bei der Ludwigsbahn geworden war, hat tatsächlich acht Tage lang das Amt eines Zivilkommissars für die pfälzischen Ludwigsbahnen ausgeübt. Den Fenner aus Wien haben sie aber davongejagt, und der Sznayda hat gleich mit dem polnischen Besen gekehrt. Der Franzose Laroche hat wohl auch den Besen gefürchtet und nicht zuletzt die Preußen, die an der Grenze jetzt aufmarschieren. Er hat es auf jeden Fall vorgezogen, über Nacht mit westlichem Kurs zu verschwinden.«
»Andreas, woher weißt du denn das alles?«
»Von deinem Sohn Lothar, dem Sektionsingenieur, den ich gestern in Neustadt getroffen habe. Jetzt höre nur weiter: der Franzose ist nicht allein gegangen. Er hat allerhand mitgehen heißen. Einmal hat er sein Amt als Zivilkommissar so aufgefaßt, daß er in Ludwigshafen, Neustadt und Kaiserslautern gewisse versiegelte Briefe mitgenommen hat, die mit der Aufschrift versehen waren: Im Falle einer 401 Mobilmachung öffnen, tritt sofort in Kraft! Diese Briefe enthielten die Fahrordnung für den Fall eines Krieges mit Frankreich.«
»Du bringst Neuigkeiten aus deinen Wäldern, Andreas.«
»Und Martha ist tot!«
»Martha?!«
»Die welsche Schwester meiner Frau. Sie ist im Wolfsburgtunnel überfahren worden.«
Jetzt fuhr Bastian Berghaus erschrocken zusammen, er fing an, auf dem Stein hin- und herzurücken, eine feine Röte stieg in sein Gesicht.
»Die welsche Schwester?!«
»Siehst du, jetzt bist du erschrocken. Und warum? Weil du mir die ganzen Jahre etwas verheimlicht hast, was du mir hättest erzählen dürfen. Der alte Lehrer Seffrin, der vor sechs Wochen gestorben ist, hat ein Tagebuch hinterlassen, in diesem Tagebuch steht das alles zu lesen, was du und was deine Frau Juliane mir vorenthalten haben.«
»Dann brauche ich dir ja nichts mehr zu erzählen?«
»Nein, Bastian, ich weiß alles. Aber weder der Huß, noch seine tote Frau, noch der Franzose wußten, welche Fäden sie verbinden. Das Tagebuch des Lehrers aus Sandheim enthält die Geschichte der Familie und des Landes. Und weißt du, was ich vorhabe? Ich will diese Aufzeichnungen ergänzen, ich will weiterschreiben und die Ereignisse unserer Jahre anfügen, damit spätere Geschlechter einmal lesen können, was sich an Gutem und Bösem ereignete in unserer Heimat.«
Bastian Berghaus erhob sich, er straffte seine Gestalt, er schaute sich um, als ob er im Augenblick erwacht wäre.
»Bleibe hier sitzen, Andreas, laß mich nur ein paar Minuten allein.«
Er ging in den Kiefernwald hinein. Lautlos waren die Schritte auf dem Nadelboden, man lief wie auf schwankenden Polstern, manchmal fiel ein dürrer Zapfen zwischen den Stämmen herab.
Als er zurückkam, sah er Andreas Aust und die Hündin Flora am Rande des oberen Wingert stehen, ihre Gestalten schoben sich schwarz in den Himmel. Der Förster hatte den Hut in der Hand, die Haare spielten im Wind.
»Wenn man da so hinunterschaut, Andreas, dann meint man, es müßte alles zufrieden sein und voll Eintracht.«
»Aber der Mensch, Bastian – – der Mensch.«
»Ich weiß nicht, ob ich schon mit dir darüber geredet habe, aber ich habe die Idee, man müßte hier in der weiten Ebene, auch an den 402 Straßen und überall, wo es möglich ist, viele hunderttausend Maulbeerbäume pflanzen. Sieh mal, diese große Ebene, vom Norden bis zur Grenze, wieviel Maulbeerbäume hätten Platz neben all den andern Pflanzen, die da schon wachsen! Und dann eine rationelle Seidenraupenzucht, unser Klima ist ja wie geschaffen dafür. Kannst du dir das vorstellen, schau mal hinunter, überall Maulbeerbäume, ich meine, kannst du dir das vorstellen, Andreas?«
»Das kann ich mir schon vorstellen, Bastian.«
»Was meinst du, wenn wir zwei uns mal dranmachten?«
»Das wäre schön, Bastian.«
»Na siehst du. Da könntest du fast froh werden darüber, was, Andreas?«
Andreas Aust lächelte müde, lieber Gott, das Lachen war schwer.
»Andreas, warum hast du denn deine Frau und die Kinder nicht zu mir gebracht? Ich denke, wir gehören doch zusammen, durch unser Schicksal und durch das Schicksal unserer Heimat. Und du selbst bist doch auch bei uns groß geworden. Du mußt heute noch deine Frau – – verstehst du?«
»Wenn du das meinst, Bastian, dann will ich es wohl tun, und ich danke dir.«
Er streckte ihm die Hand hin, Berghaus hielt diese Hand lange in der seinen und schaute den Förster durchdringend an.
»Sag mal Andreas, wie alt bist du jetzt eigentlich?«
»Einundvierzig Jahre, Bastian.«
»Einundvierzig Jahre! Zeig doch mal her, mir ist verflucht, als ob du schon graue Haare hättest.«
»Ja, Bastian, das mag schon sein. Wir werden grau an unserer Herkunft.«
»Du bist überhaupt so, wie soll ich denn sagen, so ganz verändert, so, als ob du irgend etwas ganz Schweres erlebt hättest?«
»Nein nein, Bastian, da siehst du Gespenster.«
»Deine Entlassung darfst du dir nicht so zu Herzen nehmen. Ich glaube, das Provisorium wird bald ausregiert haben. Die Preußen marschieren. Aber das ist es nicht, Andreas, was mir an dir auffällt. Es ist etwas ganz anderes, etwas Inwendiges, ich kann es nur schwer ausdrücken, du bist so merkwürdig gewachsen, verstehst du mich, so hinausgewachsen, hinübergewachsen. Ist denn da wirklich gar nichts gewesen?«
»Nein Bastian, da ist nichts gewesen.«
403 »Wenn du es sagst. Dann komm jetzt mit mir, wir wollen zusammen einen Herrgottsacker trinken und dann spannen wir ein und holen deine Frau und deine Kinder.«
»Das ist schön von dir, Bastian, ich danke dir von Herzen.«
Durch die Weinberge stiegen sie nach Deidesheim hinunter.