Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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Bis spät in die Nacht saßen Berghaus, der letzte Sickingen und der Kellermeister beisammen in der Trinkstube des Hauses, und Tulle gab eingehenden Bericht über den Stand des Gutes, die Zustände im Land und die Stimmung der Bevölkerung, die wohl den Abzug der Franzosen begrüßte, auf der anderen Seite aber auch fürchtete, alle Lasten und Plagen des alten Duodezsystems und der Feudalherrschaft kehrten zurück und die gepriesene Freiheit müßte endgültig begraben werden.

Die Zustände im Land selbst waren bejammernswert. Bauern und Gutsbesitzer waren ausgepreßt bis aufs letzte, die Steuern und Abgaben, die der Präfekt aus dem niedergewirtschafteten Boden und den zermürbten Einwohnern gesetzkräftig und mit Gewalt herausgeschunden hatte, die Flut beengender und bedrückender Erlasse, die aus Paris gekommen waren, hatten das blutende Land, das sich kaum von den Schreckenstagen des Plünderwinters erholt hatte, an den Rand des Verderbens gebracht.

Dazu kam, daß Verräterei und Spitzeltum, die Umtriebe der Klubisten und Patrioten, der Schmarotzer und Französlinge und aller jener Vielzuvielen, die ihre Herkunft und Heimat um ein einträgliches Amt verkauften, eine Charakterlosigkeit herangezüchtet hatten, unter der die überwiegend deutsch gesinnte Bevölkerung schwer zu leiden hatte.

Das unsaubere Mittel des Präfekten, durch Ergebenheitsadressen und gefälschte Plebiszite dem Pariser Regime und Napoleon eine franzosenfreundliche Stimmung und Zufriedenheit der Bevölkerung vorzutäuschen, hatte nur zur Folge gehabt, daß der Zwiespalt im eigenen Volk sich verstärkt und eine verschwindende Minderheit von Charakterschwachen unter dem Schutz französischer Gesetze das Deutschtum im gequälten Grenzland terrorisiert hatte.

Der Umschwung ließ auch vorläufig diese gedrückten Menschen nur wenig hoffen. Was sollten ihnen wohl die Russen bringen, die weit aus dem Osten, aus Asien und Sibirien kamen und denen ein bedenklicher Ruf unheilvoll vorauseilte! Was konnten Kosaken und asiatische Reitervölker Gutes bringen, die noch mit Pfeilen und Bogen schossen, die rohes und faules Fleisch verzehrten und Gänseaugen besaßen!

Schlimmer aber, als Fremdlingsangst und Russenschreck war die 116 verheerende Seuche, die, von den rückflutenden Franzosen eingeschleppt, in alle Dörfer eindrang und fürchterliche Ernte hielt, gegen die nicht anzukämpfen, und von der zu fürchten war, daß sie den Rest geben würde einem Lande, das Gott so blühend gesegnet und so schwarz verdammt hatte.

Auch um das Weingut Berghaus stand es schlimm. Ausgepreßt bis aufs letzte und systematisch zum Ruin gebracht, hätte es dem Druck der Behörden und ihren geheimen Drahtziehern nicht mehr lange standhalten können. Es erwies sich klar, daß der Verwalter Heinz in engster Fühlung mit seinem Bruder bei der Unterpräfektur in Speyer gewesen und daß die Absicht bestanden hatte, das Gut unter den Hammer zu bringen, bei welcher Gelegenheit Heinz es unter Verwendung einiger Strohmänner an sich gerissen hätte.

Tulle gab eine genaue Schilderung der Vorkommnisse, er war schlau genug gewesen, um alle unsauberen Machenschaften zu erkennen, und eine Katastrophe zu verhüten.

»Aber, daß sie selbst den Tod fälschen«, sprach er und machte zwei bedrohliche Fäuste, »das hätten wir nicht für möglich gehalten.«

Der Verwalter Heinz war noch nicht zurückgekommen. Er entfaltete eine merkwürdige Geschäftigkeit im Dienst der neuen Sache, es fiel ihm nicht schwer, das politische Hemd zu wechseln, er war einer von denen, die nicht untergehen, weil sie, leicht wie Flaschenkorke, bei jeder Sturmflut immer wieder obenauf schwimmen.

Der letzte Sickingen nahm den Tonkrug und goß die Gläser voll. Sie tranken vom Neuen, vom Dreizehner, vom Freiheitswein. Er war noch nicht glanzhell, er summte und sauste und rumorte noch im Faß, er war noch unbändig und stürmisch, die Teufel und Geister des Weines trieben ihre Allotria in seinem berauschenden Wirbel. Sein Atem stieg gefährlich und verwegen aus den Spundlöchern.

Der Graf hob das Glas, seine Augen schwammen in Verklärung.

»Wo der Fluch regiert, dort stirbt die Ehrfurcht«, sprach er, »wir wollen aber diesem Heinz eine Portion glühende Nägel zu schlucken geben, daß er seinen Schlund nicht mehr von einer Schmiedeesse unterscheiden kann. Doch redet von lustigen Dingen, der Griesgram soll am nächsten Galgen baumeln. Das muß Euch Gott mit der höchsten Himmelswolke belohnen, Kellermeister, daß Ihr diesen Tropfen gerettet habt vor den Gurgeln der Sansculotten und welschen Schmarotzer. Euer Glas, Berghaus, und trinkt auf die Wiederkehr der Aufrechten! In den Sud mit allen Fuchsern und Kriechern, mit Speichelleckern 117 und Wetterwendischen, mit Lumpen und Feiglingen und Pharisäern. Fluch allem Halben, es lebe, wer den Tod verlacht!«

Er stieß an und trank mit einem zufriedenen Behagen, der Wein verwandelte das rauhe, ein wenig gedunsene Gesicht, die rot umränderten Äuglein glänzten. Der Graf war in bester Laune, ein Begüterter des Herzens, ein Phantast und Landsknecht, ein letzter Sproß aus geniebehaftetem Geschlecht, im Strom des Blutes noch getränkt mit einem ungeordneten Rest jenes Heldentums, das einst in der Brust eines Franz von Sickingen geschlummert und den ersten riesenhaften Traum vom geeinten Deutschland geträumt hatte.

Bastian Berghaus, als er den Freund in so trefflicher Weinlaune sah, gedachte, sein geheimes Vorhaben jetzt wohl günstig an den Mann zu bringen, wohl wissend, daß es nicht leicht wäre, mit einem Sickingen einen geschäftlichen Pakt zu schließen.

»Tulle«, sprach er, »ich habe dem Sickingen jetzt einen Vorschlag zu machen; der will nicht recht heraus. Geht und holt einen Krug vom Herrgottsacker, er wird mir die verdammt spröde Zunge lösen.«

»Wollt Ihr, daß ich Euch zur Ader lasse«, rief Sickingen, »oder soll ich als Schildwache vor Euren gefüllten Fässern stehen, Husar?«

»Halb erraten, Sickingen, wartet den Wein ab. Schenkt ein, Tulle, das ist einer von Anno 11, damals ging ich zum Freikorps, ich habe ihn probiert, als er noch wie ein junges Pferd ausbrechen wollte. Jetzt ist er klar geworden und still, schaut her, Sickingen, wie er im Glase glänzt.«

»Ein goldener Tümpel, fürwahr; was mag auf seinem Grunde ruhen? Die Herrlichkeit der Welt, ein Jugendtraum, verirrter Wunsch und närrisches Begehren? Was ist es mit den Regungen einer Menschenbrust? Was wir besitzen, ist nichts, was wir wünschen, alles. Trinkt, Husar! Trinkt, Hüter aller Faßbäuche. Heraus mit Eurem Begehren!«

»Was wir wünschen, ist alles, habt Ihr gesagt, Sickingen. Ihr macht mir's leichter. Ohne Umschweife! Ich muß wieder fort, mich ruft die Pflicht, das Vaterland. Die Zeiten sind nicht so, daß man ruhig einschlafen kann, weniger noch, wenn man eine Frau zurückläßt. Mein Verwalter Heinz hat hier ausgespielt, das Gut ist ohne Aufsicht. Bleibt hier, Sickingen, und schaut nach dem rechten. Bleibt hier, bis ich aus dem Felde zurückkomme. Und wenn Gott mir das Leben läßt, will ich's Euch von Herzen danken. Eure Hand, Sickingen!«

118 Er streckte ihm die Hand hin, aber Sickingen schlug nicht ein. Seine ganze Gestalt veränderte sich, Kopf und Hals wuchsen förmlich aus dem grünen Rock heraus, die rot geränderten Augen funkelten bös und es schien, als wollte sich die fuchsige Perücke sträuben.

»Aus Euch spricht der Wein, Husar. Hört Ihr mich, der Wein hat Euch um den Verstand gebracht.«

»Ihr versteht mich falsch, Graf.«

»Ha ha, Graf! Richtig, Graf von Sickingen steht vor Euch, schlesischer Husar.«

Er raffte sich von der Bank hoch, stützte beide Arme auf die Tischplatte und schob den geröteten Kopf vor.

»Merkt es Euch bis ans Ende der Welt: ein Sickingen dient nicht, er läßt sich bedienen!«

Mit der Faust schlug er auf den Tisch, dann fuhr er durch die Perücke und bewegte die Finger, als wollte er Haare von sich abstreifen.

»Ihr seid im Irrtum, wenn – – –«

»Nichts Irrtum, ihr Milchgesichter. Das macht den wahren Gehalt meines Lebens aus: dem Ganzen zu dienen, aber niemals einem Einzelnen! Versteht Ihr mich, Husar? Nichts da, spart Eure Worte, ich will die Geschichte mit einem Wink meiner Hand erledigen. Mein Privatsekretär Joachim, zur Zeit auf meinem Besitztum im Hessischen, er ist der Mann, den Ihr braucht. Ihr wißt, daß er meine Finanzen verwaltet, ja ja – – ich habe vieles um die Ohren, sie haben mir nicht alles gestohlen, die verfluchten Säkularisierer. Ho hoo, wer könnte einem Sickingen alles einfach wegnehmen, ho hoo, gehören große Arme dazu. Spaß zur Katze, mein Joachim wird von mir aufs Gut Berghaus zitiert, kostenlos, jawohl, keine Widerrede – – ich kann mir wohl noch leisten, meinen Privatsekretär auf einige Monate zu verpumpen, das müßte mit der Pest zugehen. Stoßt an, Husar!«

»Ihr habt mich nicht begriffen, Graf.«

»Begriffen oder nicht, einerlei. Euer Herrgottsacker verdient es, daß mein Joachim ihn hütet, zusammen mit diesem König hier über alle Fässer und Bütten.«

Er setzte das Glas an, stehend und hochgereckt, er trank es leer mit einer gurgelnden Inbrunst, und er stieß es auf den Tisch, tief röchelnd von Behagen.

»Und das sage ich Euch, Husar, wenn es irgendwo fehlt, Ihr versteht mich, wenn Ihr Kapital braucht – – na ja, ich meine das dreckige Geld – – dann wißt Ihr, an wen Ihr Euch zu wenden habt.«

119 »Das ist ja mal ein Wort, Herr Graf«, grunzte der Kellermeister und hatte ein Glänzen im fetten Gesicht.

»Ho hoo, auch für Euch wird gesorgt, Fürst der Spundlöcher. Ich sage Euch, Ihr seid eine Handvoll Unsterblichkeit wert. Euer Leichnam sei mein, ich will Euern Bauch in ein Museum bringen. Kein Wort, ich habe immer noch Geld, viel Geld, Ihr ahnt es nicht. Ich könnte Euch wundersame Enthüllungen machen.«

Er fuhr mit weiten Bewegungen durch die Luft, sein Geist, vom Wein erweckt, baute Schlösser und Burgen und phantastische Türme. Er griff hinüber in die Bezirke des Wahns und der krankhaften Besessenheit. Die unselige Verwilderung eines kümmerlichen Restes von Genialität spann ihre krausen Netze. Da stand er, ein Graf in Lumpen, ein Bettler mit der fürstlichen Geste, ein Habenichts mit dem überquellenden Herzen, der letzte verdammte Sonnentrieb eines uralten Baumes, der vorm Verenden noch einmal aufzuflammen versuchte im Farbenrausch einer wunderlichen Blüte.

Er klappte auf die Bank zurück und stieß die Flößerstiefel auf den Plattenboden, er rundete beide Arme über der Tischplatte aus Eichenholz, als wollte er einen unsichtbaren, köstlichen Bezirk besitzend umarmen.

»Wälder, viele Wälder. Wir leben ewig in unsern Wäldern, wir wachsen neu aus unsern Wäldern. Keiner stirbt, der den Wäldern gehört. Sie haben mir die Wälder genommen, aber sie kommen wieder, alle Bäume kommen wieder zu mir zurück, ihr begreift das nicht. Verbrannt sind sie und kahlgeschlagen, verwüstet und verludert, – – macht nichts – – macht gar nichts – – sie kommen wieder, sie wachsen heraus aus dem friedlichen Boden, ein Baum nach dem andern, Kiefern und Eichen und Buchen. Sie haben Zeit, oh, meine Bäume haben viel Zeit, sie können warten und wachsen und viel Schande tilgen. Denn es ist nicht nur ein Baum, nein, es sind viele Bäume, tausende und hunderttausende, ihre Legionen decken allen Unrat zu. Und das sei euch ans Herz gelegt, Freunde um mich und überall im Land: wenn ich einmal tot bin, legt mich in die Wäldererde, auf daß ein Baum aus mir wachse, höher und höher bis in die Wolken hinein, mit einer Krone, die im Winde rauscht, mit Gezweig, in dem die Raben und Häher, die Amseln und Drosseln und Finken wohnen, und mit Wurzeln, die in die Tiefe streben und sich in das dunkle Herz der Erde senken. Lebendig soll wieder werden, was tot blieb an mir. Was aber nicht sterben kann in mir, das soll umgehen in 120 meiner Gestalt in tausend Jahren noch und allen den Kopf nach hinten drehen, die Frevel treiben mit dem Heiligtum des Waldes.«

Er stützte den Kopf in die Hände und starrte auf die Tischplatte, dann summte er vor sich hin, die rote Perücke glänzte im Dämmerlicht, das Summen wurde zu einer rhythmischen Melodie, zu einem Reitermarsch, er trommelte mit den Flößerstiefeln auf dem Boden.

»Tulle«, rief Berghaus, »einen Deidesheimer Herrgottsacker!«

Sie tranken sich in eine weinselige Stimmung hinein, auch Bastian Berghaus fühlte die Kraft des Rebenblutes, sein Gemüt, vordem bedrückt und von den Qualen unberechenbarer Gefühle erfüllt, hellte sich auf. Er fühlte in diesem Augenblick, daß seine Frau makellos geblieben war und keine Schuld trug an einem Abenteuer, das der Teufel beschworen hatte. Was blieb, das war der Zwiespalt zwischen ihm und Litinow, doppelt schwer und unerträglich, weil er ein Band auf Leben und Tod zerrissen und eine Verbrüderung zerstört hatte. Es war, als ob der letzte Sickingen die Gedanken des andern erraten hätte, denn er fing jetzt an, über die Russen zu reden, die wie eine gefährliche Überschwemmung ins Land eingebrochen wären, und vor denen man sich zu hüten hätte.

»Soldaten kann man nicht mit dem Beelzebub einschüchtern, und der Kosak hat ein verfluchtes Temperament. Der Krieg hat seine eigenen Gesetze, man darf kein Seidenäffchen sein. Nach Frankreich mit den fremden Regimentern, ich traue diesen runden Gesichtern nicht. Und eins sage ich Euch: verbergt den Wein vor ihnen und die Frauen!«

Berghaus fuhr zusammen, die Worte wühlten alles von neuem auf, was halb zur Ruhe gekommen war, neuer Verdacht zwängte sich schwarz in seine törichten Gedanken. Zitternd griff er zum Glas und drehte es zwischen den Fingern.

Der letzte Sickingen erhob sich.

»Es ist an der Zeit, Husar, daß wir auf das Wohl Eures Weibes trinken.«

Berghaus stand aufrecht und hielt das gefüllte Glas.

»Auf Treu und Glauben, Graf Sickingen!«

Er vernahm ein Geräusch und wandte sich um. Er sah, daß die Tür geöffnet wurde.

Der Kosakenoffizier von Litinow trat herein. 121

 


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