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Als der Holzhändler Veit Huß in der darauffolgenden Nacht am Barackenlager der Ludwigsbahn vorbeikam, scholl ihm aus den offenen Fenstern der Arbeiterkantine ein wüster Stimmenlärm entgegen. Es ging hoch her unter den Belegschaften, bei den Steinbrechern und Bohrern, den Erdarbeitern, Schlossern und Schmieden und Zimmerleuten. Die sturmbewegte Zeit war mit Getöse unter ihr rauhes Temperament gefahren.
Den Tag über in das Joch harter Arbeit gespannt, Felsen sprengend und Schuttmassen häufend, die Zentnerlasten schwerer Eisenschienen schleppend, in Kohlenbrand und Hitze hämmernd und schmiedend und schraubend, nichts als Kraftnaturen und Muskelmenschen, kam nach Feierabend eine derbe Ausgelassenheit und Lebenslust über sie, der sie sich bei Wein und Schnaps und Zigarren, bei Würfel- und Kartenspiel mit unbekümmerter Inbrunst hingaben.
Heute nun, am Vorabend der großen Versammlung in Kaiserslautern, schlug die Brandung ihrer Meinungen gegeneinander. Die wahren Hintergründe der Bewegung kaum begreifend, wußten sie doch, daß es um Freiheit und Volksrecht ging, um Beseitigung der Klassengegensätze und um ein menschenwürdiges Leben. Und da nur vereinzelte unter ihnen etwas wußten von Politik und Parteien, von Verfassung und Demokratie und Volkssouveränität, so war es nicht verwunderlich, daß diese wenigen das große Wort führten und ihren 234 Brüdern von der schwieligen Faust ein goldenes Zeitalter hochtrabend prophezeiten, an das sie im Innern selbst nicht glaubten.
Veit Huß blieb im Schatten der Nacht stehen und schaute durchs Fenster in den qualmerfüllten Raum, wo eine stinkende Petroleumlampe von der Holzdecke baumelte und die Gestalten in einem gelben Nebel lärmend durcheinanderfluteten.
Natürlich, da stand der Schwellenleger Gerber, ein Riese in Manchesterhosen und blauweißkariertem Hemd, braungebrannt und muskelbewaffnet, ein Mann, der eine Eichenquerschwelle wie einen Zahnstocher behandelte; da stand er also auf der wackeligen Bank und war mit einem Male Volksredner geworden, Beglücker der Menschheit und Engelsbote einer rosigen Zukunft.
Sie hörten ihm aber nur halb zu, wenn er den Schwall seiner Reden über sie warf und ihnen auseinandersetzte, daß es nun bald Pech und Schwefel auf die Fürsten und Geldsäcke regnen würde und daß ein gewisser Wittelsbach in München ausgespielt hätte – –
»– – – mit seinem Dukadezfürstentum. Immer und überall Dukadezfürstentum, Schluß damit oder Hackmesser!«
Sie lachten und brüllten Beifall, sie freuten sich über das Dukadezfürstentum, einer reichte dem Umstürzler das Schoppenglas, Gerber trank, es stieß ihm auf, er schob die karrierten Hemdärmel hoch und rundete die arbeitzerschundenen, behaarten Arme. Wenn ihm jetzt jener Herr Wittelsbach zwischen die Zangen käme, Gnade ihm Gott!
»Ihr lacht, über wen lacht ihr? Über euch selbst – –«
»Über dich, Gerber, und über den Maxe aus München. Ho hoo, in Strümpf und Schuh in die Einöde.«
Es schien ihnen vorläufig nicht ernst mit dem Umsturz, die meisten hielten das für eine lustige Harlekinade. Sie schufteten hier im Tagelohn, waren froh, daß sie satt zu essen und einen sauren Wein hatten. Der Wittelsbach, der übrigens die Bahn hier baute, mochte ihretwegen seine Hühner im Topf haben und sechsspännig kutschieren. Es war nichts als ein gesunder Lärm, dort oben stand ihr Kamerad, der Horn auf den Schultern hatte vom Schwellentragen, eine Frau und vier Kinder ernähren mußte und mit seinen dicken, verknoteten Fingern Zither spielen konnte; dort oben also stand er jetzt und schwätzte dem Teufel die Ohren ab. Ha haa, spuckte große Bogen und zuletzt brach er sich noch den Finger im Hintern.
»Die Vereinsfreiheit – – –«
Sie johlten und ließen ihn nicht weiterreden. 235
Fürstenblut muß fließen,
Fließen stiefeldick,
Und daraus ersprießen
Die rote Republik.
»Maul halten, laßt ihn reden«, brüllte mit Donnerstimme ein Schmied, stieß beide Arme hoch und gebot Ruhe. Er war bedrohlich anzuschauen, seine weinumflorten Augen funkelten, seine Fäuste waren Zuschlaghämmer, Vorsicht, sonst gab es Scherben. Sie schauten ihn an mit entzündeten Augen, die schmerzten von Staub und Ruß und vom Tabakqualm. Was wollte er denn, warum glotzte er so grimmig drein, man wollte doch hier seinen Spaß haben.
»Ihr sollt ihn schwätzen lassen, er weiß mehr, als ihr Heringsseelen.«
»Mit Strümpf und Schuh«, leierte ein Sprenger vor sich hin, trommelte mit dem Weinglas auf dem Tisch und gröhlte:
»Napoleon, wo bist du dann?
Napoleon, dich ruf' ich an,
Schon zwanzig Jahre hab' ich keine Ruh,
Hier lieg' ich schlafen in Strümpf und Schuh.«
Der Schmied wuchs langsam von seinem Sitz hoch, schlurfte auf den Napoleonsänger zu, griff ihn vorn bei der Bluse und stemmte ihn wuchtig in die Luft, stieß ihn dann wieder auf die Bank zurück, ging zu seinem Platz und setzte sich krachend.
Gelächter und Getöse, Trampeln und Füßescharren. Der Schmied blies bösartig die Backen auf und winkte Gerber zu, fortzufahren in seiner Revolutionsrede.
»Himmelarschkartätschenschlag!« brüllte er in das Getöse der Stimmen hinein, »meint ihr, eine Revolution ist ein Haufen Kacke? Euch muß man die fünfzig Grundrechte um die Ohren hauen, euch Reaktionären!«
»Was für Grundrechte, hee? Was für Grund – –?«
»Grund und Boden, jawohl, wir wollen Grund und Boden!«
»Einfälle wie alte Backöfen!«
Sie lärmten durcheinander, heiter angeregt, ernsthaft und erbost und genasführt vom Wein, der in Strömen floß und mit dem der Kantinenwirt, ein kleiner Wingertbauer aus Gimmeldingen, immer wieder die Gläser füllte.
236 In der hintersten Ecke des Raumes, in Dämmerlicht und Qualm, saßen zwei Arbeiter beisammen und redeten eifrig aufeinander ein. Der eine war Maschinenschlosser, ein plumper, gedrungener Mensch mit gutmütigem Gesicht und pfiffigen Äuglein; der andere hieß Kotyga und war Tunnelarbeiter, ein junger Pole mit schwarzem Haar und einem fanatischen Glanz in den unruhigen Augen.
Er versuchte dem Schlosser klarzumachen, daß diese hier nur Schwätzer seien mit einem Schuß Märzfieber, und daß, wer richtig revolutionär sein wolle, sich anders gebärden müsse. Politische Kinder seien sie allesamt, es sei also an der Zeit, daß sie aufgeklärt würden.
Der Schlosser verstand ihn nicht, was wußte er von Märzerrungenschaften und Sondergelüsten. Er war ein Künstler in seinem Fach, man wird staunen, wenn man hört, daß er Gewinde feilen konnte, eine Meisterleistung, die ihm so bald keiner nachmachte. Er hatte auch – Wunder der Feinmechanik und Geduld – die pfälzische Dampflokomotive Hummel, die zwischen Ludwigshafen und Neustadt lief, in einem Zwergmodell nachgebildet, man konnte sie in die Hand nehmen und betrachten, es stimmte alles genau, mit Zylinder und Kessel, mit Feuerkasten, Triebrädern, Röhren und Tender. Nein, er verstand diesen verschlagenen Polen nicht, er fühlte nur, daß hier ein rechter Volksaufwiegler und Hetzer am Werke war. Kotyga trug auch eine rote Kokarde.
Wenn er nur von ihm losgekommen wäre, aber der Pole hatte sich höllisch in seine Umsturzpläne verrannt.
Auch der Schwellenleger Gerber ließ nicht locker, keiner brachte ihn von der Bank herunter, seine heisere Stimme schwoll mächtig an, er hatte sich in den Kopf gesetzt, die Belegschaft endlich einmal politisch aufzuklären. Er war kein Politiker, kein Donnersberger oder Barrikadenbauer, bewahre, er wußte im Grunde selbst nicht, warum sich denn die Menschheit ewig nicht zufrieden gab. Er war aber ein Mann mit schlummerndem Geltungsbedürfnis, er fühlte sich plötzlich herausgehoben aus dem großen Schwarm, wundersam erhöht und mit einer Sendung des Guten in der dumpfen Brust. Er wollte ein wenig Glück verbreiten, vielleicht träte das Wunder in seine gewaltigen Fußstapfen; wer weiß, auch Jesus Christus war unerwartet gekommen und hatte mit dem Brot nur so um sich geworfen.
»Ihr lacht, weil ihr es nicht besser versteht«, rief er und strich sich die strähnigen Haare aus dem Gesicht, »es muß erst einer kommen, der euch die Nasen draufstößt. Ich will euch das mal sagen, wie's mit der 237 Revolution ist, nämlich so: wer unten war, ist plötzlich oben und wer oben war, ist unten, das ist wie Hexerei.«
»Hokuspokus, ja, nichts als Hokuspokus. Und Katzenmusik.«
»Hokuspokus, du Olwel? Paß mal auf: du stehst jeden Tag mit der Schippe zwölf Stunden im Dreck und verdienst 36 Kreuzer. Stimmt's? Ich verkündige dir als Revolutionär, daß du von heute ab 42 Kreuzer verdienst! Was sagst du?«
»Ha ha ha, der Hexenmeister, habt ihr's gehört?« Sie stießen ein wildes Lachen aus, sie hieben mit den Fäusten auf die Bänke, sie husteten und kollerten und waren humorig aufgelegt, weil der Kerl solchen Unsinn schwätzte.
»Ho ho hoo, wieviel zahlst du uns aus? 42 Kreuzer? Herr Revolutionär, es lebe die Republik!«
Das Lachen und Getöse schwoll zu einem stürmischen Trubel, es war eine wohlfeile Komödie, die sie hier erlebten zwischen Weindunst und Pfeifengestank, zwischen schweißigen Kleiderausdünstungen und Öl und Fettgeruch. Es gab also mehr Lohn, der liebe Gott stieg persönlich auf die Erde herunter, er besuchte den Schwellenleger Gerber und gab ihm den göttlichen Auftrag, über die bayrischen Bierköpfe hinweg den christlichen Erdarbeitern mehr Tagelohn zu geben.
Aus dieser Ecke also pfiff der Wind, die Erdarbeiter bekamen statt 36 Kreuzer 42 Kreuzer, die Maurer statt 49 Kreuzer 63 Kreuzer, die Steinhauer statt 1 Gulden 20 Kreuzer wie durch Engelshand 1 Gulden 80 Kreuzer. Ha ha haa, Herr Gerber, hallo, Herr Freiheitsvertreter, wieviel kriegen denn die Schmiede und Schlosser, die Zimmerleute und Brunnenmacher? Du lieber Gott, jetzt fängt erst das Leben an, solche Revolution lassen wir uns gefallen, prost Gerber, du liederliche Kanaille!
»Leider passiert das alles auf dem Mond«, rief ein baumlanger Zimmermann aus Lambrecht, »wir sitzen nur da und machen Wind wie die Dudelsäcke. Gerber, hör' endlich auf, dich hat ein Esel aus der Wand geschlagen. Singt das Heckerlied, dann wird es bald Gulden regnen.«
»Glaubst du, sie begreifen die Zeit?« flüsterte der Pole Kotyga. »Sie begreifen ihr nix. Den gesetzlichen Weg geht nix, es gibt nur Revolution, und hier auf der linken Rheinufer ist der beste Platz. Wenn das hier tut explodieren, dann komm ganz Deutschland nach, Baden und Sachsen und Schlesien und Schwaben, alles haut die Fürsten kaputt und Deutschland sein frei. Aber nix mit Reden, mit der 238 Tat! Wir müssen bilden Freikorps mit Waffen, Kanonen, Flinten und Sensen. Aber sie verstehen das nix, sie trinken nur und machen Getöse. Willst du eine rote Kokarde?«
Er wollte dem Schlosser eine Kokarde anheften, der schob ihm aber den Arm zurück.
»Ich bin ein schlechter Revolutionär, ich weiß nicht, warum ich die andern an die Laternen knüpfen soll.«
»Nun wegen die Freiheit, verstehst du nix, und mehr Geld und keine Abgaben mehr.«
»Das glaubt kein Hutmacher im vierten Stock. Du bist ein rechter Jakobiner.«
»Bin ich, hast du recht. Weißt du, Köpfe ab, überall viel Köpfe ab; gibt zuviel Köpfe, die überflüssig.«
Sie fingen an zu singen, bei Gott, sie waren in bester Laune; großartig zufrieden waren sie und voll urwüchsiger Lebenslust. Herrgott nochmal, nach dem Umsturz sollten sie es schöner haben als Schoßhunde, sie brauchten nicht einmal zu bellen. Zündloch, Zwiebel und Wichsbürste, Hannes, noch einen Schoppen für uns Heckerlinge.
Heckerlied, wieso denn Heckerlied, wie war das mit dem Napoleon?
»Ihr seid Narren«, rief der Schmied und hatte Schaum in den Mundwinkeln. »Kein vernünftiges Wort kann man mit euch reden, fahrt in des Teufels Bohnensuppe!«
»Wie war das mit dem Napoleon, hee, Pulverfritze, du kennst es, leg' los, vom Mann mit dem kleinen Hut!?«
Der Sprenger aber war betrunken, die Begeisterung und die bewegten Stunden konnten nicht spurlos an ihm vorübergehen, er mußte Wein haben, viel Wein, jetzt war alles wunderbar rosig und roch nach Freiheit. Wieso denn Mann mit dem kleinen Hut? Und mit der Feldflasche, richtig, mit der Feldflasche, mein Kaiser trank daraus. Welcher Kaiser denn?
Er legte los, seine Stimme war rauh und verschleimt, der ewige Dreck und Staub, das Pulver und die Feilspäne, pfui Teufel, immerfort husten und spucken, lauter Dreck, Tag und Nacht Dreck; einerlei, Gesang war Gesang, kam es auf die Stimme an? Nein, auf die Begeisterung.
Man trug mich fort, dem Tode nah,
Zog mir die Kleider aus,
Da hielt ich fest die Flasche da,
Mein Kaiser trank daraus.
239 »Hört mich doch nur mal an, ihr Dollenbohrer«, polterte Gerber unbeirrt weiter und fuhr mit den gewaltigen Armen rudernd durch die Luft, wankend und schwankend auf seiner Wackelbank droben wie ein Baum im Sturm. »Hört mich doch an – – die Volkssouveränität und – – das Stuttgarter Rumpfparlament – – und der bayrische Biermax – – samt – samt – –, macht doch mal das Fenster zu, draußen steht einer und glotzt herein, die Reaktion hat hundert Ohren.«
Dort auf jenem grünen Rasen
Ließ Napoleon Order blasen
Allen Helden und Kriegsmannen
– – –
»Wer ist am Fenster, wo ist einer – – sind die reaktionären Spione – sind die Preußen da?«
Einige Arbeiter stießen zum offenen Fenster vor und streckten die Köpfe hinaus.
»Herein, wer kein Hinkeldieb ist!«
»Ich bin's!« sprach Veit Huß und trat in den Lichtschein der Petroleumfunzel.
»Der Huß ist's, der Holzhändler. Er kommt recht wie die Sau ins Juddehaus.«
»Kommt herein, bei uns geht's lustig zu, wir kriegen alle mehr Lohn, fragt den Gerber. Und unten ist oben und oben ist unten; das müßt ihr mal der gnädigen Frau erzählen. – – Kommt herein, der Weihnachtsmann ist da, Gulden hat er und Kreuzer und Hallelujahengel – – herein, Herr Huß, Eure – – gnädige Frau – – wo ist – eure gnädige Frau?«
Sie zogen ihn durch das niedere Fenster in die Baracke herein, strampelnd wurde er über die Brüstung gezerrt. Als er im qualmigen Raum stand, mühsam atmend und halb überrumpelt, hielten sie ihm ein Schoppenglas hin, auf daß er tränke und ihnen Bescheid tue, denn sie seien eine brüderliche Gemeinde, die Donnersberger kämen ans Ruder, er solle nur einmal die Speyerer Trompete lesen und das Blatt vom Nikolaus Schmitt.
Dann würde also die Guillotine mit Fürstenfett geschmiert, und außerdem bekäme ein Erdarbeiter statt 36 Kreuzer 48 Kreuzer, nein 42 Kreuzer – – –.
240 »Gerber, es stimmt doch, 42 Kreuzer, nicht mehr und nicht weniger hast du gesagt?«
»Eine Runde Ramberger!« kamen einzelne Stimmen aus dem Lärm, »Herr Huß, eine Runde!«
Veit Huß bestellte eine Runde Ramberger Kirschwasser, er wußte, wie er umzugehen hatte mit diesen Leuten. Es war nicht immer leicht, denn sie nahmen kein Blatt vor den Mund, sie redeten, wie es ihnen ums Herz war, man mußte zur rechten Zeit auch einmal etwas hinunterschlucken, was schlecht verdaute und Magendrücken verursachte.
Veit Huß schob sich zwischen sie an einen besudelten Tisch, der Schwellenleger Gerber stieg von der Bank und setzte sich breit neben den Holzsachverständigen, er grinste ihn an, die Hemdärmel schob er noch höher, er wischte sich über die Nase und fühlte ein sattes Behagen.
Sie bekamen alle Schnaps und Wein, niemand sollte dem Veit Huß nachsagen, er trüge die Nase hoch und hätte kein Herz für die Arbeiter.
Der Pole Kotyga schob das Schnapsglas weg und lehnte sich in die Ecke zurück. Der Schlosser war ein dummer Kerl, sonst nichts. Zugestanden, seine Lokomotive Hummel war ein kleines Meisterstück, aber sonst war er ein Stockfisch, der die goldene Freiheit gar nicht verdiente.
»Ich will jetzt nix Schnaps«, rief er, als sie ihn zum Trinken aufforderten.
Veit Huß schaute ihn an, ihre Blicke trafen sich, der Holzhändler erkannte blitzschnell, daß dort einer saß, mit dem nicht zu spaßen war.
»Trinkt, Polenbruder!« rief er und lachte ihm ermunternd zu. Aber der Polenbruder wischte mit einer Armbewegung das Glas samt Inhalt vom Tisch.
Der Schlosser erhob sich, Hölle und Hecker, er hatte heute auch zuviel getrunken, es war Zeit, daß man seine Matratze suchte.
Er torkelte durch den engen Raum, er stieß gegen Tische und Bänke, gab es noch etwas Besseres, als zu schlafen? Die andern aber tranken mit einem breiten Behagen, nicht, daß sie feine Manieren gehabt hätten, woher auch, sie standen Tag für Tag im Schutt und Geröll, hantierten zwischen Schienen und Laschen und Bolzen und Kloben, sie besaßen Kräfte wie junge Stiere und ihre Muskeln konnten sich sehen lassen, sie husteten auf das feine Gehabe der Milchgesichter, ihre gute Stube war anders eingerichtet, ehrlicher und offener, ohne Hinterhalt, sie waren fast kindlich in ihren Entschlüssen.
Wer sie recht kannte, wußte, daß man sie ungeachtet ihrer Rauheit 241 um den Finger wickeln konnte, sie bildeten eine große Herde, ihr ungebärdiges Wesen war im Grunde harmlos wie Theaterdonner. Gott steh' ihnen allen bei, sie hatten kein Talent, Revolutionäre zu sein, treibt kein Schindluder mit ihnen.
Ihr Lärmen und Toben, ihre Trinkfreudigkeit und ihre ungehobelten Späße, das alles taugte nicht für die Porzellanmenschen. Wer Tag für Tag auf Stahl hieb, mit gewaltigen Hämmern und Brecheisen hantierte, Felsen sprengte und den Schotter unter die Schwellen schlug, der war schlecht für Schalmeientöne zu haben und wog nicht nach Unze und Quentlein. Sie hatten ihre bewegte Welt für sich, in der sie herumpolterten nach Herzenslust.
Ihre Hände sind blutig zerschunden und schwielig vernarbt, ihre Finger tragen Knollen und Höcker, ihre Haut ist braun und vom Wetter gefurcht. Die Gesichter sind hart und die Augen, rot umrändert und tränend vom Staub und Schmutz und von der Ungunst launischer Witterung, liegen in Höhlen und haben einen schwimmenden Glanz. Sie sind näher bei der Erde, als die Puppenspieler und Drahtzieher, die Erde aber ist hart und rauh und voll starker Nerven; denn sie muß unaufhaltsam kämpfen und sich wehren.
Laßt sie in ihrer unverblümten Ehrlichkeit, besser, es ist einer ehrlich grob, als unehrlich höflich, und die Ungeschminkten wiegen schwerer, als die, so in der Maskerade und Verkappung umherschleichen. Es wäre gut, auf den Polen zu achten.
Der Schwellenleger Gerber rückte nahe an Veit Huß hin, er stützte den Kopf in die hohle Hand und schaute den Holzhändler von untenherauf an. Er stieß ihn lachend vor die Brust, griff dann zum Glas und trank ihm zu.
»Schön, daß Ihr jetzt hier so unter uns sitzt, Herr Veit Huß, hä? Wollt Ihr uns aushorchen?«
»Was redet Ihr, Gerber? Bin ich nicht immer Euer Freund gewesen?«
»Keine Feindschaft, nein, keine Feindschaft. Wenn erst mal die Bahn fertig ist und wenn dann immer nur die Kohlenzüge herüber und hick! – – hinüberbrausen, dann verdienen die noblen Herrn mal wieder so viel Geld, daß es auf Euern kleinen Holzbeschiß nicht ankommt.«
»Holzbeschiß? Holz – – beschiß?! Was für ein Witz – –?«
»Nein nein, Gott bewahre, ich will am Rost braten – – ha ha, aber Eure Schwellenlieferungen, – Eure Eichenschwellen – – wir 242 sind im Bilde, mein Herr – – wir sind verflucht im Bilde, Schwamm drüber – – ha ha, wo ist denn der Franzosenkopf? Her mit dem Mußjöh tuttswitt! Sachverständiger, oder lüge ich? Wenn hier zweigleisig gebaut wird, dann werden wieder eichene Schwellen benötigt, ho ho, Prosit Herr Huß, verfluchter Spitzbube, kommbri Mußjöh?«
Gerber lachte und stieß mit Huß an, ein Glück, daß der Lärm die peinlichen Worte fraß, der Kerl war ja total betrunken, mochte er denn in Gottes Namen schwätzen.
»Noch eine Runde!« rief Veit Huß und trommelte mit dem Glas auf dem Tisch, »hat denn keiner eine Maulhobel, daß er uns was vorwimmert?«
»Vom Napo – po – poleon«, gurgelte der Sprenger, erhob sich von der Bank und bahnte sich einen Weg ins Freie. Ihm wurde plötzlich zu eng auf der Brust, es schwamm vor seinen Augen. –
Draußen blieb er eine Weile stehen, überfallen von der Größe der Nacht, die über den Wäldern brütete und von dunkler Reinheit war.
Er stand im Strom des Windes, in seinem Kopf war ein Brausen und Sausen, die Barackentür klaffte offen, die Brandung schlug bis heraus an das Gestade der nächtlichen Stille. Er taumelte in diese reine Nacht hinein mit hängendem Kopf und baumelnden Armen. Schwer atmend stolperte er über Geröll und Schotter, er blieb stehen und lauschte auf die fremden Stimmen, ihm war übel vom Wein, verfluchte Revolution, was wollten sie eigentlich, was hatte das alles zu bedeuten, kein vernünftiger Mensch wurde schlau daraus. War es so, daß er wirklich mehr Lohn bekam, daß er mehr galt in diesem Leben, ein feiner Herr würde und den Rücken nicht mehr krümmen mußte? Und auch mal mit der Chaise fahren und einen Kammgarnanzug, und gebratenes Fleisch und weiß der Teufel, was noch hinterdrein.
Er trottete weiter in die lastende Finsternis, das Lied vom Napoleon hätte er jetzt singen können, der Trubel wurde mehr und mehr verschluckt, es blies ihm mit einem Male ganz merkwürdig still entgegen, jetzt wäre es gar nicht querköpfig, zu singen, mit den Eulen und Unken und mit dem Kroppzeug der Nacht. Wer war es, der aus niederem Stande die Krone pflanzte auf sein Haupt. Wer war es denn? Napoleon, natürlich, überall spukte er herum. Sein Vater, der hatte das Lied mitgebracht, der war an der Beresina – – Gottsdonner, ihm war übel, kotzblitz, nur jetzt nicht singen.
Er steuerte auf eine Böschung zu, setzte sich dort ins Gras und ließ den Kopf hängen.
243 Und die Schwärze der Nacht verlor sich, denn die Augen gewöhnten sich an das Dunkel, die Landschaft trat in beschatteten Umrissen hervor, Wälder und Wiesen wuchsen wie aus Schluchten heraus, irgendwo plauderte ein Bach.
Es waren viele Sterne am Himmel, der Sprenger schaute hinauf und war seltsam verwundert. Wann hatte er je einmal nach den Sternen geschaut, sie glänzten weit und still, viel besser war Schlaf.
Zwei Schatten schoben sich in das verhängte Gelände, sie wuchsen und kamen bedrohlich näher, ein Murmeln strömte zu ihm herüber. Es ging um in der Nacht, es war eine unruhige Zeit.
Jetzt wanderten die Schatten an ihm vorüber, ein Mann und eine Frau, ohoo, er hatte seine Augen, er sah sie genau, eine verrückte Geschichte.
Ein Stück weiter blieben die Schatten stehen, sie schmolzen fast zusammen, hohoo, was war denn los!
Stimmengeflüster, heiseres Zischeln und Stöhnen. Ha ha, eine Nacht konnte viel zudecken, paß auf, er wirft sie noch ins Gras.
Nein, sie gingen, verflucht, es war anscheinend noch nicht so weit.
Geduld, nur Geduld.
Brrr, ihm war elend und übel.
Nun waren sie fort, einerlei, keine Minute, da hatte er sie hier gesehen mit diesen seinen Augen, oder er wollte der hinterste Mann im Kalender sein.
Er ging zurück und trat wieder in die Barackenschänke, wo es kochte wie im Höllensud.
Wo war denn dieser schnürende Fuchs, dieser Holzwucherer Huß? Richtig, dort saß er bei dem Polen, die rechte Gesellschaft für ihn, während draußen die Schatten wandelten und es drunter und drüber ging an allen Ecken und Enden.
Die frische Luft hatte den Sprenger nicht nüchterner gemacht, im Gegenteil, jetzt drehte sich alles im Kreise, er sah Gesichter doppelt und die Petroleumfunzel schwankte. Es war hier wie in einem Schiffsbauch, er kannte das, er war schon nachts auf dem Aalkutter gewesen drüben am Rhein – – pfui Teufel, nur keinen Schnaps mehr.
Mit beiden Fäusten stürzte er sich auf den Ecktisch, wo der Pole und Huß saßen, sein Oberkörper wankte, er mußte immerfort schlucken, die Worte wollten ihm zwischen Gurgel und Kragen stecken bleiben, er bemühte sich, etwas Boshaftes zu sagen, es gelang ihm aber nicht, 244 außerdem sprach der Pole gerade von einem Arbeiterbataillon, das zu bilden wäre.
»Waffen genug – – aus Frankreich.«
Der Sprenger würgte ein Lachen hinunter.
»Frankreich – –«, stammelte er, »wißt ihr, wo Frankreich ist, hee, ob ihr's wißt? Ich – – ich sag's euch – – draußen! Draußen mit der – – gnädigen Frau!
Jetzt nehm' ich Kron' und Zepter ab
Und lege mich ins kühle Grab! – –
hoppla, nix für ungut, kommang slawadüll?«
Veit Huß schaute ihn mißtrauisch an, denn er sah hinter der Betrunkenheit etwas boshaft Schadenfrohes lauern, es war etwas im Wachsen, das ihn selber betraf, er wußte nur nicht, wie er es fassen sollte.
»Was meinst du mit Frankreich?«
»Daß – – Eure gnädige Frau einen Sachverständigen braucht.«
Er lachte hustend, hatte immer noch die Fäuste auf die Tischplatte gestützt und machte schaukelnde Bewegungen.
Veit Huß, in dem blitzschnell der Jähzorn erwachte, sprang auf, beugte sich über die Tischplatte und packte den Sprenger am Halskragen, die Faust krampfte sich zusammen, er schob seinen Kopf nahe heran und rieb die Zähne aufeinander.
»Was – sagst du da? Ich habe dich nicht recht verstanden – – du mußt deutlicher werden!«
Der Arbeiter, immer noch von einem rasselnden Lachen gewürgt, hob den Arm wie einen stählernen Hebel und schlug wuchtig nach dem Ellbogen des Angreifers, daß der Arm heruntersank und ein Stück Hemd herausgerissen wurde.
»Verfluchte Kanaille, wer mich anrührt, der kann sich auf seinen Leichnam freuen.«
»Gebt doch Ruhe und Frieden hier«, rief der Pole Kotyga und zog Huß auf die Bank zurück.
»Er soll sein ungewaschenes Maul halten!«
Der Lärm war für einen Augenblick schwächer geworden, weil sie merkten, daß in der Ecke sich eine kleine Szene entwickelte, außerdem war der Schmied aufgestanden und wuchtete jetzt mit rollenden Augen und grimmig zusammengepreßten Lippen vor den Holzhändler.
245 Es sah wirklich nicht gut aus, Huß hätte es auch vermeiden sollen, handgreiflich zu werden, jetzt war der Schmied geladen wie eine Haubitze.
»Du glaubst doch nicht«, knirschte er, »daß du uns hier schurigeln kannst, weil du den Schnaps bezahlst? Wir können selber bezahlen, mußt nicht meinen, daß wir nur so hergelaufene Affen sind, die für einen elenden Fusel Sprünge machen und Gesichter schneiden.«
»Frieden, nix Streit!« mischte sich der Pole ein und trommelte erregt auf dem Tisch. »Das Volk muß einig sein.«
»Pollacke du! Bist nur da, um uns durcheinanderzukochen mit deinem Arbeiterbataillon. Du willst vielleicht Anführer werden, Kommandant, gelt? Die Taschen füllen und dann durch die Lappen. Wir brauchen dich nicht, und dein Bataillon auch nicht. Du darfst uns nicht für dumm halten, Pollacke. Wir sind hell, mein Lieber; überall, wo's nach Barrikade stinkt, sind die Pollacken dabei. Und dann noch die Franzmänner, die vorne lecken und hinten kratzen.«
Da fuhr der Sprenger wieder dazwischen, er war nicht mehr imstande, aufrecht zu stehen, er hielt sich an der Tischkante, die Haare hingen ihm ins Gesicht; mit dem gestreckten Zeigefinger stieß er nach Huß und brabbelte ohne Zusammenhang seine Worte heraus.
»Und der Franzmann – – meine Herrn, nicht der Napoleon – – der – – französische – – Hallunke – spaziert mit der gnädigen – – Frau – sauberes Weibsbild – – wahrhaftig – meiner Treu – – 42 Kreuzer – oder wir fressen – den Besen mit der Putzfrau – – gutes Geschäft Musjö Huß, gutes Schwellengeschäft – awodder sangdee – – hä hä!«
Huß sprang mit einem Male auf, blickte sich halb wütend, halb verstört um und zwängte sich durch die enge Gasse zwischen den vollgepfropften Bänken hindurch nach der Tür.
Sie schrien ihm nach, der Sprenger warf sein Schnapsglas nach ihm und der Schmied wollte ihm an die Krawatte. Der Schwellenleger, nun wieder friedlich geworden und Mensch unter Menschen, trat ihm in den Weg und wollte ihn umarmen.
»Bürger«, sprach er gerührt, »Bürger Huß, laß dir den Freiheitskuß – – mit dem Holzschwindel, das darfst du nicht so ernst nehmen – – Bürger Huß – –«
Der Bürger Huß schob ihn gewaltsam beiseite, er hatte plötzlich keinen Sinn mehr für Verbrüderungen, auch verfluchte er den wüsten Lärm, das Schreien und Toben und den Schnapsdunst. Hier ging 246 es ja zu wie im Vorhof zur Hexenküche. Man konnte sein eigenes Wort nicht mehr verstehen, um ein Haar wäre es zu Tätlichkeiten gekommen.
Was wollte der Sprenger denn mit der gnädigen Frau und dem Franzosen? Ihn packte plötzlich ein lächerlicher Verdacht, er fühlte es merkwürdig heiß aufsteigen in der Kehle, war er am Ende selbst betrunken, daß ihm nun die Gespenster auflauerten?
Er riß an der rostigen Klinke und wollte ins Freie stürzen, es kam aber just im gleichen Augenblick ein Mann durch die Tür und versperrte ihm den Weg.
Es war der reine Zufall, daß dieser Mann hereintrat, er hätte wenige Sekunden später kommen können, dann wäre Huß schon draußen gewesen. Nun ja, darüber war weiter kein Wort zu verlieren, der Holzhändler und Sägemühlenbesitzer, der erste Experte für Holzangelegenheiten bei der Pfälzischen Ludwigsbahn, dieser Veit Huß verlor ein wenig die Fassung, er sammelte sich aber rasch und war wie durch Zauberei wieder der freundlich lächelnde, der gewinnende und joviale prächtige Mensch mit dem glänzenden gedunsenen Gesicht und der unscheinbaren platten Nase.
»Herr Sektionsingenieur? Noch so spät?«
»Ich muß mal nach meinen Leuten schauen, damit sie keine unbesonnenen Streiche machen. Es spukt in allen Köpfen, das ist wie eine Krankheit, dabei haben wir jetzt doch wirklich keine Zeit für Revolutionen. Ich nehme an, daß Sie meiner Meinung sind.«
Der Sektionsingenieur Lothar Berghaus, ein Sohn des bekannten Weingutsbesitzers Bastian Berghaus aus Deidesheim, schaute mit mißtrauischen Augen in den Trubel und Qualm, überflog in knapper Beobachtungsflucht die Situation und war schon halb beruhigt.
Es war merkwürdig stiller geworden bei seinem Eintreten, sie rückten noch näher zusammen und ließen die Köpfe hängen, sie tuschelten untereinander, wandelten sich zu scheuen und verstörten Wesen und gebärdeten sich so, als ob sie ein schlechtes Gewissen hätten.
»Ich sehe«, sprach Berghaus zu ihnen, »daß der eine oder andere eine rote Kokarde hat. Herr Huß, Sie wollten gehen, ich will Sie nicht zurückhalten, man vermutete Sie übrigens bei einer Versammlung in Lambrecht, sonderbar, daß Sie nun ausgerechnet hier sind. Ich glaube, Sie haben Glück gehabt.«
Huß war betroffen, er stellte die Beine breit und öffnete ein wenig den kleinen Mund. Rätsel und Überraschung überall.
247 »Vermutete? Wer vermutet mich in Lambrecht? Wieso – wieso Glück gehabt, Herr Sektionsingenieur?«
»Die gnädige Frau vermutete Sie in Lambrecht. Nur so nebenbei, Herr Huß, hat weiter nichts auf sich. Was mir gerade einfällt, haben Sie schon etwas gehört, daß die technische Oberleitung demnächst die Schwellenfabrikation in eigene Administration nehmen will? Wir wollen auch eine Kyanisieranstalt für Forlenschwellen –«
»Eigene Administration? Da müßte doch wohl vorher auch ein Mann namens Veit Huß gefragt werden?«
»Selbstverständlich, natürlich, das wird ja wohl auch geschehen. Na ja, es fiel mir gerade ein, jetzt ist gewiß nicht die Zeit, um darüber zu verhandeln. Sie wollten nach Hause, gute Nacht.«
Er streckte ihm die Hand hin, aber Huß war dermaßen aus dem Gleichgewicht gebracht, daß er eine Weile reglos stand und den Ingenieur mit einem bösartigen Seitenblick anschaute, es war nichts Erfreuliches, was er dachte und wünschte.
»Bürger Ingenieur!« Der Schwellenleger Gerber, hoffnungslos betrunken, stand taumelnd vor dem Sektionsingenieur Berghaus, das Wasser lief ihm aus den Augen, er machte mit den Armen ruckartige Bewegungen, als wollte er etwas gewaltsam zerreißen. »Bürger Ingenieur, oben ist unten und unten oben, so ist – – das mit dem – – Rumpfparlament – – unser Arbeiterbataillon – – Bürger Ingenieur, Ihr werdet – – Bataillonskommandant.«
Lothar Berghaus lachte und schlug dem Arbeiter auf die Schulter, die wilde Schar fiel in das Lachen ein, sie freuten sich, weil der Gerber seinen obersten Vorgesetzten mit Bürgeringenieur betitelte. Ihr Lachen füllte wie ein Unwetter den stickigen Raum, sie waren alle froh, daß es nicht donnerte und blitzte, daß das Erscheinen des Sektionsingenieurs so großartig abgelaufen war. Dort stand er beim Gerber und lachte, oder lachte er etwa nicht, der Herr Ingenieur? Und wenn er lachte, dann durften alle lachen, es war wirklich eine besoffene Herzlichkeit, das waren wohl schon die ersten Windstöße der Revolution.
»Was hast du denn da an der Bluse, Gerber?«
Berghaus deutete auf die rote Kokarde, die der Pole dem Schwellenleger angeheftet hatte. »Was soll das rote Ding?«
Gerber hielt den Finger an die Nase.
»Po – – po – –«
»Was denn, rede doch!«
»Po – politisch – – aufgeklärt!«
248 Jetzt brach aber die Brandung des Gelächters los, es dröhnte und wetterte, daß die Wände bersten wollten. Die wilde Heiterkeit erfüllte sie bis zum Platzen, das war eine Zeit, zum Bäumeausreißen.
»Ich gratuliere dir, Gerber, da willst du gewiß morgen nach Kaiserslautern?«
»Der Kotyga – – sagt, ich bin Donnersberger.«
»So, du bist Donnersberger, ich habe immer geglaubt, du seist aus Haßloch.«
»Donnersberger – – mit Sonderbund und – – burgundischer Republik – – stimmt's, Kotyga – – hee, Kotyga, ob's stimmt?!«
Wo war denn der Pole Kotyga? Fallen und Netze gestellt und Leimruten ausgelegt, und dann verschwunden? Wo war er denn, der politische Wilderer, der rebellische Rattenfänger?! Verschwunden, rein verhext.
Veit Huß stand immer noch an der Tür, er hatte die Klinke in der Hand, es quoll und brodelte blasig und schmutzig hinter seiner Stirn, die Gedanken jagten sich, wie von Mäusen lief es durcheinander.
»Was ich sagen wollte, Herr Ingenieur, ich meine, von wegen der eigenen Administration, das Ei ist am Ende von Ihnen ausgebrütet?«
»Herr Huß, es ist jetzt nicht die Zeit – –«
»Natürlich, gewiß« – er lächelte schon wieder und blinzelte mit den Augendeckeln. »Man spricht nur davon, ich meine, ganz unverbindlich, wenn die Kaiserslauterer eine provisorische Regierung beschließen – –«
»So töricht werden sie nicht sein.«
»– – – beschließen, nehmen wir nur mal an, dann werden die Speyerer Herren nicht mehr viel zu sagen haben. Man muß da wissen, was alles passieren kann.«
»Die Ludwigsbahn ist ein Privatunternehmen, Herr Huß.«
»Aber mit staatlicher Zinsgarantie und einer halben Million Gulden Prioritätsanleihen.«
»Das ist nur Formsache. Was wollen Sie denn damit zum Ausdruck bringen?«
»Ich will nur sagen: eine Exekutive hat alle Gewalt, auch über den Herrn von Denis und das gesamte Direktorium hinweg, hab' ich recht oder nicht?«
»Das soll uns zwei jetzt nicht kümmern, Herr Huß.«
»Gute Nacht, Herr Ingenieur.«
249 »Gute Nacht.«
Huß verschwand, er schlug die Tür ins Schloß.
»Und ihr, Leute«, rief Berghaus, »einerlei, ob Donnersberger oder Wittelsbacher, geht jetzt schlafen, ihr dürft mir nicht so viel auf Vorschuß trinken. Die Revolution ist nicht für uns, wir müssen unsere Termine einhalten.«