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III.
Der Kampf gegen die Kapetinger

Einen Tag nachdem wir den Tod des französischen Königs erfahren hatten, bat der Herzog Karl von Niederlothringen um eine Audienz unter vier Augen. Ich lehnte sie ab. Er solle sich dem Zeremoniell fügen. Die Anwesenheit eines meiner Adjutanten sei unerläßlich. So erschien er vor mir und Hugo von der Wetterau. Er war frech und befangen zugleich: Ob ich meine Abneigung gegen die Karolinger auch auf ihn und seine französischen Thronansprüche ausdehnen wolle. Ich maß ihn mehrere Male von oben bis unten und ließ schließlich meine Blicke auf seinen viel zu breiten Füßen ruhen: »Ihre Frage, Herzog, ist von einer erstaunlichen Ungeschicklichkeit, ganz zu schweigen von ihrer Unverschämtheit. Ich habe Ihnen keinerlei Auskunft über meine Abneigungen oder Zuneigungen zu geben. Sie sind als deutscher Herzog der kaiserlich-königlichen Gewalt unterworfen. Ihre französischen Thronansprüche gehen das Reich nichts an. Tun Sie das Geringste, das den Zielen der Reichspolitik zuwiderläuft, so haben Sie die Folgen zu tragen. Reichsrecht geht vor Landesrecht. Wenn – aus irgendeinem Grunde – das Reich Ihrer bedarf, wird es Sie unterrichten. Handlungen, welche nicht von dem Reiche gutgeheißen werden, fallen auf Sie selbst zurück. Erwarten Sie niemals von mir, daß ich Sie im Namen des Reiches decke, wenn Sie sich auf persönliche Abenteuer einlassen. Vergessen Sie nicht, daß wir noch im Kriegszustande mit Frankreich sind. Wehe Ihnen, wenn Sie in das verlöschende Feuer blasen! Ich würde mit Ihnen anders verfahren, als man vor zehn Jahren mit dem Zänker verfahren ist! Sie werden bis zur Regelung der französischen Verhältnisse auf Chèvremont in Schutzhaft bleiben. Ich bedaure, eine solche Maßnahme treffen zu müssen. Aber die Ruhe des Reiches und meine eigne ist mir wichtiger als Ihre Bequemlichkeit. Die Maßnahme hat keinen entehrenden Charakter. Sie ist, angesichts Ihrer Unberechenbarkeit, eine Rückendeckung für mich. Wir haben seit zehn Jahren zu viele Beweise für Ihre Unbeherrschtheit erlebt, als daß wir uns Unterlassungssünden zuschulden kommen lassen könnten. Ich hoffe, Sie des öfteren an meiner Tafel zu sehen und mich mit Ihnen über die sehr verwickelte Lage zu unterhalten.« – »Ich werde es niemals dulden, Majestät, daß mich der Kapetinger meiner Thronrechte beraubt.« – »Ich beende die Audienz, Herzog Karl. Es gibt heute keine Diskussionen. Sie bleiben in der persönlichen Obhut des Grafen von Stade. Ihre Truppen werden entlassen. Die Reichstruppen, deren abermalige Verstärkung ich angeordnet habe, genügen, um Ihr Herzogtum zu schützen. Sie erhalten Bewegungsfreiheit, sobald in Frankreich eine Klärung eingetreten ist. Das wird sehr bald sein. Sollten die französischen Stammesherzöge – man kann ja nie wissen – Sie zu ihrem König wählen, so müßte ich Sie vor die Wahl stellen, auf Niederlothringen oder auf die Königswürde zu verzichten. Ich kenne den Grad der Sympathien nicht, deren Sie sich bei Ihren ehemaligen Landsleuten erfreuen. Ich möchte Ihnen nur ein Sprichwort in Erinnerung rufen, das Ihnen vielleicht nützlich sein könnte: ›Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach.‹ Herzog Karl: es ist eine sehr fragwürdige Sache, heute – König von Frankreich zu sein!«

 

Als Karl gegangen war, ritt ich mit Hugo und Willigis nach dem Jagdhaus »Les trois Chênes«, wo mich Gerbert von Aurillac mit dem Bescheide des Erzbischofs Adalbero von Reims erwartete. Ich erfuhr: Statt des Strafkonzils von Compiègne hatte ein großes Rechtfertigungskonzil in Senlis stattgefunden. Die Wahl Hugo Kapets durch die Stammesherzöge, welche Adalbero auf den 1. Juni nach Noyon zusammengerufen hatte, war beschlossene Sache. Ich gab meine Einwilligung unter der Bedingung, daß Hugo sofort nach seiner Krönung auf Lothringen verzichte, die Grenzen garantiere und den Friedensvertrag mit dem Reich unterzeichne. Von Adalbero verlangte ich, indem ich ihn darauf hinwies, ich könne jederzeit Karl von Niederlothringen auf Frankreich »loslassen«, daß die Wahl und Krönung Hugos »provisorischen« Charakter trage und nicht die Errichtung einer kapetingischen Dynastie bedeuten dürfe. Ich hoffe, daß er mich verstehe. Der Erzbischof habe schon von sich aus verstanden, erklärte Gerbert. Dem deutschen König blieben ja noch acht Jahre Zeit bis zu seiner Großjährigkeit ... Ich ließ Adalbero Geschenke senden und ihm dafür danken, daß er in seiner Rechtfertigungsrede in Senlis die Thronrechte Karls von Niederlothringen als »nuls et non avenus« bezeichnet habe. Am 1. Juni wurde Hugo Kapet von den Fürsten in Noyon zum König von Frankreich gewählt (»proclamé«) und am 3. Juli in Reims von dem Erzbischof Adalbero geweiht und gekrönt. Am gleichen Tag fand der Austausch der Friedensurkunden statt. Der französisch-deutsche Krieg, welcher von März 985 bis Mai 987 gedauert hatte, ohne daß gekämpft worden wäre, war zu Ende. Die französische Krone hatte den endgültigen Verzicht auf Lothringen ausgesprochen.

Drei Wochen vor dem Friedensschluß ließen die Grafen Eudes de Chartres und Herbert de Troyes bei mir anfragen, mit welcher Summe ich die Verwandten Adalberos, die ihnen im Jahre 985 bei der Besetzung Verduns von König Lothar in Gewahrsam gegeben worden seien, loslösen wolle. Sie seien deutsche Staatsangehörige, und ihr Loskauf sei als ein Bestandteil des deutsch-französischen Friedensschlusses anzusehen. Ich ließ die Antwort durch Willigis erteilen: Das Reich pflege keine Zwiesprache mit Erpressern. Wenn sie die Gefangenen nicht sofort freiließen und ihrerseits – mit oder ohne französische Regierungsunterstützung – die von der Herzogin Beatrix geforderten Entschädigungen zahlten, werde ich ihnen einen Denkzettel geben lassen, dessen sie sich noch lange entsinnen sollten. Adalbero teilte mir mit, diese Antwort habe die beiden berüchtigtsten Gauner ihrer Zeit derartig in Wut versetzt, daß sie auf Chèvremont marschieren wollten, um mich zu fangen. Die Unterzeichnung des Friedens vereitelte ihr Vorhaben. »Behalten wir diese sauberen Vögel im Auge«, sagte ich zu Willigis. »Man kann in diesem verrotteten Frankreich nicht wissen, wozu man sie noch einmal gebrauchen kann. Für Gold leisten sie jeden Dienst. Es würde sich überhaupt empfehlen, unsere Bestechungsfonds zu verdoppeln. Ich nehme an, wir werden sie für unsere französische Politik reichlich in Anspruch nehmen müssen. Der Bakschisch spielt offenbar bei diesen Feudalen keine geringere Rolle als im Orient. Les extrêmes se touchent.«

 

Im August verlangte Hugo Kapet plötzlich die Krönung seines Sohnes Robert zum Mitkönig. Das wäre Wiederaufleben der karolingischen Tradition unter kapetingischem Vorzeichen gewesen, welche ja gerade durch die Wahl Hugos, durch die »Proklamation« zum König, beseitigt worden war. Adalbero weigerte sich, den Wunsch Hugo Kapets zu erfüllen. Hugo horchte auf und begriff. Von diesem Augenblick an war sein Mißtrauen wach, überwach. Er verstand, daß sein Königtum tatsächlich nur als ein an seine Person gebundenes Provisorium gedacht war. Adalberos Stellung war erneut gefährdet. Man konnte ihm jederzeit, wenn er auf seiner Weigerung beharrte, vorwerfen, er stehe in Diensten des Reiches, und mit der dritten Wiederaufnahme des Hochverratsprozesses drohen. Ich bereitete mich, wenn auch mit Widerwillen, darauf vor, den Herzog von Niederlothringen in meine Politik einzuschalten.

 

Ich hatte mich noch nicht entschließen können, in die sächsischen Stammländer zurückzukehren. Ich war nach Nymwegen übergesiedelt. Dort traf im September der Lehrer Ottos ein, Bernward von Hildesheim, ein Mann von erstaunlicher Bildung und außergewöhnlichem künstlerischem Verständnis. Er war aus hohem sächsischem Adel, ein Urenkel des Pfalzgrafen Adalbero. Auf der Hildesheimer Domschule war Thangmar sein Lehrer gewesen. Von Willigis, bei dem er sich lange aufgehalten hatte, war ihm die Priesterweihe erteilt worden. Es genügte, eine halbe Stunde mit ihm zu sprechen, um zu erkennen, daß er der geistige Erbe des großen Brun von Köln war. Er brachte eine wundervolle Belebung an den Hof: In wenigen Tagen hatte er sich mit Hugo von der Wetterau und Michaël von Massafra, der bei mir zu Gast war, so befreundet, daß ein abendlicher Austausch in meinem Wohnzimmer stattfand, wie ich ihn nicht wieder erlebt hatte, seit mein byzantinischer Hofstaat aufgelöst war. Es fehlte nur noch der Fürst Woytech – und das Quadrumvirat des Geistes jener Zeit wäre vollzählig gewesen ...

Hoiko war in Chèvremont geblieben, wo er sich kurz vor meiner Abreise verheiratet hatte. Seine Eheschließung bedeutete nicht das Ende seiner Beziehung zu mir. Unsere Bindung war längst eine Bindung der Seele und der Gesinnung geworden: Die Begegnungen der Sinne hatten nicht aufgehört, aber wir empfanden sie wie die Nachblüte eines Frühlings, der als traumhafte Verschwendung in unserer Erinnerung weiterlebte.

Mehr und mehr – aus unerklärlichen Gründen – hatten sich meine Wünsche wieder an das Bild des Philagathós angerankt. Seit drei Jahren hatte ich ihn nicht gesehen – und ich wartete nun mit Ungeduld auf seine bevorstehende Ankunft. Ich wußte, daß er sich dem Kreise, der sich um mich gebildet hatte, nicht als geistig Ebenbürtiger einfügen würde, aber das sollte er ja gar nicht. Ich wollte die Schönheit des Menschen, wie ich die Schönheit des Geistes und der Dinge um mich hatte – ich wollte die Lust, »τὴν ἡδονήν«, als deren Bote dieser Byzantiner durch das Leben schritt ... Ich wollte sie als die Entlastung von allen Lasten, die ich abermals auf meine Schultern sinken fühlte ...

Ende Oktober ließ mich Adalbero von Reims wissen, daß er die Krönung des Königssohnes vollziehen müsse. Nicht nur Hugo Kapet, sondern auch die Feudalität verlange es. Man wolle wenigstens für die Dauer von zwei Generationen Ruhe haben. Ich möge die Angelegenheit nicht allzuschwer nehmen ... Der byzantinische Heiratsplan sei erbärmlich gescheitert. Basileios II. habe geantwortet, man sei es in Byzanz nicht gewohnt, kaiserliche Prinzessinnen an abendländische »Könige« zu verheiraten, die noch nicht über so viel Land verfügten wie ein oströmischer Latifundienbesitzer mittleren Grades. Und außerdem wisse man ja gar nicht, wie lange die kapetingische Herrlichkeit dauern werde ... Ich ließ auf diese Nachrichten hin eine Einladung an den Herzog Karl von Niederlothringen ergehen: Ich möchte noch einmal seine Ansichten über die französische Frage einholen.

 

Am 5. November – fast genau zehn Jahre, seit ich ihm zum ersten Male begegnet war – traf Philagathós aus Italien ein. Er war nun ein Mann von siebenunddreißig Jahren geworden – aber welcher Mann! Souverän durch die Dämonie der sinnlichen Strahlung, sprühend von Leben, ein Sieger durch sein bloßes Dasein. Kein männlicher Körper konnte ihn ertragen, denn jeder fühlte sich unvollkommen vor solcher Vollendung. Wo immer Philagathós erschien, schoß die Abneigung auf, wenn nicht der Haß. Er wußte es, und er wußte auch, daß er nicht die Kraft der Seele besaß, diese sinnliche Überlegenheit unfühlbar zu machen. Er hatte keine Seele, weder im Guten noch im Bösen. Und was ihm an Geist mitgegeben worden war, reichte eben aus, den Geist zu verstehen, aber nicht anzuspornen. So hielt ich ihn fern von meinen Abenden mit Bernward, mit Hugo und mit Michaël – doch diese Abende wurden mir doppelt schön, weil ich wußte, welche Nächte der körperlichen Entspannung und Wiedergeburt ihnen folgten. Niemals schlief ich eine Nacht in den Armen dieses Mannes: Er war mir fast gleichgültig, wenn ich mich an ihm erfüllt hatte – und mein Schlaf war traumlos und tief, sobald er mich verließ ... Er hatte eine Eigenschaft, welche die Voraussetzung seiner Erfolge bildete: Er war verschwiegen. Er rühmte sich niemals seiner Eroberungen, er nannte niemals einen Namen, weil er wußte, daß dies das Ende seiner Laufbahn gewesen wäre. Sein grenzenloser Ehrgeiz, in höchste Stellungen emporzusteigen, verschloß ihm die Lippen. Nur in diesem und als Verschwender seiner Lust war er ganz ehrlich. Wer dies begriffen hatte, wußte genau, woran er mit ihm war ... Er war ein ausgezeichneter Lehrer für den kleinen König. Er verstand es, den Unterricht lebendig zu gestalten, und sprach ein vorbildliches Griechisch. Otto lernte spielend die Syntax der gewiß nicht leichten Sprache, während er bei Bernward weniger rasche Fortschritte machte. Ich ließ jetzt an einigen Tagen der Woche in meinem engeren Hofstaat wieder Griechisch sprechen, da ich mit der Wiederaufnahme engerer Beziehungen zu Byzanz rechnete und einen häufigen Austausch zwischen jungen Menschen des deutschen und oströmischen Adels plante ...

 

Zwei Wochen vor Weihnachten, das ich in Köln zu feiern gedachte, erschien Niketas Kurkuas unerwartet bei Hof. Die Freude war groß. Er brachte den unterzeichneten Gegenvertrag des Kaisers Basileios mit einem bezaubernd-ungezogenen Schreiben über die byzantinischen Heiratspläne des »Roi et quinze fois abbé de France, Hugues Capet le Grimpeur« und eine Reihe wichtiger Nachrichten: Der Parakimuménos Basileios war abgesetzt, enteignet und in die Verbannung geschickt worden. Mein Oheim Bardas Skleros hatte durch Überlistung des Emirs von Bagdad nach neun Jahren Gefangenschaft aus Mesopotamien fliehen können und war von den Soldaten seiner Armee zum Kaiser ausgerufen worden. Die Feudalität hatte sich, da sie sah, daß Basileios II. die Sozialpolitik des Kaisers Tsimiskes wiederaufnahm, unter Führung von Leo Melissenos erhoben und Bardas Phokas zu ihrem Kaiser ernannt. Der Basileus bewundere die Sachlichkeit meines Urteils und die Weite meiner Sicht. Er sei, wie der Vertrag bekunde, bereit, auf der von Tsimiskes festgelegten Linie mit Deutschland zusammenzuarbeiten, solange ich dort regiere. Ich könne sicher sein, daß diese törichten Rebellen sehr bald von ihm zur Vernunft gebracht würden. Ich wisse ja Bescheid um Rebellen. Ich und er seien vom Schicksal vor die gleichen Aufgaben gestellt worden, nur mit dem Unterschied, daß ich im Westen die Hierarchie gegen die Feudalgewalten erst festigen, er sie im Osten aber erhalten müsse. Er warne mich vor Hugo Kapet, der, um des lieben Goldes willen, Laienabt von nicht weniger als fünfzehn Klöstern sei und also seinen Spitznamen »capet«, »Abtkapuze«, mit Recht trage. Er sei mein Todfeind und der des Reiches. Ich solle ihn in eine Falle locken und ihm den Garaus machen ... Die Prinzessin Anna, um die er habe anhalten lassen, und zwar mit dem Hinweis, Byzanz und Frankreich müßten das Reich in eine Zange nehmen, werde sich bald mit dem Fürsten Wladimir von Kiew, dem Sohne Swiatoslaws, vermählen. Dadurch werde das byzantinisch-russische Bündnis besiegelt, kraft dessen er der Rebellen Herr werden könne. Ich möge ohne Sorge um meine Verwandten sein: Es werde ihnen nichts geschehen, vor allem nicht meinem Vater Konstantinos, der ja schon lange nicht mehr im Felde stehe. Mein Vetter Romanos Skleros lebe in hohem Ansehen am Hofe und verurteile die Torheiten seines Vaters Bardas. Er sei ein Mensch von überragendem Verstand und durchaus ein Parteigänger meiner und seiner, des Basileios, Politik.

»Diese guten Nachrichten werden wir feiern«, sagte ich. »Ich werde sofort Eilboten an Willigis senden und ihn nach Köln bitten.« Geht es nicht mit der Abtkapuze, dachte ich bei mir, so geht es gegen sie! Was ja noch lange nicht heißt, daß es für den Herzog Karl geht. A corsaire, corsaire et demi! Während Adalbero von Reims dem abgewiesenen Brautwerber Robert in der Kathedrale mit den schönen Glasfenstern die Königskapuze auf den sechzehnjährigen Schädel setzt, werden wir in Köln eine Überraschung für den Zangenpolitiker aushecken! Das Spiel kann beginnen!

 

Der Schnee fiel in dichten Schnüren. Der Abend sank schon auf die weißen Dächer. Der Herzog Karl von Niederlothringen ging mit schweren Schritten in dem Zimmer auf und nieder. Im Hofe warteten die Pferde. Er konnte sich nicht entschließen, nach den Bescheiden, die ich ihm gegeben hatte, aufzubrechen.

»Sie müssen begreifen, Herzog«, sagte ich ihm, »daß ich nicht anders handeln kann, als ich muß. Es gibt eine einzige Formel, auf die wir uns einigen können: Das ›Reich‹ weiß von nichts. Kämpfen Sie für Ihre vermeintlichen Ansprüche gegen Hugo Kapet, aber erwarten Sie niemals, daß die kaiserliche Regierung Sie stützt. Ich darf Ihnen keine deutschen Truppen zur Verfügung stellen. Ich muß – von Reichs wegen – Ihr Unternehmen – mißbilligen. Das heißt nicht, daß ich Ihnen persönlich nicht Geldmittel zur Verfügung stellen kann. Ich werde Hugo Kapet ganz sich selbst überlassen. Warten wir ab, wie sich die Dinge gestalten. Ich kann nur von Etappe zu Etappe Entscheidungen fällen.« – »Können Sie mir zum mindesten zusagen, daß das Herzogtum Niederlothringen meinem Sohne Otto erhalten bleibt?« – »Warum sollte es ihm nicht erhalten bleiben? Er hat sich mit dem König angefreundet und als ein tapferer, anständiger Knabe erwiesen.« – »Ich danke Ihnen, Majestät. So will ich mich damit bescheiden – und das übrige Gott überlassen. Ich kämpfe einen gerechten Kampf. Ich hoffe, Gott wird mir beistehen. Leben Sie wohl, und wachen Sie – wie seither – über meinem Sohn, an dem mein Leben hängt.«

Ich ging, als mich der Herzog verlassen hatte, in mein Schlafzimmer hinüber und trat vor das Bildnis der Theotokos: »Ich weiß es, Heilige Mutter, daß ich nicht in die verzweifeltste, aber in die schwerste Zeit meines Lebens eingetreten bin. Lasse mich nicht niedrig werden wie die Mittel, mit denen ich kämpfen muß! Es steht ein jeder gegen jeden und alle gegen alle ... Wem kann ich noch trauen von denen in Frankreich? Wessen Freundin könnte ich ehrlichen Herzens sein? Es wird nicht Frieden geben noch ein Wirken in die Weite, ehe ich nicht der ewigen Aufstörer Herr geworden bin. Ich will das Gute, auch wenn man mich zwingt, es durch das Böse zu tun. Im Lichte zu kämpfen ist die Schönheit eines Lebens: aber die Dunkeln zwingen mir den Kampf im Dunkel auf. Lasse nicht Gifte noch heimliche Dolche, noch seidne Stränge durch meine Hände gehen. Gib mir die göttliche Geduld, wie lange dieser Weg auch dauern möge. Ich gebe die Fahne nicht preis: nun, wo der äußerste aller Kämpfe beginnt.«

 

Schon im Januar 988 marschierte Karl von Niederlothringen in Frankreich ein und besetzte die Hauptstadt Laon. Die Königinwitwe Emma und ihr Freund, der Bischof Ascelin, wurden gefangengesetzt, Gerbert von Aurillac zu einer Besprechung in das herzogliche Hauptquartier gebeten. An mich selbst erging – sowohl von Karls als auch von Hugos Seite – die Bitte um eine Vermittlung. Was blieb mir übrig, als den Schein zu wahren? Ich schlug also – überzeugt von der Erfolglosigkeit meines Schrittes – vor, Hugo solle die Belagerung von Laon, die er sofort unternommen hatte, aufgeben, Karl aber Emma und Ascelin ausliefern. Hugo stimmte zu, überließ also dem Gegner Laon, Karl lehnte in herausfordernder Weise ab. Fühlte sich der Kapetinger so schwach, der Karolinger so stark? Nun unterbreitete mir Hugo den seltsamen Plan, ich möge mich mit seiner Gattin, der Königin Adelaide, in Stenay treffen, um eine Entscheidung herbeizuführen, die er – wie immer sie ausfalle – annehmen werde. Welche Entscheidung sollte ich treffen? Vielleicht Karl mit Reichstruppen aus Laon herausjagen, ihn des Ungehorsams zeihen, ihm sein Herzogtum abnehmen? Mich in diesen Handel verstricken lassen und ihn schließlich mit deutschem Gold und Blut bezahlen? Ich gab eine ausweichende Antwort: Es gehe um einen dynastischen Krieg, an dem das Reich unbeteiligt sei. Karl erhielt die gleiche Absage von dem Erzbischof Adalbero von Reims, dessen Beistand für seine »gerechte« Sache er erbeten hatte. Aber die Grafen Eudes de Chartres und Herbert de Troyes schlugen sich auf seine Seite. Die Summen, um die sie gekauft worden waren, mußten beträchtlich gewesen sein. Da es der Erzkanzler für ratsam hielt, daß das Reich der Welt gegenüber die Rolle des Großmütigen spiele, entbot ich den Herzog Karl und Gerbert von Aurillac auf den 8. April nach Ingelheim. Wenn ich die deutsche Diplomatie in aller Öffentlichkeit spielen ließ, konnte ich meine eignen Absichten besser verbergen. Es war ein widerwärtiger Anblick, den plumpen Herzog und den durchtriebenen Priester aufeinander losreden zu sehen. Grobheit und Verschlagenheit schufen eine Sprache, wie sie in Ingelheim kaum jemals gehört worden war. Meine Unbeteiligtheit brachte beide Partner in eine solche Verwirrung, daß sie sich schließlich, der eine fluchend, der andere beschwörend, aus dem Saale entfernten, um im Wandelgang des Binnengartens ihren Wortkampf fortzusetzen. Als sie nach einigen Tagen, jeder mit seinem Gefolge, auf getrennten Wegen abreisten, war auch nicht der Anschein einer Verständigung erreicht. Die Belagerung von Laon wurde von Hugo fortgesetzt. Im August erlitt er eine schwere Niederlage. Die Herzöge von Burgund und Normandie hielten sich abseits. Vielleicht warteten sie auf ihre Stunde wie ich auf die meine. Im Oktober versuchte Hugo eine neue Erstürmung seiner Hauptstadt. Er wurde abermals zurückgeschlagen ... Die Kaiserin Adelheid schrieb mir Brief auf Brief, ich möge mich doch wenigstens für die Befreiung ihrer Tochter Emma einsetzen. Ich tat es. Im Dezember gelang es, die Entlassung Emmas aus der Gefangenschaft zu erwirken. Karl von Niederlothringen hatte sich großmütig gezeigt, denn Emma hatte nicht wenig zur Entfremdung zwischen ihrem Schwager und ihrem verstorbenen Gatten beigetragen. Sie hatte gehetzt und gehetzt, weil Karl ihre Beziehung zu Ascelin, wie sie behauptete, in den Schmutz gezogen habe. Ich hatte mich niemals in diese Angelegenheit gehängt. Wenn Königinnen Bischöfe zu Freunden nehmen – oder Kanzler, die man zu Bischöfen macht –, so müssen sie sich im voraus überlegen, was sie tun. Ascelin selber war wohl der Schuldige, denn Menschen wie er und Karl mußten sich schon durch ihre Gegensätzlichkeit abstoßen. Ungeschliffenheit und Frechheit können nur schwer eine gemeinsame Sprache finden. Emma nahm ihren Wohnsitz in Dijon. Sie hatte kein fröhliches Leben geführt. Ihrem vereinsamten Alter blieb nur die Kirche als Trost. Denn daß sie auf Ascelin nicht mehr rechnen konnte, wußte sie wohl selbst. Ich ließ ihr durch Gerbert mitteilen, sie möge, sobald die Lage in Frankreich geklärt sei, von Zeit zu Zeit an den kaiserlichen Hof kommen. Ich liebte sie nicht, aber sie hatte sich nach König Lothars Tod für die deutsche Partei entschieden, und ich hätte es nur schwer ertragen, für undankbar zu gelten ... Fast gleichzeitig mit der Nachricht von ihrer Befreiung erreichte mich ein Brief Gerberts, in dem er mir mitteilte, daß es dem Erzbischof Adalbero gelungen sei, Ascelin die Flucht aus Laon zu ermöglichen. Ich hatte allen Grund, mich über diese Neuigkeit zu freuen. Denn nun mußte Karl von Niederlothringen mit einem Gegenspieler rechnen, der ihm die Hölle heiß machen konnte. Ich begann schon damals, in den ersten Tagen des Jahres 989, zu erwägen, wie ich den Entflohenen, der sich natürlich zu Hugo Kapet nach Senlis begeben hatte, in meine Politik einspannen könne, ohne mich nur des Goldes zu bedienen.

Ende Januar unterbreitete mir der König Konrad von Burgund einen neuen Friedensplan. Hugo Kapet schien für Reims zu fürchten. Ich lehnte abermals eine Beteiligung an einer Konferenz ab, indem ich darauf hinwies, daß ich mit römischen Fragen beschäftigt sei und im Spätsommer nach Italien reisen werde. Das war keine Ausrede. Denn ich hatte den Staatsvertrag mit Johannes Crescentius vorzubereiten, sowie Besprechungen über die Verbesserung der deutsch-byzantinischen und deutsch-russischen Handelsbeziehungen zu führen. Außerdem mußte ich die Erhebung des Bistums Piacenza zu einem Erzbistum durchsetzen, da ich Philagathós für die Neubesetzung in Aussicht genommen hatte und entschlossen war, meinen Willen gegen jeden Einspruch der Kaiserin Adelheid durchzudrücken. An einem Friedensschluß in Frankreich war mir nichts gelegen. Die Unordnung, die dort herrschte, kam mir sehr zustatten. Sie entsprach dem Ziele meiner Politik, die beiden Gegner sich gegenseitig vernichten zu lassen. Meine Heere standen an der Grenze. Die Stimmung der Truppen wurde durch häufige Urlaube aufrechterhalten. Die Ausbildung neuer Ersatzmannschaften machte überraschende Fortschritte. Die einzige Sorge, die mir aus Reims kam, war der schlechte Gesundheitszustand des Erzbischofs Adalbero. Sein Tod konnte mir schwere Entscheidungen aufzwingen und mich von einem Tage zum anderen mitten in den dynastischen Wirrwarr hineinziehen. Ich wußte, daß Adalbero Gerbert von Aurillac zu seinem Nachfolger designiert hatte. Diese Nachfolge wäre mir zweimal recht gewesen in einem friedlichen Frankreich, weil sie eine Fortführung der imperialen Politik in den Kreisen des gallischen Klerus bedeutet hätte. Sie mußte mir aber sehr unerwünscht sein in einem Augenblick, wo sie meinen geschicktesten Mitarbeiter in eine Stellung erhob, welche gefährliche Konflikte für ihn und für mich heraufbeschwören konnte. Hugo Kapet würde – so wie sich die Dinge gestaltet hatten – eine Fortsetzung der reichsfreundlichen Kirchenpolitik nicht mehr erlauben. Meine gleichgültige und hinzögernde Haltung in allen Fragen des Friedensschlusses mußte er als Feindschaft gegen sich, zum mindesten als Begünstigung Karls von Niederlothringen deuten. Ernannte er also Gerbert zum Erzbischof von Reims, so konnte es nur unter der Bedingung sein, daß dieser seine Beziehungen zum kaiserlichen Hof abbreche und kapetingische, das heißt nationalfranzösische Kirchenpolitik treibe. Nur die Furcht, von Gerbert an der Nase herumgeführt zu werden, konnte ihn davon abhalten, Adalberos Designation zu verwirklichen. Und auf diese Furcht allein konnte ich vielleicht rechnen.

Tatsächlich starb Adalbero am 23. Januar. Dieser Tod rüttelte mich aus dem Zustande des Zusehns und Abwartens auf. Wie noch immer wies mir die vollendete Tatsache den Weg, den ich zu gehen hatte. Gerbert mußte, mehr denn je, meinen Diensten erhalten bleiben, sei es auf deutscher, sei es auf französischer Seite. Ich hatte ihn schlecht behandelt. Ich hatte auf seine Lamentobriefe nicht geantwortet. Er hatte Grund, zu sagen, ich anerkenne nicht genügend die Dienste, die er seit Jahren dem Reiche geleistet habe. Doch, ich anerkannte sie, aber ich sprach nicht aus, daß ich dies tat. Denn ich wußte, daß ich Gerbert so lange »halten« würde (que je le »tiendrais«), als er mich brauchte, um voranzukommen. Er konnte mir also weit nützlicher sein, wenn er in Reims an zweiter Stelle verblieb, so wie seither, oder als eine Art »Verbindungsmann« zwischen Deutschland und Frankreich am kaiserlichen Hofe, oder auch als deutscher Legat bei der Kurie. Ich ließ Angebote in diesem Sinne an ihn ergehen, aber sie verloren ihre Bedeutung vor der erstaunlichen Erzbischofswahl, zu welcher sich Hugo Kapet entschied: Er ernannte Arnulf, jenen Bastard des Königs Lothar, zum Herren von Reims! Er hatte offenbar das Beispiel der niederlothringischen Herzogswahl vom Jahre 977 nachahmen wollen und nicht gemerkt, welche unbeschreibliche Dummheit er in seiner entliehenen Überschlauheit beging. Er gedachte Karolinger gegen Karolinger auszuspielen, sich in einem verluderten jungen Mann ein gefügiges Werkzeug für seine Pläne zu schaffen, mir eine auszuwischen, Gerbert bis aufs Blut zu demütigen, die Stellung Herzog Karls zu untergraben: und er merkte nicht, daß er sich die Laus in den Pelz gesetzt hatte. Die ganz Gescheiten wollten mir diese Wahl in die Schuhe schieben, sie als ein zwischen mir und Gerbert heimlich abgekartetes Teufelsspiel hinstellen: Sie übersahen, daß ich mir gerade in der Reimser Erzbischofswahl die Hände freihalten mußte, wenn ich nach zwei Seiten zugleich zuschlagen wollte. Ich konnte ja nicht – eines Tages – infolge persönlicher Verpflichtung verteidigen müssen, wen ich aus politischen Gründen bekämpfen mußte. Nein, ich war durchaus unbeteiligt an dieser stupiden Wahl. Ich hatte sie vorläufig stillschweigend hinzunehmen – und später für meine Zwecke auszubeuten. Ich rechnete – wenn auch auf anderer Basis – ähnlich wie bei Ascelin: Die Ehrgeizigen und Geldgierigen sind – genau wie die Schwachen und Unmündigen – allen Einflüssen zugänglich. Wozu hatte ich Gerbert? Gerbert verschmerzte rasch seine Enttäuschung, so bitter er die Übergehung seiner Person auch zunächst empfunden hatte. Denn er begriff, daß er mit dieser Strohpuppe von Erzbischof, der gutmütig und gesinnungslos war wie alle Menschen seiner Art, umgehen könne, wie er wolle. »Es bedarf also keiner Debatte mehr darüber, was Sie aus ihm machen werden«, sagte ich zu Gerbert, nachdem er mir einen bewunderungswürdig klugen Vortrag über die Lage gehalten hatte. »Sie werden ihn, indem Sie sich immer den Anschein geben, daß er der Handelnde und Sie der Gehorchende sind, einwickeln, umnebeln, und in kaiserliche Dienste spannen. Sie werden ihm beibringen, daß sein Oheim Karl ihn verachtet, daß die Treue zu Gott wichtiger ist als die Treue zum Blut – und daß Hugo Kapet in ihm nur ein williges Werkzeug sieht. Sie werden also – wenn auch in veränderter Form – die Rolle Adalberos durchzuführen haben. Sie werden diese Rolle mit doppelter Wirksamkeit spielen können, weil Sie unsichtbar, in den Kulissen, arbeiten. Unsichtbarkeit ist eine gewaltige Kraft.« Gerbert stand vor dem Kamin und starrte in die Flammen. Dieses Gesicht war gequält und heuchlerisch zugleich, halb Maske, halb Entfesselung. Ich schauderte bei dem Gedanken, diese schlaffe, formlose Unterlippe könne jemals nur mit einem Hauche die Spitzen meiner Finger berühren ... Ich spürte, daß Gerbert auf etwas wartete ... »Hochwürden«, sagte ich, »Sie machen mir Sorge. Sie sehen sehr blaß aus. Ihr Magenleiden schreibt sich in betrüblicher Sprache auf Ihre Züge. Eine Luftveränderung wird Ihnen guttun. Sie sind ernannter Reichsgraf und Abt von Bobbio in Italien. Sie haben einige Landsitze in Frankreich und Aquitanien. Ich möchte, daß Sie auch in Deutschland begütert seien. Ich werde Ihnen Sasbach am Westhange des Schwarzwaldes schenken. Ruhen Sie sich dort ein paar Wochen aus. Der Tannenduft wird Sie kräftigen – und Ihre Abwesenheit von Reims wird Hugo Kapet, sagen wir, beruhigen. Vielleicht sogar wird er in Ihrer Abreise den endgültigen Sieg über die imperialen Tendenzen des französischen Klerus sehen. Denn er ist, wie alle Verschlagenen, im Grunde dumm.« Es geschah nun, was immer in solchen Fällen geschieht: Gerbert sank ins Knie und berührte den Saum meines niederhängenden Ärmels mit seinen Lippen. Ich bat ihn, aufzustehen, während ich mich gegen die offne Tür wendete, durch die ein Tauwind von lösender Milde in den überhitzten Raum drang. Die Unterwürfigkeit der menschlichen Kreatur rief in mir – wo immer ich ihr begegnete – einen Zustand körperlicher Übelkeit hervor. Um wieviel mehr aber erst bei einem Manne, der als der größte Gelehrte des Abendlandes galt! Warum konnte dieser eitle Priester nicht die selbstbewußte und würdige Haltung eines Willigis haben, der ja auch kein Familienwappen aufzuweisen hatte? Warum mußte er kriechen, für Krethi und Plethi Briefe schreiben und in seiner proletarischen Überschätzung geistiger Fähigkeiten immer wieder übersehen, daß ein gewaltiger Unterschied ist zwischen dem selbstverständlichen politischen Prestige eines für seinen Rang einstehenden Feudalherren und dem persönlichen Geltungsbedürfnis eines (vielleicht genialen) Strebers, der durch keinerlei Blutbindungen an die »realen« Mächte seiner Zeit gefesselt ist, ja als »Autorität« sogar nur bei denen anerkannt wird, welche es für nötig befinden, sich seiner Fähigkeiten zu bedienen? Warum mußte er aus jeder Not eine Tugend machen und eine soeben erlittene Demütigung – nämlich seine Übergehung bei der Erzbischofswahl von Reims – sich schon nach wenig Wochen als »erzieherische Notwendigkeit«, wie er sich ausgedrückt hatte, auf dem Wege seines maßlosen Ehrgeizes auslegen? Warum war er so gold- und besitzgierig, daß er aus einer angeblichen »Undankbarkeit« sofort ein einträgliches Geschäft machen mußte? Woher kamen ihm, dem Kinde der Auvergne, diese levantinischen Züge? Nein, ich hatte keine Achtung vor seiner »Bildung«. Er war und blieb im Grunde seines Wesens ein Literat. Ich wußte, wie ich ihn einzuschätzen, wie hoch und wie tief ich ihm den Futterkorb zu hängen hatte. Niemals hätte ich ihn an meinem Hofe geduldet, wenn ich ihn nicht gebraucht hätte: Ich konnte mir, als Regentin, nicht lange Gedanken darüber machen, ob jemand, der meinen Zwecken diente, vornehm sei oder nicht ...

Es entsprach der Hinterhältigkeit Hugo Kapets, daß er bei mir anfragen ließ, ob ich mit der Ernennung Arnulfs einverstanden sei. Ich ließ ihm mitteilen, daß mich die Besetzung französischer Bischofssitze nichts angehe. Er hatte geglaubt, mich festlegen zu können. Denn er brauchte ja noch, sofern er es nicht auf einen Bruch mit Rom ankommen lassen wollte, die päpstliche Bestätigung seiner Wahl. Und bei der Kurie hatte ich allerdings noch ein Wort mitzureden, zumal der Papst ja der deutschen Faktion seine Erhebung verdankte. Schon hatte mich der Erzbischof Arnulf bitten lassen, mich bei dem Papste Johann XV. dafür zu verwenden, daß ihm das Pallium verliehen werde ... Er hatte sogar einen Besuch an meinem Hofe in Aussicht gestellt. Aber Hugo Kapet hatte ihm die Reise nach Deutschland verboten. Er glaubte, ich stütze Karl von Niederlothringen – und witterte Komplotte. Er schien also dem Treueide, den ihm Arnulf geschworen hatte, nicht zu trauen ... Vielleicht wußte er schon um geheime Verhandlungen zwischen Oheim und Bastardneffe, die auch mir damals noch unbekannt waren, obwohl sie Hugo von der Wetterau prophezeit hatte ...

Ich war eben mit den Vorbereitungen zu meiner Reise nach Rom beschäftigt, als jenes Ereignis eintrat, welches dieser Reise einen ganz neuen Sinn gab: Mitte August 989 lieferte der Erzbischof Arnulf die Stadt Reims an den Herzog Karl von Niederlothringen aus. Gerbert wurde gezwungen, die politische Partei der beiden Karolinger zu ergreifen. Erst als er dies in öffentlicher Rede getan hatte, wurde er in Freiheit gesetzt und die Beschlagnahme seiner Güter aufgehoben. Es lag auf der Hand, daß Karl durch diesen Gewaltstreich noch vor meiner Abreise ein »fait accompli« hatte schaffen wollen, das mich endgültig in die Bahnen seiner Politik zwingen sollte. Mein Besuch bei dem Papst wurde in gleicher Weise von ihm wie von Hugo Kapet gefürchtet.

Meine Lage war nun tatsächlich sehr schwierig geworden. Ich berief Hugo von der Wetterau, der einige Tage bei seiner Mutter auf Burg Usa verbrachte, nach Ingelheim, um seine Meinung zu hören. Willigis sprach sich für weiteres Zuwarten aus, Hugo für Absetzung Karls, Entbindung seiner Truppen von dem Fahneneid, Nichtanerkennung Arnulfs und Scheinkrieg gegen Karl, um im geeigneten Augenblick die Schwenkung gegen den französischen König zu unternehmen. »Dieser Plan«, sagte ich, »ließe sich hören, wenn die römischen Angelegenheiten schon unter Dach und Fach wären. Da dies nicht der Fall ist, kann von der Ausführung Ihrer Vorschläge keine Rede sein. Ich kann nicht das Reich in Händel, das heißt – im gegenwärtigen Augenblick – in schwere Kriege mit Frankreich verwickeln, ehe ich der Haltung des Patricius Crescentius und des Papstes sicher bin. Ich kann nicht einen deutschen Reichsfürsten vor der Öffentlichkeit desavouieren, der sich noch nicht gegen den ausdrücklichen Befehl des Reiches des französischen Thrones bemächtigt hat – und ich kann nicht einem Erzbischof die Anerkennung verweigern, der vor wenig Wochen – durch meine Vermittlung – vom Papste das Pallium, also die Bestätigung, erhalten hat. Ich kann auch nicht heimlich Hugo Kapet stützen, da ich nicht weiß, ob er in der Lage sein wird, Laon und Reims zurückzuerobern. Zu dieser Rückeroberung aber kann ich ihm vollends nicht verhelfen, weil er sie mir mit gröbstem Undank lohnen würde. Auch würde das deutsche Prestige eine solche Politik nicht vertragen. Ich könnte – im äußersten Falle – Karl stützen. Aber dann gäbe ich ja meine eigne Politik preis, welche den Kampf Hugo-Karl als eine innerfranzösische Angelegenheit proklamiert hat, und hetzte mir vielleicht die gesamte französische Feudalität auf den Hals. Denn wenn es hart auf hart ginge, würde sich diese doch sehr wahrscheinlich für den von ihr selbst gewählten König einsetzen. Bräche dann ein allgemeiner Krieg Deutschland-Frankreich aus, in welchem Karl von Niederlothringen auf unserer Seite kämpfte, so wäre es, bei einem deutschen Sieg, eine fast unlösbare Aufgabe, Karl zu opfern, bei einer deutschen Niederlage aber wäre Lothringen verloren. Es bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als die neue Geduldsprobe, welche der Erzkanzler vorschlägt, auszuhalten. Karl und Hugo müssen sich aneinander aufreiben. Einer von beiden muß zuerst die Dummheit gemacht haben, welche dem Reich vor der Welt den unzweideutigen Grund zum Eingreifen gibt. Die Dummheit Karls wäre, gegen den Befehl des Reiches sich zum König von Frankreich zu proklamieren, die Dummheit Hugos aber – und hier sehe ich einen Weg – gegen den Willen der Kurie einen ›landesverräterischen‹ Erzbischof abzusetzen. In diesem Falle könnte die Kurie eingreifen, und zwar mit Bann und Interdikt gegen König Hugo und sein Land. Was das heißt, wissen Sie. Das Reich könnte dann, ohne an Karls Hilfe zu appellieren noch dessen Ansprüche zu sanktionieren, unmittelbar gegen Frankreich losschlagen, da Reichsinteressen durch Verletzung päpstlicher Vorrechte geschädigt sind, und bestimmt zu einem Siege über ein Volk kommen, das aus Angst und Verwirrung einem gebannten König die Gefolgschaft verweigern würde. Wo keine Glocke mehr geläutet, kein Kind mehr getauft, keine Ehe mehr gesegnet, kein Toter mehr christlich bestattet, keine Absolution mehr erteilt wird: da gibt es keine Soldaten mehr. Und fügte sich Karl von Niederlothringen dann immer noch nicht dem an ihn ergangenen Befehl des Verzichtes auf die französische Krone, so wäre es wohl ein leichtes, ihm durch die Kurie das gleiche Schicksal bereiten zu lassen wie seinem Vetter Hugo Kapet. Von Reichs wegen ... Vielleicht aber läßt sich Karl auf noch eine andere Art und Weise, sagen wir, ausschalten. Doch darüber ist jetzt noch nicht zu sprechen. Jetzt hat zu geschehen erstens: daß unsere Truppen im Westen verdoppelt werden. Das ist Ihre nächste Aufgabe, Graf Hugo. Sodann: daß ich so rasch wie möglich nach Rom reise.« – »Und wie gedenken Eure Majestät den Papst für Ihre Pläne zu gewinnen?« fragte Willigis ... »Für meine ›Pläne‹? Von meinen Plänen wird dieser Papst gar nichts erfahren. Ich werde ihm nur das Gespenst einer klerikalen Sezession Frankreichs vor Augen führen: die von Rom losgelöste französische Nationalkirche! Das wird ihm genügen, um seine Haltung festzulegen. Und ich werde dieses Gespenst aus einer eisernen Truhe voll von Byzantinern und Edelsteinen aufsteigen lassen. Ich nehme an, Erzkanzler, wir sind einig.«

Willigis verneigte sich. Das hieß nicht: ja. Aber es hieß auch nicht: nein. Und dies war das Entscheidende.

Als er sich verabschiedet hatte, ging ich mit Hugo von der Wetterau in den Garten über dem Rhein. Die Nacht war bedeckt und schwül. Wir setzten uns in eine abgelegene Geißblattlaube.

»Sie wissen«, sagte ich zu ihm, »daß jetzt Ihre schwerste Aufgabe beginnt: Sie müssen – für das Reich – zum infamsten Lügner werden, den man sich denken kann. Glauben Sie, daß Sie dazu fähig sind?« – »Für das Reich, ja!« – »Und wenn ich gesagt hätte: für mich?« – »Eure Majestät verkörpern das Reich.« – »Ich danke Ihnen, Hugo. Sie haben viel gelernt. Aber vergessen Sie nicht: Ich habe nur gesagt: für das Reich! Also hören Sie: Sie werden in einigen Tagen, ebenfalls mit einer Kiste voll Gold, zu dem Herzog Karl von Niederlothringen reisen. Sie werden ihm schöne Grüße bestellen und ihm sagen, es sei, um Hugo Kapets Absichten genau zu ergründen, notwendig, daß Gerbert an den Hof nach Senlis zu ›seinem‹ König zurückkehre. Gerbert werden Sie nahelegen, sich mit Ascelin in enger Verbindung zu halten und seine Aussöhnung zwischen diesem und dem Erzbischof Arnulf anzubahnen, der ja sein Diözesanherr sei. Dieser Aussöhnung könne ja dann vielleicht – verstehen Sie? vielleicht – diejenige zwischen dem König Hugo und dem Herzog Karl nachfolgen. Der König möge sich – peu à peu – versöhnlich zeigen. Gerbert wird verstehen, Ascelin wird verstehen, Hugo Kapet wird verstehen. Der Karolinger und der karolingische Bastard werden zu verstehen glauben. Briefe gebe ich Ihnen nicht mit. Aber für Gerbert, als Beweis der Ernsthaftigkeit meiner Absicht, einen meiner Siegelringe. Alles liegt jetzt bei Gerbert. Sie werden ihm sagen, es gebe Erzbistümer. Sonst nichts. Ascelin werden Sie sagen, so nebenbei, ich werde nicht nur Piacenza zum Erzbistum erheben. Sonst nichts. Vor König Hugo werden Sie die Bemerkung fallen lassen, eine Kaiserin könne – nach außen – nicht immer, wie sie wolle. Wenn ich aus Rom zurück sei, hoffe ich, eine Konferenz zwischen ihm, Konrad von Burgund, Karl von Niederlothringen, Beatrix von Oberlothringen und mir selbst in einem Ort an der deutsch-französischen Grenze einzuberufen. Die deutschen Herzöge wünschten Frieden mit Frankreich. Alles hänge nun von seiner bekannten Umsicht und Geduld ab ... Glauben Sie, daß Sie diese Ihnen zugedachte Mission erfüllen können?« – »Ich habe Schwereres in mir selbst vollbracht, Majestät.« – »Dann gehen Sie mit dem Segen des Reiches. Seien Sie bald zurück. Wir werden vor meiner Abreise noch manches zu bereden haben. Ich weiß nicht, ob gelingt, was ich plane. Wichtig ist, daß alle – außer Gerbert – den Eindruck erhalten, ich erachte meine Position als schwierig und sei zu Zugeständnissen bereit. In Wirklichkeit, Hugo, fühle ich mich stark wie je – und zu allem fähig, sobald ich in Rom – ›gearbeitet‹ habe! Die neuen Truppen bleiben vorläufig hinter dem Rhein. Aber sorgen Sie mir dafür, daß Kähne für mindestens fünf Schiffsbrücken bereit liegen. Sollte etwas durchsickern, so sagen Sie, daß man Kunde von neuen Wikingerplänen an den Flußmündungen habe.«

Ich blieb noch lange wach in dieser Nacht, deren Qual mich an die Nacht des 28. Februar 984 in Pavia gemahnte. Ich saß auf der Fensterbank meines Schlafzimmers und lauschte in das leise Strömen des Rheines. Karl von Niederlothringen! Abenteurer, der sich am Reiche verging! Theophano! Kaiserin der Schwäche! Was ließ ich nicht – von Reiches wegen – einen Trank mischen, von dem man nicht mehr aufsteht? Warum nicht eine Damaszener Klinge schleifen, der kein Kettenhemd widersteht? ... Karl von Niederlothringen: ein Auswurf, nie gewesen – auf den großen Schindanger der Reichsverräter geworfen ... Ich fuhr zusammen, fror das Rückenmark hinunter, schlug mit den Zähnen aufeinander ... Theophano Skleros: Mörderin! »Wer da Rache sagt zu seinem Bruder« ... Das Wasser lief mir eiskalt von der Stirne ... Ich wischte es ab mit der Seide meines Ärmels, schleppte mich vor die Ikone der Theotokos, ließ mich in die Knie fallen, daß sie schmerzten, nahm eine Kerze und machte mir ein Brandmal am Arm, um zur Besinnung zu kommen: »Verlasse mich nicht, Ewige, verlasse mich nicht ... Mein Geist sinkt in Nacht, mein Herz in Nesseln ... Verlasse mich nicht: um meines Sohnes willen, den du mir gabst: Verlasse nicht deine erbärmliche Kreatur, die nur noch in der Lüge wirken kann ... O Qual des Kaisertums, o Qual des Purpurs! Theotokos, verlasse mich nicht!«

Um die Morgenfrühe fanden sie mich ohnmächtig mit einer Brandwunde am Arm und mit Händen, die sich im Gebet an den Ringen blutig gewunden hatten.

 

Als Hugo von der Wetterau mich Ende Oktober in Konstanz traf, konnte er mir berichten, daß es Gerbert schon Ende September gelungen sei, nach Senlis, an den Hof des Königs Hugo Kapet, zurückzukehren. Karl von Niederlothringen, gutmütig-dumm und die politischen Nachwirkungen seiner militärischen Erfolge überschätzend, hatte sich wie ein Schuljunge beschwätzen lassen.

»Und welche Eindrücke hatten Sie selbst am Hofe des Kapetingers?« fragte ich Hugo. »Gar keine, Majestät. Denn ich war nicht dort.« – »Was? Sie haben meine Befehle nicht ausgeführt?« – »Nein. Diese Befehle hatten keinen Sinn, Majestät. Sie waren dem Zustande einer außergewöhnlichen Erregung entsprungen und hatten der französischen Lage nicht genügend Rechnung getragen. Da Sie mich zum ›Sonderbevollmächtigten‹ für alle französischen Fragen ernannt haben, muß ich aus eigner Vollmacht handeln, wenn die Umstände dies verlangen. Ich hätte die kaiserliche Regierung kompromittiert, wenn ich zu König Hugo gegangen wäre. Lassen Sie sich sagen, Majestät, daß der Kapetinger zittert vor dem Reich. Denn seine Lage ist jammervoll. Die Herzöge rühren sich nicht für ihn. Es wird nach Ihrer Rückkehr aus Rom eine Kleinigkeit sein, ihn aus dem Sattel zu werfen, wenn sich nun endlich eine Seele findet, die den Mut hat, zuzuschlagen. Die Soldaten, welche in Niederlothringen stehen, warten nur darauf. Der Graf Jozelin de Chèvremont tut das seine, sie in guter Verfassung zu halten. Und ich werde, was die neuen Truppen betrifft, das gleiche tun. Auf den Niederlothringer braucht nicht die geringste Rücksicht genommen zu werden. Wir sind so stark, daß wir Hugo in zwei Wochen überrennen können. Dem Herzog Karl wird befohlen, sich in seinen jetzigen Stellungen zu halten. Ist Hugo erledigt, so wird ihm das Ultimatum gestellt: sofortige Übergabe von Laon und Reims an Deutschland oder Verlust seines Herzogtumes Niederlothringen, auch für seinen Sohn. Sie werden sehen, daß er gehorcht. Schon zu Weihnachten könnte die französische Königskrone Ihrem Sohne gehören. Die Intrigenpolitik, für welche Sie sich jetzt entschieden haben, verspielt die beste Chance. Ich will an diesem Fehler nicht beteiligt sein, ich kann ihn nicht verantworten – Ihnen gegenüber. Es gibt für mich jetzt keine Wahl mehr. Entweder ich werde angehört – die ganze Armee steht hinter mir –, oder ich muß Sie um meine Entlassung bitten.«

Ich glaubte, geträumt zu haben ... Diese Sprache aus dem Munde Hugos von der Wetterau? Was hatte das zu bedeuten? »Sie wollen mich also in dem Augenblick im Stich lassen, wo ich mich anschicke, den entscheidendsten aller Gänge anzutreten?« – »Nein, Majestät. Ich will Sie vor einer Politik bewahren, welche Ihrem Sohne solche Kanaillen wie den Bischof Ascelin und den Grafen Eudes de Chartres, der schon für Sie im Spiele sein soll, als Erbe hinterläßt. Gerbert genügt als Zugabe. Dieser Mann ist genauso gesinnungslos wie die beiden anderen. Er versteht es nur besser, seine Gesinnungslosigkeit zu verbrämen. Wir haben das saubere Mittel des berechtigten Krieges. Der Sieg ist sicher. Ich weiß nicht, warum wir uns seiner nicht bedienen. Sie haben mir neulich vor dem Erzkanzler zugestanden, daß ich ›recht habe‹. Was immer Sie tun, Sie werden um den Krieg gegen Hugo Kapet nicht herumkommen. Es ist besser, ihn jetzt zu führen, wo Hugo halb erledigt ist, als, ich weiß nicht wann, wo er Hekatomben kosten wird. Ich muß Ihnen, da wir im Gespräch sind, noch etwas sagen: Alle Staatskunst des Kanzlers Willigis in Ehren: sie ist mir zu sehr an die Kurie gebunden. Er überschätzt die Kurie. Wäre es nicht der Schaden des Reiches, so möchte ich geradezu wünschen, daß sich die Franzosen vom Papste lösen, eine Nationalkirche gründen und der Welt den Beweis geben, daß man auch ohne die Kurie christlich leben kann. Wenn Deutschland, durch Überwindung des französischen Königtums, die Grundlinie West-Ost zu schaffen imstande ist, kann es auf Rom, mit samt dem Papste, pfeifen. Dann müssen diese beiden parieren, ob sie wollen oder nicht. Und die Welt ist auf hundert Jahre in Ordnung. Diese Politik des Zuwartens und Versteckspielens aber ist verhängnisvoll und dem deutschen Geiste fremd. Wenn Sie morgen den Befehl geben, Flandern zu besetzen und über Péronne, St. Quentin, Compiègne nach Senlis zu marschieren, ist Hugo geliefert.« – »Sie meinen also, ich solle meine Pläne über den Haufen werfen, die Italienreise aufgeben und ›Ihren‹ Krieg führen?« – »Nein, ›Ihren‹, Majestät ... Und dann nach Italien gehen, um dem Papste Ihre Bedingungen zu stellen: fort mit diesem Erzbischof Arnulf von Reims, den Bischof Arnulf von Orléans an die Kandare, die Laienabteien Hugo Kapets aufgehoben, Ascelin von Laon zweimal an die Kandare und das Herzogtum Franzien an Hugos Sohn, Robert, der ja ein halber Pfaffe ist. Dies ist heute, nach einem raschen Siege, möglich. Nach einem Jahre wahrscheinlich nicht mehr!« – »Warum nicht?« – »Weil dann entweder Karl gesiegt hat oder Hugo aufrüsten konnte, und außerdem der Kampfeifer unserer Truppen vielleicht nicht mehr der gleiche ist.«

Ich ging lange im Zimmer auf und nieder. Hugo stand am Fenster und schaute in das bunte Laub der Ahornbäume, die vom Hofe bis zum Palas hinaufstrebten ...

»Nein, Hugo, wie immer ich auch die Lage durchdenke: zu ändern ist da nichts mehr ... Wenn Sie durchaus nicht mehr die Hände in den französischen Angelegenheiten haben wollen, so will ich Sie Ihres Amtes entheben.« – »Ich bitte darum, Majestät. Dieses Amt ist überflüssig, seit es – Gerbert von Aurillac übernommen hat. Bei dem ist es in den richtigen Händen. Ich habe mir erlaubt, dieser gelben Kreuzspinne zu sagen, es gäbe ja auch eine – Tiara! Die immer trockne Unterlippe ist ihm feucht geworden.«

Ich lächelte: »Lieber Hugo, unaussprechlich lieber Hugo ... Wollen Sie nicht mit nach Rom kommen?« – »Eure Majestät scherzen. Ich denke, ich habe in Deutschland die Augen offen zu halten. Ernennen Sie mich zu Ihrem Sonderbevollmächtigten für Deutschland! Dann werden Sie in Rom ruhig schlafen können.« – »Nein, Hugo, dazu werde ich Sie nicht ernennen. Ich habe keine Lust, mich mit Willigis zu verfeinden, der immerhin von den Dingen des Staates noch etwas mehr versteht als Sie. Halten Sie gemeinsam mit ihm die Augen offen – und machen Sie ihm Ihre Ideen klar. Ich bleibe nicht lange in Italien. Vielleicht können wir im Frühjahr losschlagen. Es wäre mir lieb, wenn Sie den König im Winter ein paar Wochen zu Ihrer Mutter gäben. Es braucht niemand zu wissen, wer er ist. Lassen Sie ihn unter dem Namen eines Grafen von Chiavenna bei sich wohnen. Er soll mit den Dorfkindern spielen, Schlitten fahren, eislaufen. Die kalte Luft wird ihm guttun. Der Graf Hoiko und Michaël von Massafra sollen bei ihm sein.« – »Michaël von Massafra?« – »Ja, für das Griechische, da Philagathós mit mir nach Italien fährt, um sein Erzbistum anzutreten. Sind Sie Michaël unfreundlich gesinnt?« – »Im Gegenteil, Majestät. Aber ich möchte ihn nicht in meinem Hause haben. Er ist der Träger einer sehr fernen Erinnerung, welche ich heute noch nicht überwunden habe. Ich muß die Vergangenheiten, auch die freundlichsten, ausschalten, wenn ich der Gegenwart und der Zukunft leben soll. Ich bin siebenunddreißig Jahre alt. Der König neun.« – »Müssen Sie auch den Tag vergessen, als ich mit Ihnen in der Wetterau unter einem Vogelbeerbaum am Wegrand saß? Als die Äpfel von den Bäumen in das warme Gras fielen und der Duft der wilden Birnen, die um uns her lagen, zu uns herüberschlug?« – »Nein, Theophano, diesen Tag muß ich nicht vergessen. Denn er ist unvollendet geblieben. Und nur das Unvollendete ist unser Leben.«

Ich ging auf Hugo zu (ich fühlte: ich mußte auf ihn zugehen), nahm seine Schläfen in meine Hände, welche zitterten, als ob sie an die Schläfen der Theotokos selbst rührten, und legte meine Lippen auf seinen traurigen Mund: »Hüten wir dieses Unvollendete, Hugo. Ich weiß, daß ich nur von ihm noch lebe. Von ihm – und von jenem zweiten Unvollendeten, welches heißt: der Sohn – und von jenem dritten, dessen Name ist: das Reich.«

Dann gingen wir lange auf der südlichen Terrasse, deren bunte Blätter langsam im blauen Winde fielen, eines nach dem anderen – indessen der Abend auf die Firnen über dem Bodensee sank.

 

Die Kaiserin Adelheid empfing mich in Pavia in einer so verletzenden Art, daß ich meine Absicht, mich mit ihr in Freundschaft über die Frage des Erzbistums Piacenza auszusprechen, aufgab, zumal ich die Zustimmung des Papstes längst in Händen hielt. Ich lud sie zu einer »Besprechung italischer Reichsangelegenheiten« in die kaiserliche Residenz ein. Als sie nicht erschien, ließ ich ihr durch Leo Akritas mitteilen, daß sie die Folgen ihrer »Selbstausschaltung« tragen müsse. Piacenza werde durch Reichsbeschluß, der vor Landesbeschluß gelte, aus der erzbischöflichen Obergewalt Ravennas gelöst, zum Erzbistum erhoben und Philagathós anvertraut. Sie möge sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß die Reichsverweserschaft Italiens in die Hände eines jüngeren, den Geist und die Bedürfnisse der Zeit besser verstehenden Mannes übergehen werde, sofern ich nur noch zwei Jahre am Leben bliebe. Sie möge sich einen ihrer vielen Witwensitze herrichten lassen. Für die unsinnigen Summen, die sie wieder der Kirche (und Cluny) habe zukommen lassen, werde diesmal das Reich nicht aufkommen. Es brauche sein Geld für andere Zwecke. Ich stände ihr in Rom zu Verfügung. Die königliche Residenz in Pavia werde mich niemals mehr sehen, ehe dort nicht der Mann meiner Wahl regiere. Ich dachte natürlich an Hugo von der Wetterau, dem ich schon lange den Titel eines Herzogs verleihen wollte, aber ich verschwieg den Namen. Ich war am Ende mit dieser Frau. Und ich war mir klar darüber, daß ich auch einen Einspruch des Erzkanzlers Willigis in dieser Angelegenheit zurückweisen würde.

 

In Rom fand ich offne Tore und offne Herzen. Der Vertrag mit dem Patricius Crescentius war nach drei Tagen in Ordnung gebracht und unterzeichnet: Crescentius übte die weltliche Macht über die Stadt als Vertreter des Volkes und Senates aus, also nicht als selbständiger Fürst. Senat und Volk verpflichteten sich durch Eid in meine Hand zur Anerkennung aller Hoheitsrechte des jungen Königs Otto III. Diese Abmachungen wurden durch ein Abendessen besiegelt, das ich allen weltlichen Behörden der Stadt am 30. November in der kaiserlichen Residenz bei St. Peter gab. Weder der Papst noch der Herzog von Tuskien, noch irgendeiner der süditalischen Fürsten nahmen an dieser Veranstaltung teil. Ich wollte den Römern beweisen, daß es zwischen ihnen und mir keiner Mittlerschaften bedürfe. Die Wirkung meines Verhaltens war außergewöhnlich. Das Fest, das mir der Patricius am 4. Dezember gab, war wohl das glanzvollste, welches Rom seit Jahrzehnten gesehen hatte. Ich sagte in einem kurzen Trinkspruch, daß das Reich niemals daran gedacht habe, der besonderen Art der Römer nicht Rechnung zu tragen. Es glaube – eben deswegen – annehmen zu dürfen, daß die Römer den ungeheuren Vorteil begriffen, den ihnen ein friedliches Verhältnis zum Reich gewähre. Wenn man die unbelehrbaren Störenfriede fernhalte und von abendländischem Denken Zeugnis ablege, dann erscheine die enge Bindung Rom-Deutschland als eine Selbstverständlichkeit. Ich habe absichtlich keine deutschen Staatsmänner mitgebracht, kaum eine militärische Garde, da es die Römer selbst wohl für eine Ehrensache hielten, einer Frau den gebührenden Schutz zu gewähren. Bei diesen Worten tobte der Beifall durch den Saal. Ich dankte und endete: Ich sei nicht gekommen, um Reden zu halten, sondern um mich mit den römischen Freunden zu freuen. Man möge mit Musik und Tanz beginnen ...

 

Am nächsten Tag kamen die byzantinischen Gesandten zu Wort. Der Basileus schrieb mir, daß er mit russischer Hilfe der Phokas-Anhänger Herr geworden und Kalokyros Delphinos, einen der wildesten Rebellen, habe hängen lassen. Bardas Phokas selbst sei an einem Schlaganfall gestorben, sämtliche Mitglieder der Familie Skleros aber hätten sich mit dem kaiserlichen Hofe ausgesöhnt. Ich konnte mir keine günstigere Nachricht wünschen. Ein falscher Dynastentraum war ausgeträumt und Basileios II. als Autokrator anerkannt.

Die Handelsverträge, welche schon von Willigis und Niketas vorbereitet worden waren, konnten in Worte gefaßt und mir zur Durchsicht unterbreitet werden. Es hatte mit ihnen keine allzu große Eile. Ich zog ihre Ausfertigung absichtlich in die Länge, weil mir die Anwesenheit des Niketas für die Zeit der bevorstehenden Besprechungen mit dem Papste von Wichtigkeit war. Ich konnte ihn – als byzantinischen Staatsangehörigen – natürlich nicht zuziehen. Aber ich konnte mich in der Freundschaft, die mich mit ihm seit den Tagen der Kindheit verband, entspannen und erfrischen. Denn ich wußte, daß ich nun ein sehr hohes Spiel zu spielen hatte – vielleicht das entscheidendste meines Lebens. Die vorbereitenden Gespräche begannen am 10. Dezember und endeten am 15. Sie fanden im Lateran statt und wurden für die Kurie durch den päpstlichen Staatssekretär, für das Reich durch den Erzbischof Johannes von Ravenna geführt, welchem ich den Verzicht auf Piacenza durch den Beweis eines besonderen Vertrauens erleichtern wollte.

Meine eigne Unterhaltung mit dem Papst aber fand erst am 18. Dezember statt, in dem kaiserlichen Palaste bei St. Peter. Ich mußte mir für dieses Gespräch eine ›diplomatische‹ Krankheit zulegen. Niketas hatte am Tage vorher Johann XV. seine Aufwartung gemacht und – auf meine Bitte hin – im Laufe der Unterredung die Bemerkung fallen lassen, daß Byzanz nach wie vor der Kurie seine besondere Beachtung schenke. Er habe keine Aufträge von Basileios II., sei aber angewiesen worden, dem Heiligen Vater die kaiserlichen Grüße und Ergebenheitsbezeugungen zu übermitteln. Zwischen dem Basileus und Seiner Heiligkeit könne hoffentlich – nach der nunmehr erfolgten Beendigung der Feudalkämpfe – bald ein reger und segensreicher Austausch stattfinden.

Die Unterredung hatte kaum zehn Minuten gedauert: Niketas hatte den Papst in jener Betroffenheit zurückgelassen, welche ihn für das Gespräch mit mir reif machen sollte. Mir stand die Lösung einer schweren Aufgabe bevor: Ich mußte diesem unerfreulichen Manne klarmachen, daß er – wie noch nie zuvor ein Statthalter Petri – auf das Reich angewiesen sei, während in Wirklichkeit das Gegenteil der Fall war.

Ich ließ ihn gar nicht zu Wort kommen, als er das Zimmer betrat: »Ich bin unglücklich, Heiliger Vater, an das Bett gefesselt zu sein. Ich hätte unsere Unterredung gerne um einen Tag verschoben, aber sie duldet keinen Aufschub, sie erfolgt fast schon zu spät. Die Lage der Kurie ist sehr ernst, Heiliger Vater. Ich sage sogar, sie ist einer Katastrophe nahe. Ich dachte nicht, als im Frühjahr der Plan zu dieser Reise entworfen wurde, daß ich ein solches Gespräch mit Ihnen führen müsse. Ich konnte nicht ahnen, wie sich die Dinge in Frankreich entwickeln würden! Heiliger Vater, erschrecken Sie nicht allzusehr: Frankreich ist im Begriffe, sich von der Kurie loszusagen und eine nationale Kirche zu gründen! Sie haben natürlich schon durch Gerüchte von solchen Plänen gehört. Sie haben ja auch schließlich Ihre Emissäre und Agenten. Aber Sie werden mir nicht abstreiten, daß ich besser unterrichtet bin! Die separatistische Bewegung ist hundertmal weiter in den Seelen fortgeschritten, als wir alle ahnen! Der Bischof von Orléans ist schon der ungekrönte Papst von Frankreich. Das darf nicht so bleiben. Sie müssen aus der schlimmen Lage befreit werden, in der Sie sind ... Bitte, unterbrechen Sie mich nicht. Lassen Sie mich im Zusammenhang reden. Ich habe gar nichts mit Ihnen zu ›besprechen‹: ich habe Ihnen Gold vom Reiche zur Verfügung zu stellen und die Beschlüsse meiner Regierung mitzuteilen. Unter dem Ehrenwort der Verschwiegenheit! Denn wenn von unseren Abmachungen – durch Ihre Schuld – nur das Geringste durchsickerte, so sähe sich das Reich zu einer Politik gezwungen, welche einem Aufruhr gegen die Überlieferung der Jahrhunderte gleichkäme. Sie wissen, daß die Zustände, wie sie im Lateran oft genug während der letzten siebzig Jahre geherrscht haben, nicht nur in Frankreich, sondern auch in weiten Kreisen Deutschlands eine heftige Feindschaft gegen die Kurie hervorgerufen haben! Zu Recht erregte Menschen machen keine Unterschiede mehr. Sie sagen: dieser Schweinepapst – und vergessen, daß sie damit nicht nur diejenigen Päpste treffen, welche eine solche Bezeichnung verdienen, sondern auch die guten, die frommen, die echten ›Seelenhirten‹, welche als Unschuldige mit den Schuldigen leiden müssen! Seien Sie sich immer klar darüber, daß das fröhliche Ende des Papstes Johannes' XII., dem ein betrogener Bauer im Ehebett der Bäuerin mit der Axt den Schädel eintrieb, heute noch den Stoff zu allerhand Kanzonen abgibt – und übersehen Sie vor allem nicht, was ein Verbrecher wie Bonifatius VII.- alias Franco di Ferruccio – dem Prestige der Kurie geschadet hat! Ein Doppelmörder an zwei Berufsgenossen, wenn ich so sagen darf, als Statthalter Petri, sive Christi: das ist eine Sache für sich! Ich könnte Ihnen zehn Couplets hersagen, die man auf diesen ›süßen Engelmacher‹ in den deutschen und französischen Kasernen singt! Kurz und gut: Wenn nun der französischen Kirche die Loslösung von Rom gelänge, wer gäbe uns die Gewißheit, daß dann nicht eine solche, sehr volkstümliche, Bewegung – Sie wissen, daß ›Volk‹ sich immer von etwas ›loslösen‹ will – auch bei uns in Deutschland wie ein Sturmwind durch die Lande liefe, dem selbst die kaiserliche Macht Rechnung tragen müßte? Zumal wenn die Vereinigung der beiden Bewegungen vielleicht einen erneuten politischen Zusammenschluß Frankreichs und Deutschlands im Sinne des Großen Karl ermöglichte – unter Verzicht auf Rom, nicht auf Italien? Ich will Ihnen nicht Angst machen, Heiliger Vater. Noch regiere ich ja im Reich! Und eben deswegen müssen Beschlüsse gefaßt werden: lieber drei Jahre zu früh als eine Stunde zu spät! Also hören Sie: Gott hat uns eine wunderbare Handhabe gegeben: den Erzbischof Arnulf von Reims. Er ist von dem König Hugo Kapet ernannt und von Eurer Heiligkeit bestätigt worden. Er hat mit dem Feinde seines Königs gemeinsame Sache gemacht – und dadurch den geschworenen Treueeid gebrochen. Er ist also – daran kann kein Zweifel aufkommen – ein seines Amtes unwürdiger Erzbischof. Der König Hugo hat das Recht, ihn nicht mehr anzuerkennen. Aber er hat nicht etwa das Recht, ihn abzusetzen. Dieses Recht hat nur – die Kurie. Wünscht also Hugo die Entfernung dieses Verräters, so hat er bei dem Papst auf Amtsenthebung des Schuldigen zu klagen. Handelt er eigenmächtig, so gerät er in offnen Konflikt mit der Kurie: das heißt solange ich regiere, mit dem Reich. Eure Heiligkeit sehen, daß ich gesonnen bin, die ottonische Politik mit allen Verpflichtungen, die sie mir auferlegt, durchzuführen. Ich meine: ich werde die Rechte der Kurie sogar durch eine Kriegserklärung an Frankreich verteidigen, wenn dies sein müßte. Ich hoffe, Sie sind sich darüber klar, was es für Sie bedeutet, über eine solche Rückendeckung zu verfügen. Diese Rückendeckung aber wirkt sich für Sie auch nach der karolingischen Seite aus: Nehmen wir einmal an, in dem dynastischen Konflikte, welcher zwischen Karl von Niederlothringen und Hugo Kapet ausgebrochen ist, bliebe Karl – also der Karolinger – Sieger: nun, auch in einem solchen Falle könnte die Kurie – müßte die Kurie – aus Prestigegründen eingreifen. Denn ein eidbrüchiger Erzbischof ist für sie genausowenig tragbar wie das eigenmächtige Handeln eines Laienfürsten. Sie kann also – je nach der Notwendigkeit – den ›Fall Arnulf‹ von dieser oder von jener Seite aufrollen, indem sie ganz einfach auf der Suprematie des universalen kanonischen Rechtes besteht. Tut sie dies mit der Entschiedenheit, welche ihr der Schutz durch das Reich erlaubt, so erweist sie sich als diejenige Weltmacht, welche das Reich wünscht, daß sie sei. Ich habe Sie, da ich gerade in Rom bin, zu dieser Unterredung gebeten, um Sie – in Ihrer schlimmen Lage – der Stützung des Reiches zu versichern. Ich erachte es natürlich für eine Selbstverständlichkeit, daß Sie keine Schritte unternehmen, ohne sich zuvor mit meiner Regierung in Verbindung gesetzt zu haben. Das Reich wünscht nicht, vor ein von der Kurie geschaffenes ›fait accompli‹ gestellt zu werden. Denn es muß Zeit genug haben, sowohl seinen weltlichen Fürsten als auch seinen hohen geistlichen Würdenträgern, welche nicht unbedingt papstfreundlich sind, eine militärische Aktion – schmackhaft zu machen. Das Reich unterscheidet scharf zwischen römischgesinnten und imperialgesinnten Päpsten. Nur diesen letzten gewährt es seinen Schutz. Ich wünsche also von Ihnen, daß Sie den Geheimpakt unterschreiben, den ich Ihnen vorlegen werde. Hier ist er: ›Ich verpflichte mich, durchzusetzen, daß die Angelegenheit des Erzbischofs Arnulf von Reims von der Kurie, als einzig zuständiger Instanz, auf Grund der mit dem Reich in dieser Angelegenheit schon getroffenen und noch zu treffenden Abmachungen, geregelt werde.‹ Wollen Sie dies tun!«

Der Papst, welcher mich in wachsender Erregung angehört hatte, erhob sich aus seinem Sessel und ging durch das Zimmer. Dann trat er dicht vor mein Bett: »Es ist mir unbegreiflich, warum Eure Majestät ein Selbstverständliches durch eine päpstliche Unterschrift besiegelt haben wollen. Diese Unterschrift bedeutet eine unerträgliche Demütigung für die Kurie.« – »Die unterschriftliche Bestätigung eines, wie Ihre hohe Einsicht zugibt, Selbstverständlichen, ist niemals eine Demütigung. Viel eher wäre dies die Tatsache, daß Sie kaiserliches Gold für Ihre Schatulle und Pferde für Ihren Marstall annehmen.« – »Was haben persönliche Geschenke mit der Politik der Kurie zu tun?« – »Sie könnten ruchbar werden. Geschähe dies, so wären Sie – erledigt. In der gesamten Christenheit, und vor allem bei Ihren Landsleuten: den Römern. Dem Reiche aber gäbe morgen – Ihr Nachfolger die Unterschrift, sofern das Reich auf diese Unterschrift noch Wert legte. Es könnte sich ja, mittlerweile, für eine andere Politik entschieden haben. So gut es – bei den Mohammedanern – drei Kalifate gibt: das omaijadische, das fatimidische und das abbasidische, kann es eines Tages in der Christenheit auch drei Päpste geben. Sie sind zu klug, um diese Möglichkeit nicht zu begreifen. Sie wissen ja, wie verächtlich man zum Beispiel in Byzanz über die römischen Päpste denkt, in denen man nur die Handlanger der byzantinischen Politik sieht. Deutschland kann sich, wie ich Ihnen vorhin auseinandersetzte, im Handumdrehen mit Frankreich einigen. Es kann sich auch mit Byzanz über den Wert oder Nichtwert der römischen Kurie besprechen. Es kann sogar ein Abkommen mit den Sarazenen schließen. Warum nicht? Und Cluny? Heiliger Vater, in Zeiten wie den unseren ist jede Entwicklung möglich. Das ganze Universum ist in Fluß geraten. Und das Prestige der Kurie ist so tief gesunken, daß das römische Papsttum nur durch den Willen des deutschen Imperiums wieder in den Rang einer wahrhaften Statthalterschaft Christi hinaufgehoben werden kann! Sie haben eine ungeheure Aufgabe für die gesamte Christenheit zu erfüllen – und Sie sind im Begriffe, diese Aufgabe zu verspielen, weil Sie nicht ein ›Selbstverständliches‹ – wie Sie sagten – durch einen Federzug auf einem schon ausgefertigten Schriftstück sanktionieren wollen! Crescentius war klüger als Sie! – Er liebt Sie nicht. Überhaupt: Ihre eignen Landsleute, die Römer, lieben Sie nicht ... Was wollen Sie eigentlich? Sollten Sie wirklich so – ungeschickt sein, wie Ihre Feinde behaupten? Ich biete Ihnen die Sicherung Ihrer durchaus zweifelhaften Herrschaft, und Sie nutzen meinen elenden Zustand aus, um Einwände zu erheben? Heiliger Vater, ich bin dieses Gespräch müde. Es strengt mich über Gebühr an. Tun Sie, was Sie wollen. Ich lasse Ihnen noch fünf Minuten. Haben Sie innerhalb dieser Zeit nicht unterzeichnet, so tue ich, was ich will. Die Folgen werden Sie dann Ihrer eignen Torheit zuzuschreiben haben.« – »Geben mir Eure Majestät die Versicherung, daß dieses Gespräch wirklich nur unter vier Augen geführt worden ist?« Ich lachte: »Ach so! Sie meinen, ich bediene mich der Mittel der Kurie? Des Lauschers hinter dem Vorhang oder der Wand? Heiliger Vater, ich könnte Ihnen alle Versicherungen der Welt geben – und es könnte, wenn es das Wohl des Reiches verlangte, doch ein Unsichtbarer zugehört haben! Ich will Ihnen aber ein Argument nennen, das Sie wohl überzeugen wird: Wo man um ein ›Selbstverständliches‹ schwarz auf weiß bittet, sind Zeugen – überflüssig! Vor der Wand und hinter der Wand. Ich hoffe, Sie haben – nun – begriffen!« Der Papst setzte, am Tische stehend, seinen Namen unter das Dokument ... Ich sah ihn kopfschüttelnd an: »Wäre ich nicht krank, hätte ich eine ganz andere Sprache mit Ihnen gesprochen! Wie kann ein Mann Ihres Ranges so wenig wissen, wen er vor sich hat! Ich habe, wie Ihnen bekannt ist, einiges Böse in meinem Leben durchgefochten. Aber ich habe noch niemals eine so peinliche Unterredung gehabt wie die mit Ihnen! Woher kommt Ihnen denn dieses empörende Mißtrauen?« – »Ich bin Römer, Majestät. Ich bitte um Nachsicht und Verständnis. In Rom traut keiner keinem.« – »Es scheint so! Aber um so glücklicher sollten Sie doch sein, nun eine Aufgabe zu haben, die Sie über die römischen Händel stellt! Sie können nur im Dienste des Imperiums gedeihen und ›groß‹ werden, sofern Ihnen der Sinn für Größe innewohnt. Wählen müssen wir eines Tages alle! Ich beglückwünsche Sie, daß Sie die einzige Wahl getroffen haben, die Ihnen nicht den Weg versperrt! Ich möchte den Eindruck dieser Stunde für immer verwischen. Kommen Sie also morgen abend mit dem Staatssekretär zu Tisch. Sie werden außer mir noch vorfinden den Herzog und die Herzogin von Tuskien, die Herzoginwitwe von Spoleto mit ihrem Sohn Landenulf, die Gräfin Imiza von Rodersdorf mit ihren beiden Söhnen Odo und Raimon, den Erzbischof Johannes von Ravenna, den Fürsten Niketas Kurkuas aus Byzanz, die Fürsten Igor und Boris von Shitomir, mit denen ich die Präliminarien eines deutsch-russischen Handelsvertrages ausarbeite, den Erzbischof Philagathós von Piacenza und den Fürsten Woytech von Libice, der heute früh aus Prag angekommen ist. Wir werden fröhlich sein, Heiliger Vater, auch wenn es mir noch nicht ganz gut gehn sollte.« Ich hielt ihm meine Hand hin: »Schlagen Sie ein?« – »Ich schlage ein, Majestät.« – »Ich danke Ihnen ... Und am ersten schönen Sonnentag reiten wir beide zusammen aus. Ich muß doch wenigstens einmal gesehen haben, wie der Statthalter Petri zu Pferde sitzt, nachdem man mir soviel von seinen Reitkünsten erzählt hat.«

Der Papst, ein Mann mittlerer Herkunft aus dem Viertel der Gallina Alba, ging verwirrt und unzufrieden mit sich selbst. Er hatte zum ersten Male – seit seiner Inthronisierung – verspürt, daß die Tiara seines Jahrhunderts ein Nichts war, wenn sie nicht vom Glanz der kaiserlichen Krone ihr Leben empfing.

 

Woytech hatte mich gebeten, ihn für den Abend des 18. Dezember zu entschuldigen, und angefragt, ob er mit mir den Nachmittag des 20. verbringen dürfe. Er sei nach Rom gekommen, um sich als Mönch in das Kloster des heiligen Bonifatius auf dem Aventin aufnehmen zu lassen und dann nach Jerusalem zu pilgern.

Er trug, als er gegen drei Uhr bei mir erschien, noch das Bischofsgewand. Es waren sechs Jahre vergangen, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Er war unverändert, als ob es für ihn kein Alter gäbe. Die Erfahrungen der Prager Jahre hatten nicht eine einzige neue Linie in seine Züge gegraben. Aber die Schwermut seines Wesens, welche ich in Verona weniger empfunden hatte als bei jener ersten Begegnung in Magdeburg, war wieder in solchem Maße fühlbar geworden, daß die Luft des Zimmers von ihr gesättigt schien, als er kaum die Schwelle überschritten hatte.

Ein milder, blauer Wintertag leuchtete durch die Fensterbögen. Im Kamine brannte die Wurzel einer Pinie und vermengte ihren Harzduft dem Atem eines Nespelstraußes, der neben dem Bilde des Königs auf meinem Schreibtisch blühte ... Er nahm dieses Bild in seine Hände und betrachtete es lange: »Es ist nicht gut für einen König, so schön zu sein«, sagte er leise, während er die Zeichnung auf ihren Platz zurückstellte. »Schönheit ist eine große Last.« – »Ich habe oft das gleiche gedacht, Woytech ... Aber wem sie gegeben ist, der muß sie tragen wie alle anderen Lasten, welche ihm das Leben aufbürdet. Ich kann meinem Sohne die Wege ebnen, aber ich kann ihm sein Schicksal nicht abnehmen.« – »Wie ist es um seine Seele bestellt?« – »Sie ist weit und leidenschaftlich. Ich habe noch keinen Zug an ihm entdeckt, den ich klein nennen könnte. Auch wo er haßt, haßt er in Größe.« – »Wen und was haßt er?« – »Das Gemeine und die Gemeinen.« – »Ich hatte eine leise Hoffnung, ihm hier zu begegnen.« – »Ich habe es mit Absicht vermieden, ihn jetzt schon den Eindrücken auszusetzen, die ihm Rom hinterlassen hätte. Er ist der deutsche König: und Rom ist nicht Deutschland. Ich wünsche – und auch Willigis wünscht es –, daß er in Deutschland erzogen werde. Er hat zu Freunden den gleichaltrigen Grafen Franko von Worms und Bruno, den etwas älteren Sohn des früheren Herzogs von Kärnten. Ich lasse ihm große Freiheit in der Wahl seiner Kameraden, und ich stelle mit Freude fest, daß er einfache Menschen vorzieht. Er liebt seinen militärischen Erzieher, den Grafen Hoiko von Eupen. Vor seinem Lehrer Bernward von Hildesheim hat er eine hohe Achtung. Philagathós von Rossano, der jetzige Erzbischof von Piacenza, hat es nicht verstanden, sich die anfängliche Zuneigung des Knaben zu erhalten.« – »Kinder haben eine gute Witterung.« – »Was haben Sie gegen Philagathós?« – »Ich habe ihn einige Male gesehen ...« Ich ging gegen das Fenster: »Wie schön ist das Licht auf Palatin und Aventin ... Hätten Sie nicht Lust, mit mir auszureiten?« – »Nein, Majestät. Ich möchte, wenn es Ihnen recht ist, hier bei Ihnen bleiben. Ich weiß nicht, wann ich Sie wiedersehe, da Sie, wie ich höre, am 26. Dezember Rom verlassen.« – »Warum sollen wir uns bis dahin nicht wiedersehen?« – »Es hätte keinen Sinn mehr. Ich bin gekommen, um von Ihnen Abschied zu nehmen wie von allem, was bisher mein Leben war.« – »Das hat mir schon einmal jemand gesagt – und ist dann doch sich selbst und mir erhalten geblieben.« – »Ich weiß es: Michaël von Massafra. Aber ich bin nicht Michaël von Massafra, und ich schreibe keine Gedichte.« – »Wer sind Sie denn?« – »Ein Mensch, dem die Gnade der Erleuchtung zuteil geworden ist: ein Mensch, der von Gott aus seinem Namen enthoben wurde und aus aller Wirksamkeit, die noch an einen Namen gebunden ist.« – »Haben Sie deshalb Ihren Bischofssitz verlassen?« – »Ja.« – »Und was sagt Ihr Vorgesetzter, was sagt der Erzbischof Willigis dazu?« – »Wer ist Willigis?« – »Und der Herzog Boleslaw von Böhmen?« – »Wer ist der Herzog Boleslaw von Böhmen?« – »Und die Kaiserin Theophano?« – »Wer ist – vor Gott – die Kaiserin Theophano?« – »Gottes Dienerin!« – »Das glaubt sie zu sein. Und sie ist guten Glaubens. Aber sie ist doch nur die Dienerin der weltlichen Macht – und weiß nicht, wie fern sie dem Geiste Gottes ist.« – »Ich bin nicht gesonnen, Woytech, diese Unterhaltung fortzusetzen. Ich rühre nicht an Ihre Gottergriffenheit. Aber ich erlaube Ihnen nicht, die meine an der Ihren zu messen. Das ist Überhebung. Die Weltüberwindung mag das letzte Ziel unseres Lebens sein, aber nicht einem jeden ist der gleiche Weg zu diesem Ziele vorgeschrieben. Verleugnete Gott die Welt, welche er selbst geschaffen hat, so stellte er nicht die Menschen, die er ebenfalls geschaffen hat, vor Aufgaben dieser Welt. Auch Ihnen hat er eine solche Aufgabe zugewiesen und Sie sind von Ihrem Posten desertiert! Verzeihen Sie das harte Wort, aber ich finde kein anderes. Ich kann nicht billigen, was Sie getan haben.« – »Weil Sie nicht wissen, was geschehen ist, und weil Sie von der falschen Voraussetzung ausgehen, das Bistum Prag sei mir von Gott übertragen worden.« – »Von wem denn sonst?« – »Von armen, kleinen, machtgläubigen Menschen, welche den Namen Gottes mißbrauchen, um zur Verwirklichung ihrer weltlichen Ziele zu gelangen. Willigis will sein Erzbistum erweitern, das Reich will auf dem Umweg über die Kirche seine Stellung im Osten stärken, und der Herzog Boleslaw will durch gutgespielte Gefügigkeit dem Reich und der Kirche so lange Sand in die Augen streuen, bis er die Maske abwerfen, das heißt losschlagen kann. Zu nichts von alledem gebe ich mich her. Ich war gutgläubig, als ich in die Falle ging. Als ich in der Falle saß, sind mir die Augen aufgegangen. Ich war nicht Gottes, sondern des Teufels Diener. Als ich Einwände erhob, setzten Boleslaws Drohungen ein! Nicht nur gegen mich, sondern gegen alle Angehörigen meiner Familie! Ich denke, das Reich hat doch seine Erfahrungen mit der Dynastie der Przemysliden gemacht! Gott? Glaube? Seele? Geist? Majestät, ich wäre des Todes auf dem Rad schuldig gewesen, wenn ich nicht durch meine Flucht – denn es handelt sich um Flucht – bewiesen hätte, daß der Gotterfüllte sich nicht in den Gehorsam eines Verbrechers zwingen läßt! Ich habe, als ich im Jahre 978 nach Böhmen zurückkehrte, mit der Jugend des tschechischen Adels gelebt, ich habe ihre Lüste und ihre Sünden geteilt: und ich hatte Freude an diesem wüsten Leben. Als ich zur Selbstbesinnung kam – nach dem Tode des Bischofs Dethmar –, hoffte ich, auch die anderen zur Selbstbesinnung bringen zu können. Der Bischofsstab, glaubte ich, wird mir die äußere Macht geben, welche mir meine Aufgabe erleichtert ... So konnte denken, wer – trotz aller Ausschweifung – reinen Herzens geblieben war: der Tanz jedoch – so war die Meinung jener anderen – sollte erst beginnen, nachdem ich den Amethystring trug! Geben Sie die Hoffnung auf, daß die Dynastie und ihre Diener dem Christengott durch anderes als durch Feuer und Schwert gewonnen werden könnten! In Prag erst lernte ich die Lehre des Gekreuzigten begreifen! In Prag erst lernte ich, wozu ich nicht von Gott berufen war! Die Seelen werden nicht reif werden für die Größe Gottes, solange nicht in ihnen ausgerottet ist das letzte Atom ihrer Hoffnung auf die irdische Macht! Es gibt keine Majestät außer der Majestät Gottes und jene Anmaßer, die sich ›Statthalter Christi‹ nennen, sind die armseligsten aller Kreaturen, weil sie – um der äußeren Macht willen – noch nicht einmal die Demut zeigen dürfen, von der sie vielleicht erfüllt sind! Niemals werde ich nach Prag zurückkehren! Niemals die Geschäfte Boleslaws oder Willigis' oder des Reiches noch einmal besorgen! Ich habe Ihnen gesagt, was ich tun werde: Es wird geschehen, und sollte ich als Bettler, auf dornenzerrißnen Sohlen, die Straße bis nach Golgatha hinauf schreiten! Sie beten zur Theotokos – ich bete zu den Wunden des Gekreuzigten! Hier gibt es keine Brücke mehr: hier gibt es nur noch einen letzten Blick des Abschieds. Kein Werk besteht vor dem Sakrament des Opfers, und es gilt kein Ruf vor dem Ruf zu dem Blute des Geopferten. Sie sind der einzige Mensch, von dem ich Abschied nehme: Theophano – und nicht der hunderttausend Kaiserinnen irgendeine, die ihre Pflicht mit Anstand tut.«

Eine Flamme, schoß die Gestalt Woytechs vor dem dunkelgrünen Vorhang empor, in dessen Schatten er gesprochen hatte. Seine Augen brannten in die meinen. Ich wich diesen Augen nicht aus. Ich zwang sie in mein Herz ... Woytech kam mir langsam entgegen ... Ich lenkte ihn mit einer Bewegung der Hand gegen die Sessel, welche vor dem Feuer standen ... Wir setzten uns ...

»Was ich Ihnen zu sagen habe, Woytech, ist weder eine Entgegnung noch eine Rechtfertigung. Überzeugungen, welche ›Erleuchtungen‹ ihr Leben verdanken, also das Leben eines Menschen selbst sind, stehen jenseits von Argumenten. Und ein kaiserliches Leben rechtfertigt sich vor niemandem, außer vor Gott – im Gespräch ohne Mittlerschaft. Was ich Ihnen zu sagen habe, ehe Sie Ihren Weg beginnen, ist die Liebe eines Herzens, welche dem Stoffe entrückt ist und nur noch das Feuer sieht, in dem sich dieser Stoff verzehrt und läutert. Wenn ein Mensch soeben erst die Kurven durchlaufen hat, die ihn an seinen inneren Standort führen, so kann man nicht fordern, daß er ›über‹ diesem Standort stehe. Er muß sich – als Glaubender – bemühen, seine Erkenntnis den Menschen als die einzig richtige zu übermitteln. Ob es ihm gelingt, hängt nicht nur von seiner eignen Überzeugungskraft ab, sondern von dem Grade der seelischen Weltnot, in welche sie trifft. Erweckung setzt immer Bereitschaft voraus, wenn auch oft genug unterbewußt. Versuchen Sie also zu wirken, wie es Ihnen gut scheint. Ich werde Ihnen keine Steine in den Weg legen und auch den Erzkanzler Willigis bitten, ein Auge zuzudrücken. Auf den Herzog Boleslaw habe ich nur insofern Rücksicht zu nehmen, als er vielleicht glauben könnte, ich habe mich mit Ihnen zu einem Komplott gegen seine Politik verbunden. Da dies nicht wahr ist, und da meine Politik, das heißt die des Reiches, unter keinen Umständen im jetzigen Augenblick eine Störung des deutsch-böhmischen Verhältnisses verträgt, werde ich Ihren eigenmächtigen Schritt vor Boleslaw mißbilligen. Das ist eine politische Notwendigkeit, welche mit Ihrer Person nichts zu tun hat. Sie sehen, Woytech, daß ich zu trennen weiß. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie das gleiche tun. Die ›Kaiserin‹ Theophano geht Sie nach allem, wofür Sie heute einstehen, nichts mehr an. Also auch nicht die kaiserliche Politik. Wenn Sie dieser in die Quere kämen, würde ich gegen Sie erbarmungslos vorgehen – wider mein eignes Herz. Diese Härte ist mein von Gott empfangener Auftrag. Ich kämpfe nicht für die Macht um der Macht willen: das tun diese lächerlichen Feudalen, deren Gehirn den Durchmesser einer Grafschaft oder einer Provinz hat! Ich kämpfe für die Macht, weil nur die Macht jene Weite ergibt, in welcher auch für den Mönch oder den Heiligen – also für Sie – freier Spielraum vorhanden ist. Ich kämpfe für diese Macht bis zu meinem letzten Atemzug, mit allen vor meinem Gewissen zu rechtfertigenden Mitteln und gegen jeden, der sich mir entgegenstellt. Ich fürchte niemanden, auch nicht prophezeiende Heilige oder predigende Mönche! Ich weiß, als Byzantinerin, ja einiges über das Wesen der Mönche, welche vor dem brutalen Eingreifen der isaurischen Kaiser den oströmischen Staat an die Grenzen der Auflösung gebracht haben! Ihre fanatische Muttergottesanbetung ist nichts anderes gewesen als jene Form der Hysterie, welche sich, infolge sinnlicher Unerfülltheit, an das bewußt hinaufgeschraubte Ersatzbild klammert! So war es damals – und so ist es, mutatis mutandis, auch heute noch. Ich habe niemals die Mönche geliebt ... Aber ich möchte sie trotzdem nicht ganz vermissen: denn sie sind die Sinnbilder des morgenländischen Geistes gegen die überwuchernde Materie und nicht fortzudenken aus einer christlichen Hierarchie, als welche heute auch das abendländische Imperium angesprochen werden muß. Ich kann nicht einen einzigen Grad einer Hierarchie verleugnen, an deren Spitze ich selbst stehe, auch wenn ich diesen oder jenen vielleicht beseitigen möchte! Ich werde aber – mit meinem Herzen – ein Herz lieben können, das selbstlos und gläubig einen dieser Grade bis zur Selbstaufopferung erfüllt.

Ich erhalte, erweitere und festige den Rahmen der Weltmacht, der Ihnen erst Ihr Wirken erlaubt! Deshalb bete ich zur Theotokos, zur Gottesgebärerin, das heißt: zur Allmutter, zur ›παμμητωρ‹. Wo das Chaos ist – und der Glaubensnihilismus Ihrer slawischen Seele müßte ja, angesichts der Schuftigkeit der Menschen, zum Chaos führen –, da ist auch kein ›Wirken‹ mehr in die Gestalt, sondern die Unwirksamkeit in allem und jeglichem. Ich bin von Gott gesetzt – für die bedingte Spanne meines Lebens – als die Beseelerin der Weltordnung durch die Entfaltung der Macht. Wenn Sie die Tiefe einer solchen Berufung begreifen, können Sie – auf Ihre Art – sogar mein Helfer werden! Aber ehe Sie dies können, müssen Sie – auf Ihrer Pilgerreise – Abstand zu sich selbst gewonnen haben. Denn erst dieser Abstand wird Ihnen erlauben, wieder mit Ihrem Herzen ein menschliches Herz zu lieben. Dieses aber ist der Anfang aller Dinge: auch der Anfang Gottes in der Seele einer irdischen Kreatur. Auch Sie sind ein Unerfüllter! Sie haben die Strahlung, die überwältigende Strahlung, aber Sie hatten – bis zum heutigen Tag – nicht die Kraft des Bannes. Sie sind genau so alt wie ich: dreiunddreißig Jahre. Glauben Sie, Ihrem Herzen sei keine Aufgabe mehr zugewiesen? Vielleicht haben Sie eines Tages die Seele eines Königs in der geläuterten Flamme Ihres Glaubens auszuglühen: desselben, den Sie beten lehrten, als er noch ein kleines Kind war! Nehmen Sie noch einmal das Bild dort unter den Nespelblüten in Ihre Hände, und sehen Sie es an: Es will mir scheinen, Woytech, in diesem Knabenantlitz sei ein Weg gewiesen, den – Sie zu gehen haben könnten! In diesem Antlitz dämmert die Liebe, welche in Sterne greift.«

 

Ich war am 26. Dezember von Rom nach Ravenna gereist, wo ich den Januar und Februar verbrachte. Im März trat ich, ohne Pavia zu berühren, die Heimreise über Mailand und den See von Como an. Die Begleitung des Philagathós hatte ich abgelehnt, da ich seine Anwesenheit in dem eben erst für ihn geschaffenen Erzbistum für nötig hielt. Die Gräfin Imiza und ihre beiden Söhne, welche ich in die kaiserliche Garde übernommen hatte, genügten mir als Reisegefährten. Heimweh nach dem Sohn hatte mich vorwärtsgetrieben und mir die vielen Aufenthalte unterwegs, in Chur, in Einsiedeln, in St. Gallen, in Konstanz, in Bruchsal, in Worms, in Frankfurt, zur Qual gemacht. Endlich, am 10. Juni, konnte ich in Ingelheim eintreffen, wo ich – eine dringende Reise nach Sachsen abgerechnet – den Sommer und den Herbst zu verbringen gedachte.

Es hatte sich meiner jene Abspannung bemächtigt, welche die Zeiten nach und vor großen Entscheidungen zu kennzeichnen pflegt. Ich mußte oft an das Jahr 979 denken, wo mich eine ähnliche Ermüdung befallen hatte. Ich war – trotz der Ungewißheit der Lage – sehr gefaßt und zuversichtlich. Ich hatte alles getan, was die Pflicht mir befahl, und Hugo von der Wetterau hatte während meiner Abwesenheit den deutschen Feudalherren mit so überraschender Geschicklichkeit die Unvermeidlichkeit eines baldigen Eingreifens in Frankreich klargemacht, daß ich schon unterwegs des öfteren gefragt wurde, »wann endlich mit diesen Händeln Schluß gemacht und das ganze Land wieder eingesteckt werde«. Ich hatte bei solchen Äußerungen geantwortet, daß die Entscheidung dem Erzkanzler überlassen bleibe, dessen Einsicht noch immer den rechten Zeitpunkt zu wählen verstanden habe. Ich rechnete nicht mit kriegerischen Ereignissen für das Jahr 990. Ich ließ Gerbert bitten, die Fäden seiner Intrigenpolitik nur sehr vorsichtig und langsam zu spinnen, keinerlei Verdacht zu erregen und die dreifache Rolle, welche er durchzuführen hatte, hinter vermehrter und oft erwähnter Gelehrtenarbeit zu verbergen. Für mich selbst war er der Mitverschworene, Karl von Lothringen gegenüber – den er bis auf den Tod haßte – gab er sich als der zur »legitimen« Sache Bekehrte sowie als Spion und Vermittler am Hofe des Königs Hugo Kapet, vor diesem jedoch gebärdete er sich als der treue Diener, den nur die Notwendigkeit zu einer unwahrhaftigen, aber der königlichen Sache nützlichen »Anerkennung« des Gegners gezwungen habe. In Wirklichkeit war – unter Gerberts Einfluß – schon der aus Laon von Karl verjagte Bischof Ascelin der einzige Handelnde hinter den Kulissen geworden. Auch Eudes de Chartres hielt sich »für den Tag« bereit. Obwohl ihm natürlich keine Zusagen gemacht worden waren, rechnete er darauf, unter deutscher Oberhoheit Herzog von Franzien zu werden. Er konnte nicht wissen, daß – für den Fall eines deutschen Sieges – das Herzogtum Franzien Krongut werden würde ...

In den ersten Septembertagen – ich war gerade aus Sachsen zurückgekehrt, wo ich meine Töchter besucht hatte – ließ mich der Papst Johann XV. durch Eilboten wissen, daß er Abgesandte des Königs Hugo Kapet, welche ihn um eine rasche Entscheidung in der Angelegenheit des »Verräters« Arnulf von Reims ersucht hätten, abgewiesen habe: Er selber werde den Augenblick bestimmen, wann diese Frage spruchreif sei ...

Willigis sah mich an ... »Es muß Hugo sehr schlecht gehen«, sagte ich. »Er wird erneut gegen Karl losschlagen«, meinte Willigis. »Und sich wahrscheinlich wieder eine Schlappe holen.« – »Und dann?« – »Dann werden wir den Grafen von der Wetterau handeln lassen.« – »Nein, Majestät. Dann werden wir uns erst recht ruhig verhalten! Dann nämlich wird Hugo bestimmt eine ganz große Dummheit machen – oder – als betrogener Betrüger die Geschäfte des Reiches besorgen, indem er Ascelin in sein Spiel einschaltet. Diesen Augenblick, Majestät, müssen wir unter allen Umständen abwarten.« – »Sie denken, wie immer, richtig, Erzkanzler. Machen Sie Hugo von der Wetterau klar, daß ich Ihre Politik gutheiße. Ich werde übermorgen mit dem jungen König zur Gräfin Athela nach Burg Usa reisen. Ich möchte drei Wochen Ferien mit meinem Kinde haben. Lassen Sie mir nur Nachrichten zukommen, welche Frankreich betreffen. Ich glaube allerdings kaum, daß wir vor Ende Oktober die neue Niederlage Hugo Kapets erfahren ... Bis dahin werde ich längst zurück sein ... Leiten Sie Verhandlungen mit dem Herzog Boleslaw von Böhmen ein wegen der Bestellung eines neuen Bischofs in Prag. Der Fürst Woytech darf nicht gezwungen werden, auf einem Posten zu bleiben, den er verabscheut.«

Otto kam aus dem Garten heraufgesprungen und hielt in der geschlossenen Hand einen Trauermantel. »Ich habe ihn eben unten am Rhein gefangen«, sagte er erregt. »Denke dir, Mutter, er saß auf einer blühenden Malve und ließ sich ganz ruhig nehmen. Ich möchte gerne seine Flügel streicheln, aber ich weiß, ich darf es nicht. Sie würden ihren Samt verlieren.« – »Tue mir etwas zuliebe, mein Kind«, sagte ich. »Trage dieses schöne Tier wieder zu der Blume, auf der du es gefunden hast, und lasse ihm seine Freiheit. Du hast dich ja an seiner Schönheit gefreut. Das genügt.« – »Ja, Mutter, das genügt. Ich will ihn wieder hinuntertragen.« In fünf Minuten war er wieder zurück: »Ich möchte bei dir bleiben.« – »Lasse mich jetzt noch eine Viertelstunde mit dem Erzkanzler. Ich habe Wichtiges mit ihm zu sprechen. Aber von übermorgen an werden wir beide ganz allein sein. Für drei lange Wochen. Auf Burg Usa.« Otto schlug einen Purzelbaum auf dem durchsonnten Sandsteinboden des Kreuzganges und flog mir an den Hals: »Wir beide ganz allein? Ist das wahr, Mutter?« – »Ja, das ist wahr.« Er küßte mich auf die Augen, auf die Schläfen, in den Nacken – und sprang dann singend davon ... Ich hob die Hand vor die Augen, weil ich fühlte, daß sie feucht wurden ... Aus der Tiefe des Gartens drang die Stimme des Knaben herauf:

θάλαττα,
Οἴνοπε θάλαττα,
θάλατταα ...

Die Sterne standen im offnen Fensterbogen, grüne Feuer in der unendlichen Milde eines windverwehten Septemberhimmels. Hoiko hatte sich in den Kissen aufgestützt und mein Gesicht in seine Hände genommen: »Nun erst weiß ich, wer Sie sind, Theophano. Ich habe nie geglaubt, daß es eine solche Nacht des Glückes in meinem Dasein geben könnte. Seit drei Jahren hat mein Mund nicht mehr den Ihren berührt – und es scheint mir, ich bin ihm heute zum erstenmal begegnet. Ist es wirklich wahr, daß Sie mich so sehr lieben?« – »Sie sind der gütigsten, der dankbarsten und vornehmsten Menschen einer, Hoiko, denen ich in meinem bewegten Leben begegnet bin. Wir brauchen uns die Geschichte unserer Liebe nicht zu erzählen. Wir wissen sie. Jede Liebe, Hoiko, bedeutet, daß sich zwei menschliche Wesen – jenseits des Bewußtseins – aneinander messen. Wir wissen seit heute abend, daß wir uns mit wacher Seele aneinander messen dürfen. Sie sind ein Mensch, in dem die Treue lebt. Nicht jene lügnerische Treue, welche sich Menschen versprechen – sondern jene andere, welche ›ist‹: so wie Gott ist, oder die Schönheit, oder die Größe, oder auch – das Leid. Wir werden das Gefühl, das uns verbindet, niemals zu irgendeiner Notwendigkeit unseres äußeren Lebens in Beziehung setzen. Wir werden uns ihm anvertrauen und nicht fragen, wann es uns zur Vereinigung aufruft. Wir sind uns gegenseitig ›Zuflucht‹ geworden: ein gemeinsamer Zustand über unserem Dasein. Drei Jahre Schweigens und unabsichtlicher Geduld haben uns das Geheimnis dieses Glückes geschenkt. Wir werden es nähren durch – Dankbarkeit. Ich vertraue Ihnen – was immer geschehen möge – das Leben meines Sohnes an. Ihnen. Keinem anderen Menschen sonst.« – »Ich werde dieses Leben hüten, Theophano, um den Preis des meinen. Ich schwöre Ihnen, von Herz zu Herz, diesen Eid.« Ein Windhauch, gefüllt mit dem Dufte der Reseden, die am Fuß der Mauer blühten, kam auf die Kissen ... O Hauch der Reseden in der aufgelichteten Tiefe dieser Nacht ... »Sie begreifen, Hoiko, daß ich Sie nicht mitnehme in die Tage auf Burg Usa. Ich habe dort eine andere Liebe auszutragen, welche Ausschließlichkeit verlangt: die Liebe zu meinem Sohne. Sie steht jenseits der Zeichen. Sie ist die Ewigkeit im Leben einer Frau ... Nehmen Sie mich in Ihre Arme – und gehen Sie, wenn ich eingeschlafen bin.«

 

Ich saß mit Otto unter dem gleichen Vogelbeerbaum, unter dem ich vor elf Jahren mit Hugo von der Wetterau gesessen hatte. Die Pferde weideten abseits in einer Hürde des Haselheckerhofes, von den Reitknechten bewacht. Otto hatte sich auf dem warmen Grase ausgestreckt und den Kopf in meinen Schoß gelegt. Die Wetterau leuchtete bis zu den Höhen der Rhön.

»Du wolltest mir von Glaukós erzählen«, sagte Otto, die Lider mit den langen Wimpern der Skleros schließend. »War er wirklich so schön, wie alle sagen, die ihn gekannt haben?« – »Ja, mein Kind.« – »Warum hast du einmal gesagt, es sei wahrscheinlich gut für ihn gewesen, daß er gestorben sei?« – »Er ist gestorben, als er zur Bewußtheit seiner selbst gekommen war. Vielleicht hätte ihm das Leben nicht erlaubt, zu leben, was er sich wünschte. Als er starb, war er ganz er selbst. Dies ist das größte Glück, das uns geschehen kann.« – »Ist es so schwer, ganz zu sein, wer man ist?« – »Das Schwerste. Denn wir wissen oft viele Jahre nicht, wer wir sind.« – »Ich weiß, wer ich bin.« – »Sage es.« – »Dein Sohn.« – »Warum sagst du nicht: dein und meines Vaters Sohn?« – »Ich bin nicht meines Vaters Sohn. Ich habe meinen Vater nie vermißt.« – »Kannst du dich an ihn erinnern?« – »Nein.« – »Dein Vater hat dich sehr geliebt.« – »Das glaube ich nicht. Wenn es so gewesen wäre, hätte er nicht gegen den Willen der Ärzte gehandelt und sich selbst in Todesgefahr gebracht.« – »Wer hat dir das erzählt?« – »Das sagen alle! Sie sagen, mein Vater sei sehr unbeherrscht gewesen. Franko sagt es und Bruno und die Reitknechte und Tammo von Cham und Philagathós.« – »Philagathós?« – »Ja. Er hat mir genau erzählt, wie Vater gestorben ist und welche Sorgen er dir bereitet hat.« – »Möchtest du, daß Philagathós wieder dein griechischer Lehrer würde?« – »Nein, Mutter. Seine Stunden waren sehr schön. Aber ich selbst war ihm gleichgültig. Er war nur freundlich mit mir, weil ich der König bin. Er möchte Papst werden. Bruno sagt: eher einen Hufbauern als diesen eitlen Laffen. Bruno haßt ihn.« – »Liebst du Bruno?« – »Nein. Er ist zu eingebildet. Er redet wie ein Presbyter und tut sich dick mit seinem Wissen.« – »Liebst du Franko?« – »Nein. Er spricht immer vom Kasteien. Er sagt, Schönheit sei Sünde, weil er selbst häßlich ist.« – »Wen liebst du denn?« – »Hoiko. Hoiko liebe ich so sehr, daß ich alle Abend für ihn bete.« – »Kannst du mir sagen, warum du Hoiko so sehr liebst?« – »Weil er ein wirklicher Ritter ist. Ich habe aus seinem Munde noch nie ein böses Wort über andere Menschen gehört. Er ist sehr streng im Unterricht, und er hat mir sogar einmal eine Ohrfeige gegeben.« – »Warum?« – »Weil ich sehr gemein war.« – »Du kannst mir ruhig die Wahrheit sagen. Zwischen dir und mir darf kein Geheimnis sein.« – »Ich schäme mich.« – »Du hast ja bereut ... Also sage, was du getan hast.« – »Ich habe, während er das Lanzenreiten erklärte, nicht achtgegeben, sondern einem Brummer die Flügel ausgerissen, weil ich sehen wollte, was er macht, wenn er nicht mehr fliegen kann.« – »Und was hat dir Hoiko dann gesagt?« – »Er war feuerrot und hat gesagt, das sei dasselbe, wie wenn einer mir die Hände abhackte, um zu sehen, ob ich mit den Füßen schreiben kann.« – »Und was hast du danach getan?« – »Ich habe geweint und ihn um Verzeihung gebeten.« – »Hast du auch wirklich gefühlt, welche Scheußlichkeit du begangen hattest?« – »Ja, Mutter. Hoiko hat mir später viel vom Leben der Tiere erzählt, denn er kennt sie alle und liebt sie. Er sagt, sie sind besser als die Menschen. Einmal hat er einen Küchenjungen verprügeln lassen, weil der eine kranke Katze ohne jeden Grund totgetreten hatte. Ich wollte den Jungen auch noch schlagen, aber Hoiko riß mich zur Seite und sagte: ›Ein König schlägt niemanden.‹« ... Ich sah lange in die Landschaft. Die Kamillen dufteten – o Heimathügel in Anatolien – und die Marienfäden zogen langsam durch die Bläue ... »Wie gefällt dir Hugo von der Wetterau?« nahm ich das Gespräch wieder auf. »Ich möchte, daß er mein Vater sei. Ich liebe ihn, aber ich bin unglücklich, daß er sich nicht um mich kümmert. Ich habe Scheu vor ihm. Warum ist er immer traurig?« – »Er ist nicht traurig. Aber er ist sehr ernst und ganz von einer großen Aufgabe erfüllt. Du wirst sehen, daß er sich sogar viel um dich bekümmern wird, sobald er am Ziele angelangt ist. Er denkt nur an dich und arbeitet für dich, und ich wünsche, daß er, wenn du erwachsen bist, einer deiner vertrautesten Mitarbeiter werde. Er hat dem Reiche schon bedeutende Dienste geleistet.« – »Von welcher Aufgabe ist er erfüllt?« – »Das wird er selbst dir erklären, wenn er uns hier in einer Woche besucht. Dann wirst du beide Ohren weit aufmachen und dir Wort für Wort merken, was er dir sagt. Du wirst es dir aufzeichnen – aus dem Gedächtnis heraus – und mir dann zeigen ... Übrigens: Ich höre zu meiner Freude, daß du schöne griechische Aufsätze schreibst und den Anfang der ›Odyssee‹ schon auswendig weißt.« – »Das hat dir Michaël erzählt?« – »Ja ... Michaël liegt dir wohl sehr am Herzen?« Otto schwieg und starrte in die Luft, die über dem Wegrande flimmerte ... Ich streichelte sein Haar ... Er nahm plötzlich meine Hand und vergrub seinen Mund im Spiel der Armbänder. »Was ist denn?« fragte ich ... Erneutes Schweigen ... Dann, plötzlich: »Mutter, ich habe für Michaël von Massafra eine solche Bewunderung, daß ich manchmal ganz krank davon bin. Ich weiß, ich bin noch zu klein, um seine Gedichte zu verstehen, aber ich blättere manchmal in seinem Buche ›Doma Laésteōs‹. Ich finde darin Strophen, die mich verzaubern. Ich weiß nicht, was sie bedeuten, aber sie sind so schön, wenn man sie laut sagt, daß ich manchmal meine, sie sind gar nicht von der Erde, sondern von Gott ... Ich bin auch über Michaël sehr unglücklich. Er behandelt mich wie ein dummes Kind ... Möchtest du ihm nicht einmal sagen, daß er mich besucht, auch wenn er mir keine Stunden gibt? Ich hätte ihn so vieles zu fragen, aber er weicht mir aus. Ich spüre genau, er will nicht!« – »Du hast recht, mein Kind. Er will schon – aber er soll nicht. Es ist nicht mein Wunsch, daß du dich an Schönheiten verlierst, welche dich erregen, ohne dich zu erfüllen. Michaël von Massafra ist ein wirklicher Dichter. Es gibt deren nicht allzu viele. Es wird ihm sehr schwer, sich in die Seele eines zehnjährigen deutschen Knaben zu versetzen. Aber er wird dir sicherlich ein Freund werden, sobald du noch fünf Jahre älter bist. Es müssen alle Dinge zur rechten Zeit geschehen. Das ist das ganze Geheimnis des ausgeglichenen Lebens. Wir müssen zunächst daran denken, dir dasjenige Wissen zu verschaffen, das du als deutscher König brauchst. Es ist nicht wenig! Du weißt ja schon aus eigener Erfahrung, wie einige sächsische Hofleute darüber maulen, daß du so gut Griechisch sprichst! Man kann überhaupt nicht genug Wissenswertes wissen – es kommt nur darauf an, daß zwischen allem, was man weiß, das richtige Verhältnis herrsche! Du mußt nicht nur das vollkommenste Deutsch sprechen: du mußt die Rabautzen in ihrer eignen Sprachweise so anfahren können, daß ihnen der Atem im Halse steckenbleibt! Die Dummheit, wie die Bosheit, ist groß auf der Welt! Und ein junger König wie du, oder eine aus Byzanz stammende Kaiserin wie ich, sind ihr noch viel mehr ausgesetzt als weniger sichtbare Leute. Ich wünsche also dringend, daß die deutschen Studien verdoppelt und in den Vordergrund gerückt werden. Ich spreche absichtlich Deutsch mit dir. Du selbst beherrschst es erstaunlich gut – aber noch nicht gut genug, um dich jeder menschlichen Anmaßung erwehren zu können, welche an dich herankommen könnte. Du mußt – schon jetzt – in jedem Zoll ein König sein. Du bist sehr empfindsam, aber du bist – Gott sei Dank – nicht weich! Ich würde verzweifeln, wenn du dies wärest, denn diese Zeit braucht klare und in sich feste Menschen! Wie übrigens jede Zeit! Ein Mann sei ein Mann! Das heißt nicht, daß er ein Kloben zu sein braucht! Im Gegenteil! Die Flegel sind immer innerlich schwache Menschen! Sei in deinem ganzen Leben sehr mißtrauisch gegen sogenannte ›Männer‹, welche beim Singen eines gefühlvollen Gassenhauers zu heulen anfangen! Und bist du nicht sicher, wes Geistes Kind einer ist, so mache ihn betrunken und lasse ein paar Burschen die Zither spielen. Dann wirst du dein blaues Wunder erleben.« Otto fuhr in die Höhe, strich sich durchs Haar und sagte: »Mutter, weißt du, wer heult, wenn Weidmannslieder gesungen werden? Der Herzog Karl von Niederlothringen! Sein eigner Sohn hat es mir und Franko und Bruno erzählt – und hat es nachgemacht!« – »Das ist ja sehr ergötzlich!« – »Mutter, wir haben gelacht, daß uns die Tränen das Gesicht heruntergelaufen sind! Dann haben wir alle zusammen ein solches Lied gesungen und zusammen geheult, daß es die reinste Katzenmusik war!« – »Wie kommst du eigentlich mit Otto von Niederlothringen aus?« – »Ausgezeichnet. Er ist sehr ritterlich – aber er haßt seinen Vater. Er hat niemanden, der ihn wirklich liebt, da seine Mutter schon kurz nach seiner Geburt gestorben ist. Aber er klagt nie und ist immer freundlich. Er hat neulich zu Bruno gesagt: ›Die Zicken, die mein Vater in Frankreich macht, gehen mich nichts an. Ich bin der Sohn eines deutschen Herzogs und diene dem Reich.‹« – »Wann hat er dies gesagt?« – »Im Frühjahr, als wir dich bei deiner Rückkehr aus Italien in Worms abholten.« – »Es freut mich, dies zu hören. Also wir werden sehen, ob er vielleicht an deinem militärischen Unterricht teilnehmen kann.« – »Er ist ein wunderbarer Reiter und ein ausgezeichneter Baskenballspieler. Er versteht auch die Feldbestellung wie ein Bauer und weiß um jede Heilpflanze Bescheid. Er kennt einen Mönch, mit dem er bei Vollmond Kräuter sucht.« – »Dies alles gefällt mir sehr ... Sage, hast du noch einen Wunsch?« – »Ja, Mutter. Ich möchte gerne über etwas Bescheid wissen, wovon ich manchmal reden höre.« – »Und das wäre?« – »Du mußt mir nicht böse sein. Aber wen soll ich schließlich fragen? Der Bruno hat neulich gesagt, du seist so häßlich mit meiner Großmutter Adelheid und wollest sie aus Italien fortjagen.« – »Gut, daß ich das weiß. Ich werde mich bei Bruno erkundigen, woher dieses Geschwätz kommt.« – »Aber bitte, bitte, nicht meinen Namen nennen!« – »Glaubst du, daß ich meinen eignen Sohn verrate? – Ich will dir etwas sagen: Diese italische Frage ist viel zu verwickelt, als daß ich sie mit einem zehnjährigen Knaben besprechen könnte. Du sollst nur soviel wissen: Deine Großmutter Adelheid treibt manchmal eine Politik, mit der ich nicht einverstanden bin. Sie ist zu alt, um zu verstehen, was ich will. Daher kommt es manchmal zu Meinungsverschiedenheiten. Die für dich regierende Kaiserin bin ich. Und es geschieht im Reich und für das Reich, was ich anordne. Du wirst es später genauso halten müssen! Sonst gibt es Durcheinander! Wer regiert, muß regieren! Und regieren heißt: streng regieren! Das ist alles.« – »Aber du wirst sie doch nicht fortjagen?« – »Nein. Ich werde sie vielleicht eines Tages bitten müssen, die Regentschaft über dein Königreich Italien einer jüngeren Kraft zu überlassen, welche mehr an das Reich und weniger an Cluny denkt.« – »Bruno sagt, Cluny sei die Zukunft.« – »Das ist die persönliche Meinung eines sehr vorwitzigen jungen Menschen. Cluny ist, was ich ihm erlaube, im Reiche zu sein. Nicht mehr und nicht weniger. Wer sich untersteht, die von mir gezogenen Grenzen zu verletzen, hat es mit mir zu tun, sei er, wer er sei! Im Reich regieren heute – für dich – zwei Menschen: deine Mutter und der Erzkanzler Willigis. Sonst niemand. Bist du jetzt zufrieden?« – »Ja, Mutter. Ich danke dir!«

Ich nahm den Knaben in meine Arme. Er glühte vor Erregung. Er preßte sein Gesicht an meines. Dann legte er seinen Arm um meine Hüften, und wir schritten langsam über ansteigende Stoppelfelder dem Hofgut zu, wo ich eine Mahlzeit hatte richten lassen. Später Rittersporn blühte neben hellrotem Mohn, die Eichenwälder grüßten von den Taunushügeln herüber, aus der Kirche von Hollar fiel ein Glockenton in die Bläue. Mittag über der Wetterau.

 

Ende Oktober erhielt ich die Nachricht, daß der König Hugo Kapet, wütend über die Behandlung seiner Gesandten durch den Papst, die neue Schlacht gegen Karl von Niederlothringen gewagt und verloren hatte. Seine Lage war verzweifelt.

Hugo von der Wetterau begab sich zu dem Grafen Jozelin de Chèvremont, welchem der Oberbefehl über die Westarmee anvertraut war. Ende November bat Gerbert durch Chiffrenachricht, keinesfalls schon jetzt loszuschlagen, sondern seine nächste Mitteilung abzuwarten.

Sie erreichte uns Mitte Januar 991 und meldete, daß sich der Bischof Ascelin von Laon durch Vermittlung des Erzbischofs Arnulf von Reims mit dem Herzog Karl von Niederlothringen ausgesöhnt und sein Bistum Laon wieder übernommen habe, nachdem die Vereidigung auf seinen neuen Herrn über Wein und Brot erfolgt sei.

Nun ließ ich den Reichstag auf den 18. April nach Quedlinburg einberufen. Ich wußte, daß das Spiel seinem Ende zulief und der Krieg unvermeidlich war, sobald sich Hugo Kapet nun zu der erwarteten Dummheit hinreißen, das heißt in die Falle locken lassen würde, die ihm das Reich durch einen falsch rechnenden Helfershelfer – Gerbert – und einen doppelt betrügenden Handlanger – Ascelin – gestellt hatte.

Der Reichstag war schon versammelt, als – am 6. April – Gerberts Geheimkurier eintraf: In der Nacht vom 30. auf 31. März hatte der Bischof Ascelin den Herzog Karl von Niederlothringen, den Erzbischof Arnulf von Reims und die Stadt Laon, wo sich beide gerade aufhielten, an den König Hugo Kapet ausgeliefert. Hugo Kapet hatte beide Gegner gefangengenommen und den Erzbischof für abgesetzt erklärt: Die Rechte der Kurie – also des Reiches – waren verletzt. Der lange herbeigesehnte Grund zum Kriege war da.

Er wurde zwingend, als am 8. April Gerberts zweiter Bote die Nachricht brachte, daß Hugo Kapet auf den 17. Juni ein Konzil nach St. Basle bei Reims einberufen habe, auf dem der Erzbischof Arnulf – unter Ausschluß aller päpstlichen Instanzen – von der französischen Geistlichkeit abgeurteilt und seine schon vom König vollzogene Absetzung proklamiert werden sollte. Das bedeutete nicht nur die flagranteste Verletzung des kanonischen Rechtes, sondern den Auftakt zur Loslösung der gallischen Kirche von der Kurie.

Ich ließ noch in der Nacht zum 9. April die schon lange ausgefertigten Heeresaufgebote ins Land gehen, welche nicht nur eine Verstärkung der Westarmee, sondern eine scharfe Grenzbewachung gegen die slawischen Völker, gegen Böhmen, Polen und Bayern vorsahen. Den Oberbefehl im Nordosten übernahm der Markgraf von Meißen, den im Südosten die Herzöge von Kärnten und Franken, während sich der Herzog von Schwaben zur Verwendung nach Ost und West bereithielt. In Italien übernahm der Herzog von Tuskien die Wacht für das Reich.

Die Thronrede, welche ich auf dem Reichstag von Quedlinburg halten mußte, ließ ich von Willigis ausarbeiten. Sie war kurz, schilderte die Bedeutung des Augenblicks und die Notwendigkeit zielbewußten Handelns, ohne jedoch den Krieg schon als unvermeidlich hinzustellen. Über die Kriegsziele schwieg sie sich aus. Es wäre unklug gewesen, sich vor der Öffentlichkeit festzulegen, ehe noch ein Austausch mit Rom, Pavia und Vienne stattgefunden hatte.

Dagegen ließ ich in dem Kronrat, den ich auf den 20. April einberufen hatte, keinen Zweifel mehr, welche Bedingungen ich Hugo Kapet stellen würde. Es waren anwesend: der Erzkanzler, die Herzöge von Sachsen, Franken, Kärnten, Schwaben, der Markgraf von Meißen, die Erzbischöfe von Hamburg und Köln, die Bischöfe von Würzburg, Augsburg, Lüttich und Cambrai, der Graf Hoiko von Eupen, den ich zum Befehlshaber der Kavallerie von Oberlothringen ernannt hatte, und der Generalstabschef des Oberbefehlshabers im Westen. Die Sitzung fand in strengster Abgeschlossenheit statt. Ich sagte: »Da Ihnen, meine Herren, die Zusammenhänge der Ereignisse, welche die heutige Lage heraufbeschworen haben, bekannt sind, kann ich mich kurz fassen. Ich wünsche den Krieg, um den französischen Herzögen von Burgund und Normandie von vornherein jede Lust zu nehmen, sich mit unserem Heere zu messen und die Feindseligkeiten durch Hilfeleistung für Hugo Kapet in die Länge zu ziehen. Den deutschen Armeen, so wie sie seit zwei Jahren zusammengestellt und geschult worden sind, kann die vereinigte Macht ganz Frankreichs diesmal nicht widerstehen. Der Einmarsch wird konzentrisch von Valenciennes, Bouillon, Verdun und Bar-le-Duc aus erfolgen, falls Hugo Kapet unsere Bedingungen nicht annimmt. Reims wird von den Truppen des Herzogs Karl von Niederlothringen bis zu unserer Ankunft gehalten werden. Sie wissen, daß es seit seiner Befestigung durch den Erzbischof Adalbero militärisch uneinnehmbar ist. Wir werden Hugo Kapet solche Bedingungen stellen, daß er sie nicht annehmen kann. Nimmt er sie – wider alles Erwarten – dennoch an, so gehen unsere Armeen als ›friedliche‹ Besatzungstruppen über die Grenze. Diese Bedingungen sind: Frankreich kehrt in den Rahmen des Imperiums zurück ... Der deutsch-römische Kaiser ist in dem gleichen Sinne französischer König wie deutscher und italisch-langobardischer ... Eine kapetingische Dynastie wird nicht anerkannt, denn das Reich hat nur der am 1. Juni 987 erfolgten ›Proklamation‹ des Herzogs Kapet zum französischen König zugestimmt, die ›Wahl‹ seines Sohnes Robert Kapet zum ›Mitkönig‹ jedoch niemals ›de jure‹ anerkannt. Die Anerkennung der Proklamation Hugos ist hinfällig geworden durch sein Vorgehen gegen einen deutschen Stammesherzog und die widerrechtliche Gefangennahme des Erzbischofs Arnulf von Reims, welcher ausschließlich der Gerichtsbarkeit der Kurie untersteht ... Die französischen Feudalgewalten werden der Reichsgewalt unterstellt, welcher immer der Vorrang gebührt ... Die Stellung des französischen Klerus wird allmählich der des deutschen angepaßt. Bischöfe werden nur vom König ernannt ... Das Konzil von St. Basle wird sofort abgesagt. Über das Herzogtum Franzien wird nach Hugo Kapets Abdankung entschieden ...

An den Herzog Karl von Niederlothringen ergehen folgende Bescheide: Erstens: daß er – wie ihm schon an Weihnachten 987 mitgeteilt wurde – seinen Krieg gegen den König Hugo ohne Billigung des Reiches, das heißt auf ›eigne Rechnung und Gefahr‹ geführt habe. Zweitens: daß das Reich ihn seiner deutschen Herzogswürde – ohne Entehrung – enthebe und diese auf seinen ältesten Sohn Otto übertrage. Drittens: daß ihm die Rückkehr auf deutsches Reichsgebiet untersagt bleibe. Wer Einwände zu erheben hat, erhebe sie.«

Da die Beschlüsse einstimmig angenommen wurden, verkündete ich die Abreise des Hofes am 22. April nach Nymwegen.

 

Eine unheimliche Ruhe, die fast einer Erstarrung glich, war über mich gekommen. Ich weiß nichts mehr von dieser Reise ... Die Höhen, die Täler blühten ... Boten kamen ... Boten gingen ... Von Nymwegen aus ließ ich insgeheim Gerbert von Aurillac die deutsche Erzkanzlerschaft für Frankreich und Ascelin von Laon das Erzbistum Reims anbieten. Denn es war selbstverständlich, daß der Papst die Absetzung Arnulfs durchführen würde, wenn ich sie beantragte. Auch dieser Bastard-Karolinger hatte zu verschwinden ...

Hugo Kapet wies die Bedingungen zurück, erklärte sich aber damit einverstanden, daß Frankreich unter kapetingischer Dynastie in ein ähnliches Verhältnis zum Reich trete wie Burgund.

Ich blieb hart – und stellte am 31. Mai seinem Gesandten das Ultimatum: bedingungslose Annahme – oder deutscher Einmarsch am 17. Juni, dem Tage der geplanten Eröffnung des Konzils von St. Basle. Das Ultimatum war auf achtundvierzig Stunden befristet. Der Gesandte konnte am 7. Juni in Senlis angekommen, die letzte Beratung am 9. Juni abgeschlossen, die Antwort also am 14. Juni durch Eilboten in meinen Händen sein.

Am 2. Juni verlor ich kurz nach der Abendtafel das Bewußtsein. Als man mich zu mir gebracht hatte, erbrach ich mich und fiel erneut zusammen ...

Die Fieber kamen und fraßen mich auf ...

Vor meinen Augen gingen dunkelblaue, graublaue Wogen ... Wochen ... Monate ... Jahre ...

Dann kam das Schweben – das Fortgetragenwerden – auf den Ährenspitzen windbewegter Kornfelder – auf den hortensiablauen Wassern des Bosporos – auf den Teerosenfeldern von Gümüldjinna – Wohin? Wohin?

Habe ich mit dem Gifte der Kapetinger bezahlt? Ich weiß es nicht.

Wo ist mein Sohn? Warum sehe ich meinen Sohn nicht?

Was kann mir daran liegen, wenn die anderen keinen Plan haben, sofern ich nur einen habe?

Nein, nein, die Weltgeschichte hält sich nicht auf bei den Ungerechtigkeiten.

Der Schlaf dieser Nächte ist schwer und entfernt mich vom Leben.

Was ist es, wovon sie immer reden: dieses »große Erbarmen«? Die Gleichgültigkeit der Gründe gegen alles Geschehen, auch gegen die Zurücknahme der Gequälten in die Hülle, an die kein Herz, an die kein Geist mehr rührt.

Wie schön war das Glitzern des Taues im Spinnweb über den Brombeerranken.

Ich kniete lange als Kind über den Gardenien, die in den Gärten von Doma Platanonos blühten ... Ich streichelte sie, und sie verloren nicht ihren Samt.

Er sei gerade aus Cordova gekommen, sagte er zu Anastasia Dalassena ... Wenn ich nur seinen Namen noch wüßte ... Er war aus Elne, am Mittelmeer – und las uns seine Strophen vor:

»Dernier regard dans l'or indifférent des cieux:
Lorsque Dieu nous éteint, il cesse d'être Dieu.«

Du süße Nacht des Blickes, der sich über mich senkt ... Gold, schwarzes Gold im Rahmen der Fensterbögen ... Byzanz ... Byzanz holt mich nach Hause ...

 

Sie wußte nicht mehr, daß es das letzte Gold des niederrheinischen Firmamentes war, in dem ihr Auge, ohne Ermüdung, ohne Erstarrung, stehenblieb. Der junge König fuhr aus seinem Sessel hoch. Die Hand mit den Smaragden des Kaisers Tsimiskes war von der Decke in die Blüten des Päonienbusches geglitten, welcher am Boden neben dem Bette stand. Otto griff gegen seinen Hals. Hoiko fing ihn auf, als er über den erloschenen Fingern niedersank.


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