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II.
Die Niederlage

Der Kronrat fand am 24. November im Schloß von Capua statt. Es waren anwesend: der Kaiser, die Kaiserinwitwe Adelheid, die Äbtissin Mathilde von Quedlinburg, der Herzog Otto von Schwaben und Bayern, der Markgraf von Meißen, der mit dem Hofe ausgesöhnte Bischof Heinrich von Augsburg, der Herzog Udo von Rheinfranken, der deutsche Kanzler für Italien, Philagathós, der Herzog von Tuskien, der Abt Majolus von Cluny (auf besonderen Wunsch Adelheids), der Bischof Dietrich von Metz und ich selbst. Zwölf Personen, die vielleicht über das Schicksal des Reiches zu entscheiden hatten. Ich hatte zur Bedingung meiner Teilnahme gemacht, daß ich als letzte sprechen würde.

Der Kaiser eröffnete die Sitzung und erklärte in wenigen Worten, daß er nach Italien gekommen sei, um nach dem Rechten zu sehen und die Angelegenheiten der süditalischen Fürstentümer persönlich zu regeln, wie dies ja nun in den letzten Wochen geschehen sei. Ein Krieg gegen die Sarazenen sei zwar nie von langer Hand geplant gewesen, ergebe sich aber auf Grund der vorgefundenen Lage als politische Notwendigkeit für das Reich. Es sei unmöglich, daß an der Südgrenze des Reiches Unordnung herrsche. Der arabische Einfall in die Fürstentümer könne in jedem Augenblick erfolgen. Die Araber müßten also nach Sizilien zurückgetrieben werden. So weit sei der deutsche Kriegsplan gediehen gewesen bis zum August. Seitdem nun aber im September bekanntgeworden sei, in welcher schlimmen Lage sich das byzantinische Reich befinde, sei für Deutschland kein Grund vorhanden, sich die noch immer von Ostrom besetzt gehaltenen Gebiete, die ihm von Rechts wegen gehörten, nicht zurückzuholen. Die Themen müßten Groß-Italien und damit dem Reiche wieder einverleibt werden. Es sei nicht nötig, daß deswegen Krieg geführt werde: Byzanz brauche sich ja nur zur Abtretung bereit zu erklären – und die Frage sei geregelt. Wolle es dies nicht, so solle es versuchen, das Reich aus den eroberten Gebieten wieder zu verdrängen. Denn daß man die Themen erobern werde, daran könne man nach der »Erledigung« der Araber wohl keinen Zweifel hegen. Neue Aufgebote würden im Dezember ergehen, im Frühsommer des nächsten Jahres werde die deutsche Armee marschbereit sein. Was noch zur Beratung stehe, seien militärische Einzelheiten, nicht mehr der Plan selbst. Da jedoch seine Mutter, als Hüterin des politischen Vermächtnisses seines erlauchten Vaters, den Wunsch geäußert habe, die tiefere, sozusagen überpolitische Bedeutung dieses Krieges darzulegen, sei es selbstverständlich, daß diesem Wunsche willfahren werde. Und da des weiteren seine Gattin, als geborene Byzantinerin, den Anspruch erheben könne, gehört zu werden, so solle auch ihr noch nach der Kaiserin-Mutter das Wort erteilt werden.

Adelheid erhob sich aus ihrem hohen Lehnsessel und nahm ein Pergament entgegen, das ihr Dietrich von Metz überreichte ... Dann las sie mit ihrer tiefen, sich an sich selbst berauschenden Stimme ein wahres Opusculum gottseliger Dinge, das ihr der siebzigjährige Majolus zusammengedrechselt hatte, in so peinlichem Pathos vor, daß einem der Atem stehenblieb: Der Wille ihres hochseligen Gemahles, die heilige Sache der Christenheit, für die sein Blut zu vergießen höchste Gnade sei, die Tränen der Märtyrermütter, welche von den Engeln in goldnen Schalen gesammelt würden, der Gottesdienst der Rechtgläubigen, welcher den byzantinischen Ritus ausrotten müsse, die strenge Zucht des Abendlandes, welche die orientalische Sittenlosigkeit in den Themen in wenig Wochen fortfegen werde, der Auftrag des Herrn an seinen getreuesten Diener und Vollstrecker, den deutschen Kaiser, ihren Sohn, die Krone des Lebens für die wahrhaft Getreuen ...

Ich betrachtete mich im Glanze meiner Fingernägel, weil ich gar nicht aufzuschauen wagte, ehe die Litanei endlich zu Ende war. Glaukós, der mir gegenüber saß, warf mir einen Blick zu, den der Kaiser unwillig auffing. Er wollte nicht merken, daß ein Aufatmen durch das Zimmer ging, als die Kaiserin ihr Pergament auf den Boden gleiten ließ und in stummer Verzückung vor ihrem erhöhten Sessel stehenblieb. Wenn wir jetzt alle ein ergriffenes Amen gesummt hätten, wäre sie wahrscheinlich sehr glücklich gewesen. Aber keine Lippe regte sich, der Herzog von Tuskien hustete, Philagathós putzte sich die Nase wie einer, der eine Rührung vortäuscht, Dietrich von Metz rollte das Pergament wieder zusammen, und Otto hatte alle Mühe, die »überlegene Weisheit« seiner Mutter in ein paar unglaubhaften Worten glaubhaft zu machen ... Ich befahl, daß man uns Wein bringe und die Kerzen anzünde, da es schon zu dunkeln begann. Adelheid schüttelte langsam den Kopf, wies aber den Pokal nicht zurück, den ihr der Page reichte. Ich ließ die Becher, welche rasch geleert worden waren, zum zweiten und dritten Male füllen, ehe ich meine Ansprache begann. Ich brannte darauf, zu sprechen ... Wozu hatte ich die Schule der Rethorik im kaiserlichen Gynaikeion in Byzanz durchlaufen, mich üben gelernt an so herrlichen Themen wie zum Beispiel: »Jemandem die Wahrheit zu sagen, indem man ihn belügt«, oder: »Jemanden zu tadeln, indem man ihn lobt«, oder: »Etwas zu beweisen, das nicht besteht«? Schade nur, daß ich mich nicht der griechischen Sprache bedienen konnte! Ich hätte noch etwas unerbittlicher sein können ... Man wartete offenbar darauf, daß ich mir auch ein erlauchtes Pergament reichen ließe, mich auch erhöbe, aber ich hatte nichts aufgezeichnet, und ich hatte auch gar keine Lust, eine Viertelstunde lang zu stehen ...

 

»Da wir hier ja ganz unter uns sind«, begann ich, »ist es wohl erlaubt, mit der Offenheit zu sprechen, welche der außerordentliche Ernst der Stunde verlangt. Ich schmeichle mir nicht, über die Gefühlstiefe und Wortblüte meiner erlauchten Schwiegermutter zu verfügen. Noch weniger möchte ich mir anmaßen, auf meine etwas nüchterne byzantinische Art die gleich erhabenen Gedanken vorzutragen, welche die Kaiserin selbst fast zu Tränen erschüttert haben, aber niemanden sonst. Ich möchte gar keinen Bezug nehmen zu den fast sakralen Bekenntnissen einer schönen Seele, welche wir soeben vernommen haben und ganz gewiß bis an das Ende unserer Tage nicht vergessen werden: Ich möchte mich vielmehr an die Erklärungen des Kaisers halten und ihnen die Kommentare zufügen, welche mein bescheidener Geist zu formen vermag. Ich bin der Ansicht, daß wir im Politischen bleiben müssen, wenn wir den Sinn oder den Unsinn des geplanten Krieges abwägen wollen – und daß wir uns bei diesen Abwägungen nicht von allzu hohen Ideen oder Gefühlen bestimmen lassen dürfen, sondern allein von dem Nutzen, den ein Kampf gegen die Araber, sprich Byzantiner, uns bringen könnte. Prestige kommt aus dem Erfolg. Erfolglos um eines Prestiges willen zu kämpfen, zerstört sogar das Maß schon vorhandenen Prestiges. Ich bin eben keineswegs davon überzeugt, daß der Sieg über die Araber so leicht zu erringen sei, wie man dies in den deutschen Militärkreisen anzunehmen scheint. Ich habe als Byzantinerin vielleicht einige Ahnung davon, welche gefährlichen Feinde die Sarazenen sind. Wenn ich mich nun mit einem sehr gefährlichen Gegner einlasse, so muß ich wissen, ob sich der Einsatz lohnt. Dies scheint mir in Süditalien nicht der Fall zu sein. Denn die Araber – gesetztenfalles, sie würden von uns geschlagen – können keinesfalls von uns vernichtet werden. Nur ein vernichteter Gegner aber ist wirklich eine beseitigte Gefahr. Ein geschlagener kann sich wieder erholen und wird dann erst recht gefährlich. Die Araber beherrschen Sizilien. Sie verfügen über große Flotten und können aus Afrika immer wieder Truppen nach der Insel schaffen, und diese Truppen können immer wieder über die Meerenge von Messina nach dem kalabrischen Festlande geschafft werden. Der einzige Staat, der diese sarazenischen Flottenbewegungen vielleicht unterbinden könnte, ist der byzantinische. Denn der hat auch eine Flotte, und zwar eine beträchtliche, wie Ihnen allen ja bekannt sein dürfte. Wenn also die Deutschen Gott zum Wohlgefallen und der Christenheit zum Segen die Araber in Süditalien mit Erfolg bekämpfen möchten, so müssen sie das gemeinsam mit Byzanz tun, sofern sie nicht unangenehme Überraschungen erleben wollen. Doch nur in der Abwehr könnte Deutschland auf Byzanz rechnen. Ich sage Ihnen aber: die Araber werden uns nicht angreifen. Sie haben genug mit Byzanz zu tun. Sie werden um so weniger angreifen, je stärker wir die süditalischen Grenzen befestigen. Wozu also große deutsche Heere im Süden. Wozu ein sinnloser Präventivkrieg? Wir erleben es ja unter unseren Augen, wie lange die Aufstellung einer Armee dauert und – seien wir ehrlich – auf welche Schwierigkeiten, um nicht zu sagen, Widerstände, sie stößt. Setzen wir nun einmal den Fall, ein solches mühsam über Tausende von Meilen herbeigeschafftes Heer, das auf fremdem Boden und unter fremden Lebensbedingungen kämpft, würde geschlagen: ja, was wäre dann? Woher soll denn Hilfe, woher Ersatz kommen? Geld und Gut und Mann und Roß und alles so beliebte Prestige wären verloren, und man hätte im besten Falle als Gewinn die Prüfung zu buchen, welche der Herr den Seinen manchmal auferlegt. Solche Prüfungen genießen hohes Ansehen vor dem erhabenen Geiste von Cluny, sind aber bei Völkern weniger beliebt, und um so weniger, als sie dort meistens ihren Zweck verfehlen: nämlich die Menschen besser zu machen und zu jener vielgerühmten ›Einkehr‹ zu bringen, mit der man sich allerdings noch keine Belagerungsmaschine und keinen Sack Hafer für sein Pferd kaufen kann. Sie müssen nicht unruhig werden, Majestät, und Sie auch nicht, Herr Abt: Entrüstung bringt uns nicht weiter, sondern macht uns heiße Ohren! Ich kann nicht gut verdächtigt werden, eine schlechte Christin zu sein: wenn ich auch zugeben muß, daß ich lieber zu der Theotokos bete als zu dem Gekreuzigten, und sogenannte ›Reformen‹ immer von zwei Seiten betrachte. Ich meine, man solle sein Christentum da betätigen, wo diese Betätigung fruchtbar werden kann. Ich sehe nicht recht ein, warum Deutschland den Ort dieser Betätigung weit über zweitausend Meilen von seiner eigentlichen Mitte entfernt suchen muß. Wenn da unten in Süditalien die ›Ungläubigen‹ bekämpft werden sollen: warum will man denn diese Aufgabe nicht den auf solche Kämpfe eingerichteten Byzantinern überlassen? Sie sind doch dort seit Jahrhunderten zu Hause! Hat der große Kaiser Otto nicht selbst Deutschland die Wege nach Osten und Norden gewiesen? Und hat er nicht selbst recht bittere, aber auch recht lehrreiche Erfahrungen mit seinen Kämpfen in Süditalien gemacht? Ist Bari schon vergessen? Es wird ja kein Mensch auf Gottes Erdboden dem deutschen Kaiser glauben, daß er die Araber aus Kalabrien und Apulien verjagen will, nur um die Araber zu verjagen! Es wäre schlimm genug, wenn man es glaubte! Denn man würde damit dem Herrn des Abendlandes ein Armutszeugnis ausstellen, das er gewiß nicht verdient! Und hier eben liegt, wie man in Byzanz zu sagen pflegt, der Dotter im Ei! Man macht uns Deutsche lächerlich vor Gott und der Welt, wenn man uns zu Auskehrbesen für ein paar Ungläubige in einem fremden Lande erniedrigt! Wir sind nicht dazu da, die Geschäfte einiger verschlagener Kirchenmänner zu besorgen! Erst kommt das Reich – und dann kommt die Tiara, obwohl sie dasselbe sind! Wir haben Aufgaben zu erfüllen, an denen Gott ein wahrhaftes Wohlgefallen hat! Herr Dietrich von Metz, ich dulde keine Einwände, solange ich spreche! Wenn Ihnen meine Worte nicht angenehm sind, so will ich Ihnen erlauben, an die Luft zu gehen! Einmal muß hier die Wahrheit gesagt werden, ehe dieser ganze Hofstaat in Phrase und Hinterhältigkeit erstickt! Ich spreche nicht für meine Person, welche nebensächlich ist, ich spreche für das Reich, dessen regierende Kaiserin ich bin, und ich spreche für meinen Sohn! Wollen Sie das nicht vergessen! Ich habe einen Sohn! Ich möchte, daß dieser Sohn scharf, klar und erbarmungslos denken lernt! Und ich möchte, daß er sich nicht mit den Folgen und Ergebnissen einer Politik herumplagen muß, welche – Unfug ist! Kaiser Otto, auch Sie brauchen nicht aufzuspringen! Sie wissen, daß ich recht habe – Sie haben nur leider wieder etwas zuviel auf Leute gehört, die Sie sich besser vom Leibe hielten! Das gesamte süditalische Unternehmen ist barer Unfug! Überkommenheit hin, Überkommenheit her: Geschichte wird nach vorwärts gemacht, und nicht nach rückwärts! Sonst müßten wir ja schließlich wieder bei der Rippe des verewigten Adam landen! Ich, die Fremde, ich, die Unbeteiligte, sehe, was die Deutschen nicht sehen: das Phantom ›Italia tota‹, das noch zum Grabe des Reiches werden kann! Ungeahnte Möglichkeiten liegen im Osten, liegen im Norden: und sie werden nicht so gesehen, wie sie gesehen werden müßten! Byzanz aber soll eine Flottenbasis opfern, die einer seiner wichtigsten Stützpunkte im Mittelmeer ist! Dieses Opfer wird es niemals bringen! Mißtrauen Sie Byzanz, sobald Sie es einmal gereizt haben! So gut sich der Kaiser Nikephoros Phokas II. im Jahre 967 mit den Fatimiden gegen die Deutschen verband, so gut mein eigner Oheim sich mit dem Kalifen von Bagdad gegen den Basileus einigte: so gut kann sich auch Basileios II. mit Abul Kasim gegen den Kaiser verbünden! Treiben Sie kein Spiel mit dem Feuer! Blasen Sie diesen ganzen Krieg ab: es ist noch Zeit! Und bleiben Sie in der Linie jener großen Politik, die sich in Tsimiskes verkörpert! Möchten Sie aber – dem Christengott zu Ehren – unter allen Umständen in Süditalien Märtyrer schaffen, so geben Sie Byzanz unverbrüchliche Garantien, daß Sie die Themen nicht erobern wollen. Vielleicht wird man Ihnen glauben. Vielleicht auch nicht. Die oströmische Politik hat eine Dosis Mißtrauen mehr in ihren Rezepten als die Politik anderer Staaten. Ich habe gewarnt. Für das Reich und für meinen Sohn. Ich habe mein letztes Wort gesagt. Mein Platz – wie unser aller – ist, komme, was da wolle, an der Seite des deutschen Kaisers und des Thronerben.«

Glaukós stand auf: »Eure Majestät haben ausgesprochen, was die Jugend denkt.« Adelheid und Majolus verließen den Saal. Der Kaiser blieb ratlos, bis ihn seine Schwester Mathilde um die Schulter faßte und zu mir führte ...

Es entsprach seiner Natur, daß meine Worte ihn nicht etwa in Wut, sondern in einen Zustand großer Niedergeschlagenheit versetzt hatten. Er fragte mich, warum ich ihm eine solche Schande angetan habe ... »Schande?« erwiderte ich. »Was ist da an Schande? Ich habe einigen Leuten zu verstehen gegeben, daß man sie durchschaut. Das ist alles. Ich habe – da ich es mir als regierende Kaiserin erlauben konnte – nichts anderes gesagt, als was jeder weiß und jeder denkt. Ihre Mutter, welche heute zu einer komischen Figur geworden ist, wird uns nun endlich von ihrer Gegenwart befreien; Mathilde wird uns in Deutschland große Dienste leisten, indem sie die Politik der Vernunft vertritt, Dietrich von Metz ist gewarnt, Glaukós geht für Sie durchs Feuer – wo ist da ›Schande‹? Sie werden mir jetzt folgendes versprechen: Sie werden drei Tage lang mit sich zu Rat gehen, ohne sich mit irgend jemandem zu besprechen. Auch nicht mit mir. Sie werden dann diejenige Entscheidung fällen, die Sie für richtig halten. Wir werden uns ihr ohne Widerspruch unterwerfen. Sie sollen niemals das Gefühl haben, daß Sie beschwätzt worden sind. Sie sind der Kaiser. Entscheidung und Verantwortung liegen bei Ihnen.« – »Und Sie würden wirklich diesen ganzen Krieg abblasen?« – »Zu dieser Stunde noch, wenn die Entscheidung bei mir läge. Ich würde die Südgrenze ausbauen lassen. Ich würde mit den Arabern einen Handelsvertrag und Nichtangriffspakt abschließen. Dem Kaiser Basileios II. aber würde ich, gerade weil er augenblicklich einen schweren Stand hat, die früheren Garantien erneuen. Das würde ich tun. Und danach so schnell wie möglich nach Deutschland zurückkehren, um an den Ostgrenzen nach dem Rechten zu sehen. Der Kaiserin Adelheid würde ich es zur Pflicht machen, ihre Residenz Pavia nur in den dringendsten Fällen zu verlassen. Und Herrn Majolus von Cluny würde ich einmal etwas genauer auf die Finger sehen. Es sind mir in Rom einige Dinge aufgefallen, die mir zu denken gegeben haben. Schon Tsimiskes hatte mich auf die Gefahr ›Cluny‹ hingewiesen. Der ›Heilige Krieg‹, von dem Ihre Mutter wie eine hysterische Nonne redete, ist wohl auf dem Boden von Cluny gewachsen. Méfiez-vous! Daß man einem verrotteten Mönchspack Zucht beibringt: gut! Aber daß man sich unter gottseligen Vorwänden in die europäische Politik drängt: das ist zu unterbinden! Nicht Majolus hat Schuld: der ist ja schon im Jenseits. Aber seine Untergebenen! Cluny ist französisch. Der König Lothar ist sein Gönner! Halten Sie die Ohren und die Augen offen.«

Bei der Abendtafel waren weder die Kaiserinmutter noch der Abt Majolus, noch Dietrich von Metz anwesend. Wir blieben bis spät bei Wein und schönem Gespräch. Der Kaiser hatte bekanntgegeben, daß er am 27. November, mittags um zwölf, sein letztes Wort über den Krieg sagen werde ...

Am nächsten Morgen ritt er, nur von ein paar Reitknechten begleitet, in die Kastanienwälder hinter der Stadt, wo er sich schon als junger Mann eine Jagdhütte hatte bauen lassen. Bei seiner Rückkehr eröffnete er dem abermals versammelten Kronrat, daß er nach drei Tagen gründlichen und einsamen Nachdenkens zu dem Entschluß gekommen sei, den Krieg gegen die Araber zu führen, auf die Absendung eines Ultimatums an Byzanz aber zu verzichten, also selbstverständlich auch »vorläufig« von einer Eroberung der Themen abzusehen. Gewiß: das war besser als nichts. Aber es war immerhin noch schlimm genug, denn kein Mensch in Byzanz würde an die Ehrlichkeit der deutschen Absichten glauben ... Es blieb abzuwarten, was die oströmische Regierung auf die noch am gleichen Tag durch Hugo von der Wetterau nach Byzanz geschickte Note antworten würde. Diese Antwort war am 30. Januar 982 in unseren Händen, als wir uns eben anschickten, das Hoflager von Matera nach Tarent zu verlegen: Der Basileus Basileios II. ließ die deutsche Regierung in freundschaftlichen Worten bitten, den apulischen Feldzug überhaupt aufzugeben und einen Zeitpunkt abzuwarten, wo gemeinsame deutsch-byzantinische Aktionen gegen die fatimidische Herrschaft in Sizilien selbst unternommen werden könnten. Die süditalische Frage sei zu wichtig, als daß man sie nicht auf lange Sicht zu lösen trachte. Ich erkannte, als ich die Note las, sofort den klugen und menschlichen Geist des Niketas, der Ton und Text des Schreibens bestimmt hatte. Ein persönliches Handschreiben des Basileios an den Kaiser, sowie ein ausführlicher Brief des Niketas an mich waren ebenfalls Hugo übergeben worden. Der byzantinische Gardeoffizier, mit dem er auf einer Eiltrireme die Reise von Byzanz nach Tarent gemacht hatte, sollte den Bescheid des deutschen Kaisers sogleich in die Magnaura zurückbringen. Es war also der deutschen Regierung eine letzte, unerwartete und außergewöhnlich günstige Gelegenheit gegeben, sich in Ehren aus einem Wagnis zurückzuziehen, das um so gewagter erschien, je mehr man sich dem zukünftigen Kriegsschauplatz näherte. Glaukós, Hugo, die Generale des Herzogs von Tuskien, der Herzog Udo von Rheinfranken, der Kanzler Philagathós und ich waren für die sofortige Annahme der byzantinischen Vorschläge. Wir wußten, daß Basileios selbstverständlich mit dem gleichen Schiff Kuriere an Abul Kasim gesandt hatte, und gaben uns keiner Täuschung über den Inhalt ihrer Schreiben hin: Er sicherte den Arabern seine Hilfe zu für den Fall eines deutschen Vormarsches und Angriffs. Was auch wäre ihm anderes übriggeblieben, sofern er nicht freiwillig auf den Besitz der Themen verzichten wollte? Dies aber konnte er – wie Hugo mit großer Geistesschärfe dem Kaiser auseinandersetzte – um so weniger tun, als er nach dem Siege der Bulgaren darauf bedacht sein mußte, nicht in den Ruf eines ohnmächtigen und unfähigen Herrschers zu kommen. Es ging hier um eine Frage des persönlichen Prestiges, welche gleichzeitig eine dynastische Machtfrage war. Niemand hätte dies besser begreifen sollen als ein Kaiser, der die Erfahrung der bayrischen Aufstände gemacht hatte. Aber er argumentierte anders: Der Schritt des Basileus sei ein Zeichen von solcher Schwäche, daß man aufgehängt werden müsse, wenn man sich die einzigartige Gelegenheit entgehen lasse. Er werde natürlich auch jetzt kein Ultimatum stellen. Aber er werde antworten, daß die Vorbereitungen zu dem Krieg gegen die »Ungläubigen« schon viel zu weit fortgeschritten seien, um rückgängig gemacht zu werden. Der Basileus solle sich doch freuen, wenn ihm der deutsche Kaiser sozusagen das arabische Geschäft besorge ... Er war, wie er uns nach diesen Darlegungen mitteilte, fest entschlossen, die Themen nach dem Siege über die Araber dem Reiche einzuverleiben. Vorläufig aber werde er den Schein wahren und vor den Mauern der byzantinischen Städte seine Feldlager aufschlagen. In einem halben Jahre werde die gesamte Angelegenheit ein anderes Aussehen haben. Er wolle dann gerne mit Basileios verhandeln. Doch zunächst müsse ein »fait accompli« geschaffen werden. Die Kriegspartei, welche mittlerweile beträchtliche Verstärkung aus Deutschland erhalten hatte, fand die Erwägungen des Kaisers von so zwingender Folgerichtigkeit, daß sich nur »Narren oder Verräter« gegen sie auflehnen könnten. Auf diese Bemerkung eines ostmärkischen Grafen hin bat Hugo von der Wetterau den Kaiser um seine Entlassung: Er könne unmöglich noch Adjutantendienste tun, wenn er eine solche Beschimpfung auf sich sitzen lassen müsse. Er verlange, daß ihm durch den Kaiser selbst Genugtuung verschafft werde, und zwar zur gleichen Stunde. Es gehe nicht an, jemanden mit solchen Worten zu bezeichnen, der sein ganzes Leben lang nichts anderes getan habe, als dem Kaiser und dem Reich in der besten Absicht zu dienen, und der es für seine selbstverständliche Pflicht halte, seine Meinung ehrlich zu sagen, wenn er um diese Meinung befragt werde ... Der Kaiser, welcher ein hohes Ehrgefühl besaß, erteilte dem Lästermaul einen scharfen Verweis und versicherte Hugo seiner besonderen Zuneigung. Da diese Regelung der Angelegenheiten weder Glaukós noch dem Herzog von Rheinfranken genügte, mußte er sich entschließen, den Ehrabschneider aus dem Heere zu entfernen. Aber auch damit begnügte sich Glaukós noch nicht. Er forderte, daß Hugo einige kaiserliche Gutshöfe in Westfranken als Geschenk erhielte: Es sei die Pflicht der Kaiser, jeder Gesinnungslumperei durch sichtbare Taten zu begegnen. Wo solle man hinkommen, wenn man Flegeln nicht sofort klarmache, wie ihr übles Handwerk beurteilt werde. Auch dieses Verlangen wurde erfüllt. Aber Hugo lehnte das Geschenk ab: Der Kaiser habe ihm reichlich Genüge getan. Er wünsche keine Sonderbelohnung für seine Dienste. Und seine Meinung bleibe seine Meinung: Die Ablehnung des byzantinischen Vorschlags sei ein Fehler. Aber dies stehe ja nicht mehr zur Diskussion. Da der Kaiser entschieden habe, müßten die Dinge nun den Lauf nehmen, den diese Entscheidung zeitigen werde.

Der Kaiser war sehr niedergeschlagen über alle diese Vorgänge: »Meine Freunde verlassen mich«, sagte er eines Abends zu mir, als er neben mir lag. »Nein«, erwiderte ich, »Sie hören nicht mehr auf Ihre Freunde!« – »Seien Sie ganz ehrlich, Theophano: Habe ich überhaupt Freunde?« – »Ganz bestimmt. Aber es ist dennoch gut, daß Sie sich die Frage stellen. Denn gerade die Freundschaften müssen gepflegt werden!« – »Wie soll ein Kaiser dazu Zeit finden?« – »Ein Kaiser hat mehr Zeit als alle anderen Menschen auf der Welt. Er muß sie nur anzuwenden verstehen. Die deutschen Kaiser sind immer noch viel zu sichtbar. Sichtbarkeit kostet Kraft und Zeit.« – »Ich habe oft über das gleiche nachgedacht. Das deutsche Kaisertum ist noch nicht reif für die Unsichtbarkeit wie das byzantinische. Es ist zu jung.« – »Nein: es ist noch nicht dem Feudalismus entwachsen. Es hat noch nicht die – Verachtung gelernt! Sehen Sie sich diesen Dietrich von Metz an: und Sie werden verstehen, was ich meine. Der ganze Hof wedelt vor ihm: und er wäre der erste, der Sie im Stich ließe, wenn er fände, daß sein Weizen nicht mehr bei Ihnen blüht! Sehen Sie sich Ihre Mutter an, welche, trotz ihrer Erfahrungen, heute noch in Weltseligkeit schwimmt, weil sie über den ›Apparat‹ nicht hinauskommt. Sie entzückt sich an allen, die nach ihrer Flöte tanzen – und merkt nicht, daß diese Tänzer Strohpuppen sind, weil sie gar nicht weiß, was ein Mensch ist. Wüßte sie dies, wäre sie längst zur Verächterin geworden und vielleicht eine große Fürstin. Da sie aber auch keine Einsamkeit ertragen kann, flüchtet sie sich nach Cluny. Cluny ist sehr bequem. Es lullt die Leben ein, die sich ihm verschreiben – und saugt sie aus. Es lebt sich leicht gegen das Ende hin im Schatten von Cluny. Seit ihrer Rede in Capua habe ich das Siegel über ihren Namen gesetzt. Hüten Sie sich vor dem Geiste dieser Frau: er ist der Ungeist. Ihre Tränen sind keinen Obolos wert!« – »Warum sagen Sie mir dies gerade jetzt?« – »Weil Dinge eintreten könnten, die Sie erneut in die Arme ihrer Mutter treiben, wo Sie ganz auf sich selbst stehen müßten.« – »Glauben Sie wirklich, daß wir diesen Krieg verlieren?« – »Das glaube ich nicht, sofern Sie diesmal die strategischen Vorbereitungen besser treffen als in Frankreich. Aber ich glaube auch nicht, daß uns ein Sieg das bringt, was Sie erwarten. Mir ist das gleich: sofern der Vater dem Sohne erhalten bleibt. Das Reich steht auf Ihnen ganz allein. Daß Sie leben, ist wichtig. Vor Ihrem Leben gelten die Themen noch weniger als einen Obolos. Denn ohne Sie – zerfällt das Reich vor einem unmündigen Kind. Kämpfen Sie so, daß Sie am Leben bleiben! Versprechen Sie mir, daß Sie nicht als ›Ritter‹, sondern als ›Kaiser‹ in diesen Krieg gehen, sofern Sie wollen, daß ich noch eine ruhige Stunde habe.« Ich erhielt keine Antwort mehr. Der Kaiser lag mit offnen Augen, regungslos, indessen das Licht der Ampel über seinen traurigen Zügen zuckte ... Lange lag er so. Dann sagte er: »Was heißen Versprechen vor dem Schicksal? Glauben Sie an mich, Theophano, und beten Sie zu Gott, daß er mich nicht verwirre.«

 

Von Ende Februar bis Mitte Juni lagen wir vor Tarent. Täglich kamen Truppen aus Deutschland an, Sachsen, Franken, Schwaben, Bayern, Lothringer, Slawen. Alle waren gut ausgerüstet und voll heiligen Eifers für den »Heiligen Krieg«. Es wimmelte von Männern der Kirche. Die Empfänge bei Hof wurden zu einer Tortur. Gesichter und Namen, Namen und Gesichter, gehört, gesehn, vergessen ... Es war ein Leben und Treiben im Lager, als ob die Schlacht schon stattgefunden habe und der Sieg schon errungen worden sei. Es wurde bis tief in die Nächte gesungen und getrunken. Es wurde in Tarent gekauft, was zu kaufen war. Die Preise stiegen. Die Kaufleute machten gute Geschäfte. Aber sie vermieden jedes politische Gespräch und jede Anbiederung. Sie waren Griechen, schlau und mißtrauisch. Sie wußten nicht, was ein »guter Kerl« war, deren es unter diesen deutschen Soldaten zu viele gab. Ich ging oft zu den Truppen. Ich wußte, daß ich dem Kaiser damit eine Freude machte. Ich sagte ihm nicht, wie es mir zumute war. Ich hatte kein Recht mehr, seine wiedererwachte Zuversicht zu schwächen. Anfang Mai konnte ich ihm sagen, daß ich abermals guter Hoffnung sei. Er nahm es als ein gutes Vorzeichen und meinte, ich solle ihm den Sohn des Sieges schenken ... Ich bat ihn, nun ferne vom Lager leben zu dürfen. Er willigte ein – und ich bezog ein schönes, weißes Haus am Meer, zwischen Tarent und Chiatona: ein Haus wie am Bosporos oder an der bithynischen Küste des Pontos. Da waren Peristyle um rieselnde Brunnenbecken, Altane gegen das Meer, weißgetünchte Zimmer voll violetter Schatten, Gärten und Gärten ... Die Gärten von Doma Platanonos waren nicht geheimnisvoller, nicht lockender mit ihren Lorbeerhecken und Zypressenalleen ... Hier gab es nur wenige Zypressen, aber es gab, zwischen Meer und Westterrasse, einen Wald von aufgeblühten Oleanderbäumen, deren Duft am Abend durch die Zimmer drängte und die Sinne benahm wie der Saft der Lotosblätter oder des Hanfes ... »Doma Laésteōs« hieß dieses Haus, das der Kaiser von dem berühmtesten Purpurhändler Süditaliens gemietet hatte ... »Haus des Vergessens« ... In kleinen goldnen Buchstaben stand der Name in eine dorische Säule am Eingangstor gemeißelt – und ich war fast erschrocken, als ich ihn bei meiner Ankunft gelesen hatte ... Vergessenheit! Wort für etwas, das es nicht gibt – und darum süßestes Wort ... Wunschwort aller, die in die ewige Tat verwiesen sind – sei es des Werkes oder der Liebe ... Wort, auf das ich noch keinen Anspruch hatte: Traumwort, das ich vielleicht niemals würde aussprechen dürfen ...

Aber nun unterlag ich ihm. Ich wußte, daß ich zum letztenmal auf dieser griechischen Erde weilte, zum letztenmal die Fluten dieses Ionischen Meeres in meinen Fingern zerrinnen ließ und als Geschlagene heimkehren würde mit einem geschlagenen Kaiser, dem Gott an diesem Meere die Grenze setzen würde ... Hier hörte der deutsche Wille auf: Hier wirkte das Gesetz der Unentrinnbarkeit ... Ich wurde ruhig seit der Abendstunde, die mich aufgelichtet hatte, so ruhig, daß ich kaum mein eignes Atmen noch begriff. Theophano Skleros: wer war Theophano Skleros? Zu meinen Füßen spielte das Kind noch spät mit seinen Puppen und Tieren, im Westen brannten die Himmel über den Bergen der Basilikata, und ostwärts schwamm über dem weinfarbigen Meere die silbergrüne Barke des Mondes ...

Θάλαττα,
Οἶνοπε Θάλαττα,
Θάλατταα ...

Mittag am Kap Matapán ... Abend in Ithakas Hyazinthenwiesen ... Süße der Dinge, die wir niemals, die wir niemals wiedersehen.

 

Oft kamen Glaukós und Hugo von der Wetterau zu mir herüber. Ich erfuhr durch sie, welche neuen Truppen aus Deutschland und Italien angekommen waren, was man von den Landungen der Sarazenen auf dem Festlande ausgekundschaftet hatte und wie sich die byzantinische Bevölkerung verhielt. Der Emir Abul Kasim wußte, worum es diesmal ging. Er führte seine besten Regimenter durch die Wälder der Sila gegen das Vorgebirge von Cotrone und ließ seine Kriegsschiffe bis gegen Cirò und Cariati kreuzen ... Dort also, sagte ich mir, dort wird sich das Schicksal der Themen, wird sich vielleicht das meine entscheiden. Der Kaiser hatte es gewagt, griechische Schiffe, die im Hafen von Tarent vor Anker lagen, für seine Truppen zu mieten. Der größte Teil des Heeres aber zog auf der Uferstraße nach Rossano, wohin Anfang Juni das Hauptquartier verlegt wurde. Ich folgte dem Heere mit der Nachhut am letzten Tage des Monates. Wenige Tage vor meiner Abreise brachte Glaukós, dem die Sorge um meine Übersiedlung anvertraut worden war, einen jungen Tarentiner zur Abendmahlzeit, Michaël von Massafra, dessen Gedichte bis nach Byzanz Aufsehen erregten und die Pfaffen zur Verzweiflung brachten. Er hatte den gedrungenen Kopf, den Skopas oder Polyklet seinen Statuen zu geben pflegte, und Hände, die man mit den Lippen hätte streicheln mögen. Seine Füße schritten leicht in den schmalen Schuhen, und seine Hüften ruhten eng in der Fessel des Purpurgürtels. Er sagte uns einige seiner Strophen, als wir nach dem Essen auf der Terrasse über dem Meere saßen. Er sprach sie, auf der Mauer sitzend und den dunklen Kopf an eine Säule lehnend, mit eintöniger Stimme und ohne Kitharabegleitung.

Hellas

I

Verlorene Mühe jedes Wort!
Sie sagen »Hellas«: und die süßen Klänge
Erstarren schon in ihrer ersten Frage:
»Was soll uns dieser seelenlose Marmor?«

Vergrabt euch erst im Dunkel ewiger Silben,
Hört den Gesang der glühenden Wurzeln tönen,
Im unterirdischen Wald der Götterlaute,
Und kleidet, eh ihr urteilt, euch in Demut!

Die Eichenwälder von Dodona rauschen
Nicht jedem frechen Ohre, und die Stirne,
In der die Flamme des Lysippos starb,
Erschließt sich nicht dem flüchtigen Begaffer.

Wißt: die Griechen waren
Der Völker heißestes: und was sie ewig macht:
Des Feuers letzte Bändigung: nichts
Als Heiterkeit!

II

Die Wasser der Erinnerung
Mit breiten Rändern
Dorischen Frühgoldes
Rauschen im Strom unseres Blutes,
Weiterwollende nun,
Wasser des Anbruchs.

O wir Dunkel-Nachgeborenen
Unvergänglichen Erbes,
Manchmal zerreißt unserem Auge
Nie gelichtetes Wirrsal,
Münden, von sinkenden Sternen besprüht,
Uns tausend Bäche des Leides,
Suchender Sehnsucht und
Oft zerspaltener Hoffnung
Im Meer des Friedens:
Verlassene Täler befruchten sich neu,
Ernähren ein reines Geschlecht,
Das mit Göttern wandelt,
Erdwärts gebogener Stirne
In offne Himmel blickend.

 

Táras

I

Wer will dich schelten, weil du dem Genießen
Den Vorrang gabst? Solang die Erde dreht,
Sieht man den Haß der Niedrigen entsprießen,
Wenn einer ganz zu seinen Freuden steht!

O süße Stadt: du zahltest mit dem Leben,
Was du berauschend uns vorausgelebt ...
Nun, da wir staunend deine Schätze heben,
Sehn wir die Fülle erst, die du erstrebt,

Und können leichter auch den Stolz begreifen,
Mit dem du rohem Handwerk dich entzogst:
Rom, die Barbarin, ließ dein Bollwerk schleifen,
Als du ihr heimlich schon das Rückgrat bogst.

II

Schlafende jenen, Entschlafene,
Wachende mir, ewig antreibende:
Táras, Tochter der Lust und ihre Überin,
Selige, die sich nicht selber belog,
Menschliches göttlich verrichtend,
Milde, immer geneigte,
Lächelnde über Leid hin und Wahn
Hochfahrenden Geistes: in dir erquickt sich
Mein brennendes Wesen wie die
Heftig hauchende Amaryllis
Sich erquickt am lindernden Regen
Blauer April-Nacht.

 

Es war dunkel geworden, als die dunkle Stimme verstummte. Aber sie sang weiter in uns und gegen den Duft der Oleanderblüten, der zu den auftauenden Sternen stieg. Ich trat neben Michaël von Massafra, der mir die Augen entgegenhob: »Wollen Sie mir diese Strophen aufschreiben? Ich möchte sie auswendig lernen ... Wollen Sie morgen wiederkommen? ... Wollen Sie jeden Abend kommen, den ich noch hier bin? Wollen Sie nicht in meinem Hoflager bleiben?« – »Ich will Eurer Majestät jeden Wunsch erfüllen und mich glücklich schätzen, ihn erfüllen zu dürfen. Aber wie sollte ich als Byzantiner – jetzt – am kaiserlichen Hofe sein?«

Glaukós und Hugo, welche schweigend in die grüne Meerdämmerung geschaut hatten, wandten die Köpfe ... Ich war bei den letzten Worten Michaëls zusammengefahren. Doch ich faßte mich in derselben Sekunde: »Ich verstehe Sie. Sie sagen, was Sie sagen müssen. Meine Frage war töricht. Aber besuchen Sie mich morgen wieder. Es werden bessere Zeiten kommen.« Als wir später am Meere gingen und ich mit Hugo einen Augenblick allein war, fragte ich: »Braucht es noch mehr Beweise?« – »Nein, Majestät. Wir wissen nun, was wir – schon wußten.« – »Es ist gut, daß nur wir es wissen«, erwiderte ich. »Danken wir Gott, daß uns die Schönheit noch einmal streifen durfte, und streichen wir aus unserem Herzen die Silben, welche ›weinen‹ heißen. Es könnte sonst geschehen, daß wir, trotz aller Bemühungen, die Lasten doch nicht mehr ertrügen.« Glaukós und Michaël hatten sich in den Sand gesetzt. Der leise Schaum des Meeres spielte bis an ihre Füße. Aus niedrigen Tamariskensträuchern riefen noch immer die Grillen. Die Fledermäuse huschten lautlos durch die graue Luft. Ferne, an der Uferstraße von Tarent, blinkten die ersten Lichter auf.

 

Der Aufbruch des Heeres gegen Kap Kolonne war am 9. Juli von Rossano aus befohlen worden. Sämtliche Heerführer hatten ihre Testamente der kaiserlichen Regierung zu treuen Händen übergeben. Die Glocken läuteten, und die Priester besprengten die ausziehenden Truppen mit Weihwasser. Der Kaiser hatte mit mir das Abendmahl genommen. »Was immer geschehe, Theophano«, sagte er, als er sich von meinen Lippen löste, »es ist für Sie und unseren Sohn vorgesorgt. Den Zurückbleibenden ziemt jetzt nur eines: Tag und Nacht um den Sieg für Deutschland zu beten.« – »Und für Ihr Leben«, sagte ich. »Behalten Sie kaltes Blut, und wagen Sie nicht mehr, als Sie für Deutschland, für sich selbst, für Ihren Sohn und für mich wagen dürfen.« Er bestieg sein Pferd. Glaukós reihte sich an seine Seite und warf mir, während beide davonsprengten, einen Büschel Oleanderblüten zu ... Der Klang der Hufe wurde vom Staub der weißen Straße verschluckt ...

Am späten Nachmittag des 16. Juli lief die Nachricht ein, daß das kaiserliche Heer nach anfänglichem Sieg von den Arabern geschlagen sei und in voller Auflösung gegen Rossano rückwärts flute. Von dem Kaiser fehle jede Spur. Die Nachricht wurde bestätigt, als Glaukós, durch einen Lanzenstich in der Leber verwundet, gegen Mitternacht in Rossano eintraf und vor Erschöpfung zusammenbrach. Erst am 18. Juli wurde bekannt, daß der Kaiser am Leben und nicht in Gefangenschaft der Sarazenen sei. Er habe sich, mit seinem Pferde das Meer durchschwimmend, auf einen griechischen Kreuzer retten können, der jede Stunde vor Rossano eintreffen müsse. Am Abend erschien das Schiff. Während mit dem bestechlichen Kapitän Verhandlungen wegen der Höhe des Lösegeldes geführt wurden, gelang es dem Kaiser, in das Meer zu springen und das Ufer zu erreichen. Dort fing ich ihn, während er das Bewußtsein verlor, in meinen Armen auf.

Mein eignes Leben war unter der Gewalt der Ereignisse erstarrt. Ich konnte weder fühlen noch denken, noch irgendeinen Entschluß fassen. Erst am nächsten Tage war ich fähig, mir den Hergang der Schlacht berichten zu lassen. Die Deutschen hatten nach einem Teilsiege über die Mitte des arabischen Heeres planlos die Verfolgung der Fliehenden aufgenommen, anstatt sich zu neuem Angriff umzugruppieren. Sie hatten die Todsünde der taktischen Sünden begangen – und waren ihr zum Opfer gefallen. Denn die Araber hatten sich – ohne Zweifel von ortskundigen Byzantinern bei der Auswahl der Stellungen beraten – in den ausgetrockneten Flußbetten, welche von Oleanderbüschen überblüht waren, versteckt und in einem wütenden Flankenangriff die Verfolger zusammengehauen. Unter den Toten waren neben Hunderten von deutschen Rittern der Herzog Udo von Rheinfranken, der Herzog Landulf von Benevent und der Bischof Heinrich von Augsburg, der den Verrat des Jahres 977 durch dieses Sterben gesühnt hatte. Daß auch der Emir Abul Kasim gefallen war, verminderte in nichts die Schwere der deutschen Niederlage.

Am Abend wurde mir durch Hugo von der Wetterau mitgeteilt, der Bischof Dietrich von Metz verbreite unter den Offizieren und Hofleuten das Gerücht, ich habe mich über den Leichtsinn der deutschen Kriegführung in einer für eine Kaiserin unverantwortlichen Weise geäußert und einen Mangel an vaterländischem Empfinden gezeigt, der zu dem größten Mißtrauen Anlaß gebe.

Diese Nachricht riß mich aus meiner Dumpfheit empor. Ich befahl noch zur selben Stunde meinen Hofstaat, die Offiziere und die Geistlichkeit sowie den Verleumder vor mich. Den Kaiser ließ ich nicht unterrichten, da er, wie man mir mitgeteilt hatte, schon zu Bett gegangen war. Auch Glaukós konnte nicht erscheinen, da seine Verwundung ihn zum Liegen zwang. In die Mitte des Saales ließ ich das Bett des Kronprinzen tragen, der in tiefem Schlafe lag. Dann sagte ich zu den Versammelten, deren Spannung die glühende Abendluft noch unerträglicher zu machen schien: »Der Bischof von Metz hat es für nötig befunden, die deutsch-römische Kaiserin zu verleumden. Er hat meinen berechtigten Tadel an der deutschen Kriegführung, deren Unzulänglichkeit dem Reich eine Niederlage beigebracht hat, wie es sie niemals erlitt, als Mangel an ›vaterländischer Gesinnung‹ hingestellt und mich für politisch unzuverlässig erklärt. Ich gebe Ihnen hiermit diese Ungeheuerlichkeiten bekannt. Da Sie alle wissen, daß der Bischof von Metz mit Reliquien schmutzige Geschäfte treibt, wissen Sie auch, was Sie von ihm zu halten haben. Ich befehle – als Mutter des Thronerben – dem Verleumder und Hochstapler, auf der Stelle aus meiner Nähe zu verschwinden und sich nie mehr vor mir blicken zu lassen. Die Versammlung ist aufgehoben.«

Die Wirkung meiner Worte war so ungeheuer, daß noch spät der leidende Kaiser in mein Zimmer kam: Er müsse sich verbitten, daß einem der unentbehrlichsten Männer am deutschen Hofe eine solche Behandlung widerfahre.

Ich maß ihn von Kopf bis zu Fuß, wie er da vor mir stand mit zerwühltem Haare und nur halbgeschlossenem Schlafrock – Schonung? Nein! Ich dachte nicht mehr daran, diesen Mann, der sich nach jedem selbstverschuldeten Unglück in den Schutz seiner Gattin »flüchtete« und um »Aufrichtung« bettelte, noch einmal zu schonen. Ich war am Ende meiner Geduld angekommen. Die Qualen der letzten Tage, die aufzehrende Angst und die Verzweiflung nicht über die verlorene Schlacht, sondern über die Gründe der Niederlage, hatten jede Regung des Mitleids in mir zerstört. Es war unmöglich, immer wieder die gleichen Krisen zu durchlaufen, weil ein Kaiser – kein Kaiser war ... Ich fühlte, wie der Jähzorn in ihm hochstieg. Sein Blick wurde böse, eine heftige Röte schoß ihm unter die Haut. Ich wartete den drohenden Ausbruch nicht ab: »Ich weiß nicht, ob Sie Dietrich von Metz schon zu sich befohlen haben, nachdem man Ihnen den Vorfall erzählte. Wenn ja, so möchte ich gerne wissen, wie Sie Ihre Gattin gegen seine Infamien in Schutz genommen und welche Bestrafung Sie ihm zugedacht haben. Wenn nicht, so muß ich Ihnen sagen, daß ich es mir verbitte, so behandelt zu werden, wie Sie es jetzt tun. Ich habe Übermenschliches an Rücksicht auf Sie geleistet. Ich habe mich bemüht um Sie wie wohl kaum eine deutsche Kaiserin um einen deutschen Kaiser. Ich dulde es nicht, daß ein Reliquienschieber – und mag er tausendmal das erlauchte Blut der seligen Mathilde in seinen Adern tragen – mich so beleidigt, wie dies geschehen ist. So gut Sie neulich dem Grafen Hugo von der Wetterau Genugtuung haben widerfahren lassen, so gut werden Sie sie mir gewähren. Und zwar in aller Öffentlichkeit, vor dem Heere und dem Hofstaat. Ich verlange, daß Sie Dietrich von Metz innerhalb von vierundzwanzig Stunden aus Ihrer Umgebung entfernen. Tun Sie dies nicht, so werde ich ihn von meinen Leuten derartig zurichten lassen, daß er nicht mehr vom Boden aufsteht! Ein so behandelter Bischof dürfte schwerlich noch würdig befunden werden, seines Amtes zu walten. Ich ertrage es nicht, daß mein Sohn die gleiche Luft wie dieser Schuft atmet. In Byzanz läge er schon in den untersten Verliesen der Magnaura ... und wäre bis an das Ende seiner Tage lang gut aufgehoben ... Ich habe kein Vertrauen mehr zu Ihnen. Sie haben mich zu bitter und zu häufig enttäuscht. Wenn Ihnen an der Wiedergewinnung dieses Vertrauens gelegen ist, so müssen Sie zunächst ein – Mann werden! Daß man in äußeren Gefahren mutig sei, beweist noch nicht, daß man ein Mann ist. Ein Mann ist, wer sich in der Hand hat und als Beispiel wirkt. Ihre Unbeherrschtheit entfremdet Ihnen nicht nur die Freunde, sondern auch die Gattin. Nur die Schranzen freuen sich ihrer: weil sie von ihr leben! Ich hätte Ihnen – selbst nach diesem Geniestreich von Kap Kolonne – noch die Hände unter die Füße gelegt, und ich hatte mit dem schwerverwundeten Glaukós schon alles erwogen, was zu tun wäre, um Sie über diese dunkelsten Tage Ihres Lebens hinwegzubringen. Wenn Sie aber nicht mehr wissen, wer ich bin und was Sie mir schuldig sind, so können Sie nicht mehr auf mein Gefühl rechnen. Sie müssen dann sehen, wie Sie ohne mich fertig werden. Es wäre nicht das erstemal, daß sich eine Kaiserin von ihrem Gatten für immer trennt. Als es Athenaïs bei Theodosios II. nicht mehr aushielt, ging sie nach Jerusalem, um in Frieden mit sich selbst zu sterben. Ich bitte Sie, mich jetzt zu verlassen. Ich bin größerer Schonung bedürftig als Sie. Denn ich habe – gegen meine Natur und gegen meine bessere Einsicht – mehr an Gewichten getragen als Sie! Sie sind, auch in Ihren Torheiten, immer mit sich selber einig gewesen. Ich kann mir nur noch in einem einzigen menschlichen Wesen selbst begegnen: im meinem Sohn.«

 

Am nächsten Tage mußte Dietrich von Metz Rossano verlassen. Ich hatte jede Versöhnung mit ihm verweigert, trotz der Bitte des Glaukós, doch wenigstens um der Form willen einen äußeren Frieden herzustellen. »Das wäre das Falscheste, was ich tun könnte«, sagte ich ihm, als ich an seinem Bette saß. »Ich bin zu keinerlei Zugeständnissen mehr bereit, auch nicht dem Kaiser gegenüber. Wenn mir alles gegen den Strich gehen sollte, kann ich mich ja ganz vom Hofe zurückziehen. Ich werde mich nirgends langweilen. Und wenn man mir meinen Sohn fortnähme, so würde ich schließlich auch dieses noch ertragen. Denn man kann alles ertragen, nur nicht die Preisgabe seiner selbst ... Aber man wird mir meinen Sohn nicht nehmen! Ich habe einen Freund, vor dem sich alle beugen, und als erster der Kaiser: Willigis. Leo Akritas ist schon mit Briefen unterwegs. Glauben Sie ja nicht, daß ich nur einen einzigen Faden aus der Hand gebe, den ich einmal halte. Ich muß – nach allem, was ich in neun Jahren erlebt habe – schon jetzt daran denken, mir meine Partei zu schaffen. Es sind viele Deutsche auf meiner Seite, auch wenn sie dies nicht zuzugeben wagen. Warum sollte es in Deutschland weniger vernünftige Menschen geben als in anderen Ländern? An das Phantom der ›Italia tota‹ glaubt von hundert Deutschen vielleicht einer noch. Die übrigen neunundneunzig werden die Aufgaben, welche im Osten und Norden zu lösen sind, für wichtiger halten als die Ausräucherung Siziliens. Und die Domina Adelheid wird wohl auch etwas Wasser in ihren süßen Cluny gegossen haben.« – »Warum sind Sie so bitter, Theophano?« fragte Glaukós, während er seine fiebernden Hände um die meinen schloß ... »Ist denn kein Grund vorhanden, bitter zu sein?« – »Nicht mehr ... Es sind so viele Wunden zu heilen.« – »Ja, es sind viele Wunden zu heilen: und die Ihren zuallererst. Ich will mir Mühe geben. Ich will keine harten und bittren Dinge mehr sagen, wenn ich an Ihrem Bette sitze ... Wer sollte nicht milde werden, wenn er in Ihre Augen schaut ... Ihre Augen müssen wieder hell werden, Glaukós, auch für mich ... Ich werde bei Ihnen bleiben, bis Sie gesund sind ... Vielleicht in Salerno, wo es gute Ärzte gibt ... Oder in den Bergen von Benevent. Dort ist die Luft leicht und kühl, anders als in diesem grauenvollen Rossano. Auch das Kind kann hier nicht gedeihen ... Ich werde dem Hof lange fernbleiben.« – »Und der Kaiser?« – »Ersparen Sie mir die Antwort, Glaukós ... Der Kaiser ist für mich ein fremder Mann geworden. Ich kann nichts dazu.« Glaukós hatte seinen Kopf in den Kissen zur Seite gedreht. Seine Augen schienen mir feuchter als gewöhnlich ... »Der Kaiser ist auch mir ein fremder Mann geworden, Theophano. Er will einen Reichstag nach Verona auf das Frühjahr 83 einberufen, um einen neuen Sarazenenkrieg beschließen zu lassen! Die Fürsten werden ablehnen. Auch die Bischöfe. Der Kaiser wird sehr einsam sein.« Wir saßen lange schweigend, indessen die Abendschatten an die Wände traten. »Wann werden Sie reisen können, Glaukós?« fragte ich im Aufstehen ... »Nächste Woche, meinte der Arzt. Auf einer Bahre durch die Sila bis nach Cetraro, und von dort zu Schiff nach Salerno. Dann nach Capua, wo ein langer Aufenthalt des Hofes vorgesehen ist.« – »Soll ich mit Ihnen reisen?« – »Sie wissen, welches Glück dies für mich wäre. Aber es darf nicht sein. Theophano, ich habe noch nie eine Bitte an Sie gerichtet, heute tue ich es: Bleiben Sie bei dem Kaiser. Auch ich würde bei ihm bleiben, wenn meine Wunde mir die lange Landreise erlaubte. Geben Sie ihm die Freundlichkeiten der Pflicht, aber überlassen Sie ihn nicht sich selbst. Sie wissen nicht, wie dieser unglückliche Mann Sie liebt. Wenn Sie ihn aufgeben, gibt er sich selber auf. Und was würde dann?« – »Ja, Glaukós, was würde dann?« Ich fuhr ihm lange über das Haar, streichelte die blaß gewordenen Schläfen. Er lächelte wie ein Knabe und drängte die heiße Stirn in das Innere meiner Hände. »Wir werden uns in Salerno lange wiedersehen, Glaukós«, sagte ich, mich aus seinen Zartheiten lösend. »Werden wir uns wirklich wiedersehen?« fragte er. Ich verschluckte die Tränen, die in mir aufstiegen: »Ja, das werden wir.«

 

Als ich am 17. August Glaukós in Salerno wiederfand, erschrak ich über den Ausdruck seines Gesichtes. In diesen Zügen stand die Arbeit aller Schmerzen zu lesen, die ein unerhörter Wille wochenlang unterdrückt hatte. Ich ließ Alkischuah, den Leiter der arabischen Ärzteschule, kommen. Er hielt die Störung in Leber und Gallengang für so bedenklich, daß er die Überführung in das Hospital anordnete. Diesmal war es der Wunsch des Kaisers selbst, daß ich bei Glaukós bliebe. Aber auch Hugo blieb, da sich der Kanzler für Italien, Philagathós, am Hofe eingefunden hatte und mit seinen Sekretären einen Teil von Hugos Arbeit übernehmen konnte. Als ich eines Nachmittags in das Krankenhaus kam, glaubte ich zu träumen: An der Schwelle der Treppe erwartete mich Michaël von Massafra. Glaukós lachte wie ein Kind, weil ihm diese Überraschung gelungen war ... »Wissen Sie, Theophano, daß ich Byzanz den einzigen Dichter, den es heute hat, nach Deutschland entführen werde? Zwei Jahre wird er bei mir bleiben – und wenn diese zwei Jahre vorüber sind, werde ich Ihnen Herodot und Plato vorlesen können. Da ich für lange Zeit zum Kriege untauglich bin, werde ich lernen und ausbauen ... Und wie wäre es, wenn Sie für Michaël einen ›Lehrstuhl für griechische Sprache und Dichtung‹ in St. Pantaleon schüfen? Der Krieg ist vorbei, die Araber haben das italische Festland verlassen, Byzanz ist – dank der deutschen Einmischung – wieder in den ungestörten Besitz seiner Themen gekommen, hat also keinen Grund mehr zu feindlicher Haltung – was meinen Sie?« – »Ich meine, daß wir dies tun werden, sofern es Michaëls Wünschen entspricht.« – »Eure Majestät zweifeln?« fragte Michaël. »Warten wir ab, Michaël, was Sie nach zwei Jahren sagen werden. Machen Sie uns allen zunächst Glaukós gesund. Denn wir brauchen ihn und seine Helle wie die Luft, die wir atmen. Er ist die Freude an diesem Hof.«

Am Abend wurde mir ein goldnes Gefäß gebracht, in dessen Flanke die Schlange der Pythagoräer eingeschnitten war. Michaël von Massafra hatte es geschickt: Es enthielt Wasser aus dem Ionischen Meer, das er am Strande von »Doma Laésteōs« geschöpft hatte. Dem Briefe waren einige Verse beigelegt:

Vielleicht, daß in den deutschen Wintern
Verlangen dich anfaßt, Herrin mit den Schrägen Augen der armenischen
Antilope, nach durchgoldeten Säulen und
Streichendem Hauch der Oleanderhaine:
Netze dann deine Braue ein wenig mit dem
Ionischen Wasser, das sich ans Ufer jener
Sternennächte hinsang: und deiner Seele
Werden wieder entsteigen die Orte, wo
Lysis träumte und Agathon
Zeiten beschwor durch den zeitlosen Gott.

 

Ich reiste in den letzten Augusttagen zu dem Kaiser nach Capua. Glaukós blieb in Salerno. Hugo begleitete mich. Er hatte um einen Urlaub nach Deutschland gebeten und ihn erhalten. Ich sah ihn fragend an. Seine Züge blieben undurchdringlich: »Finden es Eure Majestät so außergewöhnlich, daß ich Verlangen nach meiner Mutter und meinem Lande habe?« – »Welcher Kummer treibt Sie nach Hause?« – »Ich habe keinen Kummer, Majestät. Aber das letzte Jahr hat mich nicht fröhlicher gemacht.« Die Züge Hugos waren hart geworden; eine rücksichtslose Anklage gegen Gott und Gottes Gebaren. Die Revolte stand in ihnen: ein eherner Wille, aufzuräumen und Schluß zu machen ... »Werden Sie wiederkommen?« – »Nein, Majestät.« – »Nein? Um Gottes willen, was sagen Sie? Wissen Sie, was Ihr Nein mir bedeutet?« – »Vielleicht. Und ich danke Ihnen dafür, daß es Ihnen etwas bedeutet, aber ich kann meine Entscheidungen nicht mehr ändern. Mein Leben verzettelt sich für nichts und wieder nichts. In der Umgebung des Kaisers wird nur noch von dem neuen Sarazenenkrieg gesprochen. Ich leiste für eine solche Narrenpolitik keine Vermittlerdienste mehr. Ich bin ein Deutscher und weiß, wo eine Aufgabe liegt! Ich werde meine Erde bebauen und meine Wälder im Taunus in Ordnung bringen. Der Tod des Herzogs Udo von Rheinfranken wird mir eine mehr als reiche Erbschaft bringen. Es wird auch dort viel zu tun geben. Dies alles kann nicht liegenbleiben.« – »Ich habe kein Recht, Sie zu halten, Hugo. Ich verstehe Sie. Wenn ich Sie aber zurückriefe – zu mir, in meine Dienste und in meine Freundschaft –, würden Sie kommen?« – »Diese Frage bedarf wohl keiner Antwort. Wenn ich gehe, so geschieht es auch um Eurer Majestät willen. Es ist besser, daß das ›byzantinisch-fränkisch-schwäbische Kleeblatt‹, wie uns die Hetzer nennen, sich entblättere. In Capua wird Dietrich von Metz wieder erscheinen. Und die Kaiserin Adelheid hat dem Kaiser schon ihren mütterlichen Zuspruch zur Verfügung gestellt. Könnte ich unbeteiligt und nur als Beobachter meine Arbeit tun, so wäre vielleicht gerade jetzt mehr Grund zu bleiben denn je. Aber ich bin beteiligt – und deswegen nicht mehr tauglich.« – »Wann wollen Sie reisen?« – »In den allernächsten Tagen. Ich kann auf Glaukós nicht warten, da niemand weiß, wann er es wagen darf, über die Alpen zu gehen ...« – »Was haben Sie?« – »Oh – nichts, Majestät.« – »Hugo: Sie verhüllen mir etwas! Glauben Sie, daß Glaukós ...« – »Majestät, ich weiß es nicht ... Er ist ja bei Michaël von Massafra gut aufgehoben. Welchen vornehmeren Gefährten konnte er finden? Wer vermöchte ihm besser die byzantinisch-hellenischen Welten zu erschließen, die er liebt? Wer ihn über die Wochen, vielleicht die Monate der Krankheit, leichter hinwegbringen?« – »Kommen Sie heute abend zu Tisch, Hugo. Zu der Frau. Nicht zu der Kaiserin. Ich habe vieles auf dem Herzen, das ich Ihnen sagen möchte, ehe Sie sich auf ein paar Monate von – mir trennen. Wir beide müssen weit über das hinausdenken, was heute ist ... Dieses Heute, Hugo, ist schon nicht mehr ... Ich fühle, was kommen wird. Aber ich darf es vor mir selbst nicht aussprechen. Sonst ertrage ich das – Warten nicht mehr.« Hugo war in das Knie gesunken und hatte seinen Mund auf meine Hand gepreßt. Ich zog ihn empor: »Gehen Sie nach Deutschland, bis ich Sie rufe. Ruhen Sie lange aus. Wir stehen in einem sehr verschiedenen Leid, aber wir werden eines Tages noch einen gemeinsamen Weg zu gehen haben ... Auch ich weiß, wo die deutsche Aufgabe liegt!«

 

Als tatsächlich in Capua, wo wir im September ankamen, Dietrich von Metz wieder bei Hofe erschien, ließ ich dem Kaiser mitteilen, daß ich mit dem Kinde nach Rocca di Papa übersiedeln und mich von dort im November nach Rom begeben werde, um im Kloster Santa Prisca meine Niederkunft zu erwarten. Er bat mich in einem sehr freundlichen Schreiben aus dem Truppenlager, über mich selbst so zu verfügen, wie ich es für gut befinde. Brauche er in irgendeiner Angelegenheit meinen Rat, so werde er ihn einholen. Das hieß also, da die Trösterin Adelheid, diese wallende Staatsgüte, mittlerweile ebenfalls eingetroffen war, daß man mich – ausgeschaltet hatte. Die Sippe hatte gesiegt und mir den Weg freigegeben ...

Zwei Tage später nahm Hugo einen neuen Brief an Willigis mit. Die Würfel waren gefallen. Ich war diesmal bereit, den Kampf gegen die Clique mit allen Mitteln der Verschlagenheit zu führen, über welche eine bis aufs Blut gereizte Frau verfügt. Ich wußte, daß ich mich unbedingt auf Willigis verlassen konnte. Er – und nicht der Kaiser – war der wirkliche Schutzherr meines Sohnes ... Ich war noch niemals so liebenswürdig zu Adelheid gewesen wie in den Tagen vor meiner Abreise. Ich spielte mich auf die abermals werdende Mutter hinaus, redete von meinem »zweiten« Sohne, obwohl ich sicher war, einer Tochter das Leben zu schenken, und verließ Capua am 10. September.

Am Tage meiner Abreise wurde auf meine Verwendung hin Philagathós des italischen Kanzlerpostens enthoben und zum Abte des reichen Klosters von Nonántola ernannt. Als er vor mir erschien, um sich zu bedanken, sagte ich ihm, daß ich auf seinen Besuch in Rocca di Papa rechne. »Eure Majestät wissen«, sagte er auf griechisch, »daß ich bis zu den Gärten der Hesperiden reisen würde, um Eurer Majestät nur eine Stunde nahe zu sein.« Ich lachte: »Nehmen wir an, Philagathós, die Gärten von Rocca di Papa seien die Gärten der Hesperiden. Aber glauben Sie nicht, daß Sie Herakles seien, der sich die goldnen Äpfel holt.« – »Die Apfelernte für dieses Jahr, Majestät, ist schon vorüber«, lächelte er. »Wir sind der gleichen Meinung«, erwiderte ich.

 

Glaukós war Ende September an das Hoflager nach Capua übergesiedelt, um vor seiner Rückreise nach Deutschland mit dem Kaiser einige Grenzfragen der südlichen Teile seines Herzogtums zu klären. Er hatte sich bei mir auf den 16. Oktober zu einem Besuche in Rom angesagt. Aber einen Tag vorher kam ein Meldereiter mit dem Bescheid, daß der Herzog die Reise von Neapel bis nach Livorno schon zu Schiff angetreten habe, da sein Zustand Schonung verlange. Er werde jedoch tiberaufwärts bis nach Rom fahren, um sich dort von mir verabschieden zu können. So überließ ich das Kind in Rocca di Papa der Obhut der Gräfin Imiza und seiner Garde, welche auf fünfhundert Mann gebracht worden war, um Glaukós in Rom zu treffen. Das Schiff war am Lungo Tevere Aventino, unter den Abhängen von S. Alessio, vor Anker gegangen. Daß Glaukós sich nicht einmal bis in meine aventinische Villa hinauf wagte, schien mir von schlimmer Vorbedeutung. Er lag zu Bett, als ich an Bord kam. Ich zuckte zusammen, als ich ihn sah: »Sie müssen nicht erschrecken, Theophano«, lächelte er. »Ich bin so blaß, weil mir die salernitanischen Ärzte viel Blut fortgenommen haben. Ich fühle mich leicht, aber schwach. Die Kräfte sollen geschont werden für die Landreise. Den Gardasee kann ich wieder zu Schiff durchreisen und mich dann in einer Sänfte tragen lassen. Sobald ich in Bozen bin, bin ich ja zu Hause ... Nun soll ich noch die Bäder von Montecatini versuchen, um für den Winter gerüstet zu sein ... Ich freue mich, heimzukehren, Theophano ... Ich bin Italien müde, müde, ich kann Ihnen nicht sagen, wie! Kommen auch Sie bald nach Deutschland ... Reden Sie dem Kaiser den Wahnsinn eines neuen Sarazenenfeldzugs aus! Ich habe ihm ins Gesicht gesagt, daß ich an die Spitze der Opposition treten werde, wenn er noch einmal das Ansinnen an die deutschen Fürsten stelle, sich für ein süditalisches Phantom zu opfern.« – »Das haben Sie gewagt, zu tun?« – »Gewagt? Ich würde mich für einen Verräter an Deutschland halten, wenn ich es nicht getan hätte. Dieser Kaiser hat das Augenmaß verloren. Darüber sind wir uns alle einig. Alle. Er hat noch nichts gelernt ... Und er wird nichts lernen.« – »Sind Sie in Unfrieden von ihm gegangen?« – »Ja. Er konnte nicht begreifen, daß ich nicht bei ihm blieb. Ich habe auf meine rechte Flanke gedeutet. Gesagt habe ich nichts. ›Er verlange meine Anwesenheit auf dem Reichstag von Verona‹ ... Ich habe wieder auf meine Wunde gedeutet und ihm gesagt, er möge dieser Wunde sein Verlangen aussprechen, nicht aber mir. Daraufhin ist er wild geworden: Er verbitte sich diesen Ton. Was das für ein Grieche sei, den ich da mit mir herumschleppe? Nun aber wurde ich wild: Das gehe ihn überhaupt nichts an. In meiner Umgebung lebe, wer mir passe – und ich ließe mich lieber in der Sprache Homers unterrichten, als daß ich bis zum Erbrechen die Jagd- und Fehdeprahlereien dieser ›Ritter‹ anhörte. Er müsse sich daran gewöhnen, daß ich ein Mann von achtundzwanzig Jahren sei und meine Handlungen oder Entscheidungen nicht ewig durch den Dank für mir erwiesene Freundlichkeiten bestimmen lassen könne. Vorderhand habe er mir zu danken und nicht ich ihm. Denn wenn ich nicht, schon schwerverwundet, durch einen Ritt auf Leben und Tod die Garnison Rossano hätte auf die Beine bringen können, wäre wahrscheinlich das gesamte Heer zusammengehauen und Rossano samt Kaiserin und Kronprinz gefangen worden. Ich müsse ihm, als sein Freund seit Kindertagen, bestätigen, daß er das Talent habe, sich die treuesten Herzen zu entfremden. Er solle Ordnung in sich selbst schaffen. Denn mit steigendem Alter schieße in seiner Natur die Unordnung wie Schierling auf!« – »Und wie war die Wirkung Ihrer Worte?« – »Ich weiß es nicht. Die Kaiserin Adelheid kam ins Zimmer – und alle Bitterkeiten lösten sich in Matronenhonig auf. Sie gab mir gute Ratschläge und allerhand Rezepte mit auf den Weg. Dann fragte sie mich, wie denn das mit der Schwester des Herzogs Landenulf von Benevent sei? Ich sagte ihr, das möge sie lieber dieses Fräulein fragen. Wogende Langobarden- oder Burgunderbusen seien noch niemals mein Geschmack gewesen. Dann schon lieber ein angelsächsisches Schachbrett. De gustibus non esse disputandum.« – »Es müssen ja erbauliche Tage gewesen sein, die Sie da in Capua verbracht haben.« – »Sehr erbauliche ... Und das Erbaulichste war, daß der Kaiser, den man kaum noch ohne seine Mutter und Dietrich von Metz zu Gesicht bekam, sich gar keine Rechenschaft mehr darüber ablegte, wie es eigentlich mit mir bestellt ist ... Er wurde wütend, als ich es ablehnte, die venezianischen Händel der Candiani und Coloprini mit ihm durchzusprechen, weil mich das viel zu sehr angestrengt hätte ... ›Für diese Familienaffären ist doch die Kaiserin Adelheid zuständig‹, sagte ich ihm. ›Es fehlt ihr an Beschäftigung. Überlassen wir es also ihr, als der Reichsverweserin für Italien, diese Frage zu bearbeiten! Auf mich können Sie zwei Jahre lang überhaupt nicht zählen. Ich möchte erst einmal gesund werden, ehe ich mich um Politik bekümmere. Als halber Mensch kann man das nicht und besonders nicht, wenn es sich um eine Politik handelt, wie sie heute von Ihnen betrieben wird.‹ – ›Ja‹, sagte Otto, ›wenn das die Ansicht des Herzogs von Bayern und Schwaben ist, dann ist es wohl besser, daß er sich in den heißen Quellen von Montecatini und in den milden Lüften von Bozen erst einmal erholt. Daß ich ihm recht baldige und gründliche Genesung wünsche, versteht sich – schon zum Besten des Reiches – von selbst.‹ ... Am nächsten Morgen verließ ich Capua, um mich in Torregáveta einzuschiffen. Kurz ehe das Schiff die Anker lichtete, wurde mir ein Brief Ottos überbracht, in dem er mich bat, seiner Überreizung Rechnung zu tragen und an die Unverbrüchlichkeit seiner Freundschaft zu glauben. Ich versicherte ihn, in einem Gegenschreiben, der meinen ... Dann fuhren wir.«

Glaukós legte die Hand vor die Augen. Das Sprechen hatte ihn sehr angestrengt. Ich sah in die westlichen Himmel, wo perlgraue Wolkenbänder im sinkenden Lichte langsam aufblühten. Das Wasser strömte leise wie auf Rosenblättern, und die Zypressen auf dem Aventin wiegten sich im Abendwind. Ich wußte, daß ich Abschied nahm: Dieses erschöpfte Leben konnte noch Wochen, konnte vielleicht noch Monate hindämmern, aber es würde sich nicht mehr sammeln können, um den Tod zu verjagen, der sich in ihm eingenistet hatte. Die Trauer, welche mich in diesen Stunden auf dem Tiber überfiel, war so fern von dem, was Menschen Trauer nennen, daß sie mich in jenen Zustand der Überbewußtheit rückte, der mir das eigne Leben wie ein Nichts erscheinen ließ. Ich spürte nicht einmal Schmerz. Ich spürte eine Auflösung in mir, die einem Gestorbensein glich. Glaukós hatte mich auf den Rand seines Feldbettes niedergezogen. Seine Augen hingen an meinen Zügen, als ob sie suchten. »Leb wohl, Theophano«, sagte er sehr ruhig, »wir beide sind gute Kameraden gewesen – und wir wären es immer geblieben. Küsse deinen Sohn in Erinnerung an mich. Möge dir das Leben nicht allzu bitter werden.«

 

Als ich am 9. November von Rocca di Papa nach Rom übersiedelte, erwartete mich Michaël von Massafra in der aventinischen Villa: Glaukós war am 31. Oktober in Lucca gestorben. Er wurde von seiner Garde nach Aschaffenburg in Franken überführt. Es war sein Wunsch gewesen, dort bestattet zu sein. »Wollen Sie zu seinem Gedächtnis die Aufgabe in St. Pantaleon erfüllen, die er Ihnen zugedacht hatte?« fragte ich nach langem Schweigen ... »Ich will es, Majestät, wenn Sie mir erlauben, als Mönch in das Kloster einzutreten.« –

Als der Kaiser am 10. November in Rom ankam, brach er zusammen. Ich ließ ihn bei den Brüdern von San Alesio pflegen. Er unterzeichnete keine Urkunde mehr vor Beginn des neuen Jahres. Am 12. November gab ich einer Tochter das Leben, welche den Namen Mathilde erhielt. Die Geburt war verfrüht und so schwer, daß ich mich vor dem Juli nicht mehr erholte. Auch das Kind konnte nur dank der unermüdlichen Pflege Barbaras am Leben erhalten werden. Das Unglück hatte einen äußeren Frieden am Hofe hergestellt. Der Kaiser, der nun niemanden mehr hatte, »flüchtete« sich wieder in meinen Schutz wie ein tödlich Verwundeter. Ich gab ihm, was ich ihm noch geben konnte. Aber er blieb mir gleichgültig. Denn ich liebte ihn nicht mehr.


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