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V.
Brief des Kaisers Tsimiskes an die Prinzessin Theophano Skleros

Im Hauptquartier der kappadokischen Westarmee, am 22. Juni 971.

Die Übereinstimmung mit Ihrem Vater, geliebte Theophano, ist vollkommen. Er wird etwa zehn Tage nach dem Überbringer dieses dritten Briefes auf Schloß Amastris eintreffen. Ich bedarf seiner, um die strategischen Besprechungen für den neuen Russenfeldzug zu beenden. Denn ich bin nicht willens, dem Fürsten Swiatoslaw Zeit zu lassen, unsere Grenzen noch einmal zu überfluten. Er muß aus Bulgarien vertrieben und über Bug und Dnjepr zurückgejagt werden.

Bis dahin aber, Theophano, werden Sie schon deutsche Kaiserin sein und das Leben begonnen haben, zu dem Sie das Schicksal ausersehen hat. Das Reich, dessen Kaiserin Sie nun werden, ist – wie bedeutsam auch Ottos I. Bemühungen um die Stärkung der dynastischen Gewalt gewesen sein mögen – von sehr anderem Bau als das unsere. Sie werden zunächst durch die große Ungebundenheit erstaunt sein, in der die Menschen untereinander und sogar mit den Majestäten verkehren. Diese Zwanglosigkeit wird Ihnen Ihre Aufgabe nicht etwa erleichtern, sondern erschweren. Ihr Vater und ich sind deswegen zu dem Entschluß gekommen, daß Ihnen ein eigner Hofstaat byzantinischen Musters mitzugeben sei. Sie sollen von Ihrer Heimat begleitet sein und vor allzu willkürlichem Andrang unbekannter Menschen bewahrt bleiben, deren Gesinnung und Absicht Sie zunächst nicht zu durchschauen vermögen. Ich habe – vorausschauend – schon dem Herzog Pandulf vor seiner Abreise gesagt, daß wir die Entsendung dieses Hofstaates als conditio sine qua non betrachten. Es sind seitens der beiden Kaiser keine Einwände erhoben worden. Dagegen geht aus dem letzten Briefe Pandulfs hervor, daß in den sächsischen Kreisen um Adelheid eine große Furcht besteht, deutsche Gebräuche möchten nun mehr als wünschenswert byzantinischen Einflüssen ausgesetzt werden. Es wird bei Ihnen stehen, diese Furcht weltunkundiger Leute, welche kaum über die Grenzpfähle ihrer Provinz hinausgeschaut haben, zu zerstreuen, indem Sie Ihrem Hofstaate die gleiche Zurückhaltung auferlegen wie sich selbst. Daß Sie als »Fremde« kommen, und wohl auch von den meisten als Fremde empfunden werden, stärkt Ihre Stellung. Kaum jemand ist so empfänglich für den Reiz des Ausländischen wie der Deutsche. Wir haben ja oft genug den Beweis unter unseren Augen gehabt, wenn junge Herren des germanischen Adels bei uns zu Gaste waren. Es wäre falsch, in dieser Neigung eine Schwäche zu sehen. Ich würde sie vielmehr eine Stärke nennen, sofern sie den Sinn für die eigne Art nicht zerstört. Denn die Neugierde nach dem Andersartigen beweist die Weite der germanischen Natur und ihr Bedürfnis, sich zu bereichern.

Die Kunst, Theophano, den Schimmer der Fremde, der Ferne, welcher Sie umgibt, spielen zu lassen, wird ein Teil Ihrer Wirkung am deutschen Hofe sein. Die Namen der byzantinischen Kaiserinnen, in deren Reihe Sie gehören, Ihren Anlagen und Ihren Willenskräften nach: der Athenais, der ersten Theodora, der Irene und der zweiten Theodora, sind im Westen mit einer Aureole der Ungewöhnlichkeit umgeben. Ich wünschte, daß Ihrem Namen das gleiche widerführe. Ich wünschte auch, man möchte von Ihnen sehr bald das Gegenteil dessen sagen, was man von Adelheid sagt, nämlich: Sie seien mehr Kaiserin als Frau! (Was Sie ja gewiß nicht hinderte, in Ihren Privatgemächern so sehr und so leidenschaftlich Frau zu sein, als Ihr kaiserliches Gewissen es Ihnen gestattet.) Die unausdeutbare Strahlung, welche von Ihnen ausgeht, wird nicht wenig verstärkt werden durch die Tatsache, daß Sie als Kind einer Weltstadt zu den Deutschen kommen. Die Deutschen haben nicht, was wir eine Stadt, geschweige denn eine Hauptstadt mit vielen Hunderttausenden von Bewohnern, nennen. Die Stadt aber: das ist die zusammengedrängte Fülle aller erreichbaren Güter, an denen die Sehnsucht der Menschen hängt, die Stadt: das ist das Paradies für diese verlangende deutsche Jugend, das Unerschöpfliche, in dem man sich vervielfachen und untertauchen kann. Byzanz: das ist Ninive mit den Gärten der Semiramis, Karthago mit den Palästen der Barkas, Alexandria mit Kleopatras Silbertriremen, Bagdad mit den Treppen in den Strom, Saba mit seinem Gold und allen Düften aus Weihrauch, Sandelholz und Myrrhen ... Byzanz ist alles, was der Orient schon an Traum in diese deutschen Seelen warf ... weit mehr, als was es in Wirklichkeit ist: die endlich Erwachende, welche alle Erinnerung an »Rom« von sich abstreift wie ein verbrauchtes Kleid ... Nähren Sie die Träume, Theophano, mit Schweigen. Erzählen Sie nur wenig, wenn Sie den jungen Adel am Abend um sich versammeln, wenn die Kerzen vor den Ikonen brennen und das Nelkenöl in den Dochten der Lampen duftet. Halten Sie es lieber mit den Rittern als mit den geistlichen Herren, welche Adelheid für sich beansprucht. Diese Hochwürdigen werden ganz von selbst zu Ihnen kommen. Ihre Eitelkeit wird es nicht verwinden, abwesend zu sein, während Ihr Vorleser Homer oder Euripides aufsagt, selbst wenn sie die Sprache nicht verstehen ... Sie werden sagen, schon der Klang der Worte sei Musik, die sie die Welt vergessen lasse.

Seien Sie sparsam im Schenken an den einzelnen. Es muß als höchste Gunstbezeigung gelten, von Ihrer Hand eine Gabe zu erhalten. Aber schenken Sie plötzlich – und da, wo man es nicht erwartet hatte. Die sichtbare Mildtätigkeit überlassen Sie Adelheid. Sie versteht sich darauf. Schaffen Sie sich den Ruf, von Ihren Wohltaten nichts zu wissen. Zersplittern Sie sich nicht in Liebenswürdigkeiten – und belächeln Sie nichts, das die Voraussetzung zu großen Erfolgen war. Ein jeder Mensch hängt an seinen eignen Erfolgen. Erkennt man diese an – wie fadenscheinig sie auch sein mögen –, so hat man sein Herz gewonnen. Die Kaiser und Könige sind eitel wie Histrionen, ja oft noch eitler, weil man ihnen seltner Beifall spendet ... Lernen Sie rasch die deutsche Sprache, welche von großer Kraft sein soll. Sie wird die beste Waffe sein, die Sie sich schmieden können ... Es wird an guten Lehrern nicht fehlen. Und versäumen Sie nicht, sich über alle verwandtschaftlichen Beziehungen der westlichen Dynastien unterrichten zu lassen. Man wird Ihnen Stammbäume anfertigen müssen, damit Sie sich in diesem Labyrinth zurechtfinden. Der Herzog Pandulf erläuterte mir eines Abends, wieso Adelheid die Tante ihres eignen Oheims wurde – und dieser Oheim der Neffe seiner Nichte! ... Die Frauen werden hin und her geschachert wie Dinge, die Männer aber ertragen im Ehebett eine jede Frau, sofern sie ihnen nur Land und Ansprüche auf Land einbringt ... Ermessen Sie danach, wohin sich das Gefühl wohl flüchtet ... Sie werden kaum ein erfülltes Frauenleben finden ... Verlieren Sie diesen Punkt niemals aus dem Auge, wenn Sie sich über eine Dame des hohen Adels ein Urteil bilden müssen ...

Für die Zusammensetzung Ihres Hofstaates machen wir Ihnen folgende Vorschläge: Als Ihren Adjutanten sähen wir gerne – wie ich Ihnen ja schon andeutete – Ihren Jugendfreund Niketas Kurkuas. Als seinen – und damit auch Ihren – griechischen Sekretär haben wir Leo Akritas in Aussicht genommen, einen gewissenhaften Arbeiter, der uns durch seine klugen Berichte schon große Dienste geleistet hat. Ihre Hofdamen wählen Sie selbst. Keinenfalls jedoch könnten wir ein Mitglied des Hauses Phokas zulassen. Sie sind zu klug, um diese kleine Einschränkung Ihrer freien Wahl nicht zu verstehen ... Selbstverständlich richten wir regelmäßige Kurierdienste ein. Zur See, solange Sie in Italien, auf der Donau, wenn Sie in Deutschland sind. Was unser Tisch sieht, soll auch der Ihre sehen. An Orangen, Zitronen, Feigen, Datteln, bithynischen Haselnüssen, Johannisbrot, Nugat, Lukkum soll es Ihnen gewiß nicht fehlen – und auch Ihre Lieblingsspeise, der petschenegische Kaviar, wird zwischen gepreßtem Schnee den Weg zu Ihnen finden.

Ich nehme an, Sie werden zunächst ein sehr ruhiges Leben haben. Denn die kaiserliche Politik scheint nach den Erfolgen der letzten zehn Jahre keine Probleme mehr aufzuweisen, welche zu großen Unternehmungen Anlaß gäben – hingegen sich bei uns sehr entscheidende Kämpfe gegen die Araber (und vielleicht auch im Inneren) abspielen werden. Nicht mehr die offnen Gegner meiner Regierung, die Phokas und was sich um sie schart, sind heute gefährlich, sondern jene heimlichen, deren Einbläser der Parakimuménos Basileios ist. Sie sind nicht dumm genug, um die Notwendigkeit politischer Neuordnungen nicht zu begreifen. Wenn sie sich gebärden, als ob sie sie nicht begriffen, so ist es nur, weil sie nicht auf Vorteile und Vorrechte verzichten wollen, welche sie als Anhänger der »alten« Ordnung genossen. Man muß diese Schwindler also überrumpeln, indem man sie zunächst Nutznießer der »neuen« Ordnung sein läßt, ihren Argwohn einschläfert und sie in die Falle lockt, ehe sie diese Falle gesehen haben ... Lebe ich nur noch zehn Jahre, so werden viele unerfreuliche Figuren verschwunden sein.

Sie ahnen, Theophano, wie oft ich noch spät am Abend durch diese schweigende Landschaft wandere und darüber nachsinne, ob es mir vergönnt sein wird, das Werk meines Lebens zu vollenden. Ich will dem byzantinischen Staate die Form geben, in der er gedeihen kann. Ich will im Nordwesten die Grenzen gegen die unruhigen Slawenvölker abdämmen und im Südosten Kilikien und Antiochien gegen die Araber gesichert wissen. Ich will in diesem so umrissenen Staat der arbeitenden Bevölkerung erträgliche Lebensbedingungen schaffen. Ich denke nicht daran, die großen Güter zu zerschlagen, die mir eine Gewähr für einträgliche Bodenbebauung geben. Aber ich will die Latifundienwirtschaft der Synkletikoí einer solchen Aufsicht unterstellen, daß mir meine Soldaten nicht mehr die Frage vorzulegen brauchen, ob sie denn für diese Schmarotzer am Staat oder für das Vaterland ihre Haut zu Markte tragen. Halbe Provinzen werden nicht mehr in den Händen eines einzigen Mannes sein. Die Höhe der Besteuerung wird die Hartnäckigsten mürbe machen. Dividam – et imperabo. Wenn es sein muß, mit dem Schwert. Es fehlt mir nicht an Parteigängern. Im Gegenteil. Es sind mir deren fast schon zu viele – und allzu begeisterte. Wer aber das Gute will, der hüte sich vor allen, welche immer nur das »Beste« wollen. Sie bringen es fertig, die hoffnungsvollste Entfaltung im Keime zu ersticken, weil sie weder den Sinn für natürliches Reifen besitzen noch die Witterung für das Klima, in dem eine Sache gedeiht oder nicht.

Dies gilt für die außenpolitischen Aufgaben noch mehr als für die innerpolitischen. Das Heute, die »Gegebenheit«, »res sic stantes«, werden immer die Grundlage außenpolitischen Handelns bleiben. Aber ich muß doch, um wirken zu können, mit den Kräften vertraut sein, welche diese Grundlage geschaffen haben und nach unergründbaren Regeln – ausweitend oder einengend – politische Formen zu bilden vermochten. Nur ein Schulmeister würde versuchen, solche Kräfte in ein System zu spannen, zu einem Programm zu erheben und am untauglichen Stoffe zu erproben ... Sie wissen, an welche Sorte von Politikern ich denke ... An jene Verfechter des »Revanche«-Gedankens, welche noch im siebenten Jahrhundert leben und das Reich Justinians herstellen möchten. Jene Unbelehrbaren, welche Macht und Zahl verwechseln ... Und selbst wenn ich nur Mesopotamien, Syrien und Ägypten zurückeroberte, würde ich nicht mehr in der Lage sein, diese Länder durch das gleiche christlich-orthodoxe Bekenntnis an Byzanz zu fesseln. Denn ich könnte weder ihre monophysitischen noch ihre nestorianischen, noch ihre persischen, noch ihre islamitischen Neigungen und Vorlieben beseitigen – es sei denn durch religiöse Unterdrückungen, in denen sich die Kräfte des Staates verzehren müßten. Gesetzten Falles aber, diese Rückeroberung verzichtete auf die religiöse Angleichung, so müßte Byzanz, um bestehen zu können, aus einem christlich-orthodoxen Einheitsstaat zu einem Bundesstaate mehrerer Religionsgemeinschaften werden. Die in der Person des Basileus verkörperte weltlich-geistige Suprematie und Statthalterschaft Gottes wäre gebrochen – denn der Herr des Staates könnte ja nicht vier oder fünf Bekenntnisse zugleich vertreten –, und Byzanz fände sich ungerüstet mitten im Kampf um eine neue, höchst fragwürdige Form.

Nein, ich möchte mir niemals eine solche Rückeroberung wünschen ... Wozu mehr als den notwendigen Besitz an Gebiet, wenn der »Austausch« über die Grenzen für eine schöne Bewegung des Lebens Gewähr leistet? Je tiefer ich in die Geschichte unserer geistigen Entfaltung hinunter denke, um so deutlicher erkenne ich die Wiederkehr der gleichen Flutungen: Hellas, christliches Rom und jenes Dunkle, Goldne, Glühende, das in dem Worte »Orient« dämmert. Die Nähe, die Ferne, gebunden im Geist: dies ist Byzanz – und niemals war es etwas anderes, mochte auch die eine oder andere Quelle seiner Dreiheit manchmal wie erstorben oder verschüttet erscheinen. Wer wollte jemals dieses stumme Ineinanderweben zerreißen? An jeden Kreuzweg des Geistes einen Pfaffen oder Soldaten als Wächter stellen? Nein: Byzanz ist nicht die Vergewaltigung der Seele – es ist die Seele selbst, dreifach gelöst und dreifach gebunden ...

Wie ich es fühle: so will ich nun Byzanz. Sein Gleichnis ist und bleibt die dämmernde Theotokos, der eine Welt im Kerzenglanz zu Füßen liegt. Ihr weihe ich, was ich vollbringen will: der Großen Liebenden und Großen Mutter. Als ihre Botin gehen Sie, Theophano, für den Basileus in das Reich des Kaisers. Sie wissen, welchen Weg ich Ihnen anvertraue: Byzanz geht in das Abendland ...

»Auf immer gleichem Gold des Hintergrundes
Als dunkelnde Verheißung: die Gestalt.«


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