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In der Frühe des 15. Juni 991, als ein heißer Tag über der Pfalz von Nymwegen heraufstieg und den Rhein mit Kupfer füllte, hatten sich die beiden Ärzte der Kaiserin Theophano zu dem Kanzler des Reiches dahin ausgesprochen, daß an dem Bestehen einer Sepsis nicht mehr gezweifelt werden könne. Der Zustand müsse als hoffnungslos betrachtet werden. Es sei, nachdem sich die rätselhafte Krankheit nun schon dreizehn Tage hinziehe, nicht anzunehmen, daß das Herz dem Fieber noch länger als vierundzwanzig Stunden standzuhalten vermöge.
Der Kanzler, Erzbischof Willigis von Mainz, hatte nichts erwidert. Die Ärzte, erschüttert durch den Ausdruck seines Antlitzes, hatten sich mit einer Verneigung zurückgezogen ... Erst nach einer Viertelstunde vermochte sich Willigis aus seiner Erstarrung zu lösen und Entschlüsse zu fassen. Es mußten Eilboten an König Otto abgehen, den elfjährigen Thronfolger, der sich mit seinem Freunde Brun von Kärnten in Utrecht aufhielt. Die Kaiserinwitwe Adelheid, welche als Reichsverweserin für Italien in Pavia Hof hielt, mußte nach Deutschland zurückgerufen werden. Nur in ihren Händen konnte die Regentschaft für den unmündigen König ruhen. Wie aber würde dieser frühreife Knabe die Bevormundung durch seine Großmutter ertragen, nachdem er ganz im Geiste seiner Mutter erzogen worden war, also gegen den Geist jener anderen? Welcher unerwartet vielleicht tragische Abschnitt der deutschen Geschichte nahm da seinen Anfang, nachdem die plötzlich erkrankte Kaiserin eben gerade jenes gewaltige Unternehmen gegen Frankreich vorbereitet hatte, das dem karolingischen Reichsgedanken zu neuer Wirklichkeit verhelfen sollte?
Theophano, welche noch nicht ihr sechsunddreißigstes Jahr vollendet hatte, wußte, daß sie sterben müsse. Aber sie verschwieg ihrer Umgebung, was ihr Gewißheit war.
Kurz nach Mittag ließ sie den Kanzler zu sich rufen, um ihr letztes Bekenntnis in sein Herz zu legen. Um sechs Uhr abends verlangte sie abermals nach ihm. Von ihrer Kammerfrau Barbara in den Kissen hochgehoben, ein Lächeln auf den verbrannten Lippen, empfing sie aus der Hand des Mannes, der ihr in unverbrüchlicher Treue gedient hatte, die Sterbesakramente und die Absolution.
Die Tür des Schlafzimmers, welche auf die Gartenterrasse über dem Rhein mündete, stand geöffnet. Die niedrige Mauer schnitt durch leicht umdunstete Bläue. Ein Duft von Lindenblüten trieb im goldnen Schattengrün der Wipfel bis an das Lager. Im Halbrund der Fensterbogen stand das Maisgelb der beginnenden Tagesneige. Manchmal drang ein Ruf der Schiffer vom Flusse herauf in die Stille.
Theophano lag mit geschlossenen Augen. Von einer Sekunde zur anderen war das vom Fieber zerarbeitete Gesicht in seine gewohnte Kühle zurückgetreten. Die Wimpern zeichneten einen violetten Dämmer auf die schmalgewordenen Wangen. Die Hände mit den Smaragden des Kaisers Tsimiskes lagen ungefaltet, sehr fern, auf der seidnen Decke.
Im Gold einer Wandnische dunkelte vor der Lampe die Ikone der Theotokos. Theophano gewahrte nicht mehr die Dinge, vernahm nicht mehr die Stimmen dieser Stunde. Ihr Leben, übernah und wie von Engeln aufgelichtet, zog zum letztenmal – doch ihr nicht mehr gehörend – als Bild herauf. Sie war in das Wunder der Euphorie eingetreten ...