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. Einmal mußte Eligius Mappe noch in der Sache des Doktors Vollrat als Zeuge zum Akademischen Senat in die Hauptstadt. Tilla war nicht zurück; Neza und Theo besorgten allein Haus und Apotheke, und ein Hauch ging durch die Luft des kurzen, scheidenden Winters dieser Südstadt, der hätte Tote zum Sündigen bringen, Lethargisches zum Dionysuskult und Mänadentanz erwecken können.

Um das alte Haus also brauste es in großer Verführungsouvertüre; alle Dachpfannen hoben und senkten sich in tiefen Atemzügen und schlugen Takt wie ein unruhevolles Menschenherz. Man konnte nicht schlafen.

Da schlich sich die kleine Neza in den Flur neben der Apotheke hinab, um sich Onkel Mappes zurückgelassene drei Paar Schuhe, sodann Theos und ihre eigenen zu holen, um sie jetzt in solcher Ruhelosigkeit zu reinigen und auf Glanz herzurichten. Morgen, wenn der Sturm müde war, konnte sie dafür in den Tag hineinschlafen. Herr Theo sperrte ja immer in grauer Frühstunde die Apotheke selber auf und hatte ihr schon einmal gesagt: »Kindchen, wenn Sie einmal durchaus ausschlafen müssen, ich schelte Sie nicht aus. Es ist das Vorrecht der Jugend und der Sorgenlosigkeit. Gott bewahre Sie, daß Sie einmal vor Sorgen und Rechnen nicht schlafen könnten.«

»Für einen Mann, den ich gern hätte, wär' mir eine durchwachte Nacht lieber als so, wie jetzt, für niemand sorgen müssen.«

Theo hatte damals gelächelt und ihr einen geeigneten Mann dazu gewünscht.

Heute nacht mußte aber etwas Furchtbares geschehen sein, denn Neza trommelte wie ein wütender Affe an Theos Tür:

»Machen Sie auf, Jezus Krist!« schrie sie wie sinnlos. »Hörst du, wie der Mörser klingt?!«

Er öffnete im Nachtanzug. »Was ist?«

»Riegeln Sie ab, riegeln Sie ab, die Quenzlerin, die Barbara! In einer verschollenen Haube! In ihrer verschollenen Haube!«

Dieses Wort hatte sie einmal aufgeschnappt, als von der Erscheinung des Hausgespenstes die Rede gewesen war, und fortab stellte sie sich unter dem Worte »verschollen« etwas Entsetzliches vor, das unter die größten Flüche gehörte und weit geheimnisvoller war als »vermaledeit«.

»In ihrer verschollenen Haube«, sagte sie und war der Ohnmacht nahe. Theo stützte sie und mußte sie auf sein Bett legen. Ihr Atem jagte, ihre Augen standen vor Entsetzen weit offen, der Puls flog bald, bald stockte er. Ein kräftiges Wesen allein konnte solch einen Nervenschlag ohne Tod hinnehmen, und ohne ihr gesundes Herz wäre sie wahrscheinlich vor Grauen ob der Erscheinung tot hingestürzt. Das fühlte er.

Er weckte sie mit Mitteln, die er aus der Apotheke geholt hatte, ohne der Barbara Quenzlerin zu begegnen, gab ihr aber dann einen Schlaftrank. Überreizte Phantasie allein konnte das abergläubische Mädchen zu ihrem Phantom schaffenskräftig gemacht haben. Als er zurückgekommen, schrie sie vor Grauen: »Warum lassen Sie mich allein?!«

»Ich habe Ihnen belebende Wundertränke samt ein wenig Ambra gebracht; das ist ein Kraftmittel gegen gerade diese Phantasmagorie. Diese verwünschte! Bloß, weil alles hier im Hause dran glaubt.«

Sie nahm den hastig zurechtgerichteten Trank in sich auf, und nun wollte er sie darauf vorbereiten, daß sie in ihre Kammer zurück müsse.

»Ich geh' nicht! Ich geh' nicht! Wir zwei sind allein im Haus, wie zwei arme Tiere, die sich beim Wettersturm aneinanderpressen müssen! Ich habe solche Angst! Ich sterbe ganz bestimmt, allein gelassen! Ich sterbe sogar, wenn Sie nicht da im Bette bei mir sind. Oh, es weiß ja niemand, was Schreckliches geschieht hier im Hause! Und niemand auch weiß, daß Sie mich hier schützen. O Theo! Kommen Sie, kommen Sie!« Und mit aller Gewalt zog sie ihn zu sich ins Bett, fieberte ihren Leib, an dem alle Muskeln angespannt waren, gegen den seinen, umrankte ihn in ihrer Todesangst, und Theo, welcher an ihren weit geöffneten Pupillen sah, daß hier weder eine Potiphar verführen wollte, noch ein Schalk im heißen Fasching ihn zu einem lustigen Treubruch foppte, ließ es sich gefallen. Er streichelte und beruhigte sie wie ein Kind oder ein Tier und war so gut und zärtlich mit ihr, daß sie langsamer zu atmen begann, daß ihr Herz nicht mehr schnellte und flog, daß ihre Pulse Ebbe machten, ihr schrilles Schreien zu einem erhöhten Seufzen wurde. Aber auch so ließ sie ihn in ihrer reizenden Angst nicht los, und er mußte sich schon in die verwünschte Lage hineingeben, zumal er sich dachte: »Es ist im Grunde ganz hübsch. Du darfst kein stupider und entrüsteter Heiliger sein. Sie schweigt. – Du wirst schweigen. Geschehen darf nichts, was nicht gut und recht ist. Und im übrigen muß man die kleine Geschichte mit Humor tragen.«

Er trug sie ganz gerne.

Aber Neza, die zuerst ein wenig eingeschlafen war, sich nur dabei so an ihn schmiegte, daß er bei der langen Zeit, der großen Sicherheit der Sturmnacht, die ihnen im ganzen alten Hause allein gehörte, immer heißer den Körper der jungen, unendlich lebhaften Südslawin an dem seinen abgeprägt fühlte, Neza war so schön! Alles an ihr, so jung und klein und zaghaft es sich in ihre Welt hinausrundete, so schön … »Verflucht,« sagte er, »das ist eine Geschichte!«

Er hatte es so laut gesagt, daß Neza aufwachte. Sie fand sich wieder und – sie fand, was sie vorfand. Alles schien ihr jetzt verloren. Alles war ihr auch jetzt gleich. Sie vermochte nicht einmal mehr Deutsch zu sprechen, sondern verfiel in die heißen Laute der Mutter.

Ihre Arme, ohnedies immer noch um ihn, zogen sich zusammen, so daß er den zweiköpfigen Armmuskel an seinem Halse hervorgespannt fühlte.

»Pridi, pridi (komm, komm)«, hörte er ihre erstickende Stimme.

Kein Heiliger hätte widerstanden. Da dachte er an Tilla, wie die sorgenvoll und treu, unabwendbar in ihrem Entschluß, da unten in der sündteuren Schweiz von ihrem Ersparten reisend, einen Unterschlupf für sie beide suchte.

»Du,« sagte er zu Neza, »ich komme zurück, sobald ich das Septagramma auf Treppe und Türen gezeichnet habe und der Quenzlerin ein Stück Ambra geopfert. Es könnte sonst sein, daß sie – –«

»Komm bald, komm bald!«

»Riegle dich ein; ich zünde ein geweihtes Wachslicht an: Da! Und ich drehe das elektrische Licht daneben auf, es kann nichts geschehen.« Und aus der überlichten Stube, in der das schöne Geschöpf sich nach ihm aufrichtete, aller Scham vergessen und ledig, warf er noch einen Blick auf soviel Möglichkeit zur Sünde und zum Verrat. »Dummkopf«, sagte er sich. Aber er ging hinunter.

Nichts. Nichts im Hause, was Geister bedeuten konnte. Kein Moderhauch, wie die Romantik ihn braucht, kein Eisatem. Bloß der Sturm rüttelte und schlitterte, bloß die Dachziegel klapperten ihren Totentanz, so daß viele heruntergeschmissen wurden.

Er untersuchte alles. Nichts. Und dennoch! Der versteinerte Fisch auf dem Regal fehlte.

Am Ende war's ein Ambraträger wie der Pottwal; und die Quenzlerin hat ihn als Ersatz im Mörser zerstoßen. Wirklich: er und Neza hatten etwas wie Mörserklingen gehört.

Und jetzt kam es um und um toll: Im Mörser stand, hineingelehnt, weit über den Rand des gewaltigen Gefäßes hinausragend, der große Fisch. Allerdings vollkommen unverletzt. Theo ließ ihn liegen, schlich zu Neza in seine Mansarde zurück, hörte, wenn der Sturm eine Pause machte, das eingeschläferte Mädchen tief und ruhig atmen und legte sich vor seine, jetzt ihre, Türschwelle auf das Bettzeug, das er aus ihrer Kammer geholt und dessen Duft für lange Zeit durchaus nicht das richtige Schlafmittel für ihn war.

Erst der lichte, völlig still gewordene Morgen weckte ihn. Er ließ sie in Ruhe, besorgte alles, was Haus und Apotheke und Kundschaft brauchten, holte in der Mittagspause Bier und Käse, setzte sich dann an ihr Bett und gab der endlich Erwachten und sehr Verlegenen zu essen wie ein Papa.

Er kam sich dumm vor, wie nur jemals ein heroischer Mensch, der zum Bewußtsein seiner zwecklosen Heldentat gelangt. Ärgerlich lachend brachte er ihre Kleider und Waschzeug, stieg wieder in die Apotheke im Hausesgrund hinab, sah sich den steinernen Urfisch im Mörser an, den er also für Onkel Mappes Betrachtung belassen wollte, und rieb und preßte und kolierte und mischte all seinen Ärger, seine Sorgen, seine Reue und seine zuletzt dennoch übermächtig erwachende Liebe zur klugen, schönen und braunen Tilla in die Rezepte hinein, daß es ein Wunder schien, wie er sich nicht vergriff.


Vielleicht noch mehr Versuchungen als der kerzengerade Junge Theophrastus, der lieber über die Mädchen lachte, als nach ihnen seufzte, war die stillere, feine Tilla ausgesetzt, deren schweigende Art immer was Schmiegendes hatte, und von der man stets glaubte, sie warte bloß ab, bis der Mann begänne. Da sie von Natur freundlich und von jener köstlichen Negativität der Elektrizität war, die den offensiven Geist eines verliebten Mannes sinnlich und seelisch beschäftigt, weil sie der Phantasie Vorhänge hinter Vorhängen breitet, alle halb durchsichtig, alle wie aufreizende Schleier einer Tänzerin, so blieb Auge und Gedenken an ihr haften.

Da war nur Lugano, um ein wenig Abenteuer zu berichten. Lugano, das so wunderbar mit altitalischen Häuserterrassen zum See hinuntergeht, hoch vom steilen Amphitheater der Berge, überragt von wunderlichen Spitzen mit Kirchen; Italien ganz greifbar nahe, Bambus und Rosen schon jetzt im Frühling. Und drunten der violblaue See, in dem Schneeköpfe sich spiegelten.

Tilla sah von ihrem Zimmerchen im »Croce bianca«, dem saubersten Hotel der ganzen Stadt, hoch oben über alle Dächer. Diese italienischen Dächer, deren Ziegel allein eine Landschaft bilden! Immer wie Hände, die man zu erstem Liebesgestehen heimlich mit vier Fingern so in die andere legt, daß beider Hände Nägel das Innere berühren.

Tilla war probehalber in einer entzückenden Offizin aufgenommen worden, die beinahe so uralt war wie die »Blaue Gans«. Bloß, daß die Dosen, Tiegel und Büchsen aus der weißen, schönen, gelbundblauglasierten Fayence des Seicento herrührten, reich bemalt und gezeichnet. Der Apotheker war Sohn eines Einheimischen, also von Vaters Seite her Italiener, Ticinese. Seine Mutter aber war Deutsche gewesen, und von ihr hatte er die gestreckte blonde Erscheinung und die gute Sprache, die er genau so beherrschte wie das ihm sorgfältig anerzogene Italienisch, » lingua toscana in bocca romana«. Er konnte sich schon sehen lassen; war kräftig, trainiert im Sport, Segler, Jäger, Tennisspieler, Sänger, Gitarrevirtuose – eine ganze Menge Vollkommenheiten. Dazu die Heiterkeit des Romanen neben dem Ernst und der Aufmerksamkeit, ja Gewissenhaftigkeit des Deutschen. Er gefiel Tilla gleich, als er sie fragte, ob Signora ein paar Tage hier praktizieren wollte. Stets einmal am Vormittag, einmal am Nachmittag. Die übrige Zeit wäre sie frei wie nur irgendein Kurgast.

Gar keine Prinzipalmanieren! Erlesene romanische Höflichkeit. Sie, Tilla, nahm er als große und feine Dame. So blieb sie in der wunderbaren Gegend und arbeitete ein paar Tage neben ihm. Er sah bloß immer still auf ihre hübschen Hände mit dem glatten Fleisch und den spitzen Fingern; diesen Händen, die niemals schwach aussahen und dennoch klein und weiblich waren. Sonst sah er sie bloß dann von der Seite an, wenn sie etwa eifrig ein Rezept studierte oder das Züngel der Wage aufmerksam im Auge hatte. Zumeist schweigend. Gelegentlich sprachen sie dann auch gern miteinander wie zwei Kameraden; das war schnell möglich geworden. Selten wagte er es, sie auch außer der Apotheke zu begleiten. Aber besonders da behandelte er sie mit solch zaghafter Auszeichnung, daß es schien, als wollte er den Leuten zeigen, er ginge mit einer Königin, die ein Inkognito gewahrt wissen wollte, um das er aber dennoch nicht herumkäme.

Zudem war er aus alter Familie, die in Tessin schon seit Ludovico Moro ansässig gewesen war, und er hatte auch die Manieren danach.

Tilla fühlte, daß sie neben diesem Menschen gern war, gern arbeitete und gern neben ihm am chalzedonblauen See promenierte, wo im schönen Park die uralten Buchen mit schwarzgrauen Ästen ins Wasser hingen, als tränken Elefanten aus der ölglatten Tiefe.

Freilich, sobald sie schöne alte Bäume sah, mußte sie an Theo denken, der die Bäume und ihre stumme Segenskraft sosehr liebte. Der Italiener, sehnsuchtslos nach dem Paradies der ersten fünf Schöpfungstage wie fast alle Menschen in diesem Lande der mittelgroßen Städte und einer überschwenglich schönen Landschaft, sah wenig von der hinreißenden Größe der Natur um ihn. Sein Leben bewegte sich zwischen Segeljacht, Kaffeehaus, Tennisplatz, Roccolo (Vogelherd), Jagd und Korso.

Aber durchaus nicht fehlte ihm der Sinn für den Garten, für Blumen, für alles, was auch Frauen lieben. Er hatte ein wunderschönes Glashaus und züchtete darin, jetzt im Frühling, Sommerblumen. Immer war sein Blumengarten ein Halbjahr einem deutschen Garten voraus, und freudig erkannte das Mädchen dort auch ganz schlichte deutsche Bauernblumen, welche seine Mutter ihn pflanzen gelehrt. Zu Hause in Lindenau blühten sie im August. Hier im April, ja im scheidenden März.

Eine Lilie gefiel ihr insbesonders.

Diese orchideenhaft seltsame Blume, welche überraschend nach Alpenveilchen roch, war ein richtiges Märchen. Eine Orchidee schien sie zu sein, wenn man sie überrascht und zum ersten Male sah. Blaßrot mit zurückgestülpten Blütenblättern und purpurroten, manchmal beinahe kardinalsvioletten Punkten; die großen Staubgefäße üppig rostrot, feurig verlangend!

Langstielig standen die wunderbaren Pflanzen am andern Tage in Tillas schneeweißem Zimmer im »Croce bianca«.

Sein erster deutlicher Gruß.

Trotz ihrer Freude an den schönen Lilien, die sie dem Apotheker deutlich zeigte, war sie jetzt dennoch befangen, wenn sie neben ihm arbeitete. Er sah mehr als bisher zu ihr herüber. Er erzählte ihr, daß er unverbrüchlich auf eine Frau warte, die zu ihm passe. Schon als Junge bei wenig Taschengeld – wenn er etwas kaufen durfte –, immer griff er bloß dann zu, wenn er wußte: »Dies, bloß und nur dies eine will und muß ich haben.« So habe er bei jeder Krawatte, bei jedem Schiffstyp später und bei jeder Waffe gehandelt. Freilich, er faßte immer nur zugleich ins Allerteuerste. Nie habe er das bereut. Dabei aber sei es ihm wie ins Blut gemischt, auch bei den Frauen so zu wählen … Und da wäre er bisher allein, völlig allein geblieben. Wiewohl schon seine Apotheke ein starker Anreiz gewesen war – für Herrscherinnen darein …

»Nun, Sie gefallen den Frauen auch ohne Apotheke«, sagte Tilla lachend.

»Es kommt darauf an, ob ich der Einzigen, der Ersten und Letzten gefalle«, sprach er langsam, eindringlich und leise. Jetzt merkte Tilla, daß sie ihn vielleicht schon zuviel hoffen gelassen hatte. Sie erschrak. Aber der feinfühlige Romane merkte augenblicklich, taktvoll wie eine Frau, daß Tilla die Augenbrauen runzelte und ihm auszuweichen schien. Zumindest hatte sie jetzt Angst vor ihm.

Er schonte sie. »Ich spreche jetzt nicht mehr weiter«, sagte er sanft. »Nur das eine sage ich: Ihr Bräutigam kann neben mir nicht sein. Entweder Sie sind hier Herrin oder – aber bitte, bitte! Nicht antworten! Ich habe solche Angst jetzt!«

Tilla machte ihre Arbeit von da ab schweigend wie er. Am Abend gab sie ihm freundlich, weder bedeutsam noch abweisend, die Hand.

Es war ihr eine schlimme Nacht beschert. Hier reich und glücklich sein dürfen, im schönsten Lande der Erde vielleicht! In wenigen Stunden war man an des Sommers kühlsten Alpenseen, wenn hier italische Glut von den Felswänden zurückprallte. In kurzer Zeit aus Eis und Nebel und Schneekot unter Rosen und Palmen und Zypressen. Immer stand an jeder Straßenecke das Wetterergebnis in der letzten telegraphischen Nachricht, dreimal am Tage: »Genf heiter. Zürich stürmisch, Bern kühl und sonnig.« In jedem Augenblick des Lebens konnte man jeder Laune, jedem Trübsinn, jeder Art von Heimweh, jedem Gewissensbisse sogar entfliehen.

Dieser Italiener war Weltmann, stark und liebenswürdig; und an ihn sich zu gewöhnen, war wohl leicht. Wäre nur nicht dies schwer-deutsche, dazu slawisch mit Phantasie geschwängerte Blut in ihr, das sie verdienstlos wie selbstverständlich zur Treue zog. Denn leicht und hell wurde ihr Blut nur beim Gedanken: Alle mußten dich lieben, ohne daß du darum geworben hast. Wie schön, daß ich Theo so ein Mädel in mir schenken darf, nach dem jeder verlangt! Aber gleich fiel ihr ein, daß Theo genau so von den Mädeln, von den Frauen gesucht wurde. – Nun, schön war es doch, solch ausgesuchte Exemplare zu sein miteinander!

Und halb im Ausmalen, was ihr hier etwa widerführe, wenn sie das Schreckliche wagte und blieb, halb in zärtlichen Vergleichen des naturfremden Italieners, der auch in Pflanze und Tier nur Sport und Luxus suchte, mit ihrem Theo, schlief beim Heulen des Windes Tilla ein, bis irgendein Wunder sie aufschrecken ließ.

Ihre Fensterladen waren geschlossen, und bloß ein Herz, das in jedem ausgeschnitten war, ließ Luft und ein wenig Licht herein, weil es zur Nacht den Regen ins Zimmer getrieben hatte, bei dessen Anprasseln sie so wohlig eingeschlafen war, während unten der See kollerte und schlug. Jetzt aber blendete sie irgend was Weißrosiges, und sie riß die Augen auf. – Das war Magie.

Ja, das war Magie. Tilla wußte nicht, war es Nacht oder Tag. Das Zimmer war tief dämmrig, beinahe dunkel. Inmitten stand etwas Leuchtendes, das sie augenblicklich als das Lilientrio erkannte, das ihr der neue Freund gestern ins Haus gesandt hatte. Er selber hatte nur diese drei Blüten gehabt.

Alle erglühten sie jetzt wie der heilige Gral. Und immer noch war das Zimmer dunkel. Blaßrot, durchsichtig, als empfingen sie dies strahlend schöne und unbändig starke Licht aus sich selber von innen, starrten die drei Blumenwunder in die Düsternis hinauf. Langstielig, nach unten in Dämmerung versunken, nach oben aufleuchtend. Tiefpurpurne Punkte, orangenkrasse Staubgefäße, hellstes durchstrahltes Blaßrosenrot! Und die Blumen standen, starrten, bebten, ragten monstranzenhaft.

Tilla war es, als blühte die schaurige Stunde der Entscheidung, der Poesie, des Segens oder Fluches, der Sünde.

Ihres Lebens grauenhaft schöner Scheideweg stand da wunderbar in Bilderschrift angeschrieben. War es ein Zeichen? Noch immer starrte das zauberhafte Licht, die überirdische Farbenglut sie an. Verwirrt und erschrocken starrte auch sie das aufgesprungene Lilienwunder an. Mariens Engelgruß mochte sie so aus der Lilie des Gottesboten aufgeschreckt haben.

Erst eine Weile Besinnens brauchte es, bis ihr inne ward, daß die ersten schrägen Morgensonnenstrahlen hinterm Monte Bré rechts aus der Lücke am See herübergeschossen kamen, sich durch das Herzloch im Fensterladen zwangen und nun wie gierige Bienen auf die Wunderblume stürzten, die sie so unirdisch, so völlig überraschend durchströmten und mit Licht und Farben durchwühlten.

Jetzt wurde auch Tilla ruhiger. »Der heilige Gral«, sagte sie. Andächtig betrachtete sie die Erscheinung wohl eine halbe Stunde lang, aufgestanden jetzt und bewußt genug, daß sie, wiewohl noch im Schlafkleide, die herrlichen Blüten stets wieder in den einen schmalen Sonnenbalken rückte.

Dabei gedachte sie immer wieder des heiligen Grals, dem man ja auch stets in des eigenen Herzens heiligstes Licht nachrücken muß. Immer soll er das köstlichste an Gegenliebe empfangen aus dem Menschenherzen.

»Treue ist was Wunderbares. Aber beständige Liebe, die solche Treue stets in den schmalsten, winzigsten Lichtstrahl zu stellen wüßte, den das verzagende Herz auch nur immer noch aufzubringen wüßte, die – –!«


Von der »Croce bianca« zur Bahn ist es nicht weit. Ein Heimweh ohne Maßen nach dem spukhaften und dennoch so heitern Städtchen am Saume deutschen Wesens, nach Theos blauen, fröhlich treuen Augen, nach dem lieben, geängsteten Philisterium, nach Güte und Wärme von ehedem war in Tilla aufgezuckt, und jetzt saß sie schon im Zuge, aus dem sie dem verführerischen Apotheker nach Lugano zurückschrieb:

»Ohne den, der zu Hause wartet, hätte ich ja gesagt. Solange aber er lebt (und das wird er meinem Herzen auch, wenn er gestorben wäre, aber mir rein erhalten bliebe), gedenke ich Ihrer Heimat, Ihres Hauses, Ihrer nur wie eines reichen, wunderbaren Gartens – in dem ich nicht leben kann.«


Die arme Pharmazeutin also war wieder zurückgekommen; recht niedergeschlagen sah sie aus. Wo immer man das Brautpaar zusammen noch leidlich geduldet hätte, es hatten sich Sinn und Willen des schwertrachtigsten Schweizers geändert, sobald er das wunderbar gebaute schöne Mädchen sah. Diese Hände, klein, kräftig dennoch und mattweiß, diese schlanken spitzen Finger wollte jeder allein neben sich arbeiten sehen und gönnte sie niemand anderem. Ihre reizvolle Erscheinung, ihre klugen Augen, deren Blick jeden Mann belebte, sie waren ihr Unglück. Mit sechs Abweisungen und zwei Heiratsanträgen war sie nun wieder da.

Ein Glück, daß der Frühling beide Leutchen öfters Trost in der Natur finden ließ. In der Apotheke bemerkte Tilla die hängenbleibenden Blicke Nezas, welche Theos Augen suchten und jeder seiner Bewegungen folgten. In der Apotheke mußte Theo die beinahe täglichen Besuche des Doktors dulden, der gegen ihn so herzlich war, daß man keine Grobheit anbringen durfte und auch keine Andeutung, der Doktor möge seltener kommen. So atmeten beide auf, wenn sie draußen miteinander beisammen sein konnten; aber das geschah ja nur an den Nachmittagen des Sonntags. In einem aber merkten sie die Heilkraft solcher Stunden: in der Gewalt, die von der freien Weite einströmt, und der noch größeren, beruhigenden und ganz tatsächlichen Ausstrahlung alter Bäume, an welche der alte Herzog so innig glaubte. Die große Kastanienallee unter dem Bischofsschlosse, zu der es vom Suivaflusse kühl heraufwehte, der beinahe senkrecht unter der Allee dahinfloß, sie beruhigte immer wieder wunderbar die hoffnungslosen Herzen, und beide staunten über die Entdeckung, welche auch der Kauz der Athene gemacht hatte: daß alte Bäume, vor allem moosige Rüstern, sodann Linden, aber auch sehr alte Roßkastanien stillende Trostströme aus ihren Stämmen und Kronen herniedersegneten.

Beiden erging es gut, daß sie die Gnade hatten, diesen Trost zu empfangen. War es bloß der weise Hinblick auf die Unberührbarkeit durch Jahrhunderte, denen gegenüber ein Menschenleben so flüchtig und nichtig erschien? Oder waren es sanitäre Kraftwellen ganz eigener Art, wie sie seit der Radioaktivität stets von neuem durch die Wissenschaft entdeckt werden? Genug, wenn sie in einer der alten Alleen auf und nieder gingen, dann fiel alles von ihnen ab, sie wurden große, gestillte Menschenkinder.

Solch unscheinbare Dinge, miteinander und füreinander erlebt, geben aber ein Gefühl der Zusammengehörigkeit für immer; das war die zweite Gnade, die den Naturliebenden zuteil wurde. Theo hätte mit der reizenden Neza, Tilla mit dem weltkundigen Doktor niemals solch sublime Erlebnisse zu teilen vermocht. Für sich allein hatten sie das, und bloß die drei Alten verstanden es noch.

Dem einen, Onkel Mappe, erzählten sie auch von solchen Gängen zu zweit. Schon damit er sähe, sie suchten weder das Vergnügen der Vielen, noch Wonnen der Sinneslust. Freilich, es war jedes auch ins Äußere des andern sehr verliebt, so daß sie manchmal eine kleine stillstehende Waldmühle aufsuchten; eine Hausmühle, wie sie die Bauern dort in jedem waldigen Schluchtgraben zu eigenem Bedarf stehen haben. In dieser Mühle küßten sie einander; oft so, daß ihnen die Sinne halb vergingen und es sie schwindelte. Aber stets vermieden sie den brennend heißen Diebstahl am alten Herkommen. Es war in diesem Belang ein Glück, daß Theo sehr gütig war. Er, der feinfühligste Kenner der Farben und ihrer hauchartigsten Tonwerke beruhte als Malernatur völlig in der Landschaft, zu der ihm natürlich auch Behausungen und Dächer gehörten. Für den plastischen Schönheitssinn des Bildhauers aber, des Menschendarstellers, hatte er eine geringere Begabung. Denn sonst hätte er das herrliche Geschöpf, das mit allen Adern sein eigen war, in ihrer unverhüllten Gottgeschaffenheit zu sehen begehrt und dann – gnade Gott ihnen beiden. Er wußte bloß, daß er eine wunderbare Seele in schöner Hülle zu eigen hatte. Daß dieser Körper den größten Künstler toll gemacht hätte vor Freude, solch ein Modell gefunden zu haben, Apothekerchen ahnte es nicht. Der Doktor von dort drüben freilich, der musterte in unverhohlener Kennerfreude Form und Linie an der »klar gebauten Giftmischerin«, wie er sie nannte. Sooft er nur kam, sah er sie so an. Sie war jedoch von so ruhiger, vielleicht sogar kühler Frauennatur, daß sie sich über diese Blicke nicht einmal empörte, was immerhin Reagens gewesen wäre. Sie wußte, daß sie sich sehen lassen konnte, nahm jeden unreinen Blick völlig rein hin. Sie war's ja als angehendes Mädchen schon vom Bade her so gewöhnt und blieb unantastbar in ihrer Reinheit, die bei ihr nicht das geringste Verdienst, sondern selbstverständlich war.

Das war eine jener Naturen, die bald ausgestorben sein werden; wie in alten Tagen unablenkbar treu. Aus Natur entstanden und geschaffen zur Treue. Wie ein altevangelisches Hochzeitlied.

»Ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,
Durch Eis, durch Eisen, durch feindliches Heer …«

Und ohne sogenannte reale Trostgründe kamen sie von solchen Ausflügen stets wieder, irgendwie in der Seele so getröstet, wie es ehedem bloß noch die Religion geben konnte, in einer Art Gottvertrauen wieder heim.

So herrlich bewährte sich des alten Kauzprofessors Rat, des Peter Allius Solvanus, den seine Gefährten spottweise den Mahatma nannten. Sie beglimpften ihn mit diesem Namen, weil er behauptete, für Dinge der Völker bis herab zu Dingen der Menschen und bis in Wind und Wetter hinein ein eigentümliches Gefühl, hier der Unausgewogenheit oder aber dort der Reife, zu haben. Er sagte, als Soldat hätte er stets gefühlt, wenn eine Front zu durchbrechen, eine Attacke zu reiten wäre, oder ob man sich auf zäheste Defensive gefaßt machen müsse. Feindliche Gegenströme fühlte er. War gegen ihn eine Intrige im Zug – er hatte zu solcher Zeit nachts über symbolische Träume. Darum glaubte er sosehr an die delphische Pythia und ihren Gott, an die Traumeiche des Zeus in Dodona und an alle aus reiner, nicht schauspielernder Hysterie herauskommenden Nervenwunder, an den Kurzschluß des Menschenzellenstaates mit der Allnatur, ob Welle, ob Baum, ob – –

Die Bäume allein waren beiden zur Kraft geworden.

Onkel Mappe fühlte der Unablenkbarkeit dieser Liebe gegenüber, deren große altmodische Reinheit ihn mit Andacht erfüllte, eine tiefe Beschämung. Diese zwei Leutchen kreisten in Sorge, Ungewißheit, Armut und Seelennot umeinander wie ein strahlend stilles Doppelgestirn; jedes das Gegengewicht des andern, jedes sein Gesetz in sich selber, keins vom andern zu trennen. Außer, der Gott, dem sie grenzenlos vertrauten, verordnete Liebestod in einer Weltkatastrophe.

Wären diese beiden so gut geglückten Menschen eingeboren gewesen an einem sonneninsektendurchsummten Südseesund, sie hätten längst ein herrliches Kind als Jawort Gottes besessen.

So, an ferner deutscher Grenze, noch nicht südslawisch heiß, aber südslawisch rein, gläubig und fromm, gingen sie mit gepreßten Lippen nebeneinander her und erduldeten die fressend schöne Wonne unermeßlichen Heimwehs nacheinander.

Vielleicht war es ihr Glück, daß sie schon am Saum des Orients lebten. In der Großstadt wäre vielleicht aus diesem heroisch schönen, seelisch heißen Warten eine kleine Kinonachmittagsfreundschaft entstanden, die zu Abend in gemütlichem Bettschatztum ausgeatmet hätte. Das Ungeheure, das bebend herangeahnte und stets gemiedene Drohen eines großen Blutes, sie hatten es niemals kennengelernt: Sehnsucht – die Presse, die aus faulen Baumstämmen Diamanten züchtet.

Und waren Druck und Verzagtheit allzu lastend? Die Bäume rauschten, die Windräder jener seltsamen Gegend dengelten – und alles war behütet im Prachtmantel Gottes, der alle Farben hat.

Daß es Millionen Menschen geben muß, die das nicht kennen!

Die diese unerhört wirksamen Heilmittel entbehren sollen. Die sich in Fusel, Tabak und in ein Nachtgewimmel von lauter Unholden stürzen müssen, nur um dies Leben zu vergessen, das, genossen in der erhabenen Geselligkeit der fünf ersten Schöpfungstage, zum unmittelbaren Erleben Gottes und seiner geruhsamen Ewigkeit werden könnte!

Von Peter Allius Solvanus, dem Kauz und Mahatma, stammte dieses Wort, das er in ihr beider Stammbuch geschrieben.

Dieses Buch hatten sie manchmal sogar in der Apotheke neben sich und sahen hinein, wenn es gar zu sorgenvoll in ihnen zuging. Einmal bemerkte Eligius Mappe, ihr Patron, die Schriftzüge und den Text des Freundes, und da sagte er zu den beiden:

»Kinder, mir ist es schwer ums Herz. Ich bin alt, und der Doktor drängt. Was er bieten mag: Genau um die Hälfte geb' ich euch die Apotheke.«

Das war nun freilich wieder ein kleiner Blitz, der lachende Engelzähne zeigte. Aber woher auch die Hälfte nehmen?

Doch kam eine Zeit, da rechneten sie über alle sonstige Gewohnheit hinaus sogar unter den heiligen und heilsamen Bäumen! Sie rechneten nach und schrieben umher, ob sie die Pachtsumme und den Kredit dazu nicht doch von einer barmherzigen Sparkasse erhalten könnten.

Aber es schien, als überböte der Doktor alles menschenmögliche, denn Onkel Mappe blieb wieder still und gedrückt und nannte keine Zahl.

Hingegen erzählte die kleine Neza, welcher der willenskräftige Doktor Suggestivideen eingepreßt zu haben schien, immer wieder von der Apotheke in Krapina, zu der ihr der gütige Herzog die Aussteuer geben wollte. Und hochmodern wollte er das Bad durch seinen Besuch machen, weil sein Steinleiden aufzuhören begönne und sich mehr in Gicht auswirkte.

»›Harnsäure kriecht überall, wie Angina, wunderbar herum‹, hat sein Doktor g'sagt«, schloß sie.

So war jedes von einem verführerischen andern geliebt und verlangt. So saßen sie in der Klemme und lächelten doch insgeheim, glücklich darüber, daß das eine dem andern beweisen konnte, es wäre sehr begehrt.

Und wenn beide einander einmal an den Händen faßten, nachdem etwa Neza dem Provisor ihre Finger fühlen gelassen hatte, die bis in die Spitzen hinein klopften vor Blut, oder nachdem der Doktor die wunderschönen Hände Tillas wieder einmal nicht aus den seinen zu lassen vermochte, wenn sie diese von anderen Willenskräften noch durchströmten Hände ineinanderlegten, dann floß ein so seliges Beruhigtsein durch beider Körper wie nach einem frischen Bade. Kühl, neu, jugendlich, sprungbereit zum Leben, zuversichtlich, unangreifbar.

Auch die Quenzlerin schien sich vor diesem stärkeren Geiste zu verkriechen und zeigte sich seit Lichtmeßtag, dem zweiten Februar, nicht: Durch den März, den April, den Mai und so weiter.

Nun war aber die Geschichte, die hier erzählt wird und die sich beinahe genau so begeben hat, wie sie erzählt wird, erst beim Märzenmonde angelangt.

In dieser Gegend, die in sehr heißen Sommern sogar die Mandel süß werden läßt und die Feige als Zweijahrsfrucht in guten Sonnenwinkeln auf der Höhe ausreift, in dieser Gegend geht der Süden auch ins ruhigste Blut. In die Reben strömt der Saft früher als am Rhein. Und schon im Februar glänzen die Weidenzweige, die Äste des Pfirsichs gegen die Mittagssonne wie Japanlack; die einen pomeranzengrell, die andern krapprot, purpurfrech. Die Spatzen, die sich auf ihnen im anstürmenden Südwinde schaukeln, sie sind mitten in Glut und Gefunkel getaucht, so blank poliert blitzt die Glätte dieser prallebigen Zweige, blitzt die Blinkfarbe der Zweigchen.

Und dunkel erschauern die Wälder.

Die Fichten sausen um solche Zeit am schönsten, während die kahlen Buchenkronenreiche in der Nähe klappern. Wer weil sich Ast an Ast aufstöhnend reibt und schräge Stämme miteinander ringen, weil der Buchen noch die Mehrheit ist in jenen Südwäldern und der Edelkastanien ganze Haine voll stehen, so gibt dieses Zusammenschaudern von vielen Millionen Zweigen gegeneinander ein Grollen, Donnern, Orgeln, metallen, stark und weich zusammen, traumeinwickelnd und begehrend und hoffend, lebensvoll auf- und herausfordernd zu neuem Leben. Es ist gar nicht zu sagen, wie dieses Brausen und Baßsingen des Naturtrolls das Blut aufreizend erneut! Dunkel wie ahnungsvolle Sünde, aus der Großes kommen soll, donnern die kahlen Wälder. Und einschläfernd sausen die Fichten: laß geschehen. Laß dich waldstill begraben in das unsagbar viele Geschehen. Versink in ihm, in unserm großen Wiegenliedston.

Freilich fuhr auch in die beiden lieben Menschen, von denen hier Kunde gehen darf, ein Begehren nach Zusammenschluß. Mußte man auch Schulden machen, zu zweit ging es besser. Und die so schön geratenen Körper forderten Zusammenschluß. Nicht sosehr bei ihr. Sie hatte ihn ja immer neben sich. In der Arbeit, bei Ruhe und ausschwingender Stimmung, immer harmonisch neben sich. Er aber war seit Nezas Teufelsstreich, der wieder bloß durch das sonderbare Grenzwertwesen der Barbara mit der verschollenen Haube verschuldet worden war, zum heißen Mann erweckt worden. Und da er sich als solcher brav und altartig treu aufgespart hatte, trug das einmal erwachte Blut gleich Zinseszinsen. Dazu die andern! Die andern, die ihn lehrten, wie begehrenswert Tilla wäre!

Er war erschrocken, wie sehr er jetzt in diesem verruchten März das aufreizend aparte Mädchen begehrte. Längst liebte er sie. Nun, zur Unzeit leider, war er verliebt.

 


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