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Maurice Maeterlinck
Ich glaube es sind sehr wenige, die das Hochzeitsgeheimnis der Bienenkönigin belauscht haben, denn diese Hochzeit vollzieht sich in dem unendlichen, blendenden Brautbett des Sommerhimmels. Aber man kann den Aufbruch der Braut und die todkündende Rückkehr der Gattin unter Umständen beobachten.
Trotz ihrer Ungeduld wartet sie im Schatten ihrer Tore Tag und Stunde ab, bis ein wundervoller Morgen sich aus der Tiefe der azurenen Himmelsurne in den hochzeitlichen Raum ergießt. Sie liebt den Augenblick, wo noch ein Rest von Tau auf Blatt und Blüten schimmert, wo die letzte Frische der sinkenden Morgenröte noch gegen die Glut des Tages anringt, wie eine Jungfrau in den Armen eines Kriegsmannes, und die kristallenen Laute des Morgens in dem Schweigen des nahenden Mittags noch nicht ganz verhallt sind.
Dann erscheint sie auf der Schwelle, unbeachtet von den Arbeitsbienen, die ihren Geschäften obliegen, oder auch von ihren betörten Töchtern umringt, je nachdem sie Schwestern im Stocke zurückläßt oder nicht mehr ersetzt werden kann. Sie fliegt zuerst rückwärts, läßt sich zwei bis dreimal auf das Flugbrett nieder, und erst, wenn sie Lage und Anblick ihres Königreiches, das sie noch nie von außen gesehen hat, genau in ihren Geist aufgenommen hat, fliegt sie in gerader Linie scheitelwärts ins Blaue, und erreicht so Höhen und eine Lichtzone, zu denen die anderen Bienen sich nie in ihrem Leben aufschwingen. Die Drohnen drunten, die sich träge auf den Blumen wiegen, haben die Erscheinung gesehen und den magnetischen Duft eingesogen, der sich alsbald bis zu den nachbarlichen Bienenstöcken verbreitet. Sofort sammeln sich die Horden und tauchen, ihrer Fährte folgend, in das Meer der Heiterkeit, dessen kristallene Grenzen sich immer weiter verschieben. Freudetrunken über den Gebrauch ihrer Flügel und dem herrlichen Gesetze der Art getreu, das ihr den Liebsten zuführt und nur den stärksten allein in ihre ätherferne Einsamkeit hinaufdringen läßt, steigt sie immerfort, und die blaue Morgenluft strömt zum ersten Male in ihre Luftgefäße und braust wie ein himmlisches Blut in den tausend strahlenförmigen Luftröhren ihrer beiden Lungen, welche die Hälfte ihres Körpers einnehmen und sich vom weiten Raume nähren. Sie steigt immerfort, bis sie eine öde Zone erreicht, wo kein Vogel ihr Mysterium stört. Sie steigt immerfort, und schon zerteilt und vermindert sich der ungleiche Schwarm unter ihr. Die Schwachen und Kranken, die Greise und Mißratenen, die schlecht Ernährten der kraftlosen und heruntergekommenen Völker stehen von ihrer Verfolgung ab und verschwinden im Leeren. Nur eine kleine Schar von Unermüdlichen schwebt noch im unendlichen Raume. Noch eine letzte Anspannung der Flügel, und der Auserwählte der unbegreiflichen Mächte hat sie eingeholt, umarmt und durchdrungen, und von doppeltem Schwunge beflügelt, kreist das eng verschlungene Paar einen Augenblick im tödlichen Delirium der Liebe.
Francis Jammes
»Ich bin eine Schnepfe. Um die Zeit, in der der herbstliche Ozean fürchterlich wird und die Schiffe im gelben und schwarzen Himmel tanzen, wohne ich hier, denn ich mische mich nicht ein in die verschiedenen großen Angelegenheiten der Natur, ich Schnepfe, die ich nicht weiß, daß tausend und tausend Kreolenjungfrauen jetzt verblüht sind wie feurige Rosen im zerstörenden Hauche eines Vulkans. Hier wohne ich, zwischen den Binsen und einer Lache, in der Gleichförmigkeit von Tag um Tag. Mein Tal zieht von Norden nach Süden, es ist morastig, waldverwachsen und traurig. Aber es stimmt recht hübsch überein mit meinem Kleide, das wie ein totes Blatt gefärbt ist, und man könnte mich schon für eine Dame nehmen, wenn ich da mit meinem Stocke, der mein Schnabel ist, spazieren gehe ... Man weiß von mir auch, daß ich die schönsten Augen auf der Welt habe, und daß von ihnen die Sage geht, sie weinten, bevor ich sterbe.«
»Kommen Sie und sehen sie mich in meinem Salon an! Wissen Sie denn, wie der Salon einer Schnepfe aussieht? Die Jäger mögen Ihnen davon erzählt haben. Haben Sie Ihnen aber auch gesagt, was ein Schnepfenspiegel ist? Das ist nämlich etwas, das ein bißchen schwierig zu erklären ist. Meine Spiegel sind aus blankem Silber und haben einen dunklen Punkt in der Mitte ... sie sind das, was ich hinter mir fallen lasse. Mein Parfüm ist das frischgeschlagene Holz. Lieben Sie den Geruch von Heu? O, in der Natur sind alle Gerüche vereinigt. Würziger aber riecht doch nichts als der Saft der Erle, den der Holzhauer abzapft. Das ist ein Geruch, der schön ist, während doch Gerüche für gewöhnlich nur gut sind. Aber dieser Duft ist schön wie das Blut, das in der stillen Stunde aufsteigt in die Wangen des Heidekrautes, wenn die Sonne müde ihre Haare auflöst und sich lang über den Hügel hinstreckt. Wenn ich meine Füße auf das setze, was von einem Erlenstamme am Erdboden übrigbleibt, kommt es mir vor, als ob ich auf duftenden Purpur trete und ich die Königin von Saba bin.«
»Die Wohnung, die ich habe, ist gottlob recht brauchbar. Ein paar Verbesserungen täten ihr freilich schon not: der Wind hat nämlich die Dachschindel aus Blättern, die mir der Dachdecker Frühling darauf gelegt hat, schon wieder zerblasen. Der Herr Herbst hat sie durch Klematisfrüchte ersetzt – aber die saugen mit ihrem Flaum den Regen aus der Luft.«
»Ich habe nur ein Erdgeschoß. Der Flur ist ein Wassergraben, dunkel genug, daß ich darin ordentlich sehe. Man weiß ja, daß meine Augen das grelle Licht schlecht vertragen. Mir ist auch ein einfacher Stern lieber als die beste Kerze. Der Herr hat mir gesagt: ›Geh, kleine Schnepfe. Ich schenke dir alle Sterne des Himmels, daß sie dir leuchten.‹«
»Mein Park ist unermeßlich, er schließt die ganze Welt in sich. Aber ich gehe doch erst in die Berge, mir kleine Eisstückchen zu holen, wenn die große Hitze kommt. Denn man muß es verstehen, seine Wünsche einzuschränken – sonst muß man die Geschichte vom Weinberge des Naboth wieder von frischem beginnen. Ich wohne also hier, sage ich Ihnen, zwischen diesen Binsen und der Lache, und ich komme auch kaum fort von meinem runden moosigen Platze da und von der Quelle, deren Wasser ein Hirt in einen Dachziegel geleitet hat, von dem jetzt, durch einen Stein festgehalten, ein Kastanienblatt herunterhängt. Man darf aber nicht vielleicht glauben, daß es da weiter unten nicht eine herrliche Landschaft gibt: die Ufer und Inseln des Wildbaches, wo inmitten von rosa Nebeln der Herr Reiher auftaucht und wieder verschwindet, je nachdem der Nebel sich hebt oder sich ausbreitet. Und in einiger Entfernung von ihm unter dem silbernen Himmel schnellen über das silberne Wasser die Silberfische, auf die er lauert, empor.«
»Ich wünsche mir, glücklich und verborgen wie ein Veilchen zu leben. Eine Schnecke in der Schale genügt für mein erstes Frühstück, währenddessen ich entzückt bin von all dem Nebel, der von jedem Zweige fällt wie ein Hagelschauer aus lauter Regenbogen. Was brauche ich auch Luxus und Eitelkeit? Wenn ich doch lieber das große Buch der Natur lesen könnte, das Buch, von dem ich selber ein bescheidenes Exemplar bin. Sehen nicht wirklich meine Rückenfedern aus wie der Ledereinband eines ganz alten Folianten – und die Federn auf meiner Brust wie seine bunten Ränder? Ja, ich lese in mir selber, in dem wirklichen Buche, das ich bin, und ich muß nicht meine Zuflucht zu all den Mitteln nehmen, deren sich die unwissenden Dichter bedienen. Was ich weiß, weiß ich ordentlich, weil ich es mir nicht nur vorstelle, sondern es mit dem Schnabel und den Füßen angreifen kann, und weil es doch die Frucht meiner Erfahrungen und meiner Weisheit ist.«
»Was ich weiß? Ich weiß, daß ich gerade vor mich hinmarschiere, die Füße auf der Erde und den Kopf im Himmel. Ich weiß, daß es ganz gewöhnliche Sachen gibt, über die man sich doch sehr wundern muß. Und ich weiß, daß die Welt zusammengesetzt ist aus lauter Schnepfen, die gar keine Schnepfen sind. Ich weiß, daß ich leide, wenn man mir Blei in meine Flügel schießt. Ich weiß, daß ich glücklich bin, wenn ich im Mondschein durch das sanfte Gras der Waldränder irre, mit gezählten Schritten, den Kopf nach rechts und links drehend und bereit, mit der Spitze des Schnabels die Würmer aufzupicken. O, von was für wunderbaren Nächten habe ich nicht schon die Quellen singen gehört, wenn ich mir in ihnen säuberlich die Füße wasche! O das fließende Blau, das die Schatten des Gebüsches liebkost, bis sie zittern und den ersten Himmelschlüsseln weichen!«
»Ich weiß, daß ›es muß sein‹ ein großes Wort ist, und daß danach mein ganzes armes Tierleben abgewandelt wird. Es muß sein, daß ich, wenn es April wird, diese wunderbaren Täler verlasse und es meinem Fluge anheimgebe, dahin zu fliegen, wohin er fühlt, daß nun geflogen werden muß. Das habe ich verstehen gelernt, daß so einfach dahinzureisen besser ist, als sich abzuquälen mit Landkarten, Kompaß und Sextant, mit alldem, wodurch die Menschen Schiffbruch leiden. Es muß sein, sage ich, ist ein großes Wort! Darum habe ich Schnepfe mir auch nicht mein Dasein durch Weltkarten, Luftballons, Dampfmaschinen und Theorien verwirrt, denn es mußte sein, daß ich Flügel habe. Und so ist meine ganze Wissenschaft ganz einfach die, daß ich mich auf meinen Schnabel, meine einzige Bussole, verlassen kann, um inmitten der Schneefelder (die die Orangenblütenhaine des Gebirges sind) die süßeste Braut wiederzufinden.«
So spricht die kleine Schnepfe. Und ich beneide die kleine Schnepfe um ihren guten Sinn und um ihr Glück. Kleine Schnepfe, es gibt noch anderes Blei als das, das dir durch die Flügel schlägt: das Blei, das ich im Herzen trage. Und andere Stechpalmen gibt es als die, die sich mit Moos umgeben, so daß du verlockt bist, darauf auszuruhen: die Stechpalmen, die meine Schläfen kränzen und die mein einziger Lorbeer sind.
O, warum hat Gott mir nicht wie dir Flügel gegeben? O, warum kann ich, wenn der Duft des Flieders den liebesbleichen Frühling in seinem Gewande schwanken und hinsinken macht, und wenn der Seidelbast wieder blüht, nicht am Rande der durchstürmten Schlucht die erwarten, von der ich getrennt bin? O kleine Schnepfe, warum bin ich nicht lieber in deinem kleinen Salon aus welken Blättern geblieben, um im langen Regnen dem Seufzen der Winterwinde zuzuhören, anstatt in diesem Zimmer zu sitzen und meinen Betrachtungen nachzuhängen, indes der Herd braust wie der Ozean und mir im Uhrenschlagen geschieht, als ob ich eine reine und traurige Stimme wiederhörte.
Kleine Schnepfe, möge das wilde Wetter mit dir gnädig verfahren! Die Windstöße sollen deine Spuren verwischen, so daß der Hund sie morgen nicht spüren kann, sich von seinem Herrn prügeln lassen muß und endlich schlammbeschmiert, verdutzt, den Schweif eingeklemmt, zurückkommt, ohne dich gefunden zu haben!
Ein armes altes Pferd stand mit seinem Wagen träumend vor der Tür eines elenden Wirtshauses, in dem Weiber kreischten und Männer gröhlten. Es regnete, Mitternacht war nahe. Das arme dürre Pferd wartete nun hier todtraurig mit herabgesunkenem Kopfe und schwachen Beinen, daß ihm das Vergnügen der wüsten Menschen da drinnen endlich erlauben möchte, in seinen elenden stinkenden Stall zurückzukommen. Schreiende Zoten von Männern und Weibern klangen ihm in seinen halben Schlaf. Mit Mühe hatte es sich in der langen Zeit daran gewöhnt und verstand nun mit seinem armen Hirn, daß der Schrei der Dirnen nichts Bedeutsameres sei als der ewig gleiche Lärm des Rades, das sich dreht.
Diese Nacht nun träumte ihm verschwommen von einem kleinen Füllen, das es einmal gewesen war, von einer Wiese, auf der es, noch ganz rosig, seine Sprünge gemacht hatte, und von seiner Mutter, die ihm zu trinken gegeben hatte. Da stürzte das alte Pferd plötzlich tot hin auf das schmutzige Pflaster.
Das Pferd kam an das Tor des Himmels. Ein großer Weiser stand davor und wartete, daß Sankt Petrus käme und ihm öffne. Er sagte zu dem Pferde: »Was willst du denn hier? Du hast kein Recht, in den Himmel zu kommen. Ich habe das Recht, denn ich bin von einer Frau geboren worden.« Das alte Pferd erwiderte ihm: »Meine Mutter war eine liebe Stute. Sie war alt und ausgesogen von den Blutsaugern, als sie starb. Ich komme jetzt, um den lieben Gott zu fragen, ob sie hier ist.« Da öffnete das Tor des Himmels seine beiden Flügel den Einlaßheischenden und das Paradies der Tiere lag vor ihnen. Das alte Pferd erkannte sogleich seine Mutter, und auch diese erkannte es, und sie begrüßten einander wiehernd. Da sie nun beide auf der großen himmlischen Wiese standen, hatte das Pferd eine große Freude, denn es erblickte alle seine Gefährten aus dem einstigen Elend wieder und es sah, daß sie für immer glücklich waren. Alle waren da: die, die ausgleitend und stolpernd einst auf dem Pflaster der Städte Steine geschleppt hatten und lahm geschlagen vor den Lastwagen zusammengebrochen waren. Die waren da, die mit verbundenen Augen zehn Stunden im Tage im Karussell die Holzpferde gedreht hatten, und die Stuten, die bei den Stierkämpfen an den jungen Mädchen vorbeigerast waren, die rosig vor Freude sahen, wie die Leidenskreaturen ihre Eingeweide durch den glühenden Sand der Arena schleiften. Und viele, viele andere noch waren da. Und alle gingen nun in Ewigkeit über das große Gefilde der göttlichen Stille.
Alle Tiere waren glücklich. Zierlich und geheimnisvoll. Selbst dem lieben Gott, der ihnen lächelnd zusah, ungehorsam, spielten die Katzen mit einem Knäuel Bindfaden, den sie mit leichter Pfote weiterrollten, voll des Gefühles geheimer Wichtigkeit, die sie nicht mitteilen wollten. Die Hündinnen, die guten Mütter, verbrachten ihre Zeit damit, ihre winzigen Jungen zu säugen. Die Fische schwammen ohne Angst vor dem Fischer dahin. Der Vogel flog, ohne den Jäger zu fürchten. Und so war alles. Und nicht einen Menschen gab es in diesem Paradiese.