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China

Die grünen Mücken

Die grünen Mücken schwirren,
auf allen Zäunen lagert sich ihr Chor.
O bester Fürst, laß dich nicht irren,
gib der Verleumdung nicht dein Ohr!

Die grünen Mücken schwirren,
und schwingen hoch in die Luft empor,
im ganzen Land berückend flirren
sie vor den Augen wie ein Flor.

Die grünen Mücken schwirren,
und lagern sich vor des Palastes Tor.
Sie wollen dir den Sinn verwirren;
weh', wenn ich dein Vertrau'n verlor!

(Deutsch von Rückert)

Li-tai-pe, Der Silberreiher

Im Herbst kreist einsam überm grauen Weiher
Von Schnee bereift ein alter Silberreiher.

Ich stehe einsam an des Weihers Strand,
Die Hand am Blick, und äuge stumm ins Land.

(Deutsch von Klabund)

 

Li-tai-pe, Schreie der Raben

Vor der Stadt, die sommerlich im gelben Staube wirbelt,
Rasten Raben abends auf den Bäumen, krächzen, schaukeln.
Junge Frau des Kriegers, die an seidnen Fäden zwirbelt,
Hört die Raben schrein und sieht, wie auf den Fenstervorhang müde sich die abendroten Strahlen legen.
Ihre Nadel sinkt; sie denkt an ihn, den ihre Wünsche wild umgaukeln.
Schweigend sucht und einsam sie ihr Bett, und ihre Tränen fallen heiß wie Sommerregen.

(Deutsch von Klabund)

Die Seemöwen

Liä Dsi

Unter den Leuten am Meer waren etliche, die Seemöwen liebten. Jeden Morgen gingen sie auf das Meer hinaus und schwammen den Möwen nach. Und die Seemöwen kamen herbei zu Hunderten und mehr. Da sprach ihr Vater: »Ich höre, die Seemöwen schwimmen euch nach. Fangt doch ein paar, daß ich mit ihnen spiele. Am anderen Tage schwammen sie wieder ins Meer hinaus. Die Möwen kreisten in der Luft, kamen aber nicht herunter. Darum heißt es: »Vollkommene Rede ist ohne Worte, vollkommenes Tun ist ohne Handeln. Was alle Weisen wissen, ist flach.«

 

Liä Dsi, Der Affenvater

Im Lande Sung lebte ein Affenvater. Der hatte die Affen gern und hielt eine ganze Herde davon. Er verstand ihre Gedanken, und auch die Affen begriffen, was er meinte. Er erfüllte alle Wünsche der Affen, selbst auf Kosten seiner Familie.

Plötzlich kam eine Teuerung, und er mußte ihr Futter verkürzen. Auf daß die Affen nicht wild gegen ihn würden, redete er erst listig also zu ihnen: »Wenn ich euch morgens drei Bündel Heu gebe und abends vier, ist das genug?« Da erhoben sich die Affen alle und wurden böse. Plötzlich sprach er: »Gut, ich gebe euch morgens vier Bündel Heu und abends drei, ist das genug?« Da legten sich die Affen alle wieder nieder und waren erfreut.

Der Weise überlistet durch seine Klugheit die Menge der Toren, gleichwie der Affenvater durch seine Klugheit die Menge der Affen überlistete. Ohne Namen und Wesen zu ändern, konnte er machen, daß sie zornig wurden oder sich freuten.

 

Liä Dsi, Die tote Maus

Yü war der reichste Mann in Liang. In seinem Hause war alles im Überfluß vorhanden, Gold und kostbare Stoffe und allerlei Reichtümer und Güter in unermeßlicher Fülle.

Einst bestieg er sein hohes Haus an der Hauptstraße, ließ Musik machen und Wein auftragen und spielte ein Würfelspiel im oberen Stock. Eine Schar von verwegenen Burschen gingen miteinander unten vorüber. Oben im Haus hatte gerade einer einen guten Wurf getan, und es erscholl Gelächter. In demselben Augenblick flog eine Weihe vorüber und ließ eine tote Maus herunterfallen, die gerade die Burschen traf.

Die redeten untereinander also: »Der Reichtum und das Glück dieses Yü dauern schon lange, und er hat von jeher die anderen Leute verachtet. Wir haben ihm nichts zuleide getan, und doch beschimpft er uns nun mit dieser toten Maus. Wenn wir ihm das nicht heimzahlen, können wir uns nicht mehr als brave Burschen sehen lassen. Wir wollen mit unseren Genossen uns zusammentun und sie einmütig hierher führen. Sein Haus muß verwüstet werden, wie es sich gehört.«

Alle stimmten zu, und am Abend des verabredeten Tages versammelte sich eine große bewaffnete Menge, stürmte das Haus des Yü und richtete eine große Verwüstung darin an.

 

Liä Dsi, Yang Bu und sein Hund

Yang Dschu hatte einen jüngeren Bruder namens Bu. Der ging eines Tages in weißer Kleidung aus. Er kam in den Regen und mußte sich umziehen. Daher kam es, daß er bei seiner Rückkehr ein schwarzes Kleid an hatte. Sein Hund erkannte ihn nicht und bellte ihn an. Yang Bu wurde böse und wollte ihn schlagen.

Yang Dschu sprach: »Du mußt ihn nicht schlagen! Du hättest es geradeso gemacht. Wenn vorhin dein Hund weiß weggegangen wäre und wäre schwarz wiedergekommen, so würdest du dich doch sicher auch darüber gewundert haben.«

Schmetterlingstraum

Dschuang Dsï

Einst träumte Dschuang Dschou, daß er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wußte von Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich und wahrhaftig Dschuang Dschou. Nun weiß ich nicht, ob Dschuang Dschou geträumt hat, daß er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, daß er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dschou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist. So ist es mit der Wandlung der Dinge.

 

Dschuang Dsï, Die Schildkröte

Dschuang Dsï fischte einst am Flusse Pu. Da sandte der König von Tschu zwei hohe Beamte als Boten zu ihm und ließ ihm sagen, daß er ihn mit der Ordnung des Reiches betrauen möchte.

Dschuang Dsï behielt die Angelrute in der Hand und sprach, ohne sich umzusehen: »Ich habe gehört, daß es in Tschu eine Götterschildkröte gibt. Die ist nun schon dreitausend Jahre tot, und der König hält sie in einem Schrein mit seidenen Tüchern und birgt sie in den Hallen eines Tempels. Was meint Ihr nun, daß dieser Schildkröte lieber wäre: daß sie tot ist und ihre hinterlassenen Knochen also geehrt werden, oder daß sie noch lebte und ihren Schwanz im Schlamme nach sich zöge?«

Die beiden Beamten sprachen: »Sie würde es wohl vorziehen, zu leben und ihren Schwanz im Schlamme nach sich zu ziehen.«

Dschuang Dsï sprach: »Geht hin! Auch ich will lieber meinen Schwanz im Schlamme nach mir ziehen.«

 

Dschuang Dsï, Der Fisch auf dem Lande

Die Familie Dschuang Dschou's war arm. Darum ging er hin, um Getreide zu entlehnen beim Aufseher des Flusses.

Der Aufseher des Flusses sprach: »Ja. Ich werde jetzt bald Steuergelder bekommen, dann will ich Euch dreihundert Lot Silber leihen. Ist Euch das recht?«

Da stieg dem Dschuang Dschou der Ärger in's Gesicht, und er sprach: »Als ich gestern hierher kam, da rief mich jemand mitten auf der Straße an. Ich blickte mich um, da sah ich eine Grundel in einem Wagengeleise liegen. Ich fragte sie und sprach: ›Ei, sieh da, eine Grundel! Was macht Ihr denn da?‹ Der Fisch antwortete: ›Ich bin der Wellenfürst des Ostmeeres. Herr, habt Ihr nicht einen Eimer Wasser, um mich am Leben zu erhalten?‹ Ich sprach: ›Ja, ich will nach Süden gehen, um die Könige des Südlandes zu besuchen, dann will ich vom Wasser des Weststromes schöpfen und es Euch darbringen. Ist es Euch recht?‹ Der Grundel stieg der Ärger in's Gesicht, und sie sprach: ›Ich habe mein Element verloren und weiß mir nicht zu helfen. Wenn ich einen Eimer Wasser bekäme, so bliebe ich am Leben. Aber ehe Ihr Euer Anerbieten ausgeführt habt, Herr, könnt Ihr längst in einer Fischhandlung, wo es getrocknete Fische gibt, nach mir suchen.‹«

Die dicke Ratte.

Sao-Han

Dicke Ratte, Riesenratte, friß nicht all mein Korn, grausam gefräßiges Tier.
Seit drei Jahren dulde ich die wilde Gier deiner spitzen Zähne und habe umsonst versucht, sie zu beschwichtigen.
Doch am Ende gehe ich auf und davon, ich entfliehe dir und baue mir ein Haus in einem fremden Lande,
In einem fernen glücklichen Lande, wo die Seelenqualen nicht ohne Ende nagen.

(Deutsch von Heilmann)

Die beiden Karpfen

Wang-Tschang-Ling

Oft lagere ich im Schatten hoher Bäume, sinnend, träumend,
Oft wandere ich einsamen Pfad und vergesse Tag und Nacht.
So stieg ich eines Tages hinab ins Pa-lin-Tal.
Ich ging am Ufer des Flusses hin und warf meine Angeln aus.
Meine Hand ergriff zwei Karpfen;
Aber meine Augen folgten dem Flug zweier Wildgänse in blaue Fernen.
Da empfand ich die Lust der Vögel an ihrer Freiheit
Und die qualvolle Angst meiner beiden Gefangenen.
Ich ließ die Fische in das klare Wasser fallen
Und in tiefes Nachdenken versinkend begriff ich die Begehrlichkeit.
Ich dachte an die Gebirge, an die Bewohner ihrer blauen Gipfel,
die, wenn sie ihre Blicke talwärts lenken, durch graue Wolken sich von der Welt geschieden sehn.
Auf diesen Höhen verachten sie die Leidenschaften der Erde;
Die kennen nicht ihre Begierden, die Ehre und der Ruhm trüben nicht den Frieden ihrer Seele.

(Deutsch von Heilmann)

Der Kormoran

Su-Tong-Po

Einsam und unbeweglich steht und sinnt der Kormoran am herbstlichen Ufer des Flusses, und sein rundes Auge folgt dem Lauf der Wässer.
Manchmal naht ein Mensch, dann entfernt sich der Kormoran, langsam, das Haupt wiegend;
Aber hinter den Blättern lugt er dem Störenden nach, um, wenn er vorbeigegangen, wieder in das einförmige Wogen des Stromes zu schauen.
Und in der Nacht, wenn der Mond auf den Wellen erglänzt, sinnt der Kormoran, auf einem Fuß im Wasser stehend.
So verfolgt der Mensch, der eine große Liebe im Herzen hat, immer das Auf- und Abwogen eines und desselben Gedankens.

(Deutsch von Heilmann)


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