Sagen aus Niedersachsen
Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Unwetter

Zu Harmsdorf – das liegt bei Oldenburg – hatten sie mal vor Jahren einen trockenen Sommer, daß die Bauern sich nichts so sehr wünschten als ein bißchen Regen. Denn auf den Feldern verdorrte das Korn und vertrockneten die Kartoffeln, und das Vieh hatte nichts mehr zu fressen.

Nun kamen die Bauern eines Abends im Krug zusammen und besprachen sich, was wohl zu machen wäre, damit sie ein Unwetter bekämen. Der eine meinte dies und der andere das.

In der Stube saß ein Fremder – ein richtiger Spaßvogel –, der beabsichtigte, über Nacht zu bleiben, und hörte, was die Bauern miteinander redeten. Da sagte er zu ihnen: »Ja, wenn't wider nis is as dat, dar kann ick raden.« Sie sollten einen nach Oldenburg zum Apotheker schicken, der hätte Unwetter zu verkaufen. »Dat is awer ari dür«, setzte er hinzu. »Ünner hunnert Mark is dat wul ne to hebbn.«

Die Bauern aber waren über diesen Rat sehr froh und sprachen: »Oh, dat wulln we dar je gern anwen'n.«

Sie legten zusammen, und am anderen Morgen schickten sie einen Knecht los. Als der Knecht zum Apotheker kam, fragte ihn der, was er haben wollte.

»Ja«, sagte der Knecht, »de Harmsdörper Bur'n hebbt mi herschickt, ick schull vör hunnert Mark Unwedder hal'n.«

»Na«, meinte der Apotheker, »aus Harmsdorf bist du? Aus dem warmen Lande, wo der Schleifstein unterm Giebel gedreht wird und wo der Hund mit dem Schwanz bellt? Ja, da weiß ich schon Bescheid, dann komm mal in einer halben Stunde wieder.«

Der Apotheker ging indessen in seinen Garten, fing einen großen, dicken Brummer und setzte ihn in eine kleine Schachtel. Als der Knecht wiederkam, gab der Apotheker ihm die Schachtel und sagte: »Öffne aber die Schachtel nicht eher, als bis du in Harmsdorf ankommst. Sonst wird das Unwetter schon vorher herausfliegen.«

Der Knecht bezahlte die hundert Mark und machte sich mit seinem Unwetter auf den Heimweg. Unterwegs blieb er stehen und holte die Schachtel aus der Tasche. Er hielt sie ans Ohr und hörte es drinnen schnurren und brummen.

I, dachte er, wo schull so'n Unwedder wul utsehn? Muß doch einmal tokiken. Er öffnete die Schachtel ein klein wenig, und brr! schnurrte der Brummer heraus. Erst brummte er dem Knecht ein paarmal um den Kopf herum, und dann war er weg.

Der Knecht lief hinterdrein und rief und winkte. »Na Harrnsdörp to! Na Enhus nich! Man ümmer na Harmsdörp to!«

Als der Knecht zu Haus ankam, fragten ihn die Bauern sogleich, ob er das Unwetter bekommen hätte.

»Ja«, sagte er, »kregen heff ick wat. Awer dat's mi ünnerwegens weg flagen. Ers wull't na Enhus to. Aber ick röp immerlos achteran. Un do kreg dat toletz den Dreih hier na Harmsdörp to.«

Der Knecht war noch gar nicht lange zu Hause, da zog es schwarz herauf, blitzte und wetterte und begann ganz gefährlich zu regnen. Und es regnete und regnete einen Tag nach dem andern und wollte gar nicht mehr aufhören.

Da meinten die Harmsdorfer, so viel Unwetter hätten sie für ihre hundert Mark nicht nötig gehabt. Und wenn noch mal eine solche Trockenheit über sie käme, dann wollten sie nicht mehr als fünfzig Mark anwenden.

 


 


 << zurück weiter >>