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Masel-tow, mein teurer, frommer Mann, Masel-tow!
Diesmal sollst Du von mir erfreuliche und trostreiche Nachrichten vernehmen. Gebe Gott, daß auch ich von Dir ebenso erfreuliche und trostreiche Nachrichten erhalte! Amen. Gottes Wille geschehe! Wir sind ja, wie Du mir geschrieben hast, wie auf dieser so auch auf jener Welt aneinander gebunden.
Erstens teile ich Dir, mein lieber Mann, mit, daß mein lieber Bruder Menachem-Mendel, leben soll er, und seine Frau Chawe-Gitel, leben soll sie – mögen beide Messias' Zeiten erleben! – mir alles vergeben haben und mich zu der Hochzeit ihrer Tochter Bejle-Ssosche kommen ließen. Die Hochzeit war sehr schön, und eine schönere kann es gar nicht geben. Gelobt sei der Herr, daß mir die Gnade zuteil wurde, eine solche Hochzeit zu sehen. Es gab allerlei Braten, Rindfleisch und Geflügel; dann gab es gefüllte und ungefüllte Fische, und noch allerlei andere Speisen. Außerdem Wein und Branntwein und alles mögliche ...
Und alles war fein und gut geraten! Ich selbst habe das Fleisch gekocht, die Fische gefüllt, den Zimmes bereitet und den Tisch gedeckt; und vorher habe ich alles selbst eingekauft.
Ich war, gottlob, die eigentliche Hausfrau. Und ich war auch die Aufwärterin. Denn ich war nicht nur zu meinem Vergnügen zur Hochzeit gekommen.
Ich habe meine Zwiebeln verkauft, mir ein Kleid machen lassen und war auf Wunsch meiner Verwandten ganze acht Tage vor der Hochzeit zu ihnen gekommen. Denn es war niemand da, der alle die Vorbereitungen hätte machen können. Die Braut selbst war mit ihrer Aussteuer beschäftigt und verbrachte ganze Tage beim Schneider, beim Schuster und selbst beim Goldschmied.
Meine Schwägerin Chawe-Gitel aber hustet, nebbich. Und es heißt, daß auch ihre Milz nicht ganz in Ordnung ist.
Darum war ich die eigentliche Mechutteneste vor der Hochzeit und nach der Hochzeit, aber nicht während der Hochzeit. Während der Hochzeit war ich sehr müde und abgespannt. Darum saß ich in einem Winkel und weinte vor großer Freude, weil ich die Gnade erlebt habe, meines Bruders Tochter zu verheiraten. Und daß sie eine so schöne Hochzeit hat.
Aber auch nach der Hochzeit jagten sie mich, Gott behüte, nicht gleich aus dem Hause.
Gleich nach der Hochzeit fuhr meine Schwägerin, sie soll leben und gesund sein, nach Lublin zu einem Arzt, um sich mit ihm zu beraten, welchen Arzt in Warschau sie aufsuchen soll.
Und dann fuhr sie nach Warschau und konsultierte dort alle berühmten Ärzte. Aus Warschau fuhr sie nach einem andern Ort, um irgendein Wasser zu trinken. Während der ganzen Zeit, an die sechs Monate, war ich die Hausfrau. Der Herr, gepriesen sei Er, möchte sie dafür belohnen!
Eine Köchin war nicht im Hause, und ich kochte das Essen. Und daraus schöpfte ich Freude.
Denn erstens hatte ich dabei keine Zeit, zu grübeln und nachzudenken, und bin darum nicht verrückt und nicht einmal trübsinnig geworden. Ich hatte keinen Augenblick freie Zeit, denn die Wirtschaft meines Bruders ist, gottlob, sehr groß.
Auch die Schenke war immer voller Leute. Er verdient einen Haufen Geld wie von den Gojim, so auch von den Juden, es sei zwischen ihnen wohl unterschieden!
Die gefüllten Fische meiner Schwägerin Chawe-Gitel, leben soll sie, sind berühmt, und es kommen immer Leute zu essen und zu trinken.
Einmal begann ich zu grübeln; ich wollte sogar über manches nachdenken; aber Bejle-Ssosche, leben soll sie, ließ es nicht zu und ermahnte mich gleich an meine Pflicht. Sie hat, unberufen, einen guten Blick und sieht alles. Und alles ging schön und gut vonstatten ...
Vor großer Freude, daß ich die Hausfrau bin, spuckte ich einmal einen Tropfen Blut aus; es war nur ein einziger Tropfen.
Als mein Bruder, gesund soll er sein, das Blut sah, schärfte er mir ein, keinem Menschen etwas davon zu sagen. Denn wenn die Leute es erfahren, werden sie, Gott behüte, sein Haus meiden. Jossel, der Gastwirt von gegenüber, wird gleich sagen, daß es die Schwindsucht ist, und unsere Straßenseite wird dann bald mit Gras bewachsen.
Bejle-Ssosche ist aber klüger als er. Sie verstand sofort, daß es nicht die Schwindsucht ist; sie meinte, daß ich wohl Fische gegessen und mir mit einer Gräte den Hals verletzt habe. Und damit ich an der Gräte nicht ersticke, begann sie mich auf den Buckel zu schlagen, damit die Gräte herauskommt oder hinuntergleitet, und nicht im Halse steckenbleibt. Sie klopfte mit soviel Liebe und Eifer, daß die Gräte sicher hinuntergeglitten ist, aber meine Knochen haben davon etwas gelitten ...
So ist alles gut abgelaufen. Und Chawe-Gitel, gesund soll sie sein, kam von ihrer Wasserkur heim.
Sie kam, gelobt sei der Herr, frisch und gesund, so daß es eine Freude war, sie anzuschauen. Sie leuchtete wie die Sonne. Und sie brachte Geschenke mit, gar feine Sachen: für sich, für ihren Mann, für die Tochter und für den Schwiegersohn ... Es waren sehr schöne Geschenke, mir brachte sie aber nichts mit. Ich bin ja, sagte sie, Gott behüte, kein Dienstbote, dem man Geschenke mitbringt; ich bekomme auch keinen Lohn. Ich war ja die Hausfrau!
Chawe-Gitel hat es selbst mehr als einmal gesagt, daß ich die Hausfrau gewesen bin und alles getan habe, was nur mein Herz gelüstete.
Chawe-Gitel erfuhr gleich nach ihrer Rückkehr, daß Menachem-Mendel während ihrer Abwesenheit kein einziges Mal beim Rebben gewesen war; sie rang die Hände, so daß die Finger knackten, und schickte mich gleich auf den Markt, eine Fuhre zu mieten.
Noch am selben Tag und zu einer glücklichen Stunde fuhr Menachem-Mendel, gesund soll er sein, zum Zaddik. Am nächsten Morgen gab mir aber Chawe-Gitel den guten Rat, meine Sachen zu packen und mich zum Teufel zu scheren ... Da sie schon wieder zurück sei und Bejle-Ssosche ihr in der Wirtschaft helfe, sei ich wie das fünfte Rad am Wagen und könne, Gott behüte, vor lauter Nichtstun verrückt werden. Sie sagte mir, ich könne entweder wieder heimfahren oder auch hier bleiben und tun, was mir beliebt. Sie wolle mir, Gott behüte, nichts vorschreiben.
Die nächste Nacht verbrachte ich nicht mehr unter ihrem Dache.
Die Nacht war sehr schön, und ich ging mit meinem Bündel durch die Straßen spazieren.
Nun siehst Du selbst, mein treuer, frommer Mann, daß es mir gut geht und daß Du mir kein Geld mehr zu schicken brauchst. Gib das Geld lieber Lejb dem Chasen, damit er Dir einen vollständigen Talmud kauft; oder gib es Genendel-Sophie, damit sie Dir neue Hemden machen läßt. Sie soll Dir aber die Hemden selbst anmessen und schauen, ob sie gut passen – Ihr seid ja in Amerika!
Wie Du siehst, mein lieber, treuer Mann, verdächtige ich sie nicht mehr ohne Grund. Ich sage nicht mehr, daß Genendel, Lejb des Chasens Tochter, mir einen Löffel oder, Gott behüte, den Mann gestohlen hat. Und wenn ich jetzt weder den Löffel noch den Mann habe, so weiß ich, daß es nicht ihre Schuld ist. Ich bin fest davon überzeugt, daß der Herr, gepriesen sei Er, Dir und mir seine Gnade erweisen wollte und Dich darum auf dem Schiffe mit Lejb dem Chasen und Genendel zusammenführte, damit sie für Dich sorgen. Und so kam alles, was Du mir geschrieben hast. Eines wird aber doch nicht nach Deinem Wunsche geschehen! Und wenn Du auch aus der Haut fährst, wirst Du keinen Bevollmächtigten schicken, der das Kind von mir abholt und zu Dir nach Amerika bringt. Denn das Kind ist, dank Deinen frommen Verdiensten und den Verdiensten Deiner Väter, nicht mehr hier. Man hat es auf den Friedhof, in ein kleines Stübchen ohne Türe und Fenster gebracht. Und wenn Du noch so schreist, wirst Du doch nie erfahren, wo seine Gebeine liegen. Da steht kein Grabstein und kein Merkzeichen. Geh, suche den Wind im Felde!
Der Tod hat es unter seine Fittiche genommen ...
Und da Du ein gutes Gedächtnis hast und Dich an alles erinnerst, was ich je gesagt oder getan habe, so will ich Dir eine Geschichte erzählen; vielleicht wirst Du sie Dir auch merken. Es ist die Geschichte von einem Schal, von dem ich nicht wußte, was mit ihm anzufangen: sollte ich mich in ihn hüllen und hinauslaufen, um einen Arzt für das Kind zu holen; sollte ich mit ihm das zerbrochene Fenster verstopfen, damit der Wind den Schnee nicht in die Stube, wo das kranke Kind lag, hereinwehte; oder sollte ich mit ihm das heisere Kind, das zu ersticken drohte, zudecken: denn es war kalt, furchtbar kalt! Ich lief viele Male hin und her: vom Kind zum Fenster, vom Fenster zur Türe, und von der Türe wieder zum Fenster und zu der Wiege ... Ich lief immer hin und her! Diese Augenblicke wirst Du, mein lieber Mann, wohl niemals vergessen. Du sagst ja selbst, daß ich an Dich gebunden bin, und daß wir beide am Kinde hängen; doch jetzt, wo das Kind nicht mehr da ist, können wir beide aus der Welt verschwinden. Aber was wird Genendel dazu sagen? Die Wahrheit zu sagen, habe ich mich entschlossen, mir lange Haare wachsen zu lassen und mich so zu kleiden, wie man sich in Amerika kleidet. Du weißt ja, daß ich auch eine süße Stimme habe und alle Gebete nachsingen kann. Als ich jetzt bei meinem Bruder Menachem-Mendel, gesund soll er sein, war, hörte ich in seiner Schenke von den betrunkenen Bauern allerlei schöne Lieder und lernte sie nachsingen. Ich singe sicher ebensogut wie Genendel, vielleicht noch besser als sie; und ich weiß auch mehr Lieder als sie. Und gestern nachts, als ich unter freiem Himmel nächtigte, kam zu mir die Königin von Saba und lehrte mich tanzen. Und ich tanzte die ganze Nacht im Mondlichte mit der Königin von Saba. Du aber, mein lieber Schmuel-Mojsche, hast Dich getäuscht! Denn ich bin schöner als Genendel. Ich kann mich gut erinnern, daß sie zwei Muttermale hat – eines am linken Ohr und das andere an der rechten Backe; auch ist ihr Näschen etwas schief. Aber ich habe, wie Du weißt, einen reinen Leib ganz ohne Muttermale. Du glaubtest, daß nur Genendel allein zu singen und jeden Freitagabend zu tanzen versteht, daß nur sie allein sich lange Zöpfe wachsen lassen kann, und daß die andern dies nicht können. Aber ich bin Dir, Gott behüte, nicht böse. Behalte nur Deine Genendel! Mir genügt, daß ich das Grab des Kindes hier habe; ich besuche es oft und will mir auf dem Grab ein kleines Kämmerchen bauen und darin jede Nacht bis zum Hahnenschrei sitzen. Ich werde meinem Kinde mit leiser, süßer Stimme von seinem Vater Schmuel-Mojsche erzählen, und es wird große Freude davon haben. Und wenn Du selbst herkommst oder einen Bevollmächtigten herschickst, um das Kind abzuholen, werde ich Euch beiden mit meinen Nägeln die Augen auskratzen, denn das Kind gehört mir und nicht Genendel, ausgelöscht sei ihr Name und Gedächtnis, möchte sie doch zugleich mit Dir ...
Dieser Brief ist offenbar nicht beendet. Man fand ihn zugleich mit den anderen Briefen in der Tasche der verrückten Chane.