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Jizchok Lejb Perez: Eheglück

Chajim ist Träger.

Wenn er, unter der Last seines Warenkastens zusammengekrümmt, durch die Gasse geht, sieht man ihn fast nicht. Es sieht aus, als ob der Kasten auf zwei eigenen Füßen ginge ... Sein schweres Atmen ist aber schon aus der Ferne zu hören!

Endlich liefert er die Last ab und bekommt seine paar Groschen. Er richtet sich auf, holt tief Atem, bindet die aufgebundenen Rockschöße los, wischt den Schweiß vom Gesicht, geht zum Brunnen, stürzt einige Schluck Wasser herunter und läuft in einen Hof.

Er bleibt vor einer Mauer stehen, hebt den riesengroßen Kopf, so daß die Spitze des Bartes, die Nase und der Mützenschirm in einer Ebene liegen.

Er ruft:

»Chane!«

Unter dem Dach geht ein kleines Fenster auf, und ein kleiner Frauenkopf in weißer Haube antwortet:

»Chajim?!«

Mann und Frau schauen einander recht zufrieden an. Die Nachbarn sagen: sie schnäbeln. Chajim wirft ihr seinen Tagesverdienst, in Papier eingewickelt, hinauf. Chane fängt das Geld in der Luft auf. Es ist nicht das erste Mal, daß sie es tut.

»Wie geschickt du bist!« sagt Chajim und hat noch gar keine Lust, fortzugehen.

»Geh, geh, Chajim!« sagt sie ihm lächelnd. »Ich muß doch beim kranken Kind bleiben ... Ich habe die Wiege an den Herd gerückt ... Mit der Hand schöpfe ich den Schaum ab, und mit dem Fuß wiege ich das Kind.«

»Wie geht es ihm, nebbich?«

»Besser!«

»Gelobt sei Gott! Und Henne?«

»Ist bei der Näherin.«

»Und Jossei?«

»Im Chejder.«

Chajim läßt den Bart wieder sinken und geht fort. Chane schaut ihm nach, bis er verschwunden ist.

Am Donnerstag und am Freitag dauert es länger.

»Wieviel hast du im Papier?« fragt Chane.

»Zweiundzwanzig Groschen.«

»Ich fürchte, daß es zu wenig ist!«

»Was brauchst du denn, Chane?«

»Für einen Sechser Salbe für das Kind, für einige Groschen Lichter; Challe habe ich schon ... Fleisch auch, einundeinhalb Pfund ... Es fehlt noch etwas Branntwein für den Kiddusch und einige Stück Holz!«

»Das Holz werde ich schon beschaffen, es gibt wohl welches auf dem Markte.«

»Dann brauche ich noch ...«

Sie zählt auf, was sie noch alles für den Sabbat braucht. Schließlich einigen sie sich, daß man den Kiddusch auch über Challe machen kann und daß noch viele andere Sachen entbehrlich sind.

Die Hauptsache ist, daß es für die Lichter und für die Salbe reicht.

Wenn aber Gott hilft, wenn die Kinder gesund und die Messingleuchter nicht versetzt sind, wenn es auch noch einen »Kiggel« gibt, – dann hat das Ehepaar einen gar fröhlichen Sabbat!

Denn Chane versteht einen ganz wunderbaren Kiggel zu machen!

Immer fehlt ihr etwas dazu: bald Mehl, bald Eier, bald Fett, und doch gerät der Kiggel fett, süß und herzerquickend. Er zergeht in allen Gliedern.

»Ein Engel hat ihn gekocht«, sagt Chane freudestrahlend.

»Ja, ein Engel, gewiß war es ein Engel!« sagt Chajim lachend. »Du meinst, daß du selbst ein kleiner Engel bist, weil du es mit mir und mit den Kindern aushalten kannst ... Wieviel hast du von ihnen auszustehen! Auch ich werde manchmal böse ... Aber höre ich je einen Fluch von dir, wie andere Männer von ihren Weibern? Hast du denn viel Freude von mir? Du und die Kinder laufen nackt und barfuß herum ... Wozu tauge ich? Weder zu Kiddusch, noch zu Hawdole, ich kann nicht einmal ordentlich Smires singen ...«

»Und du bist doch ein guter Vater und ein guter Mann!« versichert Chane. »So ein Jahr wünsche ich mir und dem ganzen Volke Israel ... Möge nur Gott geben, daß wir Seite an Seite alt werden!«

Mann und Frau schauen einander in die Augen so freundlich, so warm, so herzlich, als kämen sie erst eben von der Chuppe. Bei Tische geht es noch lustiger zu ...

Nach dem Nachmittagsschläfchen geht Chajim in die kleine Schul, Thora hören.

Ein Melammed erläutert dort einfachen Leuten den Alschich. Es ist heiß, alle Gesichter sind noch verschlafen. Der eine schlummert noch, der andere gähnt laut. Doch plötzlich, wenn die Rede auf die interessanten Dinge kommt: auf das Jenseits, auf die Hölle, wo die Bösen mit eisernen Ruten gepeitscht werden, und auf das lichte Paradies, wo die Gerechten, mit goldenen Kronen auf den Köpfen, Thora lernen – dann leben alle auf. Alle Münder stehen offen, alle Gesichter werden rot ... Man hört atemlos zu, wie es in jener Welt zugehen wird!

Chajim steht gewöhnlich am Ofen. Er hat Tränen in den Augen, Hände und Füße zittern ihm. Er ist ganz in jener Welt!

Er leidet mit den Bösewichtern, badet in heißem Pech, wird hinausgeschleudert und sammelt Späne in wüsten Wäldern ... Alles lebt er durch, er ist ganz in kaltem Schweiß gebadet ... Dafür erlebt er später die gleiche Seligkeit wie alle Gerechten: er sieht das lichte Paradies, die Engel, den Leviathan, den Schor-Habor und alle guten Dinge so greifbar vor Augen, daß, wenn der Melammed endet, das Buch küßt und zuklappt, er wie aus einem Traume erwacht, wie aus jener Welt zurückkehrt. Er holt tief Atem, den er die ganze Zeit angehalten hat, und sagt: »Schöpfer der Welt! Wenigstens ein Stückchen, ein Brötchen, ein winziges Endchen ewiger Seligkeit ... für mich, für mein Weib und für alle meine Kinderchen!« Nun wird er traurig und fragt sich: »Aber wie komme ich dazu? Womit kann ich es verdienen? ...«

Einmal geht er nach dem Lernen auf den Melammed zu. »Rebbe«, sagt er mit zitternder Stimme, »gebt mir einen Rat, wie ich die Gnade des ewigen Seelenheils erwerben kann.«

»Lerne Thora, mein Kind!« antwortet der Melammed.

»Ich kann ja nicht!«

»Lerne Mischnajes ... Ejn-Jaakew oder wenigstens die Sprüche der Väter ...«

»Ich kann nicht!«

»So lies Tillem!«

»Ich habe keine Zeit dazu!«

»So bete mit Andacht!«

»Ich verstehe nicht, was ich bete!«

Der Melammed sieht ihn mitleidig an.

»Was bist du?« fragte er.

»Träger.«

»Nun, bediene gelehrte Männer.«

»Was heißt das?«

»Bringe, zum Beispiel, jeden Abend einige Kannen Wasser ins Bejßmedresch, damit die Lernenden etwas zu trinken haben ...«

Chajim ist erfreut.

»Rebbe«, fragt er weiter, »und mein Weib?«

»Wenn der Mann auf einem Stuhle im Paradiese sitzt, so ist das Weib sein Fußschemel.«

Wie Chajim nach Hause kommt, um Hawdole zu machen, sitzt Chane da und betet: »Gott Abrahams«. Er sieht sie an, und ein Zittern geht ihm durchs Herz.

»Nein, Chane«, sagt er, auf sie hinstürzend, »ich will nicht, daß du mein Fußschemel sein sollst ... Ich werde mich zu dir beugen, ich werde dich emporheben und neben mich setzen. Wir werden beide auf dem gleichen Stuhle sitzen wie jetzt ... Es ist uns so gut, wenn wir zusammen sind ... Hörst du, Chane, du wirst auf einem Stuhle mit mir sitzen ... Der Schöpfer der Welt wird es schon erlauben müssen!«


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