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Jizchok Lejb Perez: Der Baal-Schem als Ehestifter

In einem Städtchen am Bug lebte einmal ein Ehepaar, dem sein lieber Namen keine Kinder geschenkt hatte. Und das Ehepaar – Schmuel und Trajne-Mirl – dachten gar nicht daran, sich scheiden zu lassen, sondern lebten auch weiter zusammen unter der Sonne.

Und die Stadtleute tuschelten darüber nicht, und das Geistliche Gericht wehrte es ihnen nicht: alle wußten, wie innig seine Seele mit der ihrigen verknüpft war und ihre Seele mit der seinigen, und daß auch nur ein Wort von einer Scheidung für sie dasselbe wäre wie ein Schächtmesser.

Dafür hatte dieser Schmuel – er war Kaufmann und schickte Holzflöße nach Danzig – viel Glück in seinen Unternehmungen. Man wußte sogar ganz genau, wann dieses Glück begonnen hatte, woher es stammte und worauf es begründet war. Einmal – Schmuel war damals noch nicht »in den großen Federn« und Trajne-Mirl hatte keine Brillantohrringe – er hatte ein ganz kleines Holzgeschäft, pflegte seine zwei oder drei Flöße an den Transport irgendeines Großkaufmanns anzuhängen und wohnte in einem kleinen hölzernen Häuschen unter einem Strohdach – da traf es sich einmal, daß der Baal-Schem am Freitagabend durch das Städtchen heimfuhr und ihm – so ein Glück muß der Mensch haben! – gerade vor Schmuels Tür die Achse brach. Schmuel und Trajne-Mirl traten vor die Türe, luden den Baal-Schem – sie wußten gar nicht, wer er war, und hielten ihn für einen gewöhnlichen Juden – zu sich ein und schickten nach einem Stellmacher, damit er den Wagen in Ordnung bringe. Aber ehe noch mit dem Wagen etwas geschehen konnte, schlug die Uhr zwölf, und der Baal-Schem konnte nicht mehr weiter reisen, sondern mußte über Sabbat dableiben. Schmuel war seit jeher gastfreundlich, und auch Trajne-Mirl hatte für jeden Wanderer und Durchreisenden ein offenes Auge und ein offenes Herz. Von nun an lachte ihnen das Glück. Der Baal-Schem pflegt nun, sooft er durch das Städtchen fährt, bei dem Ehepaar einzukehren, und das Glück strahlt darum unter ihrem Dache immer heller ... Von Jahr zu Jahr wächst die Zahl der Flöße, die Schmuel nach Danzig schickt, und ebenso die Zahl der Perlenschnüre an Trajne-Mirls Hals. Und es wächst auch das Haus, und man baut eine Stube nach der andern hinzu und zwei eigene Stuben für den großen Gast; an Stelle des Strohdaches macht man eines aus Ziegeln, und das Haus ist bald wie ein voller Becher. Und im Hause wimmelt es immer von Kaufleuten. Und wenn die Schneeschmelze beginnt, versammelt sich da aus den Nachbarstädtchen ein ganzer Minjen von Schiffern, und aus den Dörfern kommen ganze Scharen von Flößern. Die Kammern sind angefüllt mit Wegzehrung, und aus dem Hofe schleppt man immerzu Balken und Schwellen zum Fluß ... Und Schmuels Banknotentasche wächst in die Breite. Selbst bei der größten Überschwemmung hat das Wasser keine Gewalt über sein Holz, und der stärkste Wind kann seinen Flößen nichts antun; und wenn man die Flöße zu spät hinausgeschickt hat, oder wenn der Winter zu früh angebrochen ist, kommen die Flöße dennoch durch das Eis und erreichen heil ihr Ziel ... Und Schmuel kauft immer größere Wälder, und er hat Geld bei Leuten und einen Ehrenplatz an der Misrach in der Schul und Trajne-Mirl einen Platz vorne am Gitter in der Weiberabteilung ... Und sooft der Baal-Schem in das Städtchen kommt, verbringt er ganze Stunden in Schmuels Hause, und sie reden miteinander von Mund zu Mund ...

Soll man sich da nicht wundern?

Wovon kann Schmuel mit dem Baal-Schem reden? Wahrscheinlich von seinen Geschäften ... Von der Thora und von der Kabbala versteht er ja nicht viel ... Warum bittet er aber seinen großen Gast nicht um Kinder?

Es ist ja klar, daß, wenn auch nur ein Hauch aus seinem Munde gekommen wäre, Baal-Schem ihm die Bitte nicht abgeschlagen hätte. Als ob es ihm große Mühe kostete, dem Manne seinen Segen zu geben! ... Warum bittet er ihn also nicht? Sagen sich die Leute: Der Mann hat den Kopf so voller Geschäfte, daß er gar nicht mehr weiß, was mit ihm los ist ... Das verdrießt schließlich die Leute. Wie sieht das aus? Er ist ja nicht mehr jung, und niemand weiß, wann an ihn der Ruf ergeht. Macht man ihm Anspielungen. Im Bejßmedresch zwischen Nachmittags- und Abendgebet oder auf dem Markte packt ihn manchmal ein guter Freund am Rocklatz und fragt: »Ist das wahr?« Schmuel gibt aber keine Antwort und wendet sich entweder mit einem traurigen Lächeln ab oder bringt die Rede auf andere Dinge; und der Freund kommt nach Hause und erzählt, wie sonderbar doch der Mensch ist. Und wie die Weiber es hören, sagen sie: »Das ist unerhört!« und machen sich an Trajne-Mirl heran. Man trifft sich beim Beten in der Weiberschul, bei einer Hochzeitsfeier oder bei einem Feiertagsbesuch, – und die Weiber reden schon deutlicher ... Mein Gott, ein Mann ist eben ein Mann, er hat seine Geschäfte und vergißt, was mit ihm los ist. Aber sie, Trajne-Mirl! Und man gibt ihr zu verstehen, daß der Mensch nicht ewig lebt, daß eine Frau nicht ewig jung bleibt. Und daß auch Frauenschönheit auf den Mann nicht ewig wirkt. Und je später er zur Vernunft käme, um so schlimmer würde es für sie sein. Trajne-Mirl hat aber dieselbe Art wie ihr Mann: sie lächelt und schweigt, oder bringt die Rede auf andere Dinge ...

Nicht umsonst schweigt und lächelt sie. Sie weiß ganz gut, was sie für ihren Mann Schmuel ist – »ein Töpfchen mit einem Deckelchen« ... Aber sie ist doch nur ein Weib, und es beginnt sie ins Herz zu picken: ein Kind, ein Söhnchen, ein Kaddisch ... Und so wächst in ihrem Herzen allmählich die Sehnsucht nach einem Kinde, und sie beginnt sich ebenso wie die anderen Leute zu wundern: wie aber kann nur ihr Mann so sehr an den Gütern dieser Welt hängen, daß er mit dem Baal-Schem nur von seinen Geschäften spricht und niemals an höhere Ziele denkt?

Sie würde gerne auf die Perlen und die Ohrringe, auf die Stirnbänder und Brusttücher und den ganzen Schmuck verzichten, den er ihr schenkt: von Jahr zu Jahr kauft er ihr immer mehr und immer wertvollere Dinge ... Sie hat ihren Mann Schmuel wirklich lieb, und er ist ihr mehr wert als zehn Söhne, aber so wie ein Schatten aus dieser Welt zu scheiden, hat sie doch keine Lust ...

Mutter will sie sein ...

Sie wird schon einmal mit ihrem Mann darüber reden, so freundlich, wie sie es eben kann ... Sie findet aber keine Gelegenheit dazu. Sie kann doch nicht so ohne jeden Vorwand die Rede darauf bringen!

Trifft sich einmal – Schmuel muß gleich aus dem Bejßmedresch vom Beten heimkommen, sie deckt den Tisch zum Frühstück –, daß sie zufällig einen Blick in den Spiegel wirft und bemerkt, daß sie anders als gestern und vorgestern aussieht. Sie tritt vor den Spiegel und betrachtet sich genauer: die Zeit steht nicht still, ihr Gesicht ist nicht mehr so frisch, die Augen leuchten nicht mehr so, und unter den Augen ziehen sich Runzeln ... Sie seufzt, geht betrübt vom Spiegel weg, setzt sich an den Tisch und wird nachdenklich.

Schmuel kommt mit dem Talis- und Tfillin-Sack heim und begrüßt sie wie immer:

»Guten Morgen!«

Trajne-Mirl erhebt sich aber nicht, wie sonst, um ihn zu begrüßen; sie sagt mürrisch: »Guten Morgen, gutes Jahr!« und lächelt nicht einmal.

»Wasch dich!« sagt sie, aber ihre Stimme klingt anders als sonst.

Fragt er etwas unruhig:

»Fehlt dir was, Trajne-Mirl?«

Sie antwortet nicht und schlägt die Augen nieder.

Denkt er sich: Es wird wohl nichts Besonderes sein! Er wäscht sich die Hände und setzt sich zu Tisch. Trajne-Mirl ißt aber fast gar nichts ...

»Trajne-Mirl?«

Sie schaut ihn nicht an. Sie hat die Lider gesenkt, und unter den Lidern rollen Tränen hervor ... Die Sache ist also wohl doch nicht so einfach. Er steht auf, geht zu ihrem Stuhl, hebt die Hand und will ihr das Haar streicheln; aber Trajne-Mirl zieht den Kopf unter seiner Hand weg.

»Laß mich ...«

Und steht auf und läuft zum Kanapee und wirft sich auf das Kanapee und kehrt sich mit dem Gesicht zur Wand.

Bleibt Schmuel verdutzt mitten in der Stube stehen. Er fürchtet, sich ihr zu nähern. Er ist solches Gebaren gar nicht gewohnt und weiß nicht, was es zu bedeuten hat.

»Trajne-Mirl, ist dir nicht wohl? Soll ich den Arzt kommen lassen? Sag ... dir fehlt doch etwas ...«

Trajne-Mirl wendet ihr Gesicht ihm wieder zu und sagt beinahe zornig:

»Weißt du denn nicht selbst, was mir fehlt? Fehlt dir nicht dasselbe wie mir?«

Und sie beginnt zu weinen:

»Wie kann nur ein Mensch so ganz in seinen Geschäften stecken und nur an Geld denken!«

Schmuel staunt:

»Ich?«

»Wer denn sonst? Vielleicht ich?«

Und sie kehrt sich wieder zur Wand und redet wie zu der Wand:

»Daß ein Mensch immer nur an Geld denkt ... Daß der böse Trieb des Geldes über ihn solche Gewalt hat ... Der Baal-Schem kommt ins Haus ... Und man hat schon diese Gnade ... Und man sitzt mit dem Baal-Schem stundenlang hinter verschlossenen Türen ... Und man kann ihn doch bitten, gewiß kann man ihn bitten... Wie kann man nur bei einer solchen Gelegenheit die Rede nicht auch auf das Wichtigste bringen?... Die Zeit steht nicht still... Das Haus ist leer und stumm... Kein Kind im Hause... Und was bittet er? Nur um Geld und wieder um Geld, und redet nur von seinen Geschäften... Von seinem Holz und seinen Flößen...«

Schlägt sich Schmuel mit der Hand auf die Stirne: nun hat er es verstanden.

Er kommt näher, setzt sich zu Trajne-Mirl auf das Kanapee, nimmt ihre Hand in die seinige und sagt:

»Wisse, meine liebe Frau Trajne-Mirl, daß ich mit dem heiligen Baal-Schem noch nie von meinen Geschäften gesprochen habe!«

Setzt sich Trajne-Mirl mit offenem Munde auf.

»Glaubst du mir, Trajne-Mirl? Mein Ehrenwort!«

Ihrem Mann glaubt sie... Auf Schmuels Wort verläßt sie sich wie auf eine Mauer von Stein...

»Wovon redet ihr denn?«

»Nun muß ich es dir sagen«, antwortet Schmuel: »Wir reden von fremden Geschäften... Ich bitte ihn, aber nicht für mich, sondern für andere! Du weißt doch, die Stadt ist arm, die Leute haben keinen Erwerb, und es fehlt nicht an Seuchen und Krankheiten, Gott sei es geklagt... Und der eine muß eine Tochter verheiraten, und der andere hat andere Sorgen...«

Trajne-Mirls Augen leuchten auf: so stolz ist sie auf ihren Schmuel!

»So ein Mensch bist du gar!« stammelt sie und lehnt ihren Kopf an seine Brust. Aber sie rückt von ihm gleich wieder weg:

»Aber ich will doch ein Kind!« sagt sie.

»Es ist Gottes Sache, Trajne-Mirl...«

»Dazu gibt es doch den Baal-Schem...«

»Ich will ihm nicht den Kopf mit meinen Angelegenheiten wirr machen...«

»Du mußt!«

»Ich muß?«

»Weil ich es will... Deine Trajne-Mirl will es...« Und so weiter und so weiter... Und die Eheleute sind so sehr in das Gespräch vertieft, daß sie gar nicht hören, wie jemand ins Vorzimmer kommt... Und plötzlich geht die Türe auf, und der Baal-Schem selbst in seiner eigenen Person und Herrlichkeit zeigt sich in der Stube... Also muß man ihm schon sagen, wovon eben die Rede war ... Wendet sich der Baal-Schem mit seiner süßen und traurigen Stimme zu Trajne-Mirl und fragt:

»Willst du es um jeden Preis, Weib?«

Schmuel schaut sie fassungslos an, und sie sagt: »Ich will, Rabbi, ich will!«

»Und er auch!« fügt sie hinzu und zeigt auf Schmuel, der dabeisteht.

»So? Du, Schmuel, willst es auch?« sagt lächelnd der Baal-Schem. »Gut, komm mit mir in unser Zimmer ...« Sie gehen hin, und Schmuel schließt hinter sich und seinem Gast die Tür. Trajne-Mirl klopft das Herz vor Angst und Freude. Sie schleicht auf den Zehen zu der Türe, sie kann sich nicht beherrschen und macht die Türe etwas auf – sie kann sich unmöglich beherrschen! Und sie drückt das Ohr an die Türspalte und horcht. Und sie hört, wie der Baal-Schem, nachdem er sich gesetzt und auch Schmuel zum Sitzen aufgefordert hat, zu ihm diese Worte spricht:

»Wisse, Schmuel«, sagt der Baal-Schem, »daß ich für dich vom Himmel nur einen einzigen Segen bekommen habe. Kraft dieses Segens gab ich dir Reichtum ... Aber du willst Kinder ... Und wenn du Kinder bekommst, so ist es aus mit dem Reichtum ...«

»Rabbi, ich verlangte von Euch niemals Reichtum ... Verzeiht es mir, Rabbi ...«

Mein lieber Schmuel! Trajne-Mirls Herz klopft vor Freude ...

Sagt der Baal-Schem:

»Und wenn nicht Reichtum, so Armut ...«

»Gut, Armut!« Schmuel ist damit einverstanden, und Trajne-Mirls Herz schwillt vor Freude ...

»Armut und Elend ...«

»Was macht's, Rabbi?«

»Es kann so weit kommen, daß du betteln gehen mußt ...«

»Ich nehme auch das in Liebe hin ...«

Nun spürt Trajne-Mirl einen Stich im Herzen: ihr Schmuel soll die Hand ausstrecken und ein Geschöpf aus Fleisch und Blut um Almosen bitten ...

»Es kann zuweilen auch ein Stück Brot fehlen ... Dir und deinem Weib ...«

Schmuel erbebt: Seiner Trajne-Mirl!

»Willst du es?«

Trajne-Mirl vergißt sich und ruft hinein:

»Er will, Rabbi, er will!«

»Ja?« wendet sich der Baal-Schem zu Schmuel. »Auch obdachlos sein und unstet und flüchtig durch die Welt ziehen? ...«

»Wenn Trajne-Mirl einverstanden ist...«

»Ich bin einverstanden, ich bin einverstanden!« ruft sie.

»So wird es sein!« Der Baal-Schem erhebt sich und tröstet sie: »Bis Gott sich euer erbarmet...«

Und so war es auch.

Ehe ein Jahr verging, lag schon ein Kind in der Wiege, ein Knäblein. Und das Kind war so schön – Trajne-Mirl sagte es, und alle sagten es – wie die Sonne... Daß es nur von einem bösen Blick verschont bleibt!... Und das Kind wächst heran... Es hat schon die Pocken und Masern überstanden und gedeiht prächtig... Aus der Wiege kommt es zum Melammed, vom Melammed zum Gemure-Melammed, aus dem Chejder ins Bejßmedresch... Ein Gelehrter wächst in ihm heran, ein Schmuck und ein Licht für die Eltern, für die Gemeinde, für die Welt... Aber je größer Dowid'l wird – so nannte man das Kind, denn beide Großväter, Schmuels wie Trajne-Mirls Vater, hießen Dowid –, je größer Dowid'l wird, um so schlechter geht das Holzgeschäft ... Das Glücksrad hat sich gewendet! Es fing bald nach dem Briß an...

Die Flöße sind schon auf der Weichsel, das ganze Haus ist voller Ehrengäste, eitel Freude herrscht in der Stube, Maseltow! Der Gevatter gibt schon das Kind der Wärterin, damit sie es der Mutter zurückbringt. Klopft man plötzlich ans Fenster... Kommt man in die Stube...

Eine schlimme Nachricht von der Weichsel:

Der Wind hat die Flöße zerrissen, das Wasser hat die Stämme weggeschwemmt... Kein Span ist übriggeblieben.

Hebt Schmuel die Augen zum Himmel und spricht:

»Gott hat gegeben, Gott hat genommen!«

»Gepriesen sei sein lieber Name!« antwortet die Wöchnerin aus ihrem Zimmer.

Um seine zu Stein erstarrten Gäste aufzuheitern, sagt Schmuel:

»Ich habe noch etwas Holz im Walde, noch etwas Geld bei den Leuten... Trinkt, Gäste...«

Aber die Leute, die ihm schuldeten, kamen in ganz kurzer Zeit herunter und zahlten ihm keinen Heller zurück. Nur das bißchen Holz im Walde war ihm geblieben...

Wie die Zeit kommt, wickelt Schmuel seinen Dowid'l in seinen Talis und trägt ihn zum erstenmal in den Chej der zum Melammed. Trajne-Mirl steht am Fenster und schaut ihnen nach, hat ihr freudestrahlendes Gesicht an die Fensterscheibe gedrückt. Es ist nicht mehr die alte Trajne-Mirl, aber ihre Augen leuchten noch.

Wie Schmuel mit Dowid'l auf dem Arm über den Markt geht, trifft er einen Mann aus dem Walde. Er kennt diesen Mann: es ist ein Holzaufschreiber. Er ruft ihm zu: »Friede sei mit Euch!« und will weitergehen, aber der Mann hält ihn auf ...

»Ach, schlecht steht es, Schmuel, sehr schlecht ...«

»Was ist denn?« Schmuel meint, daß dem Mann selbst irgendein Unglück zugestoßen ist.

»Es hat geregnet«, sagt der Mann, »die Wege sind voller Löcher. Die Chaussee ist verdorben ... die Holzfuhren sind steckengeblieben, die Räder und Achsen gebrochen ... Und das Holz verfault ... Auch dein Holz ist dabei, Schmuel ...«

Schmuel kommt traurig nach Hause. Trajne-Mirl hält sich aber tapfer:

»Weißt du was, Schmuel? Verkaufe meinen Schmuck und das bißchen Silber, das wir im Hause haben, mach alles zu Geld und versuche zu handeln ...

Und weißt du was, Schmuel? Versuche es mit Getreide ...«

Folgt er ihr. Er handelt mit Weizen und Korn, bedächtig, vorsichtig, er will abwarten, bis das Glücksrad sich wieder wendet ... Er wird es nie mehr wagen, mit dem Wasser zu spielen ...

Dowid'l beginnt indessen Chimmesch zu lernen ... Vergißt man alles. Wieder gibt's große Freude! Man macht ein Freudenmahl ... Wenn man sich in die Backe kneift, wird die bleichste Backe rot: Trajne-Mirl deckt den Tisch reicher, als es ihr die Mittel erlauben ... Um den Tisch herum sitzen die Vornehmsten der Gemeinde. Dowid'l steht schon mit dem »Ausfrager« auf dem Tisch ... Legt ihm schon der Ausfrager die Hand auf den Kopf und fragt:

»Was lernst du, Dowid'l?«

Und wie ihm Dowid'l antworten will, wird es plötzlich finster in der Stube. Schwarze Wolken bedecken den Himmel, ein Sturmwind hat sich von seinen Ketten losgerissen ... Und es beginnt zu hageln, und der Hagel schlägt alle Fensterscheiben entzwei ...

Von Schmuels Getreide, das er beim Gutsbesitzer auf dem Felde für eigene Rechnung gekauft hatte, blieb kein Körnchen übrig. Nur ein wenig Stroh für den Gutsbesitzer.

Aber man kann noch immer leben. Es ist ihnen ja noch das Haus geblieben, auf das der Nachbar ein Auge geworfen hat. Man verkauft ihm das Haus, mietet von ihm eine Wohnung und einen Laden und gründet ein Schnittwarengeschäft. Quält man sich noch ein paar Jahre ... Und man erlebt eine neue Freude: Dowid'l beginnt Tfillin zu legen ... Er wird eine Predigt halten ... Da steht er schon im Bejßmedresch auf dem Almemor. Die Gemeinde kann von ihm keinen Blick wenden. Trajne-Mirl hinter dem Vorhang in der Weiberschul zittert vor einem bösen Blick... Aber Dowid'ls Stimme berauscht sie mit Freude ... Wie hell seine Stimme klingt! ...

Stürzt ein Mann herein:

»Es brennt! Reb Schmuel, Euer Laden brennt!«

Und schon läutet die Kirchenglocke, Gojim mit Eimern und Beilen rennen, das Haus retten. Und Schmuel verliert alles, was er in der Wohnung und im Laden besaß.

Man nimmt auch das in Liebe hin. Eine Wohnung kann man auch anderswo mieten. Schmuel steht nun meistens auf der Straße herum, versucht sich als Mäkler sein Brot zu verdienen, verschmäht auch Botengänge nicht ... Auch Trajne-Mirl gibt ihren einstigen Stolz auf: sie geht auf den Markt, kauft bei Gelegenheit billig Eier ein oder ein fettes Huhn und verkauft die Sachen den Nachbarinnen wieder ... Sie sinkt noch eine Stufe tiefer: sie besorgt Einkäufe für wohlhabende Bürgersfrauen und bringt ihnen alles ins Haus ... Sie ist arm, zerlumpt, blaß, aber ihre Augen strahlen noch immer vor Freude ... Ihre Augen und auch die Augen des todmüden Schmuels ...

Dowid'l wächst, unberufen, und lernt schon im Bejßmedresch. Sein Name ist weit und breit berühmt, er gilt als Gelehrter unter Gelehrten ... Ist ein feines Kind, ein frommes Kind ... Alle Mütter preisen ihn ... Schadchonim überlaufen seine Eltern ... Einmal kommt ein Land-Schadchen ins Haus und schlägt eine Partie mit der Tochter des Berditschewer Gemeindevorstehers vor. Der Berditschewer Gemeindevorsteher, ein gelehrter, reicher und vornehmer Mann, schickt einen Dajen, der den jungen Mann in den Wissenschaften prüfen soll. Da kommt schon der Dajen an, ein alter Mann mit großer Brille, mit langem, grauen Bart, ein ehrwürdiger, etwas zerstreuter Mann ... Es ist am Vorabend der Neumondweihe, also wird er zu der Neumondmahlzeit geladen. Trajne-Mirl verschafft sich irgendwo einen Hering und ein Weißbrot ... Die Männer – der Gast, Schmuel und Dowid'l – waschen sich die Hände und setzen sich zu Tisch ... Trajne-Mirl steht am Herd und wartet auf die Freude, die sie da erleben soll ... Sie wagt gar nicht, sich mit so einem Mann an den Tisch zu setzen ... Und der Dajen wischt sich den Mund ab, Schmuel reicht ihm eine Gemure, der Dajen schlägt den Band auf und rückt ihn zu Dowid'l hin.

»Kennst du das?«

»Ich kenne es!« klingt Dowid'ls Stimme.

»Schau es dir noch einmal durch.«

»Das brauch' ich nicht...«

Schmuel wirft einen Blick zu Trajne-Mirl hinüber. Trajne-Mirl errötet und erwidert den Blick mit einem stillen Lächeln. Nimmt der Dajen die Gemure wieder zu sich und stellt eine Frage. Wohl eine sehr schwierige Frage ... Trajne-Mirl hat Vertrauen auf ihren Kaddisch ... Da fährt er sich schon mit dem Händchen über die klare Stirne, sein Gesicht rötet sich, in den Augen glimmen Funken, ein Lächeln umspielt die Lippen. Und er tut schon seinen reinen Mund auf – gleich wird das silberne Thora-Glöckchen erklingen ...

Aber aus Dowid'ls Munde kam nur ein Lufthauch heraus!

Dowid'l hatte plötzlich die Sprache verloren!

 

Mein Gott! Auf die Armut war man ja gefaßt, aber solch ein Unglück war im Pakt nicht vorgesehen. Der Baal-Schem war schon lange nicht da, also nimmt Schmuel Trajne-Mirl, sein Weib, und Dowid'l, seinen Sohn, und fährt zum Baal-Schem. Er wird sich mit ihm auseinandersetzen: was ist das für eine unselige Zugabe? Lächelt der Baal-Schem.

»So muß es sein«, sagt er, »bis die Zeit erfüllt ist.«

Und er heißt folgendes tun:

Trajne-Mirl, bei der er so oft als Gast geweilt hat, soll bei ihm als Gast seiner Tochter wohnen bleiben; es wird ihr da, Gott sei Dank, gut gehen. Auch Dowid'l soll dableiben und in Baal-Schems eigenem Bejßmedresch lernen.

»Soll er vorläufig ohne Sprache lernen ...«

Wie sie das Wort »vorläufig« hören, atmen sie erleichtert auf.

»Und du«, wendet sich der Baal-Schem zu Schmuel, »du mußt eine Zeitlang unstet und flüchtig sein. Du hast dein Glück auf dem Wasser verloren, also mußt du es dir vom Wasser zurückholen. Dem Ufer nach, mit der Strömung des Wassers sollst du wandern. Von Gemeinde zu Gemeinde. Und höre, Schmuel: wenn du in eine Gemeinde kommst, wo man mich kennt, wo man meinen Namen gehört hat, wo man weiß, was das Wort ›Baal-Schem‹ bedeutet, so sollst du weitergehen ... Kommst du aber an einen Ort, wo die Leute Mund und Ohren auftun und keine Ahnung davon haben, wer und was ich bin, so wirst du dort aufgerichtet werden ...«

Und er treibt ihn zur Eile an:

»Säume nicht, Schmuel! Hab' ich dir doch gesagt, daß du betteln gehen wirst. Nähe dir einen Bettelsack, nimm einen Stock und geh!

Geh zuerst den Bug, dann die Weichsel entlang...« sagte er ihm noch und zog sich in sein Zimmer zurück.

 

Wenn der Baal-Schem befiehlt, so gehorcht man. Also nimmt Schmuel Abschied.

Bleibt Trajne-Mirl beim Baal-Schem im Hause, als seiner Tochter Gast. Setzt sich Dowid'l in Baal-Schems Bejßmedresch lernen, »vorläufig« ohne Sprache. Und Schmuel geht hin und näht sich einen Sack, hängt ihn sich um die Schulter und geht das Ufer entlang, der Strömung nach ...

Und er geht immer weiter. Und wo er auch hinkommt, überall reden die Leute vom Baal-Schem: Kranke hat er geheilt, Kinderlose mit Kindern gesegnet, Gefallene aufgerichtet ... Alle Münder reden nur von ihm, und die Zungen werden nicht müde, ihn zu preisen ... Und wie er den Bug zu Ende gegangen ist, beginnt er die Weichsel entlangzugehen ... Wieder dasselbe ... Es ist wohl nicht so leicht, einen Ort zu finden, wo man den Baal-Schem nicht kennt. Selbst in den entlegensten Winkeln spricht man von ihm! Er geht und geht und kommt zur Grenze. Einen Paß hat er nicht; der Baal-Schem hat aber geheißen, immer weiter zu gehen, also stiehlt er sich über die Grenze und kommt glücklich nach Preußen ... Er ist müde, die Beine brechen unter ihm zusammen, die Füße sind geschwollen. Er geht aber unentwegt weiter: er muß ja sein Glück wiederfinden und Dowid'l die Sprache wiederbringen. Eines Freitags kommt er in eine deutsche Stadt. Er geht durch eine schmale Gasse. Die Füße wollen ihn nicht weiter tragen. Bleibt er stehen, lehnt sich mit dem Rücken an eine Mauer und hebt die Augen gen Himmel: »Schöpfer der Welt, wo finde ich hier ein Bad? Wo eine heilige Stätte? Wo verbringe ich den Sabbat?«

Im selben Augenblick geht im Hause gegenüber ein Fenster auf, und ein Deutscher steckt den Kopf heraus. Ein alter Mann, wenn auch mit Vollbart, wenn auch mit einem Käppchen, aber doch ein richtiger Deutscher. Der Bart ist schön gekämmt, und das Käppchen sieht auch ganz anders aus als die Käppchen in Schmuels Heimat: es ist nicht spitz, sondern kantig ... Ein deutsches Käppchen ist es eben ...

Schmuel fängt zu zittern an: der Mann wird ihn anschreien, warum er da steht und sich an eine fremde Mauer lehnt. Der Deutsche schimpft aber gar nicht. Er ruft ihm zu, zwar auf deutsch, aber doch mit jüdischem Herzen: »Sind Sie ein Jude?«

Schmuel nickt mit dem Kopfe. »Ist das eine Frage?« denkt er sich.

»Dann kommen Sie gütigst näher ...«

Schmuel geht quer über die Gasse, die Haustüre geht auf, ein Diener kommt heraus und sagt, daß sein Herr den Fremden hinauf bitte ... Führt er ihn eine gewichste, mit weichen Teppichen belegte Treppe hinauf, und Schmuel geht auf den Zehen, um möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Im ersten Stock steht der Deutsche und hinter ihm in der offenen Türe seine Frau. Streckt ihm der Deutsche die Hand entgegen und sagt: »Friede sei mit Euch!«

Jüdisch, wenn auch mit deutscher Aussprache. Die Frau sagt:

»Ein Gast im Hause – Gott im Hause ...«

Ihre Stimmen klingen nicht froh, aber es liegt echte Gastfreundschaft im Ton. Man führt ihn in eine Stube. Man gibt ihm einen leichten Imbiß. Der Diener kommt herein und meldet:

»Es ist fertig!«

Es stellt sich heraus, daß für Schmuel das Bad fertig ist. Geht er ins Badezimmer, wäscht sich dem Sabbat zu Ehren, steigt aus der Wanne, trocknet sich ab und will sich anziehen – aber der Diener hat alle seine Kleider weggetragen ... An ihrer Stelle liegen auf einem Stuhl ein frisches Hemd, ein Arbekanfes und ein Anzug. Er zieht das Hemd und den Arbekanfes an, fürchtet aber die anderen Sachen anzuziehen: vielleicht ist Schatnes dabei?

Klopft der Hausherr an und sagt:

»Mein Herr, machen Sie es etwas schneller ... Es ist Zeit, zu Kabbolas-Schabbes zu gehen ...« Und seine Stimme klingt noch immer nicht froh.

Wie Schmuel »Kabbolas-Schabbes« hört, vergeht ihm die Furcht vor dem Schatnes ... Er zieht sich an. Man geht beten. Es ist eine deutsche Schul, doch ohne Orgel; mit einem Chor, doch ohne Frauenstimmen ... Man betet, wenn auch nach deutscher Sitte, aber nach dem Gebetbuche ... Und wie man nach Hause kommt, wird Kiddusch gemacht ... Der Tisch ist reich gedeckt, auf alle Juden sei es gesagt! Silberne Leuchter und Schüsseln, Kristall und Glas ... Beim Essen singt man Smires ... Nach dem Essen wird gebenscht, die Hausfrau nimmt ein Gebetbuch und benscht mit. Auch das Töchterchen benscht – Schmuel bemerkt erst jetzt, daß auch ein Töchterchen, ein fünfzehnjähriges Mädel, mit am Tische sitzt ... Nachher führt man ihn in ein Zimmer, wo für ihn ein Nachtlager bereitet ist. Seit er lebt, hat er noch nie in einem solchen Bett geschlafen ...

Beim Einschlafen denkt er sich: Was kann das sein? Solcher Reichtum, und kein Lächeln auf den Lippen! Es ist Sabbat auf der Welt, aber die Leute seufzen ... Wie er, so auch die Frau und das Töchterchen ... Schließlich überkommt ihn der Schlaf. Am Morgen geht man beten, dann wird gegessen und dann zeigt man ihm ein Zimmer, wo er ausruhen kann.

»Wollen Sie vielleicht ein Buch?«

»Gewiß!«

Bringt ihm der Hausherr einen Midrasch.

Er schlägt das Buch auf, fängt aber gleich wieder zu grübeln an, was wohl dem Deutschen fehlen mag. Er schlummert etwas ein ... Auch bei der dritten Mahlzeit sind sie noch immer nicht froh, und nach der Hawdole werden die Gesichter ganz finster ... Man schweigt, und wenn man einmal ein Wort sagt, so klingt es wie aus einem Grabe ...

Mein Gott, fragen kann er doch nicht. Ein Gast darf sich nicht einmischen. Aber er denkt sich das Seinige. Nach dem letzten Segensspruche – die Frau und die Tochter sind gerade hinausgegangen – fragt er den Hausherrn: »Kennt Ihr nicht den Baal-Schem?«

»Wen?«

»Den Baal-Schem!« sagt er etwas lauter.

»Was ist sein Geschäft? ...«

Fühlt Schmuel Freude im Herzen.

Und der Deutsche sagt:

»Eine unbekannte Firma!«

Und fügt hinzu: »Noch niemals gehört!«

Springt Schmuel voller Freude auf:

»Der Mann ist keine Firma«, sagt er, »er betreibt keine Geschäfte ... Gott behüte!«

Er bemerkt aber, daß der Deutsche nicht mehr zuhört: sitzt tief in seinem Lehnsessel versunken, zerstreut, und starrt in die Luft ...

– Er muß wohl einen schweren Kummer haben! – denkt sich Schmuel und zieht sich leise in sein Zimmer zurück. Er wirft sich auf das Bett, kann aber nicht einschlafen. Er liegt schlaflos da, und es wird immer später. Draußen auf der Gasse wird es allmählich stiller, schließlich ist alles verstummt. Man löscht die Laternen aus. Und Schmuel hört in der Stille, wie die Frau ins Eßzimmer kommt und dem Deutschen sagt, er solle schon schlafen gehen. Und bald daraufkommt auch die Tochter:

»Aber Vater ...«

Der Deutsche rührt sich nicht ... Die beiden Frauen stehen oder sitzen wohl neben ihm. Dann fängt man sehr leise zu sprechen an, es wird mehr geseufzt als gesprochen ...

Und dann beginnt das Mädchen laut zu weinen und geht aus dem Zimmer. Auch die Mutter weint und geht ihr nach. Und der Vater seufzt. Er steht auf und spricht:

»Ach, Gott, Gott! Du lieber Gott!« Und dann geht auch er.

Schmuel nimmt sich vor, am Morgen beim Abschiednehmen mit dem Deutschen zu sprechen ... »Sorge im Herzen kränket, aber ein freundliches Wort erfreut«, steht in den Sprüchen. Endlich schläft Schmuel ein.

Am Morgen will er sich verabschieden, aber man bittet ihn, zum Frühstück zu bleiben. Nach dem Frühstück gehen die Frau und die Tochter aus dem Zimmer. Schmuel will reden. Aber er möchte nicht gleich mit der Sache herausplatzen und beginnt von ungefähr:

»Habt Ihr wirklich nichts vom Baal-Schem gehört?«

Antwortet ihm der Deutsche wieder:

»Habe noch nie etwas von dieser Firma gehört, ist hier ganz unbekannt ...«

»So!« sagt Schmuel leichten Herzens.

»Es ist aber«, sagt er, »gar keine Firma ... Es ist ein Jude ...« »Ein Jude?« fragt der Deutsche etwas interessiert und hebt zum erstenmal die Lider.

»Ja, ein Jude!« bestätigt Schmuel.

»Und ein Mann«, sagt er, »ein Mann der Thora und des Dienstes, der Gebote und der guten Werke, ein Mann des Himmels ...«

»Was?«

»Ein göttlicher Mann!«

»So?« sagt der Deutsche etwas ungläubig und will wieder in seine Gedanken versinken...

»Ich will gehen, Reb Deutsch ...«

»So? Haben Sie Eile?«

»Ich will Abschied nehmen ...«

»So ...« Und er streckt ihm die Hand aus. Er will noch seine Frau und Tochter hereinrufen.

»Noch einen Augenblick, Reb Deutsch«, sagt Schmuel, »nehmt es mir nicht übel, ich will Euch um etwas bitten ...«

»Ach so ... Sehr gern ... Verzeihen Sie, daß ich nicht selbst daran gedacht habe ... Ich bin, leider, so ...«

Und er steckt die Hand in die Tasche ...

»Nein, nein, Reb Deutsch ... Ich habe nicht das gemeint. Ich will Euch um etwas anderes bitten ... Ihr seid doch ein Jude!«

»Mit Leib und Seele!«

»Ich auch ... Sagt mir also, was Euch fehlt!«

Der Deutsche ist erstaunt und sprachlos ... Benützt Schmuel die Gelegenheit:

»Etwas bedrückt Euch doch die Seele, Euch, Eurem Weib und Eurer Tochter ... Sagt, was es ist ... Tut Euer Herz vor einem Juden auf: es kommt ja vor, daß ein Jude dem andern helfen kann ... Schaut nicht auf meine Armut ...«

»Das nicht«, antwortet der Deutsche, »aber uns kann niemand helfen ...«

Und er erklärt ihm: »Bei den berühmtesten Ärzten sind wir schon gewesen ... bei den ersten Professoren ...«

»Ein Chalaas, nicht auf Euch gedacht?«

»Was?«

»Eine Kränke?«

»Ja, eine Krankheit ... ein geheimes Leiden ... ein Unglück ...«

»Aber es gibt doch jemand«, fällt ihm Schmuel ins Wort, »der helfen kann ...«

»Ja, der liebe Gott!«

»Und in Seinem Namen der Baal-Schem ...«

Und der Deutsche läßt mit sich reden, und Schmuel erzählt ihm von dem Baal-Schem und von seinen Wundern und Zeichen. Und dem Deutschen schwillt das Herz, und sein Gesicht heitert sich etwas auf, und seine Augen beginnen zu leuchten, und er nimmt alles, was ihm Schmuel erzählt, so gierig auf wie ein Schwamm. Er nimmt es auf wie eine große Freude, wie eine frohe Botschaft ... »Folgt mir«, schließt Schmuel, »ich will und ich darf nicht fragen, wem bei Euch im Hause etwas fehlt. Aber folgt mir: laßt Euren Wagen anspannen und wir wollen zusammen zum Baal-Schem fahren ...«

Der Deutsche schwankt ... Nach einer Weile sagt er: »Ja ... Ich muß aber zuerst mit meiner Frau und meiner Tochter sprechen ...«

Ruft Schmuel voller Freude aus:

»Steht mit dem rechten Fuße auf, geht zu Frau und Tochter, und Gott wird Euch helfen!«

Haben aber alle Weiber die gleiche Manier: die Frau stand schon hinter der Türe und kam gerade im rechten Augenblick herein, und nach ihr die Tochter ... Sie sagt, daß man es wohl probieren könne ... Einige Stunden später ist schon die Kutsche angespannt, alle steigen ein, und die Pferde laufen Galopp. Man hält sich außer an der Grenze nirgends auf ... An der Grenze aber um so länger: Schmuel hat ja keinen Paß ...

Solange die Gesellschaft an der Grenze aufgehalten wird, wollen wir sehen, was indessen beim Baal-Schem vorgeht.

Sitzt er einmal, der Baal-Schem, am Tisch, lächelt und sagt zu seinem Diener:

»Geh und ruf mir Jojne, den Schneider.«

Geht der Diener und holt den Schneider.

»Sag mir, Jojne, bist du imstande, einem Menschen das Maß mit den Augen zu nehmen, so daß er nichts davon merkt?«

»So nehme ich ja Euch Maß, Rabbi ... Wenn mir Eure Tochter, leben soll sie, sagt, ich solle Euch ein neues Gewand machen, so komme ich und werfe einen Blick ...«

»Kannst du auch Frauen so das Maß nehmen?«

»Es ist genau dasselbe, Rabbi!«

»Willst du mir einen Gefallen tun?«

»Auch die Hälfte des Königsreiches gebe ich Euch her, Rabbi!«

»Gut. Da sitzt jetzt bei mir im Hause eine fremde Frau herum.«

»Aha! Der Rabbi meint wohl die Trajne-Mirl?«

»Ja. Und ihr Sohn Dowid'l lernt bei mir im Bejßmedresch. Geh und nimm ihnen beiden mit dem Auge Maß ...«

»Für was für Kleider, Rabbi?«

»Denke dir halt, daß Dowid'ls Verlobung gefeiert wird. Also braucht er Kleider, und auch seine Mutter braucht Kleider ... Aber anständige Kleider ...«

»Und der Stoff, Rabbi?«

»Nimm vom besten, auf meine Rechnung ...«

»Es ist gut, Rabbi.«

»Du mußt aber in einem Monat fertig sein, Jojne.«

»Keine Stunde länger wird es dauern, Rabbi ...«

Nach einem Monat bringt der Schneider gegen Abend die Kleider. Der Baal-Schem sitzt gerade mit seiner Tochter. Sagt er zu der Tochter:

»Nimm die Kleider, geh mit ihnen zu Trajne-Mirl und sage ihr, daß sie die Kleider anziehen soll. Sag' ihr, ich hätte es befohlen. Und dann soll sie in ihrem Zimmer bleiben und warten, bis man sie ruft.«

Die Tochter fragt nicht weiter, nimmt die Kleider und geht.

»Und du«, sagt der Baal-Schem zum Diener, »nimm Dowid'ls Kleider und bringe sie ihm ins Bejßmedresch. Sag ihm, ich hätte befohlen, daß er sich wasche, und die neuen Kleider anziehe, und zu seiner Mutter gehe, und dort warte, bis man ihn ruft.«

Will schon der Diener gehen.

»Und dann«, sagt noch der Baal-Schem, »sollst du mir sofort den Dajen und den Schreiber holen und einen Minjen versammeln, aber sofort ...«

Kommen bald alle Gerufenen; der Baal-Schem läßt sie Platz nehmen und schickt den Diener zu seiner Tochter und läßt ihr sagen, sie möchte einen Imbiß vorbereiten.

»Was für einen Imbiß, Rabbi?«

»Wie für eine Verlobung ... wie für eine vornehme Verlobung.«

Geht der Diener und kommt nach einer Weile zurück: »Fertig!«

»Und jetzt zünde Lichte an, viele Lichte!«

Der Diener tut, was ihm geheißen. Und wie er die Leuchter mit den brennenden Kerzen in die Stube bringt und auf den Tisch stellt, fährt ein Wagen vor das Haus. Und aus dem Wagen steigen Schmuel, und der Deutsche, und sein Weib, und sein Töchterchen, und sie kommen alle in die Stube.

Erhebt sich der Baal-Schem und sagt:

»Friede sei mit Euch, Awrom!«

Und er gibt dem Deutschen die Hand.

»Willkommen, Weiber, setzt euch.«

Bestürzt und erstaunt nehmen sie Platz. Die Frau und die Tochter an einem besonderen Tisch.

»Ich sehe jetzt, Reb Deutsch«, sagt lächelnd der Baal-Schem, »Glauben in Euren Augen, Glauben an mich ... Erzählt uns vor allen Dingen, wie Ihr zu Eurem Reichtum gekommen seid. Und du, Schmuel, mach ein wenig die Tür auf«, wendet sich der Baal-Schem lächelnd zu ihm, »laß eine Spalte offen, denn dort sitzt deine Frau Trajne-Mirl, und sie liebt es, an den Türspalten zu horchen.«

Schmuel tut es sehr gern, und der Deutsche beginnt zu erzählen. Er spricht deutsch, aber man versteht ihn.

Vor Jahren war er ein armer Mann ... Er besaß einige Taler, fürchtete aber, irgendein Geschäft zu beginnen. Einmal in der Nacht, als er vor lauter Sorgen nicht einschlafen kann, klopft jemand ans Fenster ... Er steht leise auf, um seine Frau nicht zu wecken, und macht das Fenster auf. Unten steht ein Freund und erzählt ihm, daß er eben draußen vor der Stadt bei der Mündung des Flusses gewesen sei ... Das Wasser hat viel Holz angeschwemmt ... Bauern haben es mit Bootshaken herausgeschleppt, und man kann es von ihnen halb umsonst kaufen ...

»Hörst du, Schmuel?« sagt der Baal-Schem zu Schmuel, der immer an der Türspalte steht. »Es war dein Holz!«

»Ich höre es, Rabbi!« antwortet Schmuel, bleibt aber bei der Türe kleben.

Der Deutsche glaubt aber sich rechtfertigen zu müssen und erklärt, daß nach dem Gesetz das Holz herrenloses Gut gewesen ist ... Und er erzählt, wie billig er das Holz gekauft hat ... Und wieviel er daran verdient hat ... Es war nicht wenig.

»Und Geld zieht neues Geld an«, unterbricht ihn der Baal-Schem. »Und bald darauf wurde dir die Tochter geboren ... Ein hübsches Mädel, unberufen ... Ein goldiges Mädel, wie man bei euch sagt ... Ist sie schon Braut?«

»Das ist ja mein Unglück, göttlicher Mann!« ruft der Deutsche aus und ringt die Hände. »Sie kann niemals Braut werden ...«

»Warum?«

Erzählt ihm der Deutsche, daß man seiner Tochter schon die besten und vornehmsten Partien angeboten hat; sie ist aber von einer Krankheit befallen: sobald man ihr nur einen Freier zeigt, wird ihr sofort übel, so daß man sie aus dem Zimmer hinausführen muß, oder sie fällt in Ohnmacht ...

»Sie ist ja sonst, wie Ihr selbst seht, göttlicher Mann, gesund und frisch ... Aber wenn sie nur einen Freier erblickt, wird sie ohnmächtig ...«

Er ist mit ihr schon bei den besten Ärzten und berühmtesten Professoren gewesen ...

»So?« unterbricht ihn der Baal-Schem mit einem Lächeln. »Ist das dein Unglück? Ich will ihr aber, mein lieber Awrom, einen Freier zeigen, vor dem es ihr nicht übel wird, und vor dem sie nicht in Ohnmacht fällt – sie wird ihm mit offenen Armen entgegenlaufen!

Schmuel, laß dein Weib und dein Kind herein!«

Trajne-Mirl läßt auf sich nicht warten und steht bestürzt neben ihrem Mann. Und nach ihr kommt Dowid'l in die Stube ... Wie der Jüngling und das Mädchen einander erblicken, erschrecken sie und werden abwechselnd blaß und rot ... Und sie gehen unwillkürlich einige Schritte einander entgegen und bleiben verschämt und bestürzt stehen und können kaum die Blicke voneinander wenden und schlagen die Augen nieder.

»Nun, Mädel«, fragt der Baal-Schem, »ist dir noch nicht übel? Willst du diesen Jüngling?«

Zittert das Mädel und nickt mit dem Kopfe ...

»Und du, Dowid'l, willst du die Braut?...«

Und er befiehlt ihm:

»Antworte, Dowid'l!«

Und Dowid'l antwortet mit lauter Stimme:

»Ja, Rabbi!«

»Du wirst auch«, sagt der Baal-Schem, »eine Hochzeitspredigt halten. Schreiber, schreib den Pakt ...«

Und der Baal-Schem hieß in den Pakt hineinschreiben, daß Awrom der Deutsche sein ganzes Vermögen der Tochter als Mitgift gibt... Und daß die Eltern, wie die des Bräutigams so auch die der Braut, lebenslängliche Kost bei ihren Kindern bekommen.


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