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Es lebte unlängst in Florenz ein edler Maler, der in seiner Kunst so vortrefflich war, daß seine Mitlebenden wohl hätten darauf schwören mögen, die Natur selbst sei in ihn übergegangen und lasse sich von seiner Hand neu hervorbringen. Was ihm irgend in die Augen fiel, das ahmte er mit seinem Pinsel so anmutreich nach, daß fast ein jeder, der die Nachbildung sah, in Versuchung kommen konnte, sie für das Vorbild zu nehmen. Es hatte aber auch nicht etwa bloß der Zufall für eine so seltene Ausbildung seines Talents Sorge getragen: denn nächstdem, daß er einen ihm angeborenen Kunstsinn und Kunsttrieb besaß, war es von seiner zartesten Jugend an sein einziges Sinnen und Trachten gewesen, demselben durch Fleiß und Nachdenken immerwährenden Vorschub zu leisten, indem er kein einziges Mal lustwandelte, ohne in die Natur und seine Kunst ganz versunken zu sein. Bald verweilte er hier und betrachtete ein ausdrucksvolles oder liebliches Angesicht, bald fesselte dort eine eigentümliche Stellung seine Aufmerksamkeit, oder er beobachtete auch menschliche Schmerzen, Zorn und Aufregung. Im Freien zeichnete er bald etwa eine schöne Felspartie, die durch einen kühnen Vorsprung seinen Blick an sich zog, oder ein stilles klares Bächlein, das sich durch grünende Auen sanft hinschlängelte. Oft bildete er desgleichen mit seinem Griffel die Tiere nach, wenn sie schliefen oder spielten oder weideten, und sein Skizzenbuch war eine wahre Vorratskammer belebter sowie lebloser Natur. Mehr aber als in jeder anderen Art der Malerei tat er sich in derjenigen hervor, die das Angesicht des Menschen, diesen fürnehmlichsten Vorwurf der Kunst, nachbildet, welcher Zweig der Malerei in jenen früheren Zeiten sonderlich gefördert und geachtet wurde, weil verliebte Männer und Frauen sich eben damals noch nicht so häufig und ungehindert sehen und sprechen konnten wie heutzutage und jenes unnütze Blendwerk eines Bildnisses als einen Trost ansahen, der ihren Herzen nachgerade unentbehrlich geworden war.
Da trug es sich nun eines Tages zu, daß ein in eine schöne Jungfrau seines Standes verliebter Edelmann dieser Dame seines Herzens sein wohlgetroffenes Bildnis ehestmöglich zusenden wollte und deswegen zu dem wackeren Meister kam, ihm sein Bedürfnis zu verstehen gab und über die Befriedigung desselben in wenigen Worten mit ihm einig wurde. Der Maler legte unverzüglich Hand ans Werk und widmete sich seiner Ausführung mit aller Einsicht und Kunstfertigkeit, die ihm zu Gebote standen. Er trug Sorge, daß der Edelmann eine edle, gefällige Haltung annahm und in seinem Anzuge bei der Sitzung alles Auffallende, Ungewöhnliche vermied, das auf einem Bilde immer störend einwirkt, es mag noch so malerisch ausgesonnen sein, bemühte sich durch die Wendungen, die er dem Gespräche zu geben wußte, das er mit seinem Vorbilde während der Arbeit führte, auf sein Antlitz den natürlichen Ausdruck seines Innern hervorzulocken, wie er ihm nötig war, und brachte dieses Mal, mit überaus glücklicher Hand, bald in dem Werke seiner Kunst ein Bild zustande, das nicht allein dem Edelmanne zum Sprechen ähnelte, sondern auch, wie der Künstler glaubte sich selbst eingestehen zu dürfen, durch seine tiefe Auffassung gleichwie durch seine geschmackvolle Komposition und technisch vollendete Ausführung bei weitem das gelungenste geworden war, das er jemals in seinem Leben gemalt hatte.
Als das Bild seiner Vollendung nahe war und der Meister fast nur noch die letzte Hand daran zu legen hatte, fiel es dem Edelmanne ein, es von einigen seiner Freunde in Augenschein nehmen zu lassen, um zu hören, was sie dazu sagen würden. Nachdem er ihnen also nachrichtlich mitgeteilt hatte, daß der berühmte Künstler damit beschäftigt sei, für ihn sein Bild zu malen, führte er eines Tages ihrer fünf bis sechs in die Werkstätte desselben, vor die Staffelei.
Wollten nun die jungen Männer zu erkennen geben, daß sie den Weg dahin nicht aus Langerweile gemacht hätten, oder wußten sie in der Tat vielleicht gerade so viel von der Malerei wie die Malerei von ihnen, – kurz, der Meister hatte ihnen das Gemälde nicht so bald zurechtgestellt, so schickte sich ein jeder von ihnen an, den Kunstrichter zu spielen und sprach seine superkluge, mehr oder minder mißfällige Meinung darüber aus. Dem einen schien der Mund ein wenig zu groß; ein anderer meinte, die Augen hätten nicht die natürliche Lebhaftigkeit des Originals, und die Nase möchte wohl etwas allzulang geraten sein. Dieser fand eine kleine Unrichtigkeit in den Augenbrauen; jener sah die notwendigen Schlagschatten für Schmutzflecken an und wünschte, daß sie hinweggetilgt würden. Und so war denn, mit einem Worte, das Ende vom Liede, daß das Bild seinem Originale auch nicht im mindesten ähnlich sei und von der jungen Dame, für die es bestimmt gewesen, ganz gewiß nicht erkannt werden würde. Dieser letztere Punkt ihrer desfallsigen Äußerungen war dem bedenklichen Edelmanne der empfindlichste und vermochte so viel über ihn, daß er, sein eignes widersprechendes Dafürhalten verleugnend, die Erklärung von sich gab, er nehme unter so bewandten Umständen das Gemälde gar nicht an.
Wie sehr nun auch dagegen eine so vorschnelle Weigerung den Künstler kränken und erzürnen mußte, so behielt er dennoch seine ganze Fassung bei und ersuchte nur den Kavalier, ihm diese Beleidigung nicht anzutun, indem er ihm noch ein zweites Bild von ihm zu malen versprach, das alle seine und seiner Freunde Ansprüche vollkommen befriedigen solle. Der Kavalier war mit diesem Versprechen zufrieden, und der Maler ging also von neuem an seine Arbeit, die er, von der ihm vermeintlicherweise angetanen Schmach und von der Sehnsucht befeuert, die jungen altklugen Kenner, die ihn so ungerecht beurteilt hatten, durch die äußerste Entwickelung seiner Kunst zum Schweigen zu bringen, mit solcher Anstrengung und solchem Glück beendigte, daß auch die allerschärfste und eigensinnigste Kritik nicht einen Pinselstrich daran hätte tadeln dürfen. Der Edelmann war in seinem Herzen selbst hocherfreut über dieses schöne Werk der Kunst und wagte beinahe zu glauben, daß auch die vorlauteste Zunge daran keinen Stoff zum Tadel finden würde; weshalb er wieder wie das erste Mal seine Freunde abholte und mit ihnen in die Werkstätte des Künstlers ging.
Das zweite Bild hatte indessen kein besseres und vielleicht sogar ein noch schlechteres Schicksal als das erstere: denn abgesehen davon, daß die Kenner viele Mängel des ersten auch in dem zweiten wieder antrafen und in diesem sogar die geringe oberflächliche Ähnlichkeit vermissen wollten, die, wie sie sagten, jenem doch im allgemeinen angehaucht gewesen sei, so fingen sie nunmehr an, mit einem gewissen Bedauern Betrachtungen darüber anzustellen, wie so etwas eben leider nicht erstrebt werden könne, wenn es sich nicht von selber mache, und wie alle dergleichen Verbesserungen der unmittelbaren ersten Auffassung, wenn sie einmal eine verfehlte sei, zu nichts als Verschlechterungen derselben ausarteten, weil die gestörte oder erkaltete Phantasie und Begeisterung des Künstlers kein Wiederaufwärmen vertrüge. Überdies nahmen sie die Gelegenheit wahr, so viel nichtiges, auf bloßen Gemeinsprüchen und erlernten Redensarten beruhendes Kunstgewäsch, das auch dem einfältigsten Menschen zu Gebote stehen kann, wenn er es sich erlaubt, von dem Hundertsten aufs Tausendste ohne Zusammenhang überzuspringen, an diese ihre Aussprüche anzuknüpfen, daß das Resultat dieser gelehrten Zusammenkunft kein anderes als die vollkommenste Verzweiflung des armen Edelmanns war, auf diese Weise nimmermehr ein Bildnis erlangen zu können, das ihm wirklich ähnlich sehe.
Der Maler war zwar lauter Gift und Galle in seinem Innern und sprühte Zornflammen aus seinen Augen; nichtsdestoweniger benahm er sich aber nicht wie diejenigen, die eine Wette durch Zank und Streit zu gewinnen meinen, sondern drängte seine Entrüstung in sich zurück und zuckte nur ein wenig mit den Achseln, indem er bereits die Art und Weise bei sich überlegte, wie er die jungen Ignoranten am ehesten zum Selbsteingeständnisse ihrer an den Tag gelegten Unwissenheit bringen und sie beschämen könne, über einen ihnen wildfremden Gegenstand, wie den der Kunst, also abgesprochen zu haben. Als die sechs Kenner hierauf fortgegangen waren und ihn mit dem betretenen Kavaliere allein zurückgelassen hatten, hub der Maler folgendermaßen zu ihm zu reden an: »Wiewohl ich, mein edler Herr, gar wohl einsehe, daß die beschränkten Kräfte und Fähigkeiten eines Menschen bei weitem nicht ausreichen, ihm in irgendeiner Kunst das an sich Vollkommene und Tadellose gelingen zu lassen, so kann ich doch nicht umhin, wenn ich die Art und Weise meines täglichen Lebens und seiner Mühen und Erfahrungen mit derjenigen der jugendlichen Kunstrichter vergleichend zusammenstelle, die das Werk meines ernsten Fleißes und meiner besten Einsicht so wegwerfend beurteilt haben, mich selbst für einen gültigeren Kenner eines Gemäldes anzusehen, als sie sind. Ich habe von meiner frühesten Jugend an jeden anderen Gedanken, alle Freuden und Güter der Welt, ja mich und mein irdisches Lebensglück selbst aufgegeben, um einzig und allein dieser heiligen Kunst zu leben, der meine ungeteilte Liebe und mein ganzes Dasein gewidmet ist. Ich habe alle menschliche Gemeinschaft und alles, was den Menschen an das Leben bindet, um dieser meiner Pinsel und dieser meiner Palette willen aufgegeben; ich habe Speise und Trank vergessen und mir den süßen Schlaf geraubt, um nur den bescheidenen Ruhm zu verfolgen, den uns die Kunst gewährt. Ihre Freunde dagegen, denen es jetzt gefallen hat, so gestrenge Richter über dieses Werk meiner Kunst zu sein, haben sich niemals auch nur mit dem leisesten Gedanken auf das Studium der Kunst gelegt, haben weder Pinsel noch Palette jemals angerührt, ja haben nicht einmal den mindesten Begriff von Zeichnung und von den Elementen der Malerei, indem sie, aller ernsten Beschäftigung und alles Berufes hienieden ermangelnd, es jederzeit nur ihre alleinige Sorge sein ließen, ihren Vergnügungen nachzurennen und ihr höchstes Gut in der Ertötung ihrer edlen Zeit zu vergeuden, deren Wert sie nicht zu schätzen wissen. Haben sie jemals ihre Nächte schlaflos durchgewacht, wie es mit ihnen allerdings der Fall gewesen sein mag, so geschah dies gewiß aus einem anderen Grunde, als um da menschliche Gestalten und Ähnlichkeiten künstlich nachzubilden. Trotz alledem verlange ich von Ihnen dennoch nicht, daß Sie zwischen diesen Herren und mir einen Unterschied machen in dem, was unseren beiderseitigen Beruf zur Kunstkennerschaft angeht; sondern Sie sollen durch ihren eignen unmittelbaren Augenschein sich überzeugen, daß Ihre Freunde von der Kunst so viel wie nichts verstehen, und mir selber zugeben, daß das Recht auf meiner Seite war. Ich ersuche Sie also, Ihren Freunden zu wissen zu tun, ich hätte das Gemälde retouchiert, und sie in meinem Namen einzuladen, es sich diesen Abend noch ein einziges Mal bei mir anzusehen. Sie selbst erweisen mir wohl die Gunst, sich einige Zeit vor ihnen hier wieder einzufinden. Zu welchem Zweck ich diese Bitte an Sie richte, werden sie aus dem, was vorgeht, zeitig genug erfahren.«
Als ein billig denkender und verständiger Mann willigte der Kavalier in diese Forderung ein. Der Maler aber, von seiner Geistesgegenwart und seinem Scharfsinn unterwiesen, nahm sofort ein Stück Leinwand zur Hand und schnitt dasselbe solchermaßen aus, daß der Edelmann gerade in den dadurch entstandenen leeren Mittelraum sein Antlitz halten konnte. Um die also hervorzubringende Täuschung, als ob es in der Tat auf die Leinewand gemalt sei, destomehr zu erhöhen, nahm der Künstler noch rasch den Pinsel zur Hand und malte die letztere mit Licht und Schatten als Hintergrund zurecht, worauf er sie so hoch als möglich auf der Staffelei anbrachte und eben getrost erwartete, seine komische List teils mit Hilfe der in dem Zimmer herrschenden Finsternis, teils mit der einer vorteilhaften Beleuchtung und einiger anderen kleinen Kunstgriffe vollkommen gelingen zu sehen.
Derweil er selber diese Vorbereitungen traf, hatte der Edelmann seine Freunde zum anderen Male an diesem nämlichen Tage nach der Wohnung des Künstlers bescheiden lassen, um ihr unmaßgebliches Urteil über das angeblich retouchierte Bild zu fällen. Die Freunde versprachen nun zwar auch sich einzufinden; indessen fingen sie, nach ihrer eigentümlichen Art und Weise eine Sache beurteilend, die ihnen unbekannt war, bereits unterwegs an, von der veränderten Arbeit des Malers übel zu reden und es unter sich im voraus abzumachen, daß sie, in Beachtung der daran verwendeten, so ungemein kurzen Zeit, im wesentlichen hätte schwerlich verbessert werden können.
Sobald sie durch Klopfen an der Tür Einlaß in die Wohnung des Künstlers begehrten, begab sich der Edelmann augenblicklich an seinen ihm bestimmten Platz, schob sein Gesicht verabredermaßen in das Loch der Leinwand ein, deren Stellung der Maler so gut als möglich anordnete, und erwartete in Geduld den Ausspruch seiner guten Freunde über die wichtige Frage: ob er sich selbst ähnlich sehe oder nicht? Der Maler nahm nach der Ankunft der Kenner das Licht in die Hand und beleuchtete damit nach seinem Gutbefinden das Werk der Natur, derweil die auf daran gestellten Sesseln nach seinem Wunsche Platz nehmenden gelehrten Herren allmählich einer nach dem anderen anfingen, ihre Ausstellungen zu machen. Der eine sagte: »Ich will Sie gern mit der Kürze der Zeit einigermaßen bei mir entschuldigen; aber ich muß Ihnen allerdings gestehen, daß, nach meinem Dafürhalten, die Ähnlichkeit Ihres Bildes mit dem Originale nunmehr geringer geworden ist, als sie irgend vorher war.« Ein anderer versicherte, sein Freund habe in der Wirklichkeit kein so langes Gesicht wie auf der Leinwand. Ein dritter aber sprach: »Was konnten Sie ihm nur da für eine Nase anmalen, mit solcher Erhöhung mitten drauf? Überdies sind eigentlich seine Augen von Natur himmelblau, hier sind sie schwarz.«
Da nun der Maler sein Werk dies dritte Mal gegen ihre Anfechtungen verteidigte, so gerieten sie immer mehr in Feuer und erhitzten sich durch ihren eigenen Tadel und durch seine beharrliche Verteidigung zu guter Letzt so sehr, daß sie, damit noch weit über ihre eigene Überzeugung hinausgehend, mit lauter Stimme einhellig die Erklärung abgaben: das Bild sei eine wahre Schülerarbeit und verdiene durchaus keine Billigung.
Hier vermochte der Edelmann aber nicht länger an sich zu halten, sondern tat in der Leinwand mit einem Male den Mund auf, indem er ihnen für ihre aufrichtige Kritik seines Angesichtes seinen Dank abstattete und ihnen erklärte, wie er sich nun endlich allerdings dessen versehen habe, daß, wer da auch ganz und gar nichts davon verstehe, dennoch oft ein ebenso guter Beurteiler der Kunst wie der Natur sei.
Die erzürnten Freunde entfernten sich, und der Kavalier bezahlte dem Künstler mit Freuden seine beiden Bilder, deren eines er als ein ihr sehr wertes Geschenk seiner Geliebten verehrte.