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In Palestrina lebte eine junge Florentinerin, die ebenso mit Schönheit des Körpers geschmückt war, wie sie ein weiches Herz hatte. Sie ließ es sich angelegen sein, diese ihre Liebenswürdigkeit den freundlichsten und liebenswürdigsten Jünglingen zu bezeigen, und sie zog es vor, lieber weniger Geld zu verdienen und mit solchen jungen Männern zusammenzusein, als von anderen viel Geld einzunehmen und dabei kein Vergnügen zu empfinden. In sie, die Bice hieß, verliebte sich ein junger Mann namens Panfilo, der anmutig und vornehm war und es verdiente, von einer großen Dame geliebt zu werden. Mit den Waffen in der Hand war er so tapfer, daß nur wenige gewagt hätten, ihm im Kampf gegenüberzutreten; und wie er mit solchem Mute ausgestattet war, so wäre er ebenso im Überfluß mit Glücksgütern versehen gewesen, wenn nicht sein Vater durch einen Mord all seinen weltlichen Besitz verloren hätte. Aber da die Armut ihm seinen edlen Sinn nicht geraubt hatte, ertrug er dies Unrecht, das Fortuna ihm angetan hatte, mit möglichst großer Würde.
Er also hatte sich in Bice verliebt, verlor aber, obwohl er seine Armut kannte, nicht den Mut, und da er ihr Wesen kannte, dachte er, wenn er mit dem Geldbeutel bei ihr nicht das Ziel seiner Wünsche erreichen könnte, würde es ihm wenigstens mit Hilfe der Gabengelingen, die ihm die gütige Natur mitgegeben hatte. Er begann also, Bice zu grüßen, sie mit Botschaften zu bestürmen, sie mit Geschenken zu bedenken, die nicht viel kosteten, aber anmutig und gefällig waren, und ihr in Gotteshäuser und auf die Feste zu folgen und zu den übrigen Orten, wo sie sich die Zeit vertrieb.
Eines Festtags traf er sie auf einem Ball, und wie es in Liebesdingen zu geschehen pflegt, es gibt keine Gelegenheit, die mehr dazu angetan ist, die Herzen zu erwärmen, als die Gelegenheiten, die sich auf Bällen finden, wo jeder die Freiheit hat, die Hand zu berühren, sie zu drücken und sich beim Tanze zu unterhalten, wie wir es bei den Festen der einfachen Bürger und bei denen der angesehensten Höfe noch heute sehen. Der Jüngling faßte Bice bei der Hand, drückte sie ihr und sagte: »Duldet doch nicht, gnädige Frau, daß ich aus Liebe zu Euch sterbe!«
Auf diese Worte erwiderte Bice lachend: »Ich stamme doch nicht von einem wilden Tier ab, daß ich den Tod dessen wollte, der mich liebte. Und ich weiß nicht, woher Ihr diese Meinung über mich habt, die ich doch noch niemals jemandem, der mich geliebt hat, Grund zur Klage gegeben habe. Um so weniger bin ich geneigt, Euch Grund zur Klage zu geben, da ich weiß, daß Ihr mich in Wahrheit liebt. Damit Ihr vielmehr nicht sterbt, schenke ich Euch von jetzt an meine Liebe.«
»Ich danke Euch unendlich«, versetzte Panfilo, »und ich werde Euch Tag für Tag zeigen, daß ich Euch wie meine Augen liebe.« Als das Fest beendet war, begleitete Panfilo Bice bis nach Hause. Dort tat er, als wollte er sich entfernen, und sagte: »Ich bitte Euch, gnädige Frau, meine Bereitwilligkeit, Euch zu dienen, anzuerkennen und ihr den Lohn zu gewähren, der Eurer Liebenswürdigkeit würdig ist!«
Von der Schönheit und den vornehmen Umgangsformen ihres Liebhabers bezaubert, antwortete das junge Mädchen lachend: »Ich würde mich schämen, Panfilo, wenn Ihr mich unter dem Namen eines Dieners lieben würdet; aber gern nehme ich Eure Liebe als die meines Herren an, dem ich immer bereitwillig dienen werde. Und damit Ihr seht, daß Ihr mich zu Unrecht für grausam gehalten habt, will ich, daß Ihr heute mit mir zusammen zu Abend esset.«
Etwas Ersehnteres als dies konnte nicht zu den Ohren des Jünglings kommen; er nahm also die Einladung an, und da schon alles vorbereitet war, setzten sie sich zu Tische und unterhielten sich über dies und jenes; aber alle Worte des Jünglings hatten zum Ziel, zu zeigen, wie sehr er wünschte, die Wirkung der Liebenswürdigkeit zu sehen, die ihm Bice erwies. Als das Abendessen beendet war und sie sich mit einem Brettspiel beschäftigten, verweilten sie so lange dabei, daß ein großer Teil des Abends verging. Jetzt begann ein sehr feiner und dichter Regen vom Himmel zu fallen, und die Luft wurde so trübe und dunkel, daß es ein Wunder war. Daher sagte Panfilo, in Anbetracht der späten Stunde würde er nicht länger zögern, nach Hause zu gehen; aber die Finsternis zusammen mit einem so starken Regen jage ihm Schrecken ein, und deswegen bäte er sie, ihn freundlichst diese Nacht beherbergen zu wollen.
»Sowohl diese Nacht als auch andere Nächte«, erwiderte Bice, »werdet Ihr immer bei mir sein, wenn es Euch gefallen wird, hier zu sein. Und ich möchte, wenn es Euch so Vergnügen macht, daß heute Nacht zwischen uns eine ewigdauernde, treue Liebe begründet wird.«
»Wer sollte solche Schönheit und solche Liebenswürdigkeit nicht lieben?« erwiderte Panfilo; und während er dies sprach, legte er einen Arm um ihren Hals, gab ihr einen sehr zärtlichen Kuß und fuhr fort: »So soll es sein, wie Ihr gesagt habt, mein süßes Leben!«
Sich so ihre Liebe zeigend, zogen sie sich aus, gingen ins Bett und fanden aneinander ein unglaubliches Vergnügen.
Von dieser Zeit an hielt Bice ihn immer für ihren teuersten Geliebten, und sie verabschiedete nicht nur alle anderen Liebhaber, sondern begann auch, was sie von ihnen allen bekommen hatte, im Dienste Panfilos freigebig auszugeben. Und da sie viel Geld ausgab, von Panfilo aber entweder wenig oder gar nichts bekam, fing das Geld ihr bald zu fehlen an. Da erkannte sie ihren Irrtum, und weil sie deswegen den Jüngling nicht verlassen wollte, sah sie ein, daß zu ihrer beider Lebensunterhalt etwas anderes als die Anmut und die Schönheit des Geliebten nötig wäre. Und obwohl andere, und zwar auch junge und anmutige Männer da waren, die sie bestürmten, wollte sie trotzdem niemanden dem Panfilo vorziehen, geschweige denn zum Liebhaber nehmen, sowohl weil sie ihn sehr liebte, als auch, weil er in solcher Weise Herr über sie geworden war, daß er ihr oft gesagt hatte, wenn er sie jemals mit einem anderen Manne zusammenträfe, würde er sie beide ohne Rücksicht auf die Welt in Stücke hauen. Und da sie wußte, daß er von Natur tapfer war und dazu stolz, wenn er in Zorn geriet, so fürchtete sie sehr, daß er so tun würde, wie er ihr gesagt hatte.
In Bice hatte sich ein Richter aus der Stadt verliebt, ein schon älterer, aber reicher Mann. Obwohl er eine Frau hatte, war er dermaßen von Leidenschaft für Bice ergriffen, daß er fast den Verstand darüber verlor. Schon hatte er heimlich durch verschiedene Geschenke, die von nicht geringem Werte waren, sie für sich zu gewinnen gesucht. Wie er sie nun aufforderte, mit ihm zusammenzusein, sagte sie, sie könne nicht, denn sie hätte große Furcht vor Panfilo, der sie töten würde, sobald er es erführe; wenn es aber zufällig geschehen sollte, daß er nach außerhalb ginge, würde sie ihm gegenüber mit ihrer Person nicht knauserig sein. Damit hielt sie den Herrn Richter hin und vertröstete ihn mit leeren Versprechungen, während sie nichtsdestoweniger von ihm oft etwas anderes als Nichtigkeiten entgegennahm.
In dieser Zeit ergab sich für Panfilo die Notwendigkeit, nach Neapel zu reisen, wo er nach seiner Angabe zwei oder drei Monate bleiben mußte. Aber bevor er abreiste, bat er Bice, ihm ihre Gunst zu bewahren und ihm bis zu seiner Rückkehr die Treue zu halten, damit sie ihm durch eine andere Handlungsweise nicht etwa Grund gäbe, etwas zu tun, was er sehr ungern tun würde. Nachdem sie ihm versprochen und geschworen hatte, so zu handeln, ging der Jüngling fort; aber er hatte Palestrina noch kaum verlassen, so waren tausend junge Männer hinter ihr her, und selbstverständlich fehlte der Richter dabei auch nicht, als er sah, daß durch Panfilos Abreise die Ausrede hinfällig geworden war, mit der Bice sich ihm bisher versagt hatte.
Bice wollte sich nun keinem jungen Manne ergeben, weil sie wußte, daß die Jugend nicht schweigen kann, traf vielmehr ihre Anstalten, diesen guten Richter sich ihrer erfreuen zu lassen, wobei sie seine Börse, die er immer voll Geld zu ihr hinbrachte, viel mehr liebte als ihn selbst; außerdem war sie sicher, da er eine Frau hatte, schon in gesetzterem Alter war, und im Hinblick auf die Würde seines Amtes würde er in solcher Heimlichkeit zu ihr kommen, daß nur er und sie es wissen würden.
Panfilo blieb zwei Monate in Neapel, und in dieser ganzen Zeit erfreute sich der Richter der Bice, wenn es ihm gerade paßte; dabei erklärte er dann seiner Frau, er müsse wegen amtlicher Geschäfte nach außerhalb gehen. Panfilo wußte, daß solche Frauen die Männer nur so lange lieben, wie sie in ihrer Gegenwart sind, und daß sie in ihren Liebesverhältnissen noch viel wandelbarer sind als das Laub; daher weilte er in Neapel unter großen Anwandlungen von Eifersucht, und er dachte beständig an seine Geliebte. Deshalb aufs heftigste beunruhigt, kehrte er unvermutet zu Bice zurück, und als er in ihre Straße gekommen war, gab er nach seiner Gewohnheit durch einen Pfiff Bice ein Zeichen, sie sollte ihm aufmachen.
Zufällig war an diesem Morgen der Richter bei ihr, und sobald sie den Liebhaber auf der Straße hörte, verlor sie völlig ihre Fassung. Als das der Richter sah, fragte er sie: »Was hast du denn, daß du so betreten bist?«
»Mein Herr«, antwortete sie ihm, »Panfilo ist gekommen, denn seinen Pfiff haben wir eben gehört, und wenn er uns hier beisammen findet, wird er uns beide töten: denn so wild ist er, und so groß wird sein Zorn sein, wenn er mich mit Euch zusammen findet.«
»Warum jagst du ihn denn nicht von dir weg?« erwiderte der Richter, »und läßt ihn sich zum Henker scheren? Bist du nicht Herrin über dich?«
»Nein«, war ihre Antwort, »ich bin es nicht, denn ich habe mich ihm zu eigen gegeben; und wenn es auch nicht so wäre, würde ich's doch nicht tun: denn ich bin überzeugt, er würde mich töten, sobald ich ihm begegnete. Und deswegen, mein Herr, ist es nötig, dafür zu sorgen, daß er Euch nicht hier findet; denn würde er Euch hier finden, so wären wir beide Kinder des Todes. Ich fürchte sehr, er möchte etwas gehört haben, da er so unvermutet angekommen ist.«
Während Bice so sprach, klopfte Panfilo stürmisch an die Tür und rief mit lauter Stimme: »Warum zögerst du aufzumachen? Willst du, daß ich die Tür einschlage?«
Ganz zitternd bemühte Bice sich, den Richter zu verstecken; und er, der schon in Furcht versetzt war, wußte nicht, was er tun sollte, und sprach: »Wo soll ich mich verstecken? Dein Haus ist doch so klein, daß ein einziger Blick es vollständig durchdringt!«
Während beide von Furcht erfüllt waren, klopfte Panfilo von neuem; infolgedessen steigerte sich beider Furcht, und Bice versteckte den Herrn Richter mit allen seinen Sachen in einem Kasten, den sie im Hause hatte, und der einem ihrer Nachbarn gehörte, der ihn bei ihr in Sicherheit gebracht hatte, weil er fürchtete, die Beamten des Richters würden ihn ihm wegen eines gegen ihn erlassenen richterlichen Urteils wegnehmen. Hier hinein steckte ihn Bice, und dann schloß sie den Kasten zu, damit Panfilo ihn nicht öffnen und darin den versteckten Herrn finden könnte.
Hierauf ging sie im Hemd und öffnete Panfilo. Sehr ärgerlich fragte er sie: »Was soll das bedeuten, daß du mich so lange warten läßt?«
Sie antwortete ihm sehr schnell: »Ich wußte nicht mehr, wohin ich gestern abend den Türschlüssel gelegt habe, und ich habe so viel Zeit gebraucht, ihn wiederzufinden, daß ich Euch, mein Herr, fast zornig gemacht habe.« Dabei küßte sie ihn und schlang ihre Arme um seinen Hals und fuhr fort: »Seid willkommen! Ich schwöre Euch, daß mir kurz vor Eurem ersten Pfeifen geträumt hat, Ihr wäret gekommen, und ich danke Gott vielmals, daß mein Traum kein Traum gewesen ist, sondern Wirklichkeit.«
Bei ihren warmen Liebkosungen beruhigte sich der Jüngling. Da fiel sein Blick auf den Kasten, und er fragte: »Was ist denn das für ein großes Ding, das du da hast? Als ich wegreiste, hattest du es doch noch nicht.«
»Mein Nachbar«, erwiderte sie, »hat es dahin gestellt, weil er fürchtet, es könnte ihm vom Gericht weggenommen werden.«
»Gib mir doch mal den Schlüssel«, fuhr Panfilo fort, »denn ich möchte gern, daß wir mal nachsehen, was darinnen ist.«
Man kann sich vorstellen, in welcher Gemütsverfassung der Richter war, als er Panfilo so reden hörte: er war zweifellos halbtot! Aber Bice machte ein freundliches Gesicht: »Glaubt Ihr wirklich, ich hätte den Schlüssel genommen? Wahrhaftig, den Schlüssel habe ich nicht genommen, weil ich mich selbst viel zu lieb habe: denn es wäre mir sehr unangenehm gewesen, wenn nachher der Nachbar Gelegenheit hätte zu sagen, ich hätte ihm etwas entwendet, und wenn ich dadurch Scherereien hätte; ich hätte den Schlüssel auch nicht nehmen wollen, selbst wenn er ihn mir hätte geben wollen!« »Das war recht von dir«, sagte Panfilo, und lachend ging er mit seiner Bice nach oben.
Aber Fortuna war noch nicht mit dem Streich zufrieden, den sie diesem unglückseligen Richter gespielt hatte, sondern bereitete ihm ein noch viel seltsameres Geschick. Am Tage vorher hatte der Richter gegen den Nachbarn, dessen Kasten in Bices Haus stand, die Vollstreckung des von ihm schon gefällten Urteils angeordnet. Aus diesem Grunde waren die Vollstreckungsbeamten in das Haus des Nachbarn gegangen; da sie dort aber nichts gefunden hatten, weil er sein Haus schon geräumt und seine Sachen an verschiedenen Orten untergestellt hatte, kehrten sie sehr unzufrieden wieder um; da trafen sie den Gläubiger, und der sagte zu ihnen: »Was soll das bedeuten, daß ihr ohne Pfandstück kommt?«
»Wir haben«, erwiderten sie, »im Hause nichts anderes gefunden als die kahlen Wände.«
Darüber war der Gläubiger sehr betrübt, und auch er ging seines Weges. Aber da sprach ihn ein niederträchtiges Weib aus der Nachbarschaft an, die den Schuldner nicht leiden konnte und den Kasten in Bices Haus hatte tragen sehen: »Was wollt Ihr mir geben, guter Mann, wenn ich Euch zeige, wohin er einen Teil seiner Sachen hat bringen lassen?«
»Das, was sich gebührt«, erwiderte der Gläubiger.
Worauf sie sagte: »Gebt mir zwei Giuli, dann werde ich Euch Bescheid sagen.«
Er steckte seine Hand in seinen Geldbeutel und gab sie ihr, worauf sie sprach: »Er hat hier in Bices Haus einen sehr großen Kasten geschafft, in dem meiner Meinung nach viele Sachen sind«, und er ging in das Haus, und die Vollstreckungsbeamten, als sie das gehört hatten, ebenfalls, um nicht vergeblich den Weg gemacht zu haben.
Sie fanden die Tür offen, und auf der Schwelle stand bereits Panfilo, der sich aus Bices Armen losgemacht hatte und gerade das Haus verlassen wollte. Da sagten sie zu ihm: »Guter Mann, wir haben Auftrag von dem Herrn Richter, diesen Kasten zu nehmen, der diesem Mann hier – dabei zeigten sie auf den Gläubiger – an Zahlungsstatt zugesprochen worden ist, und sollen ihn nach dem Gerichtsgebäude bringen; deswegen erlaubt uns freundlichst, ihn von hier abzuholen!«
Der Jüngling, der schon von Bice gehört hatte, wie die Sache sich verhielt, sagte zu ihnen: »Nehmt ihn!« Aber sie, die sehr wohl wußte, wer darin steckte, stieg die Treppe hinunter, widersetzte sich ihnen und sagte, sie wollte nicht, daß die Sachen, die in ihrem Hause wären, weggenommen würden, und sie glaube nicht, daß der Richter es so angeordnet habe, und bevor sie den Kasten fortschafften, wolle sie erst Klarheit darüber haben, ob das sein Wille sei. Und schon hatte sie sich auf den Kasten gesetzt, um ihn nicht wegtragen zu lassen; denn sie war überzeugt, wenn der Kasten ins Gerichtsgebäude geschafft und dort geöffnet werden würde, dann würde ewige Schande über den Richter und Gefahr des Todes über sie selbst kommen.
Der Herr Richter, der alles mit angehört hatte, bat im stillen Gott, daß Bice es fertig bekäme, diejenigen, die die Vollstrecker seines eigenen Urteils waren, fortzuschicken. Aber wie Bice sich weigerte, ihnen den Kasten herauszugeben, und jene darauf bestanden, ihn zu bekommen, wurde Panfilo halb zornig und sprach zu Bice: »Warum machst du denn solchen Lärm, daß die Nachbarn zusammenlaufen? Laß doch dem Recht seinen Lauf!« Und sich zu den Beamten wendend, fuhr er fort: »Nehmt ihn und tragt ihn dahin, wohin ihr den Auftrag habt ihn zu tragen!«
Ich weiß nicht, ob es einen unter den Menschen gibt, der den Mut hätte, zu schildern, in welcher Gemütsverfassung der Richter war, der tief beunruhigt war bei der Vorstellung der Schande, die ihm bevorstand, wenn er in das Gerichtsgebäude geschafft und dort öffentlich entdeckt werden würde, und weiter durch die Furcht vor dem Tode, da er ja überzeugt war, sobald Panfilo den Sachverhalt erfahren würde, würde er ihn töten müssen. Aber wie glaubt ihr wohl, meine Damen, war der Bice zumute, die sich mit vollster Gewißheit sagen konnte, daß ihr Vergehen von Panfilo entdeckt werden und sie, sobald er es erfahren hätte, von ihm getötet werden würde? Ihr könnt überzeugt sein, das Messer schien ihr schon an der Kehle zu sitzen, und sie hätte gern Flügel haben wollen, um in eine weit entfernte Gegend fliegen zu können.
Während er und sie also in größter Furcht schwebten, ließen die Vollstreckungsbeamten vier Lastträger den Kasten auf ihre Schultern nehmen, und da sie merkten, daß er sehr schwer war, dachten sie, es wären sehr wertvolle Sachen darin, und in dieser Hoffnung trugen sie ihn zum Gerichtsgebäude. Hier warteten sie auf die Ankunft des Richters, um zu erfahren, was sie zur Befriedigung der Vollstreckungsbeamten und des Gläubigers tun sollten. Da aber der Richter nicht erschien und die Stunde der Gerichtssitzung schon vorüber war, wollte der Gläubiger, man sollte den Kasten öffnen und von der Hand des Notars der Bank das Verzeichnis der Sachen aufstellen, die sich darin befanden. Als das der Herr Richter hörte, wurde er von solch fürchterlicher Angst ergriffen, daß er fast daran gestorben wäre. Wie sie aber den Kasten aufmachen wollten, fiel ihnen ein, daß sie ja den Schlüssel nicht bekommen hatten; sie gingen also zu Bice, um den Schlüssel zu holen, fanden aber, daß sie mit Panfilo aufs Land gegangen war.
Als das der Gläubiger hörte, wollte er, daß der Kasten, zur größeren Sicherheit der Sachen, in das Zimmer des Richters gestellt und seiner Frau in Obhut gegeben würde. Diese nahm ihn gern an, und wie der Gläubiger fragte, was denn mit dem Richter los wäre, daß er nicht erschienen sei, sagte sie, er wäre wegen einiger Streitfälle nach außerhalb aufs Land gegangen. Der Kasten wurde in das Zimmer gestellt, die Frau schloß sorgfältig alle Türen und ging in ein anderes Zimmer, um Mittag zu essen, und nachdem sie gegessen hatte, besuchte sie einige Klosterschwestern, darunter ihre eigene Schwester, und dort blieb sie bis zum Abend. Der eingeschlossene Herr Richter unterließ nichts, um zu versuchen, ob er durch ein glückliches Geschick das Schloß öffnen könnte: bald versuchte er mit den Schultern den Deckel zu heben, bald drückte er mit den Füßen und den Händen nach dieser oder nach jener Seitenwand, indem er versuchte, ob es ihm möglich wäre, den Kasten irgendwie aufzubekommen und seiner Frau das Vorgefallene zu verheimlichen; denn wenn er aus dem Kasten herausgekommen wäre, wäre er, da er den Zimmerschlüssel bei sich hatte, hinausgegangen und hätte so getan, als ob er gerade vom Lande zurückgekehrt wäre. Aber mit all seinen Versuchen konnte er das nicht erreichen, was er wünschte. Daher mußte er warten, bis seine Frau sich zu Bett legte, denn sie schlief in diesem Zimmer. Und obwohl er sich dachte, daß es darum großen Lärm geben würde, dankte er doch Gott, daß er, wenn er nach so vielen Gefahren mit Schande bedeckt dastände, nur seiner Frau das Geheimnis zu enthüllen brauchte, und er vertraute darauf, ihre Klugheit würde so groß sein, daß sie das Geheimnis für sich behielte.
Als die Frau – es war schon Abend – von den Klosterschwestern heimkehrte, aß sie Abendbrot, und danach ging sie gleich in das Zimmer, wo der Kasten stand, um zu Bett zu gehen. Wie sie aber in dem Zimmer stand und sich schon das Hemd ausgezogen hatte, um ins Bett zu gehen, wurde sie von weiblichem Verlangen ergriffen, zu sehen, was in dem Kasten war, und indem sie verschiedene ihrer Schlüssel ausprobierte, fand sie schließlich einen, mit dem sie den Kasten öffnen konnte.
Von Kummer, Anstrengung und Ärger überwältigt, war der Richter in dem Kasten eingeschlafen; wie die Frau den Deckel hochhob, wachte er auf und bewegte sich heftig. Da wurde die Frau von solcher Furcht ergriffen, daß die Arme ohnmächtig wurde, ohne auch nur das kleinste Wort herausbringen zu können, und wie tot auf die Erde fiel.
Wie der Richter seine Frau in solchem Zustande sah, stieg er aus dem Kasten, zog sich an und nahm sie in den Arm; da er sie aber ohne jede Bewegung und ganz kalt fand, hielt er sie für tot und begann bitter zu klagen. Er berührte die Frau bald hier, bald da und kam mit der Hand auch an ihr Herz, fühlte es aber doch noch etwas schlagen und schüttelte und rieb sie so lange, bis er ihr die Lebensgeister zu ihrem Dienste zusammen mit der Seele wieder zurückrief.
Als die Frau wieder zu sich gekommen war und sich in den Armen ihres Mannes sah, erkannte sie sofort, daß er derjenige war, der im Kasten eingeschlossen gewesen war, und nachdem sie noch ein bißchen zwischen Furcht und Verwunderung schwebte, fiel ihr ein, daß eine Nachbarin ihr gesagt hatte, daß er Besuche bei Bice machte; und obwohl sie es zuerst nicht hatte glauben wollen, hatte sie nun ja von den Beamten gehört, daß der Kasten aus Bices Haus abgeholt worden war, und daher war sie überzeugt, daß es sich so verhielt, wie die Nachbarin ihr gesagt hatte. Sie wandte sich also zu ihm und sprach: »Was hat Euch denn veranlaßt, hier hineinzusteigen, mein Herr? Ich Unglückliche! Bice ist es gewesen, die Euch schließlich in solche Schande gebracht hat? Wenn man erfahren wird, was Euch begegnet ist, werdet Ihr der am meisten mit Schande bedeckte Mensch sein, der je geboren wurde. Ihr alter Mann, ein Gebildeter, ein Richter, und dazu verheiratet, Ihr habt Euch von einer Buhldirne so weit bringen lassen? Ach, hätte es doch dem Himmel gefallen, daß ich beim Aufmachen des Kastens nicht bloß ohnmächtig wurde, sondern ganz gestorben wäre, damit ich nicht gesehen hätte, ich will nicht sagen, wie wenig Ihr mich liebt, sondern diese Eure unendliche Schande, die mir mehr wehtut, als mir der Tod wehgetan hätte.«
Der Herr Richter sah ein, daß er unrecht hatte, hörte geduldig an, was seine Frau zu ihm sagte, und suchte ihr eine Geschichte vorzureden, daß nicht Liebe ihn zu Bice gebracht hätte, sondern ein unvorhergesehener Zufall hätte ihn in ihr Haus gehen lassen, und schließlich hätte er in diesen Kasten hineinsteigen müssen, um sein Leben zu retten. Aber obwohl er seine Geschichte gut angelegt und sie sogar den Anschein der Wahrheit hatte, glaubte die Frau sie doch keineswegs und sagte zu ihm: »Das könnt Ihr Kindern weismachen, aber mir könnt Ihr das niemals einreden! Glaubt Ihr denn, daß ich nicht oft gemerkt habe, wie Ihr mit einer Börse voller Geld das Haus verlassen habt, aber mit leerem Beutel zurückgekehrt seid? Und wenn Ihr mir erzählt habt, Ihr hättet Zahlungen zu leisten gehabt, glaubt Ihr, daß ich jetzt nicht sehe, daß Euer Gläubiger die Buhldirne war, die Euch das Fell über die Ohren gezogen hat? Aber da ich, trotz so vieler Kränkungen, die Ihr mir erwiesen habt, doch nicht umhin kann, Euch zu lieben, will ich, daß meine Güte Eure geringe Treue übertreffe! Deshalb hört auf, mir Märchen zu erzählen, die Euch nicht einmal die Dummköpfe glauben würden, und sorgt bitte lieber dafür, in Zukunft ein anderer Mann zu sein, als Ihr bisher gewesen seid! Wenn Ihr das nicht tut, jetzt, wo ich Euch verzeihe, was geschehen ist, und Gott danke, daß er mir durch seine Güte Euch am Leben und frei von Schande bewahrt hat, so schwöre ich Euch beim Kreuze Gottes, wenn Ihr mich noch ein einziges Mal wegen einer anderen Frau vernachlässigt, werde ich Eure Schlechtigkeit jedermann offenbaren und werde in das Haus meiner Verwandten gehen, denn lieber lebe ich allein, als mit Euch in solchen Sorgen.«
Der Herr Richter war sehr zufrieden, so große Güte bei seiner Frau zu sehen, drückte sie an die Brust und sagte: »Ich möchte, liebe Frau, daß du mir glaubst, daß das wahr ist, was ich dir gesagt habe; lassen wir die Klagen, und leben wir in Zukunft einträchtig zusammen! Und ich verspreche dir – und ich werde es dir halten –, zu dir immer so treu und liebevoll zu sein, daß du keinen Grund haben wirst, dich über mich zu beklagen.«
»Ich möchte nicht, lieber Mann«, erwiderte sie, »daß jemals etwas, was Euch gefällt, mir nicht gefällt, und ich will Euch alles glauben, was Ihr möchtet, daß ich es glaube. Ich bitte Euch herzlich, so zu mir zu sein, wie Ihr mir jetzt versprecht; denn auf diese Weise werden wir uns des Friedens erfreuen, den Gott zwischen Mann und Frau eingesetzt hat.«
Nachdem sie sich so miteinander versöhnt hatten, gingen sie einträchtiglich zu Bett und schlossen Frieden unter liebevollen Umarmungen. Dann standen sie am Morgen zeitig auf. Damit der Kasten sein richtiges Gewicht hätte und es kein Grund zu Lärm wäre, wenn man ihn zu leicht gefunden hätte, holten sie aus der Küche einen Sack mit Sand, der eigentlich zum Putzen des Zinngeschirrs und zur Reinigung des anderen Geschirrs bestimmt war, und legten ihn in den Kasten, und die Frau verschloß ihn mit dem Schlüssel, mit dem sie ihn aufgemacht hatte.
Der Herr Richter verließ in aller Stille das Zimmer, bevor jemand von dem Gesinde aufstand, ging die Treppe hinunter und klopfte an die Tür, wie wenn er von draußen käme. Als die Stunde der Gerichtssitzung gekommen war, begab er sich auf seinen Richterstuhl. Der Gläubiger ließ den Kasten vor den Richter schleppen, und nachdem er einen Schlosser rufen ließ, ließ er ihn öffnen. Während er glaubte, viele Sachen darin zu finden, fand er den Sand, der an Stelle des Richters hineingelegt worden war, und war infolgedessen sehr betrübt. So ließ er nur den Kasten verkaufen und nahm, was er dafür bekommen konnte.
Diese Geschichte wurde erst nach dem Tode des Richters bekannt; denn Bice wagte es nicht, davon zu sprechen, aus Furcht vor Panfilo, und die Frau hielt die Ehre ihres Mannes höher als das eigene Leben.
Später erst, als die gute Frau durch ihr Beispiel eine Verwandte trösten wollte, die sich bitter darüber beklagte, daß ihr Mann sich um andere Frauen kümmere, erzählte sie ihr diese Geschichte und tröstete sie damit, sie sollte diese Dinge nicht tragisch nehmen. Und von dieser verbreitete sich später die Geschichte über das ganze Land, so, wie ich sie euch erzählt habe.