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Italienische Novellen. Dritter Band
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Giovanni Bottari

1689 – 1775

Der Mönch von Maronia

Zur Zeit des heiligen Hieronymus, des größten Lehrers der heiligen Kirche, lebte, wie dieser selbst erzählt, in Maronia, einem Dorfe nicht weit von Antiochia, ein braver Mann von dem Ertrage eines kleinen Landgütchens, das er selbst bestellte, und dieser hatte von seinem Weibe nur einen einzigen wohlgearteten Sohn namens Malco, weshalb denn seine Eltern ihn übermäßig lieb hatten. Da sie nun erkannten, daß er in dem passenden Alter stand, gedachten sie ihm ein Weib zu geben. Sie nahmen den Jüngling zu sich, und der Vater begann liebevoll also zu ihm zu reden: »Mein Sohn, du bist nunmehr, wie du siehst, ziemlich groß geworden und hast keine Brüder und Schwestern; wir aber stehen unserem Alter nahe, und ich selbst trete gar schon in mein siebzigstes Lebensjahr, während du im Gegenteil nun im Alter bist, wo man ein Weib nehmen darf. Wir möchten daher, daß du durchaus zum Trost unseres schwachwerdenden Alters und zur Freude für das deinige dich dazu entschlössest; darüber wirst du, und wir mit dir, glücklich sein: du kannst frei in der Gnade Gottes leben und hoffentlich Kinder bekommen, als Unterpfänder und Trost dieses elenden Lebens, und sofort dein Hauswesen ordentlich im Stande erhalten. Wenn du aber deine Heirat erst auf vorgerücktere Jahre verschöbest, so könnte es dir schon schwerer werden, wie du selbst aus vielen Gründen und Beispielen leicht erkennen kannst.« Malco hatte mit Aufmerksamkeit angehört, was der Vater zu ihm so freundlich gesprochen, und nach einigen Worten der Achtung und Ehrerbietung erwiderte er kurz und bündig, er möge solche Wünsche nicht befriedigen, denn er habe ganz und gar angelobt, der Welt zu entsagen und dem Dienste Gottes sich zu widmen. Die Eltern wurden über diese Worte schwer betrübt und stellten zu wiederholten Malen ihrem Sohne vor, wie er durch seine Beharrlichkeit in diesem Entschlüsse seinen Stamm aussterben lasse, dessen Erhaltung jedem Menschen erfreulich bleibe, er sei, wer er wolle, und wie er ihrem Besitztum einen rechtmäßigen Erben entziehe. Sie mochten ihn aber mit diesen und ähnlichen Gründen so liebreich bitten und bestürmen, wie sie wollten, – er widerstand unerschütterlich, und sie konnten keine andere Antwort aus ihm herausbringen, als, er habe sich entschlossen, nur auf das Heil seiner Seele fernerhin bedacht zu sein und sich nicht um das Irdische zu kümmern. Dabei hatte es aber noch nicht sein Bewenden; vielmehr erneuerten sich ähnliche Gespräche fast jeden Tag, und die Eltern wurden nicht müde, ihn mit Bitten zu bestürmen. Und da sie am Ende sahen, daß die Bitten nichts halfen, schritten sie zu Drohungen, so daß Malco, des fortwährenden Andringens überdrüssig, um sich dieser Pein zu entziehen und sein frommes Vorhaben um so leichter vollständig ausführen zu können, entfloh. Nach Osten konnte er nicht gehen wegen der Nähe Persiens, wo die römischen Heere wegen der großen Feindschaft und des fortwährenden hartnäckigen Krieges zwischen den beiden Völkern immer auf ihrer Hut waren; er schlich daher heimlich ganz allein nach der Wüste von Chalcis zu, erreichte nach einigen Tagen nicht ohne große Beschwerden jene Einöden und fand daselbst ein von Frömmigkeit und Mönchen erfülltes Kloster, dessen Regel er sich mit Herzensfreudigkeit unterwarf.

Als er nun Mönch geworden war, kasteite er mit Fasten und Wachen die Kraft und Frische seiner Jugend und die fleischlichen Lüste angelegentlich und verdiente sich Tag für Tag durch seiner Hände Arbeit die spärlichen Bedürfnisse seines Lebens. Als er aber nach einigen Jahren, ich weiß nicht woher, von ungefähr den Tod seines Vaters erfuhr, ergriff ihn die Sehnsucht, selbst zu seiner verlassenen Mutter zu gehen, um sie in ihrem Witwenstande zu trösten. Er hatte nebenbei die Absicht, das ihm zugefallene Landgütchen und sein übriges Erbe an sich zu ziehen, alle seine Habe zu Geld zu machen und teils den Armen des Herrn, teils dem Kloster zu schenken, teils, dachte er im stillen, in Gewahrsam zu behalten, um damit nach seinem anderweitigen Gutdünken zu tun. Er ging zu seinem Abte, um nach Pflicht und Gewissen von ihm die Erlaubnis zu seiner Reise zu erbitten und sich bei ihm zu verabschieden. Der fromme Abt, durch Alter, Verstand und Erfahrung ergraut, machte aber einen großen Aufstand, indem er zu ihm sagte, das sei eine Versuchung des Teufels, und unter der Hülle einer anständigen Sache des frommen Erbarmens seien die Listen und Tücke unseres alten bösen Feindes verstellt; auf solche Weise seien viele kluge, rechtschaffene Menschen und gar manche Mönche hintergangen worden. Er suchte ihm dies durch viele Geschichten und Beispiele zu veranschaulichen und gab sich eine vergebliche Mühe, ihn von dem beharrlich festgehaltenen Gedanken abzuziehen; denn weder diese noch ähnliche abredende Worte, die vielleicht der Heilige Geist selbst dem braven Manne auf die Zunge legte, erschütterten Malco. Da nun der Abt am Ende sah, daß Vernunftgründe und Vorstellungen nichts über den Jüngling vermochten, warf er sich vor ihm nieder und beschwor ihn, seine Kniee fest umklammernd, bei dem einzigen Gott, ihn und das Kloster nicht zu verlassen, das ihn so liebreich aufgenommen und so sorgsam erzogen habe, und nicht Leib und Seele der Gefahr eines fast sicheren Verderbens auszusetzen; denn der Weg von Boria nach Edessa, den er fast notwendig einschlagen müsse, sei noch unlängst durch einige Scharen von Sarazenen unsicher gemacht worden, die durch ihre beständigen Räubereien jene Gegenden verwüstet haben. Er führte ihm auch das heilige Wort des Evangeliums an: »Wer seine Hand an den Pflug leget und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes.« Er bedeutete ihm, wie sein Tun am Ende weiter nichts sei, als daß er sich dem Hunde gleichstelle, der immer zurückkehrt, um seinen eigenen Auswurf zu besehen, oder auch dem verirrten, verlassenen Schafe, das freiwillig in den Rachen des Wolfes läuft.

Trotz alledem beharrte Malco in seinem übel beratenen Entschlüsse fester und heftiger als je und wollte fort, wiewohl der fromme Abt ihn vor das Kloster hinaus begleitete, wie die menschliche Gerechtigkeit den zum Tode Verurteilten zu tun pflegt, und ihn noch immer durch diese und jene Vorstellungen zurückzuhalten versuchte. Der Mönch ging also fort und schloß sich aus Furcht vor den Räubern vielen andern an, die denselben Weg machen wollten, um sich gegenseitig Schutz zu gewähren, wenn sie zu ihrem Unheil von der drohenden Gefahr überfallen würden. Die Karawane bestand aus etwa siebzig Männern und Frauen jedes Standes und Alters, hatte aber kaum eine Tagereise zurückgelegt, als wirklich eine Schar solcher Ismaeliten, die in großer Zahl im Hinterhalt lag, sie plötzlich und unerwartet überfiel und unter wildem Todesgeschrei und mit gezückten Schwertern überfiel und zerstreute; umsonst suchten sie sich da- und dorthin durch die Flucht zu retten, doch entging keines der Gefangenschaft. Man versammelte sich zur Teilung der Beute; Malco und ein junges Weib fielen durchs Los einem und demselben Herrn zu, der beide auf Kamele steigen ließ und nach einem langen und beschwerlichen Wege über einen großen Fluß hinüber mit Anstrengung und Unbequemlichkeit in eine tiefe Einöde führte, wo dem Mönche die Obhut einer Herde anvertraut wurde. Er mußte darum fern von aller menschlichen Gemeinschaft allein und auf dem Lande leben und war vollkommen zufrieden, da er auf diese Weise die Bestimmung des Mönchslebens besser als im Kloster zu erfüllen glaubte, da ja Mönch eigentlich dem Wortlaute nach ein Einsiedler sein müsse. Er erwog überdies in seinen Gedanken, daß die heiligen Patriarchen des Alten Testaments, wie er oftmals in seinem Kloster erzählen gehört und selbst gelesen hatte, an ein solches Leben lange Zeit gewöhnt gewesen waren. Er dachte gerne daran, und in Rücksicht auf seine vorher ausgestandenen Gefahren söhnte er sich mit seinem dermaligen Zustande aus. Ganz getröstet und beruhigten Gemütes dankte er Gott, indem er die Psalmen, die er auswendig wußte, zu seiner Erbauung absang.

Während er dieses ruhige Leben führte, war aber das Schicksal gleichsam noch nicht befriedigt mit der über ihn ergangenen Trübsal und bereitete ihm neue zu. Einsam und in der Verborgenheit floß ihm sein stilles Leben hin, fast kein Mensch auf der weiten Welt kümmerte sich um ihn, und dennoch konnte er sich den Blicken dieser Feindin der menschlichen Glückseligkeit nicht entziehen. Denn da sein Herr den treuen, redlichen Dienst sah, den ihm dieser sein Sklave widmete, als er wahrnahm, wie seine Herde und der Gewinn, den er daraus löste, täglich zunahm, ließ er ihn zugleich mit der Magd vor sich kommen und sagte zu ihm: »Malco, ich bin mit deinem Dienste so wohl zufrieden, daß es mein Herz gerührt hat und ich beschlossen habe, dir einen sichtbaren Beweis meines Wohlwollens zu geben, der, wenn du bisher schon eifrig für meinen Nutzen gesorgt haben magst, groß genug sein soll, dich in der Folge zu bestimmen, mir noch mehr ergeben zu sein. Es ist mir nämlich eingefallen, dir diese Christin zum Weibe zu geben, die mit dir zugleich gefangen wurde und durch das Los mir als Sklavin zufiel. Lebe mit ihr in Frieden und Wohlsein und genieße mit ihr die Freuden, die dir in deinem Unglück ein Trost werden können!«

Als der Mönch dies hörte, war er äußerst bestürzt und traurig; er antwortete aber entschlossen, er wolle nichts hören von Heirat, denn sein Gesetz verbiete ihm ein Weib zu nehmen, das gleich wie dieses bereits eines andern Mannes sei, der an demselben Tage mit ihr gefangen genommen, aber von einem andern Räuber anderswohin geschleppt worden sei. Vor Zorn und Wut knirschend, riß der rohe, unbändige Herr sein Messer aus dem Gürtel und wollte ihn töten; und er hätte es auch unfehlbar durchgeführt, wenn ihm nicht dasselbe Weib Schutz verliehen hätte, das er sich weigerte zur Ehe zu nehmen. Aber durch den plötzlichen Schrecken war er stumm geworden; und von den demütigen Tränen gerührt, nahm sein Herr durch Gottes Fügung dieses sein Schweigen und seine Furcht für eine stillschweigende Einwilligung in sein Begehren und stand ab.

Malco wurde also mit seiner neuen Verlobten in seine Grotte zurückgeschickt, wo er mit seiner Herde unterkam; die Nacht brach herein, und er legte sich in einem Winkel der Grotte so weit als möglich entfernt von der früher keineswegs gehaßten Frau nieder, die er nun aber mit nicht geringerem Unwillen betrachtete als sie ihn. Wie er nun in Gedanken seine vergangene, daheim in seinem Kloster verlebte Glückseligkeit mit der Härte seiner ihm nun erst recht fühlbar werdenden Knechtschaft verglich, durch die er sich gar gezwungen sehen sollte, seine bisher bewahrte Keuschheit zu verlieren, so überkam ihn plötzlich der verzweifelte Entschluß, ohne Barmherzigkeit sein Leben zu endigen. Er zog ein Messer hervor und sagte, indem er es auf sich gezückt hielt, zu dem Weibe: »Bleib du hier in Gottes Namen, unglückliches Weib! Ich scheide aus dieser Welt; denn ich will mich eher meines Lebens entledigen, als, um es zu erhalten, meine bisher bewahrte Keuschheit aufgeben.«

Die Frau hörte diese Worte und sah zugleich den Dolch durch die Dunkelheit der Höhle leuchten. Sie stürzte auf ihren Leidensgenossen zu, faßte ihm den Arm, hielt ihn fortwährend fest, warf sich ihm weinend zu Füßen und beschwor ihn liebreich bei allem, was ihr in den Sinn kommen wollte, sich zu beruhigen.

»O Malco«, sprach sie, »werde doch nicht an dir selbst zum Mörder und stürze nicht deine Seele auf demselben Wege ins Verderben, auf dem du sie törichterweise zu erretten meinst! Bringt dich der Wunsch, das Gelübde deiner Keuschheit zu halten, zu einem so grausamen Vorsatze, so wisse, daß auch ich mich lieber will in Stücke hauen lassen, als mich gegen das unbefleckte Gesetz Gottes vergehen; und wiewohl ich bis jetzt vollständig entschlossen war, meinem Gatten die eheliche Treue zu bewahren, so würde ich mich doch den ehelichen Umarmungen ferner ganz entziehen, wenn mein Mann zufällig zu mir zurückkäme. Ich werde daher deine und meine Sache in solches Geleise bringen, daß es gut geht und du dich vollständig beruhigen kannst; denn alle Unbill und alle Mißhelligkeiten von Seiten unseres Herrn werden verschwinden, sobald wir ihm gegenüber so tun, als seien wir ehelich verbunden, während wir weiter mit geschwisterlicher Liebe wie bisher miteinander leben.«

Und so geschah es auch ganz, wie die Frau geraten hatte. Das Paar wurde von Tag zu Tag seinem Herrn werter, der ihnen täglich größere Freiheit gewährte, ohne den leisesten Verdacht, daß sie nur daran denken zu entfliehen, da er sie ehelich verbunden glaubte. Nach einigen Jahren jedoch, als Malco in einem sehr ärmlichen Leben vieles erduldet hatte, stand er eines Tages ganz allein schwermütig in der Wüste, die weit und breit seine Augen nichts als den Himmel und die nackte Erde sehen ließ. In tiefem Nachdenken auf seinen Hirtenstab gelehnt, stand er bei seiner Herde, durchlief still bei sich alle die vielen und großen Unfälle, die ihm sein vergangenes Leben schon geboten hatte, und sein gegenwärtiges Elend und erinnerte sich der Gesellschaft der frommen Mönche, unter welchen er erzogen und großgeworden war. Überdies stellte sich seinen Augen das ehrwürdige Bild des Abtes vor, der ihn mit so erbarmender Liebe immer den Weg des Heils geleitet hatte und bei seinem Scheiden so herzinnig über ihn betrübt gewesen war. Indem er sich solcherlei Gedanken tiefer als je ergab, nahm er von ungefähr einen Haufen von Ameisen wahr, die auf und ab auf einem engen Pfade nach ihrer Gewohnheit in langer Reihe hin- und her liefen, eifrigst bemüht, ihre kleinen Geschäfte zu besorgen. Die eine faßte ein Stück fest im Munde und schleppte eines um das andere für ihre Nahrung Erforderliche hin; die andere trug die Erde aus ihren Höhlen und häufte es dann artig zum Schutze gegen eindringendes Wasser an; eine dritte benagte mit ihren Zähnchen die Spitzen der Samenkörner, damit sie, unter der Erde verwahrt, nicht im kommenden Winter keimten; eine vierte schaffte mit großer Mühe die Leichen ihrer Gefährten hinweg, ohne daß sie trotz der großen Menge einander bei diesen Beschäftigungen beschwerlich fielen; vielmehr wenn sie einige von der übermäßigen Last niedergedrückt sahen, stemmten sie die Schultern hilfreich unter und leisteten ihnen zweckmäßige Hilfe; und damit nicht alle diese Dinge einer Art und festen Regel zu entbehren schienen, wenn die Herausgehenden den Hereinkommenden begegneten, hielten sie etwas stille und beschnüffelten sich, als wollten sie gegenseitig ihre Absichten erforschen.

Die Betrachtung solcher Emsigkeit regte Malcos untätiges Gemüt mit einem Male auf; er fing an, seine Knechtschaft unleidlicher zu empfinden und sich nach dem alten Treiben des Klosters zurückzusehnen, dessen getreues Abbild er in diesem Ameisenhaufen zu finden meinte. Wie er nun in seine ländlichrohe Behausung zurückkehrte, trat ihm die Frau entgegen; sie bemerkte, daß er gegen seine Gewohnheit niedergeschlagen aussah, fragte ihn nach der Ursache, und er eröffnete ihr sogleich seine ganze Gesinnung. Als sie dies hörte, erbarmte sie sich über Malco; auch ihr wurde nun das harte, einsame Leben verleidet; sie tröstete ihn, so geschickt sie es zu machen wußte, ermunterte ihn dann mit vielen und eindringlichen Gründen und bat ihn, sobald ihm der Zeitpunkt geeignet scheine, mit ihr zu fliehen und sie beide dieser Erniedrigung und Gefahr zu entreißen. Nach langen Bitten ließ er sich bewegen, auf ihre Vorschläge und heißen Wünsche einzugehen. Er besann sich, und nach langem Nachdenken glaubte er den rechten Weg gefunden zu haben. Er wandte sich daher mit folgenden Worten an das Weib: »Beachte wohl, gute Frau, daß du geduldig Zeit und Gelegenheit erwarten mußt zur Ausführung unseres Vorhabens; und unterdessen, so lieb dir dein und mein Leben ist, hast du mir in dieser ganzen Sache und in allem, was ich dir jetzt sagen werde, zu vertrauen, und daß es sonst niemand hört! Ebenso mußt du unbedingt alle Furcht von dir werfen, damit du durch keine Unsicherheit oder Zweifel unsere Flucht hinderst oder zu unserem Verderben gar vereitelst.«

Er vertraute ihr dann das Geheimnis seines Planes an und traf die nötigen Vorkehrungen. Zuerst schlachtete er in seiner Herde zwei Böcke von ungewöhnlicher Größe, zog ihnen das Fell ab, machte daraus zwei Schläuche und bereitete das Fleisch dergestalt zu, daß es ihnen auf dem langen, öden Wege zur ausreichenden Nahrung sei. Er nahm dann den günstigen Augenblick wahr, und als die Nacht einbrach, flohen sie an das Ufer des nächsten Flusses. Nach langem und beschwerlichem Wege, als sie vielleicht zehn Meilen gewandert waren, erreichten sie dasselbe. Malco blies die beiden Schläuche auf, die er mitgebracht hatte, warf sie in den Fluß, setzte sich rittlings auf einen derselben und veranlaßte die Frau, sich auf dem andern ebenso einzurichten; dann überließ er sich mit ihr der Willkür der Wellen, die sie die Strömung entlang mit fortrissen. Sie strebten mit den Füßen, so gut sie konnten, das entgegengesetzte Ufer zu erreichen, aber an einer entfernten, tiefer gelegenen Stelle, damit, wenn sie ja von ihrem Herrn, wie sie sehr befürchten mußten, verfolgt würden, er nicht auch jenseits des Flusses ihren frisch getretenen Spuren nacheilen könne.

Während dieser unbequemen und gefahrvollen Schiffahrt büßten sie einen Teil ihrer Mundvorräte ein, und es blieb ihnen kaum so viel übrig, als im äußersten Falle bis zum dritten Tag ausreichend war. An dem ersehnten Ufer endlich angetrieben, verwendeten sie zwar die größte Eile auf ihre Flucht, sahen sich aber bei jedem Schritte um, aus Besorgnis, verfolgt zu werden, und setzten sowohl aus diesem Grunde als wegen der glühenden Sonne, die auf ihre Häupter brannte, und aus Furcht vor andern Räubern ihre fernere Reise nur bei Nachtzeit fort. Nach dem dritten Tage eines so beschwerlichen Weges, wo sie in großer Angst bei jedem Schritte sich rückwärts kehrten und die Augen forschend in die öde Ebene richteten, ersahen sie in der Ferne zwei Menschen, denen ihr eilender Schritt das Ansehen von Verfolgenden gab. Eine Unglück verkündende Ahnung zeigte ihnen sogleich das Bild ihres ihnen auf die Spur gekommenen Herrn und erhöhte die Beklemmung und den Schrecken ihrer Gemüter ins Unendliche. Der Gedanke der sie bedrohenden unvermeidlichen Todesgefahr nahm ihnen alle Besinnung und allen Mut, und sie wußten nicht mehr, wo sie waren, noch wo sie hinsollten. Erst als sie die mit einem Male verlorene Fassung allmählich wiedergewannen, suchten sie, wenn irgend möglich, noch Rettung für ihr Leben zu erringen. Sie sahen rechter Hand eine tiefe, finstere Höhle vor sich liegen und drangen in Hast und Eile hinein. Noch waren sie aber nicht weit darin vorgedrungen, als die erste Furcht von einer noch weit größeren überwunden und übertroffen wurde; sie bedachten nämlich, daß wildes Raubgetier und giftiges Gewürm vor der ungeheuren übermäßigen Hitze an solchen schattigen Plätzen Zuflucht zu suchen pflegt; sie ersahen daher links eine Grube und kauerten sich in derselben zusammen, auf weiteres Vordringen verzichtend.

Der Herr und ein Knecht (diese beiden waren die Verfolger, die sie von ferne sahen) eilten den in den Sand geprägten Fußstapfen nach, kamen zu dem Eingang der Höhle und stiegen von den Kamelen ab, auf welchen sie ritten. Der Herr schickte zuerst den Knecht hinein, um die Flüchtigen herauszutreiben, und blieb, das entblößte Schwert in der Hand, voll Ingrimms an der Öffnung der Höhle harrend stehen. Der Knecht ging hinein, und bei der Dunkelheit des Ortes und da er gerade aus dem vollen Sonnenlichte kam, wurde er, wie es zu gehen pflegt, halb geblendet, schritt tiefer und tiefer über die Verfolgten hinaus, ohne sie zu sehen, und schrie mit starker Stimme, so laut er konnte: »Kommt heraus, ihr niederträchtigen, verruchten Knechte, die ihr aufgeknüpft zu werden verdient! Euer Herr erwartet euch, um euch verdientermaßen für eure Flucht zu züchtigen.«

Die unterirdische Höhle widerhallte von diesem ungeheuren übermäßigen Gebrüll. Ehe sich aber der elende Knecht dessen versah, siehe, da kam eine entsetzliche, grausame Löwin auf ihn zu, warf ihn in einem Augenblicke zu Boden, faßte ihn so fest an der Kehle, daß er umsonst versuchte, schwach um Hilfe zu rufen, packte ihn fest mit Zähnen und Krallen und zog ihn ganz besudelt in seinem Blute mit ihrer großen Kraft in den tiefsten, hintersten Grund der Höhle. Der Herr erwartete seinen Diener geraume Zeit und wußte sich nicht zu sagen, was ein so langes Ausbleiben bedeute. Er vermutete, die zwei möchten vielleicht dem Wehrlosen widerstanden sein; er drang wütend in der Dunkelheit in die Höhle, schrie gleichfalls heftig, schmähte auf das überlange Zögern des Knechtes und rief den zwei Flüchtigen die größten Scheltworte zu, die man nur einem Schelmen sagen könnte. Er war aber noch nicht weit über die Grube hinausgedrungen, die Malco und das Weib barg, als dieselbe Löwin, die soeben den Diener zerfleischt hatte, wütender als je ihm entgegensprang, ihn an der Gurgel packte und ihn plötzlich erwürgte. Aus Furcht jedoch, in ihrem Lager entdeckt und gefährdet zu sein, faßte sie mit den Enden ihrer Klauen ihre Löwenbrut und trug sie, unbekümmert um die zerrissenen und zerschmetterten Leichname, aus der Höhle weg. Malco und seine Gefährtin hatten, selbst unbemerkt, alles mit angesehen, und mannigfaltige, sich widersprechende Gefühle bestürmten zu einer und derselben Zeit ihre Herzen. Erst erschreckte sie nicht wenig das drohende Geschrei des Knechtes und der Anblick des bewaffneten, zu harter und grausamer Rache gerüsteten Gebieters, dann noch weit mehr das furchtbare, gräßliche Aussehen des reißenden Tieres. Jeden Augenblick glaubten sie, jetzt auch von der Löwin gefressen zu werden, so daß sich ihnen jedes Haar auf dem Kopfe emporsträubte, und das Weib, furchtsamer und unvorsichtiger als Malco, war drauf und dran, einen lauten Schrei zu tun. Doch bedachte sie noch die Gefahr, in der sie schwebte; sie faßte sich plötzlich, ohne sich zu rühren, und stand ruhig und fest, als wäre sie ein Marmorbild. Auf der andern Seite wollte es wieder beiden scheinen, Gott habe sich jetzt ihrer in der höchsten Not erbarmt und ihnen solche Hilfe verliehen, wie sie selbst hätten weder erflehen noch wünschen können. Doch glaubten sie noch immer nicht vollkommen sicher zu sein, und erst als es Abend zu werden begann, wagten sie sich hervor.

Sowie sie die Höhle in ihrem Rücken hatten, bestiegen sie die beiden Kamele der Getöteten, auf welchen sie einen reichlichen Vorrat von Lebensmitteln fanden, stärkten ihre erschöpften Lebensgeister und die durch Schrecken und Ermüdung nicht minder als durch lange Entbehrung geschwächten Kräfte durch Speise und einen Strahl besserer Hoffnung, wofür sie in ihrem Herzen Gott dankten, und setzten aufs schleunigste ihre Reise in der Einöde fort, so daß sie am Abend des zehnten Tages in das römische Lager gelangten. Sie setzten dem Tribun ihre mannigfaltigen Schicksale auseinander, erzählten ihr beiderseitiges langes Mißgeschick, und nachdem sie viel davon gesprochen hatten, sandte sie der Tribun mit sicherem Geleite an Sabinus, Prokonsul von Mesopotamien, wo Malco die Nachricht erhielt, daß sein frommer Abt aus diesem Leben geschieden sei, worauf er sich mit der guten Frau, die ihm so lange Gesellschaft geleistet hatte, nach Maronia zurückzog, fortwährend die Kirchen besuchte, die Angelegenheiten dieser Welt floh und ganz dem Dienste Gottes lebte. Mit geschwisterlicher Liebe waren sich beide bis zum gebrechlichen Alter zugetan und führten ein frommes, stilles Leben. Alle diese Dinge erzählten sie den Leuten dieses Landes und dem heiligen Hieronymus, der sie aufschrieb, oftmals, nicht ohne ihren Zuhörern Tränen zu entlocken.


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